8.6 Grundsätzliche Überlegungen zur Statik und Dynamik

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8 Grundlagen der Teilprothesenplanung
Die Prothese wird als starrer künstlicher Körper in ein lebendes Biotop eingebracht, das aus unterschiedlichen
Geweben mit unterschiedlichen Eigenschaften besteht.
Die Kunst des Zahnarztes mit seinem Team besteht darin, den Zahnersatz zu inkorporieren, im wahrsten Sinne
des Wortes also (nicht spürbaren) „Bestandteil des Körpers“ werden zu lassen.
Dabei können sich Prothesen in scheinbar identischen Restgebisssituationen bei verschiedenen Patienten trotz gleicher Konstruktion sehr unterschiedlich verhalten, da die Kinematik einer Teilprothese nicht nur von
der reinen Konstruktion abhängt, sondern auch insbesondere von den individuellen anatomisch-physiologischen Gegebenheiten in der Mundhöhle: So beeinflussen der parodontale Zustand des Restgebisses, die Resilienzverhältnisse der Schleimhäute, Form und Ausprägung der zahnlosen Anteile und die individuelle Kraftentwicklung der Kau-, Zungen- und Mundbodenmuskulatur das Verhalten der Prothese in erheblichem Maß.
Krafteinwirkungen im Kauorgan
und deren Kompensationsmöglichkeiten
Druckkräfte
Durch die Einwirkung der Kaumuskulatur entstehen bei
allen Okklusionskontakten in Statik und Dynamik
Druckkräfte auf Knochen, Zähne und Prothese. Diese
können rein axial auf die Zähne wirken und damit einen
physiologischen Reiz auf den Zahnhalteapparat ausüben. Je nachdem werden sie aber auch in Horizontalkräfte, Scher-, Zug- und Biegekräfte umgewandelt. Somit
ist klar, dass z. B. gekippte Zähne ungünstig belastet werden, da ein großer Teil der Sharpey-Fasern nicht mehr
auf Zug in Anspruch genommen wird. Bei einer Kippung
von mehr als 30⬚ zur Kauebene ist ein Zahn in seiner
Pfeilerwertigkeit als gering einzustufen. In diesen Fällen
ist abzuwägen, ob er noch als Halte- und Stützelement in
Frage kommt (Abb. 8.15). Die Einbeziehung solcher Zähne ist bei Doppelkronen noch eher möglich, da sie durch
den Doppelkronenverband gut abgestützt und gehalten
werden. Unter einer Klammer hingegen ist eine weitere
Kippung wahrscheinlicher, insbesondere wenn kein flächiger Approximalkontakt zum Sattel geschaffen wird
(vgl. Abb. 4.1 a).
Aber auch regelrecht stehende Zähne können auf Kippung und Zug beansprucht werden: Schon bei einer
dreigliedrigen Brücke können die Pfeilerzähne infolge
einer Durchbiegung zum Brückenglied hin gekippt werden. Je mehr Zähne verloren gegangen sind und je umfangreicher der Zahnersatz ist, desto stärker sind diese
unphysiologischen Belastungen. Der Extremfall ist der
Freiendsattel, der eine hohe Belastung für die Pfeiler
darstellt. Aus diesen Gründen ist durch eine sorgfältige
Konstruktionsplanung mit der Abschätzung der jeweiligen individuellen Situation die Belastung der Pfeilerzähne so gering wie möglich zu halten und eine konstruktive Entlastung des Prothesenlagers anzustreben. Dazu
gehört die starre parodontale Abstützung der Prothese
Abb. 8.15 a Der Zahn befindet sich im
Ruhezustand in der Alveole: Die SharpeyFasern sind entspannt.
b Bei exakt vertikaler Belastung des
Zahnes werden alle Sharpey-Fasern
gleichermaßen funktionell belastet.
c Bei einer Kippung von 10⬚ befindet sich
das resultierende Kräfteparallelogramm
noch innerhalb des Zahnes.
d, e Kippungsgrade von 30⬚ oder 45⬚
führen zu einer Schädigung des Pfeilerzahnes.
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8.6 Grundsätzliche Überlegungen zur Statik und Dynamik
Grundsätzliche Überlegungen zur Statik und Dynamik
Die Prothesenbasis muss maximal extendiert
werden.
Das bedeutet bei Teilprothesensätteln die Fassung der
Tubera im Oberkiefer und im Unterkiefer der retromolaren Polster. Die vertikale Ausdehnung muss nicht so lang
sein, wie es bei Totalprothesen zur Erzielung eines Saughaltes notwendig ist. So können aus ästhetischen und
Komfortgründen die Sattelränder durchaus etwas kürzer sein und müssen auch nicht so ausgeprägt ampullenförmig gearbeitet werden (Abb. 8.18).
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mit einer maximal möglichen Kaukraftübertragung auf
das Restgebiss.
Um Kippbeanspruchungen der Pfeiler bei Druckbelastungen von Prothesen weitgehend auszuschalten,
muss eine möglichst große dentale Unterstützungsfläche geschaffen werden, d. h. die sog. Stützlinien sollten
peripher am Prothesenkörper verlaufen, damit Angriffshebel erst gar nicht entstehen können. Stützlinien sind
die Verbindungslinien der Abstützungspunkte, z. B. bei
Klammern deren Stützelemente. Zur Veranschaulichung
sei das Beispiel eines Tisches angeführt. Dieser ist immer
dann am stabilsten, wenn die 4 Tischbeine möglichst an
den 4 Ecken und am Rand der Platte angebracht sind. Die
Verbindung der Beine sind die Unterstützungslinien.
Verlaufen sie so peripher wie möglich (Abb. 8.16 a), kann
man sich auch auf dem Rand der Tischplatte abstützen,
ohne dass dieser kippt.
Werden jedoch die Tischbeine nach innen verlegt, so
befinden sich Plattenanteile außerhalb der unterstützten Fläche und der Tisch kippt bei Belastung am Rand um
(Abb. 8.16 b, c).
Die Restgebisssituation der Abb. 8.16 d zeigt ein Beispiel einer maximal unterstützten Fläche, bei der lediglich die Frontzähne mit einem geringen Angriffshebel
außerhalb des Unterstützungsfeldes zu liegen kommen.
Diese Prothese wird auch beim Abbeißen lagestabil sein,
da ein ausreichend großes Widerlager vorhanden ist. Bei
Verkleinerung des Unterstützungsfeldes wird der Angriffshebel größer und es besteht die Gefahr des Abkippens der Prothese (Abb. 8.16 e).
Druck ist ein unphysiologischer Reiz auf den Knochen; wird eine gewisse Toleranzgrenze überschritten,
erfolgt verstärkt dessen Atrophie. Diese Toleranzgrenze
ist zwar individuell sehr unterschiedlich, dennoch ist
klar, dass alles getan werden muss, um den auf ein jeweiliges Flächenstück einwirkenden Druck so gering wie
möglich zu halten. Da Druck als Kraft pro Fläche definiert
ist und bei einem Patienten die einwirkende maximale
Kraft aufgrund der anatomisch-physiologischen Situation relativ konstant ist, bleibt nur die Möglichkeit, über
die Verteilung dieser Kraft auf eine möglichst große (horizontale) Fläche den knochenabbauenden Druck eines
Prothesensattels zu reduzieren (Schneeschuhprinzip)
(Abb. 8.17).
163
Abb. 8.16 Prothesenstatik am Beispiel eines Tisches.
a Stabile Verhältnisse: Alle 4 Tischbeine sind an der jeweils
äußersten Ecke angebracht.
b Tischbeine sind zum Zentrum der Platte hin verschoben.
c Bei Belastung der Platte außerhalb des Unterstützungsfeldes,
das von den Tischbeinen gebildet wird, fällt der Tisch um.
d Stabile Verhältnisse in diesem Fall, da der Angriffshebelarm
wesentlich kleiner ist als der Widerstandshebelarm W.
e Ungünstige Verhältnisse: Der Angriffshebelarm wird größer,
die Kippbelastung auf die Pfeilerzähne ebenfalls.
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8 Grundlagen der Teilprothesenplanung
b
a
Abb. 8.18 a – d Gestaltung der vertikalen Sattelausdehnung
bei Teilprothesen; Ansicht von vorn.
a Der Sattel ist unnötigerweise zu lang und zu weit nach
anterior geführt (mesial der schwarzen Linie).
b Der Sattel sollte von anterior unauffällig sein und muss nicht
bis tief ins Vestibulum reichen (jetzt korrigiert).
c Grenzlinie für die Sattelausdehnung läuft durch den Approximalkontakt. Die Approximalfläche des ersten Sattelzahnes ist
die Grenze für die Sattelausdehnung. Die Basis sollte dann in
einem leichten Schwung Richtung Sattel geführt werden.
d Keinesfalls sollte die Sattelbasis in den Bereich der noch vorhandenen natürlichen Zähne geführt werden.
Sagittal angreifende Horizontalkräfte
Im gesunden Gebiss werden sagittal gerichtete Kräfte
durch die Abstützung innerhalb der Zahnreihe durch die
Approximalkontakte kompensiert (Wirklinie). Eine fehlende sagittale Abstützung führt zu Kippbeanspruchungen insbesondere sattelnaher Pfeiler. Isoliert stehende
Prämolaren haben eine schlechte Prognose, weil sie von
ihrer prothetischen Wertigkeit her als gering einzustufen sind.
Bei Freiendprothesen haben die Neigung und der Verlauf des zahnlosen Kieferkammes Einfluss auf die sagittale Belastung der Restzähne. Bei einem nach mesial
abfallenden Kieferkamm kommt es zu einem Proglide-
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Abb. 8.17 Darstellung der Schneeschuhprinzipes.
a Mit Schneeschuh verteilt sich das Körpergewicht F auf eine größere Fläche,
kein Einsinken.
b Ohne Schneeschuh erfolgt bei gleicher
Gewichtskraft ein wesentlich stärkeres
Einsinken.
Grundsätzliche Überlegungen zur Statik und Dynamik
Transversal angreifende Horizontalkräfte
Transversal angreifende Horizontalkräfte sind durch
Konstruktionen kompensierbar, die senkrecht zum Prothesensattel verlaufen, d. h. die großen Transversalverbinder. Bei der Planung ist deshalb eine ausreichend dimensionierte Transversalverbindung unabdingbar. Je
nach Form des Gaumendaches (Abb. 8.19) muss diese
mehr oder weniger verstärkt werden.
Je spitzer und höher der Gaumen, desto steifer muss
die Konstruktion sein, da bei einem kleinen Winkel α die
Gefahr der Aufbiegung bzw. extraoral auch des Zusammenbiegens größer ist als bei einem flachen, großen
Winkel. Ebenso ungünstig sind flache, niedrige Kieferkämme bei transversalen Krafteinwirkungen. Hier muss
durch maximale Extension der Basis versucht werden,
die auftretenden Kräfte so weit wie möglich zu kompensieren. Hilfreich ist dabei auch eine flache Höckerneigung.
Im Doppelkronenverband kann bei der totalen Pfeilerintegration auf eine gesonderte Transversalverbindung verzichtet werden, wenn eine günstige Form der
Alveolarfortsätze vorhanden ist (Abb. 8.19 c). Bei hohen,
steilen und breiten Kämmen mit relativ flachem Gaumendach kann die Prothese gut stabilisiert werden, da
sie sich mit den Sätteln selbst wie eine Klammer um die
Alveolarfortsätze legt und somit ausreichend gegen
Transversalschübe gesichert ist. In diesen Fällen muss
die Sekundärkonstruktion an sich ausreichend stabil gestaltet sein, so dass eine gute Verwindungssteifigkeit erzielt wird: Konnektorenbereiche sollten einen Querschnitt von 3⫻3 mm2 nicht unterschreiten bzw. Pontics
dürfen nicht zu grazil sein. In diesen Fällen bietet sich
immer auch die Konstruktion von Rückenschutzplatten
aus einer NEM-Legierung auf Kobalt-Chrom-Basis an.
Zugkräfte
Während der Kaufunktion treten insbesondere bei Teilprothesen auch vertikale, abziehende oder kippende
Kräfte (z. B. durch klebrige Speisen) auf, welche die Prothese von ihrem Lager lösen können. Diesen abziehenden Kräften müssen Haltekräfte entgegengesetzt werden. Bei Klammerverankerungen (s. Kap. 9) sind dies die
Anteile, die unterhalb des prothetischen Äquators eingreifen. Im Bereich der Doppelkronen (s. Kap. 10) unterscheidet man die Friktionshaftung bei Zylinderteleskopen von der Konushaftung. Resilienzteleskope halten
durch den Saughalt der Prothese bzw. auch durch eine
gewisse Verkantung beim Abziehen der Prothesen.
Freiendsattel
Die Problematik des Freiendsattels
Abb. 8.19 a – c Darstellung der verschiedenen Konfigurationen
der Gaumengewölbe.
a Flacher Winkel günstig gegen Aufbiegen. Ungünstig: flache
Kämme gegen Transversalschübe.
b Spitzer Winkel ungünstig gegen Aufbiegen. Wenig Horizontalflächen zur Lastaufnahme bei Druck. Relativ gute Transversalstabilisierung.
c Günstig für die Prothesenstabilisierung ist ein flacher Gaumen mit steilen Alveolarfortsätzen.
Druck- und Zugbelastungen sind bei Schaltlückengebissen eher unproblematisch, da sich hier in der Regel alle
Prothesenanteile innerhalb der Stützlinien befinden. Eine Ausnahme stellen lediglich große, bogenförmige
Schaltlücken im Frontzahnbereich dar, die deshalb auch
als „funktionelle Freiendlücken“ bezeichnet werden
(Abb. 8.20).
Bei Freiendsituationen liegen also immer Prothesenanteile außerhalb der dental unterstützten Fläche. Dabei
kommt es bei Zug- und Druckbeanspruchungen zu Kippungen, die durch eine entsprechende Konstruktion der
Prothese weitgehend kompensiert werden sollten. Insbesondere zur Problematik der Verankerung von Prothesen mit Freiendsätteln werden in der Literatur zahlreiche Vorschläge unterbreitet, die von einer rein senkbaren Lagerung über eine federnde und gelenkige bis zur
starren Verankerung reichen. Die Theorie einer rein
senkbaren und nicht abgestützten Prothesenlagerung
geht davon aus, dass bei einer nur mittigen Belastung
des Prothesensattels eine gleichmäßige und parallel zur
Kauebene verlaufende Einsenkung des Sattels in das Tegument erfolgt (Abb. 8.21 a). Leider treten solche rein
mittigen Belastungen selten bis gar nicht auf. Eine Verlagerung der Belastung nach distal führt bei einer rein gin-
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ment der Prothese, d. h. die Prothese führt einen Mesialschub aus, wodurch das Parodontium des sattelnahen
Pfeilers traumatisiert wird. Bei einem nach distal abfallenden Kamm sind vermehrt Zug- und Kippbeanspruchungen der sattelnahen Pfeiler zu beobachten.
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8 Grundlagen der Teilprothesenplanung
noch eigene parodontale Rezeptoren vorhanden sind
und somit das taktile Empfinden und der Kaukomfort
wesentlich höher sind als im zahnlosen Anteil. Die Folge
der Verlagerung des Kauzentrums aus dem Bereich des
Sechsjahresmolaren hin zu den sattelnahen Pfeilern ist
eine vermehrte Belastung in diesem Bereich. Wenn die
Prothese dort nicht abgestützt wird, erfolgt eine vermehrte Einlagerung des Prothesensattels, der förmlich
am sattelnahen Parodontium „entlangrutscht“, einen erhöhten Abbau des parodontalen Faserapparats bewirkt
und einen Mesialschub auf den Pfeilerzahn ausübt
(Abb. 8.21 d). Die Folgen einer solchen insuffizienten
Versorgung sind fatal und es fragt sich, ob es nicht dann
besser wäre, gar keine Prothese einzugliedern. Zu beobachten sind Schädigungen des Alveolarfortsatzes und
des Pfeilerzahnes durch den nicht abgestützten Sattel
sowie Okklusionsstörungen und Elongationen der Antagonisten.
Die starre Abstützung
Abb. 8.20 a, b Bogenförmige Schaltlücken im Frontzahnbereich.
a Ungünstige Konfiguration: Kleiner Radius und starke Atrophie
des Kammes zwingen aus ästhetischen Gründen zur Aufstellung außerhalb der Kieferkammmitte. Hier muss ggf. ein zusätzlicher Pfeilerzahn geplant werden.
b Günstige Konfiguration: großer Radius und geringe Atrophie.
givalen Lagerung deshalb nicht zu einer gleichmäßigen
rechteckigen, sondern eher zu einer dreieckförmigen
Kompressionsfigur und zu erhöhten Druckspitzen im
distalen Alveolarfortsatzbereich mit schnellerem Knochenabbau infolge der Überbelastung des Knochens
(Abb. 8.21 b). Häufiger wird aber eine verstärkte Sattelbelastung mesial stattfinden, und zwar dort, wo noch eigene Zähne vorhanden sind (Abb. 8.21 c). Hier kann der
Patient den Kauakt wesentlich effizienter steuern, da
Die starre Kopplung des Prothesensattels mit dem Pfeilerzahn wird als Verankerungsform bevorzugt, da die Eigendynamik des Sattels eingeschränkt wird und dieser
somit nur noch eine eingeschränkte und geführte Bewegung ausführen kann: Damit wird der Alveolarfortsatz
zum größten Teil senkrecht zur Kauebene belastet, was
den geringsten Knochenabbau verursacht. Zusätzliche
Freiheitsgrade des Sattels durch unterdimensionierte
Verbindungselemente, Federn, Gelenke oder Kugelattachments erlauben transversale und kippende Bewegungen, die eine übermäßige Traumatisierung des Alveolarfortsatzes und dessen beschleunigte Resorption
bedingen.
Das optimale Verankerungselement für die starre Abstützung ist die Konuskrone oder das Friktionsteleskop.
Beide Doppelkronensysteme vereinigen die einfache,
stabile, hygienefähige Konstruktion mit der kompletten
Abb. 8.21 a – d Problematik des nicht abgestützten Freiendsattels.
a Idealisierte und nicht reale Vorstellung
einer parallelen Einsenkung des Sattels
durch exakt mittige Belastung.
b Kompressionsmuster bei distaler Sattelbelastung.
c Aufgrund der noch vorhandenen Taktilität bei den eigenen Zähnen neigt der
Patient zur Kaubelastung im pfeilerzahnnahen Bereich mit den entsprechenden
Konsequenzen bei nicht abgestütztem
Sattel.
d Atrophieerscheinung des Knochens
durch sog. „Reitbewegungen“ des Prothesensattels, was zum „Absinken“ der
Prothese führt.
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Grundsätzliche Überlegungen zur Statik und Dynamik
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Anforderungen an Halte- und Stützelemente
Okklusale Abstützung, die eine axiale Belastung der Pfeilerzähne gewährleistet
Starre Abstützung: Prothesensattel und Pfeilerzahn sollten
starr miteinander verbunden sein
Retention: Widerstand gegen abziehende Kräfte
Zirkuläre, körperliche Fassung des Pfeilerzahnes
Reziproke Wirkung: Gegen jede horizontal einwirkende
Kraft sollte eine Gegenkraft so gerichtet sein, dass der
Zahn nur in seiner Längsachse belastet wird, da dann alle
Sharpey-Fasern gleichermaßen herangezogen werden.
Schubverteilung: Verteilung und Kompensation auftretender Horizontalkräfte
Parodontienfreiheit: Das Parodontium sollte möglichst
nicht bedeckt bzw. traumatisiert werden.
Perfekte Reinigungsmöglichkeit
Wirtschaftlichkeit: Die Anfertigung sollte einfach und
die Wartung eine dauerhafte Funktion gewährleisten.
doppelt bis dreimal so hohe Misserfolgsrate in den Lückengebissen der Körber-Klassen D und E gegenüber den
Klassen A – C, wenn mit Konuskronen versorgt wurde
(Abb. 8.22 a). Es sollte aber immer berücksichtigt werden, dass nicht nur die Pfeilerverteilung zur Indikationsstellung in Betracht gezogen werden kann, sondern dass
auch die Wertigkeit des Lückengebisses insgesamt beurteilt werden muss. Bei guten Voraussetzungen kann
selbst bei kurzen Achsen bzw. nahezu punktförmiger
Abstützung noch starr verankert werden (Abb. 8.22 b).
Schlechte Voraussetzungen bezüglich Pfeilerwertigkeit,
Schleimhautqualität und Kieferkammkonfiguration lassen dann eher zur teleskopierenden Totalprothese greifen.
Resiliente Verankerung
Die starre Abstützung ist in nahezu allen Restgebisssituationen indiziert. Während Heners et al. keine Einschränkungen bei der Versorgung des Lückengebisses
mit Konuskronen sehen, beschreiben Gernet et al. eine
Die resiliente Verankerung von Teilprothesen wird häufig dann gewählt, wenn eine Überbelastung der verbliebenen Restzähne (maximal 3) durch eine starre Kopplung befürchtet wird. Die Hauptlast trägt somit der
zahnlose Alveolarfortsatz; man spricht auch von einer
gingivalen oder tegumentalen Lagerung der Prothese.
Die vorhandenen Halteelemente sollen keinen Kaudruck
übernehmen, sondern die Prothese lediglich gegen abziehende Kräfte sichern und die Kippmeiderfunktion
ausüben.
Dabei kommt auch hier den Doppelkronen eine überragende Bedeutung zu. Bei geringer bis gar keiner Friktion und ohne okklusalen Stopp haben sie lediglich eine
Führungsfunktion. Transversale Schubkräfte werden
kompensiert, die Prothesen sitzen selbst bei schlechten
Kammverhältnissen noch lagestabil und die noch vorhandenen Zähne bieten einen gewissen Kaukomfort
über die parodontalen Rezeptoren. Durch die Gestaltung
als teleskopierende Totalprothese (Resilienzteleskope
nach Hofmann) kann diese auch nach Pfeilerverlust in
derselben äußeren Form erhalten bleiben, was den
Übergang zur Totalprothese nach der Extraktion des
letzten Zahnes deutlich erleichtert. Aufgrund der zirku-
Abb. 8.22 a Starr gelagerte Teleskopprothese
der Körber-Klasse D (s. a. Abb. 2.7 d).
b Restgebiss der Körber-Klasse D:
starr verankerte Prothese seit 8 Jahren in situ.
Erfüllung aller Anforderungen, die an Halte- und Stützelemente gestellt werden (Tab. 8.3).
Abstriche sind in dieser Hinsicht bei Modellgussprothesen zu machen, die nur als „bedingt starre“ Konstruktionen angesehen werden (Spiekermann). Sie müssen
daher umso umsichtiger geplant und ausgeführt werden, damit sie nicht destruierend auf das Restgebiss wirken. Aufgrund ihrer geringen Herstellungskosten sind
Modellgussprothesen aber unter Kassengesichtspunkten betrachtet die Standardlösung, welche die Anforderungen an zweckmäßigen Zahnersatz noch akzeptabel
erfüllt.
Indikation
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Tab. 8.3
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8 Grundlagen der Teilprothesenplanung
lären Fassung sind die Pfeiler keinen Kippbeanspruchungen ausgesetzt. Dies ist bei senkbaren Klammern
ohne Auflage nicht der Fall. Diese müssen über einen
prothetischen Äquator geführt werden, wobei jedes Mal
bei der Ein- und Ausgliederung horizontale Schübe auf
den Zahn ausgeübt werden.
Nach Kh. Körber ist die resiliente Lagerung in jedem
Fall bei diagonal und diametral angeordneter Restbezahnung indiziert, wenn auf beiden Seiten der Stützachse
gleich große schwingende Prothesenanteile vorhanden
sind (Abb. 8.23).
senkung eines passgenauen Sattels als „integrierte Resilienz“. Vergleicht man damit die Mittelwerte der horizontalen Zahnbeweglichkeit von ca. 64 ⫾ 15 µm, so wird
klar, dass eine übermäßige Kippung durch den starr verankerten Freiendsattel nicht gegeben ist. Dabei muss al-
Starre Abstützung, Extension
und Schleimhautresilienz
Das meistdiskutierte Probleme bei der Verankerung eines Freiendsattels ist die unterschiedliche Resilienz von
Zahn und Schleimhaut, die einige Autoren dazu führte,
senk- oder kippbare Sättel zu konstruieren. Kh. Körber
wie auch andere Autoren konnten hingegen zeigen, dass
bei starrer Verankerung die Atrophie des zahnlosen Alveolarfortsatzes in bedeutendem Ausmaß geringer ist
als bei beweglichen, senkbaren Konstruktionen mit größerer Eigendynamik.
Körber konnte bei seinen Untersuchungen ein quasistatisches Gewebsverhalten des Prothesenlagers beobachten. Dies bedeutet, dass die Intrudierbarkeit eines
Sattels auf seinem Lager wesentlich geringer ist, als es
die punktförmige Schleimhautresilienzmessung vermuten lässt. Solche Untersuchungen gaben Resilienzwerte
von 500 – 1300 µm an. Körber konnte hingegen zeigen,
dass die Intrudierbarkeit eines starr verankerten Sattels
nur 85 µm betrug, bei einem rein schleimhautgelagerten
Sattel hingegen 180 µm bei gleicher Belastung und mittiger Lasteinleitung. Er bezeichnete diese tatsächliche Ein-
Abb. 8.24 Kippwinkel am Pfeilerzahn in Abhängigkeit von der
Sattellänge bei starrer Verankerung. Bei kürzerem Sattel entsteht ein größerer Kippwinkel als bei einem längerem Sattel.
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Abb. 8.23 a Diagonalfall: Im Regelfall scheint hier eher eine nichtstarre Lagerung mit Resilienzteleskopen indiziert, da eine zu starke
Schaukelbewegung mit beidseitigen Extrusionsbelastungen auf die
Pfeiler befürchtet wird.
b Diametralfall: Hier gelten gleiche Überlegungen wie für den
Diagonalfall. Letztlich muss
aber die Gesamtwertigkeit des
jeweiligen Kiefers über die Indikation entscheiden.
Kieferrelation und Kieferrelationsbestimmung
169
lerdings die Länge des Sattels berücksichtigt werden: Bei
kurzem Sattel ist die Kippbewegung bei gleicher
Schleimhautresilienz größer. Deshalb muss eine maximale Extension des Sattels stattfinden und das distale
Drittel möglichst entlastet werden (Abb. 8.24).
Starre Abstützung und Zugbelastung
Die scheinbar relativ stabile Abstützungssituation auf 3
Pfeilern führt immer zu einer Zugbelastung bei einem
der 3 Pfeilerzähne. Bei Kaudruck auf den Freiendsattel
entsteht ein Rotationszentrum um die sattelnächsten
Pfeiler. Der sattelferne Pfeiler des Dreiecks wird auf Extrusion belastet (Abb. 8.25 a). Im normalen, günstigsten
Fall bleibt diese Zugbeanspruchung innerhalb der physiologischen Grenzen und damit so klein, dass sie kaum
wahrnehmbar ist. Ist dieses Anheben des Pfeilers aus der
Alveole deutlich sichtbar, muss eine erneute Basisabformung bzw. Unterfütterung des Sattels mit maximaler
Extension durchgeführt werden, um die quasistatische
Absenkung des Freiendsattels so gering wie möglich zu
halten. Im ungünstigsten Fall muss auch eine weitere
Doppelkrone in diesem Bereich mit eingebaut werden,
um die Belastung für den Einzelzahn zu reduzieren. Diese Situation kann auch bei einer großen bogenförmigen
Schaltlücke im Frontzahnbereich auftreten, die auch als
„funktionelles Freiende“ bezeichnet wird (Abb. 8.25 b).
8.7 Kieferrelation und Kieferrelationsbestimmung
Beibehaltung der Kieferrelation
Neueinstellung der Kieferrelation?
Unter dem Begriff Kieferrelation versteht man allgemein
die Lage des Unterkiefers zum Oberkiefer. Bei der Durchführung einer Kieferrelationsbestimmung mit Beibehaltung der HIP wird diese Position mit einem geeigneten
Registriermaterial festgehalten bzw. die Lage ist so stabil
und über das Kiefermodell eindeutig fixierbar, dass es
eines Registrierbehelfs bzw. zusätzlicher, zwischen die
Kaureihen platzierter Materialien nicht bedarf.
Nach Böttger gilt zunächst grundsätzlich, dass der vorhandene Funktionsablauf übernommen und nur bei auftretenden Störungen eine Verbesserung und Optimierung vonseiten des Zahnarztes durchgeführt werden
sollte. Denn jede Änderung der habituellen Okklusionsposition bzw. Änderung eines Funktionsablaufs „stellt
eine kieferorthopädische Spätbehandlung des Erwachsenen“ dar. Jede Änderung der Bisslage bzw. einer Zahnstellung darf deshalb nur unter therapeutischen Gesichtspunkten erfolgen. Nicht irgend ein „gnathologisches“ Dogma, sondern der individuelle Patient mit seiner individuellen Anatomie und Physiologie steht als
oberste Prämisse im Mittelpunkt des Bemühens.
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Abb. 8.25 a Dreipfeilersituation
und starre Abstützung (nach Kh.
Körber): Am Pfeiler, der dem Freiende diagonal gegenüberliegt,
treten Zugkräfte auf, was bei der
Planung und auch Gestaltung der
Innenkrone berücksichtigt werden
muss.
b Auch bei einem „funktionellen
Freiende“ bei anteriorer Schaltlücke treten Zugebelastungen
am diagonal gelegenen Pfeiler
auf.
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