F a c hwissen Energieverbrauch trotz Auflagen halbiert Text Achim Pilz* Bilder Christian Kandzia Bei der Sanierung eines über 500 Jahre alten Riegelhauses in Süddeutschland galt es, pfiffig zu detaillieren, damit die Fassade aus historischen und modernen Materialien auch nach ihrer Dämmung ihren Charme behält. Auch das Dichtigkeitskonzept ist kein Standard. Die speziell entwickelten Lösungen mit Kalk lassen ein hochwertiges Gebäude neu entstehen. auch um gravierende Setzungsschäden auszugleichen: Seine südöstliche Ecke liegt über einer Doline (Karsteinsturz) und ist um zirka 80 cm abgesunken. Seit 1966 ist es ein Kulturdenkmal von besonderer Bedeutung. Nach sechs Jahren Planungs- und Bauzeit wurde es 2013 als modernes Denkmal wiedereröffnet. Es erhielt neue Bauteile wie einen Eingang von Osten, eine Infotheke, einen Fahrstuhl und ein Treppenhaus. Sein Fundament wurde aufwendig verstärkt, Brand- und Schallschutz nachgebessert und neue Büroflächen im ersten Dachgeschoss geschaffen. Heute ist es nutzerfreundlich und von hohem ästhetischem Wert – nicht zuletzt durch angenehme Materialien und handwerkliche Oberflächen. Materialien in der Aussendämmung Das neue Treppenhaus ist anders konstruiert und gedämmt als der übrige Bau – ablesbar an der abgestuften Dämmung und den abstrahierten Läden aus Streckmetall. Das Rathaus des Stuttgarter Bezirks Bad Cannstatt (D) wurde in den 1490erJahren erbaut. Nach dem Ergebnis der Bauforschung wurde es vermutlich als Kornhaus und Marktgebäude genutzt. Im Stadtkreis Stuttgart ist es das mit Abstand grösste erhaltene spätgotische Riegelhaus. Seine klare Grundriss- und Fassadengestaltung als Speicher wurde damals auf hohem Niveau geplant und handwerklich-konstruktiv umgesetzt. In über 500 Jahren Nutzung wurde es mehrfach grundlegend umgebaut und saniert, * Freier Architekturjournalist in Stuttgart, [email protected] 10 A p p l i c a 1 0 / 2 0 1 3 Trotz der strengen Denkmalschutzauflagen wurde der Energieverbrauch halbiert. Die Bodenplatte, die Decke zum oberen, unbeheizten Dachraum und das ausgebaute erste Dachgeschoss erhielten eine denkmalverträgliche Dämmung. Die Aussenwände wurden aussen gedämmt. Zur Verbesserung des Wärmeschutzes und zum Schutz des Holzfachwerks erhielten sie zirka 7 cm Kalkputz (mit 5 Prozent Zement) mit Perlit als Leichtzuschlag. Der abschliessende, dickschichtige Deckputz (Schichtstärke 7 bis 10 mm) ist ebenfalls aus Kalk (mit 5 Prozent Zement), ungestrichen und ohne Hydrophobierung. Damit bleibt die altbautypische Lebendigkeit der Fassa- F a c hwissen de erhalten. Der Deckputz enthält auch keine Biozide. Da er durchgefärbt ist, fallen kleine Beschädigungen (durch Steinchen oder Fahrradlenker) nicht auf. Der Sockel ist mit Eisenoxid, Caput Mortuum, Ziegelmehl und schwarzem Marmorgries hellgrau eingefärbt. Der übrige Putz ist mit sehr hellem französischem Ocker und dem schwarzen Marmorgries sandfarben eingefärbt. Die Einfärbung wirkt edel und betont den historischen Charakter. Die Herausforderung war nun, das neue Treppenhaus aus Leichtbeton mit dem gleichen durchgefärbten Kalk-Deckputz zu versehen. Hätte man sich für Mineralwolle oder Polystyrol als Dämmmaterial entschieden, hätte ein anderer Putz im System verwendet werden müssen. Gestalterisch war das nicht akzeptabel. Als Aussenwärmedämmung des Leicht­betons wurden deshalb zementgebundene Holzwolleplatten mit einem Kern aus Mineralwolle verwendet. Bemusterung Die Bemusterung vor Ort wurde durch den Architekten sehr aufwendig und sehr genau konzipiert. Bemustert wurde mit Originalmaterial und -pigmenten, bis der gewünschte Farbton gefunden war. Dieser liess sich nur durch exakt die gleichen mineralischen Pigmente realisieren und nicht mit werkseigenen Pigmenten des Putzherstellers nachstellen. Ausführung Dämmputz Die Riegel wurden vom Team der Kraft Stuckateurmeister mit Wellpappe abgedeckt und die Wand mit einem gewellten Drahtnetz als Dämmputzträger ganzflächig überspannt. Der Dämmputz wurde aufgebracht, abgezogen und rabbotiert. Der Architekt ermahnte, weich den Unebenheiten des Gebäudes zu folgen und wünschte ausdrücklich keine absolut lotund fluchtrechte Putzoberflächen. «Das war eine Umstellung», erinnert sich Alex­ ander Kraft. «Aber wenn man sich dar- Bild oben: Die Sandsteingewände im EG wurden flächenbündig d ­ irekt angeputzt und in der Putzfarbe überstrichen. Bild rechts: Das «Fenster in die Baugeschichte» zeigt ein gut erhaltenes historisches Fachwerkfeld. Ein Unterdruck in den angrenzenden Räumen sorgt in der Heizperiode für trockene Hölzer trotz Rissigkeit. A p p l i c a 1 0 / 2 0 1 3 11 F a c hwissen Geschlämmter Kalk auf dem Leichtbeton des neuen Treppenhauses bildet den zurückhaltenden Rahmen für die auffällige Treppenkonstruktion (hier in der Untersicht). an gewöhnt hat, ist es angenehm. Das wurde eine richtig schöne Arbeit. Wie früher, aber mit der neusten Maschinentechnik.» In der Standzeit von November bis Februar bekam der Putz so viele Entspannungsrisse, dass er Bedenken anmeldete, ohne Armierungsschicht weiterzuarbeiten. Dies wurde vom Bauherrn akzeptiert, sodass er eine Zwischenschicht mit Gewebespachtelung ausführte. Über 500 Jahre alt ist das Bad Cannstatter Ausführung VAWD Bezirksrathaus. Die zementgebundenen Holzwolleplatten wurden an die durch die Absenkung schrägen Bestandswände angepasst, in Stärken von 5 bis 20 cm (mehrlagig) aufgedübelt. Ein Kalk-Zement-Grundputz mit Gewebespachtelung bildete die erste Lage, gefolgt vom Kalk-Deckputz. Der Sockel aus Sandstein hatte nach dem Aufsägen eine durchgehende Trennschicht aus Bitumen erhalten und war mit Dichtschlämme abgedichtet worden. Die Gipser dämmten ihn mit XPS und armierten mit einem Gewebe in Zementputz. Abschliessend trugen sie den KalkDeckputz auf. Kalk-Deckputz Nach dem Auftragen, Abziehen und Antrocknen des Mörtels bürsteten die Gipser die Oberfläche mit einem feuchten Quast möglichst kreuzweise ab. Dadurch zeichnete sich der schwarze Marmorgries ab. Die Sandsteingewände der Eingangstür wurden sparsam restauriert. Die alten, geflickten Sandstein12 A p p l i c a 1 0 / 2 0 1 3 gewände der Fenster wurden direkt und klar im Ton des Putzes überstrichen; die des Treppenhauses sind aus sandgestrahltem Beton mit einer besonders lebendigen Oberfläche. Innenraumgestaltung Auch innen schaffen die Materialien positive Angebote für alle Sinne. Der Kalkputz im Innenraum ist mit Kalk weiss getüncht, der Leichtbeton des Treppenhauses ist durch eine fette Kalkschlämme mit dem Gebäude verbunden. So werden die Wände ein angenehmes Raumklima schaffen und die Luftfeuchtigkeit ausgleichen. Das zurückhaltende Farbkonzept im Inneren konzentriert sich auf ein Veroneser Grün der Fensterrahmen und ein damit korrespondierendes Blau, mit welchem unter anderem die Treppenkonstruktion eingefärbt ist. Die Fenster rahmen Ton in Ton den Blick auf die Kastanien des Marktplatzes. Zudem gibt es noch ein ganz lichtes Grün auf den Türen, vom Architekten Malachit genannt. Es erscheint wie der Widerschein des Tageslichts, das an den Fensterrahmen reflektiert wird. Sonst strahlt fast alles in klarem Kalkweiss, das den Raum vergrössert. Herausforderung Luftdichtheit Der Aussenputz stellt nicht nur den Schlagregenschutz, sondern auch die Winddichtigkeit des Gebäudes her. Dazu wurden die Anschlüsse sehr genau detailliert und unterschiedlich ausgeführt: je nach benachbartem Materi- ZKP-it. Der besonders harte Zement-Kalkputz für grossformatige Platten. Der neue ZKP-it. ist der besonders harte Grundputz für den Innenbereich und punktet mit allen bekannten Vorteilen der it.-Technologie. Er spielt seine Stärken vor allem in besonders beanspruchten Räumen, wie z. B. in Feuchträumen aus. Mit seiner erhöhten Druckfestigkeit ist er der ideale Grundputz, wenn grossformatige Platten (grösser 1.600 cm2) angebracht werden sollen. Neugierig geworden? Mehr erfahren Sie auf www.schwenk.ch NEU! nsEmissio ert minimi V OC RT KO-FLOOR HE IE SC Hochleistungsbeschichtungen K O NTRO LL Neueste Entwicklungstechnologien für ein zukunftsweisendes Bodenbeschichtungsprogramm Das Bodenbeschichtungsprogramm bietet Lösungen für alle Anwendungen und Ansprüche innen und aussen, von privaten Nutzräumen bis zu gewerblichen Bereichen mit hohen mechanischen und chemischen Belastungen. Über das Mix-System in einer Vielzahl von RAL- und NCS-Farbtönen erhältlich. Basel Schekolin Bautenschutz AG Venedigstrasse 37 CH-4142 Münchenstein (Dreispitz) Tel.: 061 321 50 50 | Fax: 061 322 50 65 [email protected] Bremgarten Schekolin Bautenschutz AG Oberebenestrasse 49 CH-5620 Bremgarten Tel.: 056 648 87 17 | Fax: 056 648 87 18 [email protected] Gossau Schekolin Bautenschutz AG Industriestrasse 35 CH-8625 Gossau ZH Tel.: 044 936 17 13 | Fax: 044 371 22 80 [email protected] Sevelen Schekolin Bautenschutz AG Bahnweg Nord / 16 CH-9475 Sevelen Tel.: 081 758 20 70 | Fax: 081 785 20 69 [email protected] Littau Schekolin Bautenschutz AG Grossmatte-Ost CH-6014 Luzern-Littau Tel.: 041 250 22 70 | Fax: 041 250 62 48 [email protected] Bern Schekolin Bautenschutz AG Libellenweg 2 CH-3006 Bern Tel.: 031 331 86 36 | Fax: 031 331 47 19 [email protected] Münchenstein Genf Schekolin Bautenschutz AG Venedigstrasse 37 CH-4142 Münchenstein Tel.: 061 321 50 50 | Fax: 061 322 50 65 [email protected] Schekolin Bautenschutz AG 33 rue Eugène-Marziano CH-1227 Acacias-Genève Tel.: 022 343 58 58 | Fax: 022 343 58 59 [email protected] F a c hwissen Nach seiner umfassenden Sanierung ist der ­spät­gotische Riegelbau wieder modern. al mit APU-Leiste oder mit Kompriband und Trennschnitt bzw. mit oder ohne Kompriband direkt sauber angeputzt. Da auch die Fenster sauber abgedichtet wurden, steigt der Dampfdruck in dem Denkmal. Undichtigkeiten könnten nun den Holzbau empfindlich schädigen. Durch eine genaue Detaillierung konnte Kalkputz wieder zum Feuchteschutz beitragen: Bei den Sanierungsarbeiten tauchten geschnitzte Balkenköpfe aus dem 19. Jahrhundert unter den nördlichen Dachgesimsen auf. Ihr altes Holz war gerissen – ein bauphysikalisches Problem, weil warme und feuchte Luft durch die Risse nach aussen gelangen und dabei die Feuchtigkeit im Holz kondensieren würde. In der grossen Nordgaube, in der sich heute eine Teeküche befindet, wurden die Fugen der Hölzer mit Kalkmörtel ausgestopft, der sie verschliesst und Kondenswasser kapillar puffert. Eine Luftdichtigkeitsfolie und ein Unterdruck im Raum halten die Hölzer trocken. Eine neue Heizung und ein Lüftungskonzept mit einer Nachtlüftung des Dachgeschosses runden die energetische Modernisierung ab. Geschichte erzählen Wichtig war den Architekten, dass das Gebäude durch die Sanierung seine abwechslungsreiche Geschichte erzählen kann – markant bis zurückhaltend. So legten sie ein historisches Fachwerkfeld aus der Erbauungszeit in der Ostfassade frei. Beim Rückbau des Anbaus war dieses altehrwürdige Bauteil mit handwerklichen Spuren auf dem Tragwerk und authentischem Putz mit Resten alter Bemalung wieder sichtbar geworden – eine der vielen Überraschungen des Altbaus. Man entschied sich für eine zurückhaltende Inszenierung als «Fenster in die Geschichte», das Nutzer und Passanten Baugeschichte erleben lässt. Markant machen die angedeuteten Fensterläden des Treppenhauses auf dieses neue Bauteil aufmerksam. Die Fensterläden sind aus modernem Streckmaterial und imitieren die historischen Klappläden, ohne deren Funktion zu erfüllen. Hinter dem Streckmetall verspringt der Putz in Bändern, die auf die Schräge der angrenzenden Bestandswand eingehen. Die gestalterische Grundhaltung des in Altbausanierung erfahrenen Büros ist: Neues soll als solches erkennbar sein. Je wertvoller die Substanz, umso zurückhaltender wird das neue Bauteil eingefügt. Das Gebäude ist nun klarer, markanter und nach allen Himmelsrichtungen geöffnet. ■ Baudaten Bezirksrathaus Bad Cannstatt Putze innen und aussen Kraft GmbH Stuckateurmeister, www.kraft-stuckateurmeister.de Konstruktion spätgotisches Fachwerkgebäude Historische Aussenwände Baujahr 1491 Welnet-Dämmputzträger, 7 cm Wärmedämmputz Klimasan 080, Sanierung 2007 bis 2013 Gewebespachtelung, Kalk-Deckputz Klimasan-Antik (U = 0,87 W/m²K im Mittel) VAWD Tektalan Heraklith 040, Sanierungsbauherrschaft Marmorit Lup 222, Gewebespachtelung, Kalk-Deckputz Klimasan- Stadt Stuttgart, Hochbauamt Antik (mit Kremer Pigmenten) Architektur Innenputze Manderscheid Architekten, www.manderscheid-architekten.de Rotkalk A p p l i c a 1 0 / 2 0 1 3 15