Der Betriebsrat als Produktionsfaktor Perspektiven der betrieblichen Mitbestimmung Thesen von Horst-Udo Niedenhoff 1. Deutschland ist im internationalen Vergleich das Land mit den meisten Mitbestimmungsgesetzen. Nirgendwo sonst sind die Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer, der Betriebsräte und der Gewerkschaften so weitgehend geregelt wie hier. 2. In den Betrieben wählen die Arbeitnehmer Betriebsräte, Gesamtbetriebsräte und je nach der Unternehmensstruktur auch Konzernbetriebsräte. Die Jugendlichen wählen die Jugend-und Auszubildendenvertretung oder auch die Gesamt-und Konzern-Jugendund Auszubildendenvertretung. Die leitenden Angestellten wählen ihre Sprecherausschüsse oder auch die Gesamt-oder Konzernsprecherausschüsse. Im öffentlichen Dienst werden die Personalräte gewählt. 3. Insgesamt 8 Mitbestimmungsgesetze regeln die Mitwirkung und Mitbestimmung auf der betrieblichen Ebene und in den Organen des Unternehmens, wobei der Betriebsrat Betriebsvereinbarungen für alle Arbeitnehmer und die Gewerkschaften überbetriebliche Tarifverträge für ihre Mitglieder abschließen. 4. Der Gesetzgeber will, dass in möglichst vielen Betrieben Betriebsräte gewählt werden. Er hat dazu im Laufe der Jahre die dazu notwendigen Voraussetzungen geschaffen wie z.B. das vereinfachte Wahlverfahren in Kleinbetrieben, die Verlängerungen der Amtszeiten der Betriebsräte , die Erhöhung der Zahl der Betriebsräte, die Herabsetzung der Schwellenwerte, mehr Freistellungen, Ausdehnung der Wahlberechtigten etc.. Das Betriebsratsamt ist daher im Laufe der Zeit für Arbeitnehmer immer attraktiver geworden. 1 5. Mit jeder Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes sind die Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats erweitert und seine Zuständigkeiten vergrößert worden. Der Einfluss des Betriebsrats auf die Willensbildung im Unternehmen ist enorm gestiegen. 6. Mit der Einführung des Mitbestimmungsgesetzes der Arbeitnehmer im Jahre 1976 und der paritätischen Besetzung der Aufsichtsräte (6:6; 8:8; 10:10) sind immer mehr Betriebsratsmietglieder gleichzeitig auch Aufsichtsratsmitglieder geworden. So ist z.B. der Gesamt- oder Konzernbetriebsratsvorsitzende Multifunktionär: Er ist zugleich oberster Repräsentant der betrieblichen Mitbestimmung, stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender, Mitglied des Aufsichtsratspräsidiums, Präsident des Europaforums, Mitglied der der gewerkschaftlichen Tarifkommission etc..Dies hat zu einer Verquickung von Arbeitnehmerinteressen und Unternehmensbelangen geführt. 7. Mit der Bildung eines Europäischen Betriebsrats sind die Einflüsse der deutschen Betriebsräte auch international gestiegen, in dem sie nun durch Informationsrechte europaweit mitwirken können. Einige deutsche Firmen haben sogar schon einen Weltbetriebsrat. 8. Seine Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte in sozialen, personellen und wirtschaftlichen Angelegenheiten machen den Betriebsrat heute zu einem Produktionsfaktor. Fast die gesamte Arbeitsordnung eines Unternehmens unterliegt seiner erzwingbaren Mitbestimmung, wie zum Beispiel alle Ordnungs-und Verhaltensregeln der Arbeitnehmer im Betrieb, Arbeitszeitmodelle, Genehmigung von Überstunden, Leistungskontrollen, Urlaubsgrundsätze und Urlaubspläne, Fragen der betrieblichen Lohngestaltung, Festsetzung von Akkord-und Prämiensätzen, Grundsätze von Gruppenarbeit etc., Personalfragebogen bedürfen ebenso der Zustimmung des Betriebsrats wie Auswahlrichtlinien und die Einstellung, Eingruppierung, Umgruppierung und Versetzung von Arbeitnehmer. Auch bei der Durchführung betrieblicher Bildungsmaßnahmen ist der Betriebsrat zu beteiligen. 2 9. Die seit Jahren stärker gewordene Verrechtlichung der Arbeitsbeziehungen haben den Schulungsbedarf und den Schulungsaufwand der Betriebsräte enorm steigen lassen. 10. Die immer umfangreicher gewordenen Schulungsangebote und Schulungsmöglichkeiten für Betriebsräte, deren Kosten vom Arbeitgeber übernommen werden müssen, haben die Arbeit des Betriebsrats professioneller werden lassen. 11. Die Gewerkschaften sind heute einem enormen Veränderungsdruck ausgesetzt: Hohe Mitgliederverluste, Gewerkschaftspluralismus, die Bildung von Arbeitgeberverbänden ohne Tarifbindung, sowie das Diktat der Realität in den Betrieben durch die Globalisierung der Wirtschaft führen zu einer Verbetrieblichung der Sozialbeziehungen und einem Aufweichen des flächendeckenden Tarifvertrages. Die Arbeitsweise und Aufgabenbreite der Betriebsräte hat sich somit weiter vergrößert, in dem sie nun auch tarifliche Aus-und Mitgestalter geworden sind (zum Beispiel die betrieblichen Bündnisse für Arbeit). 12. Durch tarifliche Öffnungsklauseln, Ergänzungs-und Korridortarifverträge, Optionen, Gutscheine und den flankierenden betrieblichen Bündnissen für Arbeit hat sich der Betriebsrat vom reinen Überwacher bis hin zum Mitgestalter der Unternehmenspolitik entwickelt. Er ist praktisch CoManager oder Manager der Arbeitnehmerinteressen geworden. 13. Die Anwendung des Betriebsverfassungsgesetzes kostet auch Geld:650 Euro pro Mitarbeiter und Jahr. Dabei nehmen die Betriebsratskosten mit 337 Euro den Löwenanteil an den Gesamtkosten ein. Dort wo in ideologischen Kategorien gedacht und gehandelt wird, wird die betriebliche Mitbestimmung sehr schnell zur Kostenfalle. 14. Für die Arbeitgeber stellt sich daher heute in der Regel nicht mehr die Frage nach dem „Ob“, sondern nach dem „Wie“ in der Mitbestimmung. Die 3 Mitbestimmung ist Chefsache geworden. Von einer vertrauensvollen und qualifizierten Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat hängen der wirtschaftliche Erfolg eines Unternehmens und seine internationale Wettbewerbsfähigkeit erheblich ab. 15. Von hoch qualifizierten und engagierten Betriebsräten hängt dem gegenüber für die Arbeitnehmer in erheblichem Maße die Sicherheit ihrer Arbeitsplätze ab. Die heutige Medienpräsenz vieler Betriebsratsvorsitzen und der dadurch erzielte Einfluss auf die politischen Parteien der zeigt ihr meist wirkungsvolles Auftreten für die Arbeitsplatzsicherung in vielen Unternehmen 16. Dadurch, dass das Betriebsratsamt ein Wahlamt ist und anlässlich der regelmäßigen Betriebsratswahlen wie bei den politischen Wahlen Wahlkämpfe geführt werden, ist die Zusammenarbeit von Arbeitgeber und Betriebsrat in erster Linie politisch und psychologisch zu sehen und erst in zweiter Linie juristisch. 17. Das Aufstellen von praxisnahen Spiel- und Verhaltensregeln führt zu schnellen, flexiblen und reibungsloseren Abläufen in der Zusammenarbeit von Arbeitgebern und Betriebsräte und dauerhaften Lösungen. Präventivmaßnahmen verringern Konflikte im Betrieb. 18. Kostenmanagement in der Mitbestimmung kann zu einem Wettbewerbsvorteil führen, wenn Entscheidungen schneller, qualifizierter gefällt und von beiden Seiten getragen werden, ohne dass sich Mitbestimmungsrechte verändern. Der Betriebsrat trägt dann in einem erheblichen Maße zur Prosperität eines Unternehmens bei. 19. Betriebsverfassungskultur kann daher nur unternehmensweite Langfriststrategie sein und muss ständig von Arbeitgebern und Betriebsräten gepflegt werden. 4