Wann kann Gewalt und Delinquenz psychisch Kranker in der Allgemeinpsychiatrie nicht mehr gemanagt werden ? Es kommt darauf an ! Häufigkeit von Patientenübergriffen auf Mitarbeiter in psychiatrischen Einrichtungen I Es fehlt an genauen Daten! ❧ es gibt keine einheitliche Erfassung/keine einheitliche Definition von Gewalt, ❧ es wird spontan selten berichtet, unabhängig von der Schwere der Gewalt !, ❧ es gibt kein einheitliches Vorgehen nach Gewalttaten psychisch Kranker gegenüber in der Psychiatrie Tätigen. Häufigkeit von Patientenübergriffen auf Mitarbeiter in psychiatrischen Einrichtungen II ❧ ca. 80 % befragter Schwestern und Pfleger haben Gewalterfahrungen gemacht GB: Whittington 1994 USA: Tardiff 1996 D: Steinert et al. 1995 ❧ ca. 20 % befragter Klinikärzte wurden 1 x, 10 % mehrmals von Patienten innerhalb eines Jahres angegriffen. Patientenbezogene Faktoren Gewalt in der Psychiatrischen Klinik Teamfaktoren Stationsbezogene Faktoren Patientenbezogene Faktoren ❧ Vorgeschichte von Aggressivität ❧ Feindseligkeit ❧ Ausgeprägte Psychopathologie/Chronifizierung, nicht die Diagnose (außer Schizophrenie ?) ❧ Psychosoziale Merkmale: „Junge Männer, ohne/begrenzte Arbeitsintegration „... ❧ Intoxikationen etc. Teambezogene Faktoren ❧ Unzureichende Personalausstattung/Kontinuität, aber: mehr Personal führt nicht automatisch zur Reduktion von Aggression (Cheung 1996) ❧ Mangel an Erfahrung ❧ Mangel an Verständnis – Einfühlung ❧ Mangel an Ausbildung ❧ Emotionale Folgen früherer Aggressionen (Erleiden von Zerstörung, Schuld, Ohnmacht, fachlichem Ungenügen, moralischem Versagen, Pflichtversäumnis) (14% Auffälligkeiten in einem PTSD Interview, Richter/Berger Nervenarzt 2001) Stationsbezogene Faktoren ❧ Enge, aber: Halbierung der Patientenzahl führt nicht unbedingt zu Halbierung der Aggression (Palmstierna 1995) ❧ Konzentrierung agitierter Patienten ❧ Schlechte Stationsatmosphäre ❧ Inadäquate Architektur ZSP Herborn ❧ Klagen über viele Fixierungen bzw. aggressive Patienten ❧ Keine Erhebung der Häufigkeit und der Verteilung in der Klinik ❧ Keine Erhebung der Belastung des Personals Einige Reaktionen ❧ Einführung PART ❧ Erhebung der Häufigkeit aggressiven Verhaltens ❧ Helferkonferenz PART - Übersicht ❧ Ziel: Was tut unsere Einrichtung, um sichere Alternativen zu gewalttätigem Verhalten zu fördern ? ❧ Professionalität: Was brachte mich zu dieser Arbeit, was hält mich hier, was sind meine Einstellungen gegenüber meinen Klienten, bin ich den Herausforderungen meiner Arbeit gewachsen ? ❧ Vorbereitung: Selbstkontrolle Kleidung, Beweglichkeit, Beobachtung, ❧ Identifikation der Auslöser und Alternativen ❧ Reaktionsweisen: Krisenintervention, Ausweichen, Festsetzen, Psychopharmaka ❧ Berichten: Geben meine Berichte den Vorfall und die Interventionen genau wieder ? Erfassungsbogen Erfassungsbogen zu Aggressionsund Gewaltsituationen Name: Vorname Geburtsdatum: Station: Diagnose: Rechtssituation des Patienten /der Patientin: freiwillig Einweisung nach HFEG Unterbringung nach Betreuungsrecht Unterbringung nach § 70 FGG 1. Kurze Beschreibung des Vorfalls Ort des Vorfalls: auf der Station außerhalb: Datum/Zeit/Dauer des Vorfalls: ...................................................................................................................................................................................................................... ...................................................................................................................................................................................................................... ...................................................................................................................................................................................................................... ...................................................................................................................................................................................................................... .......................................................................................................................................................... 2. Anwesende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zum Zeitpunkt des Vorfalls Krankenpflege ärztl./psychol. Behandler/in Sozialdienst Auszub./Prakt. ............ 3. Autoaggressive Handlungen und ihre Folgen: Ergoth. ...................................................................................................................................................................................................................... ........................................................................................................................................ 4. Fremdaggressive Handlungen: Ziel der Auswirkungen Therapeutische Vom/von PatiAuslöser der agAggression ent/in benutzte gressiven HandInterventionen Mittel lungen Ziellos Beleidigungen keine keine Kein nachvollziehGegenstände und verbale Gegenstände Gespräch mit barer Auslöser Mitarbeiter: beschädigt Patient Konflikt mit Mitpat. Drohungen Krankenpflege physische BePersonen: Situation wird Konflikt mit BesuArzt/ Psychol. drohung (durch Gefühl von entzerrt, z.B. cher/Innen Hauswirtschaft Bedrohung drohende Patient/in aufs Konflikte um theAzub. etc. Körperhaltung Schmerzdau- Zimmer gebeten rap. Maßnahmen Andere Berufsetc.) er > 10 Min. EinzelbetreuAufnahmegruppe: .......... Faustschläge Sichtbare ung Situation o.ä. Verletzung orale BeTherapieMitpatiFußtritte Zuhilfenahme o.ä. Behandlung darfsmedikation Teilnahme ent/innen von Gegenständurch Arzt nötig ZwangsmediRegelverstöße andere Persoden, WelPatient (Ver- kation Medikament. Einnen Geschlecht: che.......... letzung Festhalten nahme männl. Beißen/ Spuo.ä.):............ des Patienten Gespräche weibl. .................... Fixierung Entweichungsver- cken Würgeversuch Hinzuziehen such Andere Mittel: von Polizei Andere Gründe: .............. Sonstiges: ............. Fixierungen und Zwangsmedikation müssen auf den dafür vorgesehenen Formularen erfasst werden ! Datum: Zeit: Unterschrift: • per Fax an das Sekretariat Ärztlicher Direktor Fax- Nr. 374 • per Fax an das Sekretariat Pflegedienstleitung Fax- Nr. 388 • Kopie an Ltd. Arzt/Ärztin Auswertung I Hohe Dunkelziffer !! Nur 36 % der Personals füllen Bögen komplett aus (Thackrey M., Bobitt RG., Hosp. community Psychiatry 1990) Gründe: ❧ Erhebungsbogen noch nicht allen bekannt ! ❧ Unsicherheit in der Beurteilung der Situation, ist Bedrohung Berufsrisiko, wann fängt Bedrohung an ? ❧ Muss es erst zu Tätlichkeiten und Verletzungen kommen ? ❧ Muss ich mich anschließend rechtfertigen, da ich namentlich bekannt bin ? ❧ Aufwand ohne Konsequenz ! ❧ Gibt es einen Straftatbestand z.B. der Körperverletzung ? ❧ Was passiert bei Vorsätzlichkeit, auch bei Sachbeschädigung ? ❧ Datenschutz ? ❧ Was passiert mit den Informationen ? Auswertung II (Vorläufig) ❧ Unterschiedliches Handling von Fixierung und/oder Zwangsmedikation (Isolierung ?) ❧ Schwelle dazu eher gleich ❧ Aber: „Gewalt muss man hier in Kauf nehmen !“ ❧ Wenige Patienten sind für den Grossteil der Zwischenfälle verantwortlich ! ❧ Täter – Opfer – Dynamik Aspekte der Täter–Opfer–Dynamik Berufliche und menschliche Kompetenz der Behandler wird getroffen Mögliche Folge: Differenzierte Betrachtung und Verarbeitung Aspekte der Täter–Opfer–Dynamik Oder aber: „Fehlersuche“, Selbstvorwürfe, Schuldgefühle, zunehmende Zweifel an beruflicher Qualifikation etc., latente „Allzuständigkeit“ Folge: Der aggressive Patient wird entschuldigt, bleibt trotz massiver Aggressivität in der Klinik ! Aspekte der Täter–Opfer–Dynamik Der Behandler erleidet nicht nur die Gewalt bzw. Zerstörung sondern erträgt auch die Schuld, die Ohnmacht, das Gefühl fachlichen Ungenügens, evt. auch moralischen Versagens und Pflichtversäumnisses. Mögliche Reaktionen: Teilung in eine gute, gewaltfreie und eine böse gewaltsame Psychiatrie, gern auch psychotherapeutisch vs. biologisch, Annahme der Zugehörigkeit zu den „Guten“ Behandlung einer menschlichen Qualität als Sache durch z.B. durch sprachliche Mittel: „Therapieresistenz, Fremd- und Selbstgefährdung“ Der Patient wird als Merkmalsträger gesehen ! Einige Denkmuster mit der Gefahr der Vereinfachung Gewalt als Symptom psychischer Störung: ● ● Suizidneigung bei Depression, Raptus bei Katatonie, Impulshandlung bei Borderline - Störungen... narzisstische Wut bei strukturellen Defiziten und Frustrationen Gewalt als Ursache psychischer Störung ● PTSD, frühkindliche Traumata, Kranker als Opfer des „Systems“ (Familie ...) Strukturelle Gewalt ● ● ● Patientengewalt als Gegenaggression Mehrfach - aggressive Patienten als Rollenträger: „Der X kommt wieder....!“ „Wir sind in der Lage mit solchen Kunden umzugehen“ Ziel: Erhalt der Teamidentität Einige Aufgaben ❧ Patienteninteresse erkennen und berücksichtigen, aber nicht jede Verantwortung absprechen ❧ Schutzinteressen Dritter berücksichtigen ❧ Selbstschutz incl. Erhalt des therapeutischen Engagements ❧ Eigene Bedürfnisse und Ängste reflektieren, aber nicht jede Verantwortung übernehmen ❧ Gruppendynamik und institutionelle Eigenmechanismen erkennen Mit welchen Patienten kommt die Allgemeinpsychiatrie an ihre Grenzen ? ❧Früh auffällige Persönlichkeiten mit langer dissozialer Vorgeschichte ❧Nicht „nur vorübergehendes“ „beträchtliches“ Gewaltpotential ❧Weitere ! Wie geht die „Versorgungspsychiatrie“ mit gewalttätigen Patenten um ? „Nur wenige Patienten wurden in den Maßregelvollzug verlegt. Die Tendenz aggressive Patienten so schnell wie möglich abzuschieben und damit die forensische Psychiatrie zu missbrauchen, kann aus dieser Untersuchung nicht abgeleitet werden.“ (Kieser Chr., Fähndrich E. Psychiatr. Prax. 2003;127-132)