Anspruch auf Zulassung zu einer öffentlichen

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VG München, Beschluss v. 11.04.2017 – M 7 S 17.1453
Titel:
Anspruch auf Zulassung zu einer öffentlichen Einrichtung
Normenketten:
HBO § 1 Abs. 2, § 12
ParteiG § 5 Abs. 1 S. 1
BayGO Art. 21 Abs. 1, Abs. 4, Abs. 5
GG Art. 3 Abs. 1, Art. 21 Abs. 1 S. 2
BayVwVfG Art. 36 Abs. 2 Nr. 3, Art. 43 Abs. 2, Art. 49 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 3, Abs. 2 S. 1 Nr. 3
Leitsatz:
Die Befürchtung, dass es anlässlich einer geplanten Veranstaltung einer politischen Partei zu
Gegendemonstrationen kommen wird, rechtfertigt selbst dann nicht die Versagung der Zulassung
zu einer öffentlichen Einrichtung, wenn es wegen gewalttätiger Demonstrationen zu Unruhen
kommen kann. (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Widerruf der Überlassung von Räumlichkeiten an eine politische Partei, öffentliche Einrichtung, Haus- und
Benutzungsordnung, öffentliche Sicherheit, politische Partei, Gegendemonstration, Zulassung,
Versammlungsfreiheit
Tenor
I. Die aufschiebende Wirkung der Klage (M 7 K 17.1452) gegen den Widerrufsbescheid der
Antragsgegnerin vom 28. Februar 2017 wird wiederhergestellt.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,- EUR festgesetzt.
Gründe
I.
1
Der Antragsteller, ein Ortsverband einer politischen Partei, wendet sich im Wege des einstweiligen
Rechtsschutzes gegen einen für sofort vollziehbar erklärten Widerruf einer Genehmigung der Nutzung eines
städtischen Veranstaltungssaals.
2
Das Amt für ... der Antragsgegnerin betreibt das ...-Haus als Versammlungsstätte und übt dort das
Hausrecht aus (§ 5 Abs. 1 der Haus- und Benutzungsordnung). Im ...-Haus finden neben kulturellen
Veranstaltungen wie Theater, Kabarett, Konzerte u.ä. auch Veranstaltungen verschiedener politischer
Parteien statt (z.B. 2015: Vortragsveranstaltung der ..., 2016: Ehrenamtsempfang und wohnungspolitische
Fachkonferenz der ..., Informationsabend der ...; 2017: Galaball der ..., Vortragsveranstaltung des
Kreisverbandes .../...). Die Räumlichkeiten werden an die Nutzer durch schriftliche Genehmigung und nur
bei Anerkennung der Haus- und Benutzungsordnung (HBO) überlassen (§ 1 Abs. 2 Satz 1, Abs. 5 HBO).
Nach § 12 HBO kann die Betreiberin von der Überlassung des ...-Hauses zurücktreten, wenn durch die
geplante Veranstaltung eine Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder eine Schädigung des
Ansehens der Antragsgegnerin zu befürchten ist.
3
Mit Schreiben vom 16. Januar 2017 gestattete die Antragsgegnerin dem Antragsteller die Nutzung des ...Saales im ...-Haus für eine Vortragsveranstaltung am 11. April 2017 von 17:00 bis 22.00 Uhr.
4
Am 21. Februar 2017 verzichtete der Antragsteller auf eine zeitgleich geplante Versammlung in der Nähe
des Veranstaltungsortes.
5
Mit Schreiben vom 28. Februar 2017 wurde die Überlassung des Veranstaltungssaales unter Verweis auf
§ 12 HBO zum Erhalt der öffentlichen Sicherheit und Ordnung widerrufen. In den Gründen ist ausgeführt,
der Antragsteller habe zugleich mit der Reservierung des Veranstaltungshauses eine Demonstration vor
dem Gebäude angemeldet. Bereits in der Vergangenheit sei es bei Veranstaltungen der ... zu
Auseinandersetzungen gekommen. Die vom Antragsteller geplante Durchführung dieser Versammlung sei
nicht geeignet, Auseinandersetzungen zu vermeiden, sondern gebe Anlass zu der Befürchtung weiterer
Ausschreitungen.
6
Mit Schreiben des Landratsamtes D. vom 16. März 2017 wies die Kommunalaufsicht die Antragsgegnerin
auf die geltende Rechtslage hin, insbesondere darauf, dass Parteiveranstaltungen grundsätzlich auch dann
zuzulassen seien, wenn hierdurch eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (z.B. durch
gewalttätige Gegendemonstrationen) zu befürchten wären, da es Aufgabe der Polizei sei, diese Störungen
zu unterbinden bzw. abzuwehren.
7
Mit Schreiben vom 6. April 2017 ordnete der erste Bürgermeister der Antragsgegnerin die sofortige
Vollziehung des Widerrufs an.
8
Mit Schriftsatz vom 4. April 2017 ließ der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten bei Gericht einen
Antrag gem. § 123 VwGO auf Erlass einer Regelungsanordnung (M 7 E 17.1409) stellen, der im
Wesentlichen damit begründet wurde, dass der Antragsteller einen kommunalrechtlichen Anspruch auf
Zulassung der Nutzung gem. Art. 21 Abs. 1 und 5 GO habe, zudem einen Anspruch aus § 5 Abs. 1 Satz 1
ParteiG i.V.m. Art. 3 Abs. 1, Art. 21 GG als spezielle Ausformung des allgemeinen Gleichheitssatzes und
des Grundsatzes der Gleichheit der Parteien. Ein zwingender Grund für die Ungleichbehandlung durch die
Antragsgegnerin bestehe nicht. Soweit sie „Sicherheitsbedenken“ und einen Vorfall vom Oktober 2016
anführe, sei dem Antragsteller dieses Datum völlig unbekannt. Polizeikräfte hätten nicht eingreifen müssen.
Möglicherweise verwechsle die Antragsgegnerin diesen mit Vorkommnissen aus dem Jahr 2015. Die trotz
ausdrücklichen Hinweises nicht näher konkretisierten „Sicherheitsbedenken“ hätten bereits bei der
Genehmigung der Saalnutzung bekannt sein können und seien vorgeschoben. Sollte die vorgetragene
Begründung Schule machen, reiche „ein bißchen Randale“ aus, jeden öffentlichen Veranstaltungssaal zu
sperren. Es frage sich, ob die Antragsgegnerin sich auch so verhalten hätte, wenn es sich um eine
Volkspartei gehandelt hätte. Eine Regelung sei notwendig, um wesentliche Nachteile für den Antragsteller
abzuwenden. Nach dem rechtswidrigen Verhalten der Antragsgegnerin bestehe die Gefahr, dass auch nach
dem 11. April 2017 alle möglichen Gründe gesucht würden, um Wahlversammlungen der Antragstellerin bis
zur Bundestagswahl zu verhindern, so dass de facto keine Wahlkampfveranstaltungen im
Veranstaltungssaal der Antragsgegnerin mehr stattfinden könnten.
9
Die Antragsgegnerin beantragte mit Schreiben vom 6. April 2017, den Antrag gem. § 123 VwGO
abzulehnen, weil er bereits unzulässig, jedenfalls unbegründet sei. Die Versammlungsfreiheit gem. Art. 8
GG finde dort ihre Grenzen, wo die Ausübung des Grundrechts auf das Recht auf Leben und körperliche
Unversehrtheit anderer Menschen treffe. Daher könnten für Versammlungen in geschlossenen Räumen
unter den Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 2 LStVG auch Verbotsverfügungen ergehen. Diese Vorschrift
werde durch § 12 HBO konkretisiert. Unter Bezugnahme auf einen Zeitungsartikel vom 7. Oktober 2016 und
Einsatzberichte der Polizeiinspektion D. wurde vorgetragen, bei früheren Veranstaltungen sei es zu
Auseinandersetzungen gekommen, bei denen die Polizei habe eingreifen müssen. Darüber hinaus sei die
Verfügung aus Gründen der öffentlichen Ordnung geboten, weil die Veranstaltungen des Antragstellers aus
Sicht der D.er Bürger nicht dem Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus gerecht würden und das
sittliche Empfinden der Bürger erheblich verletzten.
10
Nach einem richterlichen Hinweis ließ der Antragsteller am 7. April 2017, zunächst hilfsweise,
Anfechtungsklage gegen den Widerruf vom 28. Februar 2017 erheben (M 7 K 17.1452) und gem. § 80 Abs.
5 VwGO beantragen,
die mit Schreiben vom 6. April 2017 angeordnete sofortige Vollziehung aufzuheben.
11
Mit Schreiben vom selben Tag nahm der Prozessbevollmächtigte den Eilantrag mit dem Aktenzeichen M 7
K E 17.1409 zurück und stellte klar, dass die Klage unbedingt erhoben sei. Zur Begründung wurde
ausgeführt, der Widerruf der Antragsgegnerin sei rechtswidrig. Er enthalte nicht einmal Minimalia zur
Begründung eines ordnungsgemäßen Verwaltungsaktes. Die Gefahr möglicher Gegendemonstrationen
werde heraufbeschworen, ohne dass nur ein Anhaltspunkt dafür genannt werde. Sollte tatsächlich diese
Gefahr ein Ablehnungsgrund sein, dann hätte auch die bereits angeführte Veranstaltung der ... im
vergangenen Oktober abgelehnt werden müssen, weil es dem Vernehmen nach auch hier
Gegendemonstrationen gegeben haben solle. Dies sei absurd. Mit der Bezugnahme auf den
Zeitungsbericht und die polizeilichen Einsatzberichte würden die Verhältnisse auf den Kopf gestellt. Der
Antragsteller dürfe den Veranstaltungssaal nicht benutzen, weil seine Mitglieder durch die Polizei vor
körperlichen Angriffen und Beleidigungen von Demonstranten hätten beschützt werden müssen. Dadurch
erhalte der Druck der Straße normative Kraft. Der Vorfall, bei dem ein eingeladener Islamkritiker von der
Polizei habe in Schutz genommen werden müssen, habe sich am 28. Oktober 2015 ereignet. Im
Einsatzbericht der Polizei vom 4. Juli 2016 heiße es, dass es die Gegendemonstranten gewesen seien, die
polizeilichen Aufforderungen nicht Folge geleistet hätten und mit unmittelbarem Zwang aus dem
Eingangsbereich hätten entfernt werden müssen. Vereinzelt seien Besucher der ...-Veranstaltung von
Gegendemonstranten verbal angegriffen und beschimpft worden. Von der ... seien keinerlei Aggressionen
ausgegangen. Die von der Antragsgegnerin gewünschte Aussage, dass die Polizei objektiv überfordert
gewesen wäre, gebe der Bericht nicht her. Weil die Antragsgegnerin keine konkreten Anhaltspunkte dafür
vortragen könne, dass es im Rahmen der Benutzung der Stadthalle zu Rechtsbrüchen in Form von
Straftaten und Ordnungswidrigkeiten durch den Antragsteller komme, sei ihr das Recht einzuräumen, wie
vorgesehen, den Veranstaltungssaal zu nutzen. Es sei Aufgabe der Sicherheitsbehörden, den Saal zu
schützen und die Versammlung zu gewährleisten. Nicht einmal ansatzweise könne davon ausgegangen
werden, dass sie hierzu nicht in der Lage wären. Die Antragsgegnerin könne sich durch § 12 der Haus- und
Benutzungsordnung nicht der Grundrechtsbindung entziehen.
12
Die Antragsgegnerin beantragte mit Schreiben vom 10. April 2017 unter Bezug auf den Vortrag im
Verfahren M 7 E 17.1409, die Klage abzuweisen und den Antrag abzulehnen.
13
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird gem. § 117 Abs. 3 VwGO analog auf den
Inhalt der Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
14
Nach zweckentsprechender Auslegung (§§ 88, 122 VwGO) seines Antrages begehrt der Antragsteller gem.
§ 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage (§ 80 Abs. 1
VwGO) gegen den gem. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO für sofort vollziehbar erklärten Widerruf der von der
Antragsgegnerin erteilten Nutzungsgenehmigung. Eine Aufhebung der Vollziehbarkeitsanordnung ist im
Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO nicht vorgesehen (vgl. BayVGH, B. v. 24. März 1999 - 10 CS 99.27 - juris
Rn 20; Schoch in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 31. Erg.lfg. Juni 2016, § 80 Rn 442 ff.).
15
Der Antrag ist zulässig, insbesondere statthaft, da es sich sowohl bei der laut Haus- und
Benutzungsverordnung mit zahlreichen rechtlichen Nebenfolgen versehenen Nutzungsüberlassung
(Genehmigung) vom 16. Januar 2017 als auch bei deren hier streitgegenständlichem Widerruf auf der
Grundlage von § 12 HBO oder Art. 49 Abs. 2 BayVwVfG um eine hoheitliche verbindliche Einzelfallregelung
im Sinne von Art. 35 Satz 1 BayVwVfG handelt, die mit der Anfechtungsklage anzugreifen ist. Ungeachtet
der Ausgestaltung des Nutzungsverhältnisses ist die Zulassung einer politischen Partei zu einer öffentlichen
Einrichtung nach der sog. Zwei-Stufen-Theorie eine öffentlich-rechtliche Entscheidung (vgl. BayVGH, B. v.
5. Mai 1994 - 4 CE 94.1465 - juris Rn 20), was auch für den Widerruf als actus contrarius gilt. Mit einer
Kassation bzw. Aufhebung des Widerrufs hat der Antragsteller sein Rechtsschutzziel einer Nutzung der
städtischen Räumlichkeiten für seine Veranstaltung am 11. April 2017 erreicht, weil die Genehmigung
hiermit wieder wirksam ist (vgl. Art. 43 Abs. 2 BayVwVfG). Dass letztere wie auch der Widerruf nicht in Form
eines förmlichen Bescheids und ohne Rechtsbehelfsbelehrung:ergangen ist, ändert an deren
Regelungscharakter nichts (vgl. Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 49 Rn 72). In
Anfechtungsfällen wird vorläufiger Rechtsschutz gem. § 80 Abs. 5 VwGO gewährt; ein Antrag auf Erlass
einer Regelungsanordnung ist gem. § 123 Abs. 5 VwGO nicht statthaft. Da dem Widerrufsschreiben vom
28. Februar 2017 keine Rechtsbehelfsbelehrung:beigefügt war, hat die einmonatige Klagefrist des § 74 Abs.
1 Satz 2 VwGO nicht zu laufen begonnen (§ 58 Abs. 1 VwGO), so dass die Klage auch noch am 7. April
2017 erhoben werden konnte und es nicht an einem zulässigen Rechtsbehelf in der Hauptsache fehlt,
dessen aufschiebende Wirkung wiederhergestellt werden kann. Als Adressat eines belastenden
Verwaltungsakts und wegen der möglichen Verletzung seines aus § 5 Abs. 1 Satz 1 ParteiG i.V.m. Art. 3
Abs. 1, Art. 21 GG folgenden Gleichbehandlungsanspruchs ist der Antragsteller auch antragsbefugt (§ 42
Abs. 2 VwGO analog).
16
Der Ortsverband einer politischen Partei ist nach § 61 Nr. 2 VwGO parteifähig (vgl. § 50 Abs. 2 ZPO) und
handelt nach § 62 Abs. 3 VwGO durch seinen Vorstand, hier durch seine erste Vorsitzende (vgl. BVerwG,
U. v. 28. März 1969 - VII C 49.67 - juris Rn 39, U v. 18. Juli 1969 - VII C 56.68 - juris Rn 31 u. B. v. 10.
August 2010 - 6 B 16/10 - juris Rn 6).
17
Der Antrag hat auch in der Sache Erfolg.
18
Entfaltet ein Rechtsbehelf - wie hier aufgrund behördlicher Anordnung - keine aufschiebende Wirkung, kann
das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung gem. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO
wiederherstellen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes
bestehen. Im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nimmt das Gericht eine eigene Abwägung der
widerstreitenden Vollzugs- und Aufschubinteressen der Beteiligten vor, die sich in erster Linie am
voraussichtlichen Ausgang des Hauptsacheverfahrens orientiert. Je größer die Erfolgsaussichten im
Hauptsacheverfahren sind, desto schwerer wiegen grundsätzlich die privaten Interessen eines
Antragstellers; je geringer die Wahrscheinlichkeit für sein Obsiegen ist, umso bedeutsamer werden in der
Regel die öffentlichen Interessen sein.
19
Nach diesen Maßgaben war dem Antrag stattzugeben, weil der Widerruf der Nutzungsgenehmigung
rechtswidrig ist und damit den Antragsteller in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Er hat
aufgrund der am 16. Januar 2017 erteilten Genehmigung sowie aufgrund von Art. 21 Abs. 1, 4 bzw. 5 GO,
Art. 3 Abs. 1 GG und § 5 Abs. 1 Satz 1 ParteiG in Verbindung mit der Verwaltungspraxis der
Antragsgegnerin einen Anspruch auf Überlassung des ...-Saales im ...-Haus.
20
Als Rechtsgrundlage für einen Widerruf kommt zunächst § 12 HBO i.V.m. Art. 49 Abs. 1 Nr. 1 BayVwVfG in
Betracht. Nach Art. 49 Abs. 1 Nr. 1 BayVwVfG kann ein rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakt wie
die Nutzungsgenehmigung vom 16. Januar 2017 widerrufen werden, wenn der Widerruf im Verwaltungsakt
vorbehalten ist. § 12 HBO, auf den die Antragsgegnerin ihren Widerruf gestützt hat, ist durch ausdrückliche
Bezugnahme Bestandteil der Genehmigung geworden und entspricht von der intendierten Wirkung her
einem Widerrufsvorbehalt im Sinne von Art. 36 Abs. 2 Nr. 3 BayVwVfG, selbst wenn die Bestimmung die
Formulierung „zurücktreten“ verwendet. Nach § 12 HBO kann die Antragsgegnerin von der Überlassung des
...-Hauses zurücktreten, wenn durch die geplante Veranstaltung eine Störung der öffentlichen Sicherheit
und Ordnung oder eine Schädigung ihres Ansehens zu befürchten ist. Diese Bestimmung rechtfertig indes
den ausgesprochenen Widerruf nicht, da zum einen schon keine konkreten belastbaren Anhaltspunkte für
eine zu befürchtende Störung der öffentlichen Sicherheit vorliegen und zum andern - ungeachtet dessen, ob
eine Störung der öffentlichen Ordnung oder eine Ansehensschädigung der Antragsgegnerin zu befürchten
ist - ein Widerruf aufgrund eines Widerrufsvorbehalts ermessensfehlerhaft und damit rechtswidrig ist, wenn
ein Anspruch auf den widerrufenen Verwaltungsakt, hier die Nutzungsgenehmigung, besteht und der
Verwaltungsakt sogleich wieder erlassen werden müsste (Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl.
2014, § 49 Rn 41).
21
Bei gebotener verfassungs- und rechtskonformer Auslegung (Art. 3 Abs. 1, Art. 21 GG) der Haus- und
Benutzungsordnung versteht es sich von selbst, dass friedlichen Veranstaltungsbesuchern ebenso wie
friedlichen Versammlungsteilnehmern die von störenden oder gar gewalttätigen Dritten ausgehenden
Gefahren nicht zugerechnet werden können und damit nicht der politische Gegner steuern können darf, ob
eine friedliche Versammlung oder Veranstaltung stattfinden kann. Die im Einsatzbericht der
Polizeiinspektion vom 6. April 2017 geschilderten Angriffe Dritter auf den von der antragstellerischen Partei
als Redner eingeladenen Islamkritiker im Oktober 2015 und die von Gegendemonstranten ausgehende
Blockade des Veranstaltungsortes im Juli 2016 kann damit nicht zum Nachteil des Antragstellers fruchtbar
gemacht werden. Die Befürchtung, dass es anlässlich der geplanten Veranstaltung einer politischen Partei
zu Gegendemonstrationen kommen wird, rechtfertigt nach der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen
Verwaltungsgerichtshofs nicht die Versagung der Zulassung zur öffentlichen Einrichtung und zwar
grundsätzlich selbst dann, wenn es wegen gewalttätiger Gegendemonstrationen zu Unruhen kommen
würde (BayVGH, B. v. 21. Februar 2008 - 4 ZB 07.3489 - juris Rn 8) und damit auch nicht den Widerruf
einer bereits erfolgten Zulassung. Vielmehr gilt, dass behördliche Maßnahmen primär gegen die Störer zu
richten sind, soweit sich der Veranstalter und die Versammlungsteilnehmer grundsätzlich friedlich verhalten
und Störungen der öffentlichen Sicherheit vorwiegend aufgrund des Verhaltens Dritter, wie
Gegendemonstranten, zu befürchten sind (vgl. BVerfG, B. v. 20. Dezember 2012 - 1 BvR 2794 /10 - juris Rn
17 m.w.N.; BayVGH, aaO). Die mit der Veranstaltung verbundenen Risiken liegen im Bereich dessen, was
in einer auf Demokratie und Meinungsfreiheit beruhenden Rechtsordnung als Begleiterscheinung
öffentlicher politischer Auseinandersetzungen in Kauf genommen werden muss (BayVGH, aaO). Für
Veranstaltungen einer Partei gilt dies, solange diese nicht gem. Art. 21 Abs. 2 GG vom
Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt worden ist (BayVGH, aaO). Gegen friedliche
Versammlungs- bzw. Veranstaltungsteilnehmer kann nur unter den besonderen Voraussetzungen des
polizeilichen Notstandes eingeschritten werden (vgl. BVerfG, aaO; BayVGH, aaO). Dafür indes, dass die
Polizei etwaigen Störungen der streitgegenständlichen Vortragsveranstaltung nicht wirksam begegnen
könnte, geben die berichteten Vorkommnisse der Polizeiinspektion D. nicht ansatzweise etwas her. Darüber
hinaus hat die Antragsgegnerin für eine Gefahr der öffentlichen Sicherheit nichts dargetan.
22
Die befürchtete Störung der öffentlichen Ordnung oder Ansehensschädigung der Antragsgegnerin tragen
den Widerruf ebenfalls nicht, weil der Antragsteller einen Nutzungsanspruch hat (vgl. BayVGH, B. v. 21.
Februar 2008 - 4 ZB 07.3489 - juris Rn 10 m.w.N.). Beim ...-Haus, das die Antragsgegnerin im öffentlichen
Interesse unterhält und dessen Räumlichkeiten ihrer allgemein bekannten Vergabepraxis nach offensichtlich
auch politischen Parteien, darunter der antragstellerischen Partei, für Veranstaltungen zur Verfügung
gestellt werden, handelt es sich um eine breiten kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Zwecken
zumindest konkludent gewidmete öffentliche Einrichtung. Die beabsichtigte Vortragsveranstaltung des
Antragstellers hält sich im Rahmen dieser Widmung und - angesichts der vorherigen Genehmigung auch
ganz offensichtlich - im Rahmen der vorhandenen Kapazitäten. Er hat daher gem. Art. 21 Abs. 1, 4 bzw. 5
GO und gem. § 5 Abs. 1 Satz 1 ParteiG, Art. 3 Abs. 1 GG einen Zulassungsanspruch. Die Grundsätze der
Parteifreiheit (Art. 21 Abs. 1 Satz 2 GG) und der Chancengleichheit (Art. 3 GG, § 5 Abs. 1 Satz 1 ParteiG)
verbieten es der Kommune, die diesbezüglich einer strikten Neutralitätspflicht unterliegt, ihre
Auswahlentscheidung auf der Grundlage einer politischen Bewertung zu treffen (Hölzl/Hien/Huber, GO mit
VGemO, LKrO und BezO, Stand März 2015, Art. 21 GO Anm. 5.2).
23
Die Widerrufstatbestände des Art. 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 und 5 BayVwVfG sind ebenfalls nicht erfüllt.
Hiernach kann ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft zum einen widerrufen werden, wenn die
Behörde aufgrund nachträglich eingetretener Tatsachen berechtigt wäre, den Verwaltungsakt nicht zu
erlassen und wenn ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet würde, zum andern, um schwere
Nachteile für das Gemeinwohl zu verhüten oder zu beseitigen. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des
Art. 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BayVwVfG liegen schon deshalb nicht vor, weil es an nachträglich eingetretenen
Tatsachen fehlt. Denn die von der Antragsgegnerin angeführten Vorkommnisse vom Oktober 2015 und Juli
2016 hatten sich vor Erteilung der Genehmigung ereignet und auf die möglicherweise nachträglich bekannt
gewordene, zeitgleich zu der streitgegenständlichen Veranstaltung in der Nähe der Versammlungsstätte
beabsichtigte Versammlung hatte der Antragsteller bereits am 21. Februar 2017 verzichtet. Letztere war
damit - ungeachtet der Frage, ob sie überhaupt geeignet gewesen wäre, einen Widerruf zu rechtfertigen schon vor Erlass des Widerrufsbescheides am 28. Februar 2017 entfallen. Da die befürchteten
Ausschreitungen anlässlich dieser Versammlung ein wesentlicher Grund für den Widerruf waren, dürfte die
Entscheidung somit auch auf dieser Grundlage einen unheilbaren Ausfall des Widerrufsermessens
aufweisen. Ebenso wenig war der Widerruf erforderlich, um schwere Nachteile für das Gemeinwohl zu
verhüten oder zu beseitigen (Art. 49 Abs. 2 Nr. 5 BayVwVfG). Abgesehen davon, dass schwere Nachteile
ein noch größeres Gewicht haben müssen als gefährdete öffentliche Interessen in Art. 49 Abs. 2 Nr. 3
BayVwVfG, dass also mehr als ein Schaden für wichtige Gemeinschaftsgüter drohen muss (vgl. Sachs in
Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 49 Rn 69), hat die Antragsgegnerin keine konkreten
belastbaren Anhaltspunkte für derartige schwere Nachteile dargetan. Insoweit gelten die bereits dargelegten
Grundsätze zum Zulassungsanspruch politischer Parteien zu öffentlichen Einrichtungen entsprechend.
24
Aus denselben Gründen kann der Widerruf auch nicht auf der Grundlage von Art. 7 Abs. 2 LStVG
aufrechterhalten werden. Da es keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass vom Antragsteller rechtswidrige Taten
oder verfassungsfeindliche Handlungen oder Gefahren und Störungen ausgehen würden, die Leben,
Gesundheit oder die Freiheit von Menschen bedrohen oder verletzen, liegen schon die tatbestandlichen
Voraussetzungen dieser Vorschrift, auf deren Grundlage die Sicherheitsbehörden eine Einzelfallanordnung
treffen könnten, nicht vor.
25
Dem Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
26
Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 Satz 1 des
Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung der am 31.5./1.6.2012 und am
18.7.2013 beschlossenen Änderungen.
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