42 BZB Mai 14 Praxis BLZK HIV-Patienten in der Praxis Große Resonanz bei den 15. Münchner AIDS- und Hepatitis-Tagen Längst haben die Münchner AIDS- und HepatitisTage ihren festen Platz im Fortbildungskalender der Ärzte. Der Kongress, der bundesweit als wichtigste Veranstaltung auf dem Gebiet der HIV- und Hepatitis-Forschung gilt, hat sich zum Ziel gesetzt, alle mit HIV- und Hepatitis-Patienten arbeitenden Berufsgruppen auf den neuesten Forschungs- und Wissensstand zu bringen. Erstmals gab es auch einen Workshop zum Thema „HIV und Zahnmedizin“. Prof. Dr. Johannes Bogner, Leiter der Sektion klinische Infektiologie am Klinikum der Universität München, berichtete über Erfolge in der HepatitisTherapie und die Konsequenzen, die sich für die Infektiösität und Prävention in der zahnärztlichen Praxis ergeben. So konnte laut Bogner das Therapieziel der nicht nachweisbaren Viruslast bei mindestens 95 Prozent der unter einer effektiven Behandlung stehenden Patienten erreicht werden. Eine Übertragung nach parenteraler Exposition sei somit nur bei nicht behandelten oder virämischen Patienten möglich. Die praktische Konsequenz für den Zahnarzt: Er sollte über die Viruslast informiert sein. Bei einer Nadelstichverletzung werde nach den neuen deutsch-österreichischen Leitlinien zur Postexpositionsprophylaxe (PEP) in der Situation der reproduzierbar nicht nachweisbaren Viruslast eine medikamentöse PEP nicht empfohlen. Auch im Falle der chronisch-virämischen Virushepatitiden konnte Bogner über Therapiefortschritte berichten. Anders als bei einer HIV-Infektion oder Hepatitis B, komme es bei Hepatitis C nach erfolgreicher Therapie zur Ausheilung. Dies habe dazu geführt, dass der Anteil der Patienten mit ausgeheilter Infektion angestiegen sei. Nicht virämische Patienten oder solche mit ausgeheilter HCV-Infektion könnten somit gefahrlos behandelt werden, so Bogner. Im Gegensatz zu HIV gebe es für die parenterale Exposition nach Kontakt mit virushaltigem Material keine PEP. Eine Schutzimpfung für Hepatitis B sollte für alle Mitarbeiter in der zahnärztlichen Praxis obligat sein. Routinevorschriften beachten Über Hygienemaßnahmen bei der zahnärztlichen Behandlung von infektiösen Patienten informierte Christian Berger, Vizepräsident der Bayerischen Landeszahnärztekammer. Bei HIV- und HepatitisInfizierten kämen entsprechend den Richtlinien des Robert Koch-Instituts die gleichen Hygienestandards zum Tragen wie bei anderen Patienten. Für Infizierte sei weder ein eigener Behandlungsraum notwendig, noch aus hygienischen Gründen eine Behandlung am Ende des Praxistages erforderlich. Auch für die Desinfektion patientennaher Flächen und die sachgerechte Aufbereitung der verwendeten Medizinprodukte genüge die Einhaltung der routinemäßig erforderlichen Hygienemaßnahmen. Eine Übertragung über Speichelkontakt oder durch Aerosolbildung im Oropharynx sei nicht möglich, betonte Berger. Keine Sonderbehandlung von Patienten Dr. Albrecht Ulmer stellte das Zahnärzte-HIV-Projekt Baden-Württemberg vor. Hier haben sich unter anderem AIDS-Hilfen, Beratungsstellen, das Landesgesundheitsamt, Schwerpunktpraxen, das Sozialministerium und die Zahnärztekammer zusammengetan und eine Serie von Fortbildungen organisiert, die bisher bereits über 2 000 Zahnärzte erreicht hat. Ulmers Kernaussage: keine Sonderbehandlung für Infektionspatienten. Bei allen Virusinfektionen gebe es eine große Zahl Betroffener, die laut Ulmer nichts von ihrer Infektion wüssten. Deshalb müsse bei jedem Patienten davon ausgegangen werden, dass eine Infektion vorliegen könnte und somit bestmöglicher Schutz zu gewährleisten sei. Jegliche Sondermaßnahmen würden auf eine Schwachstelle im sonst üblichen Hygienemanagement hindeuten. Wichtiges Glied in der Diagnostik-Kette Welche Bedeutung dem Zahnarzt für die Diagnostik sexuell übertragbarer Infektionen (STI) und damit auch in der Infektionsprävention zukommt, erläuterte Prof. Dr. Helmut Schöfer, Dermatologe am Klinikum der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Sichtbare Veränderungen fänden sich vor allem bei Syphilis, bei einer akuten HIV-Infektion, im Verlauf der HIV-Erkrankung bei opportunistischen Infektionen sowie bei humanen Herpes- und Praxis BZB Mai 14 43 BLZK Papillomvirus-Infektionen. Bei unbehandelten und eventuell auch noch nicht diagnostizierten HIVPatienten sei die orale Haarleukoplakie ein wichtiges klinisches Merkmal der HIV-Infektion und der fortgeschrittenen Immundefizienz. Wegen des häufig zunächst asymptomatischen Verlaufs der STI-Erkrankungen, der Häufigkeit der oralen Mitbeteiligung und der guten Zugänglichkeit der Mundhöhle für eine sorgfältige, nicht schambelastete Inspektion sollte der Zahnarzt die oralen Manifestationen dieser Infektionen erkennen, lautete das Fazit von Schöfer. Aktuelle Aspekte der zahnmedizinischen Infektiologie Prof. Dr. Petra Schumm-Draeger vom Klinikum München-Bogenhausen berichtete über die Insulinresistenz und Inflammation am Beispiel der Zahnmedizin. Bei stetig steigender Diabetesprävalenz in Deutschland hob sie insbesondere die orale Manifestation des Diabetes in Form von Parodontalerkrankungen hervor. Dabei gibt es laut SchummDraeger ein wechselseitiges Verhältnis zwischen Diabetes und Parodontitis. Während Diabetes sowohl Entstehung, Progression als auch Schweregrad der Parodontitis begünstige, beeinflusse die Parodontitis die Stoffwechselkontrolle des Diabetes negativ – vor allem durch eine Verstärkung der Insulinresistenz. Bemerkenswert sei, so SchummDraeger, dass schon bei Nicht-Diabetikern der Blutglukosespiegel mit Parodontitis beziehungsweise deren Schweregrad assoziiert und das Risiko für die Entstehung einer gestörten Glukosetoleranz, Insulinresistenz oder eines manifesten Diabetes mellitus als Folge der parodontalen Erkrankung signifikant erhöht sei. Im Rahmen der zahnärztlichen Diagnose könne deshalb ein Diabetes-Risiko-Test oder eine Blutzuckermessung bei Vorliegen einer manifesten Parodontitis durchaus hilfreich sein. Eine erfolgreiche Parodontaltherapie gelinge nur bei guter glykämischer Einstellung. Umgekehrt müsse die Behandlung von parodontalen Infekten integraler Bestandteil der Diabetestherapie sein, lautete die praktische Konsequenz von Schumm-Draeger. Auf die Pathogenese der Parodontitis und ihrer Folgeerkrankungen ging Dr. Rudolf Raßhofer ein. Er hob die Bedeutung der engen Verflechtung zwischen Erreger-Virulenz und Wirts-Immunsystem im Rahmen der Pathogenese hervor. So gelte beispielsweise Porphyromonas gingivalis als wichtigster Erreger bei der chronischen Parodontitis. Durch die Produktion citrullinierender Enzyme verändere er die Gingivazellen, sodass diese vom Immunsystem als fremd erkannt und abgebaut werden. Auch spiele der Erreger unter allen Parodontitis-Markerkeimen die größte Rolle bei der Entwicklung von Folgeerkrankungen wie thromboembolischen Ereignissen und rheumatoiden Arthritiden, so Raßhofer. Besondere Bedeutung habe deshalb der Keimtest bei der Feststellung von Markerkeimen im Rahmen einer adjuvanten Parodontitisbehandlung. Parodontalbehandlung bei HIV-seropositiven Patienten Wie das klinische Management bei der Parodontitis-Behandlung von HIV-Patienten aussieht, erläuterte Dr. Christina Ern von der Poliklinik für Zahnerhaltung und Pardodontologie am Klinikum München. Sie betonte, dass es bei Patienten, die unter dem Einfluss der hochaktiven antiretroviralen Therapie stehen, keine wesentlichen Unterschiede in der Diagnostik und Therapie mehr gebe. Dass man in den Industrienationen typische HIVassoziierte Mundschleimhautbefunde wie die orale Candidose nur noch aus Lehrbüchern kenne, sei ebenfalls dem guten Therapieregime zu verdanken. Jedoch gewinne mit der deutlich verlängerten Überlebensrate die chronische Parodontitis – parallel zur Gesamtbevölkerung – an Bedeutung. Prädisponierende Faktoren einer Parodontitis wie etwa schlechte Mundhygiene oder Fehlernährung kämen bei HIV-Patienten seltener vor, da diese in der Regel über ein gutes Gesundheitsbewusstsein verfügen. Nachteilig wirke es sich allerdings aus, wenn Co-Faktoren wie Nikotinabusus, Alkohol und Stress im Spiel sind. Auch Co-Morbiditäten wie Diabetes und Nebenwirkungen von Medikamenten hätten einen negativen Einfluss auf Entstehung und Verlauf einer Parodontitis, berichtete Ern. Ergebe die Taschenmessung Werte von über sechs Millimetern, könne eine adjuvante Parodontitisbehandlung – gegebenenfalls mit vorausgehender mikrobiologischer Keimbestimmung – erforderlich sein. Hier sei es besonders wichtig, bei der Wahl des Antibiotikums auf etwaige Wechselwirkungen mit der HIV-Medikation zu achten. Allen Referenten gelang es, mit längst überholten Vorurteilen und Unsicherheiten aufzuräumen und durch sachliche Informationen den Weg für einen professionellen Umgang mit Infektionspatienten in der zahnärztlichen Praxis zu ebnen. Marc Auerbacher LMU München