3.4 Prospektive Studien bei okulärer Hypertension

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3 Okuläre Hypertension
und hängt vom IOD ab: Bei einem IOD von
21 – 25 mm Hg entwickelten innerhalb von 5 Jahren 3 – 10% ein Glaukom, bei einem IOD von
25 – 30 mm Hg 6 – 16% und bei einem IOD über
30 mm Hg 33%. Genaueren Aufschluss liefern
neuere Untersuchungen. In einer Studie von Georgopoulos et al. (1997) entwickelten 71 von 354
unbehandelten Personen (etwa 20%) mit okulärer
Hypertension im Laufe von sieben Jahren ein
Glaukom. In der Ocular Hypertensive Treatment
Study dagegen 9,5% innerhalb von fünf Jahren.
Insgesamt kann man also von einer Progredienz
von 1 – 2(-4)% pro Jahr ausgehen, mit allerdings
erheblichen Unterschieden je nach Risikofaktoren
(siehe unten). Neben der absoluten Höhe des IOD
spielen wahrscheinlich auch IOD-Schwankungen
eine wichtige Rolle bei der Konversion zum manifesten Glaukom (siehe dazu auch Abschnitt 1.4
„Glaukomformen“).
3.3.1 Ökonomische Bedeutung
Die wirtschaftliche Bedeutung der okulären Hypertension wird schnell klar, wenn man sich einige Zahlen vor Augen führt. Geht man in Deutschland von einer Prävalenz von 8% bei den über 40Jährigen aus, wären dies 3,2 Mio. Betroffene. Bei
mittleren Arzneimittelkosten für IOD-senkende
Augentropfen von ca. 160 € pro Jahr entspräche
dies jährlichen Medikamentenkosten von über einer halben Milliarde €. Dabei ist noch nicht gerechnet, dass es unter einer solchen Massenbehandlung auch zu zahlreichen Nebenwirkungen
und Medikamentenunverträglichkeiten kommen
würde. Daher stellte sich schon früh die Frage, ob
die prophylaktische Behandlung der okulären Hypertension aus medizinischer Sicht überhaupt
empfehlenswert sei, ob sie also eine mögliche
Konversion zu einem Glaukom verhindern könne.
3.4 Prospektive Studien bei
okulärer Hypertension
und beobachteten die Patienten im Mittel 56 bzw.
51 Monate lang. Als Endpunkt wurden ein IOD
⬎ 32 mm Hg, ein perimetrischer Gesichtsfeldschaden oder eine Sehnervenschädigung gewertet. 9 Personen in der Timolol- und 17 in der Plazebogruppe erreichten einen Endpunkt. Von den 9
Teilnehmern in der Verumgruppe, die zum Endpunkt gelangten, hatten 6 die Therapie abgebrochen. Hier zeigte sich ein günstiger Einfluss der frühen Therapie.
An der Studie von Kass et al. (1989) nahmen 62
Patienten mit okulärer Hypertension (24 – 35 mm
Hg) teil, die an einem Auge eine Timolol-Therapie
und am anderen Auge Plazebo erhielten und 5 Jahre lang nachuntersucht wurden. Die mittlere
Gruppendifferenz im IOD betrug 2,3 ⫾ 2,6 mm
Hg. Ein reproduzierbarer Gesichtsfelddefekt trat
an 4 mit Timolol und an 10 mit Plazebo behandelten Augen auf. Eine Vertiefung der Exkavation
wurde an 4 Verum- und 8 Plazeboaugen festgestellt. Die Papillenblässe nahm unter Timolol um
durchschnittlich 0,86%, unter Plazebo um 1,8% zu.
Auch diese Studie zeigte, dass die IOD-Senkung bei
okulärer Hypertension der Progredienz vorbeugt.
In einer 6-jährigen prospektiven Untersuchung gaben Schulzer et al. (1991) 143 Patienten
mit okulärer Hypertension (über 22 mm Hg) entweder Timolol oder Plazebo. Reproduzierbare Gesichtsfeldausfälle in der automatischen Perimetrie, Papillenrandblutungen oder stereophotographisch dokumentierte Schäden des Sehnervenkopfes wurden als Endpunkt bewertet. Die Analyse der insgesamt 46 Endpunkte zeigte keinen signifikanten Unterschied zwischen beiden Gruppen. Allerdings hatte es in der Therapiegruppe
fast 25% Studienabbrecher gegeben. In der Plazebogruppe korrelierte die Zeit bis zum Endpunkt
mit dem mittleren IOD während der Studie und
mit der initialen Cup/Disc-Ratio.
Wie man sieht, ergaben diese Studien kein
konsistentes Bild. Daher wurden zwei große multizentrische, randomisierte und prospektive Studien initiiert und durchgeführt, die Ocular Hypertension Treatment Study in Amerika und die European Glaucoma Prevention Study in Europa.
3.4.1 Bis Mitte der 1990er Jahre
Um die Frage der prophylaktischen Behandlung
zu klären, wurden schon in den 1980er Jahren
mehrere Studien durchgeführt: Epstein et al.
(1989) gaben 107 Patienten mit einer okulären
Hypertension zwischen 22 und 28 mm Hg, normaler Goldmann-Perimetrie und ohne Zeichen
einer Sehnervenschädigung entweder eine Therapie mit dem Betablocker Timolol oder Plazebo
3.4.2 Die European Glaucoma
Prevention Study
Die European Glaucoma Prevention Study (EGPS)
wurde 1996 in Deutschland, Italien, Belgien und
Portugal an 18 Zentren initiiert, um zu untersuchen, ob die IOD-Senkung durch lokale Behandlung mit Dorzolamid die Entstehung eines Glaukoms bei Patienten mit okulärer Hypertension
Pfeiffer, Glaukom und okuläre Hypertension (ISBN 3131058528), 䊚 2005 Georg Thieme Verlag KG
3.4 Prospektive Studien bei okulärer Hypertension
verhindern oder aber verlangsamen kann. Es
wurden 1077 Patienten im Alter von 30 – 80 Jahren mit einem IOD von 22 bis 29 mm Hg in die Studie eingeschlossen und randomisiert einer Behandlung mit Dorzolamid dreimal täglich oder
Plazebo dreimal täglich zugeteilt. Innerhalb von 5
Jahren entwickelten 110 Patienten einen Endpunkt, also ein Glaukom mit typischer Veränderung des Papillenbefundes oder glaukomtypischem Gesichtsfeldschaden.
Die EGPS ist die größte jemals durchgeführte
prospektive, randomisierte und plazebokontrollierte Studie im Bereich der Ophthalmologie. Zum
Zeitpunkt der Drucklegung des Buches sind die
Studienergebnisse noch nicht erhältlich. Von der
EGPS sind wichtige Erkenntnisse für den natürlichen Verlauf der okulären Hypertension zu erwarten und ebenso Hinweise darauf, ob dieser Zustand behandelt werden sollte.
3.4.3 Die Ocular Hypertension
Treatment Study
Die Ocular Hypertension Treatment Study (OHTS)
wurde als randomisierte, prospektive, aber nicht
maskierte und nicht plazebokontrollierte, multizentrische Studie durchgeführt. Eingeschlossen
wurden 1636 Teilnehmer mit okulärer Hypertension und einem IOD zwischen 24 und 32 mm Hg
in mindestens einem Auge und einem IOD von 21
bis 32 mm Hg im anderen Auge. Die Patienten
mussten ansonsten augengesund sein und wurden nur in die Studie aufgenommen, wenn sie eine normale Weiß-auf-weiß-Perimetrie und einen
normalen Papillenbefund aufwiesen.
Nach Einschluss in die Studie wurden die Patienten randomisiert und einer von zwei Gruppen
zugeteilt: Die erste Gruppe wurde nur beobachtet, ohne IOD-senkende Medikation und auch ohne Plazebo. In der zweiten Gruppe wurde der IOD
mit Lokaltherapie gesenkt, mit dem Ziel, einen
IOD von höchstens 24 mm Hg zu erreichen und
den IOD um mindestens 20% zu senken. In einer
umfangreichen Dokumentation wurden zahlreiche weitere Faktoren erhoben, darunter Rasse,
Geschlecht, Familienanamnese mit Glaukom,
Anamnese der Einnahme von oralen Betablockern
und Kalziumantagonisten, Anamnese von Migräne, Diabetes mellitus, hohem oder niedrigem
Blutdruck, Herzerkrankungen oder zerebrovaskulären Ereignissen. Ophthalmologische Faktoren umfassten insbesondere: IOD, Hornhautdicke, Pattern Standard Deviation im Gesichtsfeld,
gemessen in Dezibel, Mean Deviation in Dezibel,
horizontale sowie vertikale Cup/Disc-Ratio und
43
Myopie. Die Patienten wurden halbjährlich nachuntersucht, dabei wurden eine Perimetrie und
jährlich Papillenfotos angefertigt.
Eine Konversion zum Glaukom wurde diagnostiziert aufgrund der Entwicklung eines typischen Glaukomschadens. Dieser wurde in einem
Optic Disc Reading Center aufgrund der Übereinstimmung von mehreren Experten bei der Betrachtung der Sehnervenphotographien etabliert.
Ein weiteres Merkmal der Entwicklung eines
Glaukoms war die Ausbildung von relativen oder
absoluten Skotomen in der Weiß-auf-Weiß-Perimetrie, wobei ein pathologischer Befund in gleicher Weise mindestens zweimal durch Nachfolgeuntersuchungen bestätigt werden musste.
817 Teilnehmer wurden mit lokaler IOD-senkender Medikation behandelt und 819 nur beobachtet. In der behandelten Gruppe fiel der IOD
von 24,9 ⫾ 2,6 mm Hg auf ein Mittel von 19,3 ⫾
2,2 mm Hg und in der Beobachtungsgruppe ohne
Therapie von 24,9 ⫾ 2,7 mm Hg auf 23,9 ⫾ 2,9 mm
Hg. Zu Anfang der Studie erhielten über 90% der
Patienten Betablocker, gegen Ende etwa 70%. In
entsprechender Weise stieg die Verwendung von
Prostaglandinen an.
In der Behandlungsgruppe entwickelten 36
von 817 Teilnehmern ein primäres Offenwinkelglaukom, verglichen mit 89 von 819 in der Beobachtungsgruppe. Damit betrug die Wahrscheinlichkeit, innerhalb von 5 Jahren ein Glaukom zu
entwickeln, in der Beobachtungsgruppe 9,5% und
in der Behandlungsgruppe 4,4% (Abb. 3.1).
Unter den vielen ophthalmologischen und allgemeinmedizinischen Faktoren wurde in einer
Multivarianzanalyse nach Risikofaktoren für die
Entwicklung eines Glaukoms gesucht. Dabei wurden die folgenden positiven Faktoren identifiziert
(siehe auch Tabelle 3.4):
Tabelle 3.4 Risikofaktoren für die Konversion von okulärer Hypertension zum Glaukom
Faktor
Hazard Ratio
Alter (pro Dekade)
1,22
Augeninnendruck (pro mm Hg)
1,10
Hornhautdicke (pro 40 µm dünner)
1,71
Pattern Standard Deviation (pro
0,2 dB)
1,27
horizontale Cup/Disc-Ratio (pro 0,1)
1,27
vertikale Cup/Disc-Ratio (pro 0,1)
1,32
Diabetes mellitus
0,37
Pfeiffer, Glaukom und okuläre Hypertension (ISBN 3131058528), 䊚 2005 Georg Thieme Verlag KG
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3 Okuläre Hypertension
Abb. 3.1 Wahrscheinlichkeit ein
Glaukom zu entwickeln.
0,15
Anteil der Teilnehmer, die ein
primäres Offenwinkelglaukom entwickeln
Behandlungsgruppe nach 5 Jahren 4,4 %
Kontrollgruppe
nach 5 Jahren 9,5 %
0,10
0,05
0,00
6
앫
앫
앫
앫
앫
12 18 24 30 36 42 48 54 60 66 72 78 84
Beobachtungszeit (Monate)
zunehmendes Alter,
abnehmende Hornhautdicke,
erhöhte Pattern Standard Deviation,
vergrößerte horizontale Cup/Disc-Ratio und
vergrößerte vertikale Cup Disc Ratio.
Ebenfalls einen signifikanten Einfluss auf die Konversion von okulärer Hypertension zum Glaukom
hatte ein Diabetes mellitus. Hier ergab sich jedoch
eine statistisch signifikante protektive Funktion
mit einer Hazard Ratio von nur 0,37!
Eine besondere Subgruppenanalyse wurde
vorgenommen bezüglich verschiedener Gruppen
von erhöhtem IOD und unterschiedlicher Hornhautdicke. Es zeigte sich, dass bei relativ niedrigem IOD und relativ dicker Hornhaut das Risiko
einer Konversion nur 2% betrug, jedoch bei einem
IOD über 25,75 mm Hg und einer Hornhautdicke
unter 555 µm 36% pro 5 Jahre (Abb. 3.2). Ebenso
nahm das Risiko von dicker Hornhaut und geringer Papillenexkavation zu dünner Hornhaut und
großer anfänglicher Exkavation hin zu.
Die OHTS ist die bisher größte randomisierte,
kontrollierte Studie zur Frage, ob die prophylaktische Senkung des IOD eine Konversion von okulärer Hypertension zum Glaukom verhindern kann.
Die Ergebnisse sind klar: In dieser Population betrug das Risiko einer Konversion innerhalb von 5
Jahren ohne Behandlung 9,5%, mit Senkung des
IOD wurde es dagegen mehr als halbiert auf 4,4%.
Hierdurch ist die protektive Wirkung einer prophylaktisch IOD-senkenden Behandlung belegt. Sie
kann die Entwicklung eines Glaukoms verhindern
oder zumindest aufhalten.
Wichtig war auch die Analyse der Risikofaktoren. Einerseits ergaben sich erwartete Ergebnisse.
Je höher das Alter und je höher der IOD sind, umso
höher ist auch die Wahrscheinlichkeit, ein Glaukom zu entwickeln. Auch eine anfänglich größere
Cup/Disc-Ratio, sowohl horizontal als auch vertikal, schlägt mit einem erhöhten Risiko zu Buche.
Dasselbe gilt für eine erhöhte Pattern Standard
Deviation in der Weiß-auf-Weiß-Perimetrie.
Auch diese Ergebnisse sind gut erklärbar. Hier
handelt es sich vermutlich um Grenzbefunde, in
denen gerade eben entstehende glaukomatöse
Befunde noch nicht sichtbar sind, dann aber relativ früh manifest werden.
Überraschend war der starke Einfluss der
Hornhautdicke auf das Risiko, ein Glaukom zu
entwickeln. Schon seit einigen Jahren waren die
bereits von Goldmann erkannten Probleme der
Goldmann-Applanationstonometrie wieder in
den Mittelpunkt des Interesses gerückt. Bei erhöhter Hornhautdicke wird der IOD fälschlich zu
hoch gemessen, bei geringerer als normaler Hornhautdicke dagegen zu niedrig. Dieses Phänomen
ist lange Zeit bekannt, unklar blieb und bleibt
aber bisher noch das genaue Ausmaß der fehlerhaften Messung.
Pfeiffer, Glaukom und okuläre Hypertension (ISBN 3131058528), 䊚 2005 Georg Thieme Verlag KG
3.5 Interpretation der Studien zur okulären Hypertension
45
Abb. 3.2 Konversion zum Glaukom
je nach Hornhautdicke und IOD.
IO
D,
m
m
Hg
IOD > 25,75
Mittelwert
= 27,9
28 von 78
(36 %)
10 von 79
(13 %)
6 von 58
(10 %)
6 von 85
(7 %)
5 von 80
(6 %)
IOD > 23,75
bis à 25,75
Mittelwert
= 24,9
8 von 67
(12 %)
IOD Ã 23,75
Mittelwert
= 22,2
13 von 78
(17 %)
7 von 77
(9 %)
2 von 90
(2 %)
> 555 bis
> 588
à 555
Mittelwert à 588 Mittel- Mittelwert
= 532
wert = 572,1 = 613,4
zentrale Hornhautdicke (µm)
Die Ergebnisse der OHTS in Bezug auf die
Hornhautdicke können in verschiedener Weise
erklärt werden: Einerseits ergibt sich bei einer
dünnen Hornhaut ein fälschlich zu niedrig gemessener IOD. Ein mit z. B. 28 mm Hg gemessener
IOD könnte deshalb bei einer um 40 µm dünneren
Hornhaut in Wirklichkeit etwa 30 mm Hg betragen. Hierdurch würde sich das erhöhte Risiko
zum Glaukom erklären lassen. Die Autoren der
OHTS verzichteten jedoch auf eine Korrektur des
IOD, denn einerseits ist der genaue Umfang der
notwendigen Korrektur nicht bekannt und andererseits könnte auch eine dünnere Hornhaut per
se ein Risikofaktor sein. Tatsächlich häufen sich
die Hinweise darauf, dass eine dünnere Hornhaut
auch mit einer dünneren Sklera und damit einer
dünneren Lamina cribrosa verbunden ist, wodurch sich eine geringere mechanische Festigkeit
ergeben könnte. Diese für sich allein könnte wiederum ein Risikofaktor für die Entwicklung eines
Glaukoms darstellen.
3.5 Interpretation der Studien
zur okulären Hypertension
Sollte eine okuläre Hypertension behandelt werden? Trotz aller neuen Informationen beantworten die vorliegenden Studien diese Frage nicht,
obwohl ein eindeutiger protektiver Effekt der Behandlung aufgezeigt wurde. Die Gründe dafür
sind vielfältig und werden im Folgenden kurz erläutert.
3.5.1 Es gibt nicht „den“ Patienten
mit okulärer Hypertension
Eines der wichtigsten Ergebnisse der OHTS ist,
dass das individuelle Risiko eines Patienten, aus
einer okulären Hypertension ein Glaukom zu entwickeln, sehr unterschiedlich sein kann. So hat
ein Patient mit grenzwertigem IOD, dicker Hornhaut und ohne weitere Risikofaktoren ein Risiko
von wahrscheinlich unter 1%, ein Glaukom zu
entwickeln, während ein hochbetagter Patient
mit hohem IOD, dünner Hornhaut, großer Cup/
Disc-Ratio und grenzwertiger Pattern Standard
Deviation ein über 90%iges Risiko aufweist. Die-
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