Frank Kirchhoff „Mit innovativen Ansätzen versuche ich zu verstehen, wie HIV übertragen wird und zu AIDS führt – und wie man beides verhindern kann.“ 33 Millionen Menschen weltweit, meine Damen und Herren – das ist etwa die Bevölkerung Kanadas – müssen nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) derzeit mit einer HIV-Infektion oder mit AIDS leben. Die Zahl der Todesfälle seit Beginn der Pandemie wird auf insgesamt 25 Millionen geschätzt. Die Erreger von AIDS, die Humanen Immundefizienz-Viren HIV-1 und HIV-2, stellen uns vor eine große Herausforderung: Bisher gibt es keinen wirksamen Impfstoff und nur eine aufwändige Kombinationstherapie, die den Krankheitsverlauf verzögert. Solange nicht verstanden ist, wie dieser Erreger, der sich zudem permanent verändert, biologisch funktioniert, solange wird es keine Heilung oder Eliminierung dieser Gefahr geben. Hier ist Grundlagenforschung im wahrsten Sinne des Wortes lebensnotwendig. Und heute Abend ehren wir mit Frank Kirchhoff einen Forscher, der in den letzten zwei Jahrzehnten mit Exzellenz und Beharrlichkeit wesentliche Erkenntnisse zur Entstehung von AIDS und der Evolution von HIV und verwandten Lentiviren erarbeitet hat. Es sind vor allem drei Fragen, die Frank Kirchhoff beschäftigen: Erstens: Warum verursacht HIV-1 im Menschen AIDS, während die nahe verwandten Affenviren SIV in ihren natürlichen Wirten nicht zur Erkrankung führen? Zweitens: Welche Inhibitoren, also Hemmstoffe, können für HIV-1 gefunden und weiterentwickelt werden? Drittens: Welche Mechanismen spielen bei der sexuellen Übertragung von HIV eine Rolle und welche neuen Präventionsmöglichkeiten ergeben sich daraus? Zur Beantwortung dieser zentralen Fragen der Pathogenese konzentriert sich Frank Kirchhoff erfolgreich auf eine der wichtigsten HIV-Proteinkomponenten, das Nef-Protein. Hier konnte er etwas sehr Paradoxes aufzeigen: Nef verstärkt die Infektion und Replikation von HIV. Bei Primaten hingegen unterdrückt das Nef-Protein die Aktivierung der immunologischen Abwehr durch T-Zellen und damit die Entstehung einer Infektion. Dieser Effekt von Nef ist offenbar beim Übergang des HI-Vorläufervirus vom Schimpansen auf den Menschen verloren gegangen. Deutsche Forschungsgemeinschaft, Leibniz-Preis Laudationes 2009 In Kooperation mit Ulmer und Hannoveraner Kollegen machte Frank Kirchhoff eine weitere, für neue AIDS-Therapien sehr wichtige Entdeckung: ein Peptid im menschlichen Blut, das aus 20 Aminosäureresten besteht und die Virusvermehrung blockiert. Darüber hinaus konnte ein Befund seiner Forschung die Ursachen der hohen Übertragungsrate von AIDS durch sexuelle Kontakte erklären: Er identifizierte ein Protein in der Samenflüssigkeit, das mit seinen Fasern HI-Viren einfängt, in Zellen eindringen lässt und damit die Infektionsrate um einige Größenordnungen erhöht. Er sucht auch hier nach Möglichkeiten zur Eindämmung der Pandemie AIDS. Frank Kirchhoff, Jahrgang 1961, studierte bis 1988 Biologie in Göttingen. Er wurde 1991 am Deutschen Primatenzentrum promoviert. Als „Postdoc“ war er an der renommierten Harvard Medical School und kehrte 1994 nach Deutschland zurück – zunächst als Assistent, Privatdozent und Professor an der Universität Erlangen-Nürnberg, bevor er 2001 auf eine Professur für Virologie an der Universität Ulm berufen wurde. Frank Kirchhoff greift immer wieder herausfordernde Fragestellungen auf, um diese durch präzises, imaginatives und geschicktes Experimentieren zu beantworten. Er hat sich – auch durch gut gewählte Kollaborationen – ein thematisch weites Feld erschlossen und nicht zuletzt mit seinen jüngsten Arbeiten eine ausgezeichnete internationale Reputation erworben. Lieber Herr Kirchhoff, den Millionen HIV-Infizierten weltweit, vor allem in Afrika, ist es sicher zu Recht egal, ob eine Therapie in Deutschland oder der Schweiz gefunden wird. Ich jedoch bin sehr froh, dass Sie sich jüngst entschieden haben, hier bei uns zu bleiben! Ich gratuliere Ihnen sehr herzlich zum Leibniz-Preis! Deutsche Forschungsgemeinschaft, Leibniz-Preis Laudationes 2009