1. Erstes Überfliegen des Textes – Aufgabenstellung erfassen Musterklausur 3 Friedrich Dürrenmatt: „Heller als tausend Sonnen”. Zu einem Buch von Robert Jungk1 (1956) 5 10 15 20 25 30 (…) Das ungeheuerlichste Machtmittel der Gegenwart (gemeint ist die Atombombe) beruht auf einem so sublimen Wissen, daß die Frage lautet: wie war es möglich, daß sich dieses spezielle, und durch die Schwierigkeiten seines Verstehens an sich geschützte Wissen in Macht umwandeln konnte, daß sich auf der menschlichen Ebene etwas Ähnliches ereignet wie auf der physikalischen, in der sich Materie in Energie verwandelte? Dieser Prozeß wurde durch die Zertrümmerung einer internationalen Elite von Wissenschaftlern durch die Politik ausgelöst. (…) Das Problem der Atomkraft – die Atombombe ist nur ein Sonderfall dieses Problems – kann nur international gelöst werden. Durch Einigkeit der Wissenschaftler. (…) Das Prinzip, das der Wasserstoffbombe zugrunde liegt, entdeckte Houtermans2, indem er über Vorgänge in der Sonne nachdachte. Das Pech Houtermans besteht darin, in einer Welt zu leben, in der eine gewisse Art von Denken offenbar gefährlich ist, wie das Rauchen in einer Pulverfabrik. Nun ist es unmöglich, die Pflicht, ein Dummkopf zu bleiben, als ethisches Prinzip aufzustellen. Die Frage lautet, wie sich die Physiker in der heutigen Welt verhalten müssen, und nicht nur die Physiker; Denken kann vielleicht überhaupt in Zukunft immer gefährlicher werden. Die Elite, von der Jungk berichtet, wäre dann nur ein Vorposten. Sie hatte insofern Erfolg, als sich ihre Berechnungen durch die Atombombe bestätigten, doch ihr Erfolg war ihr Versagen, denn sie konnte die Atombombe nur bauen, indem sie sich den Politikern und Militärs auslieferte. Ihr Fehler war es, daß sie nie als Einheit handelte, daß sie im Grunde die einmalige Stellung nie begriff, in der sie sich befand, daß sie sich weigerte, Entscheidungen zu fällen. Das Wissen fürchtete sich vor der Macht und lieferte sich deshalb den Mächten aus. Aus dieser Schwäche heraus, hoffte sie, daß die Politik der Atombombe gewachsen sein werde, daß die Politik realisiere, was sie selber nicht vermochte, doch war die Welt auf alles, nur nicht auf die Atombombe vorbereitet. (…) Über die Atomkraft verfügen nun die, die sie nicht begreifen. Es ist daher nicht zu bestreiten, daß die Elite versagte (…) Der Abwurf der Bomben auf Japan, ja auch der Bau der Wasserstoffbombe hätte vermieden werden können. Im Grunde wußte niemand, was er tun sollte. Was ,technisch süß‘ war, verführte die meisten, und oft war es einfach nicht möglich, schuldlos zu bleiben. Daß alles menschlich verständlich ist, macht die Geschichte teuflisch. So entsteht schließlich der Eindruck, daß all diese apokalyptischen Bomben nicht erfunden wurden, sondern sich selber erfunden haben, um sich, unabhängig vom Willen Einzelner, vermittels der Materie Mensch zu verwirklichen. 2. 3. 4. 5. 6. Überfliegen Sie den Text und verschaffen Sie sich so ein erstes Verständnis. Machen Sie sich kurz Notizen zu folgenden Fragen: Wer spricht in welcher Situation worüber wozu? Autor Ort, Zeit Themen, Inhalt Intention, Interessen Formulieren Sie anschließend einige Verstehenshypothesen zum Text. – Dürrenmatt fragt nach Schuld und Ursache für den Bau der „apokalyptischen Bomben” und glaubt, die Ermöglichung gehe auf ein Versagen der wissenschaftlichen „Elite” zurück. – Andererseits aber vermittelt er den Eindruck, als hätten sich die Waffen „selber erfunden”. – Die Lösung der Atomfrage könne seiner Meinung nach nur durch Einigkeit der Wissenschaftler erreicht werden. Lesen Sie nun die Aufgabenstellung genau. Achten Sie vor allem auf die Arbeitsanweisungen (Operatoren) und überlegen Sie, wie Sie bei der Lösung der Aufgaben vorgehen wollen. Im vorliegenden Fall wird von Ihnen bei der ersten Teilaufgabe eine Textanalyse verlangt. Es wird von Ihnen erwartet, dass Sie die möglichen Erschließungsaspekte einer Sachtextinterpretation selbständig erkennen. Bei der zweiten Teilaufgabe sollen Sie die gewonnen Erkenntnisse unter einem bestimmten Gesichtspunkt selbständig diskutieren. Sie können bei der Fragestellung die Textsorte (hier: Literaturkritik) ignorieren, da Dürrenmatt zwar in dem vorliegenden Auszug als Rezensent auftritt, aber angeregt von der Lektüre des Buches seine eigenen Schlussfolgerungen zieht. 1. 2. Text aspektorientiert erschließen 3. 4. 5. 6. Aus: Friedrich Dürrenmatt, Heller als tausend Sonnen. Zu einem Buch von Robert Jungk, in: Friedrich Dürrenmatt: Werkausgabe in dreißig Bänden, Bd.28, Zürich: Diogenes Verlag 1998, S. 20–24, hier: 22 ff. Worterklärungen: 1 Robert Jungk (1913–1994) war Journalist und einer der ersten Zukunftsforscher. Sein Buch „Heller als tausend Sonnen. Das Schicksal der Atomforscher“ erschien 1956; 2 Friedrich Georg Houtermans (1903–1966) war ein deutscher Physiker, der grundlegende Beiträge zur Kernphysik und Astrophysik verfasste. Aufgabenstellung 1. Analysieren Sie die Rezension von Friedrich Dürrenmatt. 2. Diskutieren Sie die Frage nach dem Versagen der Wissenschaftler. Beziehen Sie in Ihre Überlegungen auch Themen und Gedanken aus Dürrenmatts Komödie „Die Physiker” mit ein. 24 Klausurtraining Teilschritt: Inhalt sichern Lesen Sie den Text zwei- bis dreimal sorgfältig durch. Sie sollten dabei eine Gliederung des Textes vornehmen Schlüsselwörter im Text unterstreichen, markieren und vernetzen Randnotizen machen 1.Abschnitt (Z. 1-Z. 5): Dürrenmatt fragt sich, wie ein so „sublimes” und „geschütztes” Wissen wie der Bau der Atombombe in die Hand der Macht geraten konnte. 2.Abschnitt (Z. 6-Z. 9): Als Ursache für die Weitergabe des Wissens sieht er die fehlende Einigkeit der Wissenschaftler. 3.Abschnitt (Z. 10-Z. 19): Da das Denken selbst gefährlich geworden sei, fragt Dürrenmatt danach, wie sich Physiker in der modernen Welt verhalten sollen. Friedrich Dürrenmatt: Die Physiker 25