Eine Einleitung Der Entwurf des neuen Verwaltungsgebäudes ist als eine Ein­ Hybridbauweise erstellt. Das Verwenden des einheimischen leitung zum Freilichtmuseum Ballenberg zu verstehen. Eine Baustoffs Holz war für die Bauherrschaft eine Selbstverständ­ Einleitung soll zu etwas hinführen ohne eine fertige Beschrei­ lichkeit. bung zu liefern. Das dreigeschossige Gebäude ist in einer Text: Bericht des Architekten | Fotos: Lucia Degonda 18 | Architektur | Verwaltungsgebäude Ballenberg, Brienz /BE a+t 2|12 Architektur Schopf zu Kurszentrum - 0.64 N Die Konstruktion des geschossigen Verwaltungs­ gebäudes in Hybridbauweise gliedert sich in eine Haupttragkonstruktion mit kreuzförmigen Holzsäulen Situation und Holzunterzügen im Raster 5 × 5 m und ein integriertes Deckentragwerk aus Beton. Schnitt 2|12 a+ t Verwaltungsgebäude Ballenberg, Brienz /BE | Architektur | 19 35 36 38 37 40 39 41 42 50 48 49 47 46 45 44 43 Planschrank / Theke Dachgeschoss FLP 34 35 36 38 37 40 39 41 42 33 49 48 47 46 45 44 43 Obergeschoss 75 x 35 x 180cm Fax Erdgeschoss 20 | Architektur | Verwaltungsgebäude Ballenberg, Brienz /BE a+t 2|12 Die drei überirdischen Geschosse sind über eine zentrale Halle erschlossen, die über Dachgau­ ben mit Tageslicht versorgt wird. Die Differenzierung zwischen tragenden und trennenden Teilen ist ein wichtiges Element des architektonischen Konzeptes. 2|12 a+ t Verwaltungsgebäude Ballenberg, Brienz /BE | Architektur | 21 Das Gebäude wird gegliedert durch die Stützen des Tragwerks, die im Raum und an der Fassade angeordnet sind. Zum neuen Verwaltungsgebäude in Ballenberg erhielt die Redaktion einen Text mit dem Titel «Säule – Nähe gewinnen», der zur Erläuterung des architektonischen Konzepts wiedergege­ ben werden soll. Der Ort Das Freilichtmuseum Ballenberg erzählt uns Geschichten. Jedes Objekt versucht unsere Aufmerksamkeit zu erregen und uns an den ihm zugeordneten Schauplatz zu fesseln. Die Botschaft, die vermittelt werden soll, wirkt dann am stärksten, wenn eine Annäherung an die gesellschaftliche Wirklichkeit seiner ­Entstehungszeit gelingt. Das geschieht vor allem durch die Präsenz der vorhandenen baulichen Mittel. Für die Betrachterin, den Betrachter findet bei diesem Prozess eine Umkehrung des Bildes satt. Sie werden quasi zum passiven Element. Die Dinge schauen sie an. Dieser Zustand erwirkt ein Gefühl von Zeit­ losigkeit. Daraus kann eine Lehre für das Hier und Jetzt gezogen werden. Die einzelnen Bauten in Ballenberg sind unter­ schiedlich. Jeder Bau steht in seiner Art da und bedeutet für sich einen Ernst der Sache ohne jeglichen Schein von Romantik oder Nostal­ gie. Eine mögliche Irritation findet sich nicht im Objekt selber, sondern auf der Seite derer, die mit einer adäquaten Begegnung Mühe bekunden. In den Dingen steckt ihre (ehe­ mals?) lebendige Tradition. Diese Tatsache zieht sich wie eine Konstante durch alle Bau­ ten hindurch. Eine hohe handwerkliche Sorg­ falt, die nicht Selbstzweck war, sondern immer durch die örtlich herrschenden Bedingungen ihres Ursprungsortes bestimmt wurde, unter­ streicht diese Ebene. Die Idee Der Entwurf des neuen Verwaltungsgebäu­ des ist als eine Einleitung zu Ballenberg zu verstehen. Eine Einleitung soll zu etwas hin­ führen ohne eine fertige Beschreibung zu lie­ fern; sie darf auch nicht dem Anspruch voll­ ständiger Darstellung folgen. Sie muss den Blick auf den Punkt hinlenken, um den sich 22 | Architektur | Verwaltungsgebäude Ballenberg, Brienz /BE a+t 2|12 alles dreht, ihn zumindest erahnen lassen. einzig auf die Dimension des Querschnittes. Und dieser Punkt liegt im Fall von Ballenberg Sie verweist auf ein Mehr. Die Kräfte, die in der im Bereich handwerklicher Kompetenz, die Säule auf und ab zu fliessen scheinen, emer­ mit hoher ­mate­rieller und konstruktiver Prä­ gieren aus Beziehungen zwischen Mensch senz verbunden ist. und Material. Hier ist die Nähe zu den Dingen Die Säule gilt den Architekten als Metapher Voraussetzung; zugleich eine Möglichkeit für für diese Sichtweise. Im Gegensatz zur Stütze Betrachter und Nutzer. Ein Säulenraster und reduziert sich die Aussage bei der Säule nicht die darüber gespannten Träger strukturieren Fassadenschnitt Aufbau Aussenwände: –– Vertikale Holzschalung –– Gipsfaserplatte –– Querlattung Dämmung –– Holzrippen Dämmung –– OSB-Platte –– Installationszone –– Holzverkleidung 2|12 a+ t Verwaltungsgebäude Ballenberg, Brienz /BE | Architektur | 23 Der Architekt Gion A. Caminada besuchte nach einer Lehre als Bauschreiner die Kunstgewerbeschule in Zürich. Danach absolvierte er ein Nachdiplom­ studium der Architektur an der ETH und er­öffnete sein Architekturbüro in Vrin / GR. Seit 1998 ist er Assistenzprofessor, seit 2009 ausserordentlicher Professor an der ETH Zürich für Architektur und Entwurf. Jüngere Projekte Wohnhaus Girsberger, Münster/VS Aussichtsturm Reussdelta «Ustria Steila», Siat /GR und teilen das Gebäude, bilden eine räumliche wandelemente eingelassen werden. Eine Figur. Durch das tektonische Zusammenfügen ­Fle­xibilität in der Raumdisposition ist damit von starren und ­stabförmigen Teilen soll ein garantiert. Die Fassaden wurden aus vor­ Gebilde von fast monumentaler Dimension ent­ gefertigten und hoch isolierten Holzelemen­ stehen. Die Präsenz und die Atmosphäre von ten hergestellt. Material und ­Konstruktion sollen die Rationa­ lität eines ­Verwaltungsgebäudes verschleiern. Der Raum «Unterhaus», Mädcheninternat Gymnasium Kloster Disentis, Disentis/GR Umbau Hotel Alpina, Vals /GR meint Massivbretter Ein Architekt, der inmitten eines Sammelsu­ Aussen ist das Gebäude mit Massivbrettern ein­ riums historischer Häuser aus unterschied­ gekleidet. Die Wahl des Materials fiel auf das lichen Regionen einen Neubau erstellen muss, ist nicht um seine Aufgabe zu beneiden. Einer­ Die Nutzungen sind über vier Geschosse ver­ regionale Fichtenholz. Die Idee bestand darin, teilt. Das Untergeschoss bietet Platz für die das «gewöhnliche» Brett durch handwerkli­ Technik und für Lagerräume. Im Eingangsge­ che Sorgfalt auf eine höhere Ausdrucksebene schoss befinden sich halböffentliche und dem zu bringen. Aus Brett wird Form. Die Beschäf­ allgemeinen Publikum dienende Räume. Das tigung mit dem Material fängt jedoch nicht erst erste Obergeschoss ist für die Geschäftslei­ beim angelieferten Stapel an, ­sondern beim tung und die Verwaltung bestimmt. Und im Baumstamm selbst. Dachgeschoss sind die Bibliothek und Räume Die Materialübergänge, die Eckausbildungen für die Wissenschaft und Pädagogik unter­ oder die Fensterleibungen wurden ähnlich wie auf diese schwierige Aufgabe ist in seiner gebracht. Eine zentrale Treppe verbindet die Kleidernähte und -säume bearbeitet. Das aus Typologie eine Art Gemeindehaus. Das ist eine Geschosse miteinander. Vor allem an diesem dieser Art der Bearbeitung Gewonnene will gute Wahl. Der Bau nimmt vielseitig Bezug auf Ort soll die monumentale Gebäudestruktur mehr als nur ein Ornament sein. In der Tiefe die Tradition; die axiale Symmetrie des sehr seits kann er sich nicht an den bestehenden Nachbarbauten orientieren. Andererseits be­sitzt das Objekt als Verwaltungsbau auch nicht den selben «Rang» wie die Häuser, die Aus­ stellungsgut sind. Obwohl es aufgrund seines Programms grösser ist als seine Nachbarn, darf es jene nicht erdrücken. Vielmehr soll es ihnen ja dienen. Die architektonische Antwort erfahrbar gemacht werden. von Gewebe und Materialität sollen Kultur und körperhaft wirkenden Volumens erinnert stark In einem peripher gelegenen, betonierten Mas­ Natur einen symbiotischen Ausdruck finden. an ländliche Verwaltungs- und Schulgebäude sivkörper befindet sich der Fluchtweg. Diese Das Verwaltungsgebäude orientiert sich nicht Figur bildet mit den auf den Holzunterzügen an den neuen Eingangshallen des Freilicht­ aufliegenden Betonplatten die horizontale museums. Wie die Bauernhäuser von Ballen­ Gebäudeaussteifung. Es besteht eine bewusste berg soll es selbstbewusst und mit Gelassen­ Trennung zwischen der Primär- oder Trag­ heit an dem ihm zugeordneten Ort sein und struktur (die für die «Ewigkeit» gedacht ist) und weder dem Schema einer «zeitgemässen» den Elementen, die der Gebäudetechnik dienen. noch dem einer «zeitlos modernen» Architek­ Die Räume innerhalb der Rasterstruktur kön­ tur gehorchen. n nen je nach Bedarf unterteilt oder für sich abgeschlossen werden. Dazu können in den ausgesparten Schlitzen der Betondecke Trenn­ 24 | Architektur | Verwaltungsgebäude Ballenberg, Brienz /BE aus dem 19. Jahrhundert, und die sorgfältig detaillierte Konstruktion des Holzbau erinnert an Handwerkskünste, die über Generationen weitergereicht wurden. Die freundliche doch nüchterne Rationalität der leicht ablesbaren inneren Tragstruktur macht im Innern aber auch sofort ersichtlich, dass man nicht eine archaisch / brachiale Nachbildung erstellte, sondern einen Neubau, der in jeder Hinsicht auf der Höhe seiner Zeit ist. Manuel Pestalozzi a+t 2|12