Primäre ZNS-Lymphome - Deutsches Ärzteblatt

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M E D I Z I N
ZUR FORTBILDUNG
Agnieszka Korfel
Eckhard Thiel
Primäre
ZNS-Lymphome
Pathogenese, Klinik, Therapie
ZUSAMMENFASSUNG
Die Inzidenz primärer ZNS-Lymphome steigt, bedingt nicht
nur durch die Assoziation mit der HIV-Infektion, sondern
auch bei anscheinend immunkompetenten Patienten. Die
schlechte Prognose der Erkrankung (mediane Überlebenszeit von wenigen Monaten) konnte mit Hilfe der Strahlentherapie signifikant verbessert werden (mediane Überlebenszeit
von 15 bis 18 Monaten). Durch den kombinierten Einsatz
von Chemotherapie und Strahlentherapie wurden erstmalig
mediane Überlebenszeiten von über 30 Monaten und FünfJahres-Überlebensraten von über 30 Prozent erreicht. Zwar
konnte das optimale Chemotherapieprotokoll bisher noch
nicht etabliert werden; von entscheidender Bedeutung ist jedoch die Verwendung hirngängiger Zytostatika, wie am Beispiel von
höher dosiertem Methotrexat belegt ist. Wegen des Risikos einer Leukenzephalopathie nach kombinierter Behandlung,
insbesondere bei älteren Patienten, ist die Frage nach dem
Stellenwert der Chemotherapie allein in der Behandlung der
primären ZNS-Lymphome von zunehmendem Interesse.
Schlüsselwörter: Primäre ZNS-Lymphome, Strahlentherapie, Chemotherapie, Liquorgängigkeit der Zytostatika,
Leukenzephalopathie
Therapy of Primary CNS Lymphomas
The incidence of the primary CNS lymphoma is increasing,
not only due to its association with the HIV infection, but
also in apparently immunocompetent patients. The poor prognosis of the disease (median survival time of a few months)
can be significantly improved by ratiotherapy (median survival of 15 to 18 months). Using the combined treatment
with chemotherapy and radiotherapy median survival of
more than 30 months and a five-year survival rate of more
than 30 per cent can be achieved. A prerequisite
to improve the chemotherapy is the use of compounds which can penetrate the blood brain barrier. This
approach was demonstrated to be successful by high-dose
methotrexate. Since the combined treatment increases the
risk for leukencephalopathy, particularly in the elderly, chemotherapy alone is gaining more interest.
Key words: Primary CNS lymphoma, radiotherapy, chemotherapy, blood-brain barrier penetration, leukencephalopathy
D
as primäre ZNS-Lymphom
(PZNSL) war bis vor kurzem mit einer Häufigkeit von
1 bis 2 Prozent aller Non-HodgkinLymphome und 2 Prozent aller Hirntumoren (24, 37, 42) eine seltene Erkrankung.
Die Häufigkeit nahm mit Ausbruch der AIDS-Epidemie in den
80ern drastisch zu, bedingt durch die
steigende Anzahl immunsupprimierter Patienten (57). Eine Inzidenzzunahme konnte allerdings aus bisher
unerklärlichen Gründen auch bei Immunkompetenten beobachtet werden (15).
Sollte die Inzidenz der primären
ZNS-Lymphome die zuletzt erreichte Steigerungsrate beibehalten, wird
die Erkrankung bis zum Jahr 2000 die
häufigste primäre maligne Erkrankung des zentralen Nervensystems
sein.
Das zentrale Nervensystem kann
auch sekundär durch ein systemisches
Non-Hodgkin-Lymphom
befallen
werden. Die Häufigkeit sekundärer
ZNS-Lymphome beträgt 5 bis 29 Pro-
SUMMARY
Pathophysiologie
Tabelle 1
ZNS-Lymphome – klinische Symptomatik
bei Diagnosestellung (nach Hochberg)
Symptom
Anteil (in %)
Persönlichkeitsveränderungen
24
zerebelläre Symptome
21
Kopfschmerzen
15
Krampfanfälle
13
motorische Dysfunktion
11
Visusveränderungen
8
zent systemischer Non-HodgkinLymphome und ist üblicherweise mit
einer fortgeschrittenen und disseminierten Erkrankung assoziiert (7).
Medizinische Klinik III (Direktor: Prof. Dr.
med. Eckhard Thiel), Klinikum Benjamin
Franklin, Freie Universität Berlin
Die Pathogenese der PZNSL verbleibt Gegenstand von Spekulationen.
Erste Untersuchungen der histogenetischen Abstammung der PZNSL
erbrachten den Nachweis von Mutationen des Protoonkogens BCL-6, eines Markers der Lymphozytenpassage
durch das Follikelzentrum sowie der
Expression des BCL-6-Proteins bei einem erheblichen Anteil der nicht mit
AIDS assoziierten und der mit AIDS
assoziierten PZNSL. In Kombination
mit der 100prozentigen Expression
des MSH2-Proteins, eines DNA-reparierenden Enzyms, deuten diese Daten auf eine Follikelzentrum-Differenzierung der meisten nicht mit AIDS
assoziierten PZNSL und einer erheblichen Fraktion der mit AIDS assoziierten PZNSL hin (20).
Die am weitesten verbreitete
Hypothese zur Entstehung der
PZNSL basiert auf der Annahme,
daß das ZNS eine Art immunologisches „Sanktuarium“ darstellt, in
dem neoplastisch entartete Lympho-
Deutsches Ärzteblatt 96, Heft 6, 12. Februar 1999 (45)
A-353
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ZUR FORTBILDUNG
zyten, die systemisch durch ein intaktes Immunsystem eradiziert werden
könnten, geschützt werden. Im Einklang damit steht die Beobachtung,
daß selbst im fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung keine systemische Beteiligung der PZNSL beobachtet wird (45).
Die Rolle des Immunsystems in
der Pathogenese der PZNSL wird
durch die Assoziation mit angeborener und erworbener Immunsuppression unterstrichen. Ähnlich anderen
Lymphomen bei immunsupprimierten Patienten weisen ZNS-Lymphome in dieser Patientengruppe einige
Charakteristika auf, die sie von ZNSLymphomen der Immunkompetenten
unterscheiden. Typisch sind die Oligooder Polyklonalität der Lymphomzellen und die Korrelation mit dem Ausmaß der Immunsuppression (16). Den
wichtigsten Unterschied stellt der
Nachweis von Ebstein-Barr-Virus(EBV-)DNA in nahezu 100 Prozent
der PZNSL-Zellen Immunsupprimierter dar (2, 26, 27). Wie beim endemischen Burkitt-Lymphom könnte
das Virus B-Lymphozyten infizieren
und dadurch ihre, zunächst polyklonale Proliferation induzieren, die bei
Immunkompetenten durch Regulationsmechanismen eines intakten Immunsystems limitiert wird. Bei defektem Immunsystem dagegen ist die
EBV-induzierte B-Lymphozyten-Proliferation nicht ausreichend kontrolliert, was zur Entstehung polyklonaler
Tumoren führt. Alternativ könnte es
bei der B-Zell-Proliferation zu genetischen Alterationen einiger Klone
kommen, was in einem Wachstumsvorteil und Entstehung oligo- oder
monoklonaler Tumoren resultiert.
Auch das kürzlich in über der Hälfte
der untersuchten PZNL sowohl bei
HIV-positiven als auch HIV-negativen Patienten entdeckte humane Herpes-Virus-8 (HHV8) könnte pathogenetisch beteiligt sein (12).
Histologie
Bei den ZNS-Lymphomen handelt es sich fast ausschließlich um BZell-Lymphome, von denen am häufigsten (70 bis 90 Prozent) der diffusgroßzellige Typ diagnostiziert wird
(28, 37, 42, 45, 58). Niedrig maligne
A-354
NHL- und T-Zell-Lymphome werden
nur in Einzelfällen diagnostiziert (30,
41, 45, 58).
Klinische Symptomatik
Das mediane Alter der immunkompetenten Patienten beträgt 55 bis
57 Jahre (16, 49). Es besteht keine Geschlechtsprädisposition. Die häufigste
le 1). Eine häufig asymptomatische
Meningeosis wird mit einer wohl methodisch bedingt breit gestreuten
Häufigkeit zwischen 30 und 70 Prozent beobachtet. Das intraokuläre
Lymphom (mit Lokalisation im Glaskörper oder Netzhaut) stellt eine Sonderform des PZNSL dar und kann isoliert oder in Verbindung mit zerebralem Lymphom mit einer Häufigkeit
von bis zu 25 Prozent auftreten (13,
Tabelle 2
Klinische Studien bei ZNS-Lymphomen: Chemotherapie mit konsolidierender Strahlentherapie
Autor
n
CHTProtokoll
Ansprechen
auf CHT
(PR + CR)
Medianes
Überleben
(Monate)
McLaughlin, 1988
10
DHAP - RT
7
2–22
Gabbai, 1989
13
HD MTX - RT
12
9 (max. 54)
Chamberlain, 1989 16
RT/HU - PRCB,
CCNU, VCR
16
41
DeAngelis, 1992
31
HD MTX - RT HD AraC
27
42,5
Boiardi, 1993
14
M-BACOD - RT
13
–
Glass, 1994
25
HD MTX - RT
19
33
Blay, 1995
25
COP-COPADEMCYM-RT
18
2 J. Überleben
70%
5 J. Überleben
56%
Bessel, 1996
34
CHOD oder CHOD/
BVAM - RT
22 CR
3 J. Überleben
51%
5 J. Überleben
33%
Thiel, 1997
11
BMPD - RT
8
4–42
Abkürzungen: CHT Chemotherapie; PR partielle Remission; CR komplette Remission;
DHAP: Dexamethason, Hochdosis AraC, Cisplatin; RT Radiotherapie; HD Hochdosis;
MTX Methotrexat; HU Hydroxyurea; PRCB Procarbacin; VCR Vincristin;
M-BACOD: HD Methotrexat, Bleomycin, Adriblastin, Cyclophosphamid, Vincristin,
Dexamethason; COP: Cyclophosphamid, Vincristin, Prednisolon; ADEM: Adriblastin,
HD Methotrexat; CYM: AraC, HD Methotrexat; J Jahre; CHOD: Cyclophosphamid,
Adriblastin, Vincristin, Dexamethason; BVAM: BCNU, Vincristin, HD AraC,
HD Methotrexat; BMPD: BCNU, HD Methotrexat, Procarbacin, Dexamethason.
Manifestation entspricht einem diffusen, infiltrativen Wachstum mit zumeist supratentorieller Lokalisierung.
Das Intervall zwischen Auftreten klinischer Symptomatik und Diagnosestellung beträgt Wochen bis zu wenigen Monaten (29). Im Vordergrund
stehen Persönlichkeitsveränderungen
und zerebelläre Symptomatik (Tabel-
(46) Deutsches Ärzteblatt 96, Heft 6, 12. Februar 1999
22, 28). Intramedulläre Raumforderungen treten mit einer Häufigkeit
von unter 1 Prozent auf (30).
Patienten mit AIDS-assoziiertem
PZNSL sind deutlich jünger (medianes Alter 31 Jahre) und überwiegend
Männer. Das klinische Bild entspricht
in dieser Gruppe eher einer Enzephalopathie (16).
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ZUR FORTBILDUNG
Diagnosestellung
Bildgebende Verfahren
Das Vorliegen eines ZNS-Lymphoms kann bereits durch bildgebende Verfahren suggeriert werden. ZNSLymphome manifestieren sich angiographisch als avaskuläre und CT-morphologisch zumeist als iso- oder hyperdense, ventrikelnahe, kontrastmittelspeichernde Läsionen mit, im Gegensatz zu Gliomen oder Hirnmetastasen,
vergleichsweise wenig Begleitödem.
Die Kernspintomographie ist in der
Darstellung der PZNSL der Computertomographie überlegen. Der Hirnbefall ist in der optimalen Bildgebung
bei bis zu 50 Prozent multifokal. Am
häufigsten betroffen sind der Frontalund der Parietallappen; Corpus callosum, Hypothalamus, Stammhirn und
Occipitallappen stellen eine seltene
Lokalisation dar (60).
Während bei den meisten immunkompetenten Patienten eine Diagnosestellung aus dem Liquor nicht
möglich sein wird, ist bei AIDS-Patienten mit intrakranieller Raumforderung der Nachweis von Epstein-BarrVirus im Liquor zur Sicherung der
Diagnose eines PZNSL ausreichend.
Hirnbiopsie
Intraokuläres Lymphom
Die Methode der Wahl zur Diagnosesicherung bei immunkompetenten Patienten stellt die Hirnbiopsie
dar. In vielen Zentren kann heutzutage die stereotaktische Biopsie mit einer Trefferquote von 98 Prozent und
einer Komplikationsrate von weniger
Tabelle 3
Liquorgängigkeit gebräuchlicher
Zytostatika*
Zytostatikum
Liquorgängigkeit
Liquoruntersuchung
Eine Diagnosestellung kann in
einigen Fällen durch zytologische
oder immunzytologische Liquoruntersuchung vermittelt werden. Eine
Meningealbeteiligung wird bei 30 bis
70 Prozent der PZNSL beschrieben
(1, 17, 23–25, 37, 39), wobei die breiten Unterschiede in den Häufigkeitsangaben durch methodische Unsicherheit in der Beurteilung bei niedriger Zellzahl, veränderter Zellmorphologie und mangelnde, insbesondere immunzytologische Expertise bedingt sind. Eine attraktive Alternative
zu der konventionellen Immunfluoreszenzuntersuchung an Zellsuspensionen bietet die immunzytologische
Untersuchung auf Poly-L-Lysin beschichteten Objektträgern, die mit
wenig Zellen auskommt und den Vorteil einer besseren Beurteilbarkeit im
Phasenkontrastmikroskop bietet (34).
Eine Meningealbeteiligung eines
ZNS-Lymphoms kann auch durch den
molekulargenetischen Nachweis der
Monoklonalität der B-Zellen gezeigt
werden (21, 50). Von einigen Autoren
wird eine Erhöhung des β-2-Mikroglobulin-Spiegels sowie der Nachweis
des löslichen CD27-Antigens im Liquor als Hinweis für eine Meningealbeteiligung eines ZNS-Lymphoms beschrieben (32, 33).
Nitroseharnstoffe
Cytosinarabinosid
Thiotepa
Ifosfamid
Idarubicin
Methotrexat
Cyclophosphamid
Vinca Alkaloide
Cisplatin
Doxorubicin
Paclitaxel
von Steroiden. Da diese Reaktion
nicht lymphomspezifisch ist (sie kann
auch bei Gliomen oder der progressiven multifokalen Leukenzephalopathie beobachtet werden), ist sie nicht
sicher diagnostisch verwertbar und
kann nur in Ausnahmefällen, zum
Beispiel bei positivem Liquorbefund,
bestätigend genutzt werden.
++
++
++
++
+
+
+
–
–
–
–
++ > 30% des Serumspiegels wird im
Liquor erreicht
+ zytotoxischer Spiegel wird im Liquor
erreicht (1–2% des Serumspiegels)
– Liquorspiegel < 1% des Serumspiegels
* nach 48, 53, 56, 61
als 2 Prozent durchgeführt werden.
Da Steroide die histologische Beurteilung unmöglich machen, sollte die
Biopsie vor der Gabe von Steroiden
erfolgen. Eine komplette Resektion
eines ZNS-Lymphoms verlängert das
Überleben nicht und sollte wegen des
Risikos neurologischer Ausfälle nicht
durchgeführt werden.
Steroide
Typisch für PZNSL ist die
prompte und häufig komplette Rückbildung des Tumors und der tumorassoziierten Symptome auf die Gabe
Bei der Mehrheit der Patienten
mit intraokulärem Befall entwickelt
sich dieser einige Monate vor der Diagnosestellung eines intrazerebralen
Lymphoms (28). Charakteristisch ist
der Nachweis von Präzipitaten in der
vorderen Augenkammer bei der
Spaltlampenuntersuchung. Eine Bestätigung erfolgt durch den zytologischen Nachweis von Lymphomzellen
im Aspirat aus dem Glaskörper. Wegen der daraus resultierenden therapeutischen Konsequenzen (Bestrahlung der Augen) sollte eine Spaltlampenuntersuchung zum Ausschluß des
intraokulären Befalls bei jedem
PZNSL-Patienten durchgeführt werden.
Therapie und Prognose
PZNSL bei immunkompetenten Patienten
1 Strahlentherapie
Von allen hochmalignen NonHodgkin-Lymphomen haben die
PZNSL die schlechteste Prognose.
Das mediane Überleben beträgt bei
unbehandelten Patienten nur wenige
Monate (24). Die Beobachtung, daß
durch eine Schädelbestrahlung eine
Verlängerung der medianen Überlebenszeit bis zu 18 Monaten erreichbar
war (24), führte zur Etablierung
der Strahlentherapie als Standardbehandlung der PZNSL in den letzten 20
Jahren. Die durch retrospektive Auswertungen angenommene Dosis-Wirkungs-Beziehung (42, 51) konnte in
einer von der Radiation Therapy Oncology Group (RTOG) durchgeführten prospektiven Phase-II-Studie
nicht bestätigt werden (43). Das mediane Überleben betrug 11,6 Monate
und die Lokalrezidivrate 92 Prozent.
Das Fehlen eines Plateaus in der
Deutsches Ärzteblatt 96, Heft 6, 12. Februar 1999 (47)
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ZUR FORTBILDUNG
Überlebenskurve in der RTOG-Studie korrespondierte mit der in einer
retrospektiven Auswertung von 308
PZNSL-Patienten ermittelten FünfJahres-Überlebensrate von sieben
Prozent (38) und bestätigte, daß die
Strahlentherapie trotz der Verwendung maximal tolerabler Dosen in
der Behandlung der PZNSL keinen
kurativen Stellenwert hat. Die Bestrahlung der Neuroachse verbessert
das Überleben der Patienten nicht
und kann wegen Zerstörung der Knochenmarkreserve die spätere Durchführung einer Chemotherapie erschweren (29, 49).
1 Chemotherapie mit
Radiotherapie
Der erste erfolgreiche Behandlungsversuch eines PZNSL mit systemischer Gabe von hochdosiertem
Methotrexat (MTX) mit LeukovorinRescue wurde 1977 durchgeführt (55).
Seither berichteten mehrere Untersucher über ihre Erfahrungen mit systemischer Chemotherapie bei zumeist
kleinen Kollektiven von Patienten
mit primären und sekundären ZNSLymphomen (Tabelle 2) (3, 6, 8, 10, 13,
14, 19, 22, 28, 31, 40, 52, 58). Die Protokolle enthielten nahezu alle mittelbis hochdosiertes MTX als Monosubstanz oder in Kombination mit anderen Zytostatika und eine konsolidierende Schädelbestrahlung. Einige
Arbeitsgruppen konnten mediane
Überlebenszeiten von über 40 Monaten und Fünf-Jahres-Überlebensraten
von über 30 Prozent erzielen. In der
wohl bekanntesten, prospektiven Studie mit 31 Patienten, durchgeführt
von DeAngelis (14), konnte mit einer Kombinationstherapie, bestehend
aus mittelhochdosiertem MTX systemisch und mehrfach wiederholt intrathekal, Schädelradiatio und anschließend hochdosiertem Cytosinarabinosid (AraC) eine mediane Überlebenszeit von 42,5 Monaten erreicht
werden. In zwei Zusammenfassungen
der bisher publizierten Studien, die jeweils über 1 000 Patienten umfaßten,
betrugen die medianen Überlebenszeiten der nur bestrahlten Patienten
16,6 beziehungsweise 16 Monate und
die der kombiniert behandelten Patienten 29,1 beziehungsweise 27 Monate (16, 49).
Das Design der meisten Therapieprotokolle ist bisher an die BeA-356
handlung systemischer Lymphome
angelehnt ohne Berücksichtigung
pharmakokinetischer Prinzipien der
Medikamentenaufnahme in das ZNS
(Tabelle 3). Zwar ist bei großen zerebralen Tumoren initial die Blut-HirnSchranke gestört und der Tumor dadurch auch nicht hirngängiger Chemotherapie zugängig. Innerhalb weniger Wochen nach Beginn der Chemotherapie kommt es jedoch parallel zur
Rückbildung des Tumors zu einer
vollständigen Restitution der BlutHirn-Schranke, wodurch residuelle
ren und sekundären ZNS-Lymphomen konnte mit Chemotherapie allein
eine Remission bei acht Patienten erreicht werden; die Nebenwirkungsrate war auch bei über 70jährigen Patienten erstaunlich gering. Nach einer
konsolidierenden Schädelbestrahlung
betrugen die Überlebenszeiten bis zu
vier und 42 Monate (58). Einen CTVerlauf nach BMPD-Therapie demonstriert die Abbildung.
1 Chemotherapie allein
Mit Verlängerung der Überlebenszeit der Patienten mit PZNSL ge-
Tabelle 4
BMPD-Protokoll (nach Thiel)
Zytostatikum
Dosierung
Verabreichung
Therapieschema
BCNU
80 mg/m2
IV
Tag 1
Methotrexat
15 mg
intrathekal
Tag 11
Methotrexat
1500 mg/m2/24 h
IV
Tag 22
IV
IV
oral
36 h, 42 h, 48 h, 54,
68 und 78 h nach
Beginn der
Methotrexat-Infusion
Leukovorin-Rescue 30 mg/m2
15 mg/m2
5 mg/m2
Procarbacin
100 mg/m2
oral
Tag 1–8
Dexamethason
3 x 8 mg
oral
Tag 1–143
Wiederholung Tag 22
1
2
3
wiederholt bei positiver Liquorzytologie
10% der Dosis über 0,5 h, der Rest über 23,5 h
nur im Zyklus 1
BMPD: BCNU, HD Methotrexat, Procarbacin, Dexamethason.
Tumorzellen geschützt werden und
später zu einem Rezidiv führen (46).
Die Bedeutung der Hirngängigkeit
der Zytostatika wird offensichtlich
durch die fehlende Überlebenszeitverlängerung im Vergleich zur Strahlentherapie allein in Studien, die ausschließlich nicht hirngängige Substanzen verwendeten (9, 35, 54). Eine Verbesserung der Blut-Hirn-SchrankenPenetration wurde von Neuwelt
durch die osmotische Disruption mit
Mannitol in einem sehr aufwendigen
Verfahren erreicht (44). Einfacher
und ebenfalls effektiv ist die Verwendung ausschließlich hirngängiger Zytostatikakombinationen, wie zum
Beispiel das von uns entwickelte
BMPD-Protokoll (Tabelle 4). Von den
elf auswertbaren Patienten mit primä-
(48) Deutsches Ärzteblatt 96, Heft 6, 12. Februar 1999
winnt das Problem der späten neurologischen Toxizität in Form von
Ataxie und Demenz an Bedeutung.
Ihre Häufigkeit beträgt bei über
50jährigen bis 41 Prozent (14). Prädisponierend sind: fortgeschrittenes Alter, hohe Strahlendosen und Behandlung mit Chemotherapie nach bereits
erfolgter Schädelbestrahlung (14, 58).
Zwar ist die Leukenzephalopathie
auch nach hochdosiertem MTX allein
berichtet worden, ihre Häufigkeit
steigt jedoch deutlich bei zusätzlicher
Verwendung von Strahlentherapie. Es
wurde daher von einigen Untersuchern bewußt auf den Einsatz von
Strahlentherapie zur Konsolidierung
des Chemotherapieeffektes verzichtet
(Tabelle 5) (11, 18, 44). In der bereits
erwähnten Studie behandelte Neuwelt
M E D I Z I N
ZUR FORTBILDUNG
16 Patienten mit einem aufwendigen Dosierung und optimaler InfusionsProtokoll, das aus hyperosmolarer zeiten auch nach systemischer Gabe
Blut-Hirn-Schranken-Disruption in von MTX oder AraC therapeutische
Verbindung mit hochdosiertem MTX, Spiegel im Liquor erreichbar sind (53,
Endoxan und Procarbacin bestand, 56) und andererseits intrathekale
wodurch eine mediane Überlebens- MTX-Instillationen das Risiko eizeit von 44,5 Monaten erreicht wurde ner späteren Leukenzephalopathie
(44). In den Studien von Freilich und erhöhen, sollte die Notwendigkeit eiCher (11, 18) erhielten die Patienten ner intrathekalen Chemotherapie bei
mittel- bis hochdosiertes MTX-enthal- PZNSL ohne Meningealbeteiligung
tende Chemotherapieprotokolle und kritisch hinterfragt werden.
wie bei Neuwelt, Schädelbestrahlung
Intraokuläre Lymphome sollten
nur bei keinem Ansprechen oder bei analog zu dem intrazerebralen LymRezidiv. Die mediane Überlebenszeit phom primär mit systemischer Chebetrug 30 Monate. Unter
Berücksichtigung der kleinen
Patientenkollektive scheinen
die Therapieergebnisse in diesen Studien im Hinblick auf
die Remissions- und Überlebenszeiten mit denen kombinierter Behandlungsverfahren vergleichbar zu sein. Eine
randomisierte Überprüfung
dieses Therapiekonzeptes bei
den ZNS-Lymphomen ist das
Ziel einer von uns initiierten
multizentrischen Studie. Das
Behandlungsprotokoll sieht
eine initiale Therapie mit dem
BMPD-Schema (58) und bei
ungenügendem Ansprechen
Umstellung auf das Idarubicin/Ifosfamid-Protokoll vor.
Alle Patienten, die unter der CT-Aufnahmen des Schädels einer 72jährigen Patientin mit primäChemotherapie eine komplet- rem ZNS-Lymphom bei Diagnosestellung (am 22. Februar 1994)
te Remission erreichen, erhal- und 40 Monate nach der Behandlung mit drei Zyklen des BMPDten randomisiert entweder ei- Chemotherapieprotokolls und konsolidierender Schädelbestrahne Schädelbestrahlung oder lung dokumentieren eine lang anhaltende komplette Remission.
einen konsolidierenden Chemotherapiezyklus; die Schädelbe- motherapie behandelt werden. Anstrahlung wird in jedem Fall bei Versa- schließend sollte eine biokuläre Begen der Chemotherapie und im Rezi- strahlung durchgeführt werden. Bei
div durchgeführt. Neben der Effekti- den sehr seltenen intramedullären
vität der Therapie wird in dieser Stu- Lymphomen ist eine umgehende Indie der Langzeiteinfluß der Therapie volved-field-Bestrahlung indiziert.
1 Prognosefaktoren
auf die kognitive Leistung mit Hilfe
neuropsychologischer Tests evaluiert
Eine ungünstige Prognose ist mit
(Näheres zum Studienprotokoll bei einem Alter über 60 Jahre (3, 5, 6, 22,
den Autoren).
47, 59), schlechtem Karnofsky-Index
1 Intrathekale Chemotherapie
(5, 44, 47), multifokalem Hirnbefall
Die intrathekale Zytostatikain- (3, 28), tiefer Lokalisierung der Läsiostillation (MTX, AraC) ist wegen der nen (47) und hoher Proteinkonzentraminimalen Hirnpenetration der Zy- tion im Liquor (5) assoziiert.
tostatika aus dem Liquor zur BehandPZNSL bei HIV-Patienten
lung intrazerebraler Tumoren nicht
geeignet (4). Sie stellt allerdings ein
Die Fortschritte, die in der BeStandardverfahren zur Behandlung
einer Meningealbeteiligung dar. Da handlung der PZNSL bei Immunkombei Verwendung entsprechend hoher petenten in den letzten Jahren erreicht
wurden, lassen sich leider bisher nicht
auf die PZNSL der HIV-Patienten
übertragen. Das durchschnittliche
Überleben der Patienten mit AIDSassoziiertem PZNSL ist mit 2,6 Monaten unvergleichbar kürzer (16).
Die Mehrzahl der in der Metaanalyse von Fine erfaßten Patienten
mit AIDS-assoziiertem PZNSL erhielt eine Schädelbestrahlung und
erreichte darunter eine mediane
Überlebenszeit von drei Monaten,
während die mediane Überlebenszeit
der ebenfalls nur bestrahlten nicht an
AIDS erkrankten Patienten bei 16,6
Monaten lag (16). Möglicherweise ist
die unterschiedliche Biologie der
PZNSL in den beiden Patientengruppen sowie eventuell auch eine niedriger dosierte Strahlentherapie in der
AIDS-Gruppe für den Unterschied
verantwortlich. Der wichtigste Faktor
erscheint jedoch die HIV-Infektion
selbst zu sein mit der resultierenden
Immunsuppression. Bei der Mehrzahl
der Patienten mit AIDS-assoziiertem
PZNSL beträgt die CD4-Zellzahl weniger als 50/mm3 (36). Da die Todesursache bei den meisten Patienten mit
AIDS-assoziiertem PZNSL eine opportunistische Infektion ist, erscheint
es fraglich, ob eine erfolgreiche Behandlung des Lymphoms das Überleben dieser Patienten beeinflussen
würde. Eine Ausnahme stellen HIVinfizierte Patienten dar, bei denen ein
PZNSL die einzige beziehungsweise
primäre AIDS-definierende Erkrankung darstellt. Diese Patienten sind
die einzigen in der Literatur berichteten Langzeitüberlebenden. Bei letzteren ist der Stellenwert der Chemotherapie aufgrund der nur spärlichen Daten nicht ausreichend geklärt.
Therapieempfehlung
HIV-negative Patienten sollten initial eine systemische MTX-haltige
Chemotherapie erhalten. Bei Verwendung wenig toxischer Protokolle wie
zum Beispiel des BMPD-Protokolls
und Beachtung adäquater Begleitmaßnahmen ist ein fortgeschrittenes Alter
allein keine Kontraindikation für eine
systemische Chemotherapie. Ob eine
konsolidierende Schädelbestrahlung
notwendig ist, ist zur Zeit Gegenstand
von Untersuchungen. Bei mangelhaf-
Deutsches Ärzteblatt 96, Heft 6, 12. Februar 1999 (49)
A-357
M E D I Z I N
ZUR FORTBILDUNG/FÜR SIE REFERIERT
tem Ansprechen auf die Chemotherapie ist die Strahlentherapie des Schädels mit 40 Gy auf alle Fälle indiziert.
Wegen der Seltenheit des Krankheitsbildes sollte eine Behandlung im Rahmen einer klinischen Studie angestrebt
werden. HIV-infizierte Patienten mit
einer CD4-Zellzahl größer als 200/m3
können mit einer Schädelbestrahlung,
Zitierweise dieses Beitrags:
Dt Ärztebl 1999; 96: A-353–358
[Heft 6]
Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf
das Literaturverzeichnis, das über den Sonderdruck beim Verfasser und über die Internetseiten (unter http://www.aerzteblatt.de)
erhältlich ist.
Tabelle 5
Klinische Studien bei ZNS-Lymphomen: Chemotherapie allein
Autor
n
Protokoll
Ansprechen
(PR + CR)
Medianes
Überleben
(Monate)
Neuwelt, 1991
16
i. a. Mannitol, CTX,
HD MTX, PRCB
16
44,5
Freilich, 1996
13
HD MTX, VCR,
PRCB, (HD AraC)
12
30,5
Cher, 1996
19
HD MTX - Erh.
HD MTX,
M-CHOD
18
3–122
Abkürzungen: PR partielle Remission; CR komplette Remission; i. a. intraarteriell;
CTX Cyclophosphamid; HD Hochdosis; MTX Methotrexat; VCR Vincristin;
PRCB Procarbacin; Erh Erhaltung; M-CHOD: Methotrexat, Cyclophosphamid,
Adriblastin, Vincristin, Dexamethason
systemischen Chemotherapie und/oder
antiviralen Therapie nach Möglichkeit
ebenfalls im Rahmen einer klinischen
Studie behandelt werden. Welcher dieser Therapiemodalitäten Vorzug zu geben ist und in welcher Sequenz sie bei
HIV-Patienten eingesetzt werden sollen, ist zur Zeit nicht ausreichend geklärt.
Anschrift für die Verfasser
Prof. Dr. med. Eckhard Thiel
Leiter der Medizinischen Klinik III
Hämatologie, Onkologie und
Transfusionsmedizin
Klinikum Benjam Franklin
Freie Universität Berlin
Hindenburgdamm 30
12200 Berlin
Helicobacter-pylori-Prävalenz bei der BASF
Gastritis und Duodenitis waren
1994 für 1 Million Tage Arbeitsunfähigkeit verantwortlich. Ursache dieser Beschwerden kann eine Infektion
mit Helicobacter pylori sein. Die Autoren führten bei 6 143 Beschäftigten
der BASF, Ludwigshafen, eine Untersuchung auf H.-pylori-Antikörper
durch, wobei insbesondere Personen
mit Oberbauchbeschwerden, Ulkusanamnese und familiärer Magenkarzinombelastung zu einer Untersuchung aufgefordert wurden. IgGAntikörper wurden bei 38,2 Prozent
der Untersuchten gefunden, ein UlA-358
kus bei 4,9 Prozent und eine nicht ulzeröse Dyspepsie bei 20,4 Prozent. In
12,9 Prozent der Fälle wurde eine
Heblicobacter-pylori-Therapie empfohlen, die bei 541 Angestellten dann
auch realisiert wurde. Schichtarbeiter
waren häufiger Helicobacter-pyloripositiv als normal Beschäftigte.
w
Zober A, Schilling D, Ott MG, Schauwecker P, Riemann JF, Messerer P.: Helicobacter-pylori-infection: prevalence
and clinical relevance in a large company.
Am College of Occupational and Environmental Medicine 1998; 40: 586–594.
Arbeitsmedizin und Gesundheitsschutz
BASF AG, 67056 Ludwigshafen.
(50) Deutsches Ärzteblatt 96, Heft 6, 12. Februar 1999
Plazentablut statt
Knochenmark
Die Transplantation von hämatopoetischen Stammzellen aus Plazentablut ist ebenso wie die Knochenmark-(KM-)Transplantation in
der Lage, eine ausreichende Blutbildung zu restaurieren. Dies trifft sowohl für verwandte als auch unverwandte Empfänger zu. Als Vorteile
des auch als Nabelschnurblut bezeichneten Plazentabluts gelten die
einfache Gewinnung, die rasche Verfügbarkeit, das fehlende Risiko für
den Spender und die geringe Wahrscheinlichkeit einer Übertragung klinisch relevanter Infektionen. Auch
die gefürchtete GVHD (graft versus
host disease) ist weniger ausgeprägt
als bei der KM-Transplantation, so
daß sich dieses Verfahren gerade bei
HLA-Inkompatibilität anbietet.
Eine New Yorker Arbeitsgruppe wertete die Daten von 562 Patienten aus, die seit 1992 mit diesem Verfahren bei verschiedenen Grunderkrankungen behandelt worden waren.
Die Raten für ein Angehen der
Transplantation lagen mit 81 Prozent
bei den Neutrophilen und 85 Prozent
bei den Thrombozyten hoch und waren der KM-Transplantation vergleichbar. Ebenso waren die Zahlen
der akuten- und chronischen GVHD
mit denen der KM-Transplantation
vergleichbar. Als Variablen für das
Gelingen der Tranplantation von
Stammzellen aus Plazentablut erwiesen sich neben der Leukozytenzahl
im Transplantat vor allem die zugrunde liegende Erkrankung, das
Patientenalter, der Grad der HLAInkompatibilität sowie das Transplantationszentrum selbst.
Die Autoren resümieren, daß
Plazentablut eine geeignete Quelle
für hämatopoetische Stammzellen
darstellt und die klinische Wirksamkeit der einer konventionellen Knochenmarktransplantation nicht nachsteht.
acc
Rubinstein P et al.: Outcomes among 562
recipients of placental-blood transplants
from unrelated donors. N Eng J Med
1998;339: 1565–1577.
Dr. Rubinstein, New York Blood Center,
310 E. 67th St., New York, NY 10021, USA.
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