Komplettes Heft Onkologische Welt 1/2010

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E 45120
ISSN 1869-0874
Onkologische
Welt
1/2010
Gynäkologische
Onkologie
mit Berichten vom SABCS
Hämatoonkologie
mit Berichten vom ASH
Psychoonkologie
www.schattauer.de
www.onkologische-welt.de
Onkologische Welt 2010; 1: 1–48
Februar
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Aktuelle Serie:
Knochentumoren
Zu diesem Heft
© Schattauer 2010
Citius, altius, fortius
Will man einer Studie der Strategieberater
von Roland Berger glauben, so hat die Onkologie als Indikation mit dem größten
Wachstumspotenzial die anderen TrendIndikationen ZNS, Diabetes und Immunologie/Inflammation deutlich überholt. Die
Kardiologie, einer der Wachstumstreiber
der vergangenen Jahre, steht nur noch an
sechster Stelle.
Wer zuletzt beispielsweise den ASHKongress in New Orleans besucht hat, will
dies gerne glauben. Die onkologische Forschungsmaschinerie überschüttet den potenzielle Anwender jedes Jahr mit einer Flut
neuer Studienergebnisse. Selbst die Experten und Fachgesellschaften haben Mühe,
diese Daten zeitnah in die klinische Praxis
zu übersetzen. Bis der wissenschaftliche
Fortschritt in die Praxis des niedergelassenen Onkologen durchgesickert ist, dauert
es nochmals einige Zeit.
Den Fachmedien, ob audiovisuell, digital oder gedruckt, kommt die Aufgabe zu,
für ihre Berichterstattung die Informationen zu sortieren, abzuwägen und zu werten. Wir Medizinjournalisten stehen in dieser Situation vor den gleichen Problemen
wie die Kongressteilnehmer: Für welches
Thema entscheide ich mich? Sich für ein
Thema zu entscheiden, bedeutet, auf ein
Mehrfaches an News zu verzichten. Ein Statistiker hat einmal errechnet, dass ein Kongressteilnehmer angesichts der zahlreichen
zeitgleich stattfindenden Sitzungen selbst
bei optimalem Zeitmanagement nur maximal 20 % des Themenangebots nutzen kann.
Noch viel schmaler ist das Zeitbudget
der Sendezeit in Rundfunk oder Fernsehen,
und auch der Platz auf den Druckseiten ist
begrenzt. Und nicht immer trifft die Auswahl den Geschmack der Rezipienten. So
wurde ich vergangenes Jahr beim Frühstück (Medizinjournalisten stehen nicht
ganz so früh auf) durch den Anruf eines
nicht ganz unwichtigen Onkologen überrascht, der mich hörbar indigniert fragte,
warum die Redaktion in unserer Zeitschrift
vom letzten SABCS-Kongress nicht über
diese oder jene Studie berichtet hätte. Das
wäre doch unverzeihlich. Sie werden ahnen, dass mein Hinweis auch auf die begrenzte Seitenzahl als Entschuldigung
nicht akzeptiert wurde.
Ab 2010 hat unsere Redaktion mehr
Platz für die ganz aktuellen Themen. So haben wir nicht nur den Heftumfang erweitert, sondern auch die Erscheinungsfrequenz erhöht. Mit einem Farbleitsystem,
das im Heft jedem Thema seine eigene Farbe zuweist, möchten wir es darüber hinaus
dem Leser erleichtern, den gewünschten
Beitrag zu finden.
Das größere Platzangebot wollen wir
auch dafür nutzen, neben den großen Gebieten wie Brustkrebs oder die Hämatoonkologie auch über die Aspekte in der Onkologie zu berichten, die oft im Hintergrund
stehen. Mit der Serie „Knochentumoren“
wollen wir ab dieser Ausgabe den Anfang
machen. Auch über das – zu Unrecht – unterschätzte Thema „Compliance in der Onkologie“ werden Sie demnächst in dieser
Zeitschrift lesen.
Welche Themen finden Sie zu wenig in
der Fachpresse? Schreiben Sie uns, damit
wir noch besser für Sie schreiben können!
Dr. Alexander Kretzschmar,
München
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1
Inhaltsverzeichnis
2
Zu diesem Heft
1
A. Kretzschmar
Citius, altius, fortius
Gynäkologische Onkologie
3
M. E. Schmidt; J. Chang-Claude; T. Slanger; N. Obi; D. Flesch-Janys; K. Steindorf
Körperliche Aktivität und postmenopausaler Brustkrebs
9
Kongressnachlese:
32. San Antonio Breast Cancer Symposium
16
Aus Forschung und Industrie
Hämatoonkologie
17
Kongressnachlese:
51. Jahrestagung der American Society of Hematology
23
Forum Hämatologie:
Intravenöse mTOR-Inhibition
24
Im Blickpunkt Leukämie:
Zweitlinientherapie der CML
26
M. Neises; D. Gadzicki
Psychoonkologie
Psychosomatische Aspekte der Beratung bei erblichem Brustund Ovarialkarzinom
32
W. Häuser
Pharmakotherapie in der Psychoonkologie
36
Literaturtipp zum Thema Psychoonkologie:
Leben trotz Krebs – eine Farbe mehr
37
A. Kurth
Aktuelle Serie: Knochentumoren
Knochentumoren
38
J. Bruns; G. Delling; C. R. Habermann
Bioptische Sicherung von gut- und bösartigen Knochentumoren
a)
Verschiedenes
44
Gesundheitspolitik:
Comprehensive Cancer Centers
45
Forum Supportivtherapie:
Invasive Mykosen
46
Aus Forschung und Industrie
b)
c)
d)
Titelbild
Ferdinand Hodler – Sitzende nackte Frau mit erhobenen Armen; ©visipix.de
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Gynäkologische Onkologie
© Schattauer 2010
Körperliche Aktivität
und postmenopausaler Brustkrebs
Effektmodifikation durch andere Brustkrebsrisikofaktoren
M. E. Schmidt1; J. Chang-Claude2; T. Slanger2; N. Obi3; D. Flesch-Janys3; K. Steindorf1
1Abteilung Umweltepidemiologie, Deutsches Krebsforschungszentrum, Heidelberg; 2Abteilung Krebsepidemiologie,
Deutsches Krebsforschungszentrum, Heidelberg; 3Institut für medizinische Biometrie und Epidemiologie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
Schlüsselwörter
Postmenopausaler Brustkrebs, körperliche
Aktivität, Effektmodifikation, Fall-KontrollStudie
Zusammenfassung
Fragestellung: Es gibt epidemiologische Anzeichen dafür, dass ein gegenläufiger Zusammenhang zwischen körperlicher Aktivität (KA)
und postmenopausalem Brustkrebsrisiko besteht. Brustkrebs ist eine heterogene Erkrankung, die von reproduktiven Faktoren, Lebensstil-Faktoren und Prädispositionen beeinflusst wird. In der vorliegenden Studie wurde untersucht, ob diese Risikofaktoren den Effekt von KA auf das Brustkrebsrisiko modifizieren.
Methoden: Es wurden die Daten von 2004 hormonrezeptorpositiven,
postmenopausalen
Brustkrebspatientinnen (Fälle) und 6 569 Kontrollpersonen aus der populationsbasierten
MARIE-Studie verglichen, welche 2002–2005
in Deutschland durchgeführt wurde.
Die Interaktionen wurden statistisch mithilfe
von adjustierten, unbedingten logistischen
Regressionsmodellen getestet.
Ergebnisse: Körperliche Freizeitaktivität und
das Risiko für postmenopausalen, hormon-
Korrespondenzadresse
Priv.-Doz. Dr. Karen Steindorf
Abteilung Umweltepidemiologie
Deutsches Krebsforschungszentrum
Im Neuenheimer Feld 280
69120 Heidelberg
E-Mail: [email protected]
rezeptorpositiven Brustkrebs sind invers assoziiert, unabhängig von der Familienvorgeschichte für Brustkrebs oder von Hormontherapie. Für KA und benigne Brusterkrankungen (p = 0,023) sowie Stillen (p = 0,045), nicht
allerdings für Parität (p = 0,94) fand sich eine
signifikante Interaktion; eine eindeutige Risikoreduktion bestand nur für Frauen, die gestillt haben oder eine benigne Brusterkrankung hatten (unter den Stillenden: Odds Ratio
= 0,63; 95%-Konfidenzintervall = (0,52;
0,77), höchstes vs. niedrigstes KA-Quartil).
Die Interaktion mit dem BMI war schwach
(p = 0,053).
Schlussfolgerungen: Stillen und benigne
Brusterkrankungen beeinflussen die Wirkung
von KA auf das postmenopausale Brustkrebsrisiko. Wenn andere Studien ähnliche Modifikationen nachweisen, könnte zunehmendes
Wissen bezüglich dieser Risikofaktoren ein
besseres Verständnis der Wirkung von KA auf
das Brustkrebsrisiko ermöglichen. Für Frauen,
die wegen ihrer Familienvorgeschichte oder
Hormontherapie ein höheres Brustkrebsrisiko
haben, ist es ermutigend, dieses Risiko durch
körperliche Aktivität senken zu können.
Onkologische Welt 2010; 1: 3–8
Übersetzt und modifiziert aus:
Methods Inf Med 2009; 5: 444–450.
Einleitung
und Fragestellung
Es gibt epidemiologische Anzeichen dafür,
dass ein gegenläufiger Zusammenhang
zwischen körperlicher Aktivität (KA) und
postmenopausalem Brustkrebsrisiko besteht (1). Allerdings sind die biologischen
Mechanismen von körperlicher Aktivität
noch nicht gut aufgeklärt. Hier könnten
zahlreiche Mechanismen wirken, da Brustkrebs eine heterogene Erkrankung ist mit
biologisch unterschiedlichen Krankheitsentitäten, unterschiedlichen molekularen
Charakteristika und Genexpressionsprofilen, was auf unterschiedliche Ätiologien
hindeutet (2).
Außerdem ist die Entstehung der
Krankheit abhängig von reproduktiven
Faktoren, Lebensstil und genetischer Prädisposition. Dementsprechend könnten
diese Faktoren den Zusammenhang zwischen körperlicher Aktivität und Brustkrebsrisiko beeinflussen. Allerdings wurden diese möglichen Effektmodifikationen
bisher kaum untersucht; sie könnten aber
Aufschluss über die Wirkung geben, die KA
auf das Brustkrebsrisiko hat.
Nach der letzten Untersuchung der Autoren an ca. 10 000 Frauen, welche eine signifikante inverse Beziehung von KA und
hormonrezeptorpositivem
Brustkrebs,
aber keine Assoziation zu hormonrezeptornegativem Krebs (3) zeigte, wurde jetzt untersucht, ob dieser Effekt von Brustkrebs in
der Familienvorgeschichte, reproduktiven
Faktoren oder dem Lebensstil beeinflusst
wird.
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3
4
M. E. Schmidt et al.: Körperliche Aktivität und postmenopausaler Brustkrebs
Methoden
Studienpopulation
Die MARIE-Studie ist eine große, populationsbasierte Fall-Kontroll-Studie zu postmenopausalem Brustkrebs, die in den Jahren 2002–2005 mit 50- bis 75-jährigen
Frauen in zwei Studienregionen in
Deutschland durchgeführt wurde. Detaillierte Studienergebnisse wurden kürzlich
publiziert (4).
Die Daten von Patientinnen mit histologisch gesichertem primären invasivem oder
in situ Brustkrebs wurden durch regelmäßiges Monitoring von Krankenhausaufnahmen, OP-Plänen und Pathologiebefunden der 51 teilnehmenden Kliniken der
Studienregionen erhoben. Pro Fall, für den
eine Einwilligungserklärung vorlag, wurden nach dem Zufallsprinzip zwei Kontrollfälle aus einer Einwohnerliste des Einwohnermeldeamtes herangezogen, passend zu Geburtsjahr und Studienregion der
Erkrankungsfälle. Die Studie wurde von
den Ethikkommissionen der Universitäten
Heidelberg und Hamburg genehmigt. Alle
Studienteilnehmerinnen willigten nach
Aufklärung schriftlich ein. Insgesamt nahmen 3 919 (65,6 %) Patientinnen und 7 421
(43,4 %) Kontrollpersonen teil.
Von Postmenopause wurde ausgegangen bei Vorliegen einer natürlichen Menopause seit zwölf Monaten vor dem Referenzdatum, beidseitiger Ovarektomie oder
Ausbleiben der Mens durch Bestrahlung
oder Chemotherapie. Frauen über 55 Jahren mit unklarem menopausalem Status
nach Hysterektomie oder bei Hormonanwendung wurden auch als postmenopausal angesehen, das Alter für den
Beginn der Menopause wurde aber als unbekannt angegeben.
Der Hormonrezeptorstatus wurde mit
einem 12-Punkte Immunreaktions-Score
mittels immunhistochemischer Bestimmung von Östrogen- oder Progesteronrezeptoren (ER-ICA, PR-ICA) eingestuft; dabei wurde ein Score ≥ 3 als rezeptorpositiv
angesehen. Von 3 414 postmenopausalen
Fällen waren 2 004 ER+/PR+, 495
ER+/PR–, 103 ER–/PR+, 545 ER–/PR– und
205 waren in situ Karzinome.
Da frühere Untersuchungen der Autoren (3) einen Zusammenhang von KA nur
mit hormonrezeptorpositiven Karzinomen
zeigten, welche im Vergleich zu hormonrezeptornegativen Karzinomen wahrscheinlich unterschiedliche Ätiologien haben, konzentriert sich diese Studie auf
ER+/PR+ Tumore.
Datenerhebung
Anhand eines standardisierten Fragebogens wurden die demografischen Fakten
sowie alle bekannten und vermuteten Risikofaktoren für Brustkrebs in Interviews
von geschulten Befragern erhoben. Zu den
gutartigen Brusterkrankungen gehörten
selbstentdeckte Zysten, Mastitis, Mastopathie, Mikrokalzifikationen, Fibrome/Fibroadenome/Lipome/Knoten, verstopfte
Milchkanäle, Sekretion, verhärtete Brust/
Drüsen und Verkapselungen.
Erhebung
von körperlicher Aktivität
Körperliche Aktivität wurde für die Altersspannen 30–49 (KA 30–49) und ≥ 50 Jahre
(KA 50+) erhoben, indem ein detaillierter,
validierter Fragebogen im Rahmen eines
Interviews verwendet wurde (5). Die Teilnehmerinnen sollten zunächst über ihre
KA im Beruf Auskunft geben, d. h. Anzahl
der Arbeitsjahre und Wochenstunden während der untersuchten Altersspanne und ob
die Arbeit im Sitzen erfolgte, körperlich
mäßig oder sehr anstrengend war. Dann
wurde eine typische Woche nach Wochentagen und Wochenende getrennt betrachtet
und die Gesamtstundenzahl pro Woche ermittelt, die mit Hausarbeit (inkl. Gartenarbeit und Kinderbetreuung) verbracht wurde. Gleichermaßen wurde die Stundenzahl
pro Woche ermittelt, die für Zufußgehen
und Radfahren verwendet wurde. Abschließend wurden die Teilnehmerinnen
gebeten, drei Sportarten zu nennen, denen
sie während des jeweiligen Alterszeitraums
nachgegangen waren, einschließlich Sportart, Dauer und Häufigkeit.
Jeder dieser Aktivitäten wurde gemäß
dem Compendium of Physical Activities
(6, 7) ein metabolischer Äquivalent-Wert
(MET) zugeordnet; z. B. entsprachen sechs
MET-Stunden einer Stunde Radfahren.
Körperliche Freizeitaktivität wurde in
MET-Stunden pro Woche umgerechnet,
indem die durchschnittlichen Wochenstunden für Zufußgehen, Radfahren und
Sport den entsprechenden MET-Werten
zugeordnet wurden. In gleicher Weise wurde KA außerhalb der Freizeit anhand von
Berufsaktivität und Hausarbeit ermittelt.
Da sich in früheren Untersuchungen der
Autoren wahrscheinlich aufgrund größerer
Messfehler für Nichtfreizeit-KA im Vergleich zu Freizeitaktivität schwächere Effekte gezeigt haben (3), werden hier nur die
Ergebnisse für die körperliche Freizeitaktivität vorgestellt.
Statistische Methoden
Der Zusammenhang zwischen KA und
hormonrezeptorpositivem
Brustkrebs
wurde anhand des unbedingten logistischen Regressionsmodells dargestellt mit
den Matching-Variablen Region und Geburtsjahr als Kovariate.
Es wurden folgende Variablen als potenzielle Störfaktoren untersucht:
Brustkrebs in der Familienvorgeschichte 1. Grades, Alter bei Menarche, Anzahl
ausgetragener Schwangerschaften, Alter bei
der ersten Schwangerschaft (kategoriell,
kombiniert mit „keine Schwangerschaft“),
Stillen, benigne Brusterkrankung, Anzahl
der Mammografien vor Diagnose/Referenzdatum, Alter bei Menopause, Art der
Menopause (natürlich, induziert, Hysterektomie, sonstige), Einsatz von Hormontherapie (HT, Kategorien: nie, laufend, seit
wann: 7–12 Monate, 1–3, 3–5, 5–10, 10–15,
15+ Jahre), berufliche Tätigkeit, Bildungsniveau, Rauchen (nie, ehemalige Raucherin, aktuelle Raucherin), Alkoholkonsum,
Körpergröße, Body-Mass-Index (BMI)
und Gewichtszunahme im Erwachsenenalter. Keine dieser Variablen änderte die
Punktschätzer für die KA-Variablen wesentlich. In die abschließenden Modelle
wurden die Kovariaten eingeschlossen, die
einen signifikanten Effekt auf postmenopausalen Brustkrebs hatten.
Die erhobenen p-Werte sind zweiseitig
und basieren auf der Wald-Statistik.
Für alle Analysen wurde SAS (Version
9.1) verwendet.
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Odds ratio
M. E. Schmidt et al.: Körperliche Aktivität und postmenopausaler Brustkrebs
Para, ohne Stillen (n = 1628, p0,5 = 0,95)
Nullipara (n = 1837, p0,5 = 0,45)
Para, mit Stillen (n = 6517, p0,5 < 0,0001)
1,5
1,4
1,3
1,2
1,1
1,0
0,9
0,8
0,7
0,6
0,5
0
a
Odds ratio
6
20
40
60
80
100
120
140
Durchschnittliche Freizeit-KA mit 50+ Jahren in MET x h/Woche
1: adipös (n = 1815, p0,5 = 0,44)
2: untergewichtig (n = 2093, p0,5 = 0,11)
3: übergewichtig (n = 3635, p0,5 = 0,031)
4: normalgewichtig (n = 2415, p0,5 = 0,009)
1,5
1,4
1,3
1,2
1,1
1,0
0,9
0,8
0,7
1
2
3
4
0,6
0,5
0
b
20
40
60
80
100
120
140
Durchschnittliche Freizeit-KA mit 50+ Jahren in MET x h/Woche
Abb. 1 Odds Ratios (OR) für postmenopausalen hormonrezeptorpositiven Brustkrebs und körperliche Freizeitaktivität ab dem 50. Lebensjahr. Die Funktionen sind mittels des Fractional Polynomial Ansatzes entstanden und dargestellt als OR (x) = exp (β(x–ref)0,5); der Median des niedrigsten Freizeitaktivitäten-Quartils ist die Referenz (ref = 15,5 MET × h/Woche). Hier ist β der Koeffizient der Quadratwurzel der KA-Variablen, geschätzt anhand eines adjustierten logistischen Modells und p0,5 ist der p-Wert,
der β entspricht. Die Punkte und Balken entsprechen den ORs und 95%-Konfidenzintervallen aus den
kategoriellen Analysen. MARIE-Studie, Deutschland, 2002–2005. a) gleichzeitige Einbeziehung von Parität und Stillen; b) bezogen auf die BMI-Kategorien
Ergebnisse
Die Analysen umfassten 2 004 postmenopausale,
hormonrezeptorpositive
Fälle und 6 569 postmenopausale Kontrollen. Fälle und Kontrollen hatten beide einen Altersmedian von 63 Jahren bei Diagnosestellung bzw. zum Referenzdatum.
Im Vergleich zu den Kontrollen hatten
die Fälle häufiger Brustkrebs in der Familienvorgeschichte, vorausgehende gutartige
Brusttumore, Hormontherapie, eine geringere Anzahl von Schwangerschaften und
hatten weniger gestillt.
Bezüglich beruflicher Tätigkeit und Bildungsniveau unterschieden Fälle und Kontrollen sich nicht wesentlich.
Freizeitaktivität ab dem 50. Lebensjahr
war invers assoziiert mit ER+/PR+ Brustkrebs (Odds Ratio[OR] = 0,74; 95%-Kon-
fidenzintervall[KI] = [0,64; 0,87] für das
höchste bzw. niedrigste Quartil, Trend
p = 0,0002). Für KA in jüngeren Jahren
(30.–49. Lebensjahr) war der Effekt weniger ausgeprägt (Trend p = 0,014).
Es fand sich keine signifikante Effektmodifikation durch Brustkrebs in der Familienvorgeschichte oder durch Hormontherapie. Allerdings fand sich eine Effektmodifikation durch benigne Brusterkrankung. Für Frauen mit benigner Brusterkrankung in der Vorgeschichte zeigte sich
eine deutliche inverse Assoziation mit KA
30–49 (OR = 0,65 [0,51; 0,84] höchstes vs.
niedrigstes Quartil und KA 50+ (OR = 0,63
[0,49; 0,80]). Keine oder nur eine schwache
Beziehung fand sich zwischen KA 30–49
oder KA 50+ und Brustkrebs für Frauen
ohne benigne Brusterkrankung in der Vorgeschichte. Allerdings war diese Interakti-
on nur für KA in jüngeren Jahren signifikant (p = 0,023). Für Stillen ergaben sich
signifikante Interaktionen für KA in beiden
Altersgruppen (p = 0,045 für KA 50+,
p = 0,027 für KA 30–49). Allerdings fand
sich keine signifikante Interaktion mit Parität, obwohl der Effekt von KA bei Para
stärker schien als bei Nullipara. Es wurde
außerdem die Effektmodifikation durch
Stillen in Kombination mit Parität untersucht, da zu den Nichtstillenden ja auch die
Nullipara gehören sowie Frauen, die nach
Geburten nie gestillt haben. 씰Abbildung
1a zeigt den Einfluss von KA ab dem 50. Lebensjahr auf das Brustkrebsrisiko unter
gleichzeitiger Einbeziehung von Parität
und Stillen.
Eine eindeutige inverse Assoziation findet sich für Frauen, die geboren und gestillt
haben; bei Frauen, die nie gestillt haben –
unabhängig davon ob Nullipara oder Para
ohne Stillen – besteht keine Assoziation
zwischen KA und Brustkrebsrisiko.
Wenn man beide Effektmodifikatoren,
also benigne Brusterkrankung und Stillen
kombiniert, zeigen sich ähnliche inverse
Assoziationen zwischen KA und ER+/PR+
Krebsrisiko für Frauen, die gestillt haben,
aber nie eine benigne Brusterkrankung
hatten, sowie für Frauen, die sowohl gestillt
haben als auch eine benigne Brusterkrankung hatten. Für Frauen, die nie gestillt haben und nie eine benigne Brusterkrankung
hatten, zeigte sich keine Assoziation (Daten
nicht abgebildet).
Für den BMI ergaben sich für die Interaktionen mit KA die p-Werte p = 0,058 und
p = 0,053 für die beiden Altersgruppen. Für
KA ab dem 50. Lebensjahr zeigte sich allerdings bezüglich der vier BMI-Kategorien
keine wesentliche Effektmodifikation. Nur
bei der kleinen Gruppe adipöser Frauen,
die angaben, seit dem 50. Lebensjahr körperlich sehr aktiv zu sein, war der Effekt
kleiner als bei den anderen BMI-Gruppen
(씰Abb. 1b). Für KA vom 30.–49. Lebensjahr waren die Modifikationen zwischen
den BMI-Gruppen weniger eindeutig.
Es gab keine signifikanten Interaktionen
zwischen KA und Rauchen, Alkoholkonsum, Alter bei der Menarche, Alter bei der
ersten Geburt oder Körpergröße (Daten
nicht abgebildet).
Onkologische Welt 1/2010
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M. E. Schmidt et al.: Körperliche Aktivität und postmenopausaler Brustkrebs
Diskussion
Es wurde ein gegenläufiger Zusammenhang
zwischen körperlicher Freizeitaktivität und
dem Risiko für hormonrezeptorpositiven
Brustkrebs bei postmenopausalen Frauen
gefunden. Dieser protektive Effekt fand sich
für Frauen sowohl mit als auch ohne Brustkrebs in der Familienvorgeschichte, für
Frauen mit und ohne HT und für alle BMIGruppen außer der Gruppe der adipösen
Frauen, für die die Assoziation weniger klar
war. Stillen und benigne Brusterkrankung
modifizieren den Effekt signifikant, wobei
sich eine eindeutige Risikosenkung nur für
Frauen fand, die gestillt haben oder eine benigne Brusterkrankung in der Vorgeschichte
hatten.
Es handelt sich hier um die erste Studie,
die die Effektmodifikation der Assoziation
von KA und Brustkrebsrisiko eingehend
untersucht und dabei Stillen und benigne
Brusterkrankungen einbezieht. Alle bekannten oder vermuteten Störfaktoren
wurden dokumentiert, was eine adäquate
Berücksichtigung von potenziellen Störfaktoren ermöglicht. Frühere Studien zu
Effektmodifikatoren bezüglich der Assoziation von KA und Brustkrebsrisiko unterschieden nicht nach menopausalem Status
oder Art des Brustkrebses, die vorliegende
Studie hingegen konzentriert sich auf die
postmenopausalen hormonrezeptorpositiven Karzinome. Trotzdem stand eine große
Studienpopulation zur Verfügung.
Allerdings müssen auch die Grenzen
dieser Studie betrachtet werden. Trotz großer Anstrengungen waren die Antwortraten niedrig, was eventuell zu einem Selektionseffekt (selection bias) führte. Daten, die aus kurzen Fragebögen von Personen gewonnen wurden, die eine komplette Teilnahme ablehnten, sprechen dafür, dass Teilnehmerinnen, die an der kompletten Befragung teilnahmen, ein höheres
Bildungsniveau hatten als Non-Responder.
Allerdings fand sich weder eine starke Assoziation zwischen Bildung oder beruflicher Tätigkeit und körperlicher Freizeitaktivität noch waren in der vorliegenden
Studie Stillen oder benigne Brusterkrankung mit dem Bildungsniveau (ρ nach Pearson = –0,07 und 0,03) oder der beruflichen Tätigkeit (ρ = –0,1 und 0,04) korreliert.
Es wurden eindeutige protektive Effekte
der KA auf postmenopausales ER+/PR+
Brustkrebsrisiko gefunden – und zwar sowohl für Frauen mit als auch solche ohne
Brustkrebs in der Familienvorgeschichte 1.
Grades. Es gibt nur wenige weitere Studien,
die auch die Effektmodifikation durch die
Familienvorgeschichte untersucht haben
und deren Ergebnisse sind widersprüchlich. In einigen Studien fand sich kein Unterschied zwischen Frauen mit oder ohne
positive Familienvorgeschichte (9–13), andere hingegen beobachteten protektive Effekte nur für Frauen ohne positive Familienvorgeschichte (14–17).
Das Ergebnis der vorliegenden Studie,
dass HT nicht zu einer Effektmodifikation
führt, stimmt mit der aktuellen Literatur
überein (9, 10, 18–20). Nur eine Studie ging
von einer stärkeren Risikoreduktion bei Patientinnen aus, die vormals oder nie HT angewendet hatten im Vergleich zu aktuellen
HT-Anwenderinnen (21).
Unseres Wissens nach sind bisher noch
keine Untersuchungen zur Effektmodifikation durch benigne Brusterkrankung veröffentlicht worden. Benigne Brusterkrankungen gehen mit einem erhöhten Risiko
für prä- und postmenopausalen Brustkrebs
einher (22); die Mechanismen, die der Entstehung von benignen Brusterkrankungen
und deren Bedeutung für das Brustkrebsrisiko zugrunde liegen, sind allerdings unklar.
Benigne Brusterkrankungen umfassen eine
Vielzahl klinischer und histopathologischer
Diagnosen von Schädigungen des Brustgewebes, zu der viele, auch hormonelle Faktoren beitragen können. Da einige benigne
Brusterkrankungen wahrscheinlich mit Veränderungen der Brust oder des hormonellen
Profils (23–25) einhergehen, erscheint die
Effektmodifikation durch benigne Brusterkrankungen auf KA und das Brustkrebsrisiko plausibel. Obwohl die Modelle dieser
Studie für andere Risikofaktoren adjustiert
waren, kann nicht völlig ausgeschlossen werden, dass die beobachtete Effektmodifikation eventuell auf unterschiedlichen Lebensstilen und Aktivitätsmustern von Frauen mit
oder ohne benigne Brusterkrankung beruht.
Diese potenzielle Effektmodifikation sollte
unter Berücksichtigung weiterer spezifischer
Details bezüglich der Art der benignen
Brusterkrankung näher untersucht werden;
hierzu sind weitere Studien nötig.
Das Ergebnis der vorliegenden Studie,
dass KA und Stillen, nicht aber Parität signifikant interagieren, spricht dafür, dass
man in der Auswertung von Effektmodifikation Stillen zusätzlich zu Parität betrachten muss. In einigen Studien wurde Parität
als ein potenzieller Effektmodifikator der
Beziehung zwischen KA und Brustkrebsrisiko gesehen. Ein Review dieser Studien
ergab für Para (durchschnittliche Risikoreduktion 28 %) ein stärker gesenktes Risiko
als für Nullipara (durchschnittliche Risikoreduktion 22 %), allerdings ohne Aussage
über die statistische Signifikanz dieses Unterschieds (26).
Eine Studie, die die Interaktion von KA
und Stillen untersucht hätte, ist den Autoren nicht bekannt. Stillen hat einen protektiven Effekt gegen Brustkrebs – unabhängig
vom protektiven Effekt mehrerer Geburten. Wahrscheinlich ist der Wirkmechanismus des Stillens ein anderer als der von Geburten und Alter bei der ersten Geburt
(27–29). Die biologischen Mechanismen,
über die Stillen zu protektiven Effekten gegen Brustkrebs führt, sind unklar. Mögliche Mechanismen sind hormonelle Veränderungen, wie gesenktes Östrogen, die
Exkretion von Karzinogenen durch das
Brustgewebe mittels Stillen, Veränderungen der Brustepithelzellen, was für maximale Differenzierung spricht, und Zeit bis
zum Wiedereinsetzen des Eisprungs (30).
Da Stillen zu Veränderungen in den Brustzellen und zu einem veränderten hormonellen Muster führt (31), könnte man annehmen, dass Stillen den Effekt von KA auf
das Brustkrebsrisiko dadurch verändert,
dass es die strukturelle und hormonelle Basis für die Wirkung von KA herstellt. Auch
hier kann allerdings nicht völlig ausgeschlossen werden, dass die beobachtete
Effektmodifikation auf unterschiedlichen
Lebensstilen und Aktivitätsmustern von
Frauen beruht, die gestillt bzw. die nicht gestillt haben.
In früheren Studien waren die Ergebnisse zum BMI als Effektmodifikator uneinheitlich. Eine neue Übersichtsarbeit (1)
fand eine Kohortenstudie und neun FallKontroll-Studien, in denen Effektmodifikationen durch den BMI anhand statistischer Tests untersucht wurden. Keine der
Studien zeigte einen Unterschied. Einige
Studien, die nach BMI stratifizierten, zeig-
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8
M. E. Schmidt et al.: Körperliche Aktivität und postmenopausaler Brustkrebs
ten jedoch einen schwächeren Effekt für KA
in der höchsten BMI-Gruppe im Vergleich
zu den Gruppen mit niedrigerem BMI. Auf
ähnliche Weise kamen Friedenreich und
Cust (26) in ihrem aktuellen Review zu
dem Schluss, dass KA das Brustkrebsrisiko
in allen BMI-Gruppen außer der der adipösen Frauen (BMI = 30) senkt. Allerdings
wurde die Interaktion nicht statistisch untersucht. Die Ergebnisse der vorliegenden
Studie stimmen dahingehend überein, dass
sie schwächere Effekte für adipöse Frauen
zeigen; die Interaktion erwies sich allerdings als nicht statistisch signifikant
(p = 0,053). Da Adipositas ein starker Risikofaktor für postmenopausalen Brustkrebs
(32) ist, überwiegt vielleicht dieses Risiko
den protektiven Effekt von KA. Unklar
bleibt allerdings, warum Frauen, die viel
körperliche Freizeitaktivität ab dem 50. Lebensjahr angaben, trotzdem adipös blieben. Vielleicht haben einige dieser Frauen
ihre Aktivität überschätzt oder sie waren
körperlich aktiv und trotzdem sehr adipös
wegen besonderer metabolischer oder hormoneller Verhältnisse.
Schlussfolgerungen
Es wurde eine Effektmodifikation der körperlichen Aktivität bezüglich des postmenopausalen, hormonrezeptorpositiven
Brustkrebsrisikos durch Stillen und benigne Brusterkrankungen ermittelt. Falls andere Studien ähnliche Effektmodifikationen nachweisen, könnte das Wissen in Bezug auf diese Risikofaktoren zu einem besseren Verständnis führen, wie körperliche
Aktivität auf das Brustkrebsrisiko wirkt.
Für Frauen mit einem erhöhten Brustkrebsrisiko aufgrund ihrer Familienvorgeschichte oder einer laufenden oder kürzlich durchgeführten HT ist es ermutigend,
dass sie ihr Risiko durch körperliche Aktivität senken können.
Danksagung
Diese Studie wurde durch die Deutsche
Krebshilfe e. V. gefördert, grant number
70–2892-BR I.
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Kongressnachlese
9
Highlights vom San Antonio Breast Cancer Symposium
Feintuning in der Brustkrebstherapie
Der weltweit wichtigste Brustkrebs-Kongress in San Antonio wächst von Jahr zu Jahr:
Mit 9 000 Teilnehmern wurden dieses Mal erneut rund 1 000 Mediziner mehr gezählt
als 2008. Dazu beigetragen hat die Entscheidung, den Kongress zusammen mit der
amerikanischen Krebsforschungsvereinigung AACR (American Association for Cancer
Research) zu veranstalten. Damit kehrt man zu den Wurzel der Veranstaltung zurück,
die als ein kleines Diskussionsforum zwischen Klinikern und Forschern entstanden ist.
Die adjuvanten Therapiestudien, die neue Wirkprinzipien beim frühen Mammakarzinom erproben, können mittlerweile ein langes Followup vorweisen. So stellte Dr. Judith Bliss, Sutton/Großbritannien, eine aktualisierte Auswertung der IES(Intergroup Exemestan Study)-Studie nach einer Beobachtungszeit von median
91 Monaten vor (1). In der Studie wurden 4 724
Frauen, überwiegend mit Östrogenrezeptor
(ER)-positivem Brustkrebs, nach 2- bis 3-jähriger Tamoxifen-Therapie randomisiert und entweder auf den Aromatasehemmer Exemestan
über weitere 2–3 Jahre umgestellt oder kontinuierlich mit Tamoxifen weiterbehandelt.
Benefit von Exemestan
auch nach Therapieende
Der Wechsel zu dem Aromatasehemmer zahlte
sich für die Patientinnen in einem moderaten,
aber signifikanten Überlebensvorteil aus, so
Bliss: Das Mortalitätsrisiko nach 7,5-jähriger
Nachbeobachtung war im Exemestan-Arm um
relativ 14 % niedriger als bei kontinuierlicher
Tamoxifen-Therapie (Hazard Ratio 0,86;
p = 0,04). Der absolute Unterschied zwischen
beiden Armen betrug 2,4 % und hatte damit
gegenüber der 5-Jahres-Analyse um 1 % zugenommen.
Auch die Differenz im krankheitsfreien
Überleben bleibt bei längerem Follow-up signifikant: Das Ereignisrisiko wurde durch den
Switch um relativ 18 % und um absolut 4,4 %
im Vergleich zum Tamoxifen-Arm gesenkt (HR
0,81; p = 0,001). „Die Ereigniskurven trennen
sich bereits früh nach Beginn der ExemestanTherapie und bleiben langfristig getrennt“, betonte Bliss.
Das brustkrebsfreie Überleben, bei dem Todesfälle anderer Ursachen nicht berücksichtigt
werden, war während der Behandlung im Exemestan-Arm um relativ 60 %, danach um relativ 6 % verbessert (씰Abb. 1). „Es gibt also keinen Hinweis, dass der frühe Benefit der Umstellung auf Exemestan während des mittlerweile
langen Follow-up verloren geht“, so Bliss.
Auch das Risiko für die prognostisch entscheidende Fernmetastasierung wurde durch
Exemestan signifikant um relativ 17 % gesenkt
(HR 0,83; p = 0,01). Dabei scheint der Effekt auf
ossäre Metastasen besonders ausgeprägt zu
sein. Als interessant, aber bislang nicht zu erklären, wertete Bliss die Beobachtung, dass
nach dem Wechsel zu Exemestan neben kontralateralen Tumoren auch Karzinome anderer
Ursachen erheblich seltener auftraten als unter
Tamoxifen.
Vom Switch zu dem Aromatasehemmer hatten alle Patientinnen einen Nutzen – unabhängig von Nodalstatus, vorangegangener Chemotherapie, ER-Status, Dauer der TamoxifenTherapie vor Randomisierung und Alter. Bliss
wies darauf hin, dass Frauen über 70 Jahre besonders stark von der Umstellung profitierten.
Menopausestatus
überprüfen!
Postmenopausale Patientinnen, die zunächst
fünf Jahre lang mit Tamoxifen behandelt wurden, erhalten anschließend vielfach eine erweiterte Therapie mit einem Aromatasehemmer,
um ihr anhaltend hohes Rezidivirisiko zu senken, erinnerte Prof. Paul Goss, Boston/USA. Bei
zum Diagnosezeitpunkt prämenopausalen
Frauen wird die Behandlung dagegen nach fünf
Jahren Tamoxifen meist nicht weitergeführt. Eine Subgruppenanalyse der MA.17-Studie zur
erweiterten adjuvanten Letrozol-Therapie hat
nun gezeigt, dass bei diesen jüngeren Frauen
eine Überprüfung des Menopausestatus am
Ende der fünfjährigen endokrinen Standardtherapie sinnvoll ist: Denn Patientinnen, die
zwischenzeitlich in die Wechseljahre kamen,
profitieren von der erweiterten adjuvanten Letrozol-Gabe sogar stärker als bereits initial
postmenopausale Frauen (2).
Diese Subgruppe umfasste 889 Patientinnen, die aufgrund von Nodalstatus, vorangegangener Chemotherapie und Mastektomierate ein ungünstigere Prognose besaßen als
Abb. 1 Krankheitsfreies Überleben bei ER-positivem Mammakarzinom nach 2- bis 3-jähriger Therapie mit Tamoxifen oder Exemestan
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Kongressnachlese
10
Perez stellte 2009 die zweite Interimsanalyse zum Vergleich der Arme A versus B und die
erste Interimsanalyse zum Vergleich von B versus C vor – eine Auswertung, die wegen ihrer
klinischen Relevanz von Brustkrebsexperten
mit Spannung erwartet worden war. Durch die
sequenzielle Trastuzumab-Gabe wurde das
krankheitsfreie Überleben nach einem medianen Follow-up von 5,5 Jahren signifikant um
relativ 30 % und um absolut 8,2 % verbessert
(HR 0,70; p = 0,0005). Der absolute Unterschied zwischen beiden Studienarmen ist somit
gegenüber der ersten Analyse mit damals
5,8 % noch weiter gewachsen.
Abb. 2 Initial prämenopausale Patienten profitieren mehr von einer erweiterten adjuvanten Letrozol-Therapie als initial postmenopausale Frauen
von Anfang an postmenopausale Frauen. Entsprechend war die Rezidivrate in der Placebogruppe bei den jüngeren Frauen höher als bei
älteren. Sie hatten einen größeren Benefit von
der erweiterten Letrozol-Therapie: Das krankheitsfreie Überleben wurde in dieser Subgruppe durch den Aromatasehemmer um absolut
10,1 % im Vergleich zu Placebo verbessert –
gegenüber nur 3,3 % bei den durchgängig
postmenopausalen Frauen (씰Abb. 2). Postmenopausale Patientinnen ohne Lymphknotenbefall profitierten von Letrozol mit einer absoluten Risikoreduktion von 1,1 % kaum, während der Benefit bei den jüngeren Frauen mit
einer Risikoreduktion um 11,5 % sogar ausgeprägter war als in der Subgruppe insgesamt.
Bei positivem Nodalstatus fiel der Nutzen mit
7 % bei den älteren und 9,6 % bei den jüngeren
Patientinnen ähnlich aus.
Auch zeigt sich bei den initial prämenopausalen Frauen bereits ein deutlicherer Vorteil im
Gesamtüberleben mit einer Senkung des Sterberisikos um absolut 2,8 % und relativ 64 %
(HR 0,36; p = 0,19).
Goss wies jedoch darauf hin, dass Nebenwirkungen wie Arthralgien und vaginale Blutungen bei den jüngeren Frauen stärker ausgeprägt waren als bei älteren. Auch war ihre Lebensqualität stärker eingeschränkt. Dennoch
erscheint der Benefit der erweiterten adjuvanten Therapie insgesamt so überzeugend, dass
die Indikationsstellung am Ende der fünfjährigen Tamoxifen-Therapie überprüft werden
sollte.
Chemotherapie und
Trastuzumab – simultan
oder sequenziell?
Der Nutzen der adjuvanten Trastuzumab-Therapie beim HER2-überexprimierenden frühen
Mammakarzinom ist heute in großen PhaseIII-Studien zweifelsfrei belegt. Noch unklar
war jedoch bislang der optimale Einsatz des
monoklonalen Antikörpers. Während in Nordamerika meist simultan zur Chemotherapie
behandelt wird, bevorzugen viele Europäer
die sequenzielle Anwendung von Chemotherapie und Trastuzumab. Die neue Analyse der
Studie N9831 hat nun gezeigt, dass die
gleichzeitige Gabe von Antikörper und Zytostatika in einer stärkeren Reduktion des Rezidivrisikos resultiert (3). Es ist die einzige der
adjuvanten Trastuzumab-Studien, die in einem dreiarmigen Design die alleinige Chemotherapie mit der Chemotherapie plus paralleler bzw. sequenzieller Trastuzumab-Therapie vergleicht, erläuterte Prof. Edith Perez,
Jacksonville/USA. An N9831 beteiligten sich
gut 3 500 Patientinnen mit HER2-positivem
Brustkrebs, die randomisiert dem Standardarm A mit Doxorubicin/Cyclophosphamid gefolgt von Paclitaxel (AC-P) oder zwei experimentellen Armen zugeteilt wurden, in denen
der Antikörper erst nach Ende der PaclitaxelGabe über ein Jahr (Arm B) oder nach Abschluss der vier AC-Zyklen simultan zur zwölfwöchigen Paclitaxel-Therapie und anschließend weitere 40 Wochen verabreicht wurde
(Arm C).
Stärkere Risikoreduktion
bei simultaner Gabe
Der Vergleich der Studienarme B und C macht
klar, dass das Rezidivrisiko durch die simultane
Trastuzumab-Gabe noch weiter gesenkt werden kann: Nach einer Beobachtungszeit von
median 5,3 Jahren wurde ein zusätzlicher Vorteil von relativ 23 % gegenüber dem sequenziellen Arm erreicht, der allerdings das vorab
festgelegte Signifikanzniveau von 0,001 verfehlte (HR 0,77; p = 0,019). Auch diese beiden
Ereigniskurven laufen kontinuierlich auseinander; der absolute Unterschied zwischen den
zwei Armen beträgt 4,4 %.
Auch beim Gesamtüberleben wird der Benefit der adjuvanten Trastuzumab-Gabe deutlich. Im Vergleich zu nur zytostatisch behandelten Frauen reduzierte die sequenzielle Antikörper-Gabe das Sterberisiko um relativ 14 %. Bei
simultaner Gabe wurde erneut ein zusätzlicher
Nutzen mit einer weiteren Mortalitätsreduktion um 21 % erreicht. Perez machte darauf aufmerksam, dass bislang aufgrund des therapeutischen Benefits von Trastuzumab weniger Todesfälle aufgetreten sind als ursprünglich erwartet, sodass statistische Auswertungen verfrüht sind.
Kardiale Ereignisse waren insgesamt selten.
Ihre Rate betrug bei alleiniger Chemotherapie
0,3 %, im Arm B bei sequenzieller TrastuzumabGabe 2,8 %. Bei simultaner Antikörper-Therapie stieg diese Rate nur leicht weiter bis auf
3,3 % an. Die meisten kardialen Nebenwirkungen waren laut Perez vorübergehend und medizinisch gut zu kontrollieren. Aufgrund des
günstigen Nutzen-Risiko-Profils plädierte sie
dafür, Trastuzumab von nun an simultan zur adjuvanten Chemotherapie – und zwar begin-
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Kongressnachlese
11
nend mit der Taxan-Komponente – zu verabreichen.
Überlebensvorteil
bei dualer HER2-Blockade
In der palliativen Therapie des HER2-positiven
Mammakarzinoms ist Trastuzumab seit langem
etabliert. Lange Zeit jedoch unklar war das therapeutische Vorgehen bei Patientinnen, die unter Trastuzumab progredient werden. Die Phase-III-Studie EGF104900 an 296 intensiv vorbehandelten Frauen hat jetzt gezeigt, dass die
Kombination von Trastuzumab und Lapatinib in
dieser Situation effektiver ist als die Umstellung auf Lapatinib allein (4).
Bereits bei der ersten Analyse im Juni 2008
hatte die Studie ihren primären Endpunkt erreicht: Im Kombinationsarm war das Progressionsrisiko nach sechs Monaten signifikant niedriger als unter der Monotherapie (HR 0,73;
p = 0,008), das progressionsfreie Überleben
konnte um 4,1 Wochen verlängert werden (12
vs. 8,1 Wochen). Beim Gesamtüberleben zeigte
sich zu diesem Zeitpunkt ein tendenzieller Vorteil zugunsten der kombinierten Therapie mit
einer Verlängerung um median 2,9 Monate; die
klinische Benefitrate wurde verdoppelt (24,7
vs. 12,4 %).
Mortalität um ein Viertel
gesenkt
In San Antonio stellte Dr. Kimberly Blackwell,
Durham/USA, die aktualisierte Überlebensanalyse nach Eintreten von 75 % der Ereignisse vor.
Sie ergab jetzt nach längerem Follow-up einen
signifikanten Benefit zugunsten der Kombination: Diese führte gegenüber der Monotherapie
zu einer Überlebensverlängerung um 4,5 Monate (14 vs. 9,5 Monate); das Sterberisiko wurde um 26 % gesenkt (HR 0,74; p = 0,026). Der
absolute Unterschied betrug nach sechs Monaten 10 %, nach einem Jahr 15 % (80 vs. 70 %
bzw. 56 vs. 41 %). Blackwell betonte, dass der
signifikante Vorteil zugunsten der Kombination
trotz des Crossovers von 52 % der Patientinnen
im Lapatinib-Arm erreicht wurde.
Die finale Sicherheitsanalyse ergab vergleichbare Toxizitätsraten in beiden Armen. Die
meisten Nebenwirkungen waren leicht ausgeprägt (Grad 1/2). Schwere Ereignisse (Grad
3/4) wurden bei zehn kombiniert und bei drei
Mit 9 000 Teilnehmern zählt das San Antonio Breast Cancer Symposium zu den wichtigsten BrustkrebsKongressen der Welt (Foto: Dr. Katharina Arnheim, Freiburg).
nur mit Lapatinib behandelten Patientinnen
dokumentiert.
Der 4,5-monatige Überlebensvorteil der
dualen HER2-Blockade beim therapierefraktären Brustkrebs entspricht laut Blackwell den Ergebnissen, die man durch Addition eines Biologicals zur Chemotherapie im First-Line-Setting
erreichen kann. Doch lässt sich die Überlebensverlängerung in diesem Fall ohne die zytostatikabedingte Toxizität realisieren. Das Update
der Studie EGF104900 untermauert nach ihren
Worten die NCCN-Leitlinie, die die Lapatinib/
Trastuzumab-Kombination als bevorzugte Option beim HER2-positiven Brustkrebs nach Trastuzumab-Vortherapie aufführt. Außerdem bezeichnete sie die Daten als vielversprechend im
Hinblick auf die ALTTO-Studie, die diese Kombination in der Adjuvans untersucht.
Zweitlinientherapie
mit Bevacizumab
Der monoklonale anti-VEGF-Antikörper Bevacizumab wird bislang auf der Basis dreier positiver Phase-III-Studien vor allem im First-LineSetting in Kombination mit unterschiedlichen
Chemotherapien eingesetzt. Mit RIBBON-2 liegen jetzt Daten bei vorbehandelten Frauen mit
metastasiertem Brustkrebs vor. Sie zeigen, dass
auch in dieser Situation bei zusätzlicher Antikörper-Gabe eine signifikante Verlängerung
des progressionsfreien Überlebens möglich ist
(5). Die internationale RIBBON-2-Studie
schloss fast 700 vorbehandelte Patientinnen
ein, die im Verhältnis 2 : 1 zu einer Chemotherapie entweder mit Taxanen (n = 201), Gemcitabin (n = 108), Capecitabin (n = 97) oder mit Vinorelbin (n = 53) plus Bevacizumab oder zur alleinigen Chemotherapie plus Placebo (n = 225)
randomisiert wurden, informierte Prof. Adam
Brufsky, Pittsburgh/USA.
Nach 15-monatigem Follow-up ergab die
gepoolte Auswertung der vier ChemotherapieKohorten eine signifikante Reduktion des Progressionsrisikos durch Bevacizumab um relativ
22 % (HR 0,78; p = 0,0072) mit einer Verlängerung des progressionsfreien Überlebens um gut
zwei Monate gegenüber der alleinigen Chemotherapie (7,2 vs. 5,1 Monate). Ein konsistentes
Ergebnis ergab auch die separate Analyse von
drei der vier Chemotherapie-Kohorten: Bei zusätzlicher Gabe von Bevacizumab zu Taxanen,
Gemcitabin oder Capecitabin wurde ebenfalls
eine deutliche Reduktion des Progressionsrisikos erreicht. Anders in der Vinorelbin-Kohorte,
in der die Bevacizumab-Addition ohne Benefit
blieb. Allerdings handelt es sich hier um eine
sehr kleine Subgruppe mit nur 23 Patienten im
Placeboarm.
Die gepoolte Gesamtansprechrate stieg von
29,6 % im Placeboarm auf 39,5 % bei zusätzlicher Antikörper-Gabe. Beim Gesamtüberleben
gibt es derzeit einen tendenziellen Vorteil zu-
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Kongressnachlese
12
gunsten von Bevacizumab mit einer Mortalitätsreduktion um relativ 10 % (HR 0,90;
p = 0,37). Es handelt sich dabei aber noch nicht
um die finale Überlebensanalyse, für die das
Eintreten von 75 % aller Ereignisse gefordert
ist.
Erwartungsgemäß war die Toxizitätsrate im
Bevacizumab-Arm etwas höher als unter Placebo. Häufiger waren insbesondere Hypertonie
(9,0 vs. 0,5 %), Neutropenie (17,7 vs. 14,5 %)
und Proteinurie (3,1 vs. 0,5 %), während alle
weiteren Nebenwirkungen etwa gleich verteilt
auftraten. Dies galt auch bei separater Auswertungen der vier Chemotherapie-Kohorten. Insgesamt stimmen die Sicherheitsdaten mit den
Ergebnissen anderer Bevacizumab-Studien gut
überein.
Dr. Katharina Arnheim, Freiburg
Diskussion zeigt Wirkung bei der FDA
Anthrazyklin-basierte Chemotherapie muss nicht kardiotoxisch sein
Die Diskussion um die kardiotoxischen Nebenwirkungen einer Anthrazyklin-basierten
Chemotherapie des fortgeschrittenen Mammakarzinoms hat auch bei der US-Zulassungsbehörde FDA Wirkung gezeigt. Wie die Behörde kürzlich mitteilte, wurde für die
Zulassung von nicht pegyliertem liposomalem Doxorubicin (Myocet®) zur First-LineTherapie des HER2-positiven fortgeschrittenen Mammakarzinoms der Fast-TrackStatus einer bevorzugten Zulassung eingeräumt.
Gegenwärtig werden in den USA Patienten für
eine Phase-III-Studie rekrutiert, in der das Regime aus nicht pegyliertem liposomalem Doxorubicin, Paclitaxel und Trastuzumab gegen Paclitaxel und Trastuzumab allein verglichen
wird. In Deutschland ist die Substanz bereits
zur First-Line-Behandlung des fortgeschrittenen Mammakarzinoms in Kombination mit Cyclophosphamid zugelassen.
Limitierend ist die Kardiotoxizität ab einer
bestimmten kumulativen Dosis, insbesondere
bei mit Anthrazyklin vorbehandelten oder kar-
dial vorgeschädigten Patientinnen. Ab einer kumulativen Dosis von 400 mg/m2 freiem Doxorubicin steigt das Risiko eine Herzinsuffizienz
zu entwickeln signifikant an.
Eine Reihe von Phase-II-Studienergebnisse
untermauern die gute Wirksamkeit und Verträglichkeit von Myocet® auch ohne die zusätzliche
Trastuzumab-Gabe als Kombinationspartner
von Docetaxel, Gemcitabin und Cyclo-phosphamid in der Erstlinienbehandlung von Patientinnen mit metastasiertem Brustkrebs. In den Studien zeigten sich hohe Remissionsraten, die meist
Längeres Gesamtüberleben unter Lapatinib plus
Trastuzumab
Auf dem SABCS 2009 wurden die aktualisierten Ergebnisse der Studie EGF 104900 zum
Gesamtüberleben (OS) präsentiert. In der Studie erhielten 296 Frauen mit HER2-positivem
metastasiertem Brustkrebs eine Kombination
von Lapatinib und Trastuzumab oder Lapatinib allein.
Von den Frauen, die nur Lapatinib erhielten,
wechselten 52 % zur Kombinationstherapie.
Das mediane Überleben betrug unter Lapatinib/Trastuzumab 60,7 Wochen, bei der Monotherapie mit Lapatinib waren es 41,4 Wochen.
Der Überlebensvorteil blieb auch nach Adjustierung für die prognostischen Faktoren bei
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Antonio/USA
zwischen 60 und 70 % lagen, wobei es keine
Hinweise auf eine erhöhte Kardiotoxizität gab.
Der Zulassungsstudie ging eine Phase-IIStudie mit 69 Frauen mit einem HER2-positiven
nicht vorbehandelten fortgeschrittenen Mammakarzinom voraus (1). Die Patienten erhielten
sechs Zyklen eines Kombinationsschemas mit
Trastuzumab, Paclitaxel und nicht pegyliertem
liposomalem Doxorubicin. Die Gesamtansprechrate betrug 96,2 % bei einem medianen Zeitraum bis zu einer erneuten Progression
(TTP) von 22,1 Monaten.
Der Behandlungserfolg musste nicht mit einer erhöhten Rate an Kardiotoxizität erkauft
werden, so die Untersucher. Im Gesamtkollektiv veränderte sich die linksventrikuläre Auswurffraktion (Baseline: 63%) nur unwesentlich. Sie betrug nach sechs Zyklen 6% und nach
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Onkologische Welt 1/2010
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Kongressnachlese
13
Zoledronsäure gegen Knochendichteverlust
Diskussion beendet –
lieber sofort als später
Die Upfront-Gabe von Zoledronsäure ist effektiver in der Prophylaxe eines Knochendichteverlustes während der Behandlung mit einem Aromataseinhibitor als bis zu den
ersten Schäden zu warten. Dies unterstreichen die 5-Jahres-Daten der Z-FAST-Studie,
die in San Antonio vorgestellt wurden (1).
Nach Ansicht von Prof. Theresa Guise, Indianapolis/USA, kann nach diesen Ergebnissen
kein Zweifel mehr darüber bestehen, dass alle
Patienten, die wegen eines Mammakarzinoms
einen Aromataseinhibitor (Letrozol) erhalten,
zu Therapiebeginn ebenfalls eine Prophylaxe
eines Knochendichteverlustes benötigen. In
der aktuellen Auswertung nach fünf Jahren
stieg bei den upfront mit Zoledronsäure behandelten Frauen (n = 140) die mittlere Knochendichte im Lendenwirbelkörper als primärem
Studienendpunkt um 6,2 %, während sie in der
Vergleichsgruppe (n = 300) um 2,4 % sank
(p < 0,001). Diese Frauen erhielten Zoledronsäure erst, wenn der T-Score der Knochendichte im Lendenwirbel oder an der Hüfte unter einen Wert von –2 gesunken oder eine nicht traumatische Fraktur aufgetreten war. An der Hüfte
verzeichnete die Upfront-Gruppe ebenfalls einen Anstieg der Knochendichte um 2,6 %, die
Vergleichsgruppe verzeichnete einen Rückgang um 4,1 % (p < 0,001).
Knochenbrüche traten bei 9,3 % der Frauen
in der Upfront-Gruppe und 11 % der Ver-
Die Evidenz wächst
Bisphosphonate zur Brustkrebsprävention?
Seit mehreren Jahren wird darüber diskutiert, ob und inwieweit Brustkrebspatientinnen in der adjuvanten Situation von einer zusätzlichen Bisphosphonatgabe profitieren. Für die adjuvante Gabe von Bisphosphonaten sprechen die Studien ABCSG 12 bei
prämenopausalen und ZO-FAST bei postmenopausalen Patientinnen. Anhand der Daten von 10 000 Frauen der Women’s Health Initiative (WHI) prüfte die Arbeitsgruppe
um Prof. Rowan Chlebowski, Los Angeles/USA, die Assoziation zwischen oralen
Bisphosphonaten und der Brustkrebsinzidenz (1).
In den letzten Jahren mehren sich Hinweise,
dass Zoledronsäure nicht nur zur Prävention
von Osteoporose und SRE sinnvoll ist, sondern
beim adjuvanten Einsatz beim frühen Brustkrebs auch Tumorrezidive verhindern kann. Die
Kommission Mamma der deutschen Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische Onkologie
(AGO) hat in ihren Empfehlungen 2009 dem
adjuvanten Einsatz der Bisphosphonate ein eigenes Kapitel gewidmet und die adjuvante Gabe von Clodronat oder Zoledronat mit einer
„Plus“-Bewertung befürwortet und damit den
therapeutischen Nutzen bestätigt.
Die WHI-Population umfasst über 150 000
Frauen im Alter zwischen 50 und 79 Jahren ohne Mammakarzinom und ohne Einsatz der prä-
gleichsgruppe auf. Allerdings ist die Z-FASTStudie statistisch nicht darauf ausgelegt, einen
signifikanten Unterschied zwischen beiden
Therapiegruppen zu entdecken, schränkte
Guise ein. Ernsthafte renale Nebenwirkungen
sowie Kieferosteonekrosen wurden nicht beobachtet. Bei allen Teilnehmern wurde vor der Letrozolbehandlung eine chirurgische Tumorresektion mit anschließender Chemotherapie
bzw. Radiatio durchgeführt. Innerhalb der fünfjährigen Letrozolbehandlung trat in der Upfront-Gruppe in 5,3 % ein erneutes Rezidiv auf,
in der Vergleichsgruppe waren es 7 %. Eine
Fernmetastase trat in der Upfront-Gruppe bei
neun Frauen versus 19 Frauen in der Vergleichsgruppe auf.
Dr. Alexander Kretzschmar, München
Literatur
1. Brufsky A et al. Cancer Res 2009; 69 (Suppl); Abstract 4083.
Quelle: 32. CTRC-AACR Brustkrebssymposium in San
Antonio (SABCS) vom 9. bis 13. Dezember 2009, San
Antonio/USA
ventiv wirkenden Substanzen Tamoxifen oder
Raloxifen. Analysiert wurden etwa 10 000 WHITeilnehmerinnen, von denen KnochendichteDaten zur Verfügung standen. 2 216 von ihnen
nahmen bei Studieneinschluss Bisphosphonate, meist Alendronat (89,7 %), ein. Da eine erniedrigte Knochendichte mit einem geringeren
Brustkrebsrisiko einhergeht, diese aber andererseits eine Indikation für die Bisphosphonattherapie ist, wurden alle Ergebnisse daraufhin
adjustiert.
Signifikante Risikoreduktion um 32 %
Dennoch konnte in der Multivarianzanalyse eine signifikante Risikoreduktion für invasive
Mammakarzinome um 32 % bei Bisphosphonattherapie ermittelt werden (HR 0,68;
p < 0,01). Signifikant fiel der präventive Effekt
der Bisphosphonate allerdings nur bei ER-positiven Tumoren aus, während die Inzidenz ERnegativer Tumoren nur tendenziell verringert
wurde (p = 0,02 bzw. p = 0,27). Überraschen-
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Kongressnachlese
14
derweise ging die Bisphosphonattherapie allerdings mit einer erhöhten Rate an DCIS (duktales Carcinoma in situ) einher – ein Phänomen,
für das es derzeit laut Chlebowski keine Erklärung gibt (HR 1,59; p = 0,002).
Für den präventiven Effekt der Bisphosphonattherapie spricht auch eine israelische Studie
(2): Der Benefit in puncto Brustkrebsrisiko zeigte sich erstmals nach Ende des ersten Therapiejahrs und blieb im Behandlungsverlauf konstant. Zudem hatten Frauen, bei denen unter einer Bisphosphonattherapie ein Mammakarzi-
nom auftrat, günstigere Prognosefaktoren als
die Kontrollen. Trotz dieser positiven Studiendaten wiesen Chlebowski und Prof. Gad Rennert, Haifa/Israel, darauf hin, dass es sich nur
um Hypothesen generierende Ergebnisse aus
Beobachtungsstudien handelt. Ob Bisphosphonaten künftig ein Stellenwert in der Brustkrebsprävention zukommt, kann laut Rennert nur in
prospektiven randomisierten Studien geklärt
werden.
Denosumab als Alternative
zu Bisphosphonaten?
Rund drei Viertel aller Frauen mit metastasiertem Brustkrebs entwickeln im Krankheitsverlauf Knochenmetastasen. Zur Vermeidung bzw. Verzögerung skelettbezogener
Ereignisse (SRE), beispielsweise Frakturen, Rückenmarkkompression, Radiatio oder
operative Eingriffe, werden häufig Bisphosphonate eingesetzt. Als therapeutische
Alternative wird der gegen den RANK-Liganden gerichtete monoklonale Antikörper
Denosumab bei mehreren Tumorentitäten klinisch evaluiert.
Anteil SRE-freier Patienten (%)
100
sen. Beim primären Endpunkt, der Zeit bis zum
ersten SRE, erwies sich der Antikörper dem bisherigen Standard als überlegen: Das Risiko für
die erste Skelettkomplikation wurde im Vergleich zu Zoledronsäure signifikant um relativ
HR 0,82 (95% KI: 0,71–0,95)
p < 0,0001 (Nichtunterlegenheit) 18 % Risikoreduktion
p = 0,01 (Überlegenheit)
75
1. Chlebowsky RT et al. Cancer Res 2009 (Suppl); Abstract 21.
2. Rennert G et al. Cancer Res 2009 (Suppl); Abstract
27.
Quelle: 32. CTRC-AACR Brustkrebssymposium in San
Antonio (SABCS) vom 9. bis 13. Dezember 2009, San
Antonio/USA
Dr. Katharina Arnheim, Freiburg
Antikörpertherapie gegen Osteoporose
Eine internationale randomisierte Phase-IIIStudie vergleicht den Antikörper (120 mg s. c.
alle vier Wochen) mit Zoledronsäure (4 mg i. v.
alle vier Wochen) bei 2 046 Bisphosphonat naiven Brustkrebspatienten mit Knochenmetasta-
Literatur
18 % gesenkt (HR 0,82; p = 0,01). Prof. Alison
Stopeck, Tucson/USA wies darauf hin, dass
sich die Ereigniskurven beider Studienarme bereits ab dem sechsten Monat trennten und bis
Studienende in Monat 34 kontinuierlich auseinander drifteten (씰Abb. 1).
Auch die Zeit bis zum ersten und nachfolgenden SRE (sekundärer Endpunkt) wurde
durch Denosumab signifikant verlängert, das
Risiko in der Multi-Event-Analyse um 23 % reduziert (HR 0,77; p = 0,001). Bei weiteren Endpunkten wie der Zeit bis zur ersten Knochenbestrahlung und bis zum Auftreten moderater
bis schwerer Schmerzen erwies sich Denosumab ebenfalls als signifikant überlegen. Auch
die Zeit bis zum ersten SRE oder bis zur Hyperkalzämie wurde gegenüber Zoledronsäure signifikant verlängert (HR 0,82; p = 0,007). Beim
progressionsfreien Überleben gab es allerdings
keinen Unterschied zwischen den Studienarmen. Akute-Phase-Reaktionen und renale
Nebenwirkungen waren unter Zoledronsäure
deutlich häufiger als mit Denosumab. Kiefernekrosen traten in beiden Armen selten auf. Stopeck bewertete Denosumab aufgrund der neuen Daten als vielversprechende Substanz bei
ossär metastasierten Patientinnen.
Dr. Katharina Arnheim, Freiburg
50
Literatur
25
0
0
3
6
9
12
15
18
Monate
21
24
27
30
Abb. 1 Risikoreduktion für ein erstes skelettbezogenes Ereignis (SRE) durch Denosumab im Vergleich
zu Zoledronsäure
1. Stopeck A et al. Cancer Res 2009 (Suppl); Abstract
22.
Quelle: 32. CTRC-AACR Brustkrebssymposium in San
Antonio (SABCS) vom 9. bis 13. Dezember 2009, San
Antonio/USA
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Aus Forschung
und Industrie
16
Neuer PARP-Hemmer in Phase-III-Studie geprüft
Therapie des tripelnegativen
Mammakarzinoms in Sicht?
Nach positiven Phase-II-Daten ist jetzt für den PARP-Hemmer BSI-201 eine Phase-IIIStudie angelaufen, in der die Wirksamkeit und Sicherheit in der Therapie des tripelnegativen Mammakarzinoms untersucht wird. Die US-amerikanische Food and Drug
Administration (FDA) hat ein beschleunigtes Prüfverfahren bewilligt.
Tripelnegative Mammakarzinome sind aggressiv und schwer behandelbar, da Rezeptoren für
Östrogen, Progesteron und HER2 fehlen und damit durch verfügbare Behandlungsformen nicht
angegriffen werden. Als Hoffnungsträger gilt die
neue Klasse der PARP-Inhibitoren. PARP (PolyADP-Ribose-Polymerase) ist ein Enzym zur Reparatur der DNA-Schädigung, einschließlich
chemotherapieinduzierter Tumorzellschäden.
Zurzeit wird untersucht, ob die Substanzen, die
das PARP-Enzym hemmen, den Selbstreparatur-
mechanismus der Tumorzellen verringern, so
dass sie therapiesensitiver werden.
Auf dem letzten ASCO-Kongress haben zwei
Phase-II-Studien bei Frauen mit tripelnegativen
und BRCA-1-2-defizienten Mammakarzinomen vielversprechende Resultate gezeigt. Der
PARP-1-Inhibitor BSI-201 wurde bei 120 Patienten zusammen mit einer konventionellen
Chemotherapie versus Chemotherapie allein
geprüft. Eine aktualisierte Analyse zeigt, dass
BSI-201 in Kombination mit Gemcitabin und
Carboplatin das mittlere Gesamtüberleben von
7,7 Monaten auf 12,2 Monate (HR = 0,5,
p = 0,005) erhöhte. BSI-201 erhöhte weder
Häufigkeit noch Schweregrad chemotherapieassoziierter unerwünschter Ereignisse. Das
mittlere Überleben wurde im BSI-201-Arm
noch nicht erreicht.
Derzeit läuft eine Phase-III-Studie zur Wirksamkeit und Verträglichkeit von BSI-201 in Kombination mit Gemcitabin und Carboplatin bei
Frauen mit einem tripelnegativen Mammakarzinom. Insgesamt sollen 420 Frauen, die zuvor im
metastasierten Stadium 0 bis 2 Therapien erhalten hatten, rekrutiert werden.
Die primären Studienendpunkte sind die Verbesserung des progressionsfreien Überlebens
und des Gesamtüberlebens. Aufgrund des Crossover-Designs haben alle Patientinnen, die in die
klinische Phase-III-Studie mit BSI-201 aufgenommen werden, eine potenzielle Chance,
BSI-201 zu erhalten. Patientinnen im Kontrollarm
können bei einer Krankheitsprogression BSI-201
erhalten.
Dr. Alexander Kretzschmar, München
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Kongressnachlese
Hämatoonkologie
51. Jahrestagung der American Society of Hematology
Von Darwins Selektionskriterien
bis hin zu molekularen Biomarkern
Vom 5. bis 8. Dezember 2009 wurden auf dem ASH neue Erkenntnisse zur Diagnose
und Behandlung von Lymphomerkrankungen vorgestellt. Über 20 000 interessierte
Ärzte und Wissenschaftler aus aller Welt informierten sich bei etwa 3 500 Veranstaltungen wie Symposien, Fortbildungsprogrammen oder speziellen Seminaren und anhand von über 1 000 Postern auf diesem wichtigsten hämatologischen Kongress. Zentrale Themen der Jahrestagung waren unter anderem die aktuellen Therapien des
Multiplen Myeloms oder des Non-Hodgkin-Lymphoms. Die Ergebnisse von Studien mit
neuen Wirkstoffen und das bessere Verständnis der Stammzelltherapie gehörten
ebenfalls zu den Highlights.
Im Jahr 2009 wurde der 200. Geburtstag von
Charles Darwin und der 150. Jahrestag seines
wegweisenden Buches „Die Entstehung der Arten“ gefeiert. Grund genug für Prof. Melvin
Greaves, Sutton/England, in seiner Ham-Wasserman-Lecture den Fokus auf die Entstehung
der akuten lymphoblastischen Leukämie (ALL)
im Kindesalter unter Berücksichtigung der Darwinschen natürlichen Selektionskriterien zu legen (1).
Mithilfe von Zwillingsstudien (2) und Untersuchungen von Nabelschnurblut (3) zeigte
Greaves, dass viele ALL-Fälle in der Kindheit auf
bereits genetische In-utero-Veränderungen,
beispielsweise Genfusionen, zurückgeführt
werden können. PCR-Untersuchungen von
neonatalem Blut und von Nabelschnurblut erlaubten die Schlussfolgerung, dass Neugeborene zwar gesund sind, aber aufgrund von chromosomalen Abweichungen, beispielsweise Deletionen, später in der Kindheit an einer ALL erkranken.
Allerdings konnten auch leukämische chromosomale Veränderungen in Neugeborenenblut festgestellt werden, ohne dass diese Kinder später eine Leukämie entwickelten. Dieses
führt Greaves zu der Annahme, dass es ein
zweistufiges Entstehungsmodell der kindlichen
ALL geben müsse. Die ersten genetischen Veränderungen finden demnach im Uterus statt
und zwar bis zu 100-mal häufiger als Kinder
dann später an Leukämie erkranken. Die zweite genetische Veränderung, die notwendig ist,
damit die Krankheit zum Ausbruch kommt,
vollzieht sich also erst in der Kindheit. Dennoch
bleibt die Mehrheit der Kinder mit einem Gendefekt gesund. Die Daten zeigen also keine li-
neare Sequenz der Mutationen, sondern eher
eine verzweigte genetische Struktur, ähnlich
dem 1837 von Darwin beschriebenen evolutionären Verzweigungsdiagramm. Dieses genetische Wissen ist wichtig für zukünftige Therapiemöglichkeiten, z. B. der Stammzelltherapie,
schlussfolgerte Greaves.
CML – TyrosinkinaseInhibitoren im Vergleich
Um die steigende Zahl der zielgerichteten Therapeutika optimal einzusetzen, werden Biomarker zur Typisierung nicht nur der tumorspezifischen molekularen Veränderungen immer
wichtiger. Auch die Patienten müssen ebenso
gut charakterisiert sein, nicht zuletzt, um ihnen
nutzlose Behandlungen zu ersparen. Für den
Tyrosinkinaseinhibitor (TKI) Imatinib (Glivec®)
liegen inzwischen umfangreiche Daten molekulargezielter Therapien bei der chronisch myeloischen Leukämie (CML) vor. In Studien konnte für Imatinib eine hohe molekulare Remissionsrate bei guter Lebensqualität belegt werden (4).
Für den TKI Nilotinib (Tasigna®) wurden erste Ergebnisse der ENESTnd-Studie (evaluating
nilotinib efficacy and safety in clinical trails of
newly diagnosed Ph+ CML patients) vorgestellt. Darin werden die Wirksamkeit auf molekularer Ebene (MMR) und die Sicherheit von
Nilotinib versus Imatinib bei Patienten mit neu
diagnostizierter Philadelphia-Chromosom-positiver CML (Ph+ CML) in der chronischen Phase untersucht. Verglichen wurden in der offenen, randomisierten multizentrischen PhaseIII-Studie mit 846 Patienten die Wirksamkeit
(MMR) nach zwölf Monaten und Sicherheit unter Nilotinib 600 mg/d bzw. 800 mg/d vs. Imatinib 400 mg/d. Der primäre Endpunkt war die
MMR nach zwölf Monaten, sekundäre Endpunkte waren die zytogenetische Remission
(CCyR) nach zwölf Monaten, das ereignisfreie
Überleben (PFS) und das Gesamtüberleben
(OS).
Die Auswertungen dieses ersten direkten
Vergleiches der beiden oralen TKI zeigen eine
signifikante Überlegenheit von Nilotinib gegenüber Imatinib in allen Wirksamkeitsparametern: MMR 44 % bei 300 mg/d bzw.
43 % bei 400 mg Nilotinib vs. 22 % bei
400 mg/d Imatinib (p < 0,0001). Die CCyR nach
zwölf Monaten war sowohl für 300 mg als
auch für 400 mg Nilotinib im Vergleich zu
400 mg Imatinib signifikant höher (80 vs. 65 %;
p < 0,0001) (5). Nach zwölf Monaten zeigten
signifikant weniger Patienten unter zweimal
Das Ernest N. Morial
Convention Center
New Orleans war
Austragungsort der
51. Jahrestagung der
American Society of
Hematology im Dezember 2009 (Foto:
Dr. Anja Borchers,
Stuttgart).
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Kongressnachlese
18
täglich 300 mg Nilotinib eine Krankheitsprogression als Patienten, die einmal täglich
400 mg Imatinib erhalten hatten (2 vs. 11 Patienten).
Die Therapie mit Nilotinib wurde gut vertragen. Im Nilotinib-Arm brachen weniger Patienten die Studie aufgrund von unerwünschten
Nebenwirkungen ab als im Imatinib-Arm (Nilotinib 300 mg/d: 7 %; Nilotinib 400 mg/d: 11 %;
400 mg/d Imatinib: 9 %).
Diese auffallenden Responderraten in der
Nilotinibtherapie zusammen mit einem sehr
geringen Fortschreiten der Krankheit zeigen
deutlich, dass Patienten mit einer First-Line-Induktionstherapie mit Nilotinib ein verlängertes
progressionsfreies Überleben haben, sagte
Prof. Guiseppe Saglio, Turin/Italien. Bei einem
suboptimalen Ansprechen der Imatinib-Therapie sollte nach aktuellen ELN-Guidelines (European LeukemiaNet) eine Erhöhung der Imati-
nib-Dosis oder die Therapie mit einem Zweitlinienpräparat wie Nilotinib vorgesehen werden. Bei Imatinib-Resistenz oder -unverträglichkeit sollte eine sofortige Umstellung auf eine Zweitlinientherapie erfolgen (6).
Auf dem ASH-Kongress wurden hierzu einige Subgruppenauswertungen der ENACTStudie (Expanding nilotinib access in clinical
trials) vorgestellt (7). Von den insgesamt 1 422
ENACT-Patienten waren 32 % älter als 60 Jahre. Die Patientenpopulation war länger und intensiver vorbehandelt, erhielt aber seltener eine Hochdosistherapie mit Imatinib (< 60 Jahre:
34 %; > 60 Jahre 26 %) und erreichten seltener
eine zytogenetische Response. Trotzdem
sprach diese Subgruppe ebenso gut auf Nilotinib an wie jüngere Patienten (CHR: 39 %;
MCyR: 41 %, CCyR: 31 %).
Dr. Anja Borchers, Stuttgart
Nicht vorbehandeltes multiples Myelom
VMP-Schema mit Überlebensvorteil
gegenüber MP
Die Dreijahres-Daten der VISTA-Studie bestätigen den Anspruch dieses Schemas als eine First-Line-Therapie bei dieser Patientenkohorte. Teilnehmer waren 682 unvorbehandelte, nicht für eine Stammzelltransplantation geeignete Patienten mit einem
medianen Alter von 71 Jahren. Nach einem Follow-up von 36,7 Monaten lebten mit
68,5 vs. 54,0 % deutlich mehr mit dem VMP-Schema (Bortezomib/Melphalan/Prednison) behandelte Patienten als im Vergleichsarm mit dem MP-Schema (Melphalan/Prednison) (HR 0,653, p = 0,0008).
Das um 35 % signifikant geringere Sterberisiko
(HR 0,653, p = 0,0008) für die Patienten im
VMP-Arm versus MP ist umso erstaunlicher als
50 % der Patienten des MP-Arms im weiteren
Verlauf Bortezomib erhalten hatten. Das mediane Gesamtüberleben war zu diesem Zeitpunkt lediglich im MP-Arm erreicht (43,1 Monate), wobei Patienten in diesem Arm zu 50 %
im weiteren Erkrankungsverlauf Bortezomib
erhalten hatten (1).
Darüber hinaus benötigten während der
Nachbeobachtungszeit auch weniger Erkrankte des VMP-Arms eine nachfolgende Therapie
als unter MP (52 vs. 69 %). Das behandlungsfreie Intervall lag dementsprechend bei 17,6 vs.
8,4 Monaten (p < 0,0001), die mediane Zeit bis
zur nachfolgenden Therapie betrug 28,1 vs.
19,2 Monate (p < 0,0001).
Die Daten weisen auch darauf hin, dass die Patienten von einer erneuten Behandlung mit Bortezomib nach einer VMP-Therapie profitierten. Insgesamt 24 % der Patienten im VMP-Arms wurden
im Anschluss an die Studie erneut mit Bortezomib
behandelt. Dabei wurde ein Ansprechen von 47 %
mit 6 % kompletten Remissionen erreicht.
Literatur
1. Greaves M. Vortag auf der 51. Jahrestagung der
ASH, 5. Dezember 2009, New Orleans/USA.
2. Cazzaniga G et al. 51. Jahrestagung der ASH, 5.–8.
Dezember 2009, New Orleans/USA; Abstract 87.
3. van Delft FW et al. 51. Jahrestagung der ASH, 5.–8.
Dezember 2009, New Orleans/USA; Abstract LBA
5.
4. Larson RA et al. Blood 2008; 111: 4022–4028.
5. Saglio G et al. 51. Jahrestagung der ASH, 5.–8. Dezember 2009, New Orleans/USA; Abstract LBA 1.
6. Baccarani M et al. J Clin Oncol 2009; E-pub ahead
of print.
7. Le Coutre PD et al. 51. Jahrestagung der ASH, 7. Dezember 2009, New Orleans/USA; Poster 3286.
Quelle: Vorträge und Media Briefing „Building on a
decade of progress: Advances in treating and measuring success in Philadelphia chromosome-positive
chronic myeloid leukemia” im Rahmen der 51. Jahresdung der ASH am 7. Dezember 2009, New Orleans/
USA; Veranstalter: Novartis Pharma GmbH, Nürnberg
Dreijahresüberleben der Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion (Kreatininclearance
< 60 ml/min, 63,1 %) gegenüber dem von Patienten mit intakter Nierenfunktion (Kreatininclearance ≥ 60 ml/min, 74,5 %, p = 0,238).
Gleiches galt für Patienten ohne oder mit
hohem zytogenetischem Risiko (71,6 vs.
56,1 %, p = 0,399). Lediglich bei einem Vergleich der älteren Patienten ≥ 75 Jahre fiel das
Dreijahresüberleben signifikant geringer als
bei jüngeren Patienten unter 75 Jahren aus
(55,5 vs. 74,1 %, p = 0,011). Dies lässt sich jedoch auf das Alter als unabhängigem Risikofaktor für ein kürzeres Überleben zurückführen.
In Hinblick auf das Verträglichkeitsprofil
zeigten sich im Rahmen der längeren Nachbeobachtung keine Unterschiede zu den initial
in der VISTA-Studie beobachteten Nebenwirkungen. Diese waren unter VMP beherrschbar
und entsprachen den Erwartungen (1, 2, 3).
Dr. Alexander Kretzschmar, München
Literatur
Keine Nachteile bei
schlechter Nierenfunktion
Eine Auswertung innerhalb des VMP-Arms
zeigte keine signifikanten Unterschiede beim
1. Mateos MV et al. 51. Jahrestagung der American Society of Hematology (ASH) vom 5. bis 8. Dezember
2009, New Orleans/USA; Abstract 3859.
2. San Miguel JF et al. Blood 2008; 112: Abstract 650.
3. San Miguel JF et al. N Engl J Med 2008; 359:
906–917.
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19
„Advance Care Planning“ – Konzept für das Lebensende
Vorausschauender Versorgungsplan
statt Patientenverfügung?
Die Mehrheit der Bürger hat erhebliche Vorbehalte gegen eine Patientenverfügung. Zu
erklären ist das unter anderem damit, dass man nicht vorhersehen kann, welche Lebensperspektiven sich auch in einer schweren, lebensbedrohlichen Krankheit noch
bieten. Daher ist es sinnvoll, sich über Alternativen zur Patientenverfügung Gedanken
zu machen. Bei dem amerikanischen Konzept „Advance Care Planning“ (ACP) handelt
es sich nicht um ein Formular, sondern um eine Strategie im Sinne eines vorausschauenden Versorgungsplans.
Das ACP-Konzept antizipiert die Verschlechterungen des Zustandes, die unter medizinischen
Gesichtspunkten absehbar sind. ACP kommt
zum Einsatz, wenn die Krankheit fortgeschritten und als zum Tode führend eingeschätzt
wird. Das Therapieziel besteht dann in der Leidensminderung, eine Übertherapie wird ausgeschlossen. Wichtig ist das Gespräch mit Arzt,
Patienten und Angehörigen. Es sollte eine Übereinstimmung aller Beteiligten über die Maßnahmen, beispielsweise bei einer lebensbedrohlichen Komplikation erzielt werden.
Weiterhin sollte immer ein Testament geschrie-
ben sein und ein Pflegebevollmächtigter ernannt werden.
Prof. Fausto Loberitza jr., Omaha/USA,
stellte eine Beobachtungsstudie mit 293 Patienten vor, die aufgrund von hämatologischen Tumoren eine Stammzellentherapie erhalten hatten (HEMA-COMM-Studie). Nur 50 % dieser Patienten hatten zur Zeit der Transplantation ein
ACP. Diese Untersuchung sollte klären, ob ein
ACP ein Indikator für eine bessere Behandlungsbzw. Lebensqualität sein kann, oder ob der Patient durch die Konfrontation mit dem Gespräch
über den Tod noch mehr gestresst wird.
Konsolidierungstherapie beim follikulären Lymphom
Mehr Komplettremissionen und
weniger Toxizität bei verkürzter
Induktionstherapie
Eine auf der Jahrestagung der American Society of Hematology (ASH) im Dezember
2009 vorgestellte Studie bestätigt die hohe Aktivität von 90Yttrium-Ibritumomab-Tiuxetan (Zevalin®) beim follikulären Lymphom: Die First-Line-Konsolidierungstherapie
mit Yttrium-Ibritumomab-Tiuxetan ermöglicht eine Verkürzung der initialen Chemotherapie von sechs auf vier Zyklen und damit eine deutliche Reduktion der Hämatotoxizität. Gleichzeitig verbessert die Radioimmuntherapie die Effektivität der Induktionsbehandlung, sodass bei Therapieende 94 % der Patienten eine komplette Remission (CR) erreicht hatten.
Eine 2008 vorgestellte Phase-II-Studie bei nicht
vorbehandelten Patienten mit follikulärem
Lymphom wies darauf hin, dass 95 % der Behandelten nach einer Radioimmuntherapie mit
Yttrium-Ibritumomab-Tiuxetan im Anschluss
an eine Chemotherapie mit Fludarabin/Mitoxantron (FM) eine komplette Remission (CR) erreichten. Das Gesamtüberleben nach dreijähri-
Die Ergebnisse zeigen, dass Patienten mit
ACP älter waren als Patienten ohne (56 vs. 52
Jahre), ein höheres Einkommen, eine schwerere Form der Leukämie mit schlechteren Heilungschancen und bereits eine Therapie erhalten hatten. Es gab keine Unterschiede in der Lebensqualität, dem Auftreten einer Depression
oder Angst. Patienten mit oder ohne ACP unterschieden sich allerdings in der Bewältigung der
Probleme: Patienten mit ACP suchten häufiger
Unterstützung, sprachen mehr über ihre Gefühle (gefühlfokussierte Bewältigung), versuchten
Probleme aktiv zu lösen (problemfokussierte
Bewältigung) und hatten eine positivere Einstellung gegenüber dem weiteren Krankheitsverlauf.
Ein ACP gibt dem Patienten die Möglichkeit
eines realistischen Blickes auf die Krankheit
und sich kritisch mit ihr auseinanderzusetzen,
schlussfolgerte Loberitza. Deshalb sollte der
Arzt bei Patienten mit einer lebensgefährlichen
Erkrankung die Möglichkeit eines ACP besonders betonen und vorantreiben.
Dr. Anja Borchers, Stuttgart
Quelle: Loberitza FR jr. et al. 51. Jahrestagung der
American Society of Hematology (ASH), 5.–8. Dezember 2009, New Orleans/USA; Abstract 72
gem Follow-up betrug 100 %, 76 % davon progressionsfrei. Aufgrund dieser Daten wurde eine weitere multizentrische Phase-II-Studie bei
nicht vorbehandelten Patienten initiiert, in der
Yttrium-Ibritumomab-Tiuxetan im Anschluss
an eine auf vier Zyklen verkürzte Induktionstherapie mit Rituximab plus FM (RFM) verabreicht wurde, berichtete Dr. Pier Luigi Zinzani, Bologna/Italien. Ziel war die Entwicklung
eines neuen Therapieansatzes, in der die Exposition der Patienten gegenüber einer konventionellen Chemotherapie verringert und damit
auch die Toxizität reduziert wird.
Insgesamt beendeten 52 der 55 nicht vorbehandelten Patienten mit follikulärem NonHodgkin-Lymphom (Stadien II–IV) die Induktionstherapie mit RFM. Davon sprachen 37 Patienten (71 %) auf die Therapie an, die CR-Rate
betrug 75 %, 14 Patienten (27 %) erreichten eine partielle Remission (PR). 50 Patienten erhielten danach eine Yttrium-Ibritumomab-Tiuxetan-Infusion, womit die Qualität des Ansprechens erheblich verbessert werden konnte: Elf
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der partiellen Responder kamen nach Einmalgabe des Antikörpers in eine CR, sodass die CRRate auf 94 % anstieg. Nach einem im Mittel
19-monatigem Follow-up befinden sich 84 %
der Patienten weiterhin in CR. Bei vergleichbarer Effektivität wurde durch die Verkürzung der
initialen Chemotherapie auf nur vier Zyklen ei-
ne Reduktion der Hämatotoxizität um rund
30 % erreicht, so Zinzani. Auch erholte sich die
Knochenmarkfunktion bei allen Patienten innerhalb von vier Wochen nach der Radioimmuntherapie wieder vollständig.
Dr. Alexander Kretzschmar, München
Fortschritte beim multiplen Myelom
Neue Therapieoptionen für ältere
und stark vorbehandelte Patienten
Molekularbiologischen Analysen zeigen, dass das multiple Myelom (MM) ein Spektrum an Erkrankungen aufgrund vieler genetischer Veränderungen darstellt. Deshalb
wird davon ausgegangen, dass zukünftig für die zugrunde liegenden Defekte spezifische und individualisierte Therapien angeboten werden können. In der Therapie wurden in den letzten Jahren mithilfe von neuen Wirkstoffen wie dem Proteaseinhibitor
Bortezomib und den Immunmodulatoren Lenalidomid und Thalidomid weitere Fortschritte erzielt. In einer Reihe von Studien wird geklärt, welche der neuen Wirkstoffe
am besten mit den etablierten Therapien wie Melphalan und Kortikosteroiden wirken.
In der placebokontrollierten, doppelblinden
Phase-III-Studie MM-015 wurde die Wirksamkeit und Verträglichkeit der Kombination von
Lenalidomid, Melphalan und Prednisolon
(MPR) bei Myelom-Patienten im Alter von 65
Jahren oder darüber mit der des Standardregimes Melphalan/Prednisolon (MP) verglichen (1). Die 459 Patienten wurden in drei Studienarme randomisiert und erhielten jeweils
entweder neun Zyklen MP gefolgt von Placebo
(n = 154), neun Zyklen MPR gefolgt von Placebo (n = 153) oder neun Zyklen MPR gefolgt von
Quelle: Zinzani PL et al. A phase II trial of RFM (Rituximab, Fludarabine and Mitoxantrone) chemotherapy
followed by Yttrium 90 (90Y) Ibritumomab Tiuxetan
(90Y-IT) for untreated follicular lymphoma (FL) patients. Poster Session Lymphoma: Therapy with Biological Agents, excluding Pre-Clinical Models“ am 7. Dezember 2009; Abstract 3743
einer Erhaltungstherapie mit 25 mg Lenalidomid an den Tagen 1 bis 21 (MPR-R, n = 152).
Nach einer medianen Nachbeobachtungszeit von 9,4 Monaten wurden die von einem unabhängigen Bewertungskomitee überprüften
Daten einer ersten Interimsanalyse zugeführt.
Im primären Endpunkt, dem progressionsfreien
Überleben (PFS), ergab sich dabei eine statistisch und klinisch signifikante Überlegenheit für
das MPR-R-Regime gegenüber dem MP-Arm.
Während unter MPR-R das mediane PFS auch
nach deutlich mehr als 20 Monaten noch nicht
Für über 20 000 interessierte Ärzte und
Wissenschaftler aus
aller Welt öffneten
sich die Türen des
Kongresszentrums
am 5. Dezember
2009 (Foto: Dr. Anja
Borchers, Stuttgart).
erreicht worden war, betrug es unter MP 13 Monate (Hazard Ratio 0,499, p < 0,001). Mit MPR-R
behandelte Patienten hatten im Vergleich zum
MP-Regime ein um 50 % geringeres Risiko für
Krankheitsprogression oder Tod. Auch im Hinblick auf das Gesamtansprechen war der MPRR-Arm signifikant überlegen (77 vs. 49 %,
p < 0,001). Trotz eines relativ hohen Anteils an
Patienten mit schlechter Prognose betrug das
Einjahres-Überleben unter MPR-R 92 %, eines
der bisher besten Ergebnisse einer neuen Therapieform im Vergleich mit dem MP-Regime.
Auch im Vergleich zum MPR-Arm erwies
sich das MPR-R-Regime als überlegen. Gegenüber der Gabe von Placebo nach dem neunten
Zyklus reduzierte die weitere Behandlung mit
Lenalidomid das Risiko für Krankheitsprogression oder Tod um 75 %. MPR-R erwies sich bei
dieser älteren Patientengruppe als gut verträglich und könnte nach Meinung der Autoren hier
zu einer neuen Standardtherapie werden.
Auch stark vorbehandelte
Patienten profitieren
In Kombination mit Dexamethason ist Lenalidomid bereits zur Behandlung des rezidivierenden/refraktären MM zugelassen. Dimopoulos
und Kollegen stellten hierzu erste Ergebnisse
einer laufenden Studie mit stark vorbehandelten Patienten, teilweise auch mit eingeschränkter Nierenfunktion, vor (2). Die Studienteilnehmer litten an einer peripheren Neuropathie
(Grad 2 oder höher) oder sprachen nicht mehr
auf Thalidomid, Bortezomib oder Dexamethason an. Sie erhalten in Abhängigkeit von der
Kreatinin-Clearance (CrCl) Lenalidomid an den
Tagen 1 bis 21 eines 28-Tageszyklus (CrCl
> 50 ml/min: 25 mg; CrCl 30–50 ml/min:
10 mg), bzw. 15 mg Lenalidomid jeden zweiten
Tag bei einer CrCl von 15–30 ml/min oder
15 mg dreimal pro Woche am Tag nach der Dialyse. Dexamethason wird während der ersten
vier Zyklen in einer Dosierung von 40 mg an
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den Tagen 1 bis 4 und 15 bis 18 verabreicht, danach nur noch an den Tagen 1 bis 4.
Ausgewertet wurden bisher 46 Patienten mit
median drei Vortherapien, von denen 68 % nicht
mehr auf Thalidomid, 56 % nicht mehr auf Bortezomib und 61 % nicht mehr auf Dexamethason ansprachen. 36 Patienten begannen mit der normalen Lenalidomid-Dosierung, zehn Patienten benötigten eine Dosisanpassung wegen gestörter Nierenfunktion. Bei 46 % der Patienten war im Laufe
der Behandlung eine Reduktion der LenalidomidDosis notwendig. Während 17 % der Patienten eine Komplettremission erreichten, zeigten 5 % eine
sehr gute partielle Remission, 38 % eine partielle
Remission und 22 % eine stabile Erkrankung. Eine
partielle Remission oder ein besseres Ansprechen
erreichten 43 % der Patienten, die auf Thalidomid,
bzw. 76 % der Teilnehmer, die auf Bortezomib nicht
mehr ansprachen. Von den Patienten mit renaler Insuffizienz erzielten 60 % ebenfalls mindestens eine
partielle Remission, im Vergleich zu 58 % der Teilnehmer mit normaler Nierenfunktion. Insgesamt
betrug die mediane Zeit bis zur Krankheitsprogression neun Monate, bei einem medianen Gesamtüberleben von 16 Monaten. Bei zwei der zehn Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion (CrCl
Therapeutische Deeskalation beim frühen HodgkinLymphom
Neuer Therapiestandard gefunden
Angesichts der guten Prognose von Patienten mit einem Hodgkin-Lymphom im Frühstadium beschäftigen sich einige Studien mit Deeskalationsstrategien zur Minimierung der behandlungsassoziierten Toxizität. Die Deutsche Hodgkin-Studiengruppe untersuchte in der randomisierten Studie HD 10 mehrere Kombinationsregime (1).
In der aufwendigen Studie wurden insgesamt
1 370 Patienten in vier Arme randomisiert
● 4 x ABVD (Doxorubicin, Bleomycin, Vinblastin und Dacarbazin) + 30 Gy,
● 4 x ABVD + 20 Gy,
● 2 x ABVD + 30 Gy und
● 2 x ABVD + 20 Gy.
Zwischen den Gruppen gab es keine Unterschiede hinsichtlich Alter, Geschlecht, Stadium, Histologie, Allgemeinzustand und Risikofaktoren.
Die Auswertung ergab in den vier Armen
nach einem medianen Follow-up von 79–91
Monaten eine Remissionsrate von 97–99 %. Bei
der Wirksamkeit war die Anzahl der Chemotherapie-Zyklen unerheblich. Es wurde weder beim
5-Jahres-Gesamtüberleben (4 x ABVD: 97,1 %;
2 x ABVD: 96,6 %), dem progressionsfreien
Überleben (4 x ABVD: 91,2 %; 2 x ABVD: 92,9 %)
noch der Freiheit eines Therapieversagens
(4 x ABVD: 93,0 %; 2 x ABVD: 91,1 %) ein klinisch
relevanter Unterschied beobachtet.
Auch die Strahlendosis – 30 oder 20 Gy –
beeinflusst das Therapieergebnis nicht: 5-Jahres-Gesamtüberleben (4 x ABVD: 97,6 %;
2 x ABVD: 97,5 %), progressionsfreies Über-
Neue Substanzen beim rezidivierten MM
Zu den Hoffnungsträgern zählt der ProteasomInhibitor der zweiten Generation Carfilzomib.
Das Wirkprofil der Substanz zeichnet sich offenbar durch weniger unerwünschte Effekte
aus, die über andere Mechanismen vermittelt
werden als die (erwünschte) Proteasom-Inhibition. Dies könnte eine Erklärung für seine geringe Rate an limitierenden Neuropathien und
Myelosuppression sein. Vorgestellt wurden ers-
te Ergebnisse der PX-171-004 Phase-II-Studie
mit 57 Patienten mit einem rezidivierten oder refraktären multiplen Myelom (MM). Diese Patienten hatten bereits bis zu drei Therapien erhalten,
nicht jedoch Bortezomid. 37 % der Teilnehmer
klagten über Neuropathien und 21 % litten unter einer eingeschränkten Nierenfunktion. Von
51 ausgewerteten Patienten wurden 45 % als
Gesamtresponder gewertet. Bei 20 % der Pa-
< 50 ml/min) konnte die CrCl auf > 60 ml/min normalisiert und bei zwei weiteren (CrCl 15–29 ml/
min) auf 30–59 ml/min verbessert werden.
Dr. Anja Borchers, Stuttgart
Dr. Alexander Kretzschmar, München
Literatur
1. Palumbo A et al. 51. Jahrestagung der American Society of Hematology (ASH) vom 5. bis 8. Dezember
2009, New Orleans; Abstract 613.
2. Dimopoulos et al. 51. Jahrestagung der American
Society of Hematology (ASH) vom 5. bis 8. Dezember 2009, New Orleans; Abstract 3871.
leben (4 x ABVD: 93,7 %; 2 x ABVD: 93,2 %) und
Freiheit eines Therapieversagens (4 x ABVD:
93,4 %; 2 x ABVD: 2,9 %).
Im Gegensatz dazu verzeichneten die beiden Arme mit nur 2 ABVD-Zyklen eine signifikant niedrigere Grad 3/4-Toxizität (33 vs. 52 %,
darunter eine signifikant niedrigere Rate an
Leukopenien (15 vs. 24 %) und Haarausfall (15
vs. 28 %). Desgleichen war auch die niedrigere
Strahlendosis deutlich besser verträglich. Unter
einer Dosis von 20 Gy wurden im Vergleich zu
30 Gy weniger Ereignisse (2,9 vs. 8,7 %) sowie
weniger Fälle einer Mukositis (0,7 vs. 3,4 %)
und einer Dysphagie (2 vs. 3 %) beobachtet.
Die Deutsche Hodgkin-Studiengruppe sieht
nach diesen Ergebnissen das Regime 2 x ABVD,
gefolgt von einer Radiatio mit 20 Gy als den
neuen Standard in der Therapie des HodgkinLymphoms im Frühstadium.
Dr. Alexander Kretzschmar, München
Quelle: Engert A et al. 51. Jahrestagung der American
Society of Hematology (ASH) vom 5. bis 8. Dezember
2009, New Orleans/USA; Abstract 716
tienten blieb die Krankheit über mindestens
sechs Wochen unverändert. Die häufigsten Nebenwirkungen waren Müdigkeit, Übelkeit und
Anämie. Nur noch 12 % klagten über Neuropathien. Bei den Patienten mit eingeschränkter
Nierenfunktion musste die Dosis nicht verringert werden.
Quelle: Wang L et al. 51. Jahrestagung der American
Society of Hematology (ASH) vom 5. bis 8. Dezember
2009, New Orleans/USA; Abstract 302
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22
Diffus großzelliges B-Zell-Lymphom
R-CEOP statt R-CHOP bei Patienten
mit kardialer Vorschädigung
Viele Patienten mit einem diffus großzellige B-Zell-Lymphom (DLBCL) haben komorbide Erkrankungen wie etwa kardiovaskuläre Vorschädigungen, welche die Therapiewahl einschränken. Dies gilt beispielsweise für Doxorubicin-basierte Chemotherapien
wie R-CHOP. In der kanadischen Provinz British Columbia gilt für diese Fälle die Empfehlung, Doxorubicin durch Etoposid (R-CEOP) zu ersetzen. Die Ergebnisse einer Vergleichsstudie unterstützen diese Empfehlung.
In der vorliegenden Studie von Moccia und Kollegen erhielten die 81 Studienteilnehmer (68 %
Männer, ∅ 73 Jahre, 82 % in fortgeschrittenen
Zustand) in jedem Zyklus das R-CEOP-Regime
mit 50 mg/m2 i. v. an Tag 1 sowie 100 mg2 oral
an den Tagen 2 und 3. Insgesamt wurden je
nach Allgemeinzustand der Patienten und
DLBCL-Progressionsgrad bis zu sechs Zyklen
verabreicht.
Die Vergleichsgruppe war eine gematchte
Kohorte von 162 Patienten, die nach dem
R-CHOP-Regime behandelt wurde. Primäre
Studienendpunkte waren der Zeitraum bis zur
Progression (TTP) und das Gesamtüberleben
Indolente und Mantelzell-Lymphome
B-R schlägt CHOP-R um Längen
bei Lymphomen
Bei unvorbehandelten follikulären, indolenten und Mantelzell-Lymphomen ist die
Kombination Bendamustin-Rituximab (B-R) als First-Line-Therapie signifikant effektiver und dabei besser verträglich als das konventionelle CHOP-R-Schema. Die von
Priv.-Doz. Dr. Mathias Rummel, Gießen, vorgestellten finalen Ergebnisse zeigen ein
um 20,1 Monate längeres medianes progressionsfreies Überleben unter B-R (54,9 Monate; R-CHOP: 34,8 Monate; p = 0,00012) und eine signifikant höhere Komplettremissionsrate (B-R: 39,6 %; R-CHOP: 30,0 %, p = 0,0262).
In der randomisierten Phase-III-Studie erhielten 549 nicht vorbehandelte Patienten mit follikulären Lymphomen Grad 1 und 2, Waldenström-Lymphomen, mit CLL ohne leukämische
Phase, nodulären und generalisierten Marginalzonen-Lymphomen sowie Mantelzell-Lymphomen über maximal sechs Zyklen entweder
Rituximab (375 mg/m²) an Tag 1 plus Bendamustin (90 mg/m²) an Tag 1 und 2 (B-R) alle 28
Tage oder Standard-CHOP plus 375 mg/m² Rituximab alle 21 Tage. Primäres Studienziel war
die Nichtunterlegenheit von B-R als First-LineRegime gegenüber CHOP-R beim progressionsfreien Überleben (PFS) nach drei Jahren.
(OS). Die 5-Jahres-TTP unterschied sich in beiden Gruppen nicht signifikant (R-CEOP: 57 %;
R-CHOP: 62 %; p = 0,21). Das 5-Jahres-OS war
unter dem R-CEOP-Regime mit 49 % signifikant geringer als unter R-CHOP (64 %;
p = 0,02). Dieser Unterschied resultiert nach
Ansicht der Autoren aus der höheren Komorbidität und Gebrechlichkeit der R-CEOP-Gruppe.
Für R-CEOP als Alternative bei kardialer Vorbelastung oder R-CHOP-Intoleranz spricht
auch eine Subgruppenanalyse in der R-CHOPGruppe. Dort unterschieden sich die TTP und OS
nach fünf Jahren bei denjenigen Patienten, die
nur einen Teil der Zeit mit dem Anthrazyklin behandelt wurden und den Patienten ohne Anthrazyklin-Therapie nicht signifikant (TTP:
p = 0,49; OS: p = 0,77).
Dr. Alexander Kretzschmar, München
Quelle: Moccia AA et al. 51. Jahrestagung der American Society of Hematology (ASH) vom 5. bis 8. Dezember 2009, New Orleans/USA; Abstract 408
Die Gesamtansprechraten waren mit
92,7 % unter B-R und 91,3 % unter CHOP-R
vergleichbar, jedoch war die Rate an kompletten Remissionen (CR) von 39,6 % unter B-R signifikant höher als unter CHOP-R mit 30,0 %
(p = 0,0262). Auch die Zeit bis zur nächsten Behandlung (Time To Next Treatment, TTNT) ist
unter B-R signifikant länger (p = 0,000022).
Das bessere progressionsfreie Überleben
von B-R gegenüber CHOP-R galt auch für alle
Subgruppen, darunter Patienten mit Mantelzell-Lymphomen. Hier war nach einer Nachbeobachtungszeit von 34 Monaten das mediane PFS mit 32,5 Monaten unter B-R signifikant
höher als unter CHOP-R mit 22,3 Monaten
(p = 0,0146). Etwas unerwartet setzte sich B-R
auch bei Patienten mit erhöhten LDH-Werte
> 240 U/l durch.
Dr. Alexander Kretzschmar, München
Quelle: Rummel MJ et al. 51. Jahrestagung der American Society of Hematology (ASH) vom 5. bis 8. Dezember 2009, New Orleans/USA; Abstract 405
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Forum
Hämatologie
23
Erweiterte Therapieoptionen beim Mantelzell-Lymphom
Intravenöse mTOR-Inhibition auch
in der Hämatologie erfolgreich
Beim Mantelzell-Lymphom (MCL) waren die Therapieoptionen bei rezidivierten und refraktären Patienten bisher sehr limitiert. Die Zulassung molekularer Therapien wie
Temsirolimus (Torisel®) beim MCL ist umso wichtiger, da hier die Prognose unter den
Lymphomen am schlechtesten ist, meinte Prof. Martin Dreyling, München. Zudem betrifft das MCL meist ältere Patienten, für die intensive Chemotherapien nicht mehr infrage kommen.
Temsirolimus wurde zunächst in Phase-II-Studien bei teils vielfach vorbehandelten MCL-Patienten untersucht. „Die Effektivität der Substanz als Monotherapie in diesem Kollektiv
entsprach der von Standard-Chemotherapien“, so Dreyling. Aufgrund der Heterogenität
des MCL forderte er eine kontrollierte Phase-IIIStudie mit definierten Einschlusskriterien. Diese Studie wurde kürzlich im renommierten
Journal of Clincial Oncology publiziert (1). Sie
ist mit 162 Patienten die bisher größte PhaseIII-Studie beim MCL, so Priv-Doz. Dr. Georg
Hess, Mainz. Rekrutiert wurden intensiv vorbehandelte Patienten mit weit fortgeschrittener Erkrankung: Alle hatten 2–7 Therapien erhalten; obligat waren Anthrazykline, Rituximab
und Alkylanzien.
Die dreiarmige Studie verglich Temsirolimus
in zwei Dosierungen mit einer vom jeweiligen
Zentrum gewählten Monochemotherapie,
meist Gemcitabin oder Fludarabin (Investigator’s choice). Temsirolimus wurde in einer Initialdosis von 175 mg/w über drei Wochen und
danach in Dosierungen von 75 mg oder
25 mg/w bis zum Progress oder bis zum Auftreten einer inakzeptablen Toxizität verabreicht.
Progress um drei Monate
verzögert
Die höher dosierte Temsirolimus-Therapie war
der konventionellen Chemotherapie signifikant
überlegen: Die Rate objektiver Remissionen be-
trug unter der Chemotherapie 2 %, unter höher
dosiertem Temsirolimus 22 %, darunter war ein
Patient mit einer kompletten Remission. Die
Ansprechdauer unter der hohen TemsirolimusDosis betrug median 7,1 Monate im Vergleich
zu 3,6 Monaten bei niedriger Dosis. Das progressionsfreie Überleben als primärer Endpunkt wurde von median 1,9 Monaten im Kontrollarm auf 4,8 Monate verlängert (씰Abb. 1).
Dieser Vorteil war unabhängig von Alter, Karnofsky-Status, Anzahl der Vortherapien und
MCL-Variante (2). Das Gesamtüberleben war
mit 13,6 Monaten gegenüber 9,7 Monaten im
Kontrollarm tendenziell verbessert.
Den Stellenwert von Temsirolimus im klinischen Alltag sieht Dreyling bei Patienten mit
rezidiviertem und/oder refraktärem Mantelzell-Lymphom.
Als Grundlage für die gute Wirksamkeit und
Sicherheit von Temsirolimus gilt die Pharmakokinetik: Durch die intravenöse Verabreichung
werden hohe Spitzenspiegel im Blutplasma erreicht, die nach der Applikation schnell wieder
abfallen, während mTOR und die nachgelagerten Signalwege weiterhin langfristig gehemmt
werden. Dadurch kann sich das Immunsystem
innerhalb von 24 Stunden wieder normalisieren. Eine langfristige Hemmung der zentralen
Immunzellen, wie sie eine tägliche orale Gabe
zur Folge hätte, kann so vermieden werden (3).
Dr. Katharina Arnheim, Freiburg
Literatur
Abb. 1
Progressionsfreies
Überleben unter
Temsirolimus (initial
175 mg über drei
Wochen, danach
75 mg oder
25 mg/w) vs. Monochemotherapie
Wahrscheinlichkeit des
progressionsfreien Überlebens (%)
100
1. Hess G et al. J Clin Oncol 2009; published ahead of
print on July 6; 10.1200/JCO.2008.20.7977.
2. Hess G et al. 14. Kongress der European Hematological Association (EHA) vom 4. bis 7. Juni 2009,
Berlin, Abstr. 0973.
3. Hidalgo M et al. Clin Cancer Res 2006; 12(19): 5755.
Temsirolimus 175/75 mg
Temsirolimus 175/25 mg
Monochemotherapie
75
50
25
0
p = 0,0009
0
5
10
15
Monate
20
25
Quelle: Pressegespräch „mTOR-Inhibition mit Torisel®:
Neues Wirkprinzip in der Therapie des fortgeschrittenen
Mantelzell-Lymphoms zugelassen“ anlässlich der
DGHO-Jahrestagung am 2. Oktober 2009, Mannheim;
Veranstalter: Wyeth Pharma GmbH, Münster
Dieser Beitrag entstand mit freundlicher Unterstützung der Wyeth Pharma GmbH, Münster
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Im Blickpunkt
Leukämie
24
Zweitlinientherapie der CML mit Dasatinib
100 mg Dasatinib einmal täglich als
optimales Therapieschema bestätigt
Eine mögliche Ursache für eine Resistenzentwicklung und damit ein Therapieversagen
bei der Chronischen Myeloischen Leukämie (CML) ist die mangelnde Compliance.
Gründe für eine unzureichende Therapietreue sind vor allem Nebenwirkungen, eine
hohe Anzahl an täglich einzunehmenden Tabletten und eine umständliche Integration
der Therapie in den Alltag der Patienten. Mit Dasatinib (Sprycel®) steht eine Zweitlinientherapie der CML zur Verfügung, die sich durch hohe Wirksamkeit, gute Verträglichkeit und eine patientenfreundliche, einmal tägliche Anwendung unabhängig von den
Mahlzeiten auszeichnet. Auf dem EHA-Kongress 2009 wurde dies erneut belegt: die
dort vorgestellten 36-Monats-Daten der Dosisoptimierungsstudie 034 bestätigen
nicht nur die gute Krankheitskontrolle mit Dasatinib nach Erstlinienversagen, sondern
auch die bessere Verträglichkeit von Dasatinib 100 mg bei gleicher Wirksamkeit vs.
Dasatinib 2 x 70 mg.
Frühes Erkennen
von Resistenzen durch
engmaschiges Monitoring
„Eine regelmäßige Kontrolle des Ansprechens
ist bei der CML verhältnismäßig einfach, denn
die Erkrankung kann heute zytogenetisch sehr
genau definiert werden“, erklärte Haferlach.
Dies ist insofern von hoher Bedeutung, als dass
mithilfe eines engmaschigen Monitorings ein
Verlust des Therapieansprechens schon frühzeitig nachgewiesen werden kann. „Eine
schnelle Anpassung oder Änderung der Therapie kann verhindern, dass Patienten aufgrund
einer nicht erkannten Resistenz in eine fortgeschrittene Phase übergehen“, führte Haferlach aus. Klare Vorgaben für das zur Erfolgskontrolle notwendige Monitoring sowie zur medikamentösen Therapie geben die Empfehlungen
des European LeukemiaNet (ELN) zum Therapiemanagement der CML.
Bei einer guten Krankheitskontrolle verläuft die CML vergleichsweise symptomarm.
% Patienten
„Die Noncompliance stellt einen in der Praxis
immer wieder unterschätzten Risikofaktor für
ein Therapieversagen dar“, erläuterte Dr.
Tilman Steinmetz, Köln. Der niedergelassene Onkologe weiß aus Erfahrung, dass viele
Patienten einerseits genau wissen wollen, wie
es um ihre Erkrankung steht, andererseits
aber auch dazu neigen, die Tabletten nur unregelmäßig einzunehmen, wenn sie sich gut
fühlen. „Wichtig ist es, unseren Patienten die
Bedeutung einer regelmäßigen Medikamenteneinnahme als Voraussetzung zum Erhalt
der Remission und zur Minimierung des Risikos einer Resistenzentwicklung klar zu machen“, bestätigte Prof. Torsten Haferlach,
München.
MCyR
CCyR
Abb. 1 In der START-R-Studie erhielten die Teilnehmer, die unter 400–600 mg/d Imatinib resistent oder intolerant waren, entweder Dasatinib
70 mg/bid oder Imatinib 800 mg/d. Die Rate an
kompletten zytogenetischen Remissionen (CCyR)
war unter Dasatinib signifikant höher als unter
hoch dosiertem Imatinib (p = 0,041).
Diese Chancen werden in der Praxis jedoch
nicht immer ausgenutzt, denn außerhalb von
Studien werden viele Patienten nicht ausreichend häufig überprüft. Die ELN-Empfehlungen sind zwar bekannt, werden aber gerade
bezüglich des Monitorings nur unzureichend
umgesetzt.
Einer europaweiten Umfrage von BristolMyers Squibb zufolge führten nur 52 % der
559 befragten Ärzte alle drei Monate eine molekulare Kontrolle, meist eine PCR durch, obwohl 92 % angaben, CML-Leitlinien und Empfehlungen zum Therapiemonitoring zu kennen. Als Grund dafür wurde häufig Scheu vor
den Kosten des regelmäßigen Monitorings angeführt (1). „Tatsächlich liegen die Kosten für
ein regelmäßiges Monitoring nur bei 5–10 %
der gesamten Therapiekosten (2)“, setzte Haferlach entgegen. „Das ist also kein Grund,
auf eine regelmäßige Verlaufskontrolle zu verzichten und ein Fortschreiten der Erkrankung
zu riskieren.“
Dasatinib in der Zweitlinie
etabliert
Ein Vergleich der deutschen CML-Studiengruppe zeigt, dass das 5-Jahres-Überleben bei
CML mit Imatinib, der ersten zielgerichteten
CML-Therapie, in den vergangenen 20 Jahren
deutlich erhöht werden konnte (3). Dennoch
ist der Einsatz von Imatinib nicht bei allen Patienten erfolgreich. In der IRIS-Studie hatten
nach sieben Jahren 40 % der Betroffenen die
Studienbehandlung mit Imatinib abgebrochen. Die beiden wichtigsten Begründungen
dafür waren unzureichende Wirkung bzw. Progress (15 %) und das Auftreten von Nebenwirkungen (5 %) (4).
Unter Therapie mit Imatinib ist die Gefahr
der Progression im zweiten Jahr am Größten,
danach sinkt das Risiko. „Patienten, die nicht
optimal auf die Erstlinientherapie ansprechen, brauchen alternative Therapieoptionen“, erläuterte Prof. Andreas Hochhaus, Jena. Hier hat sich Dasatinib in der Zweitlinientherapie als wichtige Behandlungsoption
etabliert. Aufgrund der sehr selten auftretenden Kreuztoleranz zwischen Dasatinib und
Imatinib profitieren auch Patienten von Dasatinib, die zuvor unter Imatinib eine Intoleranz
entwickelt hatten.
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Im Blickpunkt
Leukämie
25
●
●
●
●
Abb. 2 Remissionsraten unter Dasatinib 100 mg 1 x täglich bei CML-CP: 3-Jahres-Daten; CHR = komplette hämatologische Remission, MCyR = gute zytogenetische Remission, CCyR = komplette zytogenetische Remission, MMR = gute molekulare Remission
Dasatinib 50 mg/bid (n = 167)
Dasatinib 100 mg/qd (n = 165)
Dasatinib 70 mg/bid (n = 7) und
Dasatinib 140 mg/qd (n = 163).
Die Auswertung zeigte unter allen Dosierungen
ein insgesamt sehr schnelles Ansprechen. Eine
CCyR war dabei nach zwölf Monaten mit einem
verbesserten progressionsfreien Überleben
(PFS) nach 36 Monaten assoziiert.
„Auch in der Zweitlinie müssen wir mit einer effektiven Therapie schnell ein gutes Ansprechen erzielen, um die Erkrankung langfristig stabil zu halten“, kommentierte Hochhaus.
Bei den Remissionsraten sowie beim Gesamtüberleben (OS) war die Wirksamkeit zwischen
den verschiedenen Dosierungen vergleichbar
gut mit leichten Vorteilen beim OS für Dasatinib
100 mg/qd (씰Abb. 2 und 3).
Deutliche Vorteile konnten für Dasatinib
100 mg/qd bezüglich der Nebenwirkungen
festgestellt werden. Dies gilt insbesondere für
das Auftreten von arzneimittelbedingtem Pleuraerguss (alle Grade) und Zytopenien (Grad
3/4). Nach 36 Monaten resultierte dies in der
geringsten Inzidenz von Behandlungsunterbrechung (62 vs. 72–79 %), Dosisverringerung (39
vs. 46–62 %) und Therapieabbruch (48 vs.
53–60 %) (6), so Hochhaus. „Das Dosierungsschema wurde gut vertragen und stellt für mich
eine gute Behandlungsoption für Patienten
nach Imatinib-Versagen dar.“
Dr. Alexander Kretzschmar, München
Abb. 3 Gesamtüberleben (OS) unter Dasatinib 100 mg 1 x täglich bei CML-CP: 3-Jahres-Daten
Weitere Studien sind bei Patienten in der
Zweitlinientherapie durchgeführt worden, die
Dasatinib im Vergleich zur Hochdosis-Imatinib-Therapie untersuchen. Im Rahmen der
START-R-Studie erhielten die Teilnehmer, die
unter 400–600 mg/Tag Imatinib resistent
oder intolerant waren, drei Monate lang entweder Dasatinib 70 mg/bid (n = 101) oder
Imatinib 800 mg/qd (n = 49) (5). Die Dasatinib-Gruppe erzielte hier eine signifikant bessere komplette zytogenetische Remission
(CCyR) als die Patienten unter hoch dosiertem
Imatinib (p = 0,041) (씰Abb. 1). Experten
schließen daraus, dass eine frühe Umstellung
auf Dasatinib Vorteile bieten könnte.
Studie zeigt Vorteile
für 100 mg einmal täglichDasatinib
Auf dem EHA-Kongress 2009 wurden die
3-Jahres-Daten der Phase III-Dosisoptimierungsstudie CA180-034 und damit die längste
publizierte Untersuchungszeit eines Tyrosinkinaseinhibitors der 2. Generation in der Zweitlinie vorgestellt (6). Darin wurden vier Dosierungen von Dasatinib bei 662 CML-Patienten in
der chronischen Phase in der Zweitlinie nach
Imatinib-Versagen verglichen:
Literatur
1. TNS Healthcare. It’s best to Test Survey. Unterstützt
durch Bristol-Myers Squibb.
2. Baccarani M et al. J Clin Oncol 2009; 27: 6041–6051.
3. Palandri F et al. Haematologica 2009; 94(2): 205–212.
4. O’Brien S et al. Jahrestagung der American Society of
Hematology (ASH) 2008. 6.–9. Dezember 2008, San
Francisco/Kalifornien; Abstract 186.
5. Kantarjian H et al. Blood 2007; 109(12): 5143–5150.
6. Hochhaus A et al. EHA 2009. 7. Juni 2009 Berlin;
Abstract 1091.
Quelle: Pressekonferenz „3-Jahresdaten Sprycel®“ im
Rahmen der DGHO-Jahrestagung am 2. Oktober 2009,
Mannheim; Veranstalter: Bristol-Myers Squibb GmbH
& Co. KGaA, München
Dieser Beitrag entstand mit freundlicher Unterstützung der Firma Bristol-Myers Squibb GmbH & Co.
KGaA, München.
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Psychoonkologie
Psychosomatische Aspekte
der Beratung bei erblichem Brustund Ovarialkarzinom
Im Rahmen der genetischen Diagnostik
M. Neises1; D. Gadzicki2
1Medizinische
Hochschule Hannover; 2Institut für Zell- und Molekularpathologie, Medizinische Hochschule Hannover
Schlüsselwörter
Erblicher Brust- und Ovarialkrebs, Beratung,
psychische Belastung, Psychotherapie
Zusammenfassung
Der Nachweis der Gene BRCA (breast cancer
gene) 1 und 2 in den Jahren 1994 und 1995 war
die Voraussetzung für die Diagnostik genetischer Grundlagen des familiären Mamma- und
Ovarialkarzinoms. Eine Mutation in einem dieser Gene ist der wichtigste Risikofaktor für die
Entstehung eines solchen Karzinoms. Etwa
5–10 % aller Mamma- und Ovarialkarzinome
sind durch genetische Veranlagung bedingt. Die
Möglichkeiten der prädiktiven Medizin können
sowohl Entlastung, aber auch psychische Belastungen der Ratsuchenden nach sich ziehen. Die
Kenntnis der eigenen Prognose oder die anderer innerhalb der Familie kann die Kommunikation und damit die Familienbeziehungen belasten. Die in der Regel noch gesunde Frau wird in
der Beratung oft zum ersten Mal damit konfrontiert, dass die Erkrankung potenziell alle in der
Familie und auch sie im Laufe ihres Lebens betreffen kann. Diese emotionale Belastung sollte
in besonderer Weise berücksichtigt werden. Dabei ist innerhalb der Familie die Autonomie aller
mit einem Recht auf Wissen, aber auch Nichtwissen sicherzustellen.
Korrespondenzadresse
Prof. Dr. Dr. med. Mechthild Neises
Medizinische Hochschule Hannover
E-Mail: [email protected]
Privat: Lemierser Berg 119, 54074 Aachen
E-Mail: [email protected]
Onkologische Welt 2010; 1: 26–31
Grundlegend modifizierter Nachdruck aus:
Ärztliche Psychotherapie 2008; 3: 89–95;
grundlegend überarbeiteter Nachdruck aus:
Gadzicki D, Neises M. Das interdisziplinäre Beratungskonzept bei familiärer Belastung für Brust- und
Eierstockkrebs. FORUM Deutsche Krebsgesellschaft
2005; 5: 43–45. Mit freundlicher Genehmigung der
Springer Medizin Verlags GmbH, Heidelberg.
Nach Schätzungen entstehen 5–10 % aller
Brust- und Ovarialkarzinome aufgrund einer erblichen Disposition. Bei den Mammakarzinomen, die vor dem 35. Lebensjahr
entstehen, sind 25–40 % genetisch bedingt
(12). Die Veranlagung der Erkrankung
wird mit einer Wahrscheinlichkeit von
50 % an die Nachkommen weitergegeben.
In den Jahren 1994 und 1995 wurden die
Gene BRCA1 und 2 (breast cancer gene)
nachgewiesen. Diese weisen in etwa 50 %
der erblichen Fälle Mutationen auf. Diese
Mutationen können mit molekulargenetischen Methoden identifiziert werden (15).
Für die restlichen 50 % der erblichen Erkrankungen werden Veränderungen in
weiteren, noch nicht identifizierten Brustkrebsgenen verantwortlich gemacht. Frauen mit einer krankheitsassoziierten Mutation im BRCA1- oder 2-Gen haben ein lebenslanges Risiko von bis zu 85 %, an einem Mammakarzinom, und von 20–60 %,
an einem Ovarialkarzinom zu erkranken
(11). Im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung ist damit das lebenslange Risiko für
ein Mammakarzinom rund zehnfach und
für ein Ovarialkarzinom rund 50-fach erhöht. Häufig treten die familiären Krebserkrankungen schon vor dem 50. Lebensjahr auf, außerdem besteht ein erhöhtes Risiko für andere Krebserkrankungen wie
z. B. Darmkrebs, Gebärmutterkrebs und
Bauchspeicheldrüsenkrebs (21).
Verbundprojekt „Familiärer
Brust- und Eierstockkrebs“
Die zwölf Zentren des Verbundprojektes
„Familiärer Brust- und Eierstockkrebs“ der
Deutschen Krebshilfe haben sich die Aufgabe gestellt, Frauen mit einer Familienbelastung für Brust- oder Eierstockkrebs
im Rahmen der molekulargenetischen Di-
agnostik umfassend zu beraten und zu betreuen. 2003 wurden dazu Empfehlungen
mit Leitbildcharakter publiziert (19).
Durch die begleitende qualitätsgesicherte
Überprüfung und Optimierung des Vorgehens wurden Voraussetzungen dafür geschaffen, dass die Leistungen in die Regelversorgung übernommen wurden (7).
Interdisziplinäres
Beratungskonzept
Jeder genetischen Diagnostik geht eine ausführliche genetische Beratung voraus, um
die informierte Zustimmung (informed
consent) und das Recht auf Nichtwissen zu
gewährleisten. Im Fall von erblichen Krebserkrankungen, wie dem erblichen Brustund Eierstockkrebs, findet die Beratung in
einem interdisziplinären Rahmen statt, sodass außer dem Facharzt für Humangenetik ein mit dem klinischen Krankheitsbild
vertrauter Facharzt, ein Gynäkologe und
zusätzlich ein Psychologe oder ärztlicher
Psychotherapeut einbezogen werden
(씰Abb. 1). Mit diesem interdisziplinären
Beratungskonzept werden die von der Bundesärztekammer formulierten „Richtlinien
zur Diagnostik der genetischen Disposition
für Krebserkrankungen“ erfüllt (3).
In der Erstberatung wird die Familienanamnese erhoben. Hierfür wird ein vollständiger Stammbaum über mindestens
drei Generationen sowohl die mütterliche
als auch die väterliche Linie berücksichtigend erfasst. Zusätzlich werden Angaben
über die Tumorart aller betroffenen Angehörigen, das Alter bei Erstdiagnose aller Tumorpatienten in der Familie sowie das Alter und das Geschlecht aller betroffenen
und nicht betroffenen Familienangehörigen erhoben. Die von der Ratsuchenden
gemachten Angaben zur Diagnose von
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M. Neises; D. Gadzicki: Erbliches Brust- und Ovarialkarzinom
Krebserkrankungen werden anhand von
histopathologischen Befunden und Arztbriefen, die häufig zusätzlich angefordert
werden müssen, überprüft. Anschließend
wird nach ausführlicher Analyse des
Stammbaumes geklärt, ob in der Familie
ein erblicher Brust- und Eierstockkrebs
oder eine andere familiäre Krebserkrankung vorliegen könnte. Es stehen unterschiedliche Kalkulationsmodelle zur Verfügung, die für den beratenden Arzt hilfreich
sind, um die Erkrankungs- und Mutationswahrscheinlichkeit zu ermitteln und damit
das individuelle genetische Risiko abzuschätzen. Sofern ein deutlich erhöhtes Risiko für erblichen Brust- und Eierstockkrebs
besteht, wird die molekulargenetische Diagnostik angeboten. Es wird bereits im ersten Beratungsgespräch ausführlich über
die Möglichkeit, die Grenzen und Konsequenzen der molekulargenetischen Diagnostik aufgeklärt. Zunächst sollte eine erkrankte Frau aus der Familie (Indexpatientin) untersucht werden. Wird bei ihr eine
krankheitsverursachende Mutation identifiziert, können im nächsten Schritt gesunde
Frauen aus der Familie untersucht werden,
um zu klären, ob sie die Mutation und damit das erhöhte Erkrankungsrisiko geerbt
haben oder nicht. Für bereits erkrankte
Mutationsträgerinnen hat das Ergebnis der
molekulargenetischen Diagnostik unmittelbare Relevanz, da für sie ein deutlich erhöhtes Risiko für ein Rezidiv und eine
zweite Neuerkrankung besteht (8). Ein weiterer wichtiger Grund für bereits erkrankte
Frauen in die Beratung zu kommen ist, das
Risiko für die eigenen Kinder zu erfahren.
Entsprechend dem autosomal-dominanten Erbgang haben Kinder einer Mutationsträgerin ein Risiko von 1 : 1 die Mutation zu erben.
Im Beratungsgespräch wird die Ratsuchende über das für sie geeignete Früherkennungs- bzw. Nachsorgeprogramm
aufgeklärt, zusätzlich wird die Möglichkeit
prophylaktischer operativer Maßnahmen
zur Reduktion des Erkrankungsrisikos besprochen. Nach dem Beratungsgespräch
erhält die Ratsuchende einen ausführlichen, verständlichen Beratungsbrief, in
dem die wichtigsten Gesprächsinhalte
noch einmal zusammengefasst werden.
Sofern die Ratsuchende eine molekulargenetische Diagnostik wünscht, meldet sie
Abb. 1 Psychologische Betreuung in der interdisziplinären Beratung
sich, gegebenenfalls zusammen mit der Indexpatientin zum zweiten Beratungsgespräch. Hierbei werden im Rahmen eines
interdisziplinären Beratungssettings nochmals die Möglichkeiten und Konsequenzen
der molekulargenetischen Diagnostik und
die Gründe für die Entscheidung besprochen. Dann erst erfolgt die Blutentnahme.
Sobald das Ergebnis der molekulargenetischen Untersuchung vorliegt, wird die
Ratsuchende schriftlich zu einem dritten
Beratungsgespräch eingeladen, in dem das
Untersuchungsergebnis ausführlich erläutert und die sich daraus ergebenden Konsequenzen besprochen werden. Selbstverständlich kann die Ratsuchende jederzeit
ohne Angabe von Gründen aus dem Beratungsvorgehen aussteigen.
Psychosomatische Aspekte
Mit der Einbeziehung eines ärztlichen Psychotherapeuten oder eines psychologischen Psychotherapeuten mit somatischem
Krankheitswissen bekommt die Ratsuchende die Chance, dass parallel eine
Psychodiagnostik mit erfolgen kann. Dabei
sind wichtige Aspekte: die Motivation der
Ratsuchenden für die prädiktive Diagnostik sowie ihre psychosoziale Situation, das
aktuelle psychische Befinden und ihre Res-
sourcen sowie relevante Copingstrategien.
Zeigt sich dabei die Notwendigkeit eines
psychotherapeutisch orientierten Erstgesprächs, sollte dieses die Aspekte entsprechend 씰Kasten 1 umfassen. Bei der Erörterung der Motivation ist es wichtig zu erfragen, von wem der Anstoß zur Diagnostik
ausging und wer im familiären oder persönlichen Umfeld welche Erwartungen mit
dem Testergebnis verbindet. Bei der Klärung der Beziehung zu Brustkrebserkrankten in der Familie sollte das persönliche Erleben von Krebserkrankungen innerhalb
der Familie erörtert werden und die Erinnerungen, die damit verbunden sind. Im
Rahmen der biografischen Anamnese sollten biografische Vulnerabilitätsfaktoren erhoben werden, verbunden mit der bisherigen Bewältigung von Lebenskrisen einschließlich der persönlichen und sozialen
Ressourcen. Bei der Klärung des aktuellen
Befindens ist besonders zu achten auf
Angsterleben und Umgang mit Angst, sei es
Lebensangst allgemein oder auch die spezielle Angst vor einer Krebserkrankung
oder im Verlauf einer bereits eingetretenen
Krebserkrankung im Sinne eines Damokles-Syndroms. Das mit psychotherapeutischer Kompetenz geführte Erstgespräch ermöglicht die Früherkennung von psychischen Risikofaktoren und erlaubt die
Stärkung oder auch Entwicklung einer Mo-
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M. Neises; D. Gadzicki: Erbliches Brust- und Ovarialkarzinom
Psychotherapeutisch
orientiertes Erstgespräch
Relevante Aspekte eines psychotherapeutisch orientierten Erstgesprächs im Rahmen
der tumorgenetischen Diagnostik:
1. Motivation zur Diagnostik der Ratsuchenden, innerhalb der Familie und
im persönlichen Umfeld
2. persönliche Einstellung, Informationsstand, Erwartung an das Gespräch, subjektive Krankheitstheorie, Erleben der
Beratung, des Beratungs- und Diagnostikprozesses
3. Betrachtung des Familiensystems und
seiner Mitglieder, speziell Klärung der
Beziehung zu bereits an Krebs erkrankten Familienmitgliedern
4. biografische Anamnese
5. gegenwärtiges biopsychosoziales Befinden, individuelle und familiäre psychiatrische und psychosomatische Erkrankungen
6. abschließende Klärung des weiteren
Vorgehens, z. B. weitere Beratungsgespräche oder Abklärung der Indikation und Motivation zu einer psychotherapeutischen Behandlung
tivation für eine umfangreichere Beratung
und ggf. Psychotherapie, falls diese im Vorfeld notwendig ist (1).
Einstellung gegenüber
der genetischen Diagnostik
Die aufgezeigten Aspekte machen bereits
deutlich, dass der Aufklärung und der genetischen Beratung eine besondere Bedeutung zukommt. Ziel ist es, bereits im ersten
Beratungsgespräch den Familien die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen und Konsequenzen der molekulargenetischen Diagnostik aufzuzeigen. Nicht zuletzt soll damit
auch Enttäuschungen im Diagnostik- und
Beratungsverlauf vorgebeugt werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass – wie bei jeder Arzt-Patient-Begegnung – nicht nur
professionelles Wissen in der Regel an einen Laien vermittelt wird, sondern dass in
dieser Situation Laien mit hochkomplexen
medizinischen und genetischen Zusam-
menhängen konfrontiert werden, die mit
erheblichen Anforderungen an das kognitive Verständnis verbunden sind. Zudem
bringen Ratsuchende oft eigene Vorstellungen im Sinne der subjektiven Krankheitstheorie mit, die sich vor dem Hintergrund
der Lebenslerngeschichte der Ratsuchenden verstehen lassen und die unter Umständen irrationale Vorstellungen beinhalten können. In jedem Fall sind inadäquate
Erwartungen oder Vorstellungen über die
Genanalyse abzuklären und zu korrigieren.
Bei der Motivation der Ratsuchenden kann
sich unter Umständen eine sehr vage oder
aber auch eine sehr insistierende Motivation zeigen. Oft wird dies begleitet von einer
fehlenden Ambivalenz gegenüber der Testung. Unter Umständen sind dann mehrere
Gespräche notwendig, um zu einer Entscheidung für oder gegen die prädiktive Diagnostik zu kommen. Hinter einer solchen
Haltung kann sich eine hohe psychische
Belastung und unter Umständen auch eine
behandlungsbedürftige psychische Erkrankung zeigen. Dazu gehören Suchterkrankungen, schwerwiegende psychische Störungen wie z. B. bestimmte Persönlichkeitsstörungen oder auch eine schwere Depression. Sollten diese Erkrankungen diagnostiziert werden, sind sie immer einer
adäquaten Behandlung zuzuführen, bevor
eine weitergehende Entscheidung zur Gendiagnostik getroffen wird.
In einem Erstgespräch kann sich auch
zeigen, dass die Klärung der aktuellen Lebenssituation Vorrang haben sollte, wie
Motivation vor der
prädiktiven Diagnostik
Klärung der Motivation vor der prädiktiven
Diagnostik bei erblichem Mamma- und Ovarialkarzinom:
1. unklare oder fixierte Motivation
2. unrealistische Erwartungen und Vorstellungen bezüglich der prädiktiven Diagnostik
3. hohe psychische Belastungen, z. B.
durch Partnertrennung oder Verlust eines nahen Angehörigen an Krebs
4. behandlungspflichtige psychische oder
psychiatrische Erkrankungen und deren
Einfluss auf die Motivation
z. B. bei bestehenden tiefgreifenden Beziehungskonflikten in der Partnerschaft oder
nach aktueller Trennung vom Partner.
Nicht selten wird die Motivation zur Untersuchung ausgelöst durch Erkrankung oder
Verlust eines Angehörigen an einer Krebserkrankung. Wenn eine solche Verlustsituation erst kurze Zeit zurück liegt, sollte
der Verarbeitung und der Trauer vorrangig
Raum gegeben werden. In einer solchen Situation kann die Entscheidung von ärztlicher Seite, den geplanten Gentest zurückzustellen, ein hilfreiches Angebot für die
Patientin sein, insbesondere wenn gleichzeitig weitere Beratungsgespräche möglich
sind (씰Kasten 2).
Psychosomatische Aspekte
aufseiten der Patientin
Inwieweit eine genetische Untersuchung
stattfinden soll oder nicht, bzw. sinnvoll ist
oder nicht, hängt in erster Linie ab von der
Entscheidung der Patientin. Oft braucht
die Patientin in diesem Entscheidungsprozess Rat, sei es von nahe stehenden Bezugspersonen, von ärztlicher Seite oder auch die
Fachkompetenz eines Psychotherapeuten.
Aus dieser Perspektive dürfte die Entscheidung in erster Linie davon abhängen, wie
die Patientin bisher in ihrem Leben mit seelischen Belastungen jedweder Art umzugehen pflegte. Eine Variable, welche diese Bewältigungsstrategien bestimmt, ist u. a. die
Persönlichkeitsstruktur. Dabei ist zu betonen, dass eher zwanghaft strukturierte
Menschen zu einer genauen Kenntnis der
gesamten Krankheitslage, also auch der genetischen Disposition, tendieren. Eher
phobisch strukturierte Patientinnen würden eine solche Kenntnis vermeiden. Bei
histrionischer
Persönlichkeitsstruktur
kann ebenfalls die Tendenz zur Kenntnis eine geringere Rolle spielen und liegt die
Kenntnis dann vor, dient sie entsprechend
der Kommunikationsweise oft zur herausstreichenden Darstellung der eigenen Situation.
Eine besondere Variable dürfte bei der
Patientin auch ihre generelle Risikobereitschaft sein, die sich ebenfalls aus der Vorgeschichte erkennen lässt, insbesondere
wenn die Patientin sich bereits früher in
ambivalenten Belastungssituationen erlebt
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M. Neises; D. Gadzicki: Erbliches Brust- und Ovarialkarzinom
hat, in denen ihre Entscheidung gefordert
wurde. Zu erwarten ist, dass eher Patientinnen mit höherer Risikobereitschaft die genetische Untersuchung bejahen als diejenigen mit niedriger Risikobereitschaft. Auch
die allgemeine Krankheitsvorgeschichte
der Patientin hat einen Einfluss sowohl im
Hinblick auf den früheren Umgang mit anderen somatischen Erkrankungen, aber
auch die Erfahrung durchgemachter psychischer, eventuell psychiatrischer Erkrankungen. Aber auch andere Bereiche der Lebensgeschichte, etwa die Verarbeitung ganz
anderer Belastungen, wie etwa aufgrund
von Flucht oder Gewalterfahrung oder
auch von Partnerverlust, können einen
Hinweis auf die möglichen Reaktionen bei
Mitteilung einer belastenden genetischen
Konstellation geben.
Die Gründe der Motivation zur genetischen Testung sind in der Regel unterschiedlich bei Frauen, die selbst bereits an Brustkrebs erkrankt sind bzw. solchen, bei denen
in der Familie ein BRCA1/2-Nachweis vorliegt (5). Für Frauen, die selbst erkrankt sind,
ist in der Regel das Hauptmotiv, mehr Information hinsichtlich einer möglichen Erkrankung ihrer Kinder zu bekommen, darüber hinaus die Sorge, selbst wieder an Brustkrebs zu erkranken und schließlich für die
wissenschaftliche Forschung hilfreich zu
sein. Bei Frauen, bei denen in der Familie bereits der BRCA1/2-Nachweis erfolgte, wurde
häufiger das Motiv genannt, von einem Familienmitglied zur Diagnostik motiviert
worden zu sein. Das gilt insbesondere für
Frauen mit einem geringeren Ausbildungslevel, von diesen Frauen wurden auch häufig
die Motive genannt, das Risiko für ihre Kinder abzuklären, die wissenschaftliche Forschung zu unterstützen und das Interesse an
einer prophylaktischen Mastektomie. Während jüngere Frauen stärker motiviert sind
hinsichtlich ihres eigenen Risikos, an Brustkrebs zu erkranken, verbunden mit dem Interesse, mehr zur prophylaktischen Mastektomie zu erfahren, wurde von älteren
Frauen häufiger der Wunsch, den wissenschaftlichen Fortschritt zu unterstützen, genannt, wie auch das Interesse an der Risikoeinschätzung für ihre Kinder (22) (씰Kasten
3). In der Untersuchung von Keller (10) hatten sich 95 % der Patienten bereits vor der
Beratung zugunsten einer genetischen Untersuchung entschieden, dabei überwiegen
Motive zur genetischen
Testung
Häufige Motive zur genetischen Testung
nach Brustkrebs:
1. bei Frauen mit einer Brustkrebserkrankkung in der Anamnese
– Risiko für ihre Kinder
– wissenschaftliche Forschung unterstützen
2. bei Nachweis von BRCA1/2 in der Familie
– weil ein Familienmitglied die genetische Testung vorgeschlagen hat
– Risiko für ihre Kinder
– Interesse an einer prophylaktischen
Mastektomie
hohe Erwartungen an den Nutzen der genetischen Untersuchung wie z. B. die Hoffnung
auf „Gewissheit“ (81 %), auf risikoreduzierende Optionen für die eigene Person (88 %)
und die Familie (68 %), aber auch auf „Erleichterung durch einen negativen Mutationsbefund“ (87 %). Ein Nutzen für die Zukunfts- und Familienplanung wird dagegen
seltener (32 und 17 %) erwartet.
Ganz wesentlich spielt die familiäre Situation eine Rolle, da die Absprache der weiteren Untersuchungen bzw. des Vorgehens
bei bekannter genetischer Disposition nicht
nur eine Sache der Patientin selbst, sondern
auch eine Frage der Abstimmung mit den familiären Bezugspersonen, insbesondere
dem Partner ist. Sofern diese Partnerschaft
tragfähig und stützend ist, ist sie eine wesentliche Hilfe für die seelische Verarbeitung
einer genetischen Disposition. Die Partner
sollten, wenn möglich, in den Entscheidungsprozess für die genetische Testung einbezogen werden, da von diesen oft der
Wunsch nach mehr Information angegeben
wird. Von ihnen wird oft eine positive Einstellung zur genetischen Testung mitgebracht, die für die Patientin hilfreich ist
und dies selbst auch bei der Vorannahme,
dass der Test einen BRCA1/2-Nachweis erbringen könnte (2). Besteht gleichzeitig eine
offene Kommunikation in der Familie, hat
dies für die betroffenen Frauen deutlich entlastende Effekte. Allerdings führt ein offenes
Informationsverhalten bei Partnern zu einer
erhöhten psychischen Belastung, während
dies bei Frauen eher der Fall ist, wenn ein ge-
ringer Austausch über die möglichen Konsequenzen stattfindet (13).
Psychosomatische
Aspekte der Arzt-PatientinBeziehung
Ganz entscheidend ist die Festigkeit der
Arzt-Patientin-Beziehung, insbesondere
bezüglich der folgenden Aspekte:
Zunächst stellt sich die Frage, ob die aktuelle Arzt-Patientin-Beziehung eingebettet ist in eine bereits frühere ärztliche Betreuung der Patientin oder ob die Feststellung einer genetischen Belastung nur zu einer aktuellen Begegnung mit dem betreffenden Arzt geführt hat. Vertrauen dürfte
im ersten Fall bereits gewachsen sein, im
Falle der Mitteilung an die Patientin im
Rahmen einer aktuellen, vielleicht einmaligen Begegnung, ist in besonderer Weise die
Verarbeitungsfähigkeit der Patientin zu berücksichtigen. Die hier einzusetzende psychosomatische Betreuung hat die Belastungsgrenze so wie diese sich nach den bereits genannten Variablen ergeben hat, zu
berücksichtigen, aber auch eventuell im
Rahmen einer begleitenden Psychotherapie
die Verarbeitung dieser Belastung zu stützen und zu stärken. Dabei ist die Lebensperspektive der Patientin sowohl im Hinblick
auf die bereits zurückgelegte Lebenszeit,
aber insbesondere auch im Hinblick auf die
grundsätzliche Lebensperspektive, welche
die Patientin sich für die Zukunft gemacht
hat, zu berücksichtigen. In einer solchen Situation geht es um die Annahme und Akzeptanz der Erkenntnis der genetischen Belastung und damit um die Reflexion ihrer
Bedeutung für Lebenswerte und Lebensziele, welche der Patientin zu Eigen sind. Auch
ohne begleitende Psychotherapie ist im
Hinblick auf die somatopsychische Situation der Patientin eine hohe Sensibilität und
eine nachdrückliche Fähigkeit des Arztes
zur Identifikation mit der Patientin in der
aktuellen Situation bei Bekanntgabe eines
positiven genetischen Befundes notwendig.
Eine entsprechend stabile und funktionierende Arzt-Patientin-Beziehung muss dann
erst aufgebaut werden (16).
Hier ist das Beratungsmodell, wie es von
der Bundesärztekammer entwickelt wurde,
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30
M. Neises; D. Gadzicki: Erbliches Brust- und Ovarialkarzinom
als Orientierung und Richtlinie für den
Arzt hilfreich. Wichtig ist auch die Motivation der Patientin einerseits und die Indikation für eine psychotherapeutische Intervention andererseits abzuklären. Unter
Umständen ist eine Motivation erst aufzubauen, damit ein hinreichender Erfolg
für die Krankheitsverarbeitung und die Zukunftsgestaltung der Patientin erreicht
wird. Aber auch unabhängig von diesen
Gesichtspunkten ist eine vertrauensvolle
und stützende Arzt-Patientin-Beziehung
bei der Entscheidung der Patientin notwendig, zum einen bereits für den Entschluss zur genetischen Diagnostik und
zum anderen auch bezüglich der Mitwirkung der Familie, diese bereits bei der Entscheidung einzubeziehen. Dies gilt besonders dann, wenn ein positives Ergebnis der
genetischen Untersuchung mit der Familie
zu erörtern ist. Besonders gilt diese Überlegung, wenn eine hohe genetische Belastung
für prophylaktische operative Maßnahmen
spricht. Diese z. B. an einer gesunden Brust
durchzuführende Operation sollte mit dem
Paar besprochen werden.
Indikation zur intensivierten Beratung und Überleitung in Psychotherapie
Aus psychosomatischer Sicht ist die Frage
der Indikation einer genetischen Untersuchung, aber auch der Mitteilung und der
Verarbeitung eines belastenden Ergebnisses auf die aktuelle Lebensgestaltung zu beziehen, das Umfeld der Familie und anderer Bezugspersonen, die grundsätzliche Lebenseinstellung zum Sinn und Wert der eigenen Lebensgestaltung und insbesondere
der Selbstwahrnehmung der Patientin.
Entscheidend geht es aber bei einer genetischen Belastung und deren Mitteilung um
die Ressourcen-Mobilisierung, d. h. Besinnung auf solche Lebensbereiche, welche eine Stabilisierung des Selbstwertgefühls, der
Lebenssicherheit und der Lebenserfüllung
ermöglichen. Andererseits ist zu achten auf
vorhandene Belastungen, die partnerschaftlich, krankheitsbedingt, wirtschaftlich oder familiär verursacht sein können.
Insbesondere sind die sowohl inneren als
auch äußeren Ressourcen, wobei letztere
aus dem sozialen Umfeld kommen, bei der
Verarbeitung nach einer belastenden Mitteilung aus psychosomatischer Sicht zu berücksichtigen.
Im Beratungssetting sollte besondere
Aufmerksamkeit darauf gerichtet werden,
ob bereits ein Familienmitglied an Krebs
erkrankt ist. Dies gilt in ganz besonderer
Weise, wenn eine Schwester der Ratsuchenden erkrankt ist, da dies immer zu ausgeprägten Belastungen führt (4). Dies sollte Anlass geben, über die Routineberatung
hinaus Einzelgespräche anzubieten und
dies möglichst in der kontinuierlichen Begleitung durch eine Person. Intensive Betreuungsangebote sollten auch Frauen zukommen, die Erfahrung mit Pflegebedürftigkeit und Tod aufgrund einer Krebserkrankung in der Familie haben, da diese
Frauen unter Umständen in besonders enger Weise involviert waren in den Krankheitsverlauf und dies möglicherweise auch
bei einer größeren Anzahl ihrer nahen Verwandten erleben mussten. Insbesondere
das Einbezogensein in die Pflege Schwerstkranker führt zu Belastungen, die sich auf
die Perzeption des eigenen erhöhten Risikos, in der Zukunft eine Krebserkrankung
zu entwickeln, oder zum Verlauf einer
Krebserkrankung auswirken. Generell
brauchen Frauen mit niedriger Schulbildung und ohne Berufsabschluss mehr Aufmerksamkeit, da diese soziodemografischen Merkmale mit höherer Angst und
Depression korrelieren.
Ablehnerinnen der Diagnostik sollte
immer auch eine besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden, da sich dahinter eine hohe psychische Morbidität verbergen
kann, die man nicht erfasst, wenn man eine
solche Entscheidung voreilig akzeptiert.
Die Entscheidung für oder gegen einen
Gentest hat oft Rückwirkungen auf die
weiteren Familienmitglieder, so kann die
Ablehnung des Tests dazu führen, dass eine
Stärkung des Familienzusammenhaltes erlebt wird, verbunden mit dem Freiraum,
Emotionen zu äußern, während getestete
Mutationsträgerinnen sich oft weniger ermutigt fühlen, ihre Emotionen zu äußern
und oft eine Abnahme im Austausch mit
anderen Personen erleben (14). Auch Frauen, die in der Wahrnehmung von präventiven Maßnahmen generell eine geringe
Compliance zeigen, sind häufig durch eine
höhere psychische Morbidität belastet.
Diese Aspekte unterstreichen nicht nur die
Notwendigkeit eines kontinuierlichen Beratungsangebotes im Verlauf des diagnostischen Prozesses und die Notwendigkeit der
psychotherapeutischen Kompetenz im
Rahmen der interdisziplinären Beratung
(18). Darüber hinaus sollte jederzeit die
Möglichkeit zu einer Krisenintervention
bestehen, wie auch die Überleitung in eine
ambulante Psychotherapie.
Schließlich ist es auch wichtig, darauf
hinzuweisen, dass viele der Ratsuchenden
die Ergebnismitteilung gut verarbeiten (20),
d. h. etwa 80 % der Ratsuchenden den Entscheidungsprozess und die Diagnostik aus
eigenen Ressourcen bewältigen. Die Hälfte
der Ratsuchenden sieht hinsichtlich ihres
Wunsches nach Diagnostik gynäkologische
und genetische Themen im Vordergrund,
psychoonkologische Aspekte sind für sie
nicht relevant. Bezogen auf den Betreuungsbedarf muss man davon ausgehen, dass etwa
jede 5. Ratsuchende psychoonkologischen
Betreuungsbedarf hat. Die Frage nach aussagekräftigen Prädiktoren, mit denen sich
höher belastete Ratsuchende frühzeitig
identifizieren lassen, lässt sich derzeit noch
nicht eindeutig beantworten, obwohl gerade
für diese Gruppe ein erhöhter Betreuungsbedarf anzunehmen ist.
Schlussfolgerung
Die gentechnologischen und gendiagnostischen Fortschritte der letzten Jahre haben
das Interesse an prädiktiver genetischer
Brust- und Ovarialkrebsdiagnostik steigen
lassen. Obwohl Frauen mit einem geringen
Risiko von einer solchen Testung nicht profitieren können, zeigen Studien ein zunehmendes Interesse von Frauen in der Allgemeinbevölkerung (17). Für die Beratung
sollten Informations- und Kommunikationsstrategien entwickelt werden, die auf
unrealistische Erwartungen bezüglich genetischer Testung fokussieren und die darüber hinaus dazu beitragen, dass das
wahrgenommene Krebsrisiko sowie ein erhöhter Level an Ängsten und Sorgen reduziert wird. Im Beratungsprozess ist zu berücksichtigen, dass das genetische Risiko
und das Ergebnis der molekulargenetischen Diagnostik die ganze Familie betrifft.
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Die interdisziplinäre Zusammenarbeit ist
die beste Voraussetzung dafür, dass ein erhöhtes Erkrankungsrisiko richtig interpretiert wird, aber auch geeignete Maßnahmen und insbesondere weitergehende Beratung und Psychotherapieangebote gemacht werden können, von denen die Ratsuchenden und deren Familien profitieren.
Supportive Gruppenpsychotherapieangebote für Trägerinnen von BRCA1/2-Mutationen zeigten, dass bei den Teilnehmerinnen der Wissensstand bereits vor der Intervention hoch war und im Laufe der Intervention auch nicht mehr verbessert wurde.
Signifikante Verbesserungen wurden im
psychischen Befinden erreicht sowohl hinsichtlich der Sorgen bezüglich einer Krebserkrankung sowie Ängste und depressive
Verstimmungen insgesamt. Ein großer Teil
der Frauen fand die Begleitung hilfreich für
den Entscheidungsprozess hinsichtlich einer prophylaktischen Operation (Ovarektomie oder Mastektomie) (6). Über die
langfristigen Auswirkungen des Wissens
um die eigene genetische Krebsveranlagung ist bisher noch wenig bekannt. Vermutlich wird es noch eine genauer zu bestimmende Gruppe von Personen geben,
die mit verstärkter Ängstlichkeit oder erhöhter Neigung zu körperlichen Beschwerden reagieren und für die das Wissen um
ihr Krebsrisiko mehr Belastung als Nutzen
bedeuten könnte (9). Risikopersonen
frühzeitig zu identifizieren und geeignete
Unterstützungsangebote zu entwickeln,
wird eine wichtige Aufgabe in der Zukunft
sein.
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prädiktiven Diagnostik in der Frauenheilkunde.
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32
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Psychoonkologie
Pharmakotherapie
in der Psychoonkologie
W. Häuser
Innere Medizin I – Funktionsbereich Psychosomatik, Klinikum Saarbrücken
Schlüsselwörter
Psychoonkologie, Pharmakotherapie, Leitlinien
Zusammenfassung
In einer systematischen Literatursuche wurden in deutschen onkologischen Leitlinien
keine Aussagen zu einer psychopharmakologischen Therapie von psychischen Störungen
bzw. psychosomatischer Symptome gefunden. Eine kanadische evidenzbasierte Leitlinie zur Behandlung depressiver Störungen
bei Krebserkrankungen kommt zu der Einschätzung, dass die Evidenz der Wirksamkeit
medikamentöser und psychotherapeutischer Behandlungen schwach ist. Es gibt keine Evidenz für die Überlegenheit einer Antidepressivaklasse. Bei der Therapie mit Antidepressiva sind bei onkologischen Patienten
vor allem potenzielle Nebenwirkungen und
Arzneimittelinteraktionen zu berücksichtigen. Leitlinien zur Therapie anderer seelischer Störungen bei onkologischen Patienten wurden nicht gefunden. Die Ergebnisse
der Studien zur Wirksamkeit von Benzodiazepinen zur Therapie von Angststörungen
bei onkologischen Patienten sind widersprüchlich. Die Empfehlungen zur Behandlung von Angststörungen mit Antidepressiva, des Deliriums mit Neuroleptika und Tranquilizern und zur palliativen Sedierung mit
Tranquilizern und Neuroleptika gründen auf
Expertenmeinung.
Korrespondenzadresse
Dr. med. Winfried Häuser
Innere Medizin I (Gastroenterologie, Hepatologie,
Stoffwechsel- und Infektionskrankheiten,
Onkologie, Psychosomatik)
Klinikum Saarbrücken gGmbH
Winterberg 1, 66119 Saarbrücken
Tel. 06 81/9 63–20 20, Fax –20 22
E-Mail: [email protected]
Onkologische Welt 2010; 1: 32–36
Nachdruck aus:
Ärztliche Psychotherapie 2008; 3: 96–101
Die Fülle der Literatur zu medikamentösen
und psychotherapeutischen Behandlungsoptionen in der Psychoonkologie ist von einer einzelnen Person nicht zu übersehen. Eine selektive Literaturauswahl und -wiedergabe im Rahmen einer Übersichtsarbeit durch
eine einzelne Person birgt das Risiko der Reproduktion eigener klinischen Erfahrungen
und Vorlieben. Der Bezug auf Leitlinien, d. h.
auf die Ergebnisse systematischer Literaturrecherchen und Konsensusprozesse durch
Expertengruppen von wissenschaftlichen
Fachgesellschaften kann die genannten Risiken reduzieren. Im Falle fehlender Leitlinien
oder fehlender Evidenz aufgrund kontrollierter Studien gewinnt die klinische Erfahrung (Expertenwissen) als niedrigste Stufe
der Evidenz an Bedeutung. Im Folgenden
wird eine Übersicht über Empfehlungen zu
pharmakologischen Therapieoptionen in
der Psychoonkologie auf der Basis einer Literaturrecherche ergänzt durch die klinischen
Erfahrungen des Autors gegeben. Der Autor
ist seit zwanzig Jahren in der medizinischen
(onkologischen, schmerztherapeutischen
und palliativmedizinischen) und psychotherapeutischen Behandlung von onkologischen Patienten im Krankenhaus (internistisch-psychosomatische Station, psychosomatischer und schmerztherapeutischer
Konsiliardienst und Ambulanz) tätig.
pressive Disorder“ [MESH] OR „Anxiety
Disorder“ [MESH] AND „Neoplasms“
[MESH] AND „Controlled Clinical Trials“
[MESH] OR „Randomized Controlled Trial“ [Publication Type] OR Review [Publication Type] von 1/1996 bis 12/2007.
Ergebnisse
Die Recherche bei den AWMF-Leitlinien
zeigte fünf Leitlinien an. Die Leitlinien
● Psychosoziale Versorgung in der Kinder- und Jugendonkologie; AWMFLeitlinien-Register Nr. 025/002 Entwicklungsstufe: 1. Letzte Überarbeitung
6/2005,
● Interdisziplinäre kurzgefasste Leitlinien
der Deutschen Krebsgesellschaft Arbeitskreis Psychosoziale Krebsberatung,
letzte Überarbeitung Juni 2004 sowie
● die Leitlinien zum Zervix-, Ovarial- und
Mammakarzinom
enthielten keine Empfehlungen einer medikamentösen Therapie bei psychoonkologischen Maßnahmen.
Die Ergebnisse der Recherchen zu systematischen Reviews sind im Folgenden dargestellt.
Depressive Störungen
Methodik
Eine Recherche über bestehende evidenzbasierte Leitlinien zur Psychoonkologie
wurde über die Suchfunktion der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlich medizinischen
Fachgesellschaften
AWMF
(www.uni-duesseldorf.de/WWW/AWMF/
ll/index.html) im Dezember 2007 mit dem
Suchbegriff „Psychoonkologie“ durchgeführt. Weiterhin erfolgte eine Literatursuche über die Datenbank Medline (über
Pubmed) mit den Suchbegriffen „Psychooncology“ AND „Psychotropic Drugs“
[MESH] sowie mit den Suchbegriffen „De-
Häufigkeit
Die Prävalenz einer Major Depression liegt
bei onkologischen Patienten zwischen
14–16 % und ist damit 2- bis 3-mal höher
als in der allgemeinen Bevölkerung (14).
Die Häufigkeit von behandlungsbedürftiger vermehrter Depressivität (Major and
Minor Depression) bei stationären onkologischen Patienten liegt bei 30 % (16).
Empfehlungen der Literatur
Die Kanadische Supportive Care Guidelines Group führte eine systematische Lite-
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W. Häuser: Pharmakotherapie in der Psychoonkologie
raturrecherche über die Wirksamkeit pharmakologischer und nicht pharmakologischer Behandlungen bei Depressionen
(major depression and other depressive
disorders) bei onkologischen Patienten in
den Datenbanken Medline, Embase, Cinahl, PsycINFO und der Cochrane Library
bis Juni 2005 durch. Sieben Studien zur
pharmakologischen Therapie von Depressionen bei Patienten mit Krebserkrankungen wurden gefunden (14). Zwei Studien
fanden eine Überlegenheit von Mianserin
gegenüber Placebo (4, 31). Alprazolam war
in einer Studie der progressiven Muskelentspannung überlegen (6). Zwei Studien verglichen Fluoxetin mit Placebo (5, 13), je eine verglich Fluoxetin mit Desipramin (7)
bzw. Paroxetin mit Amitriptylin (11). Die
beiden letztgenannten Studien fanden eine
Reduktion der depressiven Symptome am
Therapieende. Aufgrund des Fehlens eines
Placeboarmes ist die Validität der Studien
jedoch eingeschränkt. Das Leitlinienkomitee kam zur Einschätzung, dass nur eine
schwache Evidenz für die Wirksamkeit einer medikamentösen (als auch psychotherapeutischen) Behandlung depressiver Störungen bei onkologischen Patienten besteht. Ein US-amerikanisches systematisches Review kam ebenfalls zu dem Ergebnis, dass die Evidenz für die Wirksamkeit
einer psychopharmakologischen Behandlung bei Krebspatienten mit Major und Minor Depression sehr begrenzt ist (21).
Die interdisziplinär erarbeiteten Empfehlungen der kanadischen Supportive
Care Guidelines Group zur Therapie depressiver Störungen sind in 씰Kasten 1 zusammengefasst.
Die Auswahl des Antidepressivums sollte die potenziellen Nebenwirkungen des
Antidepressivums, die potenziellen Interaktionen mit anderen Medikamenten, das
Ansprechen auf frühere antidepressive Behandlungen und die Patientenpräferenzen
berücksichtigen (14).
Eigene Erfahrungen
Die Empfehlungen der kanadischen Leitliniengruppe zur Auswahl des Antidepressivums decken sich mit aktuellen Empfehlungen der medikamentösen Therapie von
Depressionen bei körperlichen Erkrankungen aus dem deutschsprachigen psychiatri-
Empfehlungen zur
Behandlung depressiver
Störungen
Interdisziplinäre Empfehlungen der kanadischen Supportive Care Guidelines Group
zur Behandlung depressiver Störungen bei
onkologischen Patienten:
● Goldstandard für die Diagnose einer depressiven Störung ist ein strukturiertes
psychiatrisches Interview. Als ScreeningVerfahren werden die Hamilton Depression Rating Scale (> 14 der ersten 17
Items positiv) oder die Krankenhaus
Angst und Depression Skala HADS-D
(Depressivitätsskala > 8) empfohlen.
● Eine suffiziente symptomatische Therapie von Schmerzen und anderen körperlichen Symptomen (z. B. Übelkeit) sollte
vor oder mit Beginn einer antidepressiven Medikation durchgeführt werden.
● Der Einsatz von Antidepressiva soll bei
mittelschweren bis schweren Depressionen erwogen werden.
● Die aktuelle Datenlage unterstützt nicht
eine Überlegenheit eines Antidepressivums bzw. einer Antidepressivaklasse.
● Die aktuelle Datenlage unterstützt weder eine Überlegenheit der pharmakologischen noch der psychotherapeutischen Behandlung.
● Bei Krebspatienten mit „Major Depression“ ist eine Kombination von pharmakologischen und psychotherapeutischen
Verfahren zu erwägen.
schen Konsiliardienst. Die deutschsprachigen Empfehlungen nennen als weiteres
Auswahlkriterium des Antidepressivums
das aktuelle klinische Bild (z. B. agitiertängstlich versus gehemmt-apathisch) sowie weitere internistische Begleiterkrankungen (15). Die Krebserkrankung kann
zu Einschränkungen der Metabolisierung
von Psychopharmaka führen, zum Beispiel
im Falle von fortgeschrittener Lebermetastasierung. Eine Dosisanpassung von einigen Antidepressiva ist bei fortgeschrittener
Niereninsuffizienz notwendig. Bei Patienten mit Hirnmetastasen bzw. Hirntumoren
ist vom Einsatz von trizyklischen Antidepressiva wegen der Herabsetzung der
Krampfschwelle abzuraten. Da potenzielle
Arzneimittelinteraktionen und mögliche
Dosisanpassungen bei Leber- und Niereninsuffizienz auch für den Internisten nicht
mehr zu überblicken sind, wird in dem Klinikum, in dem der Autor arbeitet, eine
Software zur elektronischen Verordnungsunterstützung verwendet (www.rpdoc.de),
um potenzielle Arzneimittelinteraktionen
zu erfassen und um Hinweise für Dosisreduktionen bei Niereninsuffizienz zu erfassen. Bei der Dosisfindung ist bei onkologischen Patienten allen Alters das Prinzip des
„Start slow, go slow“ (niedrige Anfangsdosis, langsame und niedrige Dosissteigerung) zu berücksichtigen.
Nach Erfahrungen des Autors ist bei Patienten mit rezidivierenden depressiven
Episoden, welche aktuell im Rahmen der
onkologischen Behandlung rezidivieren,
im Falle des früheren Ansprechens auf Antidepressiva eine eindeutige Indikation für
eine Antidepressivatherapie gegeben. Die
Erfolgsaussichten einer antidepressiven
Therapie bei Patienten mit vorbestehender
Dysthymie sind gering. Bei depressiven Anpassungsstörungen bei fortgeschrittener
Tumorerkrankung bzw. bei schwerwiegenden Komplikationen der Krebserkrankung
bzw. ihrer medizinischen Behandlung sind
die Erfolgsaussichten einer Antidepressivatherapie gering. Unruhe, Nervosität und
Schlafstörungen lassen sich besser pharmakologisch beeinflussen als Antriebsschwäche und Verlust von Lebensfreude. Unter
Berücksichtigung der in 씰Kasten 2 ge-
Auswahlkriterien
für Antidepressiva
Kriterien für die Auswahl eines Antidepressivums bei Patienten mit Krebserkrankungen
(14, 15):
● Patientenpräferenzen
● früheres Ansprechen auf Antidepressiva
● aktuelles klinisches Bild (agitiert, gehemmt)
● Nebenwirkungsprofil Antidepressivum
● Interaktionen Antidepressivum mit übriger Medikation
● Art und Schweregrad körperlicher Erkrankungen (z. B. Leber- und Niereninsuffizienz)
● Ausmaß der Krebserkrankung (z. B. Hirnmetastasen)
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W. Häuser: Pharmakotherapie in der Psychoonkologie
nannten Auswahlkriterien setzt der Autor
bei agitiert-ängstlichem Syndrom das trizyklische Antidepressivum Doxepin (beginnend mit 25 mg zur Nacht, bis
150 mg/d) und bei Schlafstörungen den
Serotonin-/Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer Mirtazapin (beginnend mit
15 mg zur Nacht, bis 60 mg/d) ein. Bei gehemmt-apathischen Syndromen wird der
selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer Sertralin (beginnend mit 25 mg morgens, bis 100 mg/d) selten genutzt. Im Vergleich zu Fluoxetin ist die Rate der Arzneimittelinteraktionen von Sertralin geringer.
Bei starker innerer Anspannung und/oder
ausgeprägten Ängsten und Schlafstörungen setzt der Autor wegen des schnelleren
Wirkungseintritts Lorazepam oder Alprazolam (beginnend mit 0,5 bis 8 mg/d) ein.
Angststörungen
Häufigkeit
Die Häufigkeit von Angststörungen (vor
allem ängstliche Anpassungsstörung, Panikstörung, generalisierte Angststörung,
gemischte Angststörung) wird bei onkologischen Patienten mit bis zu 18 % angegeben (3).
Empfehlungen der Literatur
Systematische Reviews bzw. Leitlinien zur
Therapie von Angststörungen bei onkologischen Patienten wurden bei der Literaturrecherche nicht gefunden. Ein Cochrane
Review aus dem Jahr 2004 fand keine methodisch ausreichenden Studien zum Thema „Drug therapy for anxiety in palliative
care“ (8). Im Falle des Einsatzes von Antidepressiva zur Behandlung von Panikstörungen gelten nach Ansicht des Autors für
die Auswahl der Substanzen die Empfehlungen zur antidepressiven Therapie
(씰Kasten 1).
Die Ergebnisse von Studien zur Wirksamkeit von Tranquilizern bei Patienten
mit Krebserkrankungen sind uneinheitlich: Überlegenheit von Alprazolam gegenüber dem PMR (6), keine Überlegenheit
Alprazolam gegenüber Placebo (19) und
Überlegenheit von Alprazolam gegenüber
Diazepam (23).
Eigene Erfahrungen
Die klinischen Erfahrungen des Autors mit
Alprazolam und Lorazepam zur zeitlich befristeten medikamentösen Krisenintervention bei ängstlichen Anpassungsstörungen im
Rahmen von Mitteilungen von Erst,- Rezidiv- und Progressdiagnosen, bei dekompensierter spezifischer Phobie bzw. Agoraphobien (z. B. Platzangst, Angst vor Alleinsein
im Krankenzimmer) im Rahmen der medizinischen Behandlung als auch zur Dauertherapie in palliativen Situationen sind positiv. Alprazolam und Lorazepam sind auch
wirksame Medikamente in der Therapie des
antizipatorischen Erbrechens bei Chemotherapie (12) bzw. Kombinationspräparate
innerhalb einer Stufentherapie bei chemotherapiebedingtem Erbrechen (1). Weiterhin hat der Autor positive Erfahrungen mit
dem mittelfristigen Einsatz des stimmungsaufhellend wirkenden Anxiolytikums Opipramol (mit 25 mg beginnend, bis maximal
100 mg/d), z. B. während der Durchführung
einer Radiochemotherapie, bei Patienten
mit vorbestehender und im Rahmen der
Krebserkrankung erstmals diagnostizierter
generalisierter Angststörung.
Delir
Definition und Häufigkeit
bei onkologischen Patienten
Das Delir ist durch die Kardinalsymptome
Störungen
● des Bewusstseins (verminderte Klarheit
in der Umgebungswahrnehmung,
Wahrnehmungsstörungen, reduzierte
Fähigkeit, die Aufmerksamkeit zu fokussieren, aufrechtzuerhalten und umzustellen),
● der Kognition (Beeinträchtigung des
Immediatgedächtnisses und des Kurzzeitgedächtnisses bei relativ intaktem
Langzeitgedächtnis, Desorientiertheit
zu Zeit, Ort und Person),
● der Psychomotorik (rascher, nicht vorhersagbarer Wechsel zwischen Hypound Hyperaktivität, verlängerte Reaktionszeit, vermehrter oder verminderter
Redefluss, verstärkte Schreckreaktion)
und
● des Schlaf-wach-Rhythmus (Schlaflosigkeit, mit oder ohne Schläfrigkeit am
●
Tage oder Umkehr des Schlaf-wachRhythmus, nächtliche Verschlimmerung der Symptome, unangenehme
Träume oder Albträume, die nach Erwachen als Halluzinationen oder Illusionen weiter bestehen können) sowie
den plötzlichen Beginn und die Tagesschwankungen des Symptomverlaufes
definiert.
Hyperaktive, hypoaktive und gemischte
Verläufe werden unterschieden (17). Über
die Häufigkeit deliranter Symptome bei
onkologischen Patienten in stabiler Krankheitsphase wurden bei der Literaturanalyse
keine verlässlichen Prävalenzraten gefunden. Mögliche behandelbare Ursachen von
deliranten Syndromen sind Medikamente
(auch Opioide und Antidepressiva), Sepsis,
Hirnmetastasen, Exzikose und schwerwiegende Elekrolytverschiebungen (Hyponatriämie, Hyperkalziämie). In der Terminalphase von Erkrankungen wird ein
delirantes Syndrom bei bis zu 90 % der Patienten beobachtet (17).
Empfehlungen der Literatur
Bei der Literaturrecherche wurden keine
Leitlinien, systematischen Reviews oder
kontrollierte Studien zur Therapie des Delirs bei onkologischen Patienten gefunden.
Narrative palliativmedizinische Reviews
empfehlen Haloperidol als Standardmedikament bei hyperaktiven Formen des Delirs. Die initiale Dosis liegt bei 1–2 mg oral
oder subkutan, zweimal am Tag. Die Dosis
kann auf bis zu 3 x 10 mg/d gesteigert werden. Ergänzend wird Midazolam
(5–50 mg/d; s. c. oder i. v.) empfohlen (17).
Eigene Erfahrungen
Falls eine orale Gabe möglich ist, wird Lorazepam (1–4 mg/d) anstelle von Midazolam gegeben. Bei schweren agitierten Formen des Delirs wird eine kontinuierliche
intravenöse Gabe von Haloperidol (bis zu
40 mg/d) und Diazepam (bis zu 50 mg/d)
durchgeführt. Zur Behandlung von Halluzinationen und wahnhaftem Erleben ist
Haloperidol das Mittel der Wahl. Zur
Angstlösung und Sedierung sind meist hohe Dosen Haloperidol (> 10 mg) notwendig. Falls Unruhe und Angst die führenden
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W. Häuser: Pharmakotherapie in der Psychoonkologie
Symptome sind, werden daher Lorazepam
bzw. Risperidon bevorzugt. Im Fall von extrapyramidalen Nebenwirkungen bei
Haloperidolgabe wird das atypische Neuroleptikum Risperidon (0,5–4 mg/d) eingesetzt. Da sich hypoaktive Formen des Delirs unter Neuroleptika verschlechtern können, wird auf die Gaben von Neurolpetika
verzichtet und im Falle von Schlaflosigkeit
und Albträumen eine Therapie mit Lorazepam (0,5–2 mg zur Nacht) durchgeführt.
Palliative Sedierung
Definition, Indikation
und Häufigkeit
Der Begriff palliative Sedierung (Synonyma: terminal sedation, palliative sedation,
end-of-life sedation) beschreibt die medikamentös induzierte und unterhaltene Reduktion des Bewusstseins eines Patienten
mit weit fortgeschrittener Erkrankung und
unerträglichen Symptomen (z. B. Schmerzen, Dyspnoe, agitiertes Delir, Übelkeit/Erbrechen und existenzielle seelische Not)
(20). Die Sedierung kann oberflächlich
(Somnolenz) oder tief (Stupor) durchgeführt werden. Es ist nicht bekannt, wie
häufig eine palliative Sedierung in nicht
spezialisierten Krankenhausabteilungen
oder im ambulanten Bereich eingesetzt
wird. In ambulanten und stationären Palliativ- und Hospizeinrichtungen wurde bei
einer Analyse von 13 Studien eine mediane
Häufigkeit von 25 % (Spannweite 1–72 %)
angegeben (20). Die Initiative für eine palliative Sedierung kann von Patienten, Angehörigen oder Behandlern ausgehen. Die
Indikation für eine palliative Sedierung soll
wie folgt überprüft werden (20):
1. mehrfache Evaluation durch mehrere
Kliniker, obligat einem Psychoonkologen
2. kompetente medikamentöse/psychotherapeutische Behandlung von Angst,
Depressivität und existenzieller Not
3. interdisziplinäre Fallkonferenz
4. gemeinsame Entscheidungsfindung mit
Patient und Angehörigen
5. zunächst vorübergehende Sedierung für
1–2 Tage, danach Rücknahme der Sedierung und erneute gemeinsame Diskussion der Optionen
Fazit für die Praxis
Psychopharmaka (Antidepressiva, Tranquilizer und Neuroleptika) werden in der Onkologie häufig eingesetzt (2, 9, 18) – wahrscheinlich häufiger von „Somatikern“ als von Psychoonkologen. Fehlende Empfehlungen zur
psychopharmakologischen Therapie in deutschen onkologischen Leitlinien weisen auf
Versäumnisse von psychoonkologisch tätigen Psychosomatikern und Psychiatern hin,
psychopharmakologische Therapieoptionen
in der Psychoonkologie zu etablieren. Die
wissenschaftliche Evidenz für die Wirksamkeit psychopharmakologischer und psychotherapeutischer Verfahren zur Behandlung
von psychischen Störungen (Major Depression, Panikstörung, Delir) bei onkologischen
Patienten ist schwach. Aufgrund fehlender
oder unzureichender personeller Ressourcen
von psychosomatischen bzw. psychiatrischen Konsiliar-Liaison(CL)-Diensten in den
meisten Akutkliniken Deutschlands ist nach
Ansicht des Autors eine psychopharmakologische Behandlung von psychischen Störungen bzw. psychosomatischen Symptomen
bei onkologischen Patienten durch den CLDienst bzw. durch primär somatisch tätige
Ärzte im Rahmen der psychosomatischen
Grundversorgung einer fehlenden Behandlung vorzuziehen.
Empfehlungen der Literatur
Bei der Literaturrecherche wurden keine
Leitlinien oder systematische Reviews zur
palliativen Sedierung gefunden. Eine multizentrische japanische Studie bestätigte die
ethische Validität der palliativen Sedierung
in spezialisierten Einrichtungen (10). Narrative palliativmedizinische Reviews empfehlen Midazolam (Beginn mit 0,4 mg/d,
Steigerung bis 4,5–10 mg/h) aufgrund der
mit der kurzen Halbwertszeit einhergehenden guten Steuerbarkeit. Alternativ kann
Diazepam (10–60 mg/d), auch subkutan
oder in Form von Suppositorien, gegeben
werden. Weiterhin wird das Neuroleptikum Levopromazin (Bolusgabe 25 mg,
weitere Titration mit 25–300 mg/d intravenös) eingesetzt. Als Alternative wird das
Allgemeinanästhetikum Propofol genannt,
das sich durch eine sehr gute Steuerbarkeit
und eine zusätzliche antiemetische und antipruriginöse Wirkung auszeichnet.
Psychopharmakologische
Therapieoptionen
Zusammenfassung psychopharmakologischer Therapieoptionen in der Onkologie
(Präferenzen des Autors):
● Major Depression, depressive Anpassungsstörung
– ängstlich-agitiert:
Doxepin (25–100 mg/d)
– gehemmt-apathisch:
Sertralin (25–100 mg/d)
● Angststörungen
– Panikstörung:
Sertralin (25–100 mg/d)
– generalisierte Angststörung:
Opipramol (25–150 mg/d)
– ängstliche Anpassungsstörung:
Doxepin (25–100 mg/d) oder
Lorazepam (0,5–4 mg/d)
● Delirium
– Haloperidol (1–30 mg/d) und/oder
Lorazepam (0,5–4 mg/d)
● terminale Sedierung
– Diazepam (10–60 mg/d)
– Morphin (30–300 mg/d)
Eigene Erfahrungen
Die palliative Sedierung wird in Kombination
von Diazepam und Morphin durchgeführt.
Bei morphinnaiven Patienten wird eine Testdosis von 5 mg (subkutan oder intravenös)
gegeben, anschließend je nach Wirkung titriert (Dosen zwischen 30–300 mg/d). Bei
opioidvorbehandelten Patienten wird die Tagesdosis auf Morphin umgerechnet und diese Dosis intravenös verabreicht.
Schlussfolgerung
Die klinische Erfahrung des Autors spricht für
die Notwendigkeit und Wirksamkeit einer
Therapie mit sedierenden Antidepressiva bei
ängstlich-agitierten depressiven Syndromen,
mit Tranquilizern bei dekompensierten
Angststörungen, mit Neuroleptika/Tranquilizern bei hyperaktiven deliranten Syndromen
und mit Tranquilizern/Opioiden bei der terminalen Sedierung. Eine Zusammenfassung
psychopharmakologischer Therapieoptionen
in der Onkologie findet sich in 씰Kasten 3.
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W. Häuser: Pharmakotherapie in der Psychoonkologie
Es ist nach Ansicht des Autors sinnvoll,
sich bei der Auswahl der Psychopharmaka
auf wenige Substanzen zu beschränken, um
ausreichende eigene Erfahrungen mit der
Wirksamkeit und den Nebenwirkungen
der Präparate zu sammeln.
7.
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Literaturtipp zum Thema
Psychoonkologie
Das Besondere an diesem Buch ist sein ungewöhnlicher Aufbau: Zum einen interviewt der Autor als Behandler 16 unterschiedliche Krebspatienten in Form eines Telefoninterviews, zum anderen befragt ein (fiktiver) Interviewer den Behandler selbst
zu allen wesentlichen Fragen rund um die Diagnose Krebs.
Die Patienten kommen alle aus unterschiedlichen Lebenslagen (Alter, Geschlecht), leiden
unter verschiedenen Krebsarten und befinden
sich in den unterschiedlichsten Stadien der Erkrankung. Ihre Geschichten zeigen jedoch eine Art roten Faden: Auf die Eröffnung „Sie haben Krebs“ folgt dem ersten Schock und dem
nachfolgenden Chaos und Zusammenbrechen eine neue Lebensqualität oder auch „Lebens-Farbe“. Durch die psychoonkologische
Betreuung erleben die Patienten eine innere
Wandlung, sie spüren deutlich ihr persönliches Wachsen und Streben nach Sinn und eigenen Werten, eigenem Rhythmus und intensiven Begegnungen. Ihre Geschichten blenden das Schlimme und Beängstigende nicht
aus – sie lassen durch die Bedrohung eine positive Reifung hin zum eigenen Ich erkennen.
Jeder Patient wird sich nach Erhalt der Diagnose fragen, ob und wenn ja wie er zur Entstehung der Krankheit beigetragen hat. Interessant ist zum Beispiel, dass bei der in jedem Interview gestellten Frage „Womit bringen Sie
Ihre Erkrankung im Nachhinein in Verbindung?“ alle Patienten auch bei sich eine Mitverantwortung (manche sogar Schuld) sehen.
Dr. Elmar Reuter löst dies sehr differenziert in
seinen Antworten auf: Beherrschend ist die
Studienlage, die die Ursachen einer Krebserkrankung nicht im Betroffenen selbst, seiner
Persönlichkeit, seinen Gefühlen und Gedanken
findet. Allerdings sieht die Wissenschaft eine
15. Rothenhäusler HB. Depression bei körperlichen
Erkrankungen – Diagnose und Therapie vor konsiliar-psychiatrischem Hintergrund. Fortschr Neurol
Psychiat 2003; 71: 358–365.
16. Singer S, Bringmann H, Hauss J et al. Prävalenz komorbider seelischer Störungen und nach psychosozialer Hilfe bei Patients mit malignen Tumoren im
Akutkrankenhaus. Dtsch Med Wochenschr 2007;
132: 2071–2076.
17. Stagno D, Gibson C, Breitbart W. The delirium subtypes: a review of prevalence, phenomenology, pathophysiology, and treatment response. Palliat Support Care 2004; 2: 171–179.
18. Stiefel F, Berney A, Mazzocato C. Psychopharmacology in supportive care in cancer: a review for
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19. Wald TG, Kathol RG, Noyes R Jr et al. Rapid relief of
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placebo. Psychosomatics 1993; 34: 324–332.
20. Weber M, Strohscheer I, Samonigg H et al. Palliative
Sedierung – eine Alternative zur Euthanasie bei unerträglichem Leid am Ende des Lebens? Med Klin
2007; 100: 292–298.
21. Williams S, Dale J. The effectiveness of treatment for depression/depressive symptoms in adults with cancer: a
systematic review. Br J Cancer 2006; 94: 372–390.
22. van Heeringen K, Zivkov M. Pharmacological treatment
of depression in cancer patients. A placebo-controlled
study of mianserin. Br J Psychiatry 1996; 169: 440–443.
23. Ziólko E, Knopik J, Bucior J, Foltyn W, JastrzebskaOkon K, Tomczyk A, Kempinski M. Evaluation of
the usefulness and effectiveness of anxiolytic therapies in neoplastic diseases. Pol Merkur Lekarski.
2004 Jun; 16: 561–564.
Mitbeteiligung durchaus im umfassenderen
„Lebensstil“ im Sinne einer gesellschaftlichsozialen Umgebungsbedingung, innerhalb
der sich auch die persönliche Psyche des Erkrankten formt.
Dr. Elmar Reuter ist seit 35 Jahren niedergelassener Psychotherapeut, Ausbilder und
Supervisor von Psychoonkologen. Seit zehn
Jahren beschäftigt er sich fast nur noch mit
Krebspatienten. Sein Buch soll informieren,
ermutigen, Hilfestellung geben und vor falscher Hoffnung, aber auch vor falscher Hoffnungslosigkeit schützen. Gedacht ist es für
Betroffene, Angehörige und Freunde – und
nicht zuletzt auch für Behandler, die sich der
„Innenseite“ des Krebses öffnen.
Elmar Reuter
Leben trotz Krebs – eine Farbe
mehr
Interviews zu einem gelingenden Leben nach Krebs
Schattauer Verlag 2010, 181 Seiten, EUR 19,95,
ISBN 978–3–7945–2753–3
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Aktuelle Serie: Knochentumoren
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Knochentumoren
Neben den häufigen Veränderungen des
Knochens im Rahmen von metabolischen
Erkrankungen und Entzündungen gibt es
die tumorösen Erkrankungen des Knochens. Hier muss in der täglichen Praxis
zwischen benignen Tumoren, tumorsimulierenden Läsionen des Knochens und malignen Tumoren unterschieden werden.
Die Behandlung, gerade von malignen
Knochentumoren, bleibt auch heutzutage
eine Herausforderung. In den vergangenen
zwei Jahrzehnten ist die Diagnostik und die
Therapie von Knochentumoren nachhaltig
verbessert worden. Die weitere wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Tumoren des Bewegungsapparats versprechen
Fortschritte in der Behandlung und eine
Verbesserung in den funktionellen Ergebnissen und dem Überleben.
Der wichtigste Faktor dieser Verbesserungen ist der Tatsache zu zollen, dass
Knochentumoren, und gerade maligne
Knochentumoren, zentralisiert in spezialisierten Zentren vorgestellt und behandelt
werden. Die Komplexität der Diagnose und
der daraus resultierenden Therapie verlangt eine konsequente interdisziplinäre
Zusammenarbeit in einer dafür eingerichteten Infrastruktur. Selbst vermeintlich
gutartige Veränderungen des Knochens
können deutliche und langwierige Probleme für den Patienten bedeuten.
Die radiologische Diagnostik und die
korrekte Biopsie mit histologischer Beurteilung spielen in dem Gesamtkonzept der
Therapie von Knochentumoren eine zentrale Rolle. Es werden die malignen Tumoren
im Kindesalter, die chondrogenen Tumoren
und der Riesenzelltumor vorgestellt. Die
Darstellung von Fällen eines Hibernoms soll
die Vielseitigkeit der Möglichkeiten einer tumorösen Knochenveränderung zeigen.
Diesen Themen, die in einem Schwerpunktheft der „Osteologie“ erschienen
sind, widmen wir uns in der „Onkologischen Welt“ in Form einer Serie. Wir hoffen, sie stößt auch auf Ihr Interesse und
freuen uns über Ihre Rückmeldung.
Prof. Andreas Kurth, Mainz
Prof. Dr. med. Andreas Kurth
Mainz im Februar 2010
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Aktuelle Serie: Knochentumoren
Bioptische Sicherung von gutund bösartigen Knochentumoren
J. Bruns1; G. Delling2; C. R. Habermann3
1Schwerpunkt
orthopädische Chirurgie, Diakonieklinikum Hamburg, Standort „Alten Eichen“, Hamburg; 2Institut für
Pathologie, MVZ, Marienkrankenhaus Hamburg; 3Klinik und Poliklinik für diagnostische und interventionelle Radiologie, Diagnostikzentrum Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
Schlüsselwörter
Tumor, Knochen, Sarkom, Biopsie
Zusammenfassung
Knochentumoren, meist benigne Läsionen
oder tumorähnliche Läsionen, sind relativ häufig. Maligne Primärtumoren des Skelettapparates, meist Osteo-, Chondro- und EwingSarkome, dagegen relativ selten, Knochenmetastasen wiederum sehr häufig. Die Symptome dieser Tumoren oder tumorähnlichen Läsionen sind unspezifisch. Am dramatischsten
sind pathologische Frakturen. Die Therapie
dieser Erkrankungen ist sehr unterschiedlich:
Benigne Läsionen werden in der Regel ohne
Sicherheitsabstand reseziert, zystische Tumoren und tumorähnliche Läsionen meist „intraläsional“ ausgeräumt. Zusätzliche intraoperative Maßnahmen, sogenannte Kautherisierungen, helfen, mikroskopische Tumorreste abzutöten. Anschließend wird der Defekt meist mit
einer Knochenzementplombe (thermische
Kautherisierung) aufgefüllt und erst zweizeitig
mit autogenem Knochen aufgefüllt. Bei Knochenmetastasen besteht meist ein palliatives
Therapiekonzept, da die Grunderkrankung einen wesentlichen Einfluss auf die Prognose
quoad vitam hat. Dagegen hat bei primären
Malignomen des Knochens die Therapie in aller Regel ein kuratives Ziel. Die operative Resektion steht dabei im Zentrum der Behandlung, Chemo- und Strahlentherapie stellen
neo- und adjuvante Maßnahmen dar und haben einen wesentlichen Einfluss auf die Prognose. Der bioptischen Diagnostik kommt ein
Korrespondenzadresse
Prof. Dr. med. Juergen Bruns
Schwerpunkt orthopädische Chirurgie
Diakonieklinikum Hamburg Standort „Alten Eichen“
Jütländer Allee 48, 22527 Hamburg
Tel. 0 40 /54 87 21–01, Fax –09
E-Mail: [email protected]
wesentlicher Stellenwert zu. Biopsien werden
in Inzisions- und Exzisionsbiopsien unterschieden. Bei den Inzisionsbiopsien unterscheidet
man Nadel- oder Stanz- von offenen Biopsien.
Für die Probenentnahme gibt es genau beschriebene Leitlinien. Da die Biopsiestelle
durch Tumorzellen kontaminiert ist, muss diese bei malignen Tumoren bei der späteren operativen Tumorresektion mit kurativem Operationsziel zusammenhängend mit dem Tumor
entfernt werden. Von der Inzisions- ist die Exzisionsbiopsie zu unterscheiden. Aufgrund der
multimodalen Therapie bei Sarkomen ist eine
Exzisionsbiopsie nur bei Tumoren und tumorähnlichen Läsionen des Knochens indiziert, bei
denen keine oder nur eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit eines malignen Geschehens besteht. Auch dann sind die Kriterien „möglichst
geringe Kontamination der Umgebung“ und
„Berücksichtigung einer eventuellen Nachresektion“ zu beachten. Im Zweifelsfall ist immer eine Inzisionsbiopsie der Exzisionsbiopsie
vorzuziehen. Da die Komplikationsrate von
Biopsien, egal welcher Technik, durchgeführt
in einer Institution außerhalb eines Tumorzentrums signifikant höher ist, sollte der Patient
im Zweifelsfall noch vor einer Biopsie in ein Tumorzentrum überwiesen werden, zumindest
sollten die Durchführungskriterien mit einem
derartigen Zentrum vor der Biopsie abgesprochen werden. Erfolgt eine Biopsie außerhalb
eines Tumorzentrum, ist für den späteren Operateur eine bildgebende Dokumentation zur
Identifikation der Biopsiestelle zwingend notwendig.
Onkologische Welt 2010; 1: 38–43
Nachdruck aus:
Osteologie 2009; 18: 177–183
Gutartige Knochentumoren und sogenannte tumorähnliche Läsionen (TÄL)
sind relativ häufig. Diese benignen Entitäten können teilweise eine hohe Rezidivrate
aufweisen (1, 2). Unter den malignen Tumoren stellen die Knochenmetastasen die
häufigsten Läsionen dar. Sehr viel seltener
sind primäre Malignome des Knochens,
wie Osteo- und Ewing-Sarkome, die besonders im Kindes- und Jugendalter auftreten
(3, 4), und das Chondrosarkom, das das
häufigste Knochensarkom im Erwachsenenalter ist (5, 6). Die Chance für einen
nicht onkologisch tätigen Orthopäden, einen malignen Tumor des Skelettapparates
zu sehen, beträgt weniger als einen Tumor
in drei Jahren (7).
Benigne Knochentumoren und TÄL
werden in der Regel ohne Sicherheitsabstand reseziert bzw. es erfolgt eine „intraläsionale Ausräumung“ mit anschließender Defektauffüllung, meist mit Knochenzement nach zusätzlicher chemischer, mechanischer und/oder thermischer Kautherisierung mit verschiedenen Maßnahmen
wie hochprozentigem Alkohol für Minuten, Radiofrequenzablation oder Knochenzement (Polymerisationshitze) (8).
Anders gestaltet sich die Behandlung
von primären Malignomen des Knochens.
Während bei Sarkomen meist ein kuratives
Therapieziel besteht (3), hat die Behandlung von Knochenmetastasen dagegen in
den meisten Fällen ein palliatives Behandlungsziel (9–12). Nur in Ausnahmefällen
kann auch bei Knochenmetastasen ein kuratives Behandlungsziel bestehen.
Da klinisch die Symptome völlig unspezifisch sind, laborchemische Untersuchungen nur selten helfen und die bildgebende
Diagnostik, obwohl sie in den letzten Jahren wesentliche Verbesserungen erzielt hat,
eine definitive Diagnose nicht erlaubt, ist
diese in fast allen Fällen erst mittels Biopsie
und histopathologischer Untersuchung zu
stellen.
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J. Bruns et al.: Bioptische Sicherung von gut- und bösartigen Knochentumoren
Auch wenn die Bildgebung (meist MRT
und Röntgen) eindeutige Malignitätskriterien zeigt, ist es für die nach Diagnosestellung wahrscheinlich indizierte multimodale Therapie wichtig, den Grad der Malignität und die Sarkomentität zu kennen, da die
neoadjuvante Behandlung mit Chemotherapie und gegebenenfalls Strahlentherapie
(Ewing-Sarkomgruppe) dieser Tumoren
unterschiedlich ist.
Nicht nur bei Verdacht auf einen malignen Primärtumor des Knochens ist aufgrund der therapeutischen Konsequenzen
eine Biopsie unverzichtbar. Auch wenn es
sich um eine Knochenmetastase oder um
eine maligne hämatologische Erkrankung
wie ein Plasmozytom oder Lymphom handeln könnte, besonders wenn derartige Erkrankungen bisher nicht bekannt sind,
kann eine Biopsie, ebenso wie bei unklaren,
aber benignen Läsionen, notwendig sein
(13, 14).
Die Eröffnung des Tumors bzw. der TÄL
durch die Biopsie führt unvermeidbar zu
einer Kontamination des Biopsiekanals
durch Tumorzellen. Dies ist während der
Biopsie hinsichtlich der späteren operativen Therapie mit kurativem Therapieziel
eines malignen Prozesses zu berücksichtigen.
Eine inadäquate Resektion, d. h. keine
„weite Resektion“ (SSS-Definition nach
Enneking) oder keine „R0-Resektion“
(UICC-Definition) verschlechtert die Behandlungsergebnisse eindeutig. Auch
durch eine adjuvante Therapie kann dieser
Nachteil nicht ausgeglichen werden
(15–19). Daraus folgt, dass der Biopsiekanal als Teil des Tumors gilt.
Eine kurative Resektion maligner Knochentumoren erfordert daher, den Biopsiekanal zusammenhängend mit dem Tumor
zu entfernen.
Ist der Biopsiekanal aufgrund mangelnder Markierung bzw. Dokumentation
nicht wiedererkennbar und somit nicht zusammenhängend mit dem eigentlichen Tumor zu entfernen, kann das kurative Ziel
einer „weiten“ oder R0-Resektion nicht erreicht werden. Es besteht die Gefahr, dass
sich eine Implantationsmetastase bzw. ein
Rezidiv entwickelt (20–22). Diese Betrachtungsweise des Biopsiekanals stellt eines
der Hauptkriterien für eine Probenentnahme dar.
Vor einer Biopsie sollte immer eine interdisziplinäre Besprechung zwischen dem
Operateur, dem Radiologen und dem Pathologen erfolgen. Es sollten dabei drei Differenzialdiagnosen genannt werden, um
die Aufmerksamkeit zu steigern und um
möglichst früh weitere therapeutische
Schritte einleiten zu können. Außerdem
sollte definiert werden, aus welchem Teil
der Läsion bzw. des Tumors Gewebe zu entnehmen ist (13, 14).
Liegt ein extraossärer Tumoranteil vor,
wird in der Regel aus diesem Bereich die
Biopsie entnommen. Bei rein ossären Prozessen ist es wichtig, die Biopsie nicht aus
der meist zentral befindlichen Nekrose zu
entnehmen, da es dem Pathologen unmöglich ist, anhand nekrotischen Gewebes eine
Diagnose zu stellen.
Eine Besonderheit unter den primären
Malignomen des Knochens stellt das dedifferenzierte Chondrosarkom dar (23, 24)
(씰Kasuistiken Beispiel 2). Bei diesem Tumor liegen nebeneinander zwei sehr unterschiedliche Tumoranteile vor: Der chondroide Anteil, der für die Prognose relativ
unwichtig ist, und der dedifferenzierte Anteil, der die Prognose wesentlich bestimmt.
Fatal wäre es, ein Areal mit fraglich dedifferenziertem Tumorgewebe zu übersehen
und die Biopsie aus dem chondroiden Bereich zu entnehmen. Dies könnte zur Folge
haben, dass der Tumor in seinem Grading
zu niedrig eingestuft wird, ein Grad-I–IIIChondrosarkom oder gar ein Enchondrom
ohne Dedifferenzierung angenommen
wird und „nur“ eine operative Resektion
ohne adjuvante Therapie erfolgen würde.
Das dedifferenzierte Chondrosarkom ist
eines der wenigen Chondrosarkome, das
nicht nur operativ zu behandeln ist, sondern auch einer neo- und/oder adjuvanten
Chemotherapie zugänglich ist.
Nach der Biopsie muss nachvollziehbar
sein, an welcher anatomischen Lokalisation
diese erfolgte. Bei einer offenen Inzisionsbiopsie markiert die spätere Narbe auf dem
Hautniveau die Zugangsstelle. Bei Nadeloder Stanzbiopsien ist es unabdingbar, diese Stelle in geeigneter Weise permanent zu
markieren, damit der Operateur den –
wenn auch dann kleinen – Biopsiekanal
mit dem Tumor zusammen entfernen
kann.
Vorgehensweisen
Bei den Biopsien sind prinzipiell
zwei Vorgehensweisen zu unterscheiden
●
●
Eine Inzisionsbiopsie hat das Ziel, einen
repräsentativen Teil des Tumors für diagnostische Zwecke zu gewinnen. Dabei
verbleibt der größte Teil des Tumors
vorerst im Patienten. Erst zweizeitig erfolgt nach Diagnosestellung und eventuell neoadjuvanter Therapie die Tumorresektion, meist mit dem Ziel einer
„weiten Resektion“ (13, 14, 25, 26).
Bei einer Exzisionsbiopsie wird dagegen
der gesamte Tumor ohne Sicherheitsabstand entfernt und der histopathologischen Untersuchung zugeführt. Dies ist
die Vorgehensweise bei benignen Läsionen bzw. TÄL, bei denen nach der interdisziplinären Besprechung keine oder
nur eine verschwindend geringe Wahrscheinlichkeit für ein Malignom besteht.
Die Inzisionsbiopsie, ob offen oder mittels
Nadeln oder Stanzen durchgeführt, ist immer dann indiziert, wenn der Verdacht auf
einen malignen Prozess besteht.
Die Inzisionsbiopsie kann prinzipiell in Form
einer offenen Inzisionsbiopsie oder einer
Nadel- oder Stanzbiopsie erfolgen.
Die offene Inzisionsbiopsie gilt als „Goldener Standard“ (7). Bei ihr wird nach vorheriger Definition der Zugangsstelle der
Tumor auf möglichst direktem Wege transmuskulär über eine Längsinzision erreicht
und ein ausreichend großes Gewebestück
entnommen. Liegt ein extraossärer Tumoranteil vor, sollte aus diesem Bereich Gewebe entnommen werden. Bei ausschließlich
im Knochen liegenden Läsionen ist aus
möglichst vitalen Arealen Gewebe zu entnehmen, um dem Pathologen die Diagnosestellung zu ermöglichen.
Bei einer Nadel- oder Stanzbiopsie handelt es sich um eine minimalinvasive Methode. Prinzipiell wird dabei mittels einer
Nadel oder Stanze aus dem zuvor definierten Tumorareal eine Probe zur histologischen Untersuchung entnommen. Die wesentliche Problematik besteht darin, ausreichend Gewebe zu gewinnen. Nadelbiop-
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J. Bruns et al.: Bioptische Sicherung von gut- und bösartigen Knochentumoren
sien können im Unterschied zu Stanzen
nur geringe Gewebemengen fördern und
sind für Biopsien am Knochen aufgrund
seiner Härte wenig geeignet. Auch wenn
mittels Nadelbiopsie Gewebe gewonnen
werden kann, ist häufig nur eine zytologische und keine histologische Diagnostik
möglich.
Für die Stanzbiopsie von hartem Knochengewebe hat sich die Jamshidi-Stanze
bewährt (27–30). Mit ihr lässt sich ein je
nach Größe bzw. Länge der Stanze unterschiedlich großer Stanzzylinder gewinnen,
der auch eine histologische und nicht nur
eine zytologische Diagnostik möglich
macht. Bei zu hartem Knochengewebe oder
zu flüssigem Gewebe kann jedoch auch mit
einer Stanze die Biopsie frustran verlaufen.
Wegen der bereits genannten Kriterien
ist immer die Lage der Instrumente während der Biopsie durch ein geeignetes bildgebendes Verfahren zu dokumentieren. In
aller Regel sollte es sich um eine radiologische Methode (Röntgen, CT oder eventuell
MRT) handeln. Dabei ist darauf zu achten,
dass zweifelsfrei wiedererkennbare anatomische Landmarken abgebildet werden.
Eine Dokumentation mittels Ultraschall
erscheint nicht nur den Autoren als unzureichend, da anatomische Landmarken
nicht ausreichend sicher erkennbar sind.
Insbesondere zur Abbildung des Knochens
reicht eine Sonografie nicht aus. Außerdem
ist die maximale Vordringtiefe des Instrumentes zu dokumentieren. Fatal wäre es,
wenn durch eine zu forsche Vorgehensweise der Tumor durchstoßen wird und somit
das gegenseitige gesunde Gewebe bzw. ein
weiteres Kompartiment oder gar Leitungsstrukturen wie Nerven oder Gefäße kontaminiert oder verletzt werden.
Bei einer Exzisionsbiopsie wird dagegen
der Tumor komplett im Sinne einer Enukleation entfernt und histopathologisch
untersucht. Diese Vorgehensweise ist nur
bei geringem Malignitätsverdacht, kleiner
Tumorgröße (< 5 cm) und oberflächlicher,
epifaszialer Lage im Weichteil bzw. entsprechenden Kriterien am Knochen (z. B. Enchondrom) oder bei zystischen Läsionen
und „intraläsionaler Ausräumung“ indiziert.
Auch bei einer Exzisionsbiopsie ist es
wichtig, die Kontamination der Umgebung
möglichst gering zu halten, da sich trotz
Annahme eines benignen Prozesses nach
der histopathologischen Untersuchung ein
maligner Prozess ergeben könnte. Werden
die Durchführungskriterien einer Inzisionsbiopsie – soweit möglich – auch bei Exzisionsbiopsien beachtet, ist auch in derartigen Fällen eine Nachresektion mit „weiten Resektionsrändern“ möglich und somit
das operativ-onkologische Ziel weiterhin
erreichbar.
Grundregeln für Biopsien
bei Verdacht auf einen
malignen Knochentumor
Das oberste Gebot lautet: Vermeidung einer größeren Kontamination der gesunden
Umgebung, denn es könnte sich ergeben,
dass es sich doch um ein Malignom handelt, das zur Nachresektion zwingt. Werden
also auch bei benignen Läsionen die allgemeinen Kriterien eingehalten, kann eine
Nachresektion ohne große Probleme ablaufen.
1. Präoperativ ist in einer interdisziplinären Besprechung zwischen Radiologen,
Pathologen und Operateur anhand der
Bildgebung (meist Röntgen und Magnetresonanztomografie) das Tumorareal zu definieren, das die größte Wahrscheinlichkeit bzw. höchste Trefferquote
besitzt, um repräsentatives, möglichst
nicht ossifiziertes und nicht nekrotisches Gewebe zu gewinnen.
2. Bei der Operation kann eine Blutsperre
fakultativ angelegt werden. Eine Blutleere verbietet sich, da das notwendige Auswickeln der Extremität zum verstärkten
Auspressen von Tumorzellen führen
kann. Eine Blutsperre sollte vor Wundverschluss geöffnet werden, um etwaige
Blutungen suffizient versorgen zu können und um Hämatome zu vermeiden.
3. An Extremitäten sollten nur längsverlaufende Inzisionen erfolgen. Sie sollten
möglichst weit distal und so lokalisiert
sein, dass sie bei der späteren Resektion
des Tumors im Verlauf der Inzision zur
Tumorresektion liegen. Die verheilte
Biopsienarbe gilt als durch Tumorzellen
kontaminiert und wird mit dem Tumor
zusammenhängend später reseziert. Bei
Knochentumoren, die auf den Knochen
begrenzt sind und keinen Weichteilanteil aufweisen, wird durch eines der
Muskelkompartimente eingegangen.
Eine Präparation im Spaltraum der Faszien zwischen zwei Muskelkompartimenten ist zu vermeiden. Dies unterscheidet sich deutlich von einer Präparation bei nicht tumorösen Erkrankungen. Die Präparation erfolgt direkt
auf den Tumor zu, eine Präparation zur
Seite ist zu vermeiden, da sie das Kontaminationsareal vergrößert. Eine Präparation nahe von Gefäßen und Nerven
ist zu vermeiden, da diese – ebenso wie
Faszien – als Ausbreitungsschienen für
Tumorzellen gelten. Dadurch würde die
Kontaminationsgefahr in der Umgebung erhöht werden. Weist eine knöcherne Läsion einen Weichteilanteil auf
oder könnte es sich um ein Weichteilsarkom mit sekundärer Beteiligung des
Knochens handeln, sollte aus dem extraossären Anteil bzw. aus dem nicht ossifizierten Areal die Gewebeprobe entnommen werden, soweit andere Kriterien
nicht verletzt werden.
4. Eine weitere Prämisse besteht darin, vitales Tumorgewebe zu gewinnen. Da
viele Tumoren eine zentrale Nekrose
aufweisen, ist eine Gewebeentnahme
aus meist zentral liegendem Nekroseareal zu vermeiden. Sinnvoller ist die
Probenentnahme aus der Tumorperipherie, da hier die Chance, vitales Tumorgewebe zu erhalten, sehr viel größer
ist.
5. Nach Entnahme von ausreichendem
Gewebe erfolgt bei offenen Biopsien eine subtile Blutstillung, gegebenenfalls
zusätzlich die Einlage von Hämostyptika. Die Verwendung einer Drainage ist
obligat, jedoch darf der Drainagekanal
nicht zusätzlich gesundes Gewebe bzw.
andere, intakte Kompartimente durchqueren und somit kontaminieren. Daher ist die Drainage aus dem Wundwinkel oder in einer Entfernung von ca.
1 cm unmittelbar in Verlängerung des
Schnittes auszuleiten.
6. Der Hautverschluss hat atraumatisch
mit intrakutaner Naht oder mit schmaler transkutaner Naht zu erfolgen. Breite, durchgreifende Nähte sind wegen der
Kontaminationsgefahr zu vermeiden.
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J. Bruns et al.: Bioptische Sicherung von gut- und bösartigen Knochentumoren
Kasuistiken
Beispiel 1
Ein 74-jähriger Mann mit bekanntem
Prostatakarzinom klagte seit Wochen über
Kniegelenksbeschwerden rechts. Das MRT
zeigte eine große Osteolyse im Bereich des
distalen Femurs (씰Abb. 1a). Unter der Annahme einer Knochenmetastase des Prostatakarzinoms erfolgte andernorts ohne
vorherige Inzisionsbiopsie die palliative,
intraläsionale Stabilisierung mittels Verbundosteosynthese (씰Abb. 1b). Die histopathologische Untersuchung ergab überraschenderweise die Diagnose eines malignen, fibrösen Histiozytoms des Femurs.
Daraufhin erfolgte zunächst die neoadjuvante Chemotherapie. Da glücklicherweise
nach der Erstoperation die Kontamination
der Umgebung gering war, war eine weite
Resektion mit Implantation eines distalen
Femurteilersatzes möglich (씰Abb. 1c–d =
intraoperativer Situs; 씰Abb. 1f, 씰Abb. 1g
= postoperatives Röntgenbild).
Beispiel 2
Ein 65-jähriger Mann klagte seit mehreren
Wochen über Schmerzen und Schwellung
im mittleren Oberschenkel. Die bildgebende Diagnostik ergab einen großen diaphy-
c)
a)
d)
e)
g)
f)
b)
Abb. 1 MRT (sagittale Ebene) mit Darstellung einer Osteolyse im distalen
Femur (a); Röntgenbild mit Verbundosteosynthese (b); präoperative Situation mit eingezeichnetem Resektionsbereich unter Mitnahme der Austrittsstelle der Drainage (c); intraoperativer Situs: Die alte Inzisionsnarbe wird
komplett und am Resektat anhaftend reseziert (d); Situs nach Resektion und
Implantation eines distalen Femurteilersatzes (Modell MUTARS®, Fa. Implantcast, Buxtehude) (e); postoperative Röntgenaufnahmen (f, g)
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42
J. Bruns et al.: Bioptische Sicherung von gut- und bösartigen Knochentumoren
a)
b)
c)
d)
Abb. 2 MRT (koronale Ebene) eines dedifferenzierten Chondrosarkoms mit den zwei Komponenten
(die Pfeile markieren den dedifferenzierten Anteil) (a); transversales MRT-Bild: zu erkennen ist der große extraossäre Anteil (b); Röntgenbild der pathologischen Fraktur: kurzer Pfeil = chondroide Tumorkomponente; langer Pfeil: dedifferenzierte Komponente (c); postoperatives Röntgenbild nach „weiter Resektion“ und Stumpfaufbauplastik (Modell MUTARS®, Fa. Implantcast, Buxtehude) (d)
sär lokalisierten Knochentumor des Femurs mit einem großen extraossären Tumoranteil. Das MRT-Bild zeigt zwei Komponenten des Tumors, einen chondroiden
Anteil sowie einen nicht chondroiden Anteil (씰Abb. 2a, 씰Abb. 2b) Die Pfeile kennzeichnen den nicht chondroiden extraossären Tumoranteil.
Nach interdisziplinärer Besprechung erfolgte unter der Verdachtsdiagnose „dedifferenziertes Chondrosarkom“ trotz pathologischer Fraktur (씰Abb. 2c [die Pfeile
kennzeichnen den nicht chondroiden –
langer Pfeil – und den chondroiden intramedullären Tumoranteil – kurzer Pfeil])
zunächst die Inzisionsbiopsie aus dem
nicht chondroiden extraossären Tumoranteil. Die Verdachtsdiagnose wurde bestätigt. Daraufhin erfolgte aufgrund der
Weichteilbeteiligung und der prospektiv
mangelnden Weichteildeckung einer möglichen Tumorendoprothese eine weite Tumorresektion im Sinne der Hüftexartikulation und anschließender Stumpfaufbau-
plastik (씰Abb. 2d). Damit war eine bessere
Prothesenversorgung möglich als nach einer Hüftexartikulation.
Diskussion
Anders als Karzinome sind muskuloskelettale Sarkome selten und stellen für den
nicht onkologisch tätigen erstbehandelnden Arzt außerhalb eines Tumorzentrums
eine Rarität dar (7). Dies gilt für Knochenund Weichteilsarkome. In beiden Fällen
sind benigne Läsionen etwa hundertmal
häufiger als maligne (1, 2). Das mag der
Grund dafür sein, dass das korrekte Prozedere einer Biopsie häufig nicht eingehalten wird. Schon 1982 hatten Mankin et al.
(25) berichtet, dass die Komplikationsrate
von Biopsien bei Tumoren des Muskel-Skelett-Apparates bei Institutionen, die keine
Tumorzentren darstellten, signifikant höher lag als in Tumorzentren. Erschreckend
war die Erfahrung, dass trotz intensiver
Aufklärung über die Gefahren einer insuffizienten Biopsie der gleiche Erstautor 14
Jahre später (25, 26) nach einer erneuten
Analyse feststellen musste, dass sich keine
signifikante Änderung hinsichtlich der
Komplikationsrate ergeben hatte: Weiterhin unterschieden sich die Komplikationsraten und Fehler signifikant: Biopsien,
durchgeführt in zuweisenden, nicht spezialisierten Institutionen, wiesen trotz zahlreicher Aufklärungskampagnen abermals eine zwei- bis zwölfmal höhere Fehlerquote
auf als diejenigen, die an einem Zentrum
erfolgten.
Aufgrund der unspezifischen Symptomatik muskuloskelettaler Tumoren besteht
die wichtigste diagnostische Maßnahme
darin, überhaupt an das Vorliegen eines
malignen Tumors zu denken.
Besteht der Verdacht auf ein malignes
oder in seiner Dignität unklares Tumorleiden, sollte noch vor einer Biopsie ein Tumorzentrum konsultiert werden.
Diverse Untersuchungen haben gezeigt,
dass die Entwicklung von diagnostischen
und therapeutischen Strategien in einem
spezialisierten Tumorzentrum mit interdisziplinärem Vorgehen die Behandlungsergebnisse deutlich verbessert (7, 25, 26).
Welche Form der Inzisionsbiopsie gewählt
wird, hängt u. a. von der Erfahrung der einzelnen Zentren ab. Die offene Biopsie gilt
als „Goldstandard“ (7).
Mehrere Untersuchungen über die Wertigkeit von Biopsien am Muskel-Skelett-Apparat, die leider aufgrund der unterschiedlichen Nomenklatur nicht direkt vergleichbar
sind, unterschiedliche Rahmenbedingungen aufweisen und meist Weichteil- und
Knochentumoren gleichzeitig untersuchten, haben aus verschiedenen Tumorzentren
Folgendes gezeigt: Mit einer „needle-core“Biopsie kann in 87 % der Fälle eine adäquate Histologie gewonnen werden. Dabei betrug die Treffsicherheit 81,1 %. Zu 100 %
konnten benigne von malignen Läsionen
unterschieden und eine spezifische Diagnose gestellt werden (27). Bei 56 Knochenläsionen zeigte sich 1999 eine „accuracy“ von
73 % und eine „effectiveness“ von 75 % (31).
Biopsien unter CT-Kontrolle mit einer
Jamshidi-Nadel ergaben bei 91 Knochentumoren, dass in 100 % der Fälle gutartige von
bösartigen Läsionen unterschieden werden
konnten und eine „accuracy“ von 85 % er-
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J. Bruns et al.: Bioptische Sicherung von gut- und bösartigen Knochentumoren
zielt wurde (28). Bei 110 Knochenläsionen
fanden Puri et al. 2006 (32) einen „diagnostischen Gehalt“ von 81,03 % sowie „accuracy“ von 95,74 %. Bei 253 Knochenbiopsien
unter CT-Kontrolle, die mit den Ergebnissen
von Weichteilprozessen verglichen wurden,
ergab sich am Knochen eine geringere Treffsicherheit (68 %) als bei Weichteiltumoren
(79 %). Die Treffsicherheit war abhängig
von der Entität: Sie betrug bei Chondrosarkomen 95 %, bei Ewing-Sarkomen 94 %, bei
Metastasen 88 %, bei Osteosarkomen 87 %
und bei benignen Knochentumoren 81 %.
Zudem war die Treffsicherheit von der anatomischen Lage des Tumors abhängig: Tu-
Fazit für die Praxis
Maligne Primärtumoren des Knochens stellen seltene Entitäten des Muskel-SkelettApparates dar. Ihre Symptome sind nicht
richtungsweisend. Für den Erstbehandelnden ist es daher wichtig, überhaupt an die
Möglichkeit zu denken, dass es sich um ein
Sarkom des Knochens handeln könnte.
Die bildgebende Diagnostik mittels Röntgenbild und Magnetresonanztomografie
stellt nicht invasiv die wichtigste Methode
bzw. die Methode der Wahl dar. Eine Sonografie ist nicht ausreichend.
Die Inzisionsbiopsie stellt bei hohem Malignitätsverdacht bzw. unklaren Prozessen die
Methode der Wahl dar. Die offene Biopsie gilt
als Goldstandard. Stanzbiopsien (Needlecore-Biopsie) weisen eine gleich gute Verlässlichkeit auf. Biopsien sind nach standardisierten Kriterien durchzuführen, um Komplikationsraten gering zu halten.
Eine Exzisionsbiopsie, bei der der Tumor
komplett entfernt wird, ist nur bei kleinen,
oberflächlich liegenden Tumoren bzw. bei
zystischen Läsionen bzw. geringem Malignitätsverdacht indiziert. Auch bei Exzisionsbiopsien sind die genannten Kriterien weitgehend einzuhalten, um im Fall eines malignen Geschehens die Nachresektion im Gesunden ohne wesentliche onkologische Einbußen durchführen zu können.
Komplikationsraten von Biopsien in einem
Tumorzentrum sind wesentlich geringer als
an nicht spezialisierten Institutionen. Dementsprechend wird empfohlen, vor einer
Biopsie derartige Zentren zu kontaktieren
und den Patienten vor der Biopsie dorthin zu
überweisen.
moren an der Wirbelsäule (61 %) wiesen gegenüber einer Lokalisation außerhalb der
Wirbelsäule (75 %) eine geringe Trefferquote auf, Beckentumoren dagegen eine höhere
als Tumoren, die nicht am Becken lokalisiert
waren (30).
Biopsien, die unter MRT-Kontrolle erfolgten, ergaben am Knochen einen „diagnostischen Gehalt“ von 95 %, eine Sensitivität von 92 % sowie eine Spezifität von
100 %. Der positive Vorhersagewert lag bei
100 %, der negative bei 86 %. Somit waren
alle beschriebenen Kriterien besser als bei
Weichteiltumoren (33). Ähnliche Ergebnisse werden mittlerweile auch über Biopsien berichtet, die mittels Navigationstechniken erfolgen (34).
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43
Gesundheitspolitik
44
Comprehensive Cancer Centers (CCC)
Wie bewährt sich das Konzept
in der Praxis?
Comprehensive Cancer Centers als interdisziplinäre, die Grundlagenwissenschaften
einbeziehende Kompetenzzentren für Krebserkrankungen erweitern das Aufgabenspektrum der klassischen Tumorzentren. Aktuelle Probleme betreffen ihre nachhaltige
Finanzierung (vor allem im Bereich der Patientenversorgung), die noch unzureichende
wissenschaftliche Evaluation, die potenziell größer werdende Kluft der Patientenversorgung in Zentren und in der Fläche sowie die unklare Positionierung der Forschung
zwischen öffentlichen und kommerziellen Interessen. Ein Fach-Symposium in Berlin
gab aktuelle Einblicke in die Arbeit einiger Spitzenzentren.
Prof. Michael Hallek vom Centrum für Integrierte Onkologie Köln-Bonn (CIO) berichtete
von seinen Erfahrungen mit der 2008 gegründeten Einrichtung. In dem Verbund der Unikliniken Köln und Bonn arbeiten alle an der Diagnostik, Behandlung und Betreuung von Krebspatienten beteiligten Kliniken und Institute am
Universitätsklinikum Köln zusammen. Das Ziel,
so Hallek, ist die konsequente Verbesserung der
Behandlung und Betreuung der Betroffenen.
Bei der Schaffung des Zentrums wurde auf
die Optimierung der interdisziplinären Zusammenarbeit der klinischen Fächer, eine umfassende psychoonkologische Patientenbetreuung und eine enge Verzahnung der klinischen
Versorgung mit der Grundlagenforschung und
der klinischen Forschung Wert gelegt. Wie bei
anderen CCCs sollen in Köln-Bonn wissenschaftliche Innovationen schnell klinisch umgesetzt werden. Diesem Ziel dient ein großes
Angebot klinischer Studien zur Evaluation neuer Therapieansätze und die ständige Aktualisierung der interdisziplinären CIO-Leitlinien.
Das CIO baut aktive Partnerschaften mit außeruniversitären Partnern – niedergelassenen
Ärzten und Kliniken – auf, um möglichst vielen
Patienten eine optimale sektorübergreifende
und heimatnahe Versorgung zu ermöglichen.
Zentral integriert sind auch Patientenvertretungen und Selbsthilfegruppen.
Hallek machte auf einen Aspekt besonders
aufmerksam: „Die Kommunkationsbarrieren,
die im deutschen Gesundheitswesen so überaus bestimmend sind, können durch den interdisziplinären Charakter von CCCs und ihre enge interne und externe Vernetzung wirksam
überwunden werden“. Deshalb sei nicht nur ei-
ne strukturelle Integration der beteiligten Einrichtungen wichtig, sondern auch ihre räumliche Zusammenlegung wie im CIO. Dies unterstützt nicht nur die Interdisziplinarität, sondern
erspart auch den Patienten weite Wege.
Eine der patientenbezogenen Neuerungen
am CIO sind „Patienten-Lotsen“. Dies sind erfahrene Krankenschwestern, die die Patienten
kontinuierlich begleiten und bei Kommunikationsproblemen als Mittler fungieren. Auch die
enge Einbindung komplementärer Unterstützungsmöglichkeiten am CIO, etwa aus der Psychoonkologie oder Sportmedizin verbessert die
Versorgungsqualität nachhaltig. Ob sich dies in
einer Verbesserung des Outcomes auszahlt,
kann heute noch nicht gesagt werden.
Größere Unabhängigkeit
in der klinischen Forschung
Angesichts der Hauptaufgabe von CCCs, nämlich wesentlich zum wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn in der Onkologie beizutragen,
forderte Hallek – unter Beifall – neue Strukturen für eine interessensunabhängige klinische
Forschung, bei der nicht nur singuläre Zielgrößen wie „Zunahme des progressionsfreien Intervalls“ im Vordergrund stehen, sondern Parameter einer ganzheitlich-integrativen Onkologie (Lebensqualität, Empowerment). Die Möglichkeiten der modernen Krebsmedizin hätten
aus der früher meist finalen Diagnose Krebs eine oft chronische Krankheit gemacht.
Dr. Bernhard Sperker von der Deutschen
Krebshilfe, Bonn, betonte , wie wichtig qualitativ hochwertig arbeitende CCCs auch aus Sicht
Erster Lehrstuhl für
„Präventive Onkologie“
Prof. Christof von Kalle vom Nationalen
Centrum für Tumorerkrankungen Heidelberg
(NCT) betonte in seiner Darstellung des noch
jungen CCCs den Aspekt der translationalen
Forschung, der bei der Vielzahl großer und
renommierter Einrichtungen in Heidelberg
offenkundig sei. Damit ist Heidelberg in einigen onkologischen Forschungsbereichen
weltweit führend. Angesichts der steigenden
Anzahl von Krebspatienten kommt nicht nur
der Therapie oder Nachsorge eine wichtige
Rolle zu, sondern auch der Vorbeugung.
In Heidelberg wurde dafür der erste deutsche Lehrstuhl für „Präventive Onkologie“
eingerichtet. Neben vielen anderen Projekten werden am NCT eine Gewebe-Datenbank und ein eigenes klinisches Krebsregister eingerichtet. Die Zusammenarbeit mit
ambulant tätigen Onkologen findet auf Augenhöhe statt, wobei Verträge mit bislang 15
Praxen das Prozedere genau regeln – einschließlich Rücküberweisung und Einbeziehung in Therapieentscheidungen.
Wesentliche Fragen zur Finanzierung des
CCCs sind jedoch auch in Heidelberg noch
unklar. Hallek forderte eindrücklich, dass
„die CCCs nicht an der sektoralen Versorgung in Deutschland scheitern dürfen“.
seiner Organisation seien. Nicht zuletzt Evaluationen zur Qualität deutscher Tumorzentren
durch die Krebshilfe hätten wesentlich dazu
beigetragen, damals festgestellte Versorgungsdefizite deutlich zu reduzieren. Zudem seien
Standards für onkologische Spitzenzentren
etabliert worden, einschließlich gezielter Förderprogramme für derzeit zehn Zentren.
Die meisten Vertreter dieser Zentren bewerteten die Auswirkungen dieser Programme als
„extrem wirkungsvoll“ – viele Projekte zur Förderung translationaler Forschung, Interdisziplinarität und verstärkten Patienten-Orientierung
hätten ohne die Unterstützung der Deutschen
Krebshilfe nicht durchgeführt werden können.
Rainer Bubenzer, Berlin
Quelle: Tagung „Aktuelle Trends und Paradigmenwechsel in der onkologischen Therapie“ am 13.–14. November 2009, Berlin; Veranstalter: Paul Martini-Stiftung,
Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina, Berlin
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Forum
Supportivtherapie
45
Invasive Mykosen bei Tumorpatienten
Frühzeitiges und gezieltes Handeln
verbessert Überlebenschancen
Invasive Pilzinfektionen sind eine der Hauptursachen erhöhter Morbidität und Letalität von Tumorpatienten mit einer Remissions-induzierenden Chemotherapie. Der frühe
Einsatz von Antimykotika ist zwingend, um die Überlebenschancen der von Pilzinfektionen betroffenen Patienten zu verbessern. Wir sprachen mit Prof. Oliver Cornely
über seine Erfahrungen an der Kölner Universitätsklinik.
?
Bei welchen Tumorpatienten ist eine
Prophylaxe invasiver Mykosen angezeigt?
Cornely: Die Mehrzahl der invasiven Pilzinfektionen wird durch Aspergillus und
Candida hervorgerufen. Besonders gefähr-
Gute Erfahrungen
mit Posaconazol
Von großer Bedeutung ist der Einsatz von Posaconazol (Noxafil®) in der Salvage-Therapie
bei invasiven Aspergillosen, wo es in der aktualisierten AGIHO-Leitlinie mit dem Evidenzgrad A II empfohlen wird (1). Darüber
hinaus empfiehlt die aktuelle AGIHO-Prophylaxe-Leitlinie die vorbeugende Anwendung von Posaconazol, wenn Patienten mit
bestimmten hämatologischen Tumoren
während der Krebstherapie ein besonders
hohes Risiko für Pilzinfektionen haben (Evidenzgrad A I) (2).
Die gute Wirksamkeit und Verträglichkeit
von Posaconazol bestätigte sich auch in einer offenen Beobachtungsstudie mit 214 Patienten, die Posaconazol für die Therapie
oder Prophylaxe einer invasiven Mykose erhalten hatten (3). Während der Behandlung
wurden bei der Hälfte der Patienten unerwünschte Ereignisse (AE) verschiedener
Schweregrade registriert, jedoch standen
nur 18 % der AE in einem möglichen kausalen Zusammenhang mit der Einnahme des
Antimykotikums. Es traten keine durch Posaconazol verursachten Todesfälle auf. 86 von
89 im Langzeit-Follow-up (sechs Monate) erfasste Patienten mit invasiver Mykose (Gesamtkohorte: n = 126) hatten komplett
(n = 65) oder teilweise (n = 21) auf die Therapie angesprochen.
det sind Patienten mit akuten Leukämien
sowie Patienten nach Stammzelltransplantation. Sie entwickeln am häufigsten Aspergillosen, gefolgt von Candida-Infektionen
und Zygomykosen.
Zurzeit ist eine medikamentöse Prophylaxe die beste Wahl für neutropenische
AML-Patienten in der Remissionsinduktion und für KMT-Patienten mit Graft-versus-Host-Erkrankung. Posaconazol in der
Dosierung 3 x 200 mg bzw. 3 x 5 ml ist aufgrund überzeugender Phase-III-Studien
für diese beiden Prophylaxen die erste Wahl.
?
Welche Erfahrungen haben Sie mit der
Prophylaxe an der Uniklinik in Köln
gemacht?
Cornely: Wir versuchen in der „Kölner
Neutropeniekohorte“ nachzuvollziehen,
ob die Prophylaxe-Daten aus den erwähnten Studien auf unser Zentrum übertragbar sind. Hier wird seit Januar 2006 prophylaktisch Posaconazol bei AML- und
MDS-Patienten während der Induktionstherapie eingesetzt.
Ein Vergleich zwischen 77 Patienten, die
von 2006 bis 2008 das Azol präventiv erhalten hatten, und 82 Patienten aus den Jahren
2003 bis 2005 ohne systemisch wirksame
Prophylaxe, erbrachte eine signifikante Reduktion invasiver Mykosen. Gemäß den
EORTC/MSG-Kriterien gesicherte oder
wahrscheinliche Pilzinfektionen wurden
heute bei 4 % bzw. seinerzeit bei fast 20 %
der Patienten festgestellt. Auch hatten die
Patienten in der Posaconazol-Gruppe im
Durchschnitt weniger Fiebertage.
?
Wie schnitt Posaconazol hinsichtlich
der Verträglichkeit ab?
Cornely: Sie beziehen sich auf die PhaseIII-Studien? Die Verträglichkeit von Posa-
Prof. Oliver Cornely, Köln
conazol entsprach dort der von Fluconazol.
Es ist für die Beurteilung der Sicherheit und
Verträglichkeit vor allem die doppelblinde
Ullmann-Studie relevant. Sie zeigte bei
GvHD-Patienten keine Unterschiede für
diese Zielparameter.
?
Wenn es doch einmal zu einer Infektion
gekommen ist, welche Therapiemöglichkeiten gibt es und wie gehen Sie vor?
Cornely: In unserer Neutropeniekohorte
haben wir in den Jahren 2006 bis 2008 Aspergillosen nur bei drei Patienten mit Erstinduktion diagnostiziert. Und das auf dem
Hintergrund eines intensiven diagnostischen Screenings.
Aber auch für solche seltenen Ereignisse
braucht man einen vorab festgelegten Plan.
Wir wechseln bei diesen Patienten auf jeden Fall die Antimykotika-Klasse. Die Therapieentscheidung hängt aber von mehreren Faktoren ab. Besteht beispielsweise eine
reduzierte Nierenfunktion, dann wird eher
Caspofungin gewählt. Hat der Patient noch
eine längere Neutropeniephase durchzustehen, dann neige ich eher zu liposomalem Amphotericin B. Es handelt sich um eine schwierige klinische Frage, die sich
glücklicherweise selten stellt.
Das Interview führte Natalie Fiebig, Köln
Literatur
1. Böhme A et al. Ann Hematol 2009; 88(2): 97–110.
2. Cornely OA et al. Haematologica 2009; 94(1):
113–122.
3. Data on File, Essex Pharma.
Dieser Beitrag entstand mit freundlicher Unterstützung der Essex Pharma GmbH, München.
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Aus Forschung
und Industrie
46
Fortgeschrittenes Nierenzellkarzinom
Siegeszug der zielgerichteten
Therapien
Vor wenigen Jahren konnte man als Onkologe seinen Patienten mit fortgeschrittenem
Nierenzellkarzinom (mRCC) kaum eine wirksame Therapie anbieten. Das hat sich innerhalb kurzer Zeit grundlegend geändert: Nachdem mittlerweile mehrere wirksame
Medikamente zur Verfügung stehen, geht es darum, Kriterien für die Differenzialtherapie beim einzelnen Patienten zu erarbeiten.
Bis vor wenigen Jahren war die Zytokintherapie
(Interferon alpha oder Interleukin 2) die einzig
effektive Option. Beide Immuntherapien sind
mit erheblichen Toxizitäten verbunden und
zeigten ihre Wirksamkeit nur bei einem kleinen
Prozentsatz hochselektionierter Patienten. Zunehmende Erkenntnisse über Biologie und Genetik der RCC haben zur Entwicklung neuer gezielter Therapien geführt. Nach zwei Jahrzehnten Stillstand in der Erforschung neuer Behandlungsmöglichkeiten des RCC wurden in kurzer
Folge vier neue Substanzen zur Behandlung
des mRCC registriert: Sorafenib, Sunitinib, Temsirolimus und Bevacizumab. Mit Everolimus ist
ein weiterer THI in den USA und in der Schweiz
als Second-Line-Therapie nach Vortherapie mit
einem Tyrosinkinaseinhibitor (TKI) zugelassen.
Unter Sunitinib konnte laut Prof. Kurt Miller, Berlin, beim mRCC in einer Phase-III-Studie
mit 750 Patienten das Gesamtüberleben auf
26,4 Monate und das progressionsfreie Überleben (PFS) auf 11 Monate gesteigert werden
und war damit der Therapie mit Interferon-α
(OS: 21,8 Monate; PFS: 5 Monate) signifikant
überlegen. Sunitinib ist für Miller entsprechend
den NCCN- und ASCO-Guidelines die Therapie
der ersten Wahl bei niedrigem bis mittleren
Progressionsrisiko. Die Berechtigung für eine
Therapie- Progressionslinie
gruppe (Anteil
der Patienten)
Therapie
Alternative
der 1. Wahl Therapieoptionen
1st Line
niedriges Risiko
mittleres Risiko
(80–90 %)
Sunitinib
hohes Risiko
(10–20 %)
Temsirolimus Sunitinib
2nd Line
Interferon-α +
Bevacizumab
Zytokintherapie
(ausgewählte Patienten)
Neue Chancen auch für
die Metastasenchirurgie
Die Metastasenchirurgie bleibt trotz der guten
Ergebnisse der zielgerichteten Therapeutika ein
integraler Bestandteil der interdisziplinären
Therapie des mRCC, erklärte Prof. Lothar
Bergmann, Frankfurt/Main. Damit sollte, wo
immer es möglich ist, eine Tumorexzision
durchgeführt werden, da das Gesamtüberleben dadurch verbessert wird. Die medikamentöse Verkleinerung des Tumors bietet auch
für den Chirurgen neue Möglichkeiten.
Die zielgerichteten Therapeutika besitzen
im Vergleich zu den etablierten Chemotherapien ein eigenes Sicherheits- und Verträglichkeitsprofil. In der Zulassungsstudie zeigte sich
Sunitinib hinsichtlich der Lebensqualität, die
mittels mehrerer validierter Scores prospektiv
erhoben wurde, durchgehend überlegen gegenüber IFN-α. Dies galt auch in Bezug auf die
mit dem FKSI-DRS-Score erfasste nierenkrebsspezifische Lebensqualität (FKSI-DRS =
Functional Assessment of Cancer therapy –
Kidney Symptom Index – Disease-Related
Symptoms). Zum Management der Nebenwirkungen der Behandlung mit Sunitinib wurde eine spezielle Broschüre entworfen, die über den
Hersteller bezogen werden kann.
Dr. Alexander Kretzschmar, München
Zytokinvortherapie Sorafenib
VEGF-Vortherapie
Tab. 1
Therapiealgorithmus
beim fortgeschrittenen Nierenzellkarzinom
Monotherapie mit Interferon-α ist nur noch für
streng selektierte Patienten gegeben. Bei Patienten mit einer schlechten Prognose nach
MSKCC ist hingegen Temsirolimus das Mittel
der Wahl (씰Tab. 1). In der Zukunft wird es auch
darum gehen, so Miller, herauszufinden, welche Reihenfolge oder Kombination die besten
Ergebnisse erzielt werden.
Sunitinib
Everolimus*, Axitinib*/Studien
Sorafenib
*bisher keine Zulassung bei mRCC
Neue S3-Leitlinie „Lungenkarzinom“
Die neue S3-Leitlinie „Lungenkarzinom“ der
Deutschen Krebsgesellschaft soll im Februar
2010 in Druckform vorliegen. Die S3-Leitlinie
soll die flächendeckende Umsetzung einer multidisziplinären und qualitätsgesicherten Therapie von Lungenkarzinomen ermöglichen.
Quelle: Post-ASCO-Pressegespräch „Neue Datenlage
zur RCC-Therapie ASCO 2009: Experten diskutieren die
Implikationen für den klinischen Alltag“ am 1. Juli
2009, Berlin; Veranstalter: Pfizer Pharma GmbH, Berlin
Zwischenzeitlich hat auch eine Arbeitsgruppe zur Etablierung einer S3-Leitlinie
„Malignes Mesotheliom“ ihre Arbeit aufgenommen.
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Aus Forschung
und Industrie
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First- und Second-Line-Therapie des NSCLC
Aktuelle und künftige Standards
In der Second-Line-Therapie des fortgeschrittenen nicht kleinzelligen Lungenkarzinoms (NSCLC) können heute Dank der gestiegenen Zahl von Behandlungsoptionen individuelle Patientenwünsche und Krankheitsfaktoren stärker berücksichtigt werden.
Therapieoption der ersten Wahl bleibt derzeit eine Monotherapie mit Docetaxel
(Taxotere®), meinte Prof. Martin Wolf, Kassel, auf einer Pressekonferenz. Auch in der
First-Line-Therapie sind heute Docetaxel-haltige Chemotherapien in dem Therapiealgorithmus etabliert.
Beim NSCLC wurde der Einsatz einer SecondLine-Therapie bei Progression nach der FirstLine-Chemotherapie mangels therapeutischer
Optionen lange kontrovers diskutiert. Kandidaten für eine Second-Line-Therapie sind heute
grundsätzlich Patienten in gutem Allgemeinzustand mit radiologisch nachgewiesenem Progress und ohne wesentliche Toxizitäten nach
der vorangegangenen Therapie. Ein therapeutischer Durchbruch erfolgte erst vor rund zehn
Jahren durch Docetaxel, das in der TAX317–
und TAX320-Studie eine verlängerte Überlebenszeit gegenüber Best Supportive Care sowie Ifosfamid oder Vinorelbin nachweisen
konnte. Heute ist für die in dieser Indikation zugelassenen Substanzen eine Überlebensverlängerung nachgewiesen – eine Situation, die
vor nicht allzu langer Zeit kaum vorstellbar war,
so Wolf.
Als Selektionskriterium gewinnt neben der
Frage nach der Vortherapie vor allem die Tumorhistologie und EGFR-Mutationen an Bedeutung. Da Pemetrexet beim Plattenepithelkarzinom – anders als beim Nichtplattenepithelkarzinom – keinen Vorteil bietet, bleibt hier
die Wahl zwischen Docetaxel und einem EGFRTyrosinkinase-Inhibitor (TKI). Unter Wirksamkeitsaspekten ist jedoch Docetaxel für Wolf die
Behandlungsoption der ersten Wahl. „Bislang
war keine Substanz in der Second-Line-Therapie Docetaxel überlegen“, so sein Fazit.
Dank dieser Auswahl lassen sich nicht nur
individuelle Patientenwünsche besser erfüllen.
Auch krankheits- und therapiebezogene Fakto-
Neue Therapieoption bei allen moderat emetogenen
Chemotherapien
Übelkeit und Erbrechen gegenüber
Standardantiemese reduziert
Onkologische Patienten profitieren auch bei nicht auf Anthrazyklin/Cyclophosphamidbasierenden moderat emetogenen Chemotherapien von der Zugabe des Neurokinin1-Rezeptorantagonisten Aprepitant (Emend®) zur antiemetischen Standardprophylaxe
bestehend aus einem 5-HT3-Rezeptorantagonisten und Dexamethason. Eine Anpassung der Leitlinien nach entsprechenden Studiendaten wird erwartet.
Laut Dr. Karin Jordan, Halle, wird in den aktuellen Leitlinien der Multinationalen Gesellschaft zur supportiven Betreuung bei Krebspatienten (MASCC) und der Europäischen Gesellschaft für Medizinische Onkologie (ESMO)
Aprepitant bei hoch emetogenen Chemotherapien ein fester Platz zur Prophylaxe sowohl des
akuten wie auch des verzögerten Erbrechens
eingeräumt. Bei moderat emetogenen Chemotherapien gibt es in den genannten Leitlinien
ren – Komorbiditäten, residuale Toxizitäten
(Niere, Neuropathie), Applikationsfrequenz
oder persönliche Ängste und Unverträglichkeiten (Nadeln, Haarausfall, Hautausschlag, Verdauung) müssen in die Medikamentenwahl
einbezogen werden. Nichtraucher profitieren
am meisten von einer Second-Line-Therapie.
Docetaxel-haltige Chemotherapieregime
mit Cisplatin, Carboplatin oder Gemcitabin haben sich inzwischen auch als effektive FirstLine-Therapie etabliert, so Prof. Rudolf Huber,
München. Vergleichsstudien zeigen für Docetaxel-haltige Regime gegenüber Vinorelbin/Cisplatin eine signifikante Überlegenheit im Hinblick auf das Gesamtüberleben bei gleichzeitig
besserer Verträglichkeit, unabhängig vom Alter
der Patienten.
Zahlreiche Studien beschäftigen sich derzeit
mit der Frage, welchen (Überlebens-)Vorteil die
neuen zielgerichteten Substanzen als Monotherapie oder in Kombination mit einer Chemotherapie bringen. Der aktuelle Therapiealgorithmus orientiert sich hier laut Huber derzeit
am EGFR-Status, dem klinischen Allgemeinzustand des Patienten und der Tumorhistologie.
Dr. Alexander Kretzschmar, München
Quelle: Pressekonferenz „10 Jahre Taxotere® beim
NSCLC – etablierter Standard in der First- und SecondLine-Therapie“ am 10. November 2009, München; Veranstalter: Sanofi-Aventis Deutschland GmbH, Frankfurt
eine Empfehlung von Aprepitant bislang nur im
Falle Anthrazyklin/Cyclophosphamid(AC)-basierter Regime.
Inzwischen liegen jedoch Studienergebnisse vor, die für den Einsatz von Aprepitant auch
bei nicht AC-haltigen moderat emetogenen
Chemotherapien sprechen, so Jordan. In einer
placebokontrollierte Doppelblindstudie erhielten 848 Brustkrebs-Patienten eine moderat
emetogene Chemotherapie mit unterschiedlichen Substanzen, in 52 % der Fälle jedoch kein
AC-haltiges Regime.
Wirksam auch bei
AC-haltigen Regimen
418 Patienten erhielten mit Beginn der Chemotherapie zur Antiemese 16 mg/d Ondansetron
an Tag 1–2 sowie Dexamethason an Tag 1. Die
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Aus Forschung
und Industrie
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andere Gruppe bekam zusätzlich 125 mg Aprepitant an Tag 1 sowie 80 mg Aprepitant an Tag
2–3. Den primären Endpunkt – definiert als keine Emesis in den ersten fünf Tagen nach Beginn
der Chemotherapie – erreichten in der Aprepitant-Gruppe 76 vs. 62 % in der Vergleichsgruppe (p < 0,01). Die Zusatzmedikation von Aprepitant war nicht nur in der akuten Phase (Tag 1:
92 vs. 84 % ohne Erbrechen), sondern auch in
der verzögerten Phase (Tag 2–5: 78 vs. 67 %)
signifikant überlegen.
Differenziert nach AC-freien und AC-haltigen moderat emetogenen Chemotherapien,
profitierten die Patienten unter AC-freien Regimen im Mittel zwar etwas schwächer, aber
ebenfalls signifikant im primären Endpunkt
von der zusätzlichen Gabe von Aprepitant. Jordan erwartet daher eine baldige Revision der
Individualisierte NSCLC-Therapie
Tumorhistologie und Biomarker
weisen den Weg
Wird ein nicht kleinzelliges Lungenkarzinom (NSCLC) in einem frühen, noch resektablen Stadium diagnostiziert, ist die Prognose nicht schlechter als bei anderen malignen Erkrankungen. Das ist aber nur bei einem Viertel der Erkrankten der Fall. Einen
deutlichen Fortschritt in der NSCLC-Behandlung markiert in dieser Situation die zielgerichtete individualisierte Therapie in Verbindung mit einer pathohistologischen Charakterisierung des Tumors und die Bestimmung prädiktiver molekularbiologischer
Marker.
Früher waren NSCLC häufig Plattenepithelkarzinome. Durch die veränderten Rauchergewohnheiten mit „leichteren“ Zigaretten, die
ein anderes Spektrum an Schadstoffen aufweisen, werden die Plattenepithelkarzinome immer mehr von Adenokarzinomen abgelöst. Dieser Wandel hat für die Therapie einen Vorteil gebracht, wie die Zulassungsstudie für Pemetrexed (Alimta®) in Kombination mit Cisplatin für
die Erstlinientherapie des fortgeschrittenen
NSCLC zeigte. Die Studie mit über 1 700 Patien-
ten ergab, dass Adenokarzinome und großzellige Karzinome signifikant besser auf das Regime ansprechen als auf das Vergleichsregime
aus Gemcitabin plus Cisplatin. Gegen das Plattenepithelkarzinom erwies sich Pemetrexed/
Cisplatin wenig wirksam. Prof. Martin Wolf,
Kassel, erklärte diesen Unterschied dadurch,
dass ein Adenokarzinom weniger Thymidylsynthase exprimiert als ein Plattenepithelkarzinom und daher der Multi-Target-Enzym-Inhibitor Pemetrexed besser wirken kann. Inzwi-
MASCC/ESMO-Leitlinien mit einer Einbeziehung von Aprepitant zur Antiemese bei moderat-emetogener Chemotherapie aller Regime.
Dr. Alexander Kretzschmar, München
Quelle: Satellitensymposium „Neue Studiendaten
und erweiterte Strategien bei der Antiemese“ am 31.
Oktober 2009, München; Veranstalter: MSD Deutschland, Haar
schen haben weitere klinische Studien und Erfahrungen bestätigt, dass das Regime Peremetrexed/Cisplatin einen signifikanten Überlebensvorteil gegenüber der Kombination
Gemcitabin/Cisplatin beim Adenokarzinom
bietet und auch deutlich besser vertragen wird.
Der Pathologe Dr. Florian Länger, Hannover, berichtete über die zunehmende Bedeutung von prädiktiven Biomarkern für die individualisierte Therapie, wobei zur Zeit Mutationen
des epithelialen Wachstumsfaktors (EGFR) und
des K-ras-Onkogens im Vordergrund stehen. In
etwa 16 % der Adenokarzinome liegt eine
EGFR-Mutation vor. Diese Patienten sprechen
besonders gut auf die Therapie mit Pemetrexed/Cisplatin an. Es wird eine Remissionsrate
von rund 70 % erreicht. Dabei spielt es keine
Rolle, ob das Regime in der Erstlinien- oder
Zweitlinientherapie eingesetzt wird.
Siegfried Hoc, Olching
Quelle: Pressegespräch und Vernissage „Histologie
und individualisierte Therapie: Reise in den Mikrokosmos der Lunge“ am 26. November 2009, Bad Homburg; Veranstalter: Lilly Deutschland GmbH, Bad Homburg
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