KOMMENTIERT Die Miete ist sicher Ein hilfloser Dirigismus ersetzt keine maßvollen Vorschriften URSULA WEIDENFELD Geboren 1962 in Mechernich, Wirtschaftsjournalistin, Kolumnistin und Moderatorin in Berlin und Potsdam, schreibt für zahlreiche Publikationen, unter anderem für das „Handelsblatt“ und den „Tagesspiegel“. Wer eine Fußbodenheizung verlegen will, muss sich im Berliner Bezirksrathaus Pankow neuerdings um eine Genehmigung bemühen. Ein zweites Klo für eine Etagenwohnung? In Friedrichshain-Kreuzberg, ebenfalls eine wieder beliebte Gegend in Berlin, darf man das nicht mehr immer einbauen. Eine Mietwohnung in ein Eigentümerobjekt umwandeln? Im 74 Die Politische Meinung Hamburger Stadtteil Eimsbüttel ist auch das nur noch möglich, wenn die Sozialbehörde zustimmt. In Hamburg und Berlin hat eine alte Vokabel wieder Konjunktur: Milieuschutz heißt sie. Für diejenigen, die in beliebten Stadtvierteln der beiden Großstädte eine Wohnung gemietet haben, bedeutet das mehr Sicherheit: Hier sollen Eigentümer nicht mehr so ohne Weiteres in der Wohnung heruminvestieren und anschließend die Mieten erhöhen dürfen. Wohnen in der Innenstadt soll bezahlbar bleiben. Das haben sich die beiden großen Stadtstaaten Deutschlands vorgenommen, und dafür haben sie die Milieuschutz-Verordnungen ausgedacht. Auch München und Frank- furt hätten solche Regelungen gerne, andernorts wird über die Wiederbelebung des sozialen Wohnungsbaus nachgedacht. EXISTENZIELLES GRUNDBEDÜRFNIS Kein Zweifel: In Deutschland wird wieder über Mieten und Wohnungsnot, über Sanierungsdruck und Verdrängung gewachsener Nachbarschaften diskutiert. Zu Recht sorgen sich Bürgermeister und Sozialpolitiker. Eine Wohnung zu haben, ist ein existenzielles Grundbedürfnis der Menschen. Dafür zu sorgen, dass auch Einkommensschwache und große Familien, Alte und Kranke angemessen wohnen können, ist in Deutschland seit dem zwanzigsten Jahrhundert nicht nur eine Sache des Marktes, sondern immer auch eine Angelegenheit des Staates gewesen. Der Staat hat den Wohnungsbau gefördert, er hat sozialen Wohnungsbau angeregt, er hat mit Mietrecht und Eigentumsverpflichtung für berechenbare Verhältnisse auf dem Wohnungsmarkt gesorgt. Für ganz Deutschland betrachtet, hat das sogar einigermaßen gut geklappt. Die Mietpreise stiegen in den vergangenen zwanzig Jahren langsamer als die allgemeine Geldentwertung. Die Quadratmeterzahl, die jeder Deutsche durchschnittlich bewohnt, wächst immer noch Jahr für Jahr: auf jetzt knapp fünfzig Quadratmeter pro Kopf. Von übertriebener Enge kann man also kaum sprechen, solange man nur den Durchschnitt betrachtet. Dazu kommt, dass die Zahl der Eigentümer wächst. Deutschland ist schon längst kein Mieterland mehr, in dem ein ausgefeiltes Mietrecht die Mehrheit der 75 Nr. 520, Mai / Juni 2013, 58. Jahrgang Bevölkerung vor Mietwucher schützen müsste. Die Deutschen haben inzwischen ein Immobilienvermögen in Höhe von sechs Billionen Euro angesammelt, rechnet das Kölner Institut der deutschen Wirtschaft vor. Vor zwanzig Jahren, kurz nach der Deutschen Einheit, waren es gerade einmal drei Billionen. Fast zwei Drittel der Rentnerinnen und Rentner in Deutschland wohnen heute im eigenen Heim. Achtzig Prozent der Haushalte mit einem monatlichen Nettoeinkommen von 4.500 Euro haben Immobilienvermögen. Wer allerdings weniger als 1.300 Euro im Monat netto zum Leben hat, besitzt in der Regel auch kein Immobilienvermögen. Nur zwanzig Prozent der Wenigverdiener müssen keine Miete zahlen. Und die wohnen meist auf dem Land. RELEVANTE GRÖSSE FÜR ACHTZIG PROZENT Anders sehen die Verhältnisse in den Großstädten aus. In Berlin beispielsweise sind nur zwanzig Prozent der Haushalte Immobilieneigentümer – für achtzig Prozent sind die Höhe und die Entwicklung der Mieten also eine relevante Größe. Dazu kommt, dass sich die Bevölkerung der Großstädte schneller austauscht als die auf dem Land. Wer mobil ist, ist von Preisänderungen stärker betroffen – sowohl, wenn die Preise verfallen, als auch, wenn sie steigen. In Berlin ziehen pro Jahr mehr als 600.000 Personen um, davon mehr als 300.000 innerhalb der Stadt. In München oder Köln wechseln 200.000 Personen die Wohnung. Steigen die Mieten und die Wohnungspreise, spüren das die Großstädter schneller. Je mehr Menschen Kommentiert innerhalb einer Stadt die Wohnung wechseln und umziehen, desto dynamischer verläuft die Entwicklung der Auf- oder Abwertung ganzer Stadtviertel. Die vermeintliche allgemeine neue deutsche Mietenfrage entpuppt sich so tatsächlich als ein akutes Thema für bestimmte Gruppen in einigen großen Städten. Betroffen sind die Armen, die Jungen und die Mobilen. DEUTSCHE SPEKULATIONSBLASE Das passiert zurzeit: Zwei Trends überschneiden sich. Immer mehr Menschen möchten gern in den Städten – und dort am liebsten in bestimmten Vierteln – wohnen. Das macht den Wohnraum knapp. Gleichzeitig wird erstmals seit Jahren wieder viel im Wohnungsbau investiert. Die Investoren bevorzugen angesichts der vergleichsweise hohen Bodenpreise den gehobenen Standard. Sie bauen und sanieren für das Bürgertum, für die Gutverdiener. Niedrige Zinsen und die Angst vor der Eurokrise treiben die Entwicklung zusätzlich so stark an, dass hier mit Recht von dem Entstehen einer deutschen Wohnungsbauspekulationsblase gesprochen werden kann. Aber ist es deshalb richtig, das Mietrecht weiter zu verschärfen, die Eigentümerrechte zu beschneiden und wieder in großem Stil in den sozialen Wohnungsbau einzusteigen? Nicht unbedingt. Denn die Erfahrungen der Vergangenheit haben gezeigt, dass die staatliche Wohnraumsteuerung – nicht nur in Deutschland – nie besonders gut funktioniert hat. Statt der gewünschten gemischten Wohnviertel 76 Die Politische Meinung hat der soziale Wohnungsbau bis weit in die 1970er-Jahre hinein homogene Trabantenstädte an den Stadträndern geschaffen, die heute die Problemviertel der Großstädte sind. In Köln heißt dieses Viertel Chorweiler, in München Hasenbergl. In Berlin ist es das Märkische Viertel, in Hamburg der Mümmelmannsberg. Hier ist der Wohnraum zwar bezahlbar, doch leben würden hier die wenigsten, wenn sie die Wahl hätten. Wer die Wahl hat, zieht dorthin, wo andere Menschen wohnen, die auch die Wahl haben. Gemischte Wohnviertel sind zwar aus Sicht von Stadtplanern und Schuldirektoren, von Sozialpolitikern und Integrationsbeauftragten, Polizisten und Einzelhändlern erstrebenswert. Doch bilden sie in aller Regel nur Übergangssituationen ab. Menschen entscheiden sich anders. Sie entmischen sich. Natürlich kann man sich auf den Standpunkt stellen, dass die Wohnungsspekulation in ein paar Jahren zusammenbricht. Dann wird das Wohnen in den Innenstädten wieder zu erträglichen Preisen möglich sein. Es spricht sogar einiges dafür, dass es so kommen wird. Das aber hilft denjenigen nicht, die heute wegen steigender Mieten ihre Wohnungen verlassen müssen oder sich das Wohnen in bestimmten Städten nicht mehr leisten können. Auch der hilflose Dirigismus, der sich in den Milieuschutz-Verordnungen manifestiert, taugt allenfalls zur emotionalen Entlastung von Bezirkspolitikern und etablierten Anwohnern. Am Ende werden weder ein Fußbodenheizungsverbot noch ein Wintergartenbann verhindern, dass in angesagten Vierteln die Mieten steigen und dass sich dort die Bevölkerungsstruktur verändert. Die Miete ist sicher, Ursula Weidenfeld STANDARDS ABSPECKEN Viel wichtiger wäre es, dass Bürgermeister und Landesregierungschefs sich endlich zu mehr Kooperation durchringen würden. Das Immobilienforschungsinstitut Empirica weist darauf hin, dass viele Großstädte nach wie vor über große Flächenreserven innerhalb und jenseits der Stadtgrenzen verfügen, die sie für den Neubau von Wohnungen nutzen könnten. Hier könnten die Städte auch dafür sorgen, dass kein Luxus-, sondern bezahlbarer Wohnraum entsteht. Es ist wichtig, Anreize für das preisgünstigere Errichten von Mietwohnungen zu schaffen. Fast nirgendwo in der Welt ist es so teuer wie in Deutschland, Wohnungen zu bauen. Angefangen beim Keller über die Zahl der zu bauenden Parkplätze, Sicherheits-, Umwelt- und Klimastandards bis zu Gestaltungssatzungen und Denkmalschutz: Wer Premium-Vorschriften erlässt, darf sich nicht wundern, wenn am Ende Premium-Anlagen zu Premium-Preisen entstehen. Günstiger Wohnraum in Innenstadtlagen lässt sich nur dann bauen, wenn die Standards abgespeckt werden. Außerdem könnten Großstadt-Bürgermeister, die Umlandgemeinden und die Landesregierungen den öffentlichen Personennahverkehr wieder einmal genauer anschauen. Würden nämlich die Bahnen im Umkreis der Metropolen besser abgestimmt, öfter und schneller fahren, würde das oft sehr dünn besiedelte Umland zum Wohnen wieder attraktiver. Gerade für Berlin, aber auch für Hamburg und selbst für Frankfurt und Stuttgart wären das Alternativen. Städte wie Brandenburg oder 77 Nr. 520, Mai / Juni 2013, 58. Jahrgang Wittenberge, Fulda oder Bad Hersfeld mögen heute einen eigenwilligen Charme haben, der sich nicht jedem potenziellen Neubürger auf Anhieb erschließt. Doch wenn man sich die Entwicklung einer Stadt wie Lüneburg vor den Toren Hamburgs vor Augen führt, dann sieht man auch, dass es keine Zumutung sein muss, nicht in der Mitte einer Großstadt wohnen zu können. Bis heute aber scheitern solche Überlegungen immer wieder an den Egoismen der Gebietskörperschaften. Die Ministerpräsidenten haben keine Lust, für Stadtstaaten wie Hamburg oder Berlin die Verkehrsinfrastruktur bereitzustellen. Und die Bürgermeister sind nicht scharf darauf, noch mehr Menschen aus dem Umland auf den innerstädtischen Straßen und Bahnhöfen zu sehen, sie in den städtischen Krankenhäusern zu behandeln oder in der Oper neben ihnen sitzen zu müssen. Dabei läge hier das wirkliche langfristige Lösungspotenzial für viele Probleme der derzeitigen Binnenmigration. Auch in Zukunft werden sich Wohnviertel verändern, sie werden sozial auf- oder abgewertet. Auch in Zukunft wird sich nicht jeder eine Wohnung in der Hamburger Hafen-City oder am Münchner Odeonsplatz, im Berliner Grunewald oder in den Kölner Kranbauten leisten können. Dafür zu sorgen, kann auch nicht die Aufgabe einer vernünftigen Wohnungsbaupolitik sein. Eine vernünftige Stadt- und Regionalpolitik wird sich dafür einsetzen, dass bezahlbarer Wohnraum möglich und erreichbar bleibt. Damit wäre schon viel erreicht.