Logo KMT: kmt KASSELER MUSIKTAGE Dienstag, 10. November 2009 ANTASTEN – KLAVIER I 20.00 | Ständesaal Vladimir Stoupel kasseler-musiktage.de 29. Oktober – 15. November 2009 kmt in Verbindung mit hr2 Kultur Dienstag, 10. November 2009 ANTASTEN – KLAVIER I 20.00 | Ständesaal Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847) Fantasie fis-Moll op. 28 („Sonate écossaise“, 1833) Con moto agitato - Andante Allegro con moto Presto Karol Rathaus (1895 – 1954) Sonate Nr. 3 op. 20 (1927) Langsam Scherzo Fuge Presto Pause Olga Rajewa (*1971) Jahreszeiten – Jahreszeichen (UA, Auftragswerk der KASSELER MUSIKTAGE 2009) Januar – Februar – März – April – Mai – Juni – Juli – August – September Oktober – November – Dezember Erwin Schulhoff (1894–1942) Suite Nr. 3 für die linke Hand (1926) Preludio. Allegretto con moto Air. Andantino Zingara. Allegro Improvisazione. Andante molto rubato Finale. Molto maestoso Felix Mendelssohn Bartholdy Variations sérieuses op. 54 d-Moll (1841) Thema. Andante sostenuto Vladimir Stoupel Klavier ZUM PROGRAMM „Wenn man ‚jüdische Musik‘ sagt, kommt den meisten Klezmer in den Sinn, aber die jüdische Kultur kann man nicht so eng fassen. Jüdische Kultur besteht aus vielen Facetten, sie hat von einer Vielzahl anderer Einflüsse profitiert. Und andere Kulturen haben von der jüdischen Musik profitiert,“ sagt Vladimir Stoupel und führt aus: „Es muss nicht explizit jüdische Melodik sein, aber vielleicht eine Harmonievorstellung, die aus der traditionellen jüdischen Musik kommt und in der klassischen Musik verarbeitet wird … Hauptsache, wenn ich das so sagen darf, ist eine spezifische Sicht der Welt, die man aufgreift: Wie die jüdischen Komponisten die Welt sehen, wie sie mit dieser Welt umgehen, wie sie versuchen, ihre Weltsicht auszudrücken.“ Außer Olga Rajewa sind die drei Komponisten des Rezitals alle jüdischer Abstammung und damit betroffen vom antisemitischen VernichtungsWahn des Naziregimes. Das hat auch den scheinbar so ganz assimilierten Mendelssohn getroffen, der schon während seines kurzen Lebens Antisemitismus erfahren musste. Sein Werk aber deckte Richard Wagner, aus neidisch eifersüchtigem Hass, mit krassen Vorurteilen für die Nachwelt effizient zu, die offenbar liebend gerne weiter kolportierte, was die Nazis dann als definitive Urteile vollstrecken konnten. Seinerzeit konnte die Antipathie Mendelssohn wenigstens einer glanzvollen, auch gesellschaftlich erfolgreichen Karriere nicht wirklich schaden. Ihm blieb erspart, was den lebenden, übrigens bis dahin meist sehr erfolgreichen, jüdischen Komponisten nach 1933 widerfuhr, wenn sie nicht wie Rathaus oder Weill, die beide in den USA „strandeten“, früh ihre Heimat verließen. Schulhoff starb im Internierungslager, Ullmann – um noch einen zu nennen – im KZ. Umso trauriger, dass sogar das Nachleben ihrer Kunst letztlich vom Terror fast ganz vernichtet wurde. Warum? Das erklärt Vladimir Stoupel ganz einfach: „Sie waren nicht mehr avantgardistisch genug, sie waren ‚vorbei‘. Sie waren noch nicht in diese Ewigkeit gerückt wie die ganz großen Klassiker. Noch nicht Beethoven und Schumann, aber Avantgarde waren sie auch nicht mehr. Sie rutschten irgendwo dazwischen durch, das war die Tragödie dieser Menschen. Nach langen Jahren entdeckte man sie wieder. Und sie wurden erneut, auf andere Weise, in einen engen Rahmen gesperrt. Ich versuche das Wort zu vermeiden, aber letzten Endes war es ein Ghetto: Sie wurden ins Ghetto der ‚Holocaust-Komponisten‘ eingesperrt.“ Felix Mendelssohn Bartholdy Fantasie op. 28 In dieses Komponisten-„Ghetto“ gehört Mendelssohn natürlich nicht, seine Musik aber wurde lange die hundert Jahre alten Vorurteile nicht mehr los. Nicht, dass sie weiterhin antisemitisch begründet wurden – sich davor akribisch zu hüten, war man selbstredend eifrig bemüht –, sie rutschen einfach in andere ästhetische und soziologische Kategorien. Das „Glatte“, das „rückwärtsgewandt Traditionalistische“, das „biedermeierlich Unverbindliche“ blieb – mit wenigen Ausnahmen und an wenige Orten – an seinem Werk hängen. Das Jubiläumsjahr gibt endlich Anlass zu, unverstellter und hoffentlich nachhaltiger Neubegegnung in der großen Öffentlichkeit. Vladimir Stoupel hat allerdings die beiden heute erklingenden Klavierwerke Mendelssohns schon lange im Repertoire, er setzt sie hier in noch ganz andere, bedeutsame Zusammenhänge: „Im Mendelssohn-Jahr ist es interessant zu sehen, wie sich das Pianistische seiner Epoche weiter entwickelte. Mendelssohn hatte eine ganz andere Art von Virtuosität als die Komponisten des 20.Jahrhunderts. Es ist sehr spannend, sie gegenüberzustellen. Es ist auch insofern spannend, weil seine Fantasie op. 28, auch ‚Schottische Sonate‘ genannt, ein sehr modernes Werk ist, im Umgang mit der Form äußerst frei, eine dreisätzige Fantasie, mit richtigen Improvisationselementen. Polystilistik, da sieht man die Entwicklung ins kommende Jahrhundert.“ Seit dem 1. Oktober 1833 war Mendelssohn, nach Aufenthalten in London und Berlin, als städtischer Musikdirektor in Düsseldorf tätig. Um sich dort einzuführen, ist er auch als Pianist aufgetreten. Die Fantasie ist wohl dafür bestimmt gewesen, wurde auch mit gebührender Brillanz ausgestattet, die wirkungsvoll zur Geltung kommt. Improvisation zwanglos in Form gebracht, so könnte man die Fantasie auch charakterisieren. Das Hauptthema, das nach ein paar Introduktionsläufen in getragenem, romantisch-melancholischem Andante erklingt, könnte eine „schottische“ Weise sein, wie der Untertitel suggeriert – als Reminiszenz an seine Schottlandreise 1829, der ja auch die dritte Sinfonie ihre Themen verdankt. Aber Virtuosität und auf verblüffende Überraschung bedachtes Schweifen in der Phantasie ist nur die äußerliche Absicht. Mag sein, dass die Anregung dazu Mozarts große c-Moll-Fantasie gab, aber im Grunde setzt Mendelssohn sich hier mit Beethoven auseinander, der ihn wie Bach oder Mozart sein Leben lang beschäftigte, obwohl sein großer Lehrer, „Goethes“ Carl Friedrich Zelter, der Beethoven ablehnte, das zu verhindern suchte. Mendelssohn aber war schon damals von Beethoven begeistert, an ihm führte auch für einen modernen, der eigenen Zeit offenen jungen Komponisten gar kein Weg vorbei. In erster Linie hieß das hier für Mendelssohn, dass alles Fantasieren „in Form“ gehalten werden muss. Er „fantasierte“ sozusagen auch mit „Sonatenformen“, die hier immer hintergründig präsent bleiben. Aber auch der pianistische Ansatz ist nicht nur auf der Höhe der zeitgenössischen Klaviervirtuosität, sondern entwickelt sich quasi aus Beethovens Klaviersatz. Im Mittelteil des zweiten Satzes wird er deutlich „zitiert“, in der Folge aber einer ganz eigenen mendelssohnischen Klaviersprache einverleibt – aus heutiger Sicht wirklich „polystilistisch“, wie Vladimir Stoupel es oben beschreibt. Karol Rathaus Klaviersonate Nr. 3 op. 20 Karol Rathaus wurde 1895 in Tarnopol geboren, dem heute ukrainischen Ternopil, im äußersten Osten Galiziens – damals die Grenzregion der k.k. österreichisch-ungarischen Monarchie zum Zarenreich. Er studierte zuerst in Wien und später in Berlin, wohin er seinem Kompositionslehrer Franz Schreker in den 20er Jahren folgte. Er war ursprünglich Pianist, dessen Klavierkompositionen sich im Repertoire namhafter Konzertpianisten befanden und hatte 1922 in Geschichte promoviert. Spätestens seit der erfolgreichen Uraufführung seines Balletts „Der letzte Pierrot“ 1927 in Berlin war der Durchbruch auch als Komponist geschafft. Im gleichen Jahr entstand die dritte Klaviersonate. Rathaus war offen gegenüber neuen Kunstformen und schrieb sehr früh und höchst erfolgreich für den Film. Auch Bühnenmusiken für das Sprechtheater entstammen seiner Feder. Sehr hellsichtig gegenüber den nationalsozialistischen Veränderungen in Deutschland, ging der Komponist schon 1932 mit seiner Familie zuerst nach Paris, dann nach London. Aber das Arbeitsverbot holte ihn ein. 1938 emigrierte Rathaus in die USA. Nachdem sich seine Hoffnung, als Filmkompost in Hollywood zu Ruhm und Ehre zu gelangen, zerschlagen hatte, übernahm er einen Lehrstuhl für Komposition am New Yorker Queens College. Verbittert über die fehlende Anerkennung in Europa und die Vertreibung ins Exil war Rathaus nicht an der Aufführung seiner Vorkriegswerke interessiert und versuchte sie teils sogar zu verhindern. 1954 starb er in New York als „amerikanischer Komponist polnischer Abstammung“. Im legendären Berlin der zwanziger Jahre konnte sehr vieles ausprobiert werden, der Verlust aller „ewigen“ Werte im Ersten Weltkrieg setzte eine unglaubliche Kreativität frei. Man konnte – wiederum „polystilistisch“ – experimentieren. Die dritte Sonate von Rathaus ist ein kraftvolles Beispiel, wie daraus sehr prägnante Musik werden konnte. Vladimir Stoupel dazu: „Rathaus folgte dem Muster Skrjabins, jedoch nur partiell. Man findet Anklänge an Prokofjew im 3. Satz der Sonate. Man findet aber auch ein Scherzo und eine Fuge, die im Schönbergschen Sinne aufgebaut ist. Sie waren damals unglaublich frei, die Menschen. Sie hatten nach der Katastrophe des 1. Weltkrieges eigentlich keinen strengen Rahmen mehr. Diesen neuen Rahmen musste man erst einmal finden. Strawinsky ging in die eine Richtung, Prokofjew in die andere. Und Rathaus ging in eine nochmals ganz andere. … Im 1. Satz seiner Sonate schreibt er kein Metrum. Es gibt zwar Taktstriche, aber die sind absolut variabel – eigentlich gibt es keine. Sie stehen auf dem Notenpapier, weil man die Fragmente voneinander abgrenzen muss, aber man hätte genauso gut auch ohne Taktstriche schreiben können. Manche Takte sind vier Viertel lang, andere nur drei Viertel, wieder andere zehn Viertel. Es spielt eigentlich überhaupt keine Rolle, was für ein Metrum da gewählt wird. Es gibt auch eine ausdrückliche Angabe des Komponisten, dass man es frei spielen soll. Reine Improvisation.“ Olga Rajewa Jahreszeiten – Jahreszeichen „Damit ein Stück (sei es für Solo-Instrument, Ensemble oder Orchester) entstehen kann, ist es für mich notwendig, Idee/Gestalt, Materie und Form als Einheit wahrzunehmen. Unter Materie verstehe ich die Gesamtheit aller Klangelemente und deren Wechselbeziehung mit der Idee. Form ist für mich die Logik des Aufeinander-Folgens und die Beachtung der Proportionen zueinander. … In meinen Kompositionen für Solo-Instrument gehe ich von meiner Vorstellung des Instruments aus, seiner Persönlichkeit sozusagen (bzw. Mythologie, bzw. Gestalt), um diese jedesmal in Bezug auf die konkrete Idee unterschiedlich abzuwandeln. Es ist klar, dass, je reicher der „Klangraum“ eines Instrumentes, desto breiter das Ideenspektrum der Komposition ist. Stücke für SoloInstrument sind wohl deshalb sehr konzentriert und jedes noch so kleine Detail erlangt eine Bedeutung, da die gesamte Dramaturgie, das Tonrelief des Stückes durch die Mittel allein eines Instrumentes realisiert werden,“ beschreibt Olga Rajewa ihr Konzept, das sie zu einem neuen Stück hinleitet, hier einem Werk für ein einzelnes Instrument. Und zum neuen Klavierzyklus „Jahreszeiten – Jahreswechsel“ schreibt sie: „Der Wechselkreis der Jahreszeiten ist immer unverändert, aber immer erstaunlich. Jede Jahreszeit bringt nicht nur den Wechsel von Wetter oder Laune mit sich, sie hat auch ihre eigene Symbolik (in den bekannten Zeichen des Zodiakus und außerdem, für jeden individuell, in einer Fülle im inneren Nachsinnen für sich selbst gefundener Merkmahle). Viele Künstler und Komponisten hatten dieses ewige Thema aufgegriffen. Auch ich drücke meine Wahrnehmungen in diesem Klavierzyklus aus, den ich im Auftrag zum Thema „Haltet die Zeit“ für Kasseler Kammermusiktage geschrieben habe. Erwin Schulhoff Suite Nr. 3 für die linke Hand „Musik soll in erster Linie durch Rhythmus körperliches Wohlbehagen, ja sogar Ekstase erzeugen. Sie ist niemals Philosophie, sie entspricht dem ekstatischen Zustand und findet in der rhythmischen Bewegung ihren Ausdruck“, schrieb Schulhoff 1920 in „Revolution und Musik“. Schulhoff, ein Jahr älter als Rathaus, stammte aus Prag, also ebenfalls aus dem Reich der k.k. Monarchie. Auf Empfehlung Antonín Dvořáks hatte er schon als Sechsjähriger Klavierunterricht am Konservatorium erhalten, bevor er mit zehn ein reguläres Studium beginnen konnte. Vier Jahre später ging er nach Leipzig – einer seiner Lehrer war Max Reger – und setzte seine Ausbildung anschließend in Köln fort. Zweimal wurde dem jungen Musiker der Berliner Mendelssohn-Preis zuerkannt: 1913 für sein Klavierspiel, 1918 für sein Streichquartett op. 25. An der Kölner Oper arbeitete er unter Otto Klemperer als Korrepetitor. Den vielleicht wichtigsten Einfluss auf seine persönliche und künstlerische Entwicklung hatte ein anderthalbjähriger Aufenthalt in Dresden 1919/20: Durch seine Schwester, die an der Kunstgewerbeschule studierte, kam er mit den expressionistischen Kreisen um Otto Dix und Conrad Felixmüller in Berührung und lernte George Grosz und die Dada-Bewegung kennen. In den verrufenen avantgardistischen Strömungen fühlte er sich zu Hause verinnerlichte Sätze wie „Meine Devise!/ Lernt Dada/ daher – o glaubt mir!/ Dada siegt.“ Trotzdem war in Dresden keine berufliche Zukunft zu finden und Schulhoff ging 1923 nach Prag zurück. Seine kompositorischen Anknüpfungspunkte sah er in der Zweiten Wiener Schule um Schönberg und im französischen Neoklassizismus ebenso wie im Jazz. Im Konzertleben fasste er kaum wirklich Fuß, seine Erfolge waren meist an eigene Auftritte als Pianist gekoppelt. Mit der Machtergreifung Hitlers wurden für den Juden die Auftrittsmöglichkeiten zuerst in Deutschland unmöglich, mit der Errichtung des Protektorats Böhmen und Mähren 1939 ging auch die Anstellung als Rundfunkpianist verloren. Schulhoff war schon in den 30er Jahren in die Kommunistische Partei eingetreten, er bemühte sich nun, in die Sowjetunion überzusiedeln. Seit 1941 hatte er die sowjetische Staatsbürgerschaft, aber die Ausreise verzögerte sich – Schulhoff wurde in Prag als jüdischer, kommunistischer Sowjetbürger verhaftet und in das Internierungslager Wülzburg in Bayern verschleppt. Hier starb er etwa ein Jahr später an Tuberkulose. Die Suite Nr. 3 für die linke Hand ist dem befreundeten Pianisten Otokar Hollmann gewidmet, der als Invalide aus dem Ersten Weltkrieg zurückgekehrt war. Die Komposition von 1926 fängt etwas vom Zeitgeist und Flair der zwanziger Jahre ein, die Begeisterung für Jazz und Tanzrhythmen ist in den fünf Sätzen hörbar. Beeindruckend kann die Suite in ihrer knappen und ausgewogenen Form, ihrem, wie Vladimir Stoupel sagt, „Bartók-artigen Neoklassizismus“, alle „Ingredienzien“ stilistisch zu einer Einheit formen. Felix Mendelssohn Bartholdy Variations sérieuses op. 54 Damals wurde das Variationenschreiben von jedem Instrumentalvirtuosen zur glänzenden Demonstration seiner akrobatischen Fähigkeiten am Fließband praktiziert. Entsprechend war ihr künstlerischer Wert, und Robert Schumann hat sich denn auch schon 1836 wütend über den Verfall einer, von Bach und Beethoven so vollendet erfüllten Gattung ausgelassen, ein Jahr nach seinen eigenen großartigen „Symphonischen Etüden“. Mendelssohn war dergleichen Spektakel-Unwesen im Konzertleben überhaupt zuwider, er litt darunter, zugleich ein Teil davon selbst zu sein. Außer diesen „ernsten“ hat er denn auch keine anderen Variationen komponiert. Sie zu schreiben, bestand aber ein Anlass, dem er sich nicht entziehen konnte: Klavier-Spezialisten wie Chopin, Liszt, Czerny und auch der befreundete Ignaz Moscheles wollten 1841 einen, Beethoven gewidmeten!, Sammelband eigener Werke zusammenstellen, unter dem Titel „Dix morceaux brillants“. Mendelssohn trug sein Teil dazu bei, aber ausdrücklich „sérieux“, also nicht „brillant“. Obwohl sie das natürlich auch sind. Vor allem aber sind sie ein beeindruckendes Gegenstück zu Schumanns „Etüden“ in ihrer klassischen „Gefasstheit“ und Konzentration. Trotzdem ist Mendelssohns Klaviersprache sowohl, „variationstechnisch“ ausgedrückt, voller äußerst raffinierter Einfälle, als auch erfüllt von tief empfundener, weitgespannter Emotionalität. Schon das – eigene – Thema ist so klug wie inspiriert in seiner, variationsbedachten, scheinbaren Einfachheit. Metrisch um einen halben Takt verschoben, mit ausgreifender, ungewöhnlich reichhaltiger Harmonik scheint es anfangs, trotz klarer Konturen, eigentümlich zu „schweben“. Aber darin, wird Mendelssohn zeigen, ist eine beeindruckende Vielfalt an Emotionen und thematischen, ganz andere Charaktere schildernden Verwandlungen verborgen. Mendelssohn baut das überlegen auf: Langsam entfernt er sich, dem Schema folgend, vom Thema, steigert dann die Dramatik bis zu fast wilden Ausbrüchen und „denkt“ in der 13. Variation plötzlich „um“, lässt nun die Melodie leggiero umspielen. Das ist zugleich die Überleitung zu einer kontemplativen, nach Dur gewendete Ruhe, die nach der Erregung umso intensiver nach innen schaut – und thematisch am weitesten von der Hauptmelodie entfernt ist! Nach diesem emotionalen, leisen, bewusst im Gegensatz zum effekthascherisch gewohnten Tastendonner angelegten, „inneren“ Höhepunkt zieht die zweite, durchaus auch wieder klavierspielerisch virtuose Steigerung den Hörer noch mehr in Bann bis zur fulminanten Coda. Die wird jedoch ganz am Schluss zurückgewendet zum Anfang, in eine leise, langsame, letzte Reminiszenz des Themas: Die „Wahrheit“ einer echten Empfindung soll im Gedächtnis haften bleiben, nicht die staunenswerte Akrobatik des kunstfertigen Interpreten. Obwohl: Einen solchen setzt Mendelssohn doch ganz selbstverständlich voraus – geistreicher könnte kein Kommentar zu der Mustersammlung „brillanter Variationen“ ausfallen! Eindrucksvoller und bemerkenswerter kann man dieses inhaltlich so reiche Programm nicht beenden. Martin Griesemer KÜNSTLER Olga Rajewa wurde 1971 in Moskau geboren. 1989 - 1994 studierte sie am Staatlichen Tschaikowski-Konservatorium Moskau Komposition und Orchestration bei Edison Denissow, Komposition auch bei Wladimir Tarnopolski, Partiturspiel bei Nikolai Korndorf, außerdem Musiktheorie bei Juri Kholopow. 1994-1996 schloss sie ihr Promotionsstudium dort ab. Später ließ sie sich von Beat Furrer beraten. Bereits Anfang der 90er Jahre wurden die Werke von Olga Rajewa dem breiten Publikum präsentiert, 1991 beim Festival „Moskauer Herbst“ und 1992 beim internationalen Festival „Moskau-Modern“. Bei der Kritik „hinterließ sie tiefen Eindruck“ mit ihrer „eindrucksvollen Individualität“ und wurde als „eine der begabtesten russischen Künstler der jungen Generation“ bezeichnet. Ihre Kompositionen kamen bei zahlreichen prominenten europäischen Festivals zur Aufführung, darunter bei den „Gaudeamus Music Week“ in Amsterdam, der „Zagreb Biennale“, den „Dresdner Tage für zeitgenössische Musik“, den schwedischen „ISCM World Music Days“, dem „Musikprotokoll“ des ORF beim „steirischen herbst“, den „Klangspuren“ Wien, den „Wittener Tagen für neue Musik“, aber auch in den USA, Kanada, Brasilien und Korea. Mehrere Stücke von Olga Rajewa wurden vom Arditti–Quartett, vom Ensemble Recherche, Ensemble Modern, Schönberg-Ensemble und anderen bekannten Ensembles interpretiert. Sie erhielt verschiede Stipendien, u. a. 1994-97 das Stipendium des russischen Kulturministeriums, 1998-99 das Jahresforschungsstipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes und 1999 ein Stipendium des Berliner Senats. Olga Rajewa gewann 1997den ersten Preis im Goffredo-PetrassiWettbewerb für Orchesterstücke in Parma, den Preis des internationalen Komponisten-Workshops „Forum 98“ in Montreal und 2002 den Preis der Hitzacker Internationalen Musiktage und den Bernd-Alois-Zimmermann– Preis der Stadt Köln. Olga Rajewa ist Mitglied des Russischen Komponistenverbands und der Assoziation der zeitgenössischen Musik Russlands. „Vladimir Stoupel zieht den Hörer in einen geradezu rauschhaften Zustand hinein und setzt seine Pianisten-Persönlichkeit als Maß aller musikalischen Dinge“, schrieb der Berliner Tagesspiegel. Vladimir Stoupel ist ein Individualist mit einer außerordentlich reichen klanglichen wie emotionalen Palette und wagt sich an die äußersten Grenzen des Ausdrucks mit einer Intensität, die die Zuhörer unweigerlich in seinen Bann zieht. Als Gestalter seiner eigenen Programme versucht Vladimir Stoupel den Rahmen des konventionellen Klavierrepertoires zu durchbrechen: es ist ihm wichtig, selten gespielte oder zu Unrecht vergessene Meisterwerke zur Aufführung zu bringen und ihre hohe musikalische Qualität im Dialog mit anerkannten Werken herauszustellen. Geboren in Russland, studierte Vladimir Stoupel Klavier bei Ewgenij Malinin und Dirigieren bei Gennadij Rozhdestwenskij am Moskauer Konservatorium. Parallel war er fünf Jahre lang Schüler des renommierten russischen Pianisten Lazar Berman. Neben zahlreichen Konzerten in Europa und in den USA („ein pianistisches Feuerwerk“, so die Washington Post) erscheinen Vladimir Stoupels Klavierabende regelmäßig in den Programmen internationaler Festivals, wie dem Schleswig-Holstein Musikfestival, den Brandenburgischen Sommerkonzerten, dem Printemps des Arts Festival in Monte Carlo und dem Helsinki-Festival. Auch in der Avery Fisher Hall New York, der National Gallery Washington DC, der Großen Musikhalle Hamburg sowie im Konzerthaus Berlin, der Berliner Philharmonie und dem Konzerthaus Dortmund ist Vladimir Stoupel ein gern und häufig gesehener Gast. Als Konzertsolist trat Vladimir Stoupel u. a. bei den Berliner Philharmonikern, dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin, dem Gewandhausorchester Leipzig, dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, dem Russischen Staatsorchester, der Staatskapelle Weimar und der Staatsphilharmonie Kassel auf. Dabei arbeitete er mit Dirigenten wie Christian Thielemann, Michail Jurowski, Leopold Hager, Marek Janowski, Patrik Ringborg und Günther Neuhold zusammen, um nur einige zu nennen. Seine umfangreiche Diskografie dokumentiert entsprechend unterschiedliche Stile und Epochen, erschienen sind z. B. das Klavierwerk von Schostakowitsch, das Gesamtwerk für Klavier von Arnold Schönberg wie auch Kammermusik von Schumann und Brahms. „Stoupels Interpretationsstil fasziniert“ - urteilte der BR über seine Gesamteinspielung der Sonaten Skrjabins. Diese Aufnahme, die den "Excellentia"-Preis in Luxemburg bekam wie auch zwei weiterer CD‘s: „Das Leben der Maschinen“ und „Elegie auf die Jüdischen Städte“, gehören bisher zu seinen wichtigsten Einspielungen. Seine Gesamteinspielung der Werke für Viola und Klavier von Henri Vieuxtemps mit Thomas Selditz erhielt den begehrten „Preis der deutschen Schallplattenkritik“. Französischer Staatsbürger seit 1985, lebt Vladimir Stoupel heute in Berlin. IMPRESSUM Kasseler Musiktage e. V. in Verbindung mit dem Hessischen Rundfunk Künstlerischer Leiter Dr. Dieter Rexroth Vorstand Ernst Wittekindt, Prof. h.c. Barbara ScheuchVötterle, Patrik Ringborg, Eckard Wörner Geschäftsführung Maren Matthes Büro/Management Silke Bierwirth, Margit Schumann, Christoph Schluckwerder Graphik-Design take off – media services christowzik + scheuch, www.takeoff-ks.de Abendprogramm Martin Griesemer (unter Verwendung des ersten Zitats von Vladimir Stoupel und der Textpassagen zu Rathaus‘ und Schulhoffs Leben von Babara Gubisch aus dem Programmheft des Konzerthauses Berlin zum Recital des Pianisten am 27. Januar 2009 und von Abschnitten seines Interviews mit Helge Birkelbach im Magazin des Konzerthauses) Förderer der Kasseler Musiktage Hessisches Ministerium für Wissenschaft und Kunst / B.Braun Melsungen AG / Kasseler Sparkasse Kulturstiftung / Stadt Kassel / ernst von siemens musikstiftung / Kasseler Sparkasse / Art Mentor Foundation Luzern / kali + salz / GEMA Stiftung / Strecker Stiftung / Evangelischer Stadtkirchenkreis Kassel / SparkassenKulturstiftung Hessen-Thüringen / C. Bechstein Centrum Berlin / SV Sparkassen Versicherung / Hübner GmbH / Bärenreiter Verlag / Alkor Edition / Städtische Werke / Landgraf Moritz Stiftung / Furore Verlag / Merseburger Verlag / Stiftung Axel Bergmann / Mercedes-Benz, Niederlassung Kassel/Göttingen / Ramada Hotel Kassel City Centre / penta hotel kassel / Hessisch-Niedersächsische Allgemeine / hr2-kultur