Biblische Gemeindeleitung © Ronald Senk 1 Biblische Gemeindeleitung1 Eine biblisch-theologische Untersuchung Von Ronald Senk (BTh, HonsBTh, MTh) Einleitung Viele Christen sind hin und hergeworfen, weil sie einerseits die biblische Lehre sehen, aber andererseits sich auch der (andersdenkenden) Gemeindeleitung unterordnen möchten. Um diese Frage beantworten zu können, muss die Schrift über die Autorität von Gemeindeleitern hin befragt werden. Diese praktisch-theologische Frage gehört eigentlich auch in den Bereich der Hermeneutik. Denn wenn die Entscheidung über die rechte Schriftauslegung in den Händen von den Gemeindeleitern gelegt sein soll, dann sind diese Menschen ein wichtiger Schlüssel für die „rechte Schriftauslegung“. Wir werden daher der Frage nachgehen, wie viel Lehrautorität ein heutiger Gemeindeleiter für sich in Anspruch nehmen darf und was dies konkret für den Umgang mit unterschiedlichen Ansichten bedeutet. Wie viel (Lehr-)autorität haben heutige Gemeindeleiter? Eine „göttliche Vollmacht und Autorität“ einer Person ist allein vom Wort Gottes geliehen und keine dem Menschen ontologisch-habituell gegebene „pneumatische Eigenschaft“. Verkündigt und handelt ein Ältester (oder Missionar, Evangelist, Sonntagsschulmitarbeiter usw.) in Übereinstimmung mit der Schrift, handelt er in Vollmacht. Aber nicht in eigener Vollmacht, sondern in der Vollmacht des lebendigen, mächtigen und geisterfüllten Wortes Gottes (Jes.55,10f; Jer.23,; Neh.9,30; Joh.3,34; 6,63; Apg.20,32; 1.Kor.1,18.21; Röm.1,16; 1.Thes.2,13; Eph.6,17; 2.Tim.3,15-17; Hebr.4,12; Jak.1,18; 1.Petr.1,23 uva.2). Besonders Apg.20,32 macht diesen Sachverhalt deutlich. Roloff kommentiert dazu: „Das Amt [des Ältesten - RS] garantiert für Lukas trotz der hohen Bedeutung, die er ihm beimißt, nicht die Wirksamkeit des Geistes, es ist vielmehr selbst der im Wort gegenwärtigen Macht des Geistes unterstellt. Das Wort Gottes allein ist mächtig, die Kirche zu ’erbauen’ - hinter dieser Wendung steht das im Neuen Testament verbreitete Bild der Kirche als der Gottestempel der Endzeit (1.Kor.3,9-14; Eph.4,12 u.a.) – und das zukünftige Heil zu erschließen. (...) Lukas erweist sich als ’Theologe des Wortes’”3 Barrett sagt: „In fact it is the word of God, God in his word, who is able to build up the elders themselves and the church that they serve.”4 Menschen – auch Gemeindeleiter – haben nur in dem Maße „Autorität und Vollmacht“, wie sie sich an Gottes Wort halten. Denn nicht Menschen regieren die 1 Vgl. Ronald Senk. 2006. Das Israel Gottes – Die Frage nach dem Volk Gottes im Neuen Bund. RVB Hamburg. 2.ed. S.98-115 2 Ronald Senk. 2008. Das Schwert des Geistes – der Zusammenhang von Wort und Geist in der Heiligen Schrift. 2.ed. Betanien Oerlinghausen (siehe dazu auch die Corrigenda zur 2.Auflage auf „cbuch.de“). 3 Jürgen Roloff. 1981. Die Apostelgeschichte (NTD 5). Göttingen Vandenhoeck & Ruprecht., S.306f 4 Charles K. Barrett. 1998. The Acts of the Apostles Bd.II (ICC). Edinburgh T & T Clark. S. 981 Biblische Gemeindeleitung © Ronald Senk 2 Gemeinde, sondern Gott mit seinem lebendigen und pneumaerfüllten Wort. Die Aufforderungen im NT sich den Gemeindeleitern unterzuordnen und gehorsam zu sein (z.B. Hebr.13,17 u.a.) gelten nicht als „Autoritäts- Blankoscheck“. Als die Verfasser (Paulus u.a.) diese Aussagen formulierten, hatten sie konkrete Menschen vor Augen, von denen sie wussten, dass sie die rechte Lehre recht austeilten (damals hatte nicht jeder eine „Bibel“ und man war viel mehr von der Lehre anderer abhängig – daher auch mehr Verantwortung). Die Apostel haben aufs engste mit den Ältesten der Gemeinden zusammengearbeitet und diese (durch Mitarbeiter und anhand vorgegebener Kriterien) eingesetzt (vgl. nur Apg. 15,1ff; 20,17ff; Tit.1,9; 1.Tim.5,22 u.a.). Oder sie wurden sogar direkt vom Heiligen Geist eingesetzt (vgl. Apg.20,28 mit 13,2f ). Von diesen so durch die Apostel (oder deren Mitarbeiter) bzw. den Heiligen Geist erkannten (oder den Aposteln bekannten) Ältesten konnte gesagt werden, dass man ihnen gehorchen und folgen sollte. Auch die anderen Anweisungen bzgl. der Ältesten im NT (wie z.B. die Anweisungen in 1.Tim.5,17-21 über die Anklage oder den Umgang mit Ältesten) dürfen nicht auf heutige (zumeist von der Gemeinde demokratisch gewählte oder bestätigte5) Gemeindeälteste oder Leiter übertragen werden, da sie alle nicht direkt von Gott eingesetzt wurden und keine „gleichwertigen“ Ältesten oder Leiter wie z.Zt. des NT sind bzw. sein können. Heute (in der nachapostolischen Zeit) gibt es keine apostolisch-pneumatisch berufenen Ältesten bzw. Gemeindeleiter mehr, wie es sie z.Zt. des NT gab. Diese neutestamentlichen Ältesten hatten eine apostolisch-göttliche Lehrautorität, die es heute nicht mehr gibt. Daher sind die Aussagen über die Ältesten bzw. Gemeindeleiter nicht auf heutige „Amtsinhaber“ übertragbar. Dies betrifft vor allem Aussagen über die Autorität und Vollmacht von Ältesten (gegen Stadelmann, 5 Älteste wurden nicht demokratisch gewählt, sondern anhand bestimmter apostolischen Kriterien und Auflagen erkannt und eingesetzt. Nur weil eine Anzahl oder Mehrheit von Menschen eine Person zu ihrem „Führer“ wählen, hat dies keinerlei geistliche oder theologische Bedeutung (geschweige denn „geistlichtheologische Autorität“). Es wird einem bei einer solchen Wahl oft suggeriert, dass der Heilige Geist sie dabei leiten würde. Diese Vorstellung ist schwärmerisch und nicht mit der Bibel zu begründen. Zumeist ist es eben nicht „der Heilige Geist“, sondern die Sympathie oder andere menschliche Kriterien, die die Wahl bestimmen. Vor allem im Blick auf so manche theologischen Überzeugungen und Vorstellungen mancher Gemeinden ist eine Verbindung bzw. Ineinssetzung von „Gottes Willen“ und „Demokratischer Wahl“ unhaltbar und utopisch. Auch Apg.6,3-5 kann nicht als Beleg für die demokratische Wahl genommen bzw. als Anleitung zur heutigen Ältestenwahl herangezogen werden. Zuerst geht es hier um eine Diakonen-, nicht um eine Ältestenwahl (vgl. den ausdrücklichen Unterschied zur Lehraufgabe in V.2b). Dabei ist die Bezeichnung „Diakon“ nicht unbedingt mit einem „Leitungsamt“ der Gemeinde verbunden, sondern – wie hier in Apg.6 die Verwaltung des Witwengeldes – mit einem ganz bestimmten Dienst und Auftrag (vgl. Röm.16,1, wo eine Frau einen diakonischen Dienst ausübt, obwohl nach Tit.1,5ff und 1.Tim.2,11ff den Frauen diese Dienste nicht erlaubt sind – siehe Fußnote 13). Zweitens wurde hier nicht gewählt (also demokratisch „abgestimmt“), sondern anhand von geistlichen Kriterien wurden Leute „erkannt“ (hier ist eine Analogie zu dem Vorgehen in 1.Tim.3,1-13; Tit.1,5-9 zu sehen). Danach wurden diese Leute von den Aposteln durch Handauflegung in ihrem Dienst bestätigt und eingesetzt. Auch dies ist heute in der nachapostolischen Zeit nicht mehr möglich, so dass – selbst wenn es hier in Apg.6 um den Ältestendienst gehen würde – dies nicht auf uns heute übertragbar wäre. Es ist einfach unzulässig und inkonsequent Teile eines zusammenhängenden Bibeltextes (bzw. eines zusammenhängenden Vorgangs, wie hier bei dieser „Diakonenwahl“) aufzuspalten, indem man einige Sachen daraus direkt auf heute überträgt und andere (wie die Handauflegung der Apostel) einfach in der Übertragung auf heute ignoriert – der Text bzw. hier beschriebene „Wahl und Erkennungsvorgang“ ist entweder ganz oder gar nicht (direkt) übertragbar. Dies gilt auch für viele andere Schriftaussagen (FN). Daher hat keine heutige „Ältestenerkennung“ eine (direkte) pneumatisch-apostolische Legitimation oder Autorität. Biblische Gemeindeleitung © Ronald Senk 3 Strauch, Peters6 u.a.). Zwar hing die Vollmacht der neutestamentlichen Ältesten und Gemeindeleiter auch von deren Übereinstimmung mit der rechten (apostolischen) Lehre zusammen, doch war dies durch die apostolische Prüfung und (z.T. zusätzlich pneumatische) Berufung gegeben. Weder hat heute jemand ein „apostolisches Empfehlungsschreiben“ noch eine direkt pneumatische Berufung für sein Ältestenamt (auch wenn manche dies von sich selber behaupten). Außer auf eine theologische Ausbildung, homiletisch-rhetorische oder andere (organisatorische) Fähigkeiten, einer menschlich-demokratischen Wahl etc. kann man sich nicht berufen. Diese Dinge aber sind in keiner Weise eine Berechtigung, für sich eine besondere geistliche Vollmachts- oder Führungsautorität (in Analogie zum NT) zu beanspruchen. Aussagen wie Hebr.13,17 darf man daher nicht einfach auf heutige xbeliebige „Gemeindeleiter“ übertragen7, als wenn sie sozusagen qua Amt diese Lehr- (oder sonstige) Autorität hätten. In Hebr.13,7 erwähnt der Verfasser die „Führer“ (griech: ton hägoumenon), welche den Adressaten „das Wort Gottes“ verkündigt hatten. In Hebr.13,17 spricht er auch von den (neuen8) „Führern“ (griech: tois hägoumenois), denen sich die Adressaten nun unterzuordnen haben und denen sie gehorchen sollen. In 13,24 lässt er diese auch ausdrücklich grüßen. Der Apostel hat hier also 6 „Den Ältesten der Gemeinde sollte von allen Gliedern Gehorsam und Ehrerbietung entgegengebracht werden. So biblisch das allgemeine Priestertum ist, so unbiblisch ist es, denen die Ehre und den Gehorsam zu verweigern, die einen besonderen Dienst in der Gemeinde ausüben.“ Helge Stadelmann. 1985. „Gemeindedemokratie oder Führungsverantwortung der Ältesten“. In: www.efg-hohenstaufenstr.de; vgl. auch Benedikt Peters. 1996. Weder Diktatur noch Demokratie. Bielefeld CLV. S.78. Viele Menschen berufen sich dann fälschlicherweise auf eine „göttliche Autorität“, welche Gott ihnen aber nie gegeben oder zugesprochen hat. Andererseits werden viele Christen völlig unberechtigt zu einen Gehorsam „gegenüber Gott“ bzw. den „von Gott eingesetzten“ Ältesten aufgerufen und ermahnt. Ungehorsam gegenüber den „Ältesten“ wird dann nicht selten mit „Ungehorsam gegenüber Gott selber“ gleichgesetzt. Manche drohen sogar mit „Segensverlust“ oder „Fluch“. Hier werden sich eines Tages viele sog. „Ältesten“ dafür vor Gott rechtfertigen müssen. 7 Bei der Auslegung der Schrift ist es von enormer Wichtigkeit, die Bibel nicht wie ein „Orakelbuch“ zu behandeln, indem man z.B. (so gut wie) alle Schriftaussagen direkt auf sich überträgt bzw. anwendet. Man muss genau hinschauen, wer im Text angesprochen bzw. über wen im Text berichtet wird. Natürlich ist jeder Buchstabe der Schrift Gottes Wort für uns. Doch nicht in dem Sinne, dass man willkürlich Schriftstellen direkt auf sich bezieht. Wir lernen auch aus den indirekten und geschichtlichen Texten etwas über Gott und auch über uns und theologische und ethische Prinzipien, welche wir dann indirekt auf uns und unser Glaubensleben anwenden können (vgl. 2.Tim.3,15-17). Doch niemand steinigt heute – wie im AT vorgeschrieben – Kinder, wenn sie gegen die Eltern rebellieren (5.Mo. 21,18ff); niemand schlägt mit einem Stock an einen Stein um Wasser zu empfangen, nur weil Gott dies dem Mose so gesagt hatte; niemand darf von Gott eine direkte Führung in der Partnerwahl fordern bzw. erwarten, nur weil er dies so mit Isaak und Rebekka (u.a.) gemacht hat; niemand verkauft seine ganze Habe und geht heute mit nur „einen Unterkleid“ und ohne „Sandalen, Stab und Beutel“ durch Judäa wunderwirkend missionieren, nur weil Jesus das damals seinen Jüngern aufgetragen hatte usw.. Hier könnte man noch etliche Beispiele anführen. Man kann und darf nicht einfach bestimmte Aussagen oder Verheißungen der Bibel auf sich direkt übertragen, wenn der Text eindeutig zeigt, dass hier eine andere Heilszeit (alter Bund) oder eine bestimmte Person und Situation gemeint ist und nicht die „allgemeine Glaubensgemeinschaft“ (bzw. das ganze Volk Gottes zu allen Zeiten). Dies trifft auch für Aussagen wie z.B. Hebr.13,17 zu. Ähnliches gilt für die Empfehlungen und Autoritätsbestätigungen des Paulus für Timotheus oder anderer Mitarbeiter. Diese dürfen nicht einfach direkt auf uns übertragen werden, weil Paulus hier von konkreten Personen redet (wie in Hebr.13,17) und nicht einfach generell sagen will, dass jedem beliebigen „Ältesten“ zu gehorchen ist. Dieses hermeneutische Thema ist zu komplex, um es hier ausführlich zu behandeln (vgl. dazu Fußnote 2). 8 Man muss bedenken, dass die „Führer“ in 13,7+17 nicht unbedingt zwei unterschiedliche Gruppen meinen. Es kann sich um eine Mehrzahl von Führern gehandelt haben, von welchen einige (die „ersten“) schon gestorben waren, aber andere davon noch leben und daher auch in V.17 gemeint sein können. Biblische Gemeindeleitung © Ronald Senk 4 ganz konkrete, bestimmte und ihm bekannte Leute vor Augen (vgl. ebenso 1.Thes.5,12f9; 1.Kor.16,15f10). Diese Tatsache macht eine beliebige Übertragung der in Hebr.13,17 ausgesprochenen Autorität auf heutige „Führer“ unmöglich. Daher hat keine heutige „Ältestenerkennung“ eine (direkte) pneumatisch-apostolische Legitimation oder Autorität11. Kein Ältester in der nachapostolischen Zeit kann für sich eine derartige apostolisch-pneumatische Berufung in Anspruch nehmen. Nein, ihre geliehene Autorität steht und fällt mit ihrer Haltung zum Wort Gottes und ihrer Lehre. Folgen müssen wir Gott und seinem Wort. Die Leitung hat die Aufgabe, dieses Wort an die Gemeinde weiterzugeben und auf diese Weise zu führen. Tut sie es nicht oder nicht in Übereinstimmung mit der Schrift, hat sie keinerlei Autorität und es muss ihr klar widersprochen werden. Viele Gemeindeleiter stimmen prinzipiell zu, dass allein die Heilige Schrift die Autorität für die Gemeinde ist. Doch bestimmt eben die Gemeindeleitung oft selber, was biblisch ist und was nicht (bzw. bestimmt die Lehrinhalte). Damit machen sie sich praktisch unantastbar. Hier besteht dann kaum ein Unterschied zu dem katholischen Klerus, der sich in ähnlicher Weise unhinterfragbar macht. Dazu kommt noch, dass in diesen Gemeinden die Mitglieder es oft kulturell gewöhnt sind, dem Leiter, Ältesten oder Prediger „hörig“ zu sein. Diese kulturelle Prägung der Gemeindeglieder ist natürlich ein guter „Wirt“ für Älteste, die Ihre Macht, Interessen und Lehrmonopolstellung ausleben möchten. In den Gemeinden soll allein das klare, mächtige und geisterfüllte Wort Gottes regieren. Die von Gott berufenen Ältesten und Leiter im NT haben nichts anderes getan (Apg.20,32). Doch heute gibt es keine apostolischpneumatisch berufenen Älteste und Leiter mehr, sodass das Wort allein Regent der Gemeinde ist. Dies bedeutet nicht, dass die Gemeinde heute keine Älteste, Leiter oder Lehrer hat oder haben darf12. Doch dieser Dienst darf nicht als „ordiniertes Amt“ gesehen werden, bei 9 Es ist wohl unbestreitbar, dass der Apostel Paulus – als Gemeindegründer (Apg.17,1ff) – diese Gemeinde und deren Vorsteher kannte. Nach 1.Thes.3,1ff sandte Paulus den Timotheus sogar bald wieder nach Thessaloniki. Vielleicht hat er in dieser Zeit auch die Leitungsfrage behandelt (vgl. die Aufgaben des Timotheus und Titus – 1.Tim.2,8ff; Tit.1,5ff). Wie dem auch sei – Fakt ist jedenfalls, dass Paulus hier von ganz konkreten Menschen redet, die er persönlich kennt. Daher legt er der Gemeinde ans Herz, sich diesen Dienern im (vom Apostel zugesprochenen) Vertrauen unterzuordnen. Diesen apostolischen Vertrauenszuspruch darf niemand für sich heute beanspruchen oder einfach auf sich übertragen. 10 Auch hier geht es um konkrete Menschen, welche einen konkreten Dienst innehatten. Selbst wenn heutige Christen ihr „Haus“ in ähnlicher Weise der Gemeinde zur Verfügung stellen berechtigt dies nicht, dass man die paulinische Aufforderung zur Unterordnung auf diese (dem Apostel ansonsten unbekannten) Personen übertragen darf. Zudem ist auch nicht ganz eindeutig, welche Art der Unterordnung gemeint ist. Hochwahrscheinlich ist dies parallel zu Phil.2,29 zu verstehen. 11 Und schon damals sollte dieser Dienst der Leitung und des Ältesten ein Dienst des Vorbildes und nicht des Herrschens sein (1. Petr.5,3). Wenn schon damals die direkt apostolischpneumatische eingesetzten Leiter diese Ermahnung erhielten – obwohl sie eigentlich eine Autorität zugesprochen bekommen haben – wie viel mehr gilt diese Ermahnung heutigen Leitern, welche sich nicht auf eine direkte apostolischpneumatische Berufung und Autorität berufen können (vgl. Mk.10,43). 12 Manche berufen sich auf Aussagen wie Spr.11,14 oder Richter 21,25 um deutlich zu machen, dass eine Leiterschaft absolut notwendig ist. Zuerst muss man festhalten, dass es nicht Gottes Wille war, dass ein König bzw. ein menschlicher Führer über das Volk Gottes herrschte – Gott allein war ihr König (1.Sam.8,57; 10,19; 12,12.17). Daher sollte man mit einer derartigen Argumentation lieber zurückhaltend sein. Daneben übersieht man dabei, dass im AT eine Theokratie herrschte, in der politische und geistliche Leiterschaft nicht getrennt wurden. Dies ist für das geistliche Volk Gottes des Neuen Bundes nicht mehr so. Hier sind Staat und Kirche getrennt. Es ist eine geistliche Theokratie. Bzgl. des Staates gilt, dass die Regierung von Gott eingesetzt wurde und man sich ihr unterzuordnen hat (Röm.13,1ff; Apg.23,5). Wo eine politische Leitung fehlt, macht sich Anarchie und Chaos breit. Doch diese politische Autorität hat (für Christen) ihre Grenzen am Wort und Willen Gottes (Apg.5,29 – was auch für die geistliche „Leitung“ gilt!). Biblische Gemeindeleitung © Ronald Senk 5 der man in Analogie zum NT davon ausgeht, dass hier eine göttliche Berufung samt Autorität und Vollmacht vorliegt. Vollmacht und Autorität hat allein Gott, der diese mittels seines Wortes ausführt. Die Gemeinde hat sich unter dieses zu versammeln. Durch die Klarheit (5.Mo.4,1f; 6,4-9; 29,28; 30,11-14ff; Ps.1,2; 19,7-11; 119,130) und pneumatische Kraft (s.o. die Schriftbelege und Fußnote 2) hat das Wort Gottes die Vollmacht und Möglichkeit, die Gemeinde zu führen und zu regieren (Apg.20,32). Natürlich hat nicht jeder Bibelleser die Fähigkeit und die Erlaubnis zu lehren (für Frauen gilt noch eine besondere Einschränkung13). Diese Gabe der Lehre haben alle 13 In 1.Tim.2,11-14 wird deutlich gesagt, dass Frauen ein Lehren untersagt wird, da sie dadurch eine Autoritätsstellung einnimmt und damit herrscht (Lehren ist an sich eine autoritative Angelegenheit und hat – wie eben auch das damals damit zusammenhängende lehrhafte Ältestenamt – mit „Herrschen“ zu tun und nicht erst, wenn eine Frau dies als negativen Zweck beabsichtigt. Es gab kein Lehren ohne „Herrschen“). Dem entgegen stellt Paulus die Schöpfungsordnung (was dieser Anordnung eine überkulturelle autoritative Bedeutung für alle Zeiten gibt), mit der er schon öfters argumentiert hat (vgl. 1.Kor.11,3ff). Daneben zeigt der Sündenfall für Paulus, dass die Frau ein potentieller Angriffspunkt für Verführung zur falschen Lehre und zur Sünde ist und sie sich anscheinend eher verführen lässt (vgl. 2.Kor.11,3 – obwohl eben Adam als Haupt die Verantwortung zu tragen hatte Röm.5,12ff). Paulus will zeigen was passiert, wenn die Frau die (geistliche) Leitung in die Hand nimmt. Da Lehren und Weissagen im NT nicht dasselbe meint, sondern deutlich unterschieden werden, besteht kein Widerspruch zu 1.Kor.11,3f (in den Gabenlisten werden Prophetie und Lehren klar unterschieden; daneben ist Lehren die autoritative Weitergabe des Wortes Gottes: 1.Kor.12,28f; Eph.4,11; 1.Tim.2,7; 2.Tim.1,2f; 3,16; Jak.3,1; Prophetie ist das Weitergeben spontaner, situationsbezogener und zu prüfende Offenbarungen: vgl. Apg.21,12ff; 1.Thes.5,20f; in 1.Kor.14,33-37 wird der Frau das lehrhafte Beurteilen von Weissagung verboten – vgl. Eckhard J. Schnabel. 1998/99. „Urchristliche Glossolalie“. In: JETh. Wuppertal Brockhaus, S.77-95). Nirgendwo im Text wird ersichtlich, dass Paulus hier in 1.Tim.2,11-14 nur von konkreten Irrlehrerinnen in Ephesus redet ohne eine allgemeintheologische Aussage zu machen. Nicht nur die Begründung mit der Unterordnung und der Schöpfungsordnung macht diese Annahme unmöglich (vgl. 1.Kor.11,3ff; Eph.5,25ff u.a.), sondern auch die Tatsache, dass an Stellen, wo Männer falsche Lehren verbreiten, nicht dann auch nur diesen Männern das Lehren untersagt wird (was sonst zu erwarten wäre). Auch die Theorie, dass Paulus in 1.Tim.2,11-14 auf die Lehren dieser Frauen konkret eingeht und diese in V.13-14 beschreibend widerlegen will (sie hätten fälschlicherweise behauptet, dass der Mann zuerst geschaffen und Adam verführt wurde etc. und Paulus würde dies dort dann widerlegen), ist am Text selber nicht festzumachen und auch sonst völlig abwegig. Denn wir können nicht wissen, ob überhaupt und geschweige denn was irgendwelche Frauen damals dort gelehrt haben sollen. Dass „gar“ (denn) in V.13 macht deutlich, dass Paulus eine Begründung für sein Lehrverbot gibt und nichts widerlegen will. Daneben begründet Paulus das Verhältnis von Mann und Frau (auch in der Gemeinde) an anderen Stellen ebenfalls mit der Schöpfungsordnung etc. (1.Kor.11,3ff; 2.Kor.11,3). Es ist das Lehren allgemein untersagt, nicht nur die Ausübung des Ältestenamtes, da es in den Gemeinden auch Lehrer gab, welche nicht Älteste waren (vgl. 1.Kor.12,28; 14,26; 2.Tim.2,2; Röm.12,7f). Auch der Versuch, an Randaussagen wie z.B. an Grußlisten ein Lehr- oder Leitungsamt für die Frau zu begründen, ist völlig unzulässig und nicht tragend. Es kann z.B. sein, dass in Röm.16,1 nur gesagt werden soll, dass Phöbe „gedient“ hat, ohne zu sagen, dass sie ein leitendes Amt inne hatte (was ja auch 1.Tim.3,12 widersprechen würde, da dort in V.11 vom Kontext her die Ehefrauen der Diakone gemeint sind, weil in V.13 wieder die Diakone angesprochen werden und es auch sonst nicht ungewöhnlich war [wie man an den Voraussetzungslisten dazu in 1.Tim.2 und Tit.1 sehen kann], dass ein Leitender der Gemeinde eine vorbildliche Familie zu haben hatte). In Röm.16,7 wird nur gesagt (falls hier überhaupt eine Frau gemeint ist), dass sie unter den Apostel angesehen war – also bei ihnen einen guten Ruf hatte und nicht selber dazugehörte. Ob und inwieweit Prizilla und Aquila gemeinsam Apollos belehrt haben (Apg.18,26), ist uns nicht bekannt. So ist auch Kol.3,16 nicht im Widerspruch zu den anderen Aussagen wie z.B. 1.Tim.2,11-14 u.a. gemeint, sondern in diesem hier bereits aufgezeigten schöpfungstheologischen Rahmen zu verstehen. Gal.3,28 ist eine soteriologische und keine ekklesiologische bzw. schöpfungstheologische Aussage (denn auch der Sklave bleibt unter seinem Herrn, selbst wenn er Christ geworden ist). Natürlich lehren auch Frauen (2.Tim.1,5; 3,15; Tit.2,3f), aber eben Kinder und andere Frauen und auch nur bestimmte Inhalte. Auch das Beten und Weissagen der Frau in der Gemeinde (1.Kor.11,3ff) geschah nur unter bestimmten (schöpfungs)theologischen Regeln. Dabei ist zu 1.Kor.11,3-16 zu erwähnen, dass der natürliche Sinn des Textes klarmacht, dass es hier nicht um eine stoffliche Kopfbedeckung geht, sondern um die Länge der Haare bzw. die Haartracht. So wird in V.13-15 kein neues Thema angesprochen, sondern hier folgt nach einer theologischen und schöpfungstheologischen Begründung ein weiteres Argument aufgrund des „Anstandes“ und der „Natur“. Paulus macht dann in V.15 deutlich, dass eben das lange [bzw. weiblich Biblische Gemeindeleitung © Ronald Senk 6 diejenigen, welche die Schrift und ihre Aussagen in ihrer Gesamtheit kennen und recht erkennen. Dies ist die Voraussetzung dafür, die Lehre der Bibel recht austeilen zu können. Die Gabe der Lehre wird durch Lehre empfangen. Diese Gabe ist also nicht eine homiletisch-rhetorische, sondern eine theologische Fähigkeit. Die Gabe der Lehre besteht darin, dass man die Lehre der Apostel (Schrift) gelehrt bekommt (also kennt) und theologisch richtig versteht und zuordnet. Die Gabe der Lehre kann also durch Lehre weitergegeben werden. Die, welche die (rechte) Lehre empfangen haben, indem sie das Wort in rechter Weise erklärt bekamen und verstanden, waren Lehrer (vgl. 2.Tim.1,13f; 2,2; 3,14ff; Hebr.6,12; Jak.3,1). Doch die Autorität dieser „Hirten und Lehrer“ steht und fällt mit ihrer Übereinstimmung mit der Heiligen Schrift (und deren Glaubwürdigkeit mit ihrem Lebenswandel14). Nicht jeder hat die Gabe der Lehre. getragene] Haar diese hier von Paulus geforderte Bedeckung ist. Eine Frau, die dies nicht akzeptiert – also kurze bzw. maskuline Haare trägt – kann dann auch gleich alle Haare abschneiden bzw. sich kahl scheren lassen (steigerndes Argument). Sie hat dann auch keine Vollmacht bzw. Berechtigung, in der Gemeinde zu Beten und zu Weissagen (vgl. V.5 mit V.10 – die Engel sind vielleicht in Verbindung mit dem Gebet der Gemeinde zu verstehen - vgl. Offb.8,1-6). Die Wendung in V.4 kata kephales echon heißt wörtlich: „etwas vom Kopf herab[hängen] haben“ (vgl. Craig Blomberg. 1994. 1 Corinthians (NIVAC). Grand Rapids Zondervan, S.210f; Andreas Lindemann. 2000. Der erste Korintherbrief (HNT 9/I). Tübingen Mohr S.240). Auch dies macht deutlich, dass der Apostel von den (langen, weiblichen) Haaren spricht, die ein Mann nicht aber eine Frau sehr wohl zu tragen hat (V.13-15). Auch das äußere Auftreten der Glaubenden ist Gott wichtig. Aber auch hier darf man natürlich nicht über die Schrift hinausgehen. So bekommt keine Frau einen „geistlichen inneren Menschen“ einfach dadurch, indem sie (aufgrund einer falschen Auslegung von 1.Petr.3,1ff) stupide allen Schmuck und alles Verschönerungsmaterial ablegt. Zudem verbietet die Schrift an keiner Stelle den Schmuck. So wird Sara in 1.Petr.3,6 als Vorbild genommen, obwohl in ihrer Zeit Schmuck eine Selbstverständlichkeit war (vgl. 1.Mo.24,22f u.a.). Wenn man z.B. 1.Petr.3,3 (oder 1.Tim.2,9) als völliges Verbot versteht, dann müssten die Frauen nackt und ohne Kleider herumlaufen, da Petrus dies dort ausdrücklich so sagt. Nein, es geht um eine innere Haltung, welche sich auch nach außen zeigt: eine fromme Frau legt mehr Wert auf die innere als auf die äußre Schönheit, wobei das eine das andere nicht völlig ausschließt. Ein absolutes „Schmuckverbot“ ist von der Schrift also nicht begründbar. Ähnlich verhält es sich mit einem angeblichen „Hosenverbot“ für Frauen in 5.Mo.22,5. Dort geht es nicht um „Hosen“ (die es damals noch nicht gab), sondern um ein Verbot des Transvestismus und der Homosexualität (Gordon J. Wenham. 1991. „The Old Testament Attitude to Homosexuality“ In: Expository Times 102, S.362). 14 Man muss auch beachten, dass diese Kriterien keinen Perfektionismus meinen. Es sind grundsätzliche Voraussetzungen, bei denen es zumeist um die Treue und Glaubwürdigkeit eines Ältesten geht. Sein Ruf – nach innen und außen – musste ein guter, kein perfekter sein. So durfte er nicht geschieden und wiederverheiratet sein und musste seiner Familie gut vorstehen u.a. (kein Säufer, Verbrecher usw.). Daneben muss man den „guten Ruf nach außen“ differenziert betrachten. Denn ein Christ, welcher ungeteilt bei den Aussagen der Heiligen Schrift bleibt, wird auf jeden Fall Verfolgung und üble Nachrede erdulden müssen – und dies nicht nur von Ungläubigen (vgl. Joh.15,20; 1.Petr.2,1.12; 3,16f; 2.Tim.3,12 u.a.). Schon Jesus machte seinen Jüngern deutlich, dass es ein schlechtes Zeichen sei, wenn die Leute nur „Gutes“ über einen reden – denn dies taten sie zumeist mit den falschen Propheten. Jesus macht deutlich, dass unsere Treue zu ihm und zu seinem Wort auf jeden Fall dazu führen wird, dass die Leute negativ uns gegenüber eingestellt sind und schlecht von uns reden werden (Lk.6,26; vgl. Mk.10,34-39). Jesus selber wurden immer wieder falsche Unterstellungen und Vorwürfe gemacht. Einen „schlechten Ruf“ zu haben ist nur dann problematisch (für den Leitungsdienst), wenn dieser auch der Wahrheit entspricht und tatsächlich Sünde oder andere Dinge vorliegen (Säufer, Dieb, Ehebrecher usw.). Solange dies aber nur „üble Nachrede“ ist, dienst es eher der Bestätigung des Glaubens. Wir sollen nicht darauf achten, was Menschen von uns denken oder über uns reden, sondern uns ganz und gar an die Heilige Schrift halten (Gal.1,9f) und ein gutes Gewissen vor Gott und den Menschen bewahren (Apg.24,16; 1.Petr.3,16). Dann brauchen uns die ganzen Anfeindungen und üblen Nachreden etc. nicht zu stören. Auch dürfen wir deswegen niemandem den Ältestendienst aberkennen bzw. verwehren – im Gegenteil können wir hier eine Bestätigung und Festigung des Glaubens erfahren. Der „schlechte Ruf“ kann also eine bestätigende Qualifikation für einen Lehrdienst darstellen, wenn er nicht der Wahrheit entspricht. Biblische Gemeindeleitung © Ronald Senk 7 Wir sind deshalb füreinander da, dass wir uns mit unseren Gaben gegenseitig helfen (Eph.4,11-16; 1.Petr.4,10f). Und nur eine Leitung zu haben, damit die Gemeinde strukturiert und organisiert ist, kann nicht als Begründung ausreichen. Was hilft eine Leitung und Struktur, wenn sie nicht biblisch bzw. nicht mit biblischen Inhalten und Zielen gefüllt ist? Hauptsache jemand sagt mit der Bibel in der Hand wo es langgeht, auch wenn er nicht in Übereinstimmung mit der Schrift lehrt (und damit seine Richtungsanweisung eigentlich eine gefährliche ist!)? Hauptsache das Schiff wird gelenkt – egal wohin? Natürlich ist die Alternative dazu keine führerlose Gemeinde, in der Jedermann pluralistisch glaubt, lehrt oder macht was er will. Die Frage ist aber, was gefährlicher ist: eine Gemeinde, welche bewusst und praktisch ausführend das Wort der Bibel über die menschliche Leitung stellt (was zugegeben vielleicht die ein oder andere organisatorische Problematik mit sich bringt); oder eine Gemeinde, die einer Leitung „hörig“ ist, welche nicht mit der Lehre der Schrift übereinstimmt bzw. wo auch persönlicher Machtmissbrauch vorzufinden ist? Es ist das Wort Gottes, welches die Gemeinde führt und leitet. Hier ist Struktur, Führung und Organisation gegeben. Dies soll dann in dieser Haltung ausgeführt werden: Die Ältesten und Gemeindeleiter sollen die Gemeinde anhand der Heiligen Schrift führen und leiten. Dabei sind sie sich aber bewusst, dass sie nicht qua Amt eine eigene Personautorität besitzen, sondern allein durch das Wort Gottes die Autorität Christi weitergeben. Ihre Autorität ist eine geliehene Autorität. Allein mit dieser Grundhaltung ist biblische Gemeindeleitung möglich. Solange der Gemeindeleiter das Wort in dieser Weise und mit dieser Haltung seinem Dienst gegenüber recht austeilt, soll die Gemeinde darauf hören. Sie hören aber nicht auf den Leiter, sondern auf das Wort Gottes. Die Worte des Leiters müssen mit diesem übereinstimmen. Ist dies nicht der Fall, muss der Leiter sich anhand der Schrift korrigieren oder – bei Uneinsichtigkeit – seinen Dienst aufgeben. Weder die Diktatur, noch das monarchische Episkopat, noch die Demokratie (o.a.) Strukturen sind biblisch. Es ist Monarchie bzw. Theokratie: Gott herrscht. Dies aber tut er durch sein Wort. Freilich gebraucht er dazu Menschen wie z.B. Lehrer. Doch die Autorität liegt nicht in diesen von Gott gebrauchten Menschen, sondern in dem von ihnen verkündigten Wort Gottes. Diese Ausführungen werden sicherlich auf Protest stoßen. Vor allem bei denen, die dadurch ihre Autorität und eigenen Interessen innerhalb der Gemeinde gefährdet sehen. Schon Luther bekam aus ähnlichen Gründen einen kräftigen Gegenwind, als er dem katholischen Klerus und seiner selbsternannten theologischen Monopolstellung das sola scriptura entgegenhielt. Nicht Menschen, sondern allein die Schrift bestimmt den Glauben, die Lehre und das Leben. Daher sollten Christen sich weder durch Vorwürfe noch von einer unbegründeten „Einschüchterung“ einer anders denkenden „Gemeindeleitung“ von dem Bekennen und Glauben der biblischen Wahrheiten abhalten lassen. Hermeneutische Thesen (zur Leitung der Gemeinde durch das Wort) 1. Der Literalsinn (Wortsinn): Gottes Wort meint das, was es sagt. Nicht neben, unter, über oder hinter den Buchstaben der Bibel findet sich Gottes Wort, sondern in und mit den Buchstaben redet und offenbart sich Gott. Damit ist jede Auslegung, welche nicht den Literalsinn beachtet, abzulehnen (feministische, kontextuelle, befreiungstheolgische, psychologische, allegorische, außerbiblische Typologie usw.). Der Literalsinn schließt verschiedene Schriftformen nicht aus (Prosa, Psalmen, Briefe, Geschichtstexte etc.). Zudem bedeutet die Beachtung des Literalsinns auch, dass die Bibel nicht wie ein Orakelbuch behandelt werden darf, bei dem man Biblische Gemeindeleitung © Ronald Senk 8 Aussagen aus ihren textlichen und historischen Kontexten herausreißt und willkürlich direkt auf sich bezieht, obwohl die Aussagen eigentlich zu bestimmten Personen in einer bestimmten Zeit (einmalig) getätigt wurden und nur für sie bestimmt waren. Der Kanon der Bibel ist abgeschlossen und zeigt die Grenzen des Wortes Gottes und damit des Redens des Geistes auf. Die Imperative der Schrift, an der wahren Lehre „festzuhalten“, „zu verharren“, „nicht abzuweichen“, „zu bleiben“, „nicht darüber hinaus zu gehen“ etc. machen u.a. diesen wichtigen theologischen Sachverhalt deutlich. 2. Die Einheit und Vollständigkeit der Bibel: Durch die Theopneustie durch Gott bzw. seinen Geist ist allein die Bibel Gottes eigenes Wort – und damit unfehlbar und wahr wie er selbst. Daher widerspricht sich die Bibel nicht selbst oder vertritt unterschiedliche theologische Positionen und Lehren, sondern ihre Lehre und Offenbarung ist einheitlich und steht fest (ein Reich, welches mit sich selbst entzweit ist, kann nicht bestehen). Daher legt sich die Schrift auch selbst aus. Schriftwort ist mit Schriftwort auszulegen. Scheint eine Aussage schwer verständlich, wird diese durch eine klare Stelle erleuchtet. Dies ermöglicht es die Bibel zu verstehen und hütet uns sowohl vor falschen als auch vor pluralistischen Ansichten. Dabei ist das Alte Testament heilsgeschichtlich von Christus und dem Neuen Testament her auszulegen und zu verstehen, wenngleich natürlich der unmittelbare historisch-theologische und textliche Kontext eines Bibelabschnitts ernst genommen werden muss. Man kann soteriologische Aussagen von z.B. ethischen Anweisungen unterscheiden (aber nicht gegeneinander werten!), doch nie durch Sachkritik o.a. eine „Mitte der Schrift“ oder einen „Kanon im Kanon“ postulieren. 3. Die Klarheit der Bibel: Gott will uns nicht im Dunkeln oder Unklaren lassen. Er will, dass wir ihn und sein Wort verstehen. Sein Wort ist klar und ein Licht auf unserem Weg. Somit ist es möglich, die Bibel als Ganzes zu verstehen. Ihre Klarheit bezeugt sie selbst an vielen Stellen. Ohne die Klarheit wäre kein echter Glaube möglich. Auch die vielen Aufforderungen zur Prüfung der Lehre wären nicht möglich. Luther unterschied hier zweierlei Klarheiten der Schrift. Die „äußere Klarheit“ meint, dass es prinzipiell jedem Menschen möglich ist, die Worte und Inhalte der Bibel zu lesen und zu verstehen – er kann alles nachsprechen. Die „innere Klarheit“ meint, dass das wirkliche Erkennen und Annehmen des Wortes Gottes nicht jedem, sondern nur den erwählten Gläubigen möglich ist (dies gilt nicht nur für den Heilsglauben, sondern auch für alle anderen theologischen Aussagen). Eine Auslegung im Rahmen der Inspiration und Einheit der Bibel schließt aber die Exegese der biblischen Texte als solche in ihrem historisch-theologischen und textlichen Kontext mit ein. Dabei ist aber zu beachten, dass historische Hintergrundinformationen nie hundertprozentig sicher sind und daher eine Schriftstelle nicht überfremden dürfen. Der Sinn der biblischen Aussage muss aus dem Wortlaut des Bibeltextes selbst erschlossen werden, weil Gott dafür gesorgt hat, dass er in diesem zu finden ist. Die Klarheit der Schrift findet sich schon im Alten Testament bezeugt (Dtn.4,1f; 6,4-9; 29,28ff; 30,11-14; 31,9ff; Ps.1,2; 19,7-11; 119,130 u.a.). Das Verborgene <steht bei> dem HERRN, unserm Gott; aber das Offenbare <gilt> uns und unsern Kindern für ewig, damit wir alle Worte dieses Gesetzes tun (Dtn.29,28). Biblische Gemeindeleitung © Ronald Senk 9 Denn dieses Gebot, das ich dir heute gebiete, ist nicht zu unbegreiflich für dich und ist <dir> nicht <zu> fern. Es ist nicht im Himmel, dass du sagen müsstest: Wer wird für uns in den Himmel hinaufsteigen und es uns holen und es uns hören lassen, dass wir es tun? Und es ist nicht jenseits des Meeres, dass du sagen müsstest: Wer wird für uns auf die andere Seite des Meeres hinüberfahren und es uns holen und es uns hören lassen, dass wir es tun? Sondern ganz nahe ist dir das Wort, in deinem Mund und in deinem Herzen, um es zu tun (Dtn.30,11-14). Gerade diese Aussagen wenden sich gegen die Argumentation, Gottes Wort sei für den einfachen Menschen nicht zu verstehen und daher auch nicht zu praktizieren. Gott macht dadurch aber gerade deutlich, dass er diese „Ausrede“ nicht gelten lässt. Denn alles was Gott offenbart hat, ist klar und deutlich zu verstehen und zu befolgen, auch für alle späteren Generationen (d.h. „der garstige Graben der lang zurückliegenden Geschichte“, den Lessing postulierte, trifft auf das Wort Gottes nicht zu – dieses kann und soll auch Jahrhunderte später gelesen, gehört und verstanden werden). Die Dinge, die wir nicht verstehen, hat Gott uns auch nicht offenbart. Diese Aussagen gelten für das ganze Wort Gottes – für die ganze Heilige Schrift, denn warum sollte Gott die Offenbarung im Alten Testament „klarer“ dargelegt haben als die Botschaft des Neuen Testaments? Zusätzlich ist zu beachten, dass Paulus diese Verse im Neuen Testament aufgreift und auch auf die Botschaft des Evangeliums anwendet. Die Verweise auf Dtn.30,1114 gebraucht Paulus bewusst um einiges deutlich zu machen: Die Gerechtigkeit aus dem Gesetz – aus der alttestamentlichen Heilsordnung – ist durch Christus abgelöst (Röm.10,4-5). Daher ist eine Gerechtigkeit vor Gott durch diese Dinge nicht mehr möglich – sie kann nicht (mehr) erreicht werden. An diese Stelle ist das Heil in Christus durch den Glauben getreten. Die Aussagen bzgl. der alttestamentlichen Heilsordnung aus Dtn.30,11-14 gelten auch für das Evangelium: Heil ist möglich, im Alten Bund durch (a) die Erwählung Israels durch Gott (vgl. Dtn.7,1ff und 9,6f mit der Formulierung „Sprich nicht in deinem Herzen …“ in Röm.10,6) und (b) das Gesetz („Wort Gottes“!) und die Opfer (Röm.10,5); im Neuen Bund durch Christus und das Evangelium. In Röm.10,5ff macht der Apostel Paulus also deutlich, dass Christus und sein Heil – das menschgewordene Wort Gottes (Joh.1,1ff; Hebr.1,1f) – nicht unerreichbar im Himmel oder unzurückholbar im Abgrund verborgen sind, sondern: „… ‘Das Wort ist dir nahe, in deinem Mund und in deinem Herzen.’ Das ist das Wort des Glaubens, das wir predigen, …“ (Röm.10,8). Das Evangelium ist genauso nahe und klar, wie auch schon das Heilswort des Alten Bundes. Der Apostel Paulus stellt heraus, so wie alle anderen Autoren des Neuen Testaments auch, dass das Evangelium klar ist und jegliche Veränderung daran zur Irrlehre führt. Es ist sogar so klar, dass wenn auch ein Engel aus dem Himmel etwas anderes lehren würde, dies aufgrund der klaren Worte der Apostel (also der Schrift) abgelehnt werden könnte, ohne Angst haben zu müssen, man hätte damit ein direktes „Wort vom Himmel“ verworfen. Dies ist der Grund, warum die häufige Mahnung zur Prüfung in der Schrift zu finden ist (Gal.1,7f; 1.Joh.4,1ff; 2.Joh.9 u.v.a.). Prüfung wäre nicht möglich, wenn das Evangelium nicht klar bezeugt wäre (Röm.4,22-25; 15,4; 1.Kor.10,1ff; Kol.3,16; 1.Tim.4,13; 2.Tim.3,15ff; 1.Petr.1,22ff). Auch kann es keine Wiedergeburt, keinen echten, heilbringenden Glauben geben, wenn das Evangelium nicht hundertprozentig rein gepredigt wird (1.Petr.1,23ff). Wo man also mit der Klarheit des Evangeliums (der Schrift) nicht rechnet, kann man auch nicht mit Bekehrungen und echtem Glauben rechnen. Sogar in Einzelfragen kann Paulus Biblische Gemeindeleitung © Ronald Senk 10 absoluten Gehorsam verlangen, da seine Worte klar sind und sein wollen (vgl. 1.Kor.14,37; 2.Thes.3,14f; Röm.16,17). Das Neue Testament hat keine Probleme damit, dass die Ereignisse und die Niederschriften des Alten Testaments schon Tausende bzw. Hunderte von Jahren zurückliegen. Das Alte Testament wird als verbindliches Gotteswort ausgelegt und angewandt und damit wird deutlich gemacht, dass man dieses trotz der weiten Zeitabstände klar verstehen kann (vgl. Mt.21,42; 22,29 u.a.). Die konkreten Briefe sollen auch von anderen Christen in anderen Gemeinden gelesen (und verstanden) werden (vgl. Kol.4,16; Joh.20,30f; 2.Kor.1,13; Eph.3,4; 1.Tim.4,13; Jak.1,1.22-25; 1.Petr.1,1; 2,2; 2.Petr. 1,19; 1.Joh.5,13). Ein Nichtverstehen oder Missverstehen liegt am Unglauben und an der Herzenshärtigkeit der Menschen (vgl. Mk.4,10ff; Joh.5,45ff; 8,43f u.a.). Stellen wie 2.Petr.3,15 oder 1.Kor.13,9.12 widerlegen nicht die Klarheit der Schrift: In 2.Petr.3,15 wird ein Verstehen nicht ausgeschlossen. Daneben bedeutet dort ein Missverstehen „Verderben“ und Petrus scheint damit keine Christen zu meinen. In 1.Kor.13,8 sind mit „Erkenntnis(rede)“ weder die inspirierten und unfehlbaren Aussagen des Neuen Testaments gemeint noch deren „Auslegung“. Hier ist vom Kontext her klar von einer Geistesgabe die Rede. Diese Gabe wird aber von der Gabe des Apostels oder eines Lehrers unterschieden. Sie steht in enger Verbindung mit neutestamentlicher Prophetie und Zungenrede. Diese Gaben haben zumeist keinen normativen Autoritätsanspruch und mussten geprüft werden. Zudem war deren Inhalt keine Lehre, sondern sie hatten eine viel situationsbezogenere Intention (z.B. Führung, Aufdeckung u.a.). Diese Gaben hatte auch Paulus, doch mussten solche Prophetien und Erkenntnisse anhand der klaren Lehre geprüft (1.Thes. 5,20f) und oft auch richtig interpretiert werden (vgl. Apg.16,9f; Apg.21 zu Agabus). Paulus würde z.B. sicher seine Ausführungen und Inhalte des Römerbriefes nicht als „Stückwerkerkenntnis“ bezeichnen, zu denen man auch unterschiedliche Meinungen haben kann (vgl. Gal.1,5-11; 1.Thes.2,13; Apg.20,27 u.a.). In Jak.3,1f meint „Straucheln“ nicht ein falsches Verstehen oder Weitersagen der Lehre. Es geht hier nicht um Hermeneutik oder Exegese. Die Lehre damals war unter den Aposteln völlig klar und unumstößlich. Damals gab es noch keine unterschiedlichen Ansichten der Auslegung, welche diskutiert werden mussten, da die Apostel die reine Lehre noch überwachten, und Jakobus selbst will hier nicht seine Lehrautorität anzweifeln oder hinterfragen. Dieses „Straucheln“ bezieht sich vom Zusammenhang her auf den Umgang mit der Zunge. Der nachfolgende Satz „Wenn jemand nicht im Wort strauchelt“ zeigt dies deutlich. Der Lehrer, welcher Gott lobt und sein Wort weitersagt, hat noch mehr Verantwortung darauf zu achten, was er sagt (denn Gott will nicht, dass aus einem Mund sein Wort und Lob kommt und gleichzeitig Hass und Fluch – V.10 [vgl. 1.Tim.3,8 „doppelzüngig“]; lt. Jak.1,19f.26; 2,1-3.12; 4,11 scheint dies dort so vorgekommen zu sein). Wer seinen Mund beherrschen kann zeigt, dass er sein ganzen Leben im Griff hat (im Sinn von 1.Tim.2,1-3; Tit.1,5ff). Luther unterschied die innere und äußere Klarheit: Die äußere Klarheit der Schrift besagt, dass es eine philologisch-historische Exegese der Schrift prinzipiell möglich macht, dass die Bibel in ihrem Wortsinn von allen Menschen gelesen und „verstanden“ werden kann. Die innere Klarheit der Schrift meint die von Gott geschenkte Annahme der biblischen Botschaft im Glauben durch den Heiligen Geist, ein sich Verlassen – mit seiner gesamten Existenz – auf die Worte und Zusagen Gottes in seinem Wort. Diese innere Klarheit der Schrift ist natürlich an die äußere gebunden und mit ihr Biblische Gemeindeleitung © Ronald Senk 11 untrennbar verwoben, da es keine innere Klarheit geben kann ohne den Wortsinn der Schrift. Diese Klarheit oder Erkenntnis ist aber eine Gabe Gottes, die methodisch nicht zu ergreifen ist (theologisch-geistliche Erkenntnis ist immer eine Gabe Gottes des Glaubens mittels des biblischen Wortes: Spr.1,23; Ps.19,8; 119,104.130; Joh.17,8; Röm.10,17; 1.Kor.2,14; 2.Kor.4,3f; Eph.4,11; 2.Tim.3,15-17; 1.Petr.1,23ff; 4,10f). Luther sagte sogar: „Lieber keine Schrift als eine unsichere! Es ist sicherer, wie die Laien ohne Bibel auszukommen, als eine unsichere zu haben“ (WA 8.113,35). 4. Der Heilige Geist wirkt durch das Wort der Bibel: Damit wird deutlich, dass Gott durch sein machtvolles und geisterfülltes Wort rechten Glauben und rechte theologische Überzeugungen – auch in Einzelfragen – im Glaubenden schaffen kann. Gott schafft – wenn er es will – durch sein Wort einen Menschen, der recht glaubt und die Bibel recht versteht. Sein lebendiges und machtvolles Wort setzt sich gegen jegliches hinderliche Vorverständnis und auch gegen die Sündhaftigkeit des Menschen durch, so dass diese Dinge keine Hindernisse für Gott darstellen, seinen Kindern ein Verstehen seines Wortes zu sichern. Die heutige (auch bibeltreuevangelikale) Theologie traut Gott dies nicht zu (Vertreter dieser Theologie würden sagen, dass sie dies nicht dem Menschen zutrauen). Die Behauptung, der Heilige Geist müsse von innen oder neben dem Wort wirken, damit man die Schrift recht auslegt, muss abgelehnt werden. Zwar schafft der Heilige Geist rechte Überzeugungen, doch wirkt er dies nicht neben, sondern allein mit den Worten der Heiligen Schrift. Der Heilige Geist hat sich an das Wort der Bibel gebunden. Und durch diese eigene und gewollte Bindung des Geistes an das Wort Gottes behält der Geist seine Freiheit und Souveränität: Er ist dadurch frei von dem Missbrauch und der Willkür der Menschen, die sich immer wieder fälschlicher- und pseudohafterweise ihre Irrlehren mit Berufung auf den „Geist“ autorisieren wollen. 5. Woran kann man erkennen, ob man die Bibel recht verstanden hat? SOLA ET TOTA SCRIPTURA! Nur die Bibel allein ist Wahrheit und Prüfstein derselben. An ihr hat sich jede Lehre oder „Meinung“ zu messen. Hält diese – egal von wem sie vertreten wird – der Prüfung anhand der Schrift nicht stand, ist sie zu verwerfen. Demut bedeutet nach der Bibel nicht den anderen mit seinen (falschen) Ansichten zu tolerieren, sondern sich unter Gottes Herrschaft und Anspruch zu stellen, auch wenn viele dies als arrogant (oder „nicht teamfähig“) bezeichnen. Gottes Wort ist nicht von Gott selbst zu trennen (das solus Christus gibt es nicht ohne das sola scriptura). Die eigentlichen Pseudo-Pharisäer und PseudoSchriftgelehrten sind Menschen, die das Wort Gottes mit äußerlich-frommen Begründungen (Demut, „Heiliger Geist“ etc.) außer Kraft setzen oder umdeuten (vgl. Jer.8,8; Mk.7,8-9.13). Jesus und die Apostel hielten uneingeschränkt an Gottes Wort fest – sie sind wahre Schriftgelehrte im Sinne Gottes (vgl. Mt.23,34). 6. Die Gabe der Lehre: Gott hat manche Menschen dazu begabt zu lehren. Nicht jeder Bibelleser hat die Fähigkeit und die Erlaubnis zu lehren (für Frauen gilt noch eine besondere Einschränkung – 2.Tim.2,12-14; 1.Kor.14,34ff). Diese Gabe der Lehre haben alle diejenigen, welche die Schrift und ihre Aussagen in ihrer Gesamtheit kennen und recht erkennen und somit die Lehre der Bibel auch recht austeilen können. Die Gabe der Lehre wird durch Lehre empfangen. Diese Gabe ist also nicht eine homiletisch-rhetorische, sondern eine theologische Fähigkeit. Wie bereits deutlich wurde, ist theologisch-geistliche Erkenntnis immer eine Gabe Gottes des Glaubens mittels des biblischen Wortes. Daher meint „Gabe der Lehre“ auch Biblische Gemeindeleitung © Ronald Senk 12 keine habituelle (didaktische) Fähigkeit im Menschen, sondern zeigt sich in der Kenntnis und im rechten Verstehen des Wortes Gottes. Die Gabe der Lehre besteht darin, dass man die Lehre der Apostel (die Schrift) gelehrt bekommt (also kennt) und theologisch richtig versteht und zuordnet. Die Gabe der Lehre kann also durch Lehre weitergegeben werden. Diejenigen, welche die Lehre empfangen und in rechter Weise erklärt bekamen und verstanden, sind Lehrer (vgl. 2.Tim.1,13f; 2,2; 3,14ff; Hebr.6,12; Jak.3,1). Die Handauflegung in 1.Tim.4,14 bzw. 2.Tim.1,6 bedeutete zur Zeit des NT die Übertragung des Lehrauftrages durch eine autoritative Lehrperson. Wir sind deshalb füreinander da, damit wir uns mit unseren Gaben gegenseitig helfen. Nicht jeder ist ein Lehrer und deshalb darf auch nicht einfach jeder Bibelleser lehren (vgl. Jak.3,1). Schon Paulus lehrt gerade im Zusammenhang mit den Gaben, dass man sich gegenseitig helfen soll (Eph.4,11-16; 1.Petr.4,10f). Zu beachten ist aber, dass die Gemeinde allein durch das klare und machtvolle Wort Gottes regiert wird (Apg.20,32). Es sind zwar Menschen, die in der Gemeinde lehren, dennoch hat niemand in der Gemeinde in sich selber irgendeine Autorität („von Amts wegen“, theol. Qualifikation oder Sympathie etc.). Ausnahmslos alles muss von der Heiligen Schrift selber bestimmt werden. Voraussetzung dafür ist die selbstlose und demütige Unterwerfung aller Gemeindemitglieder unter die alleinige Autorität, Kraft und Klarheit der Heiligen Schrift (die auch eine Gabe Gottes ist!). Die Autoritätszusprüche (apostolische Empfehlungsaussagen) im NT an damalige, konkrete Gemeindeleiter (z.B. Hebr.13,7.17), können und dürfen nicht auf heutige „Gemeindeleiter“ übertragen werden. 7. Der Umgang mit anderen Ansichten: Es muss nun die Frage gestellt werden, wie man bei dieser hermeneutischen Sicht mit „anderen Ansichten“ umgeht, wenn man davon ausgeht, dass Gottes geisterfülltes und machtvolles Wort objektive und rechte Erkenntnis geben kann – wenn Gott dies will: Grundlage jeder Bibelauslegung ist das biblische Prinzip, dass die Heilige Schrift in sich klar ist und sich selber auslegt. Dies ist möglich und notwendig aufgrund der Einheit und Inspiration der Bibel. Der Geist Gottes wirkt durch das Wort der Schrift und schafft – trotz Sündhaftigkeit und falschen Vorverständnissen – rechten Glauben und rechte theologische Erkenntnis – wo immer Gott dies will. Themen und Fragestellungen, die nicht die „Klarheit der Schrift“ untergraben, können stehen gelassen werden. Dies sind z.B. nicht direkt in der Schrift angesprochene, sondern von außen an die Bibel herangetragene Fragestellungen (vor allem „äußerliche Formen“ betreffend wie z.B. bei der Taufe, dem Abendmahl, der Gottesdienstgestaltung, Gemeindestrukturen, Rauchen, Fernsehen u.v.a., wo man – innerhalb eines biblischen Rahmens und solang die Soteriologie unbeeinflusst bleibt – viele Dinge stehen lassen kann und muss). Hier handelt es sich um Dinge, die nicht direkt in der Schrift genannt oder vorgegeben sind. Oft kann man aus den „indirekten Aussagen der Schrift“ trotzdem biblische „Prinzipien“ entnehmen, die eine Antwort bzw. Richtlinie für solche „indirekten Themenbereiche“ geben (z.B. Röm.14,1ff und 1.Kor.8-10 zur Frage nach dem Umgang mit Alkohol, Rauchen oder dem Fernseher u.a.). Dann muss man deutlich zwischen „Sünde“ und „Irrtum in der Auslegung“ unterscheiden. So ist es zwar ein exegetischer Irrtum, wenn man von einer kollektiven Bekehrung des ethnischen Israels ausgeht, doch ist dies keine (direkte15) 15 Dies möchte ich hier nur eingeschränkt betonen, da man trotzdem zu bedenken hat, dass eine falsche Auslegung auch immer eine falsche Lehre ist und damit Unwahrheit beinhaltet und transportiert. Selbst wenn die Frage nicht so „bedeutend“ ist oder nicht die Heilsfrage angreift, so handelt es sich trotzdem um Unwahrheit. Dazu kommt noch, dass man diese falsche Ansicht oft auch noch als „Wort Gottes“ bezeichnet. Daher sollte eine falsche Ansicht auch für „kleinere Themen“ nicht einfach als irrelevant oder Biblische Gemeindeleitung © Ronald Senk 13 Sünde bzw. leitet auch niemanden (direkt) zur Sünde an. Dies betrifft auch andere eschatologische Fragen u.a.. Anders sieht das bei Themen und Lehren aus, die den Bereich der Sünde und des Gehorsams betreffen (Betrug, Ehescheidung und Wiederheirat, Homosexualität, falsche dogmatische Lehren u.a.). Wenn man hier falsche Lehre glaubt und vermittelt, so kann dies auf keinen Fall stehen gelassen werden. Es gibt ein „Stehenlassen“ eines Bruders (oder mehrerer Geschwister) aus Rücksicht vor ihrer „Schwachheit“ (1.Kor.8-10; Röm.14), weil sie noch keine völlige Erkenntnis haben. ungefährlich betrachtet werden. Wir sprechen hier ja nicht über eine Interpretation von irgendeinem Autoren oder irgendeiner Literatur, sondern hier geht es um Gottes Wort! Die Unterscheidung von „Irrlehre“ und „Irrtum“ hilft zwar bei dieser Frage, doch muss man einfach bedenken, dass auch der (zumeist unbeabsichtigte) Irrtum Unwahrheit beinhaltet und transportiert. Zu bedenken ist auch, dass die Grenze zwischen Irrtum (z.B. die Erwartung einer kollektiven Bekehrung Israels) und Irrlehre (z.B. der Neue Bund gilt nicht für die Gemeinde oder die Wiedereinführung von Opfern etc.) oft fließend ist. Wer für seine Auslegung beansprucht, damit Gottes Wort in den Mund zu nehmen, der sollte daher genau schauen, ob das Gesagte wirklich mit der Heiligen Schrift übereinstimmt. Man muss dabei auch beachten, dass eine „deutliche“ Benennung von falschen Lehren bzw. Lehrer nicht als „lieblos“ oder „angreifend“ bezeichnet werden darf. Für Jesus scheint es kein Widerspruch zu sein auf der einen Seite die Nächstenliebe zu verlangen, aber andererseits seine theologischen Gegner als „Otternbrut, Heuchler“ oder „übertünchte Leichen“ zu bezeichnen (vgl. Mt.23,33 u.a.). Ebenso reden die Apostel von Heuchlern, faulen Bäuchen, Ohrenbläser, hohle Schwätzer (denen man den Mund stopfen muss), abscheulich, befleckt, unvernünftige Tiere (zum Einfangen und Verderben geboren), Kinder des Fluches, Hund, im Kot wälzende Sau usw. (vgl. Tit.1,10ff). Nach 2.Joh.9-11 soll man sich von falschen Lehrern distanzieren, um sich nicht zu verunreinigen. Auch die Reformatoren haben hier deutliche Worte gefunden, welche heute von der evangelikalen Welt sicherlich nicht als „gewinnend“ bezeichnet werden. Sicher sollten wir nicht beleidigend reden, doch die Klarheit der Schrift und die Treue zu Gott und seinem wahrhaftigen Wort verpflichtet uns, Klartext zu reden, damit der Glaube nicht verwirrt oder mit Grauzonen und Kompromissen vernebelt wird. Jesus und die Apostel sind uns hier auch in dieser Sache Vorbilder. Sie waren provokant und forderten die Massen mit Ihren klaren und deutlichen Lehren heraus. Diese Haltung ist in der christlichen Welt zugunsten einer angeblich „dialogisch-gewinnenden“ Haltung weitgehend verloren gegangen, indem man das „Ärgernis des Kreuzes“ und die „Torheit der Predigt“ für die Gesellschaft entschärft hat. Dies gilt auch im gewissen Sinn für die innerchristliche Welt und Ihr postmodern-pluralistischer und liberaler Umgang mit biblischen und unbiblischen Lehren.