DNA-Diagnostik in der Humangenetik

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EINFÜHRUNG
Jörg T. Epplen
"Wer will schon wissen, ob er (sie) irgend wann einmal an einem schweren Erbleiden sterben
wird?"
[Prof. Dr. med. Eberhard Passarge, Präsident der Gesellschaft für Humangenetik,
Essen]
"Jawohl, es gibt eine Pflicht zum Wissen um Risikofaktoren dort, wo ich durch
verantwortungsvollen Umgang mit diesem Wissen etwas ändern kann" [Prof. Dr. phil. HansMartin Sass, Ethiker, Bochum]
In den vorangestellten Leitsätzen äußern sich ein praktisch tätiger Humangenetiker und
ein Philosoph zu den Konsequenzen der Möglichkeiten in der humangenetischen Beratung
(siehe Tafel 1) und der modernen molekularbiologischen Diagnostik. Diese beiden Experten
stellen aus der Spannweite des existierenden Meinungsspektrums ihre Sichtweise von ihrem
Fachgebiet vor, gehören also zu den Stimmen, die humangenetische Familien-beratung nicht
grundsätzlich ablehnen. Es überrascht, daß ein primär im klinischen Bereich tätiger
Humangenetiker den Anforderungen, Möglichkeiten und dem "Leistungsangebot seines
Fachs" so zurückhaltend gegenübersteht. Kann der Philosoph von der etwas distanzierten
(unter
Umständen
objektiveren)
Warte
konsequenter
oder
freier
argumentieren?
Krankheitsanlagen vor dem Augenfälligwerden von Symptomen zu diagnostizieren, kann den
ratsuchenden Menschen als soziales Wesen vor existentielle Konfliktsituationen stellen, deren
Lösungen absolut individuell anzustreben sind. Wie viel schwieriger aber noch sind derartige
Entscheidungen, wenn sie für andere, ungeborene Individuen getroffen werden müssen, die
doch angelegt sind, sich zu einer autonomen Persönlichkeit zu entwickeln? Oder fallen dort
Entscheidungen über diagnostische Maßnahmen und die möglichen Konsequenzen leichter
als bei Geborenen? Dem Genetiker drängt sich noch folgender Gesichtspunkt auf: In welchem
Ausmaß werden Schwangere durch den Umstand beeinflußt, daß die ungeborenen Kinder die
Hälfte des mütterlichen und väterlichen Erbmaterials tragen? Oder birgt die Neukombination
der Erbträger und Erbmerkmale Distanzierungs-möglichkeiten, da das prospektive
Individuum einzigartig und unteilbar in seiner Umwelt ist?
1
Tafel 1: Definition, Durchführung und Ziele humangenetischer Beratung allgemein bzw. in
Verbindung mit Pränataldiagnostik
"Kommunikationsprozeß, der sich mit den menschlichen Problemen
beschäftigt, die in Verbindung mit den Wiederholungsrisiken
für genetische Erkrankungen auftreten"
Besprochen werden
- alle Fragen der Klienten sowie medizinische Fakten und
- die genetische Beteiligung (Wiederholungsrisiken)
- Möglichkeiten und Grenzen der Diagnostik (Therapie)
Angestrebt wird
- optimale Informationsverarbeitung
- Verständnis der Wahlmöglichkeiten
- Autonome Entscheidungsfindung der Schwangeren bzw. der Ratsuchenden
gemeinsam
- Handeln in Übereinstimmung mit der Entscheidung
- Angemessene Einstellung zur Krankheit/Behinderung und zum
Wiederholungsrisiko
FATALE MEDIZINISCHE ZUFÄLLE ALS BIOLOGISCHE ZWANGSLÄUFIGKEITEN ODER: DER MENSCH ALS TRÄGER GENETISCHER INFORMATION SEINER ART
Die genetischen Grundlagen der Spezies Homo sapiens haben sich über Jahrmillionen
in der Entwicklungsgeschichte gemäß den Naturgesetzen bis zum gegenwärtigen Zustand als
biologische Art entwickelt. Diese biologische Evolution kann sehr vereinfachend in eine
organische Evolution und besonders bei höheren Tieren (Menschen und Menschenaffen =
Primaten) in eine soziale Evolution differenziert werden. Dabei ist die biologische Evolution
der Menschheit unter sich ständig verändernden Umweltbedingungen keinesfalls als
abgeschlossen zu betrachten. Dennoch hat im direkten Vergleich die soziale (kulturelle)
Evolution des Menschen [hier verstanden als die Gesamtheit der Entwicklungsgeschichte, die
nicht primär als organisch anzusehen ist] eine so atemberaubende Geschwindigkeit erreicht,
daß grundlegende Veränderungen (z.B. im Fortpflanzungsverhalten durch Geburtenregelung)
nicht mehr im Abstand von Generationen eintreten, wie in der organischen Evolution,
sondern in Jahren oder gar Monaten. Anpassungen an Umwelt-veränderungen durch Mutation
2
und natürliche Selektion benötigten in der Entwicklungs-geschichte große Zeiträume. Die
heute stattfindenden tiefgreifenden Umwälzungen aber üben ihren Einfluß auf den Menschen
in Bruchteilen einer einzigen Generation aus. Mit anderen Worten, grundlegende
Veränderungen des menschlichen Daseins geschehen heute nicht mehr im Verlauf einiger
Generationen. Dennoch gelten weiterhin die grundlegenden Gesetze der Biologie für Anfang,
Existenz und Ende des Menschen, seine Zeugung, Wachstum und Entwicklung, Krankheit,
Alterung und Tod.
In der Entwicklungsgeschichte angelegte und erfolgreich erprobte biologische Gesetze
bestimmen zufällig und schicksalhaft über Art und Weitergabe genetisch bedingter Vielfalt,
aber auch über genetisch bedingte Schäden und Störungen. So unterliegt das Erbmaterial
mannigfachen Mutationen und ist deren Konsequenzen ausgeliefert. Die Eintrittshäufigkeit
von Mutationsereignissen ist aufgrund detaillierter populationsgenetischer Untersuchungen
und Berechnungen seit langem abschätzbar. Daraus ließ sich schlußfolgern, daß das
menschliche Erbgut nicht mehr als etwa 100 000 funktionelle Erbeinheiten bergen kann.
Andernfalls wäre die Bürde der Mutationen mit ihrer fixierten Eintrittswahrscheinlichkeit
nicht tragbar und damit der Mensch nicht lebens- und vor allem nicht fortpflanzungsfähig. Da
der Umfang des menschlichen Genoms schon Jahrzehnte bekannt war, konnte früh
geschlossen werden, daß große Anteile (>90% der DNA) vermutlich keine genetische
Funktion haben, d.h. sie enthalten keine sequenz-abhängige genetische Information. Es blieb
der biologischen Forschung bisher versagt, die Tatsache der unerklärlich großen Menge
überflüssigen Genommaterials wirklich zu verstehen bzw. in ihrer ganzen Tragweite
auszudeuten. Auch philosophische Ansätze zur Erklärung unüber-schaubarer Phänomene in
der Genomforschung waren oft wenig hilfreich, da sie aufgrund ihrer Aussagequalität durch
naturwissenschaftliche Zugangswege weder bewiesen noch widerlegt werden konnten. Ein
Beispiel betrifft das Konzept der egoistischen/selbstsüchtigen DNA ("selfish DNA"), deren
einzige biologische Bedeutung und Funktion darin besteht, sich selbst weiter zu propagieren.
Es wird dennoch nur noch wenige Monate dauern, bis zumindest Teile aller Gene des
Menschen bekannt sein werden. Danach ist es eine Frage der gesetzten Prioritäten, wann alle
exprimierten
Genabschnitte
als
Kandidaten
für
Mutationen
untersucht
sind.
Maximalschätzungen hierzu bewegen sich im Bereich von 100 000 Personen x Jahren.
In diesem Zusammenhang muß hervorgehoben werden, daß vorteilhafte Mutationen
beim Menschen kaum mehr möglich sind. Dies gilt nach einer in 4500 Millionen Jahren zur
optimalen Anpassung an die gegebenen Umweltbedingungen getriebenen, zahlenmäßig
3
äußerst erfolgreichen Entwicklung unserer Art auf diesem Planeten. Von Mutationen
betroffene Erbmerkmale sind zumeist nicht als völlig unabhängig wirkende Funktionseinheiten zu betrachten. Die Genprodukte sind in ihren Wirkungen zumeist in längeren
Reaktionswegen von biochemischen Stoffwechselreaktionen oder gar Regelkreisen eingebunden. Die Regelkreise, in welche durch Mutationen eingegriffen wird, sind oftmals von
kaum überschaubarer Komplexität. Zumindest aber ist klar, daß durch Mutationen eigentlich
nur Funktionsverluste oder zumindest Verschlechterungen in der Anpassung an die
gegenwärtigen Umweltbedingungen erreicht werden können. Mutationen treten zufällig ein
und sind ungerichtet, d.h. sie betreffen beliebige Genomabschnitte in beliebiger Weise - seien
es einzelne DNA-Bausteine (Nukleotide) oder größere Bereiche. Die Effekte dieser
Veränderungen werden - sofern Gene betroffen sind - auf der Ebene der Funktionsmoleküle
(Proteine) wirksam. Erst der Fortpflanzungserfolg des Mutationsträgers und vor allem seiner
mutationstragenden Nachkommen wird über den evolutionären Erfolg oder Mißerfolg, die
weitere Verbreitung oder den Untergang der in Frage stehenden Mutation in einer Population
oder Art entscheiden. In seltenen Fällen stellen Mutationen auch selektive Vorteile für den
Organismus dar, wenn sie mischerbig (nur auf einem der beiden Chromosomen, also
heterozygot) vorhanden sind: Der bekannteste Fall betrifft eine Mutation des Gens, welches
für einen roten Blutfarbstoff kodiert. Träger dieser Mutation, die im homozygoten Zustand
Sichelzellenanämie hervorruft, sind weniger anfällig gegen Malariainfektionen, ohne daß die
Funktion der roten Blutkörperchen deletär beeinträchtigt ist.
Zusätzlich sind in biologischen Systemen weitere Zufallsprinzipien genetisch verankert,
z.B. im Immunsystem aller Wirbeltiere und damit auch beim Menschen. Im Immunsystem als
Schutzinstanz des individuellen Organismus muß jeweils eine spezifische Paßform eines
Antikörpers für jedes theoretisch mögliche Antigen bereitgestellt sein. Nur so kann "Fremd"
von "Selbst" wirklich effizient unterschieden werden. Die Antikörper müssen Billionen und
Aberbillionen verschiedener, auch absolut neuer Antigene erkennen und letztlich unschädlich
machen können - und das in spezifischer Art und Weise. Die mosaikartige, weitgehend durch
den
Zufall
bestimmte
Zusammensetzung
der
vorgeformten
Bausteine
von
Antikörperproteinen kommt durch zufällige Umordnung der entsprechenden Gene während
der Reifung der Lymphozyten zustande. Fehler bei diesen Gen-Umlagerungen bedingen den
Zelluntergang. Damit ist der Zelltod für die überwiegende Zahl der Lymphozyten
vorprogrammiert und ein natürlicher, physiologischer Vorgang. Dieses Beispiel aus dem
Immunsystem verdeutlicht, daß in komplexen Systemen am Zufall orientierte Mechanismen
4
auf längere Sicht hin vorteilhaft sein können, wenn weder deterministische Funktionen noch
die
individuelle
Entwicklungsgeschichte
Strategien
bereitstellen
können,
um
unvorhersehbaren, neuen Herausforderungen - sprich Krankheits-erregern - effizient zu
begegnen.
Eine falsche Gen-Umlagerung, die zu einer Verbindung von aktiven Antikörpergenen
mit Oncogenen führt (Gene, die zur Tumorenstehung beitragen), kann in seltenen Fällen auch
zu krebsiger Entartung (hier: lymphatische Leukämien) führen. Diese auf den jeweiligen
Körper begrenzten Mechanismen spielen jedoch für das hier behandelte Thema eher eine
untergeordnete Rolle. In der vorgeburtlichen Diagnostik sind andere fatale biologische
Zufälle von überragender Bedeutung. Wenn z.B. bei den Zellvermehrungen, welche zur
Bildung der Eizellen (Spermien) führen, ganze Chromosomen fehlerhaft verteilt werden, ist
das ein Grund für komplexe
Krankheitsbilder wie Trisomie 21, das Down-Syndrom.
Aufgrund der Vielzahl überzähliger Genkopien sind mehrere Organsysteme fakultativ in
unterschiedlichem Ausmaß gestört. Obligatorisch ist lediglich die psychomotorische
Retardierung, die jedoch ebenfalls sehr unter-schiedliche Ausmaße annehmen kann. Die
komplexe Intelligenzentwicklung kann demnach durch vergleichsweise harmlos erscheinende
Dosiserhöhung der Gene von Chromosom 21 um den Faktor 1,5 empfindlichst beeinträchtigt
werden. Erbsprünge, die ganze Chromosomenabschnitte mit Tausenden von Genen in einer
sog. Kopplungsgruppe betreffen, haben sich andererseits in der Entwicklungsgeschichte auch
als sehr effiziente Mechanismen zur Artenbildung erwiesen. Individuen, welche eine
Chromosomenumordnung tragen, können sich meist nur noch unter-einander, aber nicht mehr
mit der ursprünglichen Art erfolgreich fortpflanzen.
Ein treffendes Beispiel sind zwei morphologisch kaum unterscheidbare Hirscharten aus
der Muntjac-Familie: Die sechs oder sieben großen Chromosomen der einen Art lassen sich
aus den 46 Chromosomen der anderen Art zusammensetzen. Durch Chromosomen-umbauten
ist im allgemeinen die Feinabstimmung der Gene untereinander so empfindlich gestört, daß
die
zwischenartlich
gezeugten
Tiere,
sofern
überhaupt
lebensfähig,
nicht
mehr
fortpflanzungsfähig sind. Ein bekanntes Beispiel betrifft die Maultiere und Maulesel, die gezeugt von Pferdestute und Eselhengst bzw. von Pferdehengst und Eselstute - selbst keine
Nachkommen haben können.
Unregelmäßigkeiten in der Chromosomenverteilung (chromosomale Aberrationen)
geschehen natürlich weiterhin in den sich bildenden Keimzellen aller biologischen Arten.
Eine Konsequenz dieser Fehlverteilungen ist z.B. beim Menschen die Tatsache, daß ein sehr
5
hoher Prozentsatz (bis über 50%) der frühen, "natürlichen" Aborte Chromosomen-aberration
aufweisen. Oftmals werden diese Schwangerschaften von den Frauen überhaupt nicht
registriert, da sich die Embryonen nicht in der Gebärmutter einnisten können, bzw. wenn sie
implantieren, nach dem frühen Absterben nur die Regelblutung um wenige Tage verschieben.
Ist dieser überraschende Befund der zahlreichen Chromosomenstörungen möglicherweise als
Preis oder Ausgleich für das Potential der Bildung neuer biologischer Arten zu betrachten?
Ein Beispiel über die Fehlregulation des Zellzyklus mag verdeutlichen, daß die
"genetischen Experimente" der Evolution ein Individuum nur als Testobjekt für eine neue
Variante eines Gens "benutzen". Mutationen in denjenigen Genen, die die geregelte Abfolge
von Zellteilung und -alterung bedingen, können ungehemmtes Wachstum nach sich ziehen, da
die Zelldifferenzierung bzw. der programmierte Zelltod ausbleibt. Diese Mutationen
geschehen zumeist in den Körperzellen und können im Zusammenwirken mit anderen
Veränderungen letztlich zu Krebserkrankungen führen. Treten sie jedoch in der DNA der
Keimzellen auf, werden sie auch direkt an die nächsten Generationen weiter-gegeben.
Lediglich der Tod des individuellen Organismus vor der Fortpflanzung kann derartige Fehler
für die Nachkommenschaft oder die Art vermeiden. Ist also nicht überhaupt jedes gegebene
Individuum ein wahrhaftiger Spielball für die Evolution? In biologisch-evolutionärer
Sichtweise sind Individuen nur als vorläufige Träger von Genen relevant. Weder sie selbst
noch ihre spezifische Art, sondern nur das mutierbare Gen ist als Angriffspunkt der
Evolutionsmechanismen anzusprechen. Einigermaßen allgemein-verständlich werden diese
abstrakten
Erkenntnisse
von
Richard
Dawkins
so
ausgedrückt:
"Wir
sind
Überlebensmaschinen - Roboter, blind programmiert zur Erhaltung der selbst-süchtigen
Moleküle, die Gene genannt werden."
Auch nach langen Jahren intensiver (molekular-)genetischer Forschung werden immer
wieder bislang unbekannte Mutationsmechanismen entdeckt, die sich noch vollständig
unserem Verständnis bzw. einer schlüssigen Interpretation entziehen. So wurde beispielsweise in den letzten drei Jahren eine ganz neue Kategorie von erblich bedingten Leiden
identifiziert, die dynamischen Mutationen bei den sog. Trinukleotiderkrankungen. Zu ihnen
gehören auch das fragile (FRA) X-Syndrom, die häufigste Ursache erblicher geistiger
Minderbegabung beim Mann, die Myotonische Dystrophie (häufige autosomal dominant
vererbte Muskelschwäche im mittleren Erwachsenenalter), in Europa extrem seltene
Erkrankungen bestimmter Hirnregionen ("Dentatorubropallido-Luysian atrophy", in Amerika
6
"Hay Fiver disease"), sowie verschiedene Formen dominanter Heredoataxien (erbliche
neurologische
Erkrankungen
mit
bestimmter
Symptomatik,
wie
Störungen
der
Bewegungskoordination, spinocerebellare Ataxien, M. Machado-Joseph etc.) und Morbus
Huntington (Beschreibung siehe späteres Kapitel). Alle diese Erkrankungen sind molekularbiologisch
gekennzeichnet
durch
eine
mutationsbedingte
Verlängerung
bestimmter
Trinukleotidmotive in den entsprechenden Genen, wie z.B. ...CAG CAG CAG CAG... oder
...CCG CCG CCG CCG....Bei verlängerten (CAG)n-Blöcken wird eine falsche Information in
Protein übersetzt, bei (CCG)n-Verlängerungen wird die Übersetzung des Gens insgesamt
unterbunden. Bei diesen Erbleiden findet sich ein Übergang von rein körperlich ausgeprägten
Krankheitsbildern zu solchen, bei denen Geist und Psyche mit- oder hauptsächlich
beeinträchtigt sind.
Grundsätzlich sind daher auch noch weitere, bisher unvorstellbare Mutationsformen und
-mechanismen möglich. Erst kürzlich wurde entdeckt, daß z.B. bei einem bestimmten
Augenleiden (Retinitis pigmentosa) gleich zwei Gene mutiert sein müssen. Die genetischen
Grundlagen von endogenen Psychosen (Schizophrenie, Depression/Manie) sind noch völlig
unbekannt, vermutlich aber zumindest teilweise heterogen; die kausal wirksamen Umweltkomponenten konnten bisher weder qualitativ noch quantitativ charakterisiert werden. In
bezug auf Vererbung von Intelligenz, Charakterzügen und Verhaltensmustern gibt es heute
bereits naturwissenschaftliche und psychologische Erkenntnisse. Welche praktische
Bedeutung haben diese Erkenntnisse für den Menschen und die oft gestellten Fragen in der
genetischen Beratung? Die klassische Methode der Zwillingsforschung ergab ein nicht
eindeutig
interpretierbares
Bild
komplexer
Zusammenhänge,
welches
je
nach
Untersuchungsparameter, -system und -ansatz meist mehrere Deutungsmöglichkeiten zuließ.
Durchgehend ließ sich jedoch herausarbeiten, daß Erbe und Umwelt stets gemeinsam an der
Ausprägung der Merkmale beteiligt waren - wie auch bei den monogenen Erbgängen
Umwelteinflüsse bemerkt werden. Erste Ergebnisse von modernen Ansätzen in der
Verhaltensforschung und Lebensgeschichtstheorie der Tiere lehren uns allmählich, die
Gesetze der genetisch bedingten Verhaltensmuster anhand genau definierter Modelle
integriert zu analysieren. Ob aber "abnormes" Verhalten im Tierreich - sei es Aggression oder
Homosexualität - ein getreues oder extrapolierbares Abbild der Situation beim Menschen
darstellt oder ob es zumindest partielle Erkenntnisse liefern kann, muß zunächst noch genauer
untersucht werden.
7
Aus vielen dieser Bedingtheiten ergibt sich das Eingebundensein der Menschheit in ihre
biologische Herkunft. Andererseits besitzt der Mensch als einziges Lebewesen die
Möglichkeit, sich durch bewußtes Handeln auf der Basis seiner Intelligenz und Emotionen
teilweise über die Grenzen eines rein biologischen Seins hinwegzusetzen und die schnellebige
kultur-evolutionäre Weiterentwicklung maßgebend zu gestalten. Mit viel Optimismus kann
man an die letztendliche Durchsetzungskraft derartiger Allgemein-erkenntnisse und der Ratio
glauben und damit hoffen, daß nicht die Vertreter einer biologischen Art zur endgültigen
Begrenzung für alle Lebewesen werden.
HUMANGENETISCHE BERATUNG UND PRÄNATALDIAGNOSTIK: TECHNIKEN,
KONFLIKTE, INDIKATIONEN
Genetische Kenntnisse sind in der Bevölkerung nur in Ansätzen oder bruchstückhaft
verbreitet. Häufige Bemerkungen, wie ein bestimmtes Merkmal "kommt aus der Familie des
Vaters" oder "kommt nicht aus der Linie der Mutter" weisen aber auf allgemeines Interesse
und Interpretationswünsche der genealogischen Zusammenhänge hin. Die Existenz des
humangenetischen Beratungsangebots ist jedoch auch in breiten Bevölkerungskreisen der
westlichen Wohlstandsgesellschaften noch keinesfalls allgemein bekannt. Werden Hinweise
auf die genetische Beratungsstelle erst in Konfliktsituationen gegeben, birgt dies die Gefahr
eines von außen auferlegten Handlungsdrucks und verhindert eine eigen-verantwortliche
Entscheidung. Es sollte daher überlegt werden, ob nicht schon in der Schule - z.B. im
Biologie- oder Sexualkundeunterricht über die Existenz dieses Beratungs-angebots informiert
wird, mit dem Ziel, daß nicht erst in den entsprechenden Konflikt-situationen unter äußerem
Druck eine Entscheidung für oder gegen das Inanspruchnehmen der humangenetischen
Beratung von den Betroffenen gefällt wird.
Tafel 2: (Anti-)Thesen zur pränatalen Diagnostik (PD) und zu deren Problembereichen
- "Untersuchungsmethoden der PD sind schmerzhaft und gefährlich"
- "Die Schere zwischen Diagnostizierbarem und Therapierbarem wird immer weiter"
- "Die einzige Therapie für den (ungeborenen) Patienten heißt Tod"
- "PD entfremdet Frauen von der eigenen Schwangerschaft"
- "Frauen wird die Verantwortung für perfektes Leben aufgebürdet"
- "Gleichberechtigung der Behinderten wird untergraben"
- "Vielfalt des Lebens incl. Behinderter bedeutet Reichtum/Chance"
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- "Genetisch Vorbelastete werden nicht krankenversichert"
- "Gentechnik unterstützt die obsolete Medizin. 'Reparaturmoral'"
----------------------------------------------------------------- "Die Mutter-Kind-Beziehung wird durch PD gestärkt"
- "Wissen über Schwangerschaftsausgang schafft Sicherheit (Ruhe)"
- "Entscheidungs-'Freiheit' der Mutter bei (genetischen) Defekten"
- "Frühzeitige Planung der Therapie (Lebensgestaltung) möglich"
In Deutschland haben das Fach Humangenetik und die genetische Familienberatung,
insbesondere aber die pränatale Diagnostik, mit fundamentaler Kritik zu rechnen (siehe Tafel
2). Sofern eine Indikation im weitesten Sinn gegeben ist, sollte der Arzt - unabhängig von
seiner persönlichen Einstellung - den Patienten über die Möglichkeit der human-genetischen
Beratungsgespräche informieren. Wenn der Patient oder Angehörige (Klient) sich für die
genetische Beratung entschieden hat, kann der Ratsuchende jederzeit eine Beratungsstelle
seiner Wahl aufsuchen. Dabei sollten von ärztlicher Seite aus die Indikationen so weit wie
irgend möglich gefaßt werden. Natürlich stößt man bei der Aufstellung dieser umfassenden
Forderungen bald an organisatorische und institutionelle Grenzen. Dennoch sind Fragen und
Probleme, die nicht nur das eigene Ich sondern auch die Familie und mögliche Nachfahren
betreffen, von solcher Tragweite, daß den Ratsuchenden auf jeden Fall kompetente
Gesprächspartner zur Verfügung stehen sollen. Schon die Entscheidung für oder gegen das
Aufsuchen einer Beratungsstelle ist absolut autonom und muß es auch bleiben. Desgleichen
ist der Grundsatz unabdingbar, daß keine humangenetische Diagnostik ohne Beratung und
keine Diagnostik ohne medizinische Indikation durchgeführt wird. Klient und Berater müssen
sich
in
die
individuelle
Situation
des
Ratsuchenden
einfühlen
und
realistische
Schlußfolgerungen ziehen.
Schon in der Definition von Krankheit bedarf es für die humangenetische
Beratungssituation einiger Klarstellungen. Die Bedeutung einer kosmetischen Unregelmäßigkeit (z.B. geringgradige Dysmorphien oder verstärkte Behaarung) muß z.B. gegenüber
lebenslangem Siechtum mit extremer Belastung des Patienten und der Angehörigen
entsprechend differenziert behandelt werden. Was aber ist Wohlbefinden, auf das heutzutage
ein quasi absoluter Anspruch erhoben wird? Ist es "gesund-sein" an sich, das Fehlen von
9
"negativem" Stress? Die WHO-(Welt-Gesundheits-Organisation) Definition von Krankheit ist
hier auch wenig hilfreich ("körperliches und soziales Wohlbefinden.“.
Im allgemeinen sehr hilfreich ist dagegen die Auseinandersetzung mit einem gegebenen
Krankheitsbild nicht nur innerhalb der Arzt-/Patient-Beziehung, sondern im Rahmen von
Selbsthilfegruppen. Hier trifft die ratsuchende Familie auf Mitmenschen mit oftmals ähnlich
gelagerten Problemen und möglichen Konzepten zu deren Lösung. Neben dem einfühlsamen
Gespräch mit gleichsam Betroffenen ergeben sich oftmals Problem-lösungen, die
weitergegeben und an die eigene Situation adaptiert werden können.
Tafel 3: Allgemeine und spezielle Techniken der Pränataldiagnostik
Amniocentese (15. SSW; Abortrisiko <0,5-1%): Chromosomen-, DNA-, biochemische
Untersuchungen [USA 1990: ~1 Million]
Chorionzottenbiopsie (10. SSW; Abortrisiko >1%): Chromosomen, DNA
Percutane Nabelschnurblutgewinnung (18. SSW; Abortrisiko ~5%): Biochemische
Untersuchungen
Fetoskopie (20. SSW): Betrachtung des Fetus mittels Endoskop
Ultraschall (90% der kongenitalen Fehlbildungen entdeckbar; <10% Fehldiagnosen); kein
Abortrisiko
Röntgen (sehr selten angewandt, praktisch kein Abortrisiko), cave Punkt-Mutationen)
Fetale Zellen/Stoffwechselprodukte/Antikörper/Hormone (Triple-Test HCG, Östrogene)
aus
mütterlichem Blut
Präimplantationsdiagnostik (DNA, [Chromosomen])
[In-vitro Fertilisation]
(Abkürzungen: SSW = Schwangerschaftswoche; HCG = Schwangerschaftshormon;
weitere Begriffsdefinitionen im Glossar)
Die zukünftige Pränataldiagnostik wird zunehmend mit molekulargenetischen
Techniken bewältigt werden (vergleiche auch Tafeln 4 und 5 weiter unten). Gentechnologie
und DNA-Diagnostik werden leider oftmals mit fortpflanzungsmedizinischen Methoden
verwechselt oder zumindest fälschlicherweise vereinfachend in einem Atemzug benannt 10
teilweise auch mutwillig, wie im November 1993 (nach der ersten Klonierung menschlicher
Embryonen) von einer Leitartiklerin in einer überregionalen westdeutschen Zeitung eingeräumt wurde. Daher seien hier einige Fachausdrücke bzw. erläuternde Anmerkungen in
tabellarischer Form eingeschoben (siehe Tafel 3 und Glossar im Anhang).
Es zeichnen sich zukunftsweisende Entwicklungen in humangenetischen Tätigkeitsfeldern ab, die zusätzlich zu den monofaktoriell bedingten, bereits heute diagnostizierbaren
Erkrankungen auch einige komplex vererbte, multifaktoriell bedingte Geschehen mit
bekannten
Sicherheiten
voraussagen
lassen.
Beispiele
betreffen
die
genetischen
Prädispositionen für Krebs, Rheuma, Multiple Sklerose etc. Diese neuen Möglichkeiten
können schon schwer vorstellbare Konsequenzen für das Individuum und die Gesellschaft
allgemein haben. Stärker noch als für den Erwachsenen, der sein eigenes Risiko berechnet
haben will, ergeben sich Unwägbarkeiten in der besonderen Situation der Frau in der
Schwangerschaft. Unter der Prämisse jedoch, daß bis zum Eintritt von Symptomen bei vielen
Erkrankungen mehr als 30 Jahre für die Entwicklung sinnvoller therapeutischer Strategien
bleibt, muß das Anstreben von möglichst umfassendem Wissen der Eltern zu genetischen
Veranlagungen der Kinder sehr zurückhaltend bzw. kritisch beurteilt werden. Generell
bedürfen derartige ethische Standpunkte der fortlaufenden Analyse im Kontext des
spezifischen Einzelfalls und der sich ändernden diagnostischen und therapeutischen
Möglichkeiten.
Neue technische Entwicklungen in der Humangenetik und in der Gentherapie haben (vor
allem in den hochentwickelten Ländern außerhalb Deutschlands) eine enorme Bedeutung und
teilweise auch Priorität über andere medizintherapeutische Zugangswege erlangt. Dürfte man
sich der Diskussion der Keimbahntherapie wirklich grundsätzlich verschließen (wie es auch
die Molekulargenetiker größtenteils heute noch tun), wenn es praktisch möglich wäre, ohne
jegliche Gefahr Krankheiten des Patienten/Ratsuchenden ein für allemal zu heilen und damit
auch in nachfolgenden Generationen zu vermeiden? Der deutsche Gesetzgeber schließt in § 5
des Gesetzes zum Schutz von Embryonen praktisch ein Recht auf pränatale Therapie
bekannter genetischer Defekte aus. Das unmanipulierte menschliche Genom wird demnach
augenblicklich als höheres Rechtsgut angesehen. Wiewohl die Motivation hierzu à priori
nicht ersichtlich ist, so ergibt sich à posteriori doch ein vielleicht implizit erfaßbarer tieferer
(ethischer) Sinn: Einzelne Erbkrankheiten in der Keimbahn zu therapieren, ist wenig sinnvoll.
Die Wahrscheinlichkeit für die Existenz vollständig "erbgesunder" Genome in der
11
entsprechenden Umwelt ist extrem gering. Praktisch jeder Mensch trägt auch bei scheinbar
völliger körperlicher Gesundheit eine kleine Anzahl an Genen, die bei jeweiliger
Kombination mit den Genen des Partners bei seinen Nachkommen nachteilige Wirkung haben
können (z.B. rezessive Erbsprünge). Zusammen mit allen anderen angeborenen Defekten
folgt daraus, daß jedes Neugeborene ein statistisches Risiko von 2-4% hat, mit einer mehr
oder weniger schwerwiegenden genetisch (mit-)bedingten Erkrankung/Behinderung geboren
zu werden.
Auch
seit
langem
eingeführte,
praktische
Konventionen
werden
in
der
Pränataldiagnostik neu überdacht werden müssen, z.B. die Indikation zur kindlichen
Chromosomenanalyse aufgrund des erhöhten mütterlichen Alters, nämlich daß lt. Gesetzgeber
ab dem begonnenen 36. Lebensjahr der Schwangeren vom behandelnden Frauenarzt im
Rahmen der Vorsorgebetreuung vorgeburtliche Diagnostik angeboten werden muß.
Schließlich werden die meisten Trisomie 21-Kinder von Frauen unter 35 Jahren geboren, da
hier die Geburtenrate höher ist als bei älteren, die pro 1000 Geburten häufiger M.DownKinder zur Welt bringen.
Tafel 4: Anwendungsbeispiele der Molekularbiologie (in der Pränataldiagnostik)
DNA-Diagnostik durch Vermehrung mit Polymerase-Kettenreaktion (PCR; wenig
Material)
Diagnostik von monofaktoriellen Erbkrankheiten (>400 Gendefekte)
Gewebsverträglichkeitsprüfung, -Abstoßungskontrolle
Prüfung von Umweltbelastungen
Genetischer Fingerabdruck, DNA-Profil (Abstammung, krimin. Spuren)
Geschlechtsbestimmung (nur mit medizin. Indikation durchführbar)
Diagnostik von Infektionserregern (HIV, Bakterien)
Therapiekontrolle nach Chemotherapie
Tumordiagnostik (Mutationen in Onkogenen)
Über
die
teilweise
völlig
unzureichenden
Informationen
bzw.
falschen
Schlußfolgerungen bei schwangeren Frauen soll hier nicht ausführlicher diskutiert werden.
Dennoch scheint es enormer Weiterbildungsanstrengungen zu bedürfen, bevor die grundlegenden
Prinzipien
der
Pränataldiagnostik
12
und
der
humangenetischen
Beratung
Allgemeingut zunächst in allen Frauenarztpraxen sind. Die dirigistische Beschränkung
humangenetischer Ausbildungsziele im Medizinstudium tut ein Übriges zur mangelnden Ausbzw. Verbildung zukünftiger Ärztegenerationen. Mit welcher Berechtigung wird also diese
kindliche Chromosomenanalyse in Rahmen der sog. Altersindikation den jüngeren
Schwangeren versagt? Da die meisten Trisomiepatienten von Müttern unter 35 geboren
werden, ist die Vorgabe des erhöhten mütterlichen Alters, vor allem im Zusammenhang mit
begleitend möglichen Monitoring von z.B. Hormonparametern, im mütterlichen Blut völlig
neu zu hinterfragen.
Wie
werden
Informationen
über
humangenetische
Fragestellungen
von
der
Öffentlichkeit aufgenommen? Insbesondere, wie gehen Behörden, Betroffene und auch
'Wissenschaftler' mit rein theoretisch minimalen Risiken um? Ein Beispiel der letzten Jahre
und Monate ist das der vermeintlich höheren Leukämierate in der Elbmarsch in der
Umgebung von Atomkraftwerken, das uns zum äußerst zurückhaltenden und umsichtigen
Vorgehen gemahnen sollte. Hysterieähnliche Reaktionen waren nicht nur auf betroffene
Familien und deren Umgebung beschränkt, sondern auch Wissenschaftler(innen) haben
vereinzelt längst den Boden nachvollziehbaren und rationalen Argumentierens verlassen.
Sollte ein Humangenetiker auch statistisch gesicherte Trisomiehäufungen (wie im Land
Berlin) nach der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl öffentlich diskutieren, bevor die kausalen
Zusammenhänge klärbar sind? Derart scheinbar vernachlässigbare Risiken spielen in der
humangenetischen (pränatalen) Beratungssituation eine zunehmende Rolle. Offensichtlich
können somit diffuse, vielleicht ungerichtete Ängste in der Bevölkerung an bestimmten
Problemfeldern konkretisiert werden. Die Kollegenpflicht des Forschers gebietet die
Mitteilung der Befunde in der wissenschaftlichen Fachliteratur. Hieraus ergeben sich im
Zeitalter eines expandierenden Wissenschaftsjournalismus zwangsläufig Konflikte mit der
sensationsheischenden Medienlandschaft. Andererseits ist es eigentlich lediglich notwendig,
der breiten Öffentlichkeit in verständlichen Worten den Zusammenhang, die Bedeutung und
die notwendigerweise vorsichtige Interpretation der Befunde klarzumachen. Es genügt nicht,
daß die Forscher den Elfenbeinturm der Wissenschaft verlassen. Der Laie muß motiviert
werden, neue Erkenntnisse aufzunehmen und kritisch zu hinterfragen. Erst wenn er seiner
Zuhörschuld genügt, die Zusammenhänge verstanden hat, kann er kompetent Schlüsse zu
ziehen.
Die verständliche Informationsvermittlung und -bewertung ist ein tragendes Element
der genetischen Beratung. Im Zentrum aller Bemühungen in der Pränataldiagnostik steht aber
13
die Entscheidungsautonomie der einzelnen Schwangeren, die sie eventuell oder besser
zumeist im Kontext der Partnerschaft/Familie wahrnehmen sollte. Die auftretenden Konflikte
bedürfen der konzentrierten Aufmerksamkeit professioneller Anstrengungen, die möglichst
frei von Zeitdruck (und absolut frei von kommerziellen Interessen) sein sollten. Im Rahmen
dieser gestrafften Ausführungen ist es leider nur unzureichend möglich, auf die besonderen
Schwierigkeiten der verschiedenen Beratungssituationen einigermaßen adäquat einzugehen
und die Bandbreite der Reaktionsmöglichkeiten der Ratsuchenden zu verdeutlichen. Es
besteht auch ein gewisses Risiko, daß die Niederschrift hier zu sehr abgehoben im
akademischen Rahmen bleibt und nicht diejenigen Fälle mit erfaßt, in denen Ratsuchende der
vertieften ethischen Reflexion ausweichen bzw. nur zum Teil dazu fähig sind. Dennoch ist es
die Kunst des genetischen Beraters, sein Ethos der Verantwortung gegenüber den
Ratsuchenden wahrzunehmen. Dieses ist dem Gewissen der Handelnden (Schwangeren)
untergeordnet, deren Gewissenskompetenz und Verantwortungsmündigkeit durch die
Beratung optimal entfaltet und gestärkt werden soll.
14
PRÄSYMPTOMATISCHE UND PRÄNATALE DIAGNOSTIK AM BEISPIEL EINER
SCHWEREN NEURODEGENERATIVEN ERKRANKUNG
- Erfahrungen aus dem Huntington Zentrum (HZ) NRW -
Angelika Rieß
Unmittelbar nach Beginn eines Forschungsprojekts an unserem Institut zur
Charakterisierung des damals noch nicht identifizierten genetischen Defekts bei Morbus
Huntington (MH) bestand intensive Nachfrage für eine prädiktive Diagnostik durch
betroffene Familien. Durch die WFN (World Federation of Neurology) und die IHA
(International
Huntington`s
Disease
Assoziation)
waren
in
Zusammenarbeit
von
Laienorganisationen, Neurologen und Genetikern vieler Länder Empfehlungen erarbeitet
worden, die die Grundlage für die Durchführung einer indirekten molekulargenetischen
Diagnostik bei MH bilden sollte. Gemäß diesen Richtlinien wurden in unserer genetischen
Beratung in Zusammenarbeit mit dem Diagnostikbereich und einer Psychologin sowie einem
Sozialpädagogen des St. Josef-Hospitals Bochum Ratsuchende vor und nach einer prädiktiven
Diagnostik betreut. Die kurz nach der Etablierung unseres Zentrums gelungene
Identifizierung des MH-auslösenden Defekts im März 1993 erweckte in betroffenen Familien
sowie bei Medizinern und Wissenschaftlern höchstes Interesse. In den Familien und bei den
Mitgliedern der Selbsthilfegruppe kam freudige Hoffnung auf. Innerhalb kürzester Zeit
wurden die neuen molekularbiologischen Erkenntnisse beinahe Allgemeinwissen.
Seit dieser Meldung sind beinahe 2 Jahre vergangen. Die Hoffnung hat sich verstärkt,
den Pathomechanismus der Erkrankung aufzuklären und darauf basierend eine Therapie
entwickeln zu können. Durch die Möglichkeit des direkten Gendefekt-Nachweis im
Huntington-Gen hatte sich die labortechnische und die Beratungssituation geändert. Die
vormals sehr arbeitsaufwendige Diagnostik wurde methodisch vereinfacht. Sie macht eine
Einbeziehung von Verwandten in die Analysen nicht mehr erforderlich. Dieser rein
technische Vorteil führt jedoch keineswegs zur Entschärfung des Entscheidungskonflikts
beim Ratsuchenden während des Beratungsablaufs (Wissen versus Nichtwissen über das
eigene genetische Risiko für die Krankheitsmanifestation). Lediglich in jenen Familien, bei
denen zur Diagnosestellung solche Schlüssel-Familienmitglieder hätten mituntersucht werden
müssen, die eine Einbeziehung in die Blutuntersuchungen aus persönlichen Gründen
abgelehnt hatten, entfällt jetzt die Notwendigkeit der Untersuchung "sekundär Beteiligter".
15
MH ist bisher nicht kausal therapierbar und verschlechtert allmählich die Lebensqualität der Kranken erheblich. Die Selbstkontrolle über Bewegungsabläufe weicht mehr und
mehr, so daß Erkrankte manchmal schlicht als betrunken angesehen werden. Hinzu kommt,
daß die Deutlichkeit der Aussprache im Laufe der Jahre nachläßt und die Kommunikation
zwischen Erkrankten und Angehörigen, Nachbarn und Bekannten zu-nehmend gestört ist. Das
führt nicht nur zur sozialen Isolierung des Patienten selbst, sondern mitunter auch der
gesamten Familie. Oft berichten betroffene Familien, daß die Kontakte mit ehemaligen
Freunden abnehmen, da man sich nicht mehr unterhalten könne, oder weil sie befürchten, daß
die Einnahme der Mahlzeiten beim Erkrankten als abstoßend empfunden werden könnte.
Neben dem Einfluß der Erkrankung auf die willkürlichen Bewegungen wiegen auch die
psychischen
Veränderungen
schwer
(Depressivität,
Antriebs-losigkeit,
übermäßige
Gereiztheit bis hin zu aggressiven Reaktionen, Schizophrenie, Demenz etc.). Die Erkrankung
schreitet unaufhaltsam fort und führt nach 2-3 jahrzehnte-langem Leidensweg zum Tode. Die
Schwere des Krankheitsbildes kommt auch dadurch zum Ausdruck, daß mitunter Suizid
bereits zu Beginn der Erkrankung als einziger Ausweg gewählt wird.
Die Schere zwischen den heutigen gendiagnostischen Möglichkeiten (und damit der
Prognose) und dem Fehlen präventiver oder therapeutischer Verfahren stellt für viele
Ratsuchende momentan einen nicht lösbaren Konflikt dar. Über die daraus erwachsenden
Probleme für die Familien soll anhand von MH berichtet werden.
Genetische Berater müssen einerseits über die Probleme theoretisch gut bescheid wissen
sowie Einfühlungsvermögen in die Situation des Ratsuchenden zeigen. Der Rat-suchende darf
aber keinesfalls in die eine oder andere Richtung gelenkt oder auch nur beeinflußt werden.
Unter diesen Voraussetzungen können die individuell geführten Ge-spräche mit
Ratsuchenden zumeist sehr hilfreich bei der Entscheidungsfindung für oder gegen
präsymptomatische Diagnostik sein. Die gesammelten Erfahrungen bei der Durch-führung der
Gen-Diagnostik bei MH können dabei auch für die wachsende Anzahl prädiktiver Diagnosen
anderer Erkrankungen als Grundlage dienen.
Bisher stellten sich 125 Ratsuchende (siehe Tabelle) meist mit Familienangehörigen
wegen MH vor. 16% der Klienten wurden aus differentialdiagnostischen Gründen überwiesen, d.h. die Krankheit war bereits manifest. Die Mehrzahl der Ratsuchenden (81%) hatte
keine Krankheitssymptome (bzw. die Personen waren sich einer Symptomatik nicht bewußt).
Insgesamt suchten Männer und Frauen gleich häufig die genetische Beratung auf. Über 60%
16
der Ratsuchenden waren im Alter zwischen 24 und 34 Jahren. Die überwiegende Zahl der
Ratsuchenden stellte sich in unserer Sprechstunde mit der Bitte um Durchführung des
"direkten Gentests" vor. Viele dieser Personen hatten sich schon lange zuvor mit der
Thematik beschäftigt und sich teilweise auch an andere humangenetische Zentren gewandt.
Eine Diagnostik war in der Regel aufgrund fehlender Blutproben von betroffenen Familienangehörigen nicht möglich gewesen. Der Wissensstand um die Erkrankung, deren Vererbung, Diagnostik, Therapie sowie den Gentest sind unter den Ratsuchenden sehr
unterschiedlich. Im ersten durchschnittlich zweistündigen Gespräch versucht der Berater zu
ergründen, inwieweit sich der Klient mit dem Krankheitsbild auseinandergesetzt hat, ob er die
Krankheit bei Angehörigen direkt miterlebt oder nur davon gehört oder gelesen hat. Die
familiäre Situation wird besprochen und ein Stammbaum angefertigt. Es wird darauf eingegangen, welche Gründe den Ratsuchenden zur Durchführung der Diagnostik bewegen. Einen
Überblick über die Motivationslage ergeben die folgenden Aussagen:
1. Ich möchte das MH-Risiko einfach für mich wissen bzw. nicht länger mit der
Ungewißheit leben (41 mal geäußert).
2. Vom Testergebnis hängt für mich ab, ob ich überhaupt (oder weitere) Kinder
bekommen werde (35 mal).
3. Differentialdiagnose (22 mal). Es wurden hierbei nur die Personen berücksichtigt, bei
denen die Diagnose vom Neurologen klinisch gesichert war, also keine Ausschlußdiagnosen.
4. 18 Ratsuchende wollten den Gentest machen, um ihren Kindern Informationen über
deren Risiko zu geben. (Falls die Risikoperson selbst nicht das MH-Gen trägt, entfällt das
Risiko für deren Kinder).
5. 11 Ratsuchende wollten vom Testausgang Entscheidungen über geplante Vorhaben
in der Zukunft abhängig machen (Anschaffungen, Berufswahl- oder Wechsel, Einschränkung
von streßbelasteten Aktivitäten in der Freizeit).
6. 8 junge Frauen suchten uns während der Frühschwangerschaft auf, da sie selbst (5)
oder ihr Partner (3) Risikoperson waren. Dabei wurde von 3 Paaren die direkte
präsymptomatische und von einem Paar die indirekte pränatale Diagnostik in Anspruch
genommen.
7. 2 Klienten wurden von neurologischen Fachärzten überwiesen mit dem Hinweis, sie
müßten auf jeden Fall einen Gentest machen.
Mitunter wird von einigen Ratsuchenden der Satz geäußert: "Ich möchte dazu beitragen,
daß diese Krankheit ausgerottet wird." Manchmal erscheint es der Beraterin, als glaube der
17
Ratsuchende, diese Meinung müßte auf jeden Fall mit der Ansicht des Arztes
übereinstimmen. Umso mehr erstaunt sind einige Klienten, wenn an dieser Stelle eine sehr
intensive Auseinandersetzung mit der Gesamtproblematik der Familienplanung beginnt. Im
Verlauf des Gesprächs wird der direkte Gentest ausführlich beschrieben und auf mögliche
Konsequenzen hingewiesen. Da die Reaktion auf ein "negatives" Ergebnis (MH-Genträgerschaft) in der Regel nicht vorhersehbar ist und das Wissen nach dem Test nicht
rückgängig gemacht werden kann, werden vor der Entscheidung zur Blutabnahme mehrere
Beratungen mit dem Humangenetiker und einer psychotherapeutisch geschulten Kollegin
geführt. Einige Klienten sind über diesen Beratungaufwand verwundert. Grundlegendes
Unverständnis darüber wurde jedoch nur sehr selten beobachtet. Der Tag der Blutabnahme
sollte nicht wesentlich früher als 3 Monate nach dem Erstgespräch sein. Diese Zeitspanne
wird manchmal zunächst als zu lang empfunden. Viele Ratsuchende warten jedoch durchaus
auch länger ab, ehe sie sich zur Blutabnahme entschließen. Fast alle Ratsuchenden äußerten
nach Mitteilung des Ergebnisses ihre Zustimmung über die zögernde Vorgehensweise.
Die Vereinbarung über weitere Beratungen geht grundsätzlich von dem Ratsuchenden
aus, um jeglichen "Automatismus" in der Durchführung des Tests zu vermeiden. Mehr als 1/3
der mit dem primären Wunsch nach prädiktiver Diagnostik in unsere Beratung gekommenen
Personen, hatten uns im nachhinein mitgeteilt, daß sie von einem Test doch vorerst Abstand
nehmen wollten, bzw. sie sind nicht wieder erschienen. Wir erachten es als überaus wichtig,
daß die Ratsuchenden zu jedem Zeitpunkt, d.h. natürlich auch nach der Blutabnahme bzw.
nachdem die Diagnostik bereits durchgeführt worden ist, das Recht haben, auf eine
Befundmitteilung zu verzichten bzw. den Zeitpunkt hinauszuschieben. Bei zwei
Risikopersonen liegt die Blutabnahme mehr als ein Jahr zurück, ohne daß bisher um die
Ergebnismitteilung gebeten wurde. Nach der Erstberatung vergeht oft ein halbes bis ein
ganzes Jahr bevor die Ratsuchenden sich zur Blutabnahme entschließen.
Vor jeder Mitteilung erkundigt sich daher der Berater nach dem momentanen Befinden
des Klienten und erfragt, ob der Zeitpunkt der Mitteilung tatsächlich geeignet sei. Erste
Erfahrungen von Personen, die einen Test in Anspruch genommen haben, sprechen dafür, daß
es vorteilhaft ist, Ehepartner/Verwandte/Freunde in den Beratungsprozeß mit einzubeziehen.
Eine psychotherapeutisch geschulte Person sollte dem Ratsuchenden un-bedingt auch zur
Verfügung stehen. Persönliche, familiäre und/oder berufliche Aus-wirkungen des
Testergebnisses werden angesprochen. Innere Konflikte versucht der Berater/Psychotherapeut
aufzudecken und zu besprechen (Schuldgefühle und -zuweisungen, Probleme in der
18
Partnerschaft, Sorge um die Kinder, suizidale Gedanken). Es wird versucht zu ergründen, wie
die Risikoperson auf ein "negatives" bzw. ein "positives" Ergebnis reagieren könnte. Bereits
durchgemachte andere schwierige Lebenssituationen können hier Anhaltspunkte geben, wie
die individuelle Person diese Probleme bewältigt hat. Dem Rat-suchenden wird angeboten
bzw. empfohlen, auch nach Mitteilung des Ergebnisses Kontakt mit dem HZ zu halten.
Nach Mitteilung eines "schlechten" Ergebnisses erfolgt auf jeden Fall ein Telefonat mit dem
Berater am darauffolgenden Tag. Die weitere Vorgehensweise war schon vor der Mitteilung
besprochen worden. Personen, die eben erfahren, MH-Genträger zu sein, sind oft sehr betrübt
und können erst am nächsten Tag wieder Informationen aufnehmen. Fast alle Rat-suchenden,
die das Ergebnis ihres Gentests kennen, empfanden eine besonders intensive Belastung und
Spannung in den Tagen unmittelbar vor der Ergebnismitteilung, erstaunlicherweise nicht aber
während der gesamten Zeit nach der Blutabnahme.
An unserem Institut wurde bisher an 46 Risikopersonen der Befund des Gentests jeweils
in einem Beratungsgespräch mitgeteilt. 59% der Risikopersonen erfuhren, daß sie die Anlage
für MH nicht geerbt haben und dementsprechend auch nie daran erkranken werden.
Dementgegen müssen sich 41% der Risikopersonen mit der Gewißheit aus-einandersetzen,
daß sie in der Zukunft an MH erkranken werden, sofern sie das (für sie unbekannte)
Manifestationsalter
erreichen.
Auch
für
ihre
Kinder
besteht
nun
ein
50%iges
Erkrankungsrisiko anstelle der vormaligen 25%. Einige Personen berichten, daß sie sich
insbesondere in den ersten beiden Wochen nach der Mitteilung oft die Frage stellten, ob die
Entscheidung für den Test richtig war. Nach spätestens einem Monat meinten die meisten
Betroffenen, die Mitteilung verarbeitet zu haben und besser mit diesem neuen Wissen
zurechtzukommen als mit der vorherigen Ungewißheit. Die Durchführung des MH-Gentests
wurde bei allen bisher Befragten im nachhinein nicht bereut. Allen Personen wird von der
Tätigkeit der Selbsthilfegruppe berichtet und nahegelegt, bei Bedarf Kontakt aufzunehmen.
Bisher erforderten zwei Ratsuchende einen nahezu täglichen Kontakt mit dem HZ über einen
längeren Zeitraum, um ein "schlechtes" Testergebnis zu verarbeiten. In beiden Fällen
bestanden auch vor dem Test erhebliche familiäre und/oder persönliche Konflikte.
BESONDERE KONFLIKTSITUATIONEN
Der direkte Nachweis der zu MH führenden Mutation ermöglicht auch eine Untersuchung von Personen mit 25%igem Erkrankungsrisiko, d.h. der erwachsenen Kinder einer
Risikoperson. Unter Umständen führt dies zu folgendem Konflikt. Die symptomlose Risiko19
person (Vater oder Mutter), die ein 50%iges Erkrankungsrisiko hat, lehnt einen genetischen
Test ab. Das volljährige Kind besteht jedoch auf einem Gentest. Würde bei diesem Kind ein
Nachweis des mutierten Huntington-Gens erfolgen, wüßte der betreffende Elternteil, daß er
ebenfalls Anlageträger ist und wahrscheinlich aufgrund des Alters bald mit ersten Symptomen
rechnen müßte. Auch der genetische Berater steht hier in der Konfliktsituation, das Recht des
Elternteils auf Nichtwissen einerseits schützen zu wollen, andererseits aber auch das Recht
des Kindes auf Wissen zu respektieren. Es ist selbstverständlich, daß ein Berater versuchen
sollte, in der Familie zu vermitteln und gemeinsam mit Eltern und Kind zu einem beiderseits
akzeptablen Kompromiß zu gelangen. Dies ist jedoch in den oftmals emotional sehr
belasteten Beziehungen in den Familien nicht möglich. Von seiten der HuntingtonSelbsthilfegruppe wird empfohlen, hier den Wunsch des Kindes auf Durch-führung des
Gentests aus folgendem Grund zu unterstützen:
In aller Regel ist die Familienplanung der Eltern mit volljährigen Kindern abgeschlossen, wohingegen sich diese im unmittelbaren Entscheidungskonflikt der Kinder- bzw.
Familienplanung
befinden.
Würde
das
genetische
Beratungszentrum
deren
Bitte
zurückweisen, wäre es sehr wahrscheinlich, daß die Betroffenen in einem Privatlabor
(existiert unseres Wissens nach bisher nur im Ausland) ohne eine umfassende psychotherapeutische Vor- und Nachbetreuung den Gentest durchführen ließen. Der familiäre
Konflikt könnte sich im nachhinein besonders in der Situation zuspitzen, wenn das Kind das
entsprechende Gen geerbt hat. Es wäre denkbar, daß (unberechtigte) Schuldzuweisungen an
den Elternteil erfolgen, dieser gleichzeitig, unvorbereitet und ohne Einverständnis von seinem
eigenen, nun 100%igen Erkrankungsrisiko erfährt. Diese Konfliktsituation ist im HZ bisher
nicht aufgetreten. Alle Risikopersonen suchten das HZ auf, weil die Diagnose bei Mutter oder
Vater zumindest als klinisch gesichert galt.
Eine andere zugespitzte Situation kann sich ergeben, wenn eine weibliche Risikoperson bzw. die Partnerin einer männlichen Risikoperson schwanger wird oder womöglich
erst in dieser Situation überhaupt von dem Erkrankungsrisiko erfährt. Einige Frauen, die
bereits ein Kind bekommen hatten, bevor die Möglichkeit eines direkten Gentests bestand,
meinen, daß es nun viel schwieriger geworden sei, sich zu einer weiteren Schwangerschaft zu
entschließen. Ängste vor hauptsächlich zwei Situationen bringen Schwangere in Konflikte:
20
1. Vom eigenen Kind Vorwürfe zu bekommen, wenn eingestanden werden muß: "Ich
wußte, daß Du diese Krankheit bekommen könntest, aber ich wollte über mein/unser genaues
Erkrankungsrisiko nicht Bescheid wissen."
2. Aber Ängste auch davor, nicht lange genug gesund zu sein, um die Kinder
großziehen zu können, bringen einige Schwangere in Konflikte. Hier trägt die vielleicht
unreflektierte Meinung in einem Teil der Bevölkerung und einiger Ärzte zur Ver-unsicherung
bei: "Solche Kinder müssen doch heutzutage nicht mehr geboren werden!"
Viele Schwangere fühlen sich dazu aufgefordert, daß sie die neue diagnostische
Möglichkeit nutzen müßten. Sie haben Angst, verurteilt zu werden - von Bekannten, Verwandten, Nachbarn (evtl. Ärzten,) oder aber später vom eigenen Kind. Würde eine
Schwangere die ab der 10. Schwangerschaftswoche mögliche genetische Untersuchung
nutzen und beim sich entwickelnden Kind das sog. Huntington-Gen nachgewiesen werden,
wüßte sie gleichzeitig, daß sie selbst dieses Gen trägt. Entschließt sie sich dann zu einer
Schwangerschaftsunterbrechung, treten auch Ängste auf, damit ihre eigene Existenz in Frage
zu stellen.
Auch wenn die Kürze der Entscheidungfrist in der Schwangerschaft es kaum zuläßt,
geben wir der Schwangeren immer zu bedenken, ob sie das Kind oder zuerst sich selbst testen
lassen sollte. Einerseits könnte die Chorionzottenbiopsie bzw. die Amnionzentese, die immer
auch ein geringes Abortrisiko hat, der Schwangeren im günstigen Fall erspart bleiben.
Andererseits hat die einzige Frau, die im HZ ein "schlechtes" Ergebnis durch die
präsymptomatische Diagnostik erhielt, im nachhinein von einer pränatalen Untersuchung
abgesehen und sich zur Geburt des Kindes entschlossen.
In einer anderen Situation wollte die schwangere Partnerin einer männlichen
Risikoperson sich nur dann für das Austragen der Schwangerschaft entscheiden, wenn sie
wüßte, daß das Kind nicht Anlageträger ist. Der Partner wollte über sein eigenes Risiko aber
nicht Bescheid wissen. In diesem Fall kann eine sog. Ausschlußdiagnostik angeboten werden,
die letztendlich besagt, daß das Kind die genetische Veränderung des erkrankten Großvaters
(bzw. der erkrankten Großmutter) nicht geerbt hat, oder aber, daß das Kind das gleiche Risiko
wie in diesem Fall der Vater hat, ohne aber dessen Risiko zu kennen. In unserem Fall traf die
zuerst beschriebene Situation ein. Die Schwangere meinte jedoch, daß sie nach der
Chorionzottenbiopsie große Angst vor einem Abort hatte und sich wahrscheinlich auch im
Falle des anderen Ergebnisses dazu entschlossen hätte, das Kind auszutragen.
21
Von den 8 Frauen, die selbst oder deren Partner Risikopersonen waren und die uns
während der Schwangerschaft erstmalig aufsuchten, hatten 4 geäußert, daß sie eine
Schwangerschaftsunterbrechung auf jeden Fall ablehnen würden. Entsprechend einer
Empfehlung der Selbsthilfegruppe, die besagt, daß jede erwachsene Person selbst über die
Durchführung eines genetischen Tests bestimmen sollte, wird in diesem Fall die Untersuchung des sich entwickelnden Kindes abgelehnt. Die Frauen zeigten Einsicht in diese
Empfehlung. Auch hatten sie Hoffnung, daß es in der Zukunft eine optimale Therapie geben
wird und die Erkrankung erfolgreich behandelt werden kann.
22
Ratsuchende (MH), gegliedert nach den Kategorien "präsymptomatisch" oder "betroffen"
Ratsuchende (MH)
125
Risikopersonen
Erkrankte
104
21
männl.
55
49
getestet
23
23
-Genträger
8
11
-nicht Gentr.
15
in Testphase*
5
2
beraten**
27
24
weibl.
männl.
9
weibl.
12
davon
12
* Termin zur Blutabnahme bzw. Ergebnismitteilung ist vereinbart
** Mindestens ein Beratungsgespräch hat stattgefunden; weitere Termine wurden bisher nicht
vereinbart.
23
PRÄIMPLANTATIONSDIAGNOSTIK ALS PARADIGMA EINES ETHISCHEN
KONFLIKTS
Olaf Rieß
DEFINITION
Jegliche Diagnostik an der befruchteten Eizelle, den Furchungszellen bzw. der
Blastocyste vor der Einnistung in der Gebärmutter, sei es nach künstlicher oder natürlicher
Befruchtung.
TECHNIK
Die neuesten Verfahren der molekulargenetischen Diagnostik ermöglichen die Vervielfältigung geringster Mengen DNA. Eine Methode, die man als Polymerase-Kettenreaktion (Polymerase Chain Reaction; PCR) bezeichnet, erlaubt prinzipiell die Amplifikation
eines einzelnen DNA-Moleküls und damit deren Anwendung für die Unter-suchung von
einzelnen Zellen. Andere, auf den vervielfältigten DNA-Abschnitten aufbauende Methoden
(DNA-Sequenzanalyse,
differentielles
Restriktionsenzymverdauung
des
Aufspüren
DNA-Abschnittes
von
oder
Mutationen
durch
Anlagerung
durch
von
sequenzspezifischen, kurzen DNA-Sonden), zeigen letztendlich das Vorhandensein oder den
Ausschluß eines Erbdefekts für den jeweils untersuchten Genort.
Aus diesen Möglichkeiten ergeben sich potentielle Anwendungen dieser Techniken für
die vorgeburtliche Diagnostik, z.B. in Verbindung mit in vitro-Befruchtung. Auch die
Charakterisierung einer einzelnen Samen- oder (befruchteten) Eizelle ist möglich, führt
jedoch zum Verbrauch der analysierten Zelle. Andererseits besitzen die Einzelzellen einer
bereits mehrmals geteilten, befruchteten Eizelle totipotente Eigenschaften: Eine für
diagnostische Maßnahmen entnommene Zelle des Embryos im Vier- oder Achtzellstadium
kann ohne Auswirkungen auf die sich entwickelnde Frucht ersetzt werden. Es ergibt sich
daher im Rahmen einer in vitro-Befruchtung die Möglichkeit zur Diagnostik einzelner
genetisch determinierter Erkrankungen. Eizellen werden nach Stimulation des Eisprungs bei
der Frau mit Kinderwunsch entnommen und im Reagenzglas mit Sperma des Mannes
befruchtet. Von jeder der sich teilenden Zygoten wird im Vier-, Achtzellstadium oder später
(in Deutschland erst später erlaubt, wenn die Zellen eindeutig nicht mehr totipotent sind) für
die Diagnostik eine einzelne Zelle abgesaugt. Die der einen Zelle "beraubten" Embryonen
24
können für die Zeitdauer der Untersuchung im Brutschrank aufbewahrt und nach Abschluß
der Diagnostik in die Gebärmutter der Frau mit Kinderwunsch zurück-verpflanzt werden.
Bisher war mit dieser Methodik nur die Analyse eines einzigen DNA-Abschnitts möglich.
Kürzlich wurde jedoch die Methode der Vervielfältigung des Erbmaterials ("primer extension
preamplification") entwickelt, die ausgehend von einer Einzelzelle die Analyse von
mindestens 20 DNA-Abschnitten (Genen) erlaubt. Das Potential der Vorvervielfältigung des
Erbguts für umfassende diagnostische Fragestellungen ist damit keineswegs ausgeschöpft.
Diese erweiterten Diagnosemöglichkeiten werden jedoch nur in wenigen Einzelfällen
ihre Anwendung finden. Man kann grundsätzlich davon ausgehen, daß nur diejenigen Paare
diese Form der vorgeburtlichen Diagnostik in Anspruch nehmen werden, die durch eigene
oder eine in der Verwandtschaft bestehende genetisch bedingte Erkrankung eine vielfach
erhöhte Chance für die Geburt eines schwer behinderten Kindes haben.
KLINISCHE RELEVANZ DER PRÄIMPLANTATIONSDIAGNOSTIK IM RAHMEN DER
VORGEBURTLICHEN DIAGNOSTIK
In Deutschland werden eine nicht genau schätzbare Zahl von in vitro-Fertilisationen
vorgenommen, sicher jedoch weit mehr als 15 000 pro Jahr (zusammengestellte Berichte aus
53 Zentren in 1993; zwei der aktivsten Zentren blieben allerdings unberücksichtigt;
persönliche Mitteilung von Prof. H. Baier, Aachen). Dieser Weg wird wegen bestehendem
Kinderwunsch beschritten, nicht jedoch wegen eines etwaigen genetischen Risikos.Diese
Verhältnisse machen die noch bestehenden Schwierigkeiten bei der in vitro-Befruchtung
deutlich: auch Zentren mit exzellenten Arbeitsbedingungen und mehrjährigen Erfahrungen
haben eine Erfolgsrate von nur 30% (maximal 1/3 der Frauen wird überhaupt schwanger).
Das bedeutet, daß mehr als 1.000 Babys nach in vitro-Befruchtung geboren wurden, ein nicht
zu vernachlässigender Anteil aller Geburten. In den letzten Jahren stieg der Bedarf an
pränatalen Diagnosen durch einen besseren Informationsstand der Bevölkerung, aber auch
durch ein erweitertes Diagnostikangebot aufgrund der Entdeckungen der molekularen
Ursachen von genetisch bedingten Erkrankungen. Die häufigste Indikation dafür war das mit
erhöhtem Alter der Schwangeren einhergehende erhöhte Risiko für die Geburt eines Kindes
mit Trisomie 21.
ETHISCHE BETRACHTUNGEN - ARGUMENTE FÜR UND WIDER EINE PRÄIMPLANTATIONSDIAGNOSTIK
25
In Deutschland ist spätestens seit Einführung des "Embryonenschutzgesetzes" jeglicher
Eingriff in den heranwachsenden Feten vor dem 16-Zellenstadium verboten. Es existiert
derzeit keine Möglichkeit, Präimplantationsdiagnostik am Menschen durch-zuführen. Einige
Zentren arbeiten jedoch intensiv im Tierexperiment. Die (nicht erlaubte) Entnahme von
Zellen aus dem Vier- bzw. Achtzellstadium des heranwachsenden Embryos kann für einige
wenige Frauen mit Kinderwunsch schwere psychologische Konflikte herbei-führen. Wie
bereits ausgeführt, ist eine in vitro-Befruchtung nur ein äußerst selten beschrittener Weg für
einige kinderlose Paare, ein Kind zu zeugen ("zu lassen"). Diese Paare haben in der Regel
einen über mehrere Jahre bestehenden aktiven Kinderwunsch. Die geringen Erfolgsaussichten
bei der künstlichen extrakorporalen Befruchtung verschärfen darüberhinaus die seelischen
Spannungen. Der Wunsch dieser Paare nach einem gesunden Kind (welches meist ihr
einziges bleiben wird) ist daher direkt nachvollziehbar. Angesichts dieser Tatsache scheint es
kontrovers - auch im Sinne des Schutzes heranwachsenden Lebens - bei Paaren mit
familiärem Risiko genetischer Erkrankungen erst nach Ver-pflanzung und Anwachsen der
befruchteten Eizelle in die Gebärmutter eine Pränatal-diagnostik durchzuführen. Ist es dann
nicht sogar humaner, in diesen extrem seltenen Ausnahmen eine Präimplantationsdiagnostik
durchzuführen? Dies würde betroffenen Frauen eine - durch den Gesetzgeber erlaubte spätere Schwangerschaftsunterbrechung nach erheb-lichem Wachstums des Feten und der
Anlage von Organen des Feten ersparen. Die ethischen und gesetzgeberischen Konflikte in
Deutschland bei der Präimplantations-diagnostik entstehen u.a. durch den bisher zeitlich nicht
exakt definierten Status eines Embryos (ab Befruchtung der Eizelle, mit der Einnistung in die
Plazenta oder mit dem Beginn der Organentwicklung?). So verbietet Frankreich
beispielsweise ebenfalls Experimente mit menschlichen Embryonen, erlaubt jedoch
andererseits Untersuchungen und Forschung mit Embryonen, die dessen "Integrität nicht
verletzen"
[Deutsches
Ärzte-blatt
7,
1994].
Durch
eine
Zulassung
der
Präimplantationsdiagnostik würden die bestehenden rechtlichen Unsicherheiten weder
beseitigt
noch
verschärft.
Nach
Meinung
des
Verfassers
sollten
sich
die
Entscheidungskriterien gegen eine "Einpflanzung" einer befruchteten Eizelle nach den
geltenden gesetzlichen Richtlinien für eine Schwangerschafts-unterbrechung richten.
Unabhängig von einer Zulassung der Präimplantationsdiagnostik muß der rechtliche Status
der "überflüssigen", nicht implantierten Eizellen geklärt werden.
26
AUSBLICK
Jörg T. Epplen
Präsymptomatische
und
pränatale
Diagnostik
erscheinen
neben
intensivierter
angewandter und Grundlagenforschung als beispielhaft für die humangenetischen Tätigkeiten
im kommenden Jahrzehnt. Mindestens dieser Zeitraum wird benötigt werden, um die ersten
Schritte in Richtung kausaler Gentherapie für eine begrenzte Anzahl definierter,
monofaktorieller Erkrankungen gemacht zu haben. In diesem Zusammenhang erschien es
erwägenswert, sich zu den prognostizierbaren Entwicklungen in diesem Gebiet zu äußern
(siehe Tafel 5). Bei Prognosen ist die Feststellung trivial aber trotzdem notwendig, daß
prinzipiell neue Entdeckungen und deren Auswirkungen natürlich nicht erahnt werden
können. In der Tat sind bahnbrechende Erkenntnisse für eine Vielzahl von sog.
Volkskrankheiten im Laufe der Zeit aus dem besseren Verständnis des gesunden
Gesamtgenoms zwingend zu erwarten. Diese häufigen (Zivilisations-)Erkrankungen werden
komplex vererbt, das heißt, sie sind durch das Zusammenwirken von mehreren bis vielen
Genen plus zusätzlichen Umweltfaktoren bedingt. Völlig normale Varianten von vielgestaltigen Erbmerkmalen können durch seltene zufällige Kombinationen mit Varianten
anderer krankheitsrelevanter Merkmale plus Umwelteinflüsse zur Ausprägung führen.
Volkskrankheiten
überwiegen
zahlenmäßig
bei
Erwachsenen
gegenüber
Kindern.
Gesundheitserziehung und -bewußtsein sowie verantwortliches Handeln sind entscheidend.
Insgesamt gibt es im Augenblick keinen Anhalt, daß die Probleme der präsymptomatischen
und pränatalen Diagnostik in absehbarer Zeit ihre Relevanz verlieren werden. Insbesondere
die therapeutische Korrektur chromosomaler Aberrationen (z.B. autosomale und gonosomale
Trisomien)
im
Gesamtorganismus
entzieht
sich
gegenwärtig
jedem
realen
Vorstellungsvermögen.
Die humangenetische Beratung in Situationen, bei denen präsymptomatische
Diagnostik in Erwägung gezogen wird, geht in den Anforderungen an die Ratsuchenden nicht
selten an und über die Grenzen lösbarer bzw. ertragbarer intrapsychischer Konflikte. Im
direkten Vergleich ist pränatale Diagnostik hauptsächlich durch drei zusätzliche
Gesichtspunkte charakterisiert: 1.) einen eng definierten zeitlichen Handlungsspielraum, 2.)
die Entscheidung der Mutter nicht für sich selbst, sondern für einen neuen Menschen, ihr
Kind, und 3.) die mögliche Konsequenz in Form der Beendigung der Schwangerschaft. Als
27
Folge der biologischen Vorgabe, daß nur Frauen schwanger werden, kann sich die männliche
Hälfte der Menschheit teilweise nur akademisch mit diesen Entscheidungs-prozessen
befassen. Diese Tatsache sollte sich nach unserem Gutdünken nie ändern (lassen). Diese
Aussage ist als entschiedenes Plädoyer gegen die vollständige embryonale und fetale
Fruchtausreifung "im Reagenzglas" zu verstehen, sollte aber nicht gegen in vitro-Befruchtung
in medizinisch indizierten Fällen interpretiert werden.
Schließlich auf den Ausgangspunkt dieser Erörterungen zurückkommend hoffen wir,
die eingangs apodiktisch angeführten Statements des Humangenetikers und des Philosophen
baldmöglichst an eine andere Ausgangslage anpassen zu können und zu müssen:
- 'Wer will schon in der vorgeburtlichen Phase wissen, ob das Kind irgendwann einmal an
einem Erbleiden therapiert werden muß'.
- 'Eingreifende pränatale Diagnostik im herkömmlichen Sinn ist auf zahlenmäßig
unbedeutende, biologisch unabwendbare Situationen einschränkbar.'
Wir wollen diese Diskussionen behutsam weiterführen, nicht nur im Kreise der mit der
Problematik befaßten Kolleginnen und Kollegen, sondern mit allen Interessierten. Sollte die
Gesprächsbeteiligung bzw. die Problematisierung der Thematik durch entsprechend
professionelle Medienarbeit auf weniger Interessierte aktiv ausgeweitet werden? Wie kann
man Tendenzen entgegenwirken, daß z.B. hier geäußerte Ansichten in entscheidenden
Gesprächszirkeln und Gremien (Gesetzgebung, Ärztevereinigungen) ohne jegliche praktische
Auswirkungen bleiben? Auch die Maxime der individuell zentrierten, nicht direktiven
humangenetischen Beratung verhilft uns nicht zu einer kompetenten Strategie der
Bewältigung fundamentaler Fragen, wie z.B. die Information über genetische Beratung richtig
in die allgemeine Bevölkerung transportiert werden kann. Es ist in der heutigen
gesellschaftspolitischen Situation ganz besonders darauf zu achten, daß humangenetische
Arbeit nicht für allgemein existierende Tendenzen zur Vermeidung der Geburt behinderter
Mitmenschen mißbraucht und gegen deren mögliche Integration instrumentalisiert wird.
Damit in der Zukunft ethisch vertretbare Ansichten auf breiterer Basis entwickelt
werden können, sind kontroverse Meinungsäußerungen sowie vertiefende Diskurse im
gesamten Umfeld unabdingbar. Das moderne sittliche Bewußtsein wird von der Überzeugung geleitet, daß man mit einfachen Ableitungen aus festgelegten moralischen
Einstellungen nicht der Tragweite und Neuartigkeit der hier geschilderten Problem28
zusammenhänge gerecht wird. Herausgefordert durch den Druck konkreter Probleme muß der
Weg zur Urteilsbildung und Handlungsentscheidung eingeschlagen werden. Letzt-endlich
erscheint hier der Ansatz hoffnungsvoll, statt einer allgemeinen Ethik der Differentialethik
Raum zu geben. Hierbei geht es um das Sammeln und Bewerten vieler einzelner ethischer
und technischer Einzelheiten eines bestimmten Falls [Hans-Martin Sass]. Die integrierende
Behandlung der Informationen über den Einzelfall sollte eine ethische Prognose zulassen
sowie ethisch verantwortbares Handeln, auch in den anfangs ausweglos erscheinenden Fällen
der präsymptomatischen und der Pränataldiagnostik ermöglichen.
Tafel 5: Hypothesen zu ausgewählten Aspekten der zukünftigen pränatalen Diagnostik und
Therapie
Nachfolgend sind 4 Hypothesen angeführt, die die Zukunft der Pränataldiagnostik in den
kommenden 20 Jahren betreffen könnten. Diese Reflexionen sind keine Omnipotenzträumereien abgehobener Humangenetiker. Sie mögen einigen der extrapolierbaren
theoretischen Möglichkeiten nahekommen und zur Diskussion, Behutsamkeit und
Wachsamkeit beitragen.
Hypothese 1:
Infolge totaler Sequenzanalyse ist das menschliche Genom entschlüsselt und prinzipiell
verstanden. Der Blick in die genetisch determinierte Zukunft (humangenetische Individualprognose) ist auch pränatal vollständig realisierbar.
Hypothese 2:
Pränatale Diagnostik wird weitestgehend aus dem Blut der Mutter (nicht invasiv) durchgeführt.
Hypothese 3:
Die meisten mendelnden Erbkrankheiten sind nach Pränataldiagnostik postnatal therapierbar;
auch komplex vererbte Geschehen sind prinzipiell beherrschbar.
Hypothese 4:
29
Das Problem der Keimbahntherapie ist zwar rein technisch gelöst und konsensfähig.
Keimbahneingriffe sind aber meist überflüssig (oder werden weitestgehend umgangen).
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GLOSSAR
Abort = Fruchtabgang in der Schwangerschaft
Amniocentese = Punktion der Fruchthöhle
Antigen = vom Organismus als fremd erkannter Stoff; Molekül
Antikörper = Immunglobulin, erkennt körperfremde Stoffe spezifisch
Autosomen = alle Chromosomen (Erbträger), die nicht Geschlechtschromosomen sind
Chorion(zotten)biopsie = Gewinnung von Zellen aus dem kindlichen Anteil des Mutterkuchens
Chromosom = Träger des Erbmaterials; Transportform der DNA (bei der Zellteilung)
Chromosomenaberration = pathologische Veränderung des normalen Chromosomensatzes
Differentialethik = sammeln, behandeln, intregrieren ethischer und technischer Details; ergibt
ethische Prognose und Handlungskonzept
DNA = Erbmaterial der meisten Lebewesen
DNA-Analyse, -Diagnostik,-Sequenzierung = Bestimmung der Zusammensetzung des Erbmaterials (bestehend aus 4 "Bausteinen", den Basen oder Nukleotiden A, C, G, T)
DNA-Profil = Darstellung eines oder weniger vielgestaltiger DNA-Orte z.B. zur Spurenanalyse
Dysmorphie = morphologische Abweichung körperlicher Merkmale (z.B. extrem weiter oder
enger Augenabstand); ohne pathognomonische Bedeutung; kann als Normabweichung bei
ansonst völlig Gesunden vorkommen
Embryo = Frucht in der Gebärmutter während der Organentwicklung (1.-3. Schwangerschaftsmonat)
Evolution = Entwicklungsgeschichte
Fetal = zum Fetus gehörig
Â-Fetoprotein = Eiweißstoff, der von frühen embryonalen Geweben gebildet wird
Fetoskopie = direkte Betrachtung des Fetus mit optischem Instrument
Fetus = Frucht im Mutterleib nach Abschluß der Organentwicklung (nach dem 3.
Schwangerschaftsmonat)
FRA X-Syndrom = fragiles X-Syndrom; häufigste Form erblich bedingter intellektueller
Minderbegabung bei Knaben; siehe Trinukleotiderkrankung
Gen = Erbmerkmal
Gen-Kartierung = Lokalisation eines bestimmten Erbmerkmals auf einem Erbträger
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Gen(element)-Rearrangement = geregelte Umordnung von Erbmerkmalen oder deren
Einzelbausteinen; kann bei freier Kombinierbarkeit zu höchst variablen "Mosaik"-Genen
führen
Gen-Sonde = molekularbiologische Methode zur Feststellung eines bestimmten Erbmerkmals
Genom = Erbgut; Gesamtheit des Erbmaterials
gonosomal = die Geschlechtschromosomen betreffend
Gentherapie = Heilungsversuch mit gentechnologischen Methoden
HCG = menschliches Gonadotropin, vom Mutterkuchen gebildet, zeigt Schwangerschaft an
HIV = humanes Immundefizienz-Virus (löst AIDS aus)
Homologe Gene = entwicklungsgeschichtlich verwandte Erbmerkmale in verschiedenen Tieroder Pflanzenarten
Hormone = chemische Sendbotenstoffe, die Stoffwechselabläufe im Organismus regulieren
Immunglobulin = Antikörpereiweiß
Infertilität = Unfruchtbarkeit
In-vitro Fertilisation = Befruchtung im Reagenzglas
Keimzellen, -bahn, -linie = Zellen, die Geschlechtszellen bilden, welche dann an die nächste
Generation weitergegeben werden
Lebensgeschichtstheorie = wissenschaftliche Theorie über verschiedene Strategien zur
Optimierung des Lebenszeitfortpflanzungserfolgs (Gesamtzahl der Nachkommen eines
Individuums
Leukämie = 'Weißblütigkeit', krebsige Entartung und Vermehrung der weißen Blutkörperchen
Lymphozyten = Sorte weißer Blutkörperchen, welche wichtig für die Immunabwehr sind
Monitoring = Sammelbegriff für überwachende Tätigkeiten
Morbus = Krankheit
Morbus Huntington (Chorea Huntington) = autosomal dominant vererbtes neurologisch/
psychiatrisches Leiden; Erkrankungsbeginn im mittleren Lebensalter, führt innert 10-15
Jahren zum Tod
Multifaktoriell = durch mehrere Gene plus Umwelteinflüsse bedingt Mutation = Erbsprung
Östrogene = Hormone, hautsächlich vom Eierstock der Frau gebildet
Oncogen = 'Krebsgen', befördert Tumorentstehung und -Wachstum
Pathologie = Lehre von den Erkrankungen und ihren Ursachen
Percutan = durch die Haut
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Polymerase-Kettenreaktion (PCR) = enzymatische DNA-Vervielfältigung im Reagenzglas
Population = Mitglieder einer Art, die in einer Lebensgemeinschaft vorhanden sind
Prädiktiv = vorhersagend
Prädisposition = Veranlagung
Präimplantationsdiagnostik = (molekulargenetische Untersuchung vor der Einnistung des
Embryos in die Gebärmutter)
Pränatal = vorgeburtlich
Präsymptomatisch = vor Eintritt von Krankheitszeichen
Präventiv = (krankheits-)vorbeugend
Primaten = Herrentiere (Menschen und Menschenaffen als jeweilige Arten)
Probabilistisch = zufällig
Psychomotorisch = durch psychische Vorgänge geprägte Bewegungen
Psychosen = zentralnervös bedingte Störung der psychischen Funktionen
Sichelzellenanämie = Blutarmut aufgrund eines Erbsprungs im Gen, welches für den roten
Blutfarbstoff kodiert; autosomal rezessive Vererbung
Spinocerebellare Ataxie = seltene, autosomal dominant vererbte Erkrankung des mittleren
Lebensalters mit schwerwiegender neurologischer Symptomatik
Sterilität = Zustand der Unfruchtbarkeit
Symptom = 'Krankheits'-Zeichen
Syndrom = Zusammenschau mehrerer Symptome
Totale Sequenzanalyse = Bestimmung der gesamten genetischen Information eines
Individuums (siehe auch DNA-Analyse)
Transplantation = Organübertragung
Trinukleotidkrankheit = erbliche Erkrankung, die durch unphysiologische Verlängerung eines
von mehreren repetitiven 3-Basenmotiven ausgelöst wird
Triple Test = "Dreifachtest" (HCG, Östrogene, Â-Fetoprotein)
Trisomie = dreifaches Vorkommen eines bestimmten Erbträgers
Trisomie 21 = Morbus Down [frühernannt] oft schweres angeborenes Fehlbildungs-syndrom
mit obligater psychomotorischer Retardierung
Ultraschall = bildgebendes Verfahren zur nicht-invasiven Darstellung innerer Organe oder
des Fetus
Zytogenetik = Chromosomen-Diagnostik, -Forschung, -Lehre
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Literaturzitate sind beim Verfasser erhältlich
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Heft 97
DNA-DIAGNOSTIK IN DER HUMANGENETIK:
Voraussetzungen und Tendenzen
Jörg T. Epplen, Olaf Rieß, Angelika Rieß
März 1995
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Abstract: In medicine, molecular biology has particularly revolutionized the subject of human
genetics. Human genetics represents a longitudinal section in biomedicine with a spectrum
ranging from pure basic science („total genom analysis“) to therapeutic approaches for so far
incurable diseases. On the other hand, representing a cross-section discipline means that mutual
exchanges occur permanently with virtually all clinical subjects. Molecular genetic diagnostics
opens new fields of ethical conflicts. Therefore molecular genetic diagnoses have to be
accompanied by expert genetic counselling. Yet genetic counselling cannot (always) offer
appropiate ‘magic formulas’. The consequences resulting from the new opportunities have to be
individual-centered, but they are nevertheless not easy to grasp in all details. Current
possibilities of DNA technologies are discussed critically, extrapolated into the near future as
well as novel developments in molecular genetic medicine are anticipated.
Zusammenfassung: Unter den medizinischen Disziplinen haben die molekularbiologischen
Techniken die Humangenetik ganz besonders nachhaltig beeinflußt. Humangenetik versteht sich
einerseits als ein Längsschnittfach innerhalb der Biomedizin mit einem Spektrum von den
reinen Grundlagenwissenschaften („totale Genomanalyse“) bis zu Therapieverfahren für heute
noch unheilbare Erkrankungen. Andererseits bedeutet der hohe Anspruch, ein Querschnittsfach
darzustellen, u.a. einen ständigen wechselseitigen Austausch mit praktisch allen klinischen
Disziplinen. Die molekulargenetische Diagnostik eröffnet neue ethische Konfliktfelder, für
deren Verarbeitung keine Patentrezepte in der absolut notwendigen humangenetischen
Familienberatung verfügbar sind. Die Konsequenzen aus den neuen technischen Möglichkeiten
sind individuell zu betrachten und dennoch auch im gegebenen Fall nicht in allen Einzelheiten
überschaubar. Die gegenwärtigen Errungenschaften der DNA-Technologie werden kritisch
beleuchtet, in die überschaubare Zukunft extrapoliert und neue Entwicklungen in der
molekulargenetischen Medizin angedacht.
Jörg T. Epplen ist seit 1991 Professor für molekulare Humangenetik an der Ruhr-Universität
Bochum. Seine Arbeitsgebiete in der Forschung schließen zahlreiche Aspekte der
grundlagenwissenschaftlichen und angewandten Genomanalyse bei Mensch, Tier und Pflanze
ein.
Angelika Rieß ist Ärztin und führt die allgemeine humangenetische Familienberatung wie
auch im Rahmen des Huntington-Zentrum NRW an der Ruhr-Universität Bochum durch.
Olaf Rieß ist Oberassistent in der Abteilung für molekulare Humangenetik an der RuhrUniversität Bochum und leitet eine DNA-Diagnostikgruppe für ausgewählte neurodegenerative Erkrankungen. Seine Forschungsthemen umfassen weiterhin hauptsächlich
Fragestellungen zu Chromosom 4 des Menschen.
ISBN 3-927855-75-8
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INHALTSÜBERSICHT
Seite
Einführung:
1
-Fatale medizinische Zufälle als biologische Zwangsläufigkeiten - oder:
-Der Mensch als Träger genetischer Information seiner Art
-Humangenetische Beratung und Pränataldiagnostik: Techniken, Konflikte, Indikationen
Jörg T. Epplen
Präsymptomatische und pränatale Diagnostik am Beispiel einer schweren neurodegenerativen
Erkrankung - Erfahrungen aus dem Huntington Zentrum (HZ) NRW
16
Angelika Rieß
Präimplantationsdiagnostik
Olaf Rieß
25
Ausblick
Jörg T. Epplen
29
Glossar
33
Herausgeber:
Prof. Dr. phil. Hans-Martin Sass
Prof. Dr. med. Herbert Viefhues
Prof. Dr. med. Michael Zenz
Zentrum für Medizinische Ethik Bochum
Ruhr-Universität
Gebäude GA 3/53
44780 Bochum
TEL (0234) 32-22750/49
FAX +49 234 3214-598
Email: [email protected]
Internet: http://www.ruhr-uni-bochum.de/zme/
Der Inhalt der veröffentlichten Beiträge deckt sich nicht immer mit der Auffassung des
ZENTRUMS FÜR MEDIZINISCHE ETHIK BOCHUM. Er wird allein von den Autoren
verantwortet.
Schutzgebühr:
Bankverbindung:
DM 10,Sparkasse Bochum
Kto.Nr. 133.189.035
BLZ: 430 500 01
ISBN 3-927855-75-8
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VORBEMERKUNG
Die Beiträge für dieses Bändchen entstanden als Folge einer abendlichen
Diskussionsveranstaltung im Frühjahr 1994 zum Thema "Pränatale Diagnostik" auf
freundliche Anregung des Zentrums für Medizinische Ethik Bochum. Die Pränataldiagnostik
und ihre praktischen Folgen sind mit einer vielschichtigen ethischen Problematik verknüpft,
die als besondere gesellschaftliche Herausforderung empfunden wird. Unabhängig davon
entstehen im Rahmen der DNA-Diagnostik häufig schwer-wiegende persönliche Konflikte.
Diese Konflikte erreichen bei Schwangeren eine andere Qualität, die sich aus den bereits
entstehenden Beziehungen mit dem ungeborenen Kind ergeben. Aus der Sicht einer sittlichen
Ordnung gewinnt dieser Komplex an Gewicht durch den Sachverhalt, daß die eigentlich
direkt Betroffenen, nämlich die heranreifenden Ungeborenen, zum entscheidenden Zeitpunkt
keine unmittelbare Einflußmöglichkeit auf das Geschehen haben. Die aus diesem
Spannungsfeld entstehenden Konflikte werden in der Gesellschaft kontrovers diskutiert, d.h.
die Meinungen bewegen sich zwischen totaler Ablehnung medizindiagnostischer, mittel- oder
unmittelbarer Eingriffe am ungeborenen Organismus einerseits und einer optimistischen,
zukunftsorientiert-positiven Haltung andererseits. Als Folge der gesellschaftlichen Bedeutung
der angesprochenen Probleme werden aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln und
Interessenlagen Kritik und Empfehlungen auf jedwedem intellektuellen Niveau öffentlich
behandelt. Hierdurch werden zuweilen Unsicherheit und in gewissem Umfang gegenwärtig
unerfüllbare Hoffnungen geweckt. Nicht zuletzt werden auch indirekt über die zur Zeit
vorhandenen Möglichkeiten hinausgehende Forderungen an die DNA-Diagnostik und eine in
der Zukunft liegende Gentherapie gestellt.
Als Humangenetiker, Ärzte und Berater haben wir uns bemüht, Maßstäbe für allgemeinund medizinethisches Handeln im Rahmen der molekularbiologischen Diagnostik auf den
Prüfstand zu bringen. In diesem Zusammenhang stellen wir hier die Konsequenzen der DNADiagnostik in den Vordergrund. Diese Gewichtung erscheint uns unter anderen
Gesichtspunkten deshalb geboten, weil jetzt auch die Möglichkeit besteht, die Anlagen, die
sich spät, d.h. nach der Lebensmitte als Erkrankungen manifestieren, bereits pränatal zu
diagnostizieren. Die Situation der Berater in der Humangenetik ist geprägt durch den
täglichen Umgang mit Ratsuchenden aus allen sozialen Schichten, ihren sehr individuellen,
teils auch ethischen Konflikten, sehr unterschiedlichen Intelligenzniveaus und der ganzen
Bandbreite der möglichen psychologischen Verarbeitungsmechanismen der erhaltenen
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genetischen Informationen. Im Verhältnis des humangenetisch tätigen Arztes zum
Ratsuchenden/Patienten besteht ein einschneidendes Defizit: Es ist bisher unmöglich, die
krankheitsauslösenden Prinzipien an ihrer Ursache zu behandeln. Dieses Manko steht im
krassen Gegensatz zu den quasi optimalen diagnostischen Möglichkeiten, die heute mit der
molekulargenetischen Methodik zur Verfügung stehen. Unsere Hoffnung ist, daß diese Kluft
zwischen Diagnose und Therapie in Zukunft durch die humangenetische Forschung
überwunden wird, die vor allem im Ausland sehr effizient organisiert ist. Wie lange kann und
muß man sich noch mit praktisch ausschließlich diagnostischen Verfahren in der
vorgeburtlichen Diagnostik genetischer Leiden zufriedengeben? Vorerst besteht noch kein
tragfähiger
gesellschaftlicher
Konsens
über
eine
diesen
Bereich
betreffende
Präimplantationsdiagnostik und Gentherapie. Auch hier gilt es also, durch informative
Beiträge von Fachleuten ein Klima zu schaffen, das eine klare Positionierung der klinischen
Humangenetik für die Zukunft erlaubt.
Die nachfolgenden Texte sind ursprünglich von der Autorengruppe gemeinsam
angedacht und von den einzelnen Mitarbeitern ausformuliert worden (siehe Inhaltsangabe).
Sie wurden dann von einigen Institutsmitgliedern redigiert, so daß letztendlich jeder Autor
sich als Teil des gemeinsamen Aufwands sehen kann. Teilweise hatten wir die Anforderungen
der gestellten Aufgabe weit unterschätzt.
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