HIV-Patienten in der Praxis

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Praxis
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HIV-Patienten in der Praxis
Große Resonanz bei den 15. Münchner AIDS- und Hepatitis-Tagen
Längst haben die Münchner AIDS- und HepatitisTage ihren festen Platz im Fortbildungskalender der
Ärzte. Der Kongress, der bundesweit als wichtigste
Veranstaltung auf dem Gebiet der HIV- und Hepatitis-Forschung gilt, hat sich zum Ziel gesetzt, alle
mit HIV- und Hepatitis-Patienten arbeitenden Berufsgruppen auf den neuesten Forschungs- und Wissensstand zu bringen. Erstmals gab es auch einen
Workshop zum Thema „HIV und Zahnmedizin“.
Prof. Dr. Johannes Bogner, Leiter der Sektion klinische Infektiologie am Klinikum der Universität
München, berichtete über Erfolge in der HepatitisTherapie und die Konsequenzen, die sich für die Infektiösität und Prävention in der zahnärztlichen
Praxis ergeben. So konnte laut Bogner das Therapieziel der nicht nachweisbaren Viruslast bei mindestens 95 Prozent der unter einer effektiven Behandlung stehenden Patienten erreicht werden. Eine Übertragung nach parenteraler Exposition sei somit nur
bei nicht behandelten oder virämischen Patienten
möglich. Die praktische Konsequenz für den Zahnarzt: Er sollte über die Viruslast informiert sein. Bei
einer Nadelstichverletzung werde nach den neuen
deutsch-österreichischen Leitlinien zur Postexpositionsprophylaxe (PEP) in der Situation der reproduzierbar nicht nachweisbaren Viruslast eine medikamentöse PEP nicht empfohlen. Auch im Falle
der chronisch-virämischen Virushepatitiden konnte
Bogner über Therapiefortschritte berichten. Anders
als bei einer HIV-Infektion oder Hepatitis B, komme
es bei Hepatitis C nach erfolgreicher Therapie zur
Ausheilung. Dies habe dazu geführt, dass der Anteil der Patienten mit ausgeheilter Infektion angestiegen sei. Nicht virämische Patienten oder solche
mit ausgeheilter HCV-Infektion könnten somit gefahrlos behandelt werden, so Bogner. Im Gegensatz
zu HIV gebe es für die parenterale Exposition nach
Kontakt mit virushaltigem Material keine PEP. Eine
Schutzimpfung für Hepatitis B sollte für alle Mitarbeiter in der zahnärztlichen Praxis obligat sein.
Routinevorschriften beachten
Über Hygienemaßnahmen bei der zahnärztlichen
Behandlung von infektiösen Patienten informierte
Christian Berger, Vizepräsident der Bayerischen
Landeszahnärztekammer. Bei HIV- und HepatitisInfizierten kämen entsprechend den Richtlinien
des Robert Koch-Instituts die gleichen Hygienestandards zum Tragen wie bei anderen Patienten.
Für Infizierte sei weder ein eigener Behandlungsraum notwendig, noch aus hygienischen Gründen
eine Behandlung am Ende des Praxistages erforderlich. Auch für die Desinfektion patientennaher
Flächen und die sachgerechte Aufbereitung der verwendeten Medizinprodukte genüge die Einhaltung
der routinemäßig erforderlichen Hygienemaßnahmen. Eine Übertragung über Speichelkontakt oder
durch Aerosolbildung im Oropharynx sei nicht möglich, betonte Berger.
Keine Sonderbehandlung von Patienten
Dr. Albrecht Ulmer stellte das Zahnärzte-HIV-Projekt Baden-Württemberg vor. Hier haben sich unter anderem AIDS-Hilfen, Beratungsstellen, das
Landesgesundheitsamt, Schwerpunktpraxen, das
Sozialministerium und die Zahnärztekammer zusammengetan und eine Serie von Fortbildungen
organisiert, die bisher bereits über 2 000 Zahnärzte
erreicht hat. Ulmers Kernaussage: keine Sonderbehandlung für Infektionspatienten. Bei allen Virusinfektionen gebe es eine große Zahl Betroffener, die laut Ulmer nichts von ihrer Infektion wüssten. Deshalb müsse bei jedem Patienten davon ausgegangen werden, dass eine Infektion vorliegen
könnte und somit bestmöglicher Schutz zu gewährleisten sei. Jegliche Sondermaßnahmen würden
auf eine Schwachstelle im sonst üblichen Hygienemanagement hindeuten.
Wichtiges Glied in der Diagnostik-Kette
Welche Bedeutung dem Zahnarzt für die Diagnostik sexuell übertragbarer Infektionen (STI) und
damit auch in der Infektionsprävention zukommt,
erläuterte Prof. Dr. Helmut Schöfer, Dermatologe
am Klinikum der Goethe-Universität Frankfurt am
Main. Sichtbare Veränderungen fänden sich vor
allem bei Syphilis, bei einer akuten HIV-Infektion,
im Verlauf der HIV-Erkrankung bei opportunistischen Infektionen sowie bei humanen Herpes- und
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Papillomvirus-Infektionen. Bei unbehandelten und
eventuell auch noch nicht diagnostizierten HIVPatienten sei die orale Haarleukoplakie ein wichtiges klinisches Merkmal der HIV-Infektion und
der fortgeschrittenen Immundefizienz. Wegen des
häufig zunächst asymptomatischen Verlaufs der
STI-Erkrankungen, der Häufigkeit der oralen Mitbeteiligung und der guten Zugänglichkeit der
Mundhöhle für eine sorgfältige, nicht schambelastete Inspektion sollte der Zahnarzt die oralen Manifestationen dieser Infektionen erkennen, lautete
das Fazit von Schöfer.
Aktuelle Aspekte der
zahnmedizinischen Infektiologie
Prof. Dr. Petra Schumm-Draeger vom Klinikum
München-Bogenhausen berichtete über die Insulinresistenz und Inflammation am Beispiel der Zahnmedizin. Bei stetig steigender Diabetesprävalenz in
Deutschland hob sie insbesondere die orale Manifestation des Diabetes in Form von Parodontalerkrankungen hervor. Dabei gibt es laut SchummDraeger ein wechselseitiges Verhältnis zwischen
Diabetes und Parodontitis. Während Diabetes sowohl Entstehung, Progression als auch Schweregrad der Parodontitis begünstige, beeinflusse die
Parodontitis die Stoffwechselkontrolle des Diabetes
negativ – vor allem durch eine Verstärkung der
Insulinresistenz. Bemerkenswert sei, so SchummDraeger, dass schon bei Nicht-Diabetikern der Blutglukosespiegel mit Parodontitis beziehungsweise
deren Schweregrad assoziiert und das Risiko für die
Entstehung einer gestörten Glukosetoleranz, Insulinresistenz oder eines manifesten Diabetes mellitus
als Folge der parodontalen Erkrankung signifikant
erhöht sei. Im Rahmen der zahnärztlichen Diagnose könne deshalb ein Diabetes-Risiko-Test oder
eine Blutzuckermessung bei Vorliegen einer manifesten Parodontitis durchaus hilfreich sein. Eine erfolgreiche Parodontaltherapie gelinge nur bei guter
glykämischer Einstellung. Umgekehrt müsse die
Behandlung von parodontalen Infekten integraler
Bestandteil der Diabetestherapie sein, lautete die
praktische Konsequenz von Schumm-Draeger.
Auf die Pathogenese der Parodontitis und ihrer
Folgeerkrankungen ging Dr. Rudolf Raßhofer ein.
Er hob die Bedeutung der engen Verflechtung zwischen Erreger-Virulenz und Wirts-Immunsystem im
Rahmen der Pathogenese hervor. So gelte beispielsweise Porphyromonas gingivalis als wichtigster Erreger bei der chronischen Parodontitis. Durch die
Produktion citrullinierender Enzyme verändere er
die Gingivazellen, sodass diese vom Immunsystem
als fremd erkannt und abgebaut werden. Auch
spiele der Erreger unter allen Parodontitis-Markerkeimen die größte Rolle bei der Entwicklung von
Folgeerkrankungen wie thromboembolischen Ereignissen und rheumatoiden Arthritiden, so Raßhofer. Besondere Bedeutung habe deshalb der Keimtest bei der Feststellung von Markerkeimen im Rahmen einer adjuvanten Parodontitisbehandlung.
Parodontalbehandlung bei
HIV-seropositiven Patienten
Wie das klinische Management bei der Parodontitis-Behandlung von HIV-Patienten aussieht, erläuterte Dr. Christina Ern von der Poliklinik für
Zahnerhaltung und Pardodontologie am Klinikum München. Sie betonte, dass es bei Patienten,
die unter dem Einfluss der hochaktiven antiretroviralen Therapie stehen, keine wesentlichen Unterschiede in der Diagnostik und Therapie mehr gebe.
Dass man in den Industrienationen typische HIVassoziierte Mundschleimhautbefunde wie die orale
Candidose nur noch aus Lehrbüchern kenne, sei
ebenfalls dem guten Therapieregime zu verdanken. Jedoch gewinne mit der deutlich verlängerten
Überlebensrate die chronische Parodontitis – parallel zur Gesamtbevölkerung – an Bedeutung.
Prädisponierende Faktoren einer Parodontitis wie
etwa schlechte Mundhygiene oder Fehlernährung
kämen bei HIV-Patienten seltener vor, da diese in
der Regel über ein gutes Gesundheitsbewusstsein
verfügen. Nachteilig wirke es sich allerdings aus,
wenn Co-Faktoren wie Nikotinabusus, Alkohol
und Stress im Spiel sind. Auch Co-Morbiditäten
wie Diabetes und Nebenwirkungen von Medikamenten hätten einen negativen Einfluss auf Entstehung und Verlauf einer Parodontitis, berichtete
Ern. Ergebe die Taschenmessung Werte von über
sechs Millimetern, könne eine adjuvante Parodontitisbehandlung – gegebenenfalls mit vorausgehender mikrobiologischer Keimbestimmung – erforderlich sein. Hier sei es besonders wichtig, bei
der Wahl des Antibiotikums auf etwaige Wechselwirkungen mit der HIV-Medikation zu achten.
Allen Referenten gelang es, mit längst überholten
Vorurteilen und Unsicherheiten aufzuräumen und
durch sachliche Informationen den Weg für einen
professionellen Umgang mit Infektionspatienten
in der zahnärztlichen Praxis zu ebnen.
Marc Auerbacher
LMU München
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