Was uns aufrecht hält Die Wirbelsäule

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Manuskript
radioWissen
Was uns aufrecht hält
Die Wirbelsäule - Ein Erfolgsmodell
AUTORIN:
Christiane Seiler
REDAKTION: Gerda Kuhn
Sprecherin
Hier steht das größte montierte Dinosaurierskelett der Welt. Über dreizehn Meter, mit
langem Hals und kleinem Kopf, ragen die knöchernen Überreste des Brachiosaurus
brancai bis knapp unter die Decke des Berliner Naturkundemuseums. Aber trug der
Gigant sein Haupt wirklich so hoch erhoben?
OT1 Schwarz
Also, die Halshaltung ist ein großer Streitpunkt. Ich würde davon ausgehen, dass die
einen sehr beweglichen Hals hatten und auch verschiedenste Haltungen einnehmen
konnten. Für diesen großen Saurier, der ja auch sehr lange Vordergliedmaßen hat und
insgesamt vom Körperbau so ein bisschen giraffenähnlich wirkt, war es sicher ein Vorteil,
den Hals hoch zu tragen und ja, sozusagen den Überblick zu haben, oben zu fressen und
beim Laufen den Hals eben einfach so hochzuhalten.
Sprecherin
Dr. Daniela Schwarz ist Kuratorin im Berliner Naturkundemuseum und kennt sich
besonders gut mit diesen großen Wirbeltieren aus, die vor etwa 150 Millionen Jahren
über die Oberfläche der Erde stapften.
OT2 Schwarz
Der Brachiosaurus, der gehört zu den Sauropoden, das sind pflanzenfressende große
Dinos und für die ist ganz bezeichnend, dass sie einen sehr langen Hals haben, Der hat
insgesamt 13 Halswirbel, die im vorderen Bereich sind, die können vielleicht so 20-30cm
lang sein und dann haben wir im hinteren Halsbereich Wirbelknochen, die über einen
Meter lang sind, das sind natürlich dann Riesendinger einfach. Wenn man auf den Rücken
guckt, wo die Rippen ansetzen, da befinden sich die Rücken oder Rumpfwirbel, davon
sind hier 12 vorhanden, anschließend gehen wir in den Beckenbereich, da hat er
mehrere, 4-5 Beckenwirbel, die miteinander verwachsen sind, die auch sehr kräftig und
steif sein müssen, weil sie die Hinterextremität tragen, und dahinter kommt der
Schwanz, der ist jetzt bei dem Brachiosaurus nicht ganz so lang, so um die 30
Schwanzwirbel sehen wir hier, es gab aber auch Sauropoden, die über 40 einzelne
Schwanzwirbel hatten.
Sprecherin
Größere und schwerere Wesen haben das trockene Land nie bevölkert. Nur im Ozean lebt
mit dem Blauwal heute noch ein Tier, das größer und schwerer wird als der
Brachiosaurus einst war. Weil die großen Saurier außerhalb des Wassers lebten, mussten
sie sich, wie alle Landlebewesen, gegen die Schwerkraft stemmen. Und um die
ungeheure Last der Knochen, darunter natürlich auch der Wirbelsäule, zu reduzieren, hat
sich die Evolution einen besonderen Trick einfallen lassen.
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OT3 Schwarze
Die Saurierknochen sind pneumatisiert, haben im Inneren Hohlräume, wenn man die
durchschneidet, dann sehen die aus wie ein Schweizer Käse, haben überall Löcher, und
das sind Spuren von Luftsäcken, die überall an und in den Knochen waren, überall
reingegangen sind, und den Wirbelknochen dadurch enorm erleichtert haben. Das diente
natürlich primär der Gewichtserleichterung, wir haben das mal ausgerechnet, das führt
bei so einem großen Saurier dazu, dass etwa ein Drittel des Halsgewichtes reduziert ist,
und man findet das bei den langhalsigen Sauriern, den Sauropoden, aber auch die
fleischfressenden Saurier, die Theropoden, haben das und auch die heutigen Vögel, die
haben das zur Perfektion entwickelt, in der Wirbelsäule.
Sprecher
Diese Saurier, deren Skelette nicht nur zur Freude der Kinder im Museum ausgestellt
werden, lebten etwa 350 Millionen Jahre, nachdem sich im Ozean die ersten Wirbeltiere
entwickelt hatten. Dies waren kleine Fischlein, ähnlich den immer noch in den
Weltmeeren lebenden Schleimaalen; bei Grabungen in China wurden Fossilien von knapp
3 cm Länge gefunden.
Die ersten Wirbeltiere besaßen noch gar keine eigentliche Wirbelsäule sondern ein
sogenanntes Neuralrohr, eine knorpelige Versteifung, die die Nervenbahnen schützte und
sich im Lauf vieler Millionen Jahre zu einer eigentlichen Wirbelsäule differenzierte.
Sprecherin
Die Wirbelsäule und überhaupt das innere Knochenskelett waren eine Strategie der
Evolution, den Körpern eine feste Gestalt zu geben und ein kontinuierliches
Größenwachstum zu ermöglichen. Demgegenüber haben zum Beispiel Weichtiere oder
Gliederfüßer ein Außenskelett. Es wächst, wie etwa bei Muscheln oder Schnecken,
langsam mit oder wird, wie bei Krebsen oder Spinnen, bei Häutungen abgestreift und
jeweils eine Nummer größer neu gebildet.
Sprecher
In dem Devon genannten Erdzeitalter vor etwa 420 Millionen Jahren, begannen die
Wirbeltiere aus dem Wasser heraus das Land zu besiedeln. Von da an entwickelten sich
langsam aus den Fischen die Amphibien, Reptilien, Vögel und schließlich die Säugetiere.
Die Wirbelsäule des menschlichen Embryos vollzieht in ihrer Entwicklung verschiedene
Stadien dieser Stammesgeschichte nach:
OT4 Bogusch
Zunächst einmal entwickelt sich ein besonderer Achsenstab unter dem Rückenmark, der
sozusagen die Vorlage bildet für die Wirbelsäule, die sich um den Achsenstab bildet. Ein
Strang aus großen Zellen, der wird als Corda bezeichnet, und alle Tiere, die die diesen
Achsenstab haben, sind die Cordaten. Und das geht mit den Fischen los und endet bei
uns.
Sprecherin
Dr. Gottfried Bogusch war Anatomie-Professor an der Berliner Charité; er ist bereits
pensioniert, begibt sich aber immer noch gelegentlich in die anatomische Lehrsammlung,
die er mit zusammengestellt hat.
Dreihundert Meter Luftlinie vom Brachiosaurus entfernt steht hier ein weiterer Gigant in
einer Vitrine; das übermannshohe Skelett eines Menschen:
OT5 Bogusch
Wir sehen hier einen der "Langen Kerls", das ist eine berühmte Leibgarde von Friedrich
Wilhelm dem Ersten.
Sprecherin
Dieser Untertan des preußischen Soldatenkönigs war mit seinen 2 Meter 23 ein wahrer
Riese. Bis auf den etwas klein geratenen Schädel ist sein Skelett proportional groß in
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allen Teilen, entsprechend lang ist die Wirbelsäule mit den massiven Wirbelkörpern:
OT6 Bogusch
Und man sieht da schon, dass die 'ne gewisse größere Last tragen müssen und das ist ja
ohnehin für die Wirbelsäule immer auffällig, dass die Wirbelkörper von oben nach unten
eine immer größere Ober- und Unterseite haben, und das ist wichtig, damit die Last des
Rumpfes verteilt werden kann, damit die Druckbelastung pro Flächeneinheit gleich bleibt.
Auch die Querfortsätze sind massiver, aber das entspricht einem proportionalen Skelett.
Wenn er heute gelebt hätte, wäre er vielleicht Basketballspieler geworden.
Sprecher
Die massiven seitlichen Knochenfortsätze an den einzelnen Wirbeln dienten zu Lebzeiten
des "Langen Kerls" als Ansatzpunkte für Muskeln und Bänder. Seine Wirbelsäule verjüngt
sich deutlich nach oben, ganz wie es auch bei Säulen in der Architektur der Fall ist. In der
bildenden Kunst ist die Darstellung der Wirbelsäule als architektonisches Element ein
verbreiteter Topos, Maler wie Salvador Dali und Giorgio de Chirico haben damit gespielt.
Berühmt ist das Gemälde "Die zerbrochene Säule" von Frida Kahlo:
Sprecherin
Im Oberkörper der Frau klafft vom Hals bis zur Hüfte ein breiter, senkrechter Spalt, gibt
den Blick frei auf eine mehrfach gebrochene ionische Säule. Das zartgeschwungene
Kapitell trägt den Kopf. Den Rumpf umfängt und stützt ein Korsett aus breiten, weißen
Bändern, um die Hüfte schlingt sich ein weißes Laken. Die Frau trägt das schwarze Haar
offen. Sie weint. Hinter ihr erstreckt sich eine karge, zerklüftete Ebene.
Sprecher
Das Gemälde von 1944 ist ein Selbstporträt der mexikanischen Malerin Frida Kahlo. Im
Alter von 18 Jahren hatte sie bei einem Verkehrsunfall einen mehrfachen Bruch der
Lendenwirbelsäule erlitten. Dieser Bruch verheilte Zeit ihres Lebens nicht mehr. Die
Wirbelsäule war instabil geworden.
ZITATORIN Kahlo
Warten mit der verborgenen Angst, der gebrochenen Säule, dem endlosen Blick, ohne
hinauszugehen auf das weite Feld. So lebe ich mein Leben, umschlossen von Eisen…
Sprecherin
…notierte die Künstlerin in ihrem Tagebuch. Ihr ganzes Leben war von schrecklichen
Schmerzen und zahlreichen Operationen überschattet. Die stützende Funktion der
Wirbelsäule wurde von äußeren Hilfsmitteln übernommen - mal aus Gips, mal in Form
von steifen Bändern aus Leder und Metall, wie auf dem Bild "Die zerbrochene Säule".
Sprecher
Jeder Mensch verfügt aber auch über eine vollkommen natürliche Stütze, die der
Wirbelsäule Halt gibt, erklärt der Sportmediziner und Orthopäde Dr. Jürgen Wismach:
OT7 Wismach
Die Wirbelsäule allein ist nur ein Knochenorgan und sie braucht die Muskulatur, die
rückwärtige Muskulatur an der Wirbelsäule und die vordere Muskulatur, die
Bauchmuskulatur, man muss sich das vorstellen, das ganze sieht aus wie ein Korsett und
die Muskulatur ist quasi das Korsett für die Wirbelsäule.
Sprecher
Diesen äußeren Halt braucht die Wirbelsäule, weil sie kein einheitliches festes Gebilde ist,
eben keine steinerne Säule. Vielmehr besteht sie aus vielen einzelnen Wirbeln, insgesamt
sind es 33. Beim Menschen wie bei allen anderen Säugetieren ist sie unterteilt in die sehr
bewegliche Halswirbelsäule mit sieben Wirbeln, die Brustwirbelsäule mit zwölf Wirbeln,
die Lendenwirbelsäule mit fünf Wirbeln und das Kreuzbein sowie das Steißbein mit
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insgesamt neun zusammengewachsenen Wirbeln.
Abgesehen von Kreuzbein und Steißbein sind diese Wirbel über kleine Gelenke an den
Gelenkfortsätzen miteinander beweglich verbunden. Jürgen Wismach:
OT8 Wismach
Wir haben die einzelnen Wirbelkörper und von den Wirbelkörpern haben wir einen
Wirbelbogen und Wirbelfortsätze und zwischen zwei Wirbeln liegt die sogenannte
Bandscheibe, sie puffert quasi Kräfte ab und an diesen kleinen Fortsätzen setzen die
Muskeln an.
Sprecher
Die tragende Achse des Körpers ist mitnichten eine gerade Säule wie in der Architektur.
Denn sie ist nicht nur für die Stabilität des Körpers wichtig, sondern auch für seine
Flexibilität. Diese Doppelfunktion legt schon das deutsche Wort für dieses Knochenorgan
nahe: Wirbel für die Beweglichkeit , Säule für die Festigkeit. Von der Seite betrachtet,
weist die Wirbelsäule beim Erwachsenen daher mehrere charakteristische Krümmungen
auf. Im Halsbereich wölbt sie sich leicht nach vorne, im Brustbereich leicht nach hinten
und im Bereich der Lendenwirbelsäule wieder leicht nach vorne.
OT9 Wismach
Das sind physiologische Krümmungen, die dazu da sind, wenn irgendwelche Lasten auf
die Wirbelsäule einwirken, dass sie besser abgefangen werden können, wenn das ein
gerader Stab wäre, die Wirbelsäule, dann würde das immer komplett auf die
Bandscheiben, die wir ja alle kennen, wo viele geplagt sind, raufdrücken, und dann
würde es relativ schnell zu einer Bandscheibenschädigung oder zu einem
Bandscheibenvorfall kommen.
Sprecherin
Und noch aus einem weiteren, wichtigen Grund hat der Mensch diese Krümmungen:
OT10 Bogusch
Ein Affe kann zwar auch ein bisschen auf zwei Beinen gehen, aber diesen aufrechten
Gang, Brust raus, Kopf oben, das kann er nicht.
Sprecherin
Brust raus, Bauch rein, dieser Spruch wird manchen bekannt sein. Eine möglichst
aufrechte Haltung des Oberkörpers ist aber nicht nur ein überholtes militärisches Ideal,
sondern eine durchaus sinnvolle Methode, den Körper dank der gekrümmten Wirbelsäule
ins Gleichgewicht zu bringen:
OT11 Bogusch
Diese Krümmung, die hat nur der Mensch. Und die Idee dieser Krümmung ist, dass das
Rumpfgewicht, der Kopf, auf den oberen Enden der Oberschenkelknochen balanciert
werden kann. Und zwar in einem labilen Gleichgewicht. Dass ich dazu eigentlich keine
Kraft brauche, sondern nur Kraft brauche, wenn ich aus dem labilen Gleichgewicht
rausgehe,...
Sprecher
Es gibt also physiologische, natürliche Krümmungen der Wirbelsäule, die beim
Neugeborenen übrigens noch nicht vorhanden sind. Jeder Mensch kommt mit einer
geraden Wirbelsäule zur Welt. Wenn der Säugling im Alter von einigen Monaten lernt, den
Kopf zu heben und sich aufzusetzen, bildet sich als erstes die Krümmung der
Halswirbelsäule nach vorne, die sogenannte Halslordose. Lernt das Kind dann laufen,
bildet sich die Lendenlordose, die Krümmung der Lendenwirbelsäule. Zwischen diesen
beiden biegt sich die Wirbelsäule im Brustbereich automatisch in die andere Richtung, um
einen Ausgleich zu schaffen.
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Sprecherin
Ganz anders sieht es aus mit krankhaften oder gewollten Krümmungen des Rückgrats,
also der Wirbelsäule.
Bucklige haben in Volkslied und Märchen keine gute Reputation. Das "Bucklicht Männlein"
des gleichnamigen Volkslieds treibt Schabernack, die Hexe in Hänsel und Gretel wird in
der Regel alt und bucklig dargestellt. Der Rücken wird krumm von der Last der Arbeit
oder der Sorgen. Von einem charakterlosen, willensschwachen Menschen, der sich duckt
und buckelt, wo Unbeugsamkeit von Nöten wäre, sagt man, er habe "kein Rückgrat".
Sprecher
Der aufrechte Gang hingegen, den jedes Kleinkind erst lernen muss, steht im
übertragenen Sinn für Stolz und Würde. Der Philosoph Ernst Bloch hat ihn zu einem
zentralen Element seiner Anthropologie gemacht:
ZITATOR Bloch
Aufrechter Gang, menschliche Würde, Orthopädie des aufrechten Gangs, also kein
gekrümmter Rücken vor Königsthronen usw., sondern Entdeckung der menschlichen
Würde, die eben gleichwohl zum großen Teil nicht aus den Verhältnissen abgeleitet wird,
denen man sich anpasst, sondern von dem neuen, stolzen Begriff des Menschen als
einem nicht kriecherischen, reptilhaften, vielmehr einem mit hoch erhobenem Kopf, was
uns verpflichtet und uns vor den Tieren auszeichnet und unterscheidet.
Sprecherin
Ernst Bloch versteht die aufrechte Haltung also als Verpflichtung, sich nicht der Gewalt zu
beugen. Während Gott die Schlange nach dem Sündenfall zu einem kriecherischen Leben
verdammt, werden die Menschen zwar aus dem Paradies vertrieben, aber sie gehen
erhobenen Hauptes.
Sprecher
Die Wirbelsäule verhilft dem Menschen aber nicht nur als Stützorgan zur aufrechten
Haltung. Sie hat noch eine weitere, lebenswichtige Funktion. Ein einzelner Wirbel besteht,
wie bereits erwähnt wurde, aus Wirbelkörper und Wirbelbogen. Diese Wirbelbögen bilden
übereinander liegend eine Röhre, in der das Rückenmark vom Gehirn bis zum unteren
Ende der Lendenwirbelsäule geschützt verläuft.
Der Orthopäde Jürgen Wismach:
OT12 Wismach
und wir haben an der Wirbelsäule seitlich Öffnungen paarig, rechts links und dort
verlassen die Nervenbahnen das Rückenmark und versorgen Hände, Finger, Beine,
Brustkorb, Bauchraum, also man muss sich vorstellen, dass immer paarig diese Nerven
rechts und links herauskommen, zur Versorgung der Muskulatur, und wenn wir das nicht
haben, könnten wir uns nicht bewegen.
Sprecherin
Die Wirbelsäule schützt also das Rückenmark. Deshalb kann es bei einem Bruch der
Wirbelsäule zu Lähmungen kommen, wenn nämlich das Rückenmark durchtrennt wird
und die Nervenbahnen unterbrochen sind. Dieses Schicksal blieb der Malerin Frida Kahlo
mit ihrer zerbrochenen Lendenwirbelsäule erspart. Aber auch kleinere Schädigungen der
Wirbel führen oft dazu, dass etwas auf die Nervenbahnen drückt. An den
Rückenschmerzen können verrutschte Wirbel schuld sein oder die berüchtigten, mit
Flüssigkeit gefüllten Bandscheiben, die zwischen den Wirbelkörpern liegen.
OT13 Wismach
In der Mitte haben wir einen Kern und diese Bandscheibe verliert im Laufe des Lebens an
Wasserbindungsfähigkeit und bei Fehlbelastungen kann diese Bandscheibe reißen. Und
dann kann dieser Kern in Richtung Rückenmark rutschen und dann kann es zu starken
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Rückenbeschwerden kommen, wenn die Bandscheibe einmal eingerissen ist und nach
vorne ausgetreten ist, dann geht sie nicht wieder zurück, aber das Stückchen das als
Vorfall oder Prolaps bezeichnet wird kann austrocknen und dann nicht mehr auf die
Nervenwurzel bzw. das Rückenmark drücken. Und dann sind die Patienten
beschwerdefreier, und dann würde man mit der entsprechenden Trainingstherapie,
Krankengymnastik, manuelle Therapie, Gerätetherapie, anfangen, um den Rücken wieder
zu stabilisieren.
Sprecherin
Gruseln wir uns, läuft uns die Nervenbahnen entlang ein Schauer das Rückgrat hinunter.
Denn der Rücken ist die Seite des Körpers, wo die Augen nicht hinsehen können. Der
Kopf sitzt zwar auf dem oberen Ende der Wirbelsäule auf sehr beweglichen
Drehgelenken, aber auf den Rücken drehen lässt er sich nicht - anders als bei den Eulen,
die ihren Kopf um 270 Grad drehen können. Von hinten droht also potentiell Gefahr. Wir
weichen vor der Gefahr zurück und stehen irgendwann "mit dem Rücken zur Wand", um
uns zu schützen. So verhindern wir, dass uns jemand "in den Rücken fällt" – tatsächlich
oder im übertragenen Sinn.
Sprecher
Unter der Haut des Rückens ist der Verlauf der Wirbelsäule erkennbar als eine Rinne, in
der sich als kleine Erhebungen die Dornfortsätze abzeichnen, die nach hinten von den
Wirbelbögen abstehen. Die Wirbelsäule liegt wesentlich näher an der Mittelachse des
Körpers, als es zunächst den Anschein hat. Beim aufrecht stehenden Menschen verläuft
das Schwerelot von der Schädeldecke, durch Hals, Brustkorb und Hüfte bis zu den Füßen,
immer dicht an der Wirbelsäule entlang. Im Gegensatz zu den Vierbeinern, erklärt der
Anatom Gottfried Bogusch:
OT14 Bogusch
Beim Affen ist das Schwerelot ganz weit vor der Wirbelsäule. Der braucht viel Kraft, um
diese Stellung zu halten. Der Mensch braucht diese Kraft nicht.
Sprecherin
Das Skelett eines halb aufgerichteten Gorillas steht in einer Vitrine der anatomischen
Lehrsammlung neben dem eines Menschen. Deutlich sind an der Hals- und
Rumpfwirbelsäule des Affen die langen Dornfortsätze zu sehen, an denen die kräftige
Muskulatur ansetzen kann. Denn immer, wenn das Tier sich auf den Hinterbeinen
aufrichtet, ist eine enorme Kraftanstrengung nötig. Menschen hingegen brauchen diese
Kraft vor allem, wenn sie das labile Gleichgewicht der aufrechten Haltung verlassen, bei
Beugungen oder beim Heben von Lasten. Ganz besonders gilt dies bei Sportarten, die
eine extreme Verformung der Wirbelsäule erfordern, etwa Ballett, Kunstturnen,
Eiskunstlaufen oder Turmspringen.
Sprecher
Freizeitsport jeglicher Art sei hingegen nicht nur unschädlich, sondern auch
wünschenswert, denn der trainiere das Muskelkorsett, meint der Sportmediziner. Erlaubt
sei dabei alles, was Spaß macht.
OT16 Wismach
Aber da wir in unserem Zeitalter wenig unsere Muskeln gebrauchen, sondern jeden Tag
mehrere Stunden am PC sitzen, mehrere Stunden vor der Fernsehkiste sitzen
vernachlässigen wir leider unsere Muskulatur und hier ist es wichtig, dass wir möglichst,
und das empfehlen wir, täglich unsere Muskulatur trainieren. Trainieren hört sich so
schwerwiegend an, da reichen 10 bis 15 Minuten.
Sprecherin
Wie also kann der moderne Büromensch seinen Arbeitsplatz so einrichten, dass
Rückenschmerzen ausbleiben? Der Orthopäde Jürgen Wismach empfiehlt nicht zu langes,
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aktives Sitzen, also nicht festgebannt auf dem Stuhl zu verharren, sondern lieber
herumzuzappeln, hin und wieder aufzustehen.
Ot17 Wismach
oder gegebenenfalls im Büro ein Stehpult zu haben, dass ich im Stehen arbeiten kann, im
Sitzen und gegebenenfalls eine kleine Ausgleichgymnastik zu machen, wie wir das in
asiatischen Ländern kennen, dass die mittags eine Pause machen und einfach Gymnastik
betreiben, ich weiß, das würde hier ein bisschen eigenartig aussehen, aber das wäre das
Ideale, um rückengerecht alt zu werden.
Sprecherin
Und sicher schadet es auch im Alltag nicht, der Wirbelsäule zu Liebe das Auto öfters
stehen zu lassen und in aufrechter Haltung spazierend die "Orthopädie des aufrechten
Gangs" zu üben. Denn die verpflichtet uns, wie der Philosoph Ernst Bloch schreibt, zu
menschlicher Würde und zeichnet uns aus vor den Tieren.
stopp
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