Nicht immer ist eine San-Andreas-Verwerfung nötig, um gute Erdbebenforschung zu machen. Auch in Bayern gibt es interessante seismische Aktivität, wie Professor Heiner Igel und Dr. Toni Kraft anhand einer Studie über den Einfluss von Regenwasser auf Erdbeben zeigen konnten. Ihre Kollegen vom Department für Geo- und Umweltwissenschaften, Professor Hans-Peter Bunge und Giampiero Iaffaldano, gelang parallel dazu der Nachweis, dass das Gewicht von Gebirgen tektonische Platten verlangsamen kann. SUSANNE WEDLICH steter tropfen hebt den stein nsere Erde hat eine ausgesprochen dünne Haut. „Die äußerste Schicht des Planeten, die Lithosphäre, ist fest und U nur etwa 100 Kilometer dick“, berichtet der Geophysiker Giampiero Iaffaldano. Sie besteht aus sieben großen und zahlreichen kleineren Platten, die sich auf die Landmasse der Erde und die Ozeanböden verteilen. Diese tektonischen Platten schwimmen in langsamer Bewegung auf einer Schicht zähflüssigen, unter hohem Druck stehenden Gesteins, die unter der Lithosphäre liegt. „So genannte Konvektionsbewegungen in dieser Masse sind die Energiequelle für die Aktivität an der Oberfläche“, so Giampiero Iaffaldano. „Echtzeitmessungen dieser Dynamik sind mittlerweile möglich und haben mehrere Zentimeter tektonischer Plattenbewegung angezeigt.“ Doch diese verläuft nicht immer ganz reibungslos, weil Platten nicht nur auseinander driften, sondern auch aufeinander stoßen oder aneinander vorbei gleiten können. Das macht vor allem die Plattengrenzen zu geologisch äußerst aktiven Bereichen. Unter bestimmten Umständen kommt es beim Aufeinandertreffen zweier Platten sogar zu einer Subduktion. Dann schiebt sich eine der Platten unter die andere. Herrschen dabei besonders komprimierende Bedingungen, kann sich dabei auch Gestein nach oben bewegen und dabei ganze Gebirge auffalten. Ein Beispiel dafür sind die Anden Südamerikas, zwischen deren Hochgebirgsketten im Westen und Osten der Altiplano liegt. Welche Bedeutung dieser ausgedehnten Hochebene zukommt, erkannten Professor Hans-Peter Bunge und sein Mitarbeiter Giampiero Iaffaldano im Rahmen einer Bahn brechenden Studie. Sie gingen dabei der bislang ungeklärten Frage nach, warum sich die Bewegungsrichtung und die Geschwindigkeit einzelner Platten im Lauf der Erdgeschichte verändert haben. Zusammen mit einem US-amerikanischen Kollegen entwickelten die Geophysiker eine Computersimulation der globalen Erdmantelkonvektion, die mit realistischen tektonischen Plattenmodellen an der Oberfläche gekoppelt ist. Dabei flossen auch Daten des neuen Globalen Positionierungssystems (GPS) in die Berechnungen mit ein. Letztlich gelang damit erstmals, die Bewegungsänderung der Nazca-Platte vor Südamerika in den letzten zehn Millionen Jahren, also bis in die geologische Zeit des Miozäns zurückreichend, quantitativ zu erklären. Die Wissenschaftler konnten anhand von Zeitfenstern zeigen, dass sich die Subduktion der Nazca-Platte unter der Südamerikanischen Platte seit dieser Zeit deutlich verlangsamt hat, und zwar um etwa 30 Prozent. Die Computersimulationen belegen aber auch, dass diese Veränderung durch hohe Reibungskräfte an der Plattengrenze verursacht wird. Verantwortlich dafür ist das Altiplano-Plateau in den Zentralanden in Bolivien und Peru, das vor allem seit dem späten Miozän aufgefaltet wird. Anders ausgedrückt: Der heute über 6.000 Meter hohe Altiplano übt durch sein enormes Gewicht genug Druck aus, um die Bewegung der Nazca-Platte abzubremsen. Mit dieser Studie konnte erstmals die Bewegungsänderung einer Platte erfolgreich erforscht werden. Zwei Ergebnis- 65 NATURWISSENSCHAFTEN -2 7 Die Abbildung zeigt die Epizentren von 546 Erdbeben im Jahr 2002 am Hochstaufen. Die Farben bezeichnen rund 80 Erdbeben im März (grün) und rund 430 allein im August (rot), schwarz kennzeichnet die seismische Hintergrundaktivität (etwa 40 Erdbeben). depth (km) 0 2 -2 0 2 5 depth (km) 0 100 200 300 day of year se der Arbeit könnten besonders weit reichende Konsequenzen haben. So sind die oberen 30 Kilometer der Erdoberfläche, der erdbebenreiche Sprödbereich, wichtiger für die Steuerung der Plattentektonik als bislang angenommen. Zudem ergibt sich aus den Resultaten die Möglichkeit, dass das Erdklima direkten Einfluss auf die Plattentektonik haben könnte. Denn die Auffaltung des Altiplano ist Folge der geringen Erosion, einhergehend mit dem dort vorherrschenden Wüstenklima. Auf der anderen Seite ist die station events km 0 5 Abbremsung der Nazca-Platte Folge der Auffaltung. Zusammen genommen ergibt das eine ganz besondere Wechselwirkung: Stark arides Klima, also wenn die Verdunstung den Niederschlag in einer Region übersteigt und die Luftfeuchtigkeit gering ist, könnte demnach in Regionen mit Gebirgsbildung die Bewegung tektonischer Platten verlangsamen. Aber auch Niederschlag kann bei geologischen Phänomenen eine wichtige Rolle spielen, wie ein anderes Projekt zeigte – das in Bayern durchgeführt wurde. Denn auch hierzulande gibt es seismische Aktivität. So wurde bereits am 16. Oktober 1390 zum ersten Mal ein Erdbeben in Bayern dokumentiert, und zwar in Bad Reichenhall, wo es alle paar Jahre zu entsprechenden Erschütterungen kommt. Noch spannender aber ist ein sehr viel häufigeres Phänomen, das sich vor der Haustür der oberbayerischen Stadt beobachten lässt. Dort steht der 1.771 Meter hohe Hochstaufen, der östlichste Gipfel der Chiemgauer Alpen und Bad Reichenhaller Hausberg. An diesem beliebten Ausflugsberg finden jedes Jahr mehr als tausend kleinere Erdbeben statt, die meist aber nicht intensiv genug sind, um von den Touristen und Anwohnern wahrgenommen zu werden. Die Erforschung dieser so genannten Schwarmbeben am Hochstaufen ist erst seit kurzem möglich. Zwar gibt es seit mehr als 100 Jahren seismische Überwachungsstationen in Bayern, doch diese waren noch bis in das Jahr 2000 vor allem für die Registrierung und Messung entfernter Erdbeben geeignet. „Da war es keine Seltenheit, dass auch spürbare Beben erst durch Anrufe besorgter Personen bei der Polizei oder am Geophysikalischen Observatorium der LMU bekannt wurden“, berichtet der Geophysiker Dr. Toni Kraft, der sich in seiner vor kurzem abgeschlossenen Dissertation unter anderem mit der Geschichte des seismologischen Stationsnetzes in Bayern beschäftigte. SCHWARMBEBEN GEBEN RÄTSEL AUF Im Jahr 2000 begannen dann die LMU und das Bayerische Geologische Landesamt mit dem Aufbau von insgesamt 21 modernen seismologischen Stationen. Diese erlauben die Beurteilung der seismischen Aktivität in Bayern fast in Echtzeit. Dank der besonderen Qualität der Daten kommt den Aufzeichnungen am Hochstaufen große Bedeutung in der Forschung zu – vor allem in Hinsicht auf die Schwarmbeben. „Noch gibt es keine wissenschaftlich präzise Definition des Begriffes Erdbebenschwarm“, berichtet der Geophysiker Toni Kraft. „Charakteristisch ist aber ein langsames zeitliches An- und Abklingen der seismischen Aktivität ohne bekannte Gesetzmäßigkeit.“ Erdbebenschwärme treten weltweit vor allem in vulkanisch aktiven Regionen auf, werden aber auch durch die Erdölförderung sowie Druckversuche in tiefen Bohrlöchern künstlich ausgelöst. Seit längerem wurde vermutet, dass sie durch die Bewegung von Gasen oder auch Flüssigkeiten in der Erdkruste verursacht werden. Nicht zuletzt auch Regenwasser wird eine wichtige Rolle bei verschiedenen geologischen Aktivitäten zugeschrieben – unter anderem bei Erdbeben. Es wurde vermutet, dass Wasser an diesem Punkt kurz vor der seismischen Instabilität den entscheidenden Auslöser liefern kann – als Tropfen, der das Fass überlaufen lässt. Dieser Annahme gingen Toni Kraft und Professor Heiner Igel in einem gemein- 66 NATURWISSENSCHAFTEN samen Projekt am Hochstaufen mit Kollegen der Universität Potsdam nach. In der Tiefe des Bergmassivs gibt es vor allem im Sommer zahlreiche Erdbeben – in eben jenen Monaten mit dem meisten Niederschlag im Jahr. Weil diese Aktivität seit 2001 kontrolliert wird, lag eine große Datensammlung vor. Alleine im Jahr 2002 wurden dabei mehr als 1.100 Erdbeben verzeichnet. Auffällig war, dass die Beben im März und August gehäuft auftraten, und zwar nach überdurchschnittlich starkem Regenfall (siehe Abbildung S. 66). Insgesamt konnten die Wissenschaftler einen deutlichen Zusammenhang zwischen der Niederschlagsmenge und der Zahl und Stärke der Erdbeben nachweisen. „Von unseren kalifornischen Kollegen wurden wir immer etwas belächelt“, meint Heiner Igel. „Trotzdem zeigt sich, dass wir viel von diesen kleinen Erdbeben lernen können.“ Die Daten zeigen auch, dass der Niederschlag den Druck in den Gesteinsporen verändert und so die seismische Aktivität beeinflusst. Überraschend war, dass schon geringe Änderungen ein Beben auslösen können. „Unsere Ergebnisse weisen damit auch nach, dass die Erdkruste schon auf kleinste Veränderungen sehr empfindlich reagieren kann“, so der Geophysiker. „Dazu kommt aber, dass es im Gestein auch größere Spalten gibt, in denen sich mehr Wasser speichern und entsprechend mehr Druck entstehen kann.“ Es ist wahrscheinlich, dass die Flüssigkeit beziehungsweise die dadurch verursachten Spannungsänderungen auch weitere Strecken zurücklegen können und ihre Wirkung vor allem im Bereich von einem bis vier Kilometern Tiefe zeigen. Dort finden tatsächlich auch die meisten Erdbeben statt. „Insgesamt konnten wir zum ersten Mal einen direkten Zusammenhang zwischen Regen und Erdbeben auf diesem Planeten nachweisen“, sagt Heiner Igel. „Jetzt wollen wir die Deformationen im Gestein genau messen, aber auch die physikalischen Grundlagen der Wechselwirkung mit dem Regenwasser besser verstehen. Wer hätte gedacht, dass es in Bayern so interessante Erdbeben gibt!“ Prof. Dr. Hans-Peter Bunge ist seit 2003 Leiter des Lehrstuhls für Geophysik an der LMU. Zuvor lehrte er fünf Jahre an der Princeton University, USA. [email protected] http://www.geophysik.uni-muenchen.de/Members/bunge Dr. Toni Kraft war bis Mai 2006 Ph.D.-Student und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Department für Geo- und Umweltwissenschaften der LMU. Seit Juni 2006 ist er Projektmanager am GeoForschungsZentrum Potsdam. [email protected] http://www.geophysik.uni-muenchen.de/Members/toni/about Prof. Dr. Heiner Igel ist seit 1999 Professor für Geophysik an der LMU und leitet das Seismologische Observatorium München und den Erdbebendienst Bayern. [email protected] http://www.geophysik.uni-muenchen.de/Members/igel Giampiero Iaffaldano ist Ph.D.-Student am Internationalen Doktorandenkolleg „Complex Processes in the Earth: Theory, Experiment, Simulations” (THESIS), das im Rahmen des Elitenetzwerks Bayern an der LMU angeboten wird. [email protected] http://www.geophysik.uni-muenchen.de/Members/giampiero 67 NATURWISSENSCHAFTEN