Krimkonflikt trifft schwache russische Wirtschaft

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Helaba Volkswirtschaft/Research
LÄNDERFOKUS
10. März 2014
Krimkonflikt trifft schwache russische Wirtschaft
AUTOREN
Ullrich Rathfelder
Telefon: 0 69/91 32-20 32
Dr. Stefan Mütze
Telefon: 0 69/91 32-38 50
[email protected]
REDAKTION
Dr. Stefan Mitropoulos
HERAUSGEBER
Dr. Gertrud R. Traud
Chefvolkswirt/
Leitung Research
Helaba
Landesbank
Hessen-Thüringen
MAIN TOWER
Neue Mainzer Str. 52-58
60311 Frankfurt am Main
Telefon: 0 69/91 32-20 24
Telefax: 0 69/91 32-22 44
Der Konflikt zwischen der Ukraine und Russland hat sich verschärft. Eine Abspaltung der KrimHalbinsel scheint kaum mehr abzuwenden. Der Westen bereitet erste Sanktionen gegen Russland vor. Sie treffen das Land in einer ohnehin schwachen wirtschaftlichen Verfassung und
dürften das Wachstum 2014 belasten. Die Auswirkungen des Konfliktes auf die deutsche Wirtschaft sind bislang überschaubar. Dies könnte sich aber bei einer Eskalation schnell ändern.
Russland hatte wie andere Schwellenländer nach der Finanzkrise 2008 günstigen Zugang zu den
internationalen Kapitalmärkten. Obwohl Kapitalzuflüsse und -abflüsse sich in etwa die Waage
hielten, erhöhten sich die Währungsreserven der Zentralbank aufgrund des Leistungsüberschusses auf 475 Mrd. US-Dollar. Der von der Zentralbank an einen Währungskorb von Euro und USDollar orientierte Rubel wertete wegen der deutlich höheren russischen Inflation real stetig auf. Mit
der ersten Ankündigung der US-Notenbank im Mai 2013, ihr Anleiheankaufprogramm zu reduzieren, hat sich die Situation für die Schwellenländer-Währungen gedreht. Zwar kam es vor allem in
Ländern mit hohen Leistungsbilanzdefiziten zu Kapitalabflüssen, interessanterweise war aber auch
Russland betroffen. Kapital ist hier abgeflossen, weil die politischen und wirtschaftlichen Risiken
gestiegen sind. Die strukturellen Schwächen Russlands – einseitige Export- und Importstruktur
sowie eine ineffiziente, staatlich dominierte Wirtschaft – sind wieder in den Vordergrund getreten.
Zudem scheinen die lange Zeit günstigen Bedingungen in der Ära Putin mit steigenden Öl- und
Gaspreisen sowie großen fiskalpolitischen Spielräumen nun vorbei zu sein.
Russlands Wirtschaft: Wenig Wachstum und Reformstau
Die Publikation ist mit größter
Sorgfalt bearbeitet worden.
Sie enthält jedoch lediglich
unverbindliche Analysen und
Prognosen zu den gegenwärtigen und zukünftigen
Marktverhältnissen. Die Angaben beruhen auf Quellen,
die wir für zuverlässig halten,
für deren Richtigkeit, Vollständigkeit oder Aktualität wir
aber keine Gewähr übernehmen können. Sämtliche in
dieser Publikation getroffenen Angaben dienen der Information. Sie dürfen nicht
als Angebot oder Empfehlung für Anlageentscheidungen verstanden werden.
Seit dem vierten Quartal 2011 ist das Wachstum des Bruttoinlandsproduktes (BIP) stetig zurückgegangen. Im Jahr 2013 betrug es gerade noch 1,4 %. Dies ist wenig für Russland mit seinem
beachtlichen Leistungsbilanzüberschuss, zumal der Ölpreis 2013 nicht nennenswert nachgab.
Einzig der private Konsum sicherte noch maßgeblich die Expansion, während die Investitionen
stagnierten und der Außenbeitrag negativ war. Die kräftigen Lohnerhöhungen haben die Lohnstückkosten der Wirtschaft seit 2005 um 150 % erhöht. Die Wettbewerbsfähigkeit der NichtRohstoff-Wirtschaft wurde somit kontinuierlich unterhöhlt. Nach wie vor prägt der Energiesektor die
Wirtschaftsstruktur. Der Anteil der Öl- und Gasexporte an den Gesamtausfuhren ist in den letzten
acht Jahren von 64 % sogar weiter auf 70 % gestiegen.
Niedriges Wirtschaftswachstum auch 2014
Reales Bruttoinlandsprodukt, % gg. Vj.
12
12
10
10
8
8
6
6
4
4
2
2
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0
-2
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-4
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13 14p
Quellen: EIU, Helaba Volkswirtschaft/Research
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LÄNDERF OKUS RUSSLAND
Das ist unbefriedigend für ein Land, in dem früher das produzierende Gewerbe einen großen Teil
des BIP erzeugte. Russland braucht daher nicht ein konsum-, sondern ein produktionsgetriebenes
Wachstum. Auch wird sich Russland künftig nicht einzig auf den Energiesektor stützen können.
Die Förderbedingungen werden allgemein schwieriger und daher teurer. Der Staatshaushalt wird
weniger von den Steuern auf den Energieexport profitieren und soziale Wohltaten wie in den letzten Jahren werden nicht mehr im gleichen Umfang finanzierbar sein. Das BIP wird daher vorerst
nur verhältnismäßig langsam zulegen: Für 2014 haben wir die Prognose von 2,5 % auf 2,0 % revidiert. Dies setzt aber voraus, dass eine diplomatische Lösung für den Konflikt mit der Ukraine
gefunden wird und der Ölpreis auf dem aktuellen Niveau verharrt.
BIP-Prognose für 2014
abwärts revidiert
Denn politische Unsicherheiten sind Gift für die Kapitalmärkte. Russische Investoren verlagern
bereits seit 2012 ihr Kapital ins Ausland und dieser Trend könnte sich jetzt nochmals verstärken.
Der Exodus von Kapital kann nur über Reformen gestoppt werden. Für ein über Investitionen erzeugtes nachhaltiges Wachstum sind zuverlässige Institutionen, die Bekämpfung von Bürokratie
und Korruption sowie eine gute Infrastruktur unerlässlich. Beim „Doing Business“-Ranking der
Weltbank für kleine und mittlere Unternehmen rangiert Russland weltweit nur im Mittelfeld auf Platz
92. Die Regierung kündigt stets Besserung an, doch erfolgten Reformen bisher nur halbherzig und
langsam. Der Staat kontrolliert etwa die Hälfte der Wirtschaft, was auf private Investoren abschreckend wirkt. Die Privatisierungsziele sind zudem niedrig angesetzt.
Prognoseübersicht Russland
Außenwirtschaftliche Position weniger robust
Mrd. $
2012
2013
2014p
2015p
% gg. Vj.
3,4
1,5
2,0
3,0
Budgetsaldo
% des BIP
-0,1
-0,5
-0,5
-0,5
Leistungsbilanzsaldo
% des BIP
3,6
1,5
1,1
0,7
%
5,5
4,8
4,5
4,3
% gg. Vj.
5,1
6,8
6,0
5,5
BIP, real
100
ausländischer Finanzierungsbedarf*
80
60
Arbeitslosenquote
100
Leistungsbilanzüberschuss
60
40
40
20
20
0
Inflationsrate
Quellen: EIU, Helaba Volkswirtschaft/Research
Zahlungsrisiken bei
einzelnen Adressen
p = Prognose
80
0
2011
2012
2013
2014
* Rückzahlung Auslandsschulden – Leistungsbilanzüberschuss
Quellen: EIU, Helaba Volkswirtschaft/Research
Seit 2011 gehen die Leistungsbilanzüberschüsse stetig zurück. Sie könnten schon bald der Vergangenheit angehören. Dann würde Russland das wichtigste Asset für seine Bonitätsbewertung
verlieren und es müssten andere aufgebaut werden. Die gesamte Auslandsverschuldung ist mit
714 Mrd. US-Dollar für den Staat (gut 60 Mrd. US-Dollar) kein Thema, dafür ist sie bei einzelnen
Unternehmen, Banken und ausländischen Direktinvestoren (Mutter-Töchter-Kredite) relevant.
Durch die Rubelabwertung (allein seit Anfang 2014 um 10 %), die sich jederzeit fortsetzen könnte,
sowie die schwache Konjunktur wird zumindest für die Kreditnehmer, die nur Rubeleinnahmen
haben, die Schuldenbedienung teurer und schwieriger. Gesamtwirtschaftlich verfügt Russland aber
über hohe Währungsreserven (Ende 2013: 475 Mrd. US-Dollar), die Zahlungsschwierigkeiten
unwahrscheinlich machen.
Die Verfolgung eines Inflationsziels hat unter der neuen Zentralbankpräsidentin Nabiullina einen
höheren Stellenwert erhalten. Das bisher verfolgte Wechselkursziel wird schrittweise durch einen
flexibleren Wechselkurs ersetzt. Die Zentralbank hob Anfang März 2014 den Leitzins deutlich von
5,5 % auf 7 % an, um die Inflationsgefahren durch die deutliche Rubelabwertung zu vermindern.
Die Inflationsrate befindet sich Anfang 2014 noch außerhalb des Zielbandes von 5 bis 6 %.
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LÄNDERF OKUS RUSSLAND
Deutliche Abwertung des Rubel
Inflation für russische Verhältnisse zuletzt moderat
Rubel-Wechselkurs
Verbraucherpreisindex, % gg. Vj.
16
16
14
14
12
12
10
10
8
8
6
6
4
4
2
2
05
Quellen: Macrobond, Helaba Volkswirtschaft/Research
Hält die Fiskalregel?
06
07
08
09
10
11
12
13
14
Quellen: Datastream, Helaba Volkswirtschaft/Research
Das Haushaltsdefizit lag ohne Exportsteuern auf Energie 2013 schätzungsweise bei 10 % des BIP,
mit den Energieeinnahmen bei 0,5 % des BIP. Gegenwärtig sind Ölpreise von etwa 110 US-Dollar
je Fass für einen ausgeglichenen Haushalt erforderlich. Die Staatsausgaben werden nach einer
neuen Fiskalregel, die sich an historischen Ölpreisen ausrichtet, begrenzt. Bei hohen Ölpreisen
sollen Guthaben im Reservefonds (Stand Dezember 2013: 4 % des BIP) auf-, bei niedrigen abgebaut werden. Deshalb konnte die Regierung 2013 auch kaum Wachstum über höhere Staatsausgaben stimulieren. Da Präsident Putin im letzten Wahlkampf höhere Löhne und Sozialleistungen
versprochen hat, wird die Regierung an anderen Stellen wie etwa bei Infrastrukturinvestitionen
sparen müssen. Die Regierung verneint, dass der Reservefonds die Lücken schließen soll. Hoffentlich bleibt die russische Regierung bei dieser Tugend, denn das würde das Vertrauen in eine
solide Haushaltspolitik erhöhen.
Auswirkungen für die deutsche Wirtschaft zunächst überschaubar
Für Deutschland ist Russland im Gegensatz zur Ukraine ein wichtiger Handelspartner. Diese Abhängigkeit besteht auch in umgekehrter Richtung. Durch die Eskalation auf der Krim-Halbinsel
stellt sich die Frage, wie stark eine Einschränkung der Wirtschaftsbeziehungen zu Russland und
zur Ukraine Deutschland treffen würde. Die Ukraine selbst ist als Handelspartner für Deutschland
von untergeordneter Bedeutung. Sie nahm 2013 nur Waren von gut 5 Mrd. Euro auf, bei einem
deutschen Gesamtexport von 1,1 Billionen Euro. Das Land steht damit an 37. Stelle der Exportdestinationen. Bei den Einfuhren liegt das Schwarzmeerland mit 1,5 Mrd. Euro sogar nur an
55. Stelle.
Russland schon seit längerem kein Impulsgeber mehr
Deutsche Exporte nach Regionen, 2000 = 100
1000
1000
900
900
China
800
700
800
700
600
600
Russland
500
500
400
400
300
300
USA
200
100
EU
0
200
100
0
00
01
02
03
04
05
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Quellen: Datastream, Helaba Volkswirtschaft/Research
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LÄNDERF OKUS RUSSLAND
Deutsche
Energieabhängigkeit
Viel wichtiger für Deutschland aber ist Russland, das 2013 mit rund 36 Mrd. Euro 3,3 % der deutschen Warenausfuhren aufgenommen hat. Sogar 4,5 % der deutschen Importe kamen von dort.
Damit ist die Bundesrepublik auch Russlands wichtigster Handelspartner in der EU. Das östliche
Land ist zudem der für Deutschland bedeutendste Lieferant von Erdgas und Erdöl. 39 % des Erdgases und 35 % des Rohöls werden von dort bezogen. Eine erhebliche Belastung des deutschrussischen Handels beispielsweise durch gegenseitige Sanktionen und höhere Zölle könnte damit
nicht nur die Energieversorgung hierzulande gefährden, sondern auch zu empfindlichen Exporteinbußen führen. Trotz politischer Spannungen ist es allerdings in den letzten Jahrzehnten –
auch in Zeiten des „Kalten Krieges“ – nie zu einer Einschränkung der Gaslieferungen gekommen.
Allerdings könnten sich über einen längeren Zeitraum deutlich höhere Energiepreise als Ergebnis
einer Eskalation des Konfliktes in der Ukraine durchaus wachstumshemmend auswirken.
6.000 deutsche Firmen sind mit Produktionsstätten oder anderweitig in Russland vertreten. Auch
sie brauchen ein spannungsfreies Wirtschaftsklima. Bereits jetzt wird der Handel durch die zuletzt
schwache Wirtschaftsentwicklung Russlands und den jüngsten Rubelverfall belastet. So sind die
deutschen Exporte dorthin 2013 um 5,2 % gesunken, während die gesamte deutsche Ausfuhr in
etwa stagnierte.
Russland wichtigster Gaslieferant
Russische Entwicklung – nicht ohne Deutschland
Deutsche Gasimporte nach Ländern in %, 2013
Deutsche Exporte nach Russland in Mrd. €, 2013
Sonstige (5,8 %)
Russland
(38,7 %)
Niederlande
(26,1 %)
9
9
8
8
7
7
6
6
5
5
4
4
3
3
2
2
1
1
0
0
Norwegen (29,4 %)
Quellen: BAFA, Helaba Volkswirtschaft/Research
Russische Kapitalgüterabhängigkeit
Quellen: Statistisches Bundesamt, Helaba Volkswirtschaft/Research
Allerdings ist auch die russische Wirtschaft auf die Produkte und Direktinvestitionen der deutschen
Industrie angewiesen. Immerhin stammen rund 14 % der russischen Einfuhren aus Deutschland.
Russland benötigt für die weitere Entwicklung vor allem einen Investitionsschub. Die entsprechenden Maschinen und elektrotechnischen Güter kommen in nicht unwesentlichem Ausmaß aus
Deutschland. Unter der gestiegenen Unsicherheit aufgrund der Krimkrise werden die Direktinvestitionen leiden. Zudem könnten sich die Kapitalabflüsse noch verstärken. Schon im vergangenen
Jahr war es nach Angaben der Notenbank zu einem kräftigen Kapitalabfluss aus Russland in Höhe
von rund 60 Mrd. US-Dollar gekommen.
Insgesamt bleibt zu hoffen, dass die schwierige Situation in der Ukraine doch noch über Verhandlungen gelöst wird und nicht zu einer gegenseitigen Einschränkung der Wirtschaftsbeziehungen
führt. Aus wirtschaftlicher Sicht sollte keine Seite ein Interesse an einer Ausweitung des Konfliktes
(Abspaltung von Teilen der Ukraine, umfassende und dauerhafte Wirtschaftssanktionen, militärische Eskalation) haben. Fraglich ist allerdings, ob sich die Akteure letztlich von der „ökonomischen
Vernunft“ leiten lassen oder nicht doch weiterhin primär politische Motive das Geschehen bestimmen werden. 
H E L A B A V O L K SW I R T S C H A F T / R E S E A R C H · 1 0 . M Ä R Z 2 0 1 4 · © H E L A B A
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