11 Obere Extremität Christian Albrecht May Oberflächenanatomie Die Form des Oberarms hängt stark vom Trainingszustand der Muskulatur ab. Das Aussehen des distalen Unterarms und der Hand bestimmen Sehnen und Knochen. Die oberflächlichen Venen sind insbesondere für die Punktion und Gewinnung von Venenblut interessant. Hautnerven können eine klinische Differenzierung neurologischer Erkrankungen erlauben, allerdings variieren die Versorgungsgebiete der Hautnerven etwas. 11.1.1 Oberflächenrelief 11 Das Oberflächenrelief des Armes (Abb. 11.1) wird hauptsächlich bestimmt von der Ausprägung der Muskulatur und der subkutanen Fettpolster. Die Schulterregion wird vom M. deltoideus10 geformt, der zum Rumpf hin ventral durch eine kleine Grube (Fossa infraclavicularis, Mohrenheim-Grube) vom M. pectoralis major1 getrennt ist. Dorsal hebt er sich von der Spina scapulae, dem M. teres major17 und dem M. latissimus dorsi16 ab. Der Oberarm wird ventral vom M. biceps brachii2 und dorsal vom M. triceps brachii11 geformt. Bei starker Ausprägung dieser Muskeln hat der Oberarm einen längsovalen Querschnitt, der medial stärker als lateral eine Einziehung zeigt (mediale und laterale Bizepsfurche). In der Ellenbeuge zeigen sich ventral meist größere epifasziale Venen3 und 2 Ellenbeugenfurchen. Dorsal bildet sich proximal die Sehnenplatte12 des M. triceps brachii ab, die zum Olecranon15 zieht. In gestreckter Armhaltung bildet sich eine ausgeprägte Hautfalte über dem Olecranon; seitlich davon kommt es zu deutlichen Gruben. Beides verstreicht bei Beugung. In Supinationsstellung des Unterarms können die Extensoren laterodorsal, die Flexoren medioventral die Oberfläche neben weiteren epifaszialen Venensträngen prägen. Ventral kann man bei leichter Beugung des Handgelenks am distalen Unterarm die Sehne8 des M. palmaris longus sehen. Dorsal tritt im proximalen Bereich die Ulna14 an die Oberfläche. 2 Handgelenkfurchen (Abb. 11.25, 6) leiten ventral zur Hohlhand über, die ulnar von der Hypothenarmuskulatur, radial vom Thenarballen eingefasst wird. Zahlreiche individuell ausgeprägte Furchen prägen das Hautrelief der Hohlhand. Dorsal bilden sich am Handgelenk eher diskrete Stauchungsfurchen12, 13. Der Handrücken wird von großen Hautvenen und den Sehnen10, 15 der Fingerextensoren geformt. Radial am Daumen bildet sich – verstärkt bei Extension des Daumens – eine Grube (Fovea radialis, Tabatière14). Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 11.1 11.1 Oberflächenanatomie 10 217 10 1 11 2 16 12 3 9 4 15 9 14 Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 17 11 8 7 5 13 6 a b Abb. 11.1 Oberflächenrelief des rechten Arms von ventral (a) und dorsal (b). 10 M. deltoideus 1 M. pectoralis major 11 M. triceps brachii 2 M. biceps brachii 12 Sehnenplatte des M. triceps brachii 3 epifasziale Venen 13 Ansatzsehnen des M. extensor 4 Unterarmflexoren digitorum 5 Hypothenar 14 Ulna 6 Palma manus 15 Olecranon 7 Thenar 16 M. latissimus dorsi 8 Sehne des M. palmaris longus 17 M. teres major 9 Unterarmextensoren Die Hohlhandfurchen können bei Neugeborenen Hinweise auf genetische Erkrankungen geben. So kommt es bei Trisomie 21 häufig zu einer durchgehenden und tiefen Querfurche. & 218 11 Obere Extremität 1 2 4 9 8 7 5 6 11 10 15 14 11 13 12 a b Abb. 11.2 Oberflächenrelief der rechten Hand von ventral (a) und dorsal (b). 9 distale Hohlhandfurche 1 Endgelenkbeugefurche 10 Sehnen des M. extensor digitorum 2 Mittelgelenkbeugefurche 11 Processus styloideus ulnae 3 Grundgelenkbeugefurche 12 proximale Stauchungsfurche 4 proximale Hohlhandfurche 13 distale Stauchungsfurche 5 distale Handgelenkfurche 14 Fovea radialis 6 proximale Handgelenkfurche 15 Sehne des M. extensor pollicis longus 7 Thenarfurche 8 Mittelfurche Die epifaszialen Hautvenen der oberen Extremität bilden ein variables Netz, das an Hand- und Fingerrücken sowie am Unterarm besonders dicht und bei wenig Unterhautfettgewebe deutlich durch die Haut erkennbar ist. 11.1.2 Tastbare Knochenpunkte (Abb. 11.3) Am Schultergürtel sind problemlos die Clavicula17, das Acromion16 und die Spina scapulae18 tastbar. Der Processus coracoideus15 ist besonders bei abduziertem Arm in der Fossa infraclavicularis palpabel. Am Oberarm kann man proximal aufgrund der massiven Muskelüberdeckung Tuberculum majus13 und minus12 humeri nur unscharf tasten. Distal sind die beiden Epikondylen1, 10 des Humerus leicht zu finden. Am Unterarm liegt die Margo posterior ulnae vom Olecranon26 aus direkt unter der Haut. Auf der radialen Seite ist das Radiusköpfchen19 deutlich als Auftreibung Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 3 11.1 Oberflächenanatomie 16 17 18 17 15 14 219 16 14 13 13 11 12 Oberarmlnge 27 10 9 8 7 10 1 26 19 25 20 9 2 3 24 4 23 5 22 Handlnge 21 6 a Unterarmlnge b Abb. 11.3 Tastbare Knochenpunkte der oberen Extremität von ventral (a) und dorsal (b). 15 Processus coracoideus 1 Epicondylus medialis 16 Acromion 2 Processus styloideus ulnae 17 Clavicula 3 Os pisiforme 18 Spina scapulae 4 Hamulus ossis hamati 19 Caput radii 5 Articulationes metacarpophalageae 20 Radius 6 Articulationes interphalageae 21 Ossa digitorum 7 Tuberculum ossis trapezii 22 Ossa metacarpi 8 Tuberculum ossis scaphoidei 23 Os capitatum 9 Processus styloideus radii 24 Os triquetrum 10 Epicondylus lateralis 25 Facies posterior der Ulna 11 Collum chirurgicum 26 Olecranon 12 Tuberculum minus 27 Angulus inferior scapulae 13 Tuberculum majus 14 Collum anatomicum Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 11 11 220 11 Obere Extremität 11.2 Knochen der oberen Extremität 11.2.1 Knochen des Schultergürtels Die Knochen des Schultergürtels sind die Scapula (Schulterblatt) und die Clavicula (Schlüsselbein). Sie verbinden den Oberarm mit dem Rumpf. Die Scapula wird hauptsächlich von Muskelschlingen gehalten und gleitet auf der Thoraxrückseite auf dem M. subscapularis und einer lockeren Verschiebeschicht (subskapulare Gleitschicht). Nur über die Clavicula steht sie mit dem Rumpfskelett in direkter gelenkiger Verbindung. 11 Die Scapula (s. Abb. 11.3) besteht aus einer dünnen, dreieckigen Knochenplatte, die mit ihrer Facies costalis dem Brustkorb anliegt. Auf ihrer Dorsalfläche (Facies posterior) verläuft ein Knochenkamm (Spina scapulae18), der nach lateral leicht ansteigt und dessen laterales, breitbasig abgeflachtes Ende Acromion16 genannt wird. Die Spina scapulae unterteilt die dorsale Knochenfläche in die Fossa supraspinata und Fossa infraspinata. In seltenen Fällen verschmilzt der Knochenkern im Acromion nicht mit der Scapula und es entsteht ein eigenständiges Os acromiale. In der Mitte des oberen Scapularandes gibt es eine Vertiefung (Incisura scapulae), die durch Bandverknöcherung auch zu einem Foramen scapulae verengt sein kann. Lateral der Incisura scapulae geht aus dem oberen Scapularand der hakenartig geformte, nach ventrolateral gerichtete Processus coracoideus15 (Rabenschnabelfortsatz) hervor. Der zur Wirbelsäule gerichtete Rand (Margo medialis) der Scapula bildet mit der zur Seite weisenden Margo lateralis kaudal den Angulus inferior27 und mit dem kranialen Rand (Margo superior) den Angulus superior. Am Angulus lateralis, der von Margo superior und Margo lateralis gebildet wird, befindet sich die kleine Gelenkpfanne des Schultergelenks (Cavitas glenoidalis). Die beiden großen Fortsätze (Processus coracoideus und Acromion) überragen die Cavitas glenoidalis, die kranial und kaudal jeweils eine knöcherne Ausziehung an Rand aufweist (Tuberculum supraglenoidale und infraglenoidale). Die einzelnen Knochenkerne der Scapula verschmelzen zwar zu einem einzigen Knochen, weisen aber untereinander noch Bandverbindungen auf. Dazu zählt Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. des proximalen Radiusendes zu tasten. Distal sind die beiden Processi styloidei2, 9 von Radius und Ulna zu finden. Die Handknochen sind gewöhnlich alle tastbar. Besonders Os scaphoideum und Os lunatum sind von palmar leicht zu tasten. Das Os scaphoideum tritt bei Radialabduktion nach palmar hervor und ist dann deutlich als Erhebung sicht- und tastbar.