www.oif.ac.at Österreichisches Institut für Familienforschung Austrian Institute for Family Studies Dipl. Sozpäd. (FH) Olaf Kapella Umgang mit Minderheiten Am Beispiel der sexuellen Orientierung 15.12.2008 Sexuelle Orientierung | 15.12.2008 www.oif.ac.at Homosexualität in der Schule Das Erste Mal, Studie von Bettina Weidinger, Wolfgang Kostenwein und Gabriele Drunecky, 2001 • Rund jede/r zweite Jugendliche konnte bereits mit jemanden über Homosexualität sprechen (Jungen: 46%; Mädchen: 52%) • Jede/r zehnte Jugendliche möchte mehr über das Thema Homosexualität erfahren (Jungen: 11%; Mädchen: 15%). • 7% der Jungen und 13% der Mädchen geben an, bereits ein oder mehrere sexuelle Erlebnisse mit einer Person des gleichen Geschlechts gehabt zu haben. • Eine komplette Ablehnung gegenüber Homosexualität in Bezug auf das eigene Geschlecht ist bei Jungen mehr als doppelt so häufig. 1.044 Jugendliche wurden mittels Fragebogen befragt, 503 in der Langfassung und 541 die online Kurzfassung. Sexuelle Orientierung | 15.12.2008 www.oif.ac.at Homosexualität in der Schule Out in der Schule, Studie von Gregor Faistauer und Martin Plöderl, 2006 • Knapp ein Drittel der Befragten wurde durch Peers homophob diskriminiert – 3 % von Seiten der Lehrer/innen. • 16% berichten von Interventionen bei homophoben Äußerungen seitens der Lehrer/innen. • 17% berichten über mindestens einen Suizidversuch (ca. 6 mal so hoch als in der männlichen Gesamtbevölkerung) – 5% davon geben den Suizidversuch durchgeführt zu haben, weil sie „wegen der Homosexualität in der Schule so viel mitgemacht haben“. • Rund ein Drittel berichtet davon, dass Homosexualität oder Bisexualität im Unterricht thematisiert wurde. • Befragte sind eher in der Schule geoutet, wenn … - es andere offen homosexuell lebende Mitschüler/innen gibt. - sie sich in der Schule akzeptiert fühlen. - wenn es jemanden gibt, mit dem Mann über Homosexualität sprechen kann. - es zumindest einen offen homosexuell lebende Lehrperson gab. Sexuelle Orientierung | 15.12.2008 www.oif.ac.at Teil 1 – Sexuelle Orientierung Definition und Diagnostik Sexuelle Orientierung | 15.12.2008 www.oif.ac.at Sex versus Gender Sex = biologisches Geschlecht Biologisch definierte Merkmale (zur Reproduktion), oft Grundlage der traditionellen Rollenverteilung • Genetisches Geschlecht Durch Geschlechtshormone genetisch angelegtes Geschlecht der Körperzellen (XX/XY) • Gonadales Geschlecht Entwickelt sich durch chromosomales Geschlecht und wird durch gebildete Keimdrüssen vorbestimmt • Phänotypisches Geschlecht Wird durch äußere und innere Geschlechtsorgane und sekundäre Geschlechtsmerkmale bestimmt Gender = psychologisches / soziales Geschlecht Subjektiv erlebte Identität Sexuelle Orientierung | 15.12.2008 www.oif.ac.at Begriffsverwirrung Herta Richter-Appelt, 2004 • Geschlechtsrolle kulturelle Erwartungen, Interessen, Einstellungen etc. • Geschlechtsidentität subjektives Gefühl Mann oder Frau zu sein • Geschlechtsrollenidentität öffentliche Manifestation der Geschlechtsidentität • Sexuelle Identität subjektive Erleben, hetero-, homo- oder bisexuell zu sein • Sexuelle Präferenz was eine Person sexuell erregt • Sexuelle Orientierung Partnerwahl – stimmt meist mit sexueller Identität überein Sexuelle Orientierung | 15.12.2008 www.oif.ac.at Sexuelle Orientierung - Definition = eine anhaltende emotionale, romantische, sexuelle oder erotische Anziehung zu einer anderen Person. Dimensionen von sexueller Orientierung (nach Kinsey): • Sexuelle Phantasien • Romantische Attraktion • Sexuelles Verhalten Sexuelle Orientierung | 15.12.2008 www.oif.ac.at Sexuelle Orientierung - Entstehung Essenzialistischen Position Sexuelle Orientierung ist das Resultat einer individualgeschichtlichen, frühen und dauerhaften Festlegung im Sinne einer Determinierung oder einer Disposition. (Ursachenforscher) Konstruktivistische Position Sexuelle Orientierung wird als soziales Konstrukt verstanden, welches durch soziale Zwänge und Definitionsprozesse entstanden ist. Sie wird nicht als dauerhafte sondern vielmehr veränderbare Präferenz verstanden, über die das Individuum selbst entscheiden kann. Das eigentliche Problem besteht also gar nicht in der Frage, was für biologische Befunde vorliegen, sondern allein darin, wie man sie bewertet. Die Bewertung ist aber ein moralisches, kein wissenschaftliches Thema. Erwin J. Haeberle Sexuelle Orientierung | 15.12.2008 www.oif.ac.at Sexuelle Orientierung – Diagnostik Dimensionen von sexueller Orientierung – nach Fritz Klein – Sexual Orientation Grid (KSOG): A) Sexuelle Anziehung – wen finde ich reizvoll / erotisch? B) Sexuelles Verhalten – mit wem habe ich Sex? C) Sexuelle Phantasien – über wen phantasierst ich? D) Emotionale Vorliebe – wen mag ich oder liebe ich? E) Soziale Vorliebe – mit wem bin ich gern zusammen? F) Lebensstil / soziale Welt – mit wem und wo verbringe ich gerne Zeit? G) Selbstidentifikation – wie bezeichne ich mich selbst? Sexuelle Orientierung | 15.12.2008 www.oif.ac.at Sexuelle Orientierung – Diagnostik Sexual Orientation Grid – nach Fritz Klein: Variablen Vergang. Gegenw. Ideal A. Sexuelle Anziehung B. Sexuelles Verhalten C. Sexuelle Phantasie C. Emotionale Vorliebe E. Soziale Vorliebe F. Hetero/Schwul-Lesbischer Lebensstil G. Selbstidentifizierung nur anderes Geschlecht 1 meist anderes Geschlecht 2 etwas mehr das beide Geschlechter andere Geschlecht gleicherweise 3 4 Sexuelle Orientierung | 15.12.2008 etwas mehr das gleiche Geschlecht 5 meist gleiches Geschlecht 6 nur gleiches Geschlecht 7 www.oif.ac.at Sexuelle Orientierung – Diagnostik Das DSM-IV schlägt folgende Codierungen für die sexuelle Orientierung, nach Abschluss der sexuellen Entwicklung, vor: Sexuell Orientiert auf Männer Sexuell Orientiert auf Frauen Sexuell Orientiert auf beide Geschlechter Sexuell Orientiert weder auf Männer noch auf Frauen Sexuelle Orientierung | 15.12.2008 www.oif.ac.at Sexuelle Orientierung – Diagnostik = eine früh determinierte, stabile und im Wesentlichen unveränderbare Eigenschaft des Menschen. ? • Flexibilität der sexuellen Orientierung • Sexuelle Orientierung entwickelt sich über die Dauer der gesamten Biografie • Unterschiede zwischen Mann und Frau? Sexuelle Orientierung kann sich im Laufe des Lebens verändern eher heterosexuell Orientiert Sexuelle Orientierung | 15.12.2008 eher homosexuell Orientiert www.oif.ac.at Teil 2 – Homosexualität Definition und begriffliche Abgrenzungen Sexuelle Orientierung | 15.12.2008 www.oif.ac.at Homosexualität – Definition Homosexuell = sich vom eigenen Geschlecht angezogen zu fühlen • lesbisch (Frau/Frau) • schwul (Mann/Mann) Unterscheidung von: • Homosexualität als Verhalten • Homosexuell-Sein Sexuelle Orientierung | 15.12.2008 www.oif.ac.at Homosexualität – Definition Homosexuelle Orientierung ist abzugrenzen von: • Homoerotische Phase • Transvestitismus • Drag Queen und Drag King • Transsexualität • Pädophilie / Pädosexualität • Metrosexualität • Feminine heterosexuelle Männer Sexuelle Orientierung | 15.12.2008 www.oif.ac.at Homosexualität – Entstehungstheorien • Biologische Theorien (genetische Faktoren, Hormonwirkung, Hirnanatomie) • Psychologische Theorien (Psychoanalytische Theorie, Lerntheorie) • Alltagstheorien Verführungstheorien Prägung durch die Umgebung (Gefängnisse, Internat) keinen Partner abbekommen (bei Frauen) Enttäuschung mit einer Frau (bei Männern) etc. Sexuelle Orientierung | 15.12.2008 www.oif.ac.at Exkurs: Sissy-Boy-Syndrom Indikatoren für Homosexualität: • Interesse für Puppen • Anziehen von weiblicher Kleidung • Weibliche Spielgefährten werden bevorzugt • Die Gesellschaft von älteren Frauen gegenüber der von älteren Männern vorziehen • Von anderen Jungen als „sissy“ bezeichnet werden und • Sexuelles Interesse eher an Jungen als an Mädchen im kindlichen sexuellen Spiel nach Witham 1977 Sexuelle Orientierung | 15.12.2008 www.oif.ac.at Exkurs: Prähomosexuelle Kindheit Thomas Grossmann, 2001 Typologie prähomosexueller Jungen: a) weicher Junge b) unsportlicher Außenseiter weiche Jungs c) wilder Einzelkämpfer d) harte Junge harte Jungs e) sensibler Sportler Themen der Interviews: • Geschlechtsrolle und -identität (Konfliktverhalten, Spieldynamik) • Soziale Beziehungen • Erotik und Sexualität Sexuelle Orientierung | 15.12.2008 www.oif.ac.at Homosexuelle Identitätsentwicklung (1) Sensibilisierung: Gefühl anders zu sein (beginnt normalerweise in der Grundschule) (2) Identitätsverwirrung: das Bewusststein, dass homoerotische Gefühle nicht verschwinden – daher Auseinandersetzung mit schwuler/lesbischer Identität (3) Annahme der Identität: schrittweise Entwicklung einer schwul/lesbischen Identität – vorsichtiges „Outing“ – beginnend in der Adoleszenz bis ins Erwachsenenalter (4) Selbstannahme: Akzeptanz der eigenen Identität als schwul oder lesbisch nach Stufenmodell von Troiden Sexuelle Orientierung | 15.12.2008 www.oif.ac.at Sexuelle Orientierung "Es gibt im Grunde weder Hetero-, Homonoch Bisexualität. Es gibt nur Sexualität, die entlang sehr variationsreicher Entwicklungslinien schließlich ihre, für jeden einzelnen signifikante Ausdrucksform findet." (Morgenthaler, 1984, S. 136) Sexuelle Orientierung | 15.12.2008 www.oif.ac.at Literatur Bundschuh, Claudia. Pädosexualität. Leske und Budrich. Opladen 2001. Faistauer, Gregor; Plöderl, Martin. Out in der Schule. Schwule Männer über ihre Schulzeit. HOSI Salzburg, 2006. Gooß, Ulrich. Konzepte der Bisexualität. Zeitschrift für Sexualforschung 1. Thieme. Stuttgart 2003. Grossmann, Thomas. Prä-homosexuelle Kindheit. Dissertation. Hamburg 2000. Unter www.thomasgrossmann.de Grossmann, Thomas. Eine Liebe wie jede andere. Rowolt. Hamburg 1988. Haeberle, Erwin J. Bisexualitäten – Geschichte und Dimensionen eines modernen wissenschaftlichen Problems. http://www2.huberlin.de/sexology/GESUND/ARCHIV/DEUTSCH/BISEX.HTM. Kinnish, Kelly K. Geschlechtsspezifische Differenzen der Flexibilität der sexuellen Orientierung. Zeitschrift für Sexualforschung 1. 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Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen, DSM-IV. Hogrefe. Göttingen 1996 und 1998. Weidinger Bettina, Kostenwein Wolfgang, Drunecky Gabriele: Das Erste Mal. Sexualität und Kontrazeption aus der Sicht der Jugendlichen. ÖGF, 2001. Sexuelle Orientierung | 15.12.2008