Zwischen Aufklärung und Aufregung - 50 Jahre Schwule und Lesben in der Bravo Bravo ist Europas bekanntestes Jugendmagazin und hat bereits mehrere Generationen von Jugendlichen aufgeklärt und ihre Eltern aufgeregt. Sie wird von Millionen gelesen, als Kultblatt geliebt und später als Wegwerfprodukt zerfleddert. In der Sekundärliteratur ist zwar schon viel über Dr. Sommer geschrieben worden– das Synonym für sexuelle Aufklärung – es fehlte bisher jedoch stets eine Untersuchung zu Schwulen und Lesben. Das ist schade und so möchten wir vom Centrum Schwule Geschichte nun unsererseits die Öffentlichkeit über die Bravo aufklären - über das, was in ca. 900 Beiträgen aus 2600 einzelnen Heften über Schwule und Lesben berichtet wurde. Aus Zeitungen kannten wir bisher das Öffentliche, wie den § 175 und die Homo-Ehe. Aus der Bravo lernen wir nun das Private kennen: Fragen, die vor lauter Scham Eltern und Lehrern nie gestellt wurden. Wir erfahren den Zeitgeist mehrerer Generationen auf einer sehr persönlichen Ebene. Naive und unschuldige Leserbriefe, die einen vielleicht sogar an das eigene Coming Out erinnern: das schlechte Gewissen, das nicht-reden-können und die Angst, dass es nicht nur eine Phase ist. Dabei fing alles 1956 sehr unauffällig an. Die Zeitschrift mit dem jungen Herzen war noch gar keine richtige Jugendzeitschrift und Homosexualität wurde bis Anfang der 60er Jahre eh weitgehend tabuisiert - nicht nur in der Bravo. Der große Star der Bravo jener Zeit war Rock Hudson, der als ein Mann mit Ehe-Angst portraitiert wird. Erst Jahrzehnte später – kurz vor seinem Tod – wird Rock Hudson offen schwul auftreten. Ab Mitte der 60er Jahre erhalten Bravo-Leser Hilfe bei Liebesproblemen. Diese hatte nichts mit Sexualaufklärung zu tun und war auch vom psychologischen Standpunkt aus nicht seriös, denn verantwortlich war die damals 47-jährige Erfolgsautorin diverser Liebesromane Marie Louise Fischer, die unter den Pseudonymen Dr. Christoph Vollmer und Dr. Kirsten Lindstroem den Lesern die Probleme einfach wegredete. Homoerotische Erfahrungen während der Pubertät werden von ihr als natürlich dargestellt, die gefestigte Homosexualität jedoch bis Ende der 60er Jahre als pathologisch angesehen. Man glaubt an die Möglichkeit der Verführung und Heilung. Ende 1969 übernimmt Dr. Goldstein (alias Dr. Sommer) die Aufklärung und die Redaktion wird von Vorurteilen weitgehend geheilt. In den 70er Jahren steigt der Umfang der schwullesbischen Berichterstattung auf ca. 10 Beiträge an, aber es wird auch konsequenterweise die Unzüchtigkeit der Bravo breit diskutiert. Die ersten Indizierungen werden 1972 u.a. wegen Beiträgen zu gleichgeschlechtlichen Handlungen ausgesprochen. In zwei Heften geht es dabei um Mädchen (Heft 6) und Jungen (Heft 7), die sich gegenseitig befriedigen. Den beiliegenden Text aus Heft 7 sollten Jugendliche nicht zu lesen bekommen. Bei beiden Artikeln der wegen Homosexualität indizierten Hefte 6 und 7 wurden Fotografien von David Hamilton verwendet. Der Fotograf Hamilton wurde später als Regisseur von Softpornofilmen wie Bilitis (1977, 1992) und Zärtliche Cousinen (1980) als Weichzeichner-Fotograf bekannt. Mit dem ersten deutschen schwulen Schlager 1976 (Bernd Clüver mit Mike und sein Freund) lohnt es sich auch den Musikteil der Bravo zu lesen. Wir erfahren dort z.B. 1979, dass Village People wegen einer einzigen Zeile in ihrem Lied Y.M.C.A. von den Amerikanern gehasst werden – die Schwulen lieben sie bis heute. In den 80er outen sich u.a. Jimmy Somerville und Frankie goes to Hollywood und werden so zu wichtigen Identifikationsfiguren. Die Aufklärung bleibt jedoch weiterhin traditionell der Bereich, in denen man am ehesten über gleichgeschlechtliche Sexualität unterrichtet wird. Die Ratschläge des Dr. Sommer-Teams sind psychologisch stimmig und werden ihrem Anspruch gerecht, auch alle schwul-lesbischen Fragen ernst zu nehmen. Hier wird kein Blatt vor den Mund und kein Balken vor das Geschlechtsteil genommen. Die Fragen der Jugendlichen werden dabei nicht nur technisch beantwortet, sondern auch emotional eingebunden. Die Jugendlichen erfahren hier auch Widerspruch und Warnungen in Verbindung mit einer für sie verständlichen Begründung. Man kann es schon fast schade finden, dass es ein Korrektiv wie Dr. Sommer nicht auch auf den Film- und Musikseiten gibt, wo sich die Bravo von der Yellow-Press nur bei dem Alter der Zielgruppe unterscheidet. Einige der veröffentlichten Leserbriefe scheinen dabei auch nach ihrem Unterhaltungswert zusammengestellt worden sein. Manche Leserbriefe – wie der hier abgedruckte von 1974 – streifen aber vielleicht auch nur wegen der zeitlichen Distanz das Gebiet der Komik. Bravo ist eine spannende und informative Quelle, wenn man sich dafür interessiert, wie Jugendliche in der Pubertät auf der Suche nach sich und einem sexuellen Gegenüber denken und handeln. Dem Alter der Zielgruppe entsprechend werden Schwule und Lesben mit einer gefestigten sexuellen Orientierung nur selten behandelt. Auch heute noch bewegt sich die Bravo an der Grenze der Legalität und überschreitet sie zuweilen, was aus Indizierungen der 90er Jahre ersichtlich ist. Im Blickpunkt des Jugendschutzes steht z.B. die Rubrik Thats me, in der sich Jugendliche nackt fotografieren lassen und über ihre sexuellen Erfahrungen berichten. Berichte von Schwulen und Lesben – wie die abgedruckte von Silas von 2004 – sind hier regelmäßig zu finden. Der quantitative Höhepunkt schwul-lesbischer Berichterstattung wurde mit mehr als 30 Beiträgen im Jahr zwischen 2002 und 2005 erreicht. Eine Regenbogenseite mit Tipps für das Coming Out, Erfahrungsberichten und Hinweise auf Bücher und Adressen wurde Anfang 2003 nach einem Jahr wieder eingestellt. Bravo bietet vieles für die unterschiedlichsten Zielgruppen - zum aufgeilen, aufregen und auswerten. Erwin In het Panhuis