E 45120 ISSN 1869-0874 Onkologische Welt 1/2010 Gynäkologische Onkologie mit Berichten vom SABCS Hämatoonkologie mit Berichten vom ASH Psychoonkologie www.schattauer.de www.onkologische-welt.de Onkologische Welt 2010; 1: 1–48 Februar Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-19 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. M eh rI M nf eh or r U ma m tio fa ng nen Aktuelle Serie: Knochentumoren Zu diesem Heft © Schattauer 2010 Citius, altius, fortius Will man einer Studie der Strategieberater von Roland Berger glauben, so hat die Onkologie als Indikation mit dem größten Wachstumspotenzial die anderen TrendIndikationen ZNS, Diabetes und Immunologie/Inflammation deutlich überholt. Die Kardiologie, einer der Wachstumstreiber der vergangenen Jahre, steht nur noch an sechster Stelle. Wer zuletzt beispielsweise den ASHKongress in New Orleans besucht hat, will dies gerne glauben. Die onkologische Forschungsmaschinerie überschüttet den potenzielle Anwender jedes Jahr mit einer Flut neuer Studienergebnisse. Selbst die Experten und Fachgesellschaften haben Mühe, diese Daten zeitnah in die klinische Praxis zu übersetzen. Bis der wissenschaftliche Fortschritt in die Praxis des niedergelassenen Onkologen durchgesickert ist, dauert es nochmals einige Zeit. Den Fachmedien, ob audiovisuell, digital oder gedruckt, kommt die Aufgabe zu, für ihre Berichterstattung die Informationen zu sortieren, abzuwägen und zu werten. Wir Medizinjournalisten stehen in dieser Situation vor den gleichen Problemen wie die Kongressteilnehmer: Für welches Thema entscheide ich mich? Sich für ein Thema zu entscheiden, bedeutet, auf ein Mehrfaches an News zu verzichten. Ein Statistiker hat einmal errechnet, dass ein Kongressteilnehmer angesichts der zahlreichen zeitgleich stattfindenden Sitzungen selbst bei optimalem Zeitmanagement nur maximal 20 % des Themenangebots nutzen kann. Noch viel schmaler ist das Zeitbudget der Sendezeit in Rundfunk oder Fernsehen, und auch der Platz auf den Druckseiten ist begrenzt. Und nicht immer trifft die Auswahl den Geschmack der Rezipienten. So wurde ich vergangenes Jahr beim Frühstück (Medizinjournalisten stehen nicht ganz so früh auf) durch den Anruf eines nicht ganz unwichtigen Onkologen überrascht, der mich hörbar indigniert fragte, warum die Redaktion in unserer Zeitschrift vom letzten SABCS-Kongress nicht über diese oder jene Studie berichtet hätte. Das wäre doch unverzeihlich. Sie werden ahnen, dass mein Hinweis auch auf die begrenzte Seitenzahl als Entschuldigung nicht akzeptiert wurde. Ab 2010 hat unsere Redaktion mehr Platz für die ganz aktuellen Themen. So haben wir nicht nur den Heftumfang erweitert, sondern auch die Erscheinungsfrequenz erhöht. Mit einem Farbleitsystem, das im Heft jedem Thema seine eigene Farbe zuweist, möchten wir es darüber hinaus dem Leser erleichtern, den gewünschten Beitrag zu finden. Das größere Platzangebot wollen wir auch dafür nutzen, neben den großen Gebieten wie Brustkrebs oder die Hämatoonkologie auch über die Aspekte in der Onkologie zu berichten, die oft im Hintergrund stehen. Mit der Serie „Knochentumoren“ wollen wir ab dieser Ausgabe den Anfang machen. Auch über das – zu Unrecht – unterschätzte Thema „Compliance in der Onkologie“ werden Sie demnächst in dieser Zeitschrift lesen. Welche Themen finden Sie zu wenig in der Fachpresse? Schreiben Sie uns, damit wir noch besser für Sie schreiben können! Dr. Alexander Kretzschmar, München © Schattauer 2010 Onkologische Welt 1/2010 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-19 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 1 Inhaltsverzeichnis 2 Zu diesem Heft 1 A. Kretzschmar Citius, altius, fortius Gynäkologische Onkologie 3 M. E. Schmidt; J. Chang-Claude; T. Slanger; N. Obi; D. Flesch-Janys; K. Steindorf Körperliche Aktivität und postmenopausaler Brustkrebs 9 Kongressnachlese: 32. San Antonio Breast Cancer Symposium 16 Aus Forschung und Industrie Hämatoonkologie 17 Kongressnachlese: 51. Jahrestagung der American Society of Hematology 23 Forum Hämatologie: Intravenöse mTOR-Inhibition 24 Im Blickpunkt Leukämie: Zweitlinientherapie der CML 26 M. Neises; D. Gadzicki Psychoonkologie Psychosomatische Aspekte der Beratung bei erblichem Brustund Ovarialkarzinom 32 W. Häuser Pharmakotherapie in der Psychoonkologie 36 Literaturtipp zum Thema Psychoonkologie: Leben trotz Krebs – eine Farbe mehr 37 A. Kurth Aktuelle Serie: Knochentumoren Knochentumoren 38 J. Bruns; G. Delling; C. R. Habermann Bioptische Sicherung von gut- und bösartigen Knochentumoren a) Verschiedenes 44 Gesundheitspolitik: Comprehensive Cancer Centers 45 Forum Supportivtherapie: Invasive Mykosen 46 Aus Forschung und Industrie b) c) d) Titelbild Ferdinand Hodler – Sitzende nackte Frau mit erhobenen Armen; ©visipix.de Onkologische Welt 1/2010 © Schattauer 2010 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-19 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Gynäkologische Onkologie © Schattauer 2010 Körperliche Aktivität und postmenopausaler Brustkrebs Effektmodifikation durch andere Brustkrebsrisikofaktoren M. E. Schmidt1; J. Chang-Claude2; T. Slanger2; N. Obi3; D. Flesch-Janys3; K. Steindorf1 1Abteilung Umweltepidemiologie, Deutsches Krebsforschungszentrum, Heidelberg; 2Abteilung Krebsepidemiologie, Deutsches Krebsforschungszentrum, Heidelberg; 3Institut für medizinische Biometrie und Epidemiologie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf Schlüsselwörter Postmenopausaler Brustkrebs, körperliche Aktivität, Effektmodifikation, Fall-KontrollStudie Zusammenfassung Fragestellung: Es gibt epidemiologische Anzeichen dafür, dass ein gegenläufiger Zusammenhang zwischen körperlicher Aktivität (KA) und postmenopausalem Brustkrebsrisiko besteht. Brustkrebs ist eine heterogene Erkrankung, die von reproduktiven Faktoren, Lebensstil-Faktoren und Prädispositionen beeinflusst wird. In der vorliegenden Studie wurde untersucht, ob diese Risikofaktoren den Effekt von KA auf das Brustkrebsrisiko modifizieren. Methoden: Es wurden die Daten von 2004 hormonrezeptorpositiven, postmenopausalen Brustkrebspatientinnen (Fälle) und 6 569 Kontrollpersonen aus der populationsbasierten MARIE-Studie verglichen, welche 2002–2005 in Deutschland durchgeführt wurde. Die Interaktionen wurden statistisch mithilfe von adjustierten, unbedingten logistischen Regressionsmodellen getestet. Ergebnisse: Körperliche Freizeitaktivität und das Risiko für postmenopausalen, hormon- Korrespondenzadresse Priv.-Doz. Dr. Karen Steindorf Abteilung Umweltepidemiologie Deutsches Krebsforschungszentrum Im Neuenheimer Feld 280 69120 Heidelberg E-Mail: [email protected] rezeptorpositiven Brustkrebs sind invers assoziiert, unabhängig von der Familienvorgeschichte für Brustkrebs oder von Hormontherapie. Für KA und benigne Brusterkrankungen (p = 0,023) sowie Stillen (p = 0,045), nicht allerdings für Parität (p = 0,94) fand sich eine signifikante Interaktion; eine eindeutige Risikoreduktion bestand nur für Frauen, die gestillt haben oder eine benigne Brusterkrankung hatten (unter den Stillenden: Odds Ratio = 0,63; 95%-Konfidenzintervall = (0,52; 0,77), höchstes vs. niedrigstes KA-Quartil). Die Interaktion mit dem BMI war schwach (p = 0,053). Schlussfolgerungen: Stillen und benigne Brusterkrankungen beeinflussen die Wirkung von KA auf das postmenopausale Brustkrebsrisiko. Wenn andere Studien ähnliche Modifikationen nachweisen, könnte zunehmendes Wissen bezüglich dieser Risikofaktoren ein besseres Verständnis der Wirkung von KA auf das Brustkrebsrisiko ermöglichen. Für Frauen, die wegen ihrer Familienvorgeschichte oder Hormontherapie ein höheres Brustkrebsrisiko haben, ist es ermutigend, dieses Risiko durch körperliche Aktivität senken zu können. Onkologische Welt 2010; 1: 3–8 Übersetzt und modifiziert aus: Methods Inf Med 2009; 5: 444–450. Einleitung und Fragestellung Es gibt epidemiologische Anzeichen dafür, dass ein gegenläufiger Zusammenhang zwischen körperlicher Aktivität (KA) und postmenopausalem Brustkrebsrisiko besteht (1). Allerdings sind die biologischen Mechanismen von körperlicher Aktivität noch nicht gut aufgeklärt. Hier könnten zahlreiche Mechanismen wirken, da Brustkrebs eine heterogene Erkrankung ist mit biologisch unterschiedlichen Krankheitsentitäten, unterschiedlichen molekularen Charakteristika und Genexpressionsprofilen, was auf unterschiedliche Ätiologien hindeutet (2). Außerdem ist die Entstehung der Krankheit abhängig von reproduktiven Faktoren, Lebensstil und genetischer Prädisposition. Dementsprechend könnten diese Faktoren den Zusammenhang zwischen körperlicher Aktivität und Brustkrebsrisiko beeinflussen. Allerdings wurden diese möglichen Effektmodifikationen bisher kaum untersucht; sie könnten aber Aufschluss über die Wirkung geben, die KA auf das Brustkrebsrisiko hat. Nach der letzten Untersuchung der Autoren an ca. 10 000 Frauen, welche eine signifikante inverse Beziehung von KA und hormonrezeptorpositivem Brustkrebs, aber keine Assoziation zu hormonrezeptornegativem Krebs (3) zeigte, wurde jetzt untersucht, ob dieser Effekt von Brustkrebs in der Familienvorgeschichte, reproduktiven Faktoren oder dem Lebensstil beeinflusst wird. Onkologische Welt 1/2010 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-19 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 3 4 M. E. Schmidt et al.: Körperliche Aktivität und postmenopausaler Brustkrebs Methoden Studienpopulation Die MARIE-Studie ist eine große, populationsbasierte Fall-Kontroll-Studie zu postmenopausalem Brustkrebs, die in den Jahren 2002–2005 mit 50- bis 75-jährigen Frauen in zwei Studienregionen in Deutschland durchgeführt wurde. Detaillierte Studienergebnisse wurden kürzlich publiziert (4). Die Daten von Patientinnen mit histologisch gesichertem primären invasivem oder in situ Brustkrebs wurden durch regelmäßiges Monitoring von Krankenhausaufnahmen, OP-Plänen und Pathologiebefunden der 51 teilnehmenden Kliniken der Studienregionen erhoben. Pro Fall, für den eine Einwilligungserklärung vorlag, wurden nach dem Zufallsprinzip zwei Kontrollfälle aus einer Einwohnerliste des Einwohnermeldeamtes herangezogen, passend zu Geburtsjahr und Studienregion der Erkrankungsfälle. Die Studie wurde von den Ethikkommissionen der Universitäten Heidelberg und Hamburg genehmigt. Alle Studienteilnehmerinnen willigten nach Aufklärung schriftlich ein. Insgesamt nahmen 3 919 (65,6 %) Patientinnen und 7 421 (43,4 %) Kontrollpersonen teil. Von Postmenopause wurde ausgegangen bei Vorliegen einer natürlichen Menopause seit zwölf Monaten vor dem Referenzdatum, beidseitiger Ovarektomie oder Ausbleiben der Mens durch Bestrahlung oder Chemotherapie. Frauen über 55 Jahren mit unklarem menopausalem Status nach Hysterektomie oder bei Hormonanwendung wurden auch als postmenopausal angesehen, das Alter für den Beginn der Menopause wurde aber als unbekannt angegeben. Der Hormonrezeptorstatus wurde mit einem 12-Punkte Immunreaktions-Score mittels immunhistochemischer Bestimmung von Östrogen- oder Progesteronrezeptoren (ER-ICA, PR-ICA) eingestuft; dabei wurde ein Score ≥ 3 als rezeptorpositiv angesehen. Von 3 414 postmenopausalen Fällen waren 2 004 ER+/PR+, 495 ER+/PR–, 103 ER–/PR+, 545 ER–/PR– und 205 waren in situ Karzinome. Da frühere Untersuchungen der Autoren (3) einen Zusammenhang von KA nur mit hormonrezeptorpositiven Karzinomen zeigten, welche im Vergleich zu hormonrezeptornegativen Karzinomen wahrscheinlich unterschiedliche Ätiologien haben, konzentriert sich diese Studie auf ER+/PR+ Tumore. Datenerhebung Anhand eines standardisierten Fragebogens wurden die demografischen Fakten sowie alle bekannten und vermuteten Risikofaktoren für Brustkrebs in Interviews von geschulten Befragern erhoben. Zu den gutartigen Brusterkrankungen gehörten selbstentdeckte Zysten, Mastitis, Mastopathie, Mikrokalzifikationen, Fibrome/Fibroadenome/Lipome/Knoten, verstopfte Milchkanäle, Sekretion, verhärtete Brust/ Drüsen und Verkapselungen. Erhebung von körperlicher Aktivität Körperliche Aktivität wurde für die Altersspannen 30–49 (KA 30–49) und ≥ 50 Jahre (KA 50+) erhoben, indem ein detaillierter, validierter Fragebogen im Rahmen eines Interviews verwendet wurde (5). Die Teilnehmerinnen sollten zunächst über ihre KA im Beruf Auskunft geben, d. h. Anzahl der Arbeitsjahre und Wochenstunden während der untersuchten Altersspanne und ob die Arbeit im Sitzen erfolgte, körperlich mäßig oder sehr anstrengend war. Dann wurde eine typische Woche nach Wochentagen und Wochenende getrennt betrachtet und die Gesamtstundenzahl pro Woche ermittelt, die mit Hausarbeit (inkl. Gartenarbeit und Kinderbetreuung) verbracht wurde. Gleichermaßen wurde die Stundenzahl pro Woche ermittelt, die für Zufußgehen und Radfahren verwendet wurde. Abschließend wurden die Teilnehmerinnen gebeten, drei Sportarten zu nennen, denen sie während des jeweiligen Alterszeitraums nachgegangen waren, einschließlich Sportart, Dauer und Häufigkeit. Jeder dieser Aktivitäten wurde gemäß dem Compendium of Physical Activities (6, 7) ein metabolischer Äquivalent-Wert (MET) zugeordnet; z. B. entsprachen sechs MET-Stunden einer Stunde Radfahren. Körperliche Freizeitaktivität wurde in MET-Stunden pro Woche umgerechnet, indem die durchschnittlichen Wochenstunden für Zufußgehen, Radfahren und Sport den entsprechenden MET-Werten zugeordnet wurden. In gleicher Weise wurde KA außerhalb der Freizeit anhand von Berufsaktivität und Hausarbeit ermittelt. Da sich in früheren Untersuchungen der Autoren wahrscheinlich aufgrund größerer Messfehler für Nichtfreizeit-KA im Vergleich zu Freizeitaktivität schwächere Effekte gezeigt haben (3), werden hier nur die Ergebnisse für die körperliche Freizeitaktivität vorgestellt. Statistische Methoden Der Zusammenhang zwischen KA und hormonrezeptorpositivem Brustkrebs wurde anhand des unbedingten logistischen Regressionsmodells dargestellt mit den Matching-Variablen Region und Geburtsjahr als Kovariate. Es wurden folgende Variablen als potenzielle Störfaktoren untersucht: Brustkrebs in der Familienvorgeschichte 1. Grades, Alter bei Menarche, Anzahl ausgetragener Schwangerschaften, Alter bei der ersten Schwangerschaft (kategoriell, kombiniert mit „keine Schwangerschaft“), Stillen, benigne Brusterkrankung, Anzahl der Mammografien vor Diagnose/Referenzdatum, Alter bei Menopause, Art der Menopause (natürlich, induziert, Hysterektomie, sonstige), Einsatz von Hormontherapie (HT, Kategorien: nie, laufend, seit wann: 7–12 Monate, 1–3, 3–5, 5–10, 10–15, 15+ Jahre), berufliche Tätigkeit, Bildungsniveau, Rauchen (nie, ehemalige Raucherin, aktuelle Raucherin), Alkoholkonsum, Körpergröße, Body-Mass-Index (BMI) und Gewichtszunahme im Erwachsenenalter. Keine dieser Variablen änderte die Punktschätzer für die KA-Variablen wesentlich. In die abschließenden Modelle wurden die Kovariaten eingeschlossen, die einen signifikanten Effekt auf postmenopausalen Brustkrebs hatten. Die erhobenen p-Werte sind zweiseitig und basieren auf der Wald-Statistik. Für alle Analysen wurde SAS (Version 9.1) verwendet. Onkologische Welt 1/2010 © Schattauer 2010 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-19 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Odds ratio M. E. Schmidt et al.: Körperliche Aktivität und postmenopausaler Brustkrebs Para, ohne Stillen (n = 1628, p0,5 = 0,95) Nullipara (n = 1837, p0,5 = 0,45) Para, mit Stillen (n = 6517, p0,5 < 0,0001) 1,5 1,4 1,3 1,2 1,1 1,0 0,9 0,8 0,7 0,6 0,5 0 a Odds ratio 6 20 40 60 80 100 120 140 Durchschnittliche Freizeit-KA mit 50+ Jahren in MET x h/Woche 1: adipös (n = 1815, p0,5 = 0,44) 2: untergewichtig (n = 2093, p0,5 = 0,11) 3: übergewichtig (n = 3635, p0,5 = 0,031) 4: normalgewichtig (n = 2415, p0,5 = 0,009) 1,5 1,4 1,3 1,2 1,1 1,0 0,9 0,8 0,7 1 2 3 4 0,6 0,5 0 b 20 40 60 80 100 120 140 Durchschnittliche Freizeit-KA mit 50+ Jahren in MET x h/Woche Abb. 1 Odds Ratios (OR) für postmenopausalen hormonrezeptorpositiven Brustkrebs und körperliche Freizeitaktivität ab dem 50. Lebensjahr. Die Funktionen sind mittels des Fractional Polynomial Ansatzes entstanden und dargestellt als OR (x) = exp (β(x–ref)0,5); der Median des niedrigsten Freizeitaktivitäten-Quartils ist die Referenz (ref = 15,5 MET × h/Woche). Hier ist β der Koeffizient der Quadratwurzel der KA-Variablen, geschätzt anhand eines adjustierten logistischen Modells und p0,5 ist der p-Wert, der β entspricht. Die Punkte und Balken entsprechen den ORs und 95%-Konfidenzintervallen aus den kategoriellen Analysen. MARIE-Studie, Deutschland, 2002–2005. a) gleichzeitige Einbeziehung von Parität und Stillen; b) bezogen auf die BMI-Kategorien Ergebnisse Die Analysen umfassten 2 004 postmenopausale, hormonrezeptorpositive Fälle und 6 569 postmenopausale Kontrollen. Fälle und Kontrollen hatten beide einen Altersmedian von 63 Jahren bei Diagnosestellung bzw. zum Referenzdatum. Im Vergleich zu den Kontrollen hatten die Fälle häufiger Brustkrebs in der Familienvorgeschichte, vorausgehende gutartige Brusttumore, Hormontherapie, eine geringere Anzahl von Schwangerschaften und hatten weniger gestillt. Bezüglich beruflicher Tätigkeit und Bildungsniveau unterschieden Fälle und Kontrollen sich nicht wesentlich. Freizeitaktivität ab dem 50. Lebensjahr war invers assoziiert mit ER+/PR+ Brustkrebs (Odds Ratio[OR] = 0,74; 95%-Kon- fidenzintervall[KI] = [0,64; 0,87] für das höchste bzw. niedrigste Quartil, Trend p = 0,0002). Für KA in jüngeren Jahren (30.–49. Lebensjahr) war der Effekt weniger ausgeprägt (Trend p = 0,014). Es fand sich keine signifikante Effektmodifikation durch Brustkrebs in der Familienvorgeschichte oder durch Hormontherapie. Allerdings fand sich eine Effektmodifikation durch benigne Brusterkrankung. Für Frauen mit benigner Brusterkrankung in der Vorgeschichte zeigte sich eine deutliche inverse Assoziation mit KA 30–49 (OR = 0,65 [0,51; 0,84] höchstes vs. niedrigstes Quartil und KA 50+ (OR = 0,63 [0,49; 0,80]). Keine oder nur eine schwache Beziehung fand sich zwischen KA 30–49 oder KA 50+ und Brustkrebs für Frauen ohne benigne Brusterkrankung in der Vorgeschichte. Allerdings war diese Interakti- on nur für KA in jüngeren Jahren signifikant (p = 0,023). Für Stillen ergaben sich signifikante Interaktionen für KA in beiden Altersgruppen (p = 0,045 für KA 50+, p = 0,027 für KA 30–49). Allerdings fand sich keine signifikante Interaktion mit Parität, obwohl der Effekt von KA bei Para stärker schien als bei Nullipara. Es wurde außerdem die Effektmodifikation durch Stillen in Kombination mit Parität untersucht, da zu den Nichtstillenden ja auch die Nullipara gehören sowie Frauen, die nach Geburten nie gestillt haben. 씰Abbildung 1a zeigt den Einfluss von KA ab dem 50. Lebensjahr auf das Brustkrebsrisiko unter gleichzeitiger Einbeziehung von Parität und Stillen. Eine eindeutige inverse Assoziation findet sich für Frauen, die geboren und gestillt haben; bei Frauen, die nie gestillt haben – unabhängig davon ob Nullipara oder Para ohne Stillen – besteht keine Assoziation zwischen KA und Brustkrebsrisiko. Wenn man beide Effektmodifikatoren, also benigne Brusterkrankung und Stillen kombiniert, zeigen sich ähnliche inverse Assoziationen zwischen KA und ER+/PR+ Krebsrisiko für Frauen, die gestillt haben, aber nie eine benigne Brusterkrankung hatten, sowie für Frauen, die sowohl gestillt haben als auch eine benigne Brusterkrankung hatten. Für Frauen, die nie gestillt haben und nie eine benigne Brusterkrankung hatten, zeigte sich keine Assoziation (Daten nicht abgebildet). Für den BMI ergaben sich für die Interaktionen mit KA die p-Werte p = 0,058 und p = 0,053 für die beiden Altersgruppen. Für KA ab dem 50. Lebensjahr zeigte sich allerdings bezüglich der vier BMI-Kategorien keine wesentliche Effektmodifikation. Nur bei der kleinen Gruppe adipöser Frauen, die angaben, seit dem 50. Lebensjahr körperlich sehr aktiv zu sein, war der Effekt kleiner als bei den anderen BMI-Gruppen (씰Abb. 1b). Für KA vom 30.–49. Lebensjahr waren die Modifikationen zwischen den BMI-Gruppen weniger eindeutig. Es gab keine signifikanten Interaktionen zwischen KA und Rauchen, Alkoholkonsum, Alter bei der Menarche, Alter bei der ersten Geburt oder Körpergröße (Daten nicht abgebildet). Onkologische Welt 1/2010 © Schattauer 2010 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-19 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. M. E. Schmidt et al.: Körperliche Aktivität und postmenopausaler Brustkrebs Diskussion Es wurde ein gegenläufiger Zusammenhang zwischen körperlicher Freizeitaktivität und dem Risiko für hormonrezeptorpositiven Brustkrebs bei postmenopausalen Frauen gefunden. Dieser protektive Effekt fand sich für Frauen sowohl mit als auch ohne Brustkrebs in der Familienvorgeschichte, für Frauen mit und ohne HT und für alle BMIGruppen außer der Gruppe der adipösen Frauen, für die die Assoziation weniger klar war. Stillen und benigne Brusterkrankung modifizieren den Effekt signifikant, wobei sich eine eindeutige Risikosenkung nur für Frauen fand, die gestillt haben oder eine benigne Brusterkrankung in der Vorgeschichte hatten. Es handelt sich hier um die erste Studie, die die Effektmodifikation der Assoziation von KA und Brustkrebsrisiko eingehend untersucht und dabei Stillen und benigne Brusterkrankungen einbezieht. Alle bekannten oder vermuteten Störfaktoren wurden dokumentiert, was eine adäquate Berücksichtigung von potenziellen Störfaktoren ermöglicht. Frühere Studien zu Effektmodifikatoren bezüglich der Assoziation von KA und Brustkrebsrisiko unterschieden nicht nach menopausalem Status oder Art des Brustkrebses, die vorliegende Studie hingegen konzentriert sich auf die postmenopausalen hormonrezeptorpositiven Karzinome. Trotzdem stand eine große Studienpopulation zur Verfügung. Allerdings müssen auch die Grenzen dieser Studie betrachtet werden. Trotz großer Anstrengungen waren die Antwortraten niedrig, was eventuell zu einem Selektionseffekt (selection bias) führte. Daten, die aus kurzen Fragebögen von Personen gewonnen wurden, die eine komplette Teilnahme ablehnten, sprechen dafür, dass Teilnehmerinnen, die an der kompletten Befragung teilnahmen, ein höheres Bildungsniveau hatten als Non-Responder. Allerdings fand sich weder eine starke Assoziation zwischen Bildung oder beruflicher Tätigkeit und körperlicher Freizeitaktivität noch waren in der vorliegenden Studie Stillen oder benigne Brusterkrankung mit dem Bildungsniveau (ρ nach Pearson = –0,07 und 0,03) oder der beruflichen Tätigkeit (ρ = –0,1 und 0,04) korreliert. Es wurden eindeutige protektive Effekte der KA auf postmenopausales ER+/PR+ Brustkrebsrisiko gefunden – und zwar sowohl für Frauen mit als auch solche ohne Brustkrebs in der Familienvorgeschichte 1. Grades. Es gibt nur wenige weitere Studien, die auch die Effektmodifikation durch die Familienvorgeschichte untersucht haben und deren Ergebnisse sind widersprüchlich. In einigen Studien fand sich kein Unterschied zwischen Frauen mit oder ohne positive Familienvorgeschichte (9–13), andere hingegen beobachteten protektive Effekte nur für Frauen ohne positive Familienvorgeschichte (14–17). Das Ergebnis der vorliegenden Studie, dass HT nicht zu einer Effektmodifikation führt, stimmt mit der aktuellen Literatur überein (9, 10, 18–20). Nur eine Studie ging von einer stärkeren Risikoreduktion bei Patientinnen aus, die vormals oder nie HT angewendet hatten im Vergleich zu aktuellen HT-Anwenderinnen (21). Unseres Wissens nach sind bisher noch keine Untersuchungen zur Effektmodifikation durch benigne Brusterkrankung veröffentlicht worden. Benigne Brusterkrankungen gehen mit einem erhöhten Risiko für prä- und postmenopausalen Brustkrebs einher (22); die Mechanismen, die der Entstehung von benignen Brusterkrankungen und deren Bedeutung für das Brustkrebsrisiko zugrunde liegen, sind allerdings unklar. Benigne Brusterkrankungen umfassen eine Vielzahl klinischer und histopathologischer Diagnosen von Schädigungen des Brustgewebes, zu der viele, auch hormonelle Faktoren beitragen können. Da einige benigne Brusterkrankungen wahrscheinlich mit Veränderungen der Brust oder des hormonellen Profils (23–25) einhergehen, erscheint die Effektmodifikation durch benigne Brusterkrankungen auf KA und das Brustkrebsrisiko plausibel. Obwohl die Modelle dieser Studie für andere Risikofaktoren adjustiert waren, kann nicht völlig ausgeschlossen werden, dass die beobachtete Effektmodifikation eventuell auf unterschiedlichen Lebensstilen und Aktivitätsmustern von Frauen mit oder ohne benigne Brusterkrankung beruht. Diese potenzielle Effektmodifikation sollte unter Berücksichtigung weiterer spezifischer Details bezüglich der Art der benignen Brusterkrankung näher untersucht werden; hierzu sind weitere Studien nötig. Das Ergebnis der vorliegenden Studie, dass KA und Stillen, nicht aber Parität signifikant interagieren, spricht dafür, dass man in der Auswertung von Effektmodifikation Stillen zusätzlich zu Parität betrachten muss. In einigen Studien wurde Parität als ein potenzieller Effektmodifikator der Beziehung zwischen KA und Brustkrebsrisiko gesehen. Ein Review dieser Studien ergab für Para (durchschnittliche Risikoreduktion 28 %) ein stärker gesenktes Risiko als für Nullipara (durchschnittliche Risikoreduktion 22 %), allerdings ohne Aussage über die statistische Signifikanz dieses Unterschieds (26). Eine Studie, die die Interaktion von KA und Stillen untersucht hätte, ist den Autoren nicht bekannt. Stillen hat einen protektiven Effekt gegen Brustkrebs – unabhängig vom protektiven Effekt mehrerer Geburten. Wahrscheinlich ist der Wirkmechanismus des Stillens ein anderer als der von Geburten und Alter bei der ersten Geburt (27–29). Die biologischen Mechanismen, über die Stillen zu protektiven Effekten gegen Brustkrebs führt, sind unklar. Mögliche Mechanismen sind hormonelle Veränderungen, wie gesenktes Östrogen, die Exkretion von Karzinogenen durch das Brustgewebe mittels Stillen, Veränderungen der Brustepithelzellen, was für maximale Differenzierung spricht, und Zeit bis zum Wiedereinsetzen des Eisprungs (30). Da Stillen zu Veränderungen in den Brustzellen und zu einem veränderten hormonellen Muster führt (31), könnte man annehmen, dass Stillen den Effekt von KA auf das Brustkrebsrisiko dadurch verändert, dass es die strukturelle und hormonelle Basis für die Wirkung von KA herstellt. Auch hier kann allerdings nicht völlig ausgeschlossen werden, dass die beobachtete Effektmodifikation auf unterschiedlichen Lebensstilen und Aktivitätsmustern von Frauen beruht, die gestillt bzw. die nicht gestillt haben. In früheren Studien waren die Ergebnisse zum BMI als Effektmodifikator uneinheitlich. Eine neue Übersichtsarbeit (1) fand eine Kohortenstudie und neun FallKontroll-Studien, in denen Effektmodifikationen durch den BMI anhand statistischer Tests untersucht wurden. Keine der Studien zeigte einen Unterschied. Einige Studien, die nach BMI stratifizierten, zeig- © Schattauer 2010 Onkologische Welt 1/2010 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-19 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 7 8 M. E. Schmidt et al.: Körperliche Aktivität und postmenopausaler Brustkrebs ten jedoch einen schwächeren Effekt für KA in der höchsten BMI-Gruppe im Vergleich zu den Gruppen mit niedrigerem BMI. Auf ähnliche Weise kamen Friedenreich und Cust (26) in ihrem aktuellen Review zu dem Schluss, dass KA das Brustkrebsrisiko in allen BMI-Gruppen außer der der adipösen Frauen (BMI = 30) senkt. Allerdings wurde die Interaktion nicht statistisch untersucht. Die Ergebnisse der vorliegenden Studie stimmen dahingehend überein, dass sie schwächere Effekte für adipöse Frauen zeigen; die Interaktion erwies sich allerdings als nicht statistisch signifikant (p = 0,053). Da Adipositas ein starker Risikofaktor für postmenopausalen Brustkrebs (32) ist, überwiegt vielleicht dieses Risiko den protektiven Effekt von KA. Unklar bleibt allerdings, warum Frauen, die viel körperliche Freizeitaktivität ab dem 50. Lebensjahr angaben, trotzdem adipös blieben. Vielleicht haben einige dieser Frauen ihre Aktivität überschätzt oder sie waren körperlich aktiv und trotzdem sehr adipös wegen besonderer metabolischer oder hormoneller Verhältnisse. Schlussfolgerungen Es wurde eine Effektmodifikation der körperlichen Aktivität bezüglich des postmenopausalen, hormonrezeptorpositiven Brustkrebsrisikos durch Stillen und benigne Brusterkrankungen ermittelt. Falls andere Studien ähnliche Effektmodifikationen nachweisen, könnte das Wissen in Bezug auf diese Risikofaktoren zu einem besseren Verständnis führen, wie körperliche Aktivität auf das Brustkrebsrisiko wirkt. Für Frauen mit einem erhöhten Brustkrebsrisiko aufgrund ihrer Familienvorgeschichte oder einer laufenden oder kürzlich durchgeführten HT ist es ermutigend, dass sie ihr Risiko durch körperliche Aktivität senken können. Danksagung Diese Studie wurde durch die Deutsche Krebshilfe e. V. gefördert, grant number 70–2892-BR I. Literatur 1. Monninkhof EM, Elias SG, Vlems FA et al. Physical activity and breast cancer, a systematic review of current evidence. Epidemiology 2007; 18: 137–157. 2. Sorlie T, Tibshirani R, Parker J et al. Repeated observation of breast tumor subtypes in independent gene expression data sets. Proc Natl Acad Sci USA 2003; 100(14): 8418–8423. 3. Schmidt ME, Steindorf K, Mutschelknauss E et al. 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Dazu beigetragen hat die Entscheidung, den Kongress zusammen mit der amerikanischen Krebsforschungsvereinigung AACR (American Association for Cancer Research) zu veranstalten. Damit kehrt man zu den Wurzel der Veranstaltung zurück, die als ein kleines Diskussionsforum zwischen Klinikern und Forschern entstanden ist. Die adjuvanten Therapiestudien, die neue Wirkprinzipien beim frühen Mammakarzinom erproben, können mittlerweile ein langes Followup vorweisen. So stellte Dr. Judith Bliss, Sutton/Großbritannien, eine aktualisierte Auswertung der IES(Intergroup Exemestan Study)-Studie nach einer Beobachtungszeit von median 91 Monaten vor (1). In der Studie wurden 4 724 Frauen, überwiegend mit Östrogenrezeptor (ER)-positivem Brustkrebs, nach 2- bis 3-jähriger Tamoxifen-Therapie randomisiert und entweder auf den Aromatasehemmer Exemestan über weitere 2–3 Jahre umgestellt oder kontinuierlich mit Tamoxifen weiterbehandelt. Benefit von Exemestan auch nach Therapieende Der Wechsel zu dem Aromatasehemmer zahlte sich für die Patientinnen in einem moderaten, aber signifikanten Überlebensvorteil aus, so Bliss: Das Mortalitätsrisiko nach 7,5-jähriger Nachbeobachtung war im Exemestan-Arm um relativ 14 % niedriger als bei kontinuierlicher Tamoxifen-Therapie (Hazard Ratio 0,86; p = 0,04). Der absolute Unterschied zwischen beiden Armen betrug 2,4 % und hatte damit gegenüber der 5-Jahres-Analyse um 1 % zugenommen. Auch die Differenz im krankheitsfreien Überleben bleibt bei längerem Follow-up signifikant: Das Ereignisrisiko wurde durch den Switch um relativ 18 % und um absolut 4,4 % im Vergleich zum Tamoxifen-Arm gesenkt (HR 0,81; p = 0,001). „Die Ereigniskurven trennen sich bereits früh nach Beginn der ExemestanTherapie und bleiben langfristig getrennt“, betonte Bliss. Das brustkrebsfreie Überleben, bei dem Todesfälle anderer Ursachen nicht berücksichtigt werden, war während der Behandlung im Exemestan-Arm um relativ 60 %, danach um relativ 6 % verbessert (씰Abb. 1). „Es gibt also keinen Hinweis, dass der frühe Benefit der Umstellung auf Exemestan während des mittlerweile langen Follow-up verloren geht“, so Bliss. Auch das Risiko für die prognostisch entscheidende Fernmetastasierung wurde durch Exemestan signifikant um relativ 17 % gesenkt (HR 0,83; p = 0,01). Dabei scheint der Effekt auf ossäre Metastasen besonders ausgeprägt zu sein. Als interessant, aber bislang nicht zu erklären, wertete Bliss die Beobachtung, dass nach dem Wechsel zu Exemestan neben kontralateralen Tumoren auch Karzinome anderer Ursachen erheblich seltener auftraten als unter Tamoxifen. Vom Switch zu dem Aromatasehemmer hatten alle Patientinnen einen Nutzen – unabhängig von Nodalstatus, vorangegangener Chemotherapie, ER-Status, Dauer der TamoxifenTherapie vor Randomisierung und Alter. Bliss wies darauf hin, dass Frauen über 70 Jahre besonders stark von der Umstellung profitierten. Menopausestatus überprüfen! Postmenopausale Patientinnen, die zunächst fünf Jahre lang mit Tamoxifen behandelt wurden, erhalten anschließend vielfach eine erweiterte Therapie mit einem Aromatasehemmer, um ihr anhaltend hohes Rezidivirisiko zu senken, erinnerte Prof. Paul Goss, Boston/USA. Bei zum Diagnosezeitpunkt prämenopausalen Frauen wird die Behandlung dagegen nach fünf Jahren Tamoxifen meist nicht weitergeführt. Eine Subgruppenanalyse der MA.17-Studie zur erweiterten adjuvanten Letrozol-Therapie hat nun gezeigt, dass bei diesen jüngeren Frauen eine Überprüfung des Menopausestatus am Ende der fünfjährigen endokrinen Standardtherapie sinnvoll ist: Denn Patientinnen, die zwischenzeitlich in die Wechseljahre kamen, profitieren von der erweiterten adjuvanten Letrozol-Gabe sogar stärker als bereits initial postmenopausale Frauen (2). Diese Subgruppe umfasste 889 Patientinnen, die aufgrund von Nodalstatus, vorangegangener Chemotherapie und Mastektomierate ein ungünstigere Prognose besaßen als Abb. 1 Krankheitsfreies Überleben bei ER-positivem Mammakarzinom nach 2- bis 3-jähriger Therapie mit Tamoxifen oder Exemestan © Schattauer 2010 Onkologische Welt 1/2010 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-19 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Kongressnachlese 10 Perez stellte 2009 die zweite Interimsanalyse zum Vergleich der Arme A versus B und die erste Interimsanalyse zum Vergleich von B versus C vor – eine Auswertung, die wegen ihrer klinischen Relevanz von Brustkrebsexperten mit Spannung erwartet worden war. Durch die sequenzielle Trastuzumab-Gabe wurde das krankheitsfreie Überleben nach einem medianen Follow-up von 5,5 Jahren signifikant um relativ 30 % und um absolut 8,2 % verbessert (HR 0,70; p = 0,0005). Der absolute Unterschied zwischen beiden Studienarmen ist somit gegenüber der ersten Analyse mit damals 5,8 % noch weiter gewachsen. Abb. 2 Initial prämenopausale Patienten profitieren mehr von einer erweiterten adjuvanten Letrozol-Therapie als initial postmenopausale Frauen von Anfang an postmenopausale Frauen. Entsprechend war die Rezidivrate in der Placebogruppe bei den jüngeren Frauen höher als bei älteren. Sie hatten einen größeren Benefit von der erweiterten Letrozol-Therapie: Das krankheitsfreie Überleben wurde in dieser Subgruppe durch den Aromatasehemmer um absolut 10,1 % im Vergleich zu Placebo verbessert – gegenüber nur 3,3 % bei den durchgängig postmenopausalen Frauen (씰Abb. 2). Postmenopausale Patientinnen ohne Lymphknotenbefall profitierten von Letrozol mit einer absoluten Risikoreduktion von 1,1 % kaum, während der Benefit bei den jüngeren Frauen mit einer Risikoreduktion um 11,5 % sogar ausgeprägter war als in der Subgruppe insgesamt. Bei positivem Nodalstatus fiel der Nutzen mit 7 % bei den älteren und 9,6 % bei den jüngeren Patientinnen ähnlich aus. Auch zeigt sich bei den initial prämenopausalen Frauen bereits ein deutlicherer Vorteil im Gesamtüberleben mit einer Senkung des Sterberisikos um absolut 2,8 % und relativ 64 % (HR 0,36; p = 0,19). Goss wies jedoch darauf hin, dass Nebenwirkungen wie Arthralgien und vaginale Blutungen bei den jüngeren Frauen stärker ausgeprägt waren als bei älteren. Auch war ihre Lebensqualität stärker eingeschränkt. Dennoch erscheint der Benefit der erweiterten adjuvanten Therapie insgesamt so überzeugend, dass die Indikationsstellung am Ende der fünfjährigen Tamoxifen-Therapie überprüft werden sollte. Chemotherapie und Trastuzumab – simultan oder sequenziell? Der Nutzen der adjuvanten Trastuzumab-Therapie beim HER2-überexprimierenden frühen Mammakarzinom ist heute in großen PhaseIII-Studien zweifelsfrei belegt. Noch unklar war jedoch bislang der optimale Einsatz des monoklonalen Antikörpers. Während in Nordamerika meist simultan zur Chemotherapie behandelt wird, bevorzugen viele Europäer die sequenzielle Anwendung von Chemotherapie und Trastuzumab. Die neue Analyse der Studie N9831 hat nun gezeigt, dass die gleichzeitige Gabe von Antikörper und Zytostatika in einer stärkeren Reduktion des Rezidivrisikos resultiert (3). Es ist die einzige der adjuvanten Trastuzumab-Studien, die in einem dreiarmigen Design die alleinige Chemotherapie mit der Chemotherapie plus paralleler bzw. sequenzieller Trastuzumab-Therapie vergleicht, erläuterte Prof. Edith Perez, Jacksonville/USA. An N9831 beteiligten sich gut 3 500 Patientinnen mit HER2-positivem Brustkrebs, die randomisiert dem Standardarm A mit Doxorubicin/Cyclophosphamid gefolgt von Paclitaxel (AC-P) oder zwei experimentellen Armen zugeteilt wurden, in denen der Antikörper erst nach Ende der PaclitaxelGabe über ein Jahr (Arm B) oder nach Abschluss der vier AC-Zyklen simultan zur zwölfwöchigen Paclitaxel-Therapie und anschließend weitere 40 Wochen verabreicht wurde (Arm C). Stärkere Risikoreduktion bei simultaner Gabe Der Vergleich der Studienarme B und C macht klar, dass das Rezidivrisiko durch die simultane Trastuzumab-Gabe noch weiter gesenkt werden kann: Nach einer Beobachtungszeit von median 5,3 Jahren wurde ein zusätzlicher Vorteil von relativ 23 % gegenüber dem sequenziellen Arm erreicht, der allerdings das vorab festgelegte Signifikanzniveau von 0,001 verfehlte (HR 0,77; p = 0,019). Auch diese beiden Ereigniskurven laufen kontinuierlich auseinander; der absolute Unterschied zwischen den zwei Armen beträgt 4,4 %. Auch beim Gesamtüberleben wird der Benefit der adjuvanten Trastuzumab-Gabe deutlich. Im Vergleich zu nur zytostatisch behandelten Frauen reduzierte die sequenzielle Antikörper-Gabe das Sterberisiko um relativ 14 %. Bei simultaner Gabe wurde erneut ein zusätzlicher Nutzen mit einer weiteren Mortalitätsreduktion um 21 % erreicht. Perez machte darauf aufmerksam, dass bislang aufgrund des therapeutischen Benefits von Trastuzumab weniger Todesfälle aufgetreten sind als ursprünglich erwartet, sodass statistische Auswertungen verfrüht sind. Kardiale Ereignisse waren insgesamt selten. Ihre Rate betrug bei alleiniger Chemotherapie 0,3 %, im Arm B bei sequenzieller TrastuzumabGabe 2,8 %. Bei simultaner Antikörper-Therapie stieg diese Rate nur leicht weiter bis auf 3,3 % an. Die meisten kardialen Nebenwirkungen waren laut Perez vorübergehend und medizinisch gut zu kontrollieren. Aufgrund des günstigen Nutzen-Risiko-Profils plädierte sie dafür, Trastuzumab von nun an simultan zur adjuvanten Chemotherapie – und zwar begin- Onkologische Welt 1/2010 © Schattauer 2010 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-19 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Kongressnachlese 11 nend mit der Taxan-Komponente – zu verabreichen. Überlebensvorteil bei dualer HER2-Blockade In der palliativen Therapie des HER2-positiven Mammakarzinoms ist Trastuzumab seit langem etabliert. Lange Zeit jedoch unklar war das therapeutische Vorgehen bei Patientinnen, die unter Trastuzumab progredient werden. Die Phase-III-Studie EGF104900 an 296 intensiv vorbehandelten Frauen hat jetzt gezeigt, dass die Kombination von Trastuzumab und Lapatinib in dieser Situation effektiver ist als die Umstellung auf Lapatinib allein (4). Bereits bei der ersten Analyse im Juni 2008 hatte die Studie ihren primären Endpunkt erreicht: Im Kombinationsarm war das Progressionsrisiko nach sechs Monaten signifikant niedriger als unter der Monotherapie (HR 0,73; p = 0,008), das progressionsfreie Überleben konnte um 4,1 Wochen verlängert werden (12 vs. 8,1 Wochen). Beim Gesamtüberleben zeigte sich zu diesem Zeitpunkt ein tendenzieller Vorteil zugunsten der kombinierten Therapie mit einer Verlängerung um median 2,9 Monate; die klinische Benefitrate wurde verdoppelt (24,7 vs. 12,4 %). Mortalität um ein Viertel gesenkt In San Antonio stellte Dr. Kimberly Blackwell, Durham/USA, die aktualisierte Überlebensanalyse nach Eintreten von 75 % der Ereignisse vor. Sie ergab jetzt nach längerem Follow-up einen signifikanten Benefit zugunsten der Kombination: Diese führte gegenüber der Monotherapie zu einer Überlebensverlängerung um 4,5 Monate (14 vs. 9,5 Monate); das Sterberisiko wurde um 26 % gesenkt (HR 0,74; p = 0,026). Der absolute Unterschied betrug nach sechs Monaten 10 %, nach einem Jahr 15 % (80 vs. 70 % bzw. 56 vs. 41 %). Blackwell betonte, dass der signifikante Vorteil zugunsten der Kombination trotz des Crossovers von 52 % der Patientinnen im Lapatinib-Arm erreicht wurde. Die finale Sicherheitsanalyse ergab vergleichbare Toxizitätsraten in beiden Armen. Die meisten Nebenwirkungen waren leicht ausgeprägt (Grad 1/2). Schwere Ereignisse (Grad 3/4) wurden bei zehn kombiniert und bei drei Mit 9 000 Teilnehmern zählt das San Antonio Breast Cancer Symposium zu den wichtigsten BrustkrebsKongressen der Welt (Foto: Dr. Katharina Arnheim, Freiburg). nur mit Lapatinib behandelten Patientinnen dokumentiert. Der 4,5-monatige Überlebensvorteil der dualen HER2-Blockade beim therapierefraktären Brustkrebs entspricht laut Blackwell den Ergebnissen, die man durch Addition eines Biologicals zur Chemotherapie im First-Line-Setting erreichen kann. Doch lässt sich die Überlebensverlängerung in diesem Fall ohne die zytostatikabedingte Toxizität realisieren. Das Update der Studie EGF104900 untermauert nach ihren Worten die NCCN-Leitlinie, die die Lapatinib/ Trastuzumab-Kombination als bevorzugte Option beim HER2-positiven Brustkrebs nach Trastuzumab-Vortherapie aufführt. Außerdem bezeichnete sie die Daten als vielversprechend im Hinblick auf die ALTTO-Studie, die diese Kombination in der Adjuvans untersucht. Zweitlinientherapie mit Bevacizumab Der monoklonale anti-VEGF-Antikörper Bevacizumab wird bislang auf der Basis dreier positiver Phase-III-Studien vor allem im First-LineSetting in Kombination mit unterschiedlichen Chemotherapien eingesetzt. Mit RIBBON-2 liegen jetzt Daten bei vorbehandelten Frauen mit metastasiertem Brustkrebs vor. Sie zeigen, dass auch in dieser Situation bei zusätzlicher Antikörper-Gabe eine signifikante Verlängerung des progressionsfreien Überlebens möglich ist (5). Die internationale RIBBON-2-Studie schloss fast 700 vorbehandelte Patientinnen ein, die im Verhältnis 2 : 1 zu einer Chemotherapie entweder mit Taxanen (n = 201), Gemcitabin (n = 108), Capecitabin (n = 97) oder mit Vinorelbin (n = 53) plus Bevacizumab oder zur alleinigen Chemotherapie plus Placebo (n = 225) randomisiert wurden, informierte Prof. Adam Brufsky, Pittsburgh/USA. Nach 15-monatigem Follow-up ergab die gepoolte Auswertung der vier ChemotherapieKohorten eine signifikante Reduktion des Progressionsrisikos durch Bevacizumab um relativ 22 % (HR 0,78; p = 0,0072) mit einer Verlängerung des progressionsfreien Überlebens um gut zwei Monate gegenüber der alleinigen Chemotherapie (7,2 vs. 5,1 Monate). Ein konsistentes Ergebnis ergab auch die separate Analyse von drei der vier Chemotherapie-Kohorten: Bei zusätzlicher Gabe von Bevacizumab zu Taxanen, Gemcitabin oder Capecitabin wurde ebenfalls eine deutliche Reduktion des Progressionsrisikos erreicht. Anders in der Vinorelbin-Kohorte, in der die Bevacizumab-Addition ohne Benefit blieb. Allerdings handelt es sich hier um eine sehr kleine Subgruppe mit nur 23 Patienten im Placeboarm. Die gepoolte Gesamtansprechrate stieg von 29,6 % im Placeboarm auf 39,5 % bei zusätzlicher Antikörper-Gabe. Beim Gesamtüberleben gibt es derzeit einen tendenziellen Vorteil zu- © Schattauer 2010 Onkologische Welt 1/2010 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-19 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Kongressnachlese 12 gunsten von Bevacizumab mit einer Mortalitätsreduktion um relativ 10 % (HR 0,90; p = 0,37). Es handelt sich dabei aber noch nicht um die finale Überlebensanalyse, für die das Eintreten von 75 % aller Ereignisse gefordert ist. Erwartungsgemäß war die Toxizitätsrate im Bevacizumab-Arm etwas höher als unter Placebo. Häufiger waren insbesondere Hypertonie (9,0 vs. 0,5 %), Neutropenie (17,7 vs. 14,5 %) und Proteinurie (3,1 vs. 0,5 %), während alle weiteren Nebenwirkungen etwa gleich verteilt auftraten. Dies galt auch bei separater Auswertungen der vier Chemotherapie-Kohorten. Insgesamt stimmen die Sicherheitsdaten mit den Ergebnissen anderer Bevacizumab-Studien gut überein. Dr. Katharina Arnheim, Freiburg Diskussion zeigt Wirkung bei der FDA Anthrazyklin-basierte Chemotherapie muss nicht kardiotoxisch sein Die Diskussion um die kardiotoxischen Nebenwirkungen einer Anthrazyklin-basierten Chemotherapie des fortgeschrittenen Mammakarzinoms hat auch bei der US-Zulassungsbehörde FDA Wirkung gezeigt. Wie die Behörde kürzlich mitteilte, wurde für die Zulassung von nicht pegyliertem liposomalem Doxorubicin (Myocet®) zur First-LineTherapie des HER2-positiven fortgeschrittenen Mammakarzinoms der Fast-TrackStatus einer bevorzugten Zulassung eingeräumt. Gegenwärtig werden in den USA Patienten für eine Phase-III-Studie rekrutiert, in der das Regime aus nicht pegyliertem liposomalem Doxorubicin, Paclitaxel und Trastuzumab gegen Paclitaxel und Trastuzumab allein verglichen wird. In Deutschland ist die Substanz bereits zur First-Line-Behandlung des fortgeschrittenen Mammakarzinoms in Kombination mit Cyclophosphamid zugelassen. Limitierend ist die Kardiotoxizität ab einer bestimmten kumulativen Dosis, insbesondere bei mit Anthrazyklin vorbehandelten oder kar- dial vorgeschädigten Patientinnen. Ab einer kumulativen Dosis von 400 mg/m2 freiem Doxorubicin steigt das Risiko eine Herzinsuffizienz zu entwickeln signifikant an. Eine Reihe von Phase-II-Studienergebnisse untermauern die gute Wirksamkeit und Verträglichkeit von Myocet® auch ohne die zusätzliche Trastuzumab-Gabe als Kombinationspartner von Docetaxel, Gemcitabin und Cyclo-phosphamid in der Erstlinienbehandlung von Patientinnen mit metastasiertem Brustkrebs. In den Studien zeigten sich hohe Remissionsraten, die meist Längeres Gesamtüberleben unter Lapatinib plus Trastuzumab Auf dem SABCS 2009 wurden die aktualisierten Ergebnisse der Studie EGF 104900 zum Gesamtüberleben (OS) präsentiert. In der Studie erhielten 296 Frauen mit HER2-positivem metastasiertem Brustkrebs eine Kombination von Lapatinib und Trastuzumab oder Lapatinib allein. Von den Frauen, die nur Lapatinib erhielten, wechselten 52 % zur Kombinationstherapie. Das mediane Überleben betrug unter Lapatinib/Trastuzumab 60,7 Wochen, bei der Monotherapie mit Lapatinib waren es 41,4 Wochen. Der Überlebensvorteil blieb auch nach Adjustierung für die prognostischen Faktoren bei Literatur 1. 2. 3. 4. 5. Bliss JM et al. Cancer Res 2009; 69(Suppl): Abstr. 12. Goss PE et al. Cancer Res 2009; 69(Suppl): Abstr. 13. Perez EA et al. Cancer Res 2009; 69(Suppl): Abstr. 80. Blackwell KL et al. Cancer Res 2009; 69(Suppl): Abstr. 61. Brufsky A et al. Cancer Res 2009; 69(Suppl): Abstr. 42. Quelle: 32. CTRC-AACR Brustkrebssymposium in San Antonio (SABCS) vom 9. bis 13. Dezember 2009, San Antonio/USA zwischen 60 und 70 % lagen, wobei es keine Hinweise auf eine erhöhte Kardiotoxizität gab. Der Zulassungsstudie ging eine Phase-IIStudie mit 69 Frauen mit einem HER2-positiven nicht vorbehandelten fortgeschrittenen Mammakarzinom voraus (1). Die Patienten erhielten sechs Zyklen eines Kombinationsschemas mit Trastuzumab, Paclitaxel und nicht pegyliertem liposomalem Doxorubicin. Die Gesamtansprechrate betrug 96,2 % bei einem medianen Zeitraum bis zu einer erneuten Progression (TTP) von 22,1 Monaten. Der Behandlungserfolg musste nicht mit einer erhöhten Rate an Kardiotoxizität erkauft werden, so die Untersucher. Im Gesamtkollektiv veränderte sich die linksventrikuläre Auswurffraktion (Baseline: 63%) nur unwesentlich. Sie betrug nach sechs Zyklen 6% und nach 52 Wochen 59%. Dr. Alexander Kretzschmar, München Literatur 1. Cortes J et al. Nonpegylated liposomal doxorubicin (TLC-D99), paclitaxel, and trastuzumab in HER2-overexpressing breast cancer: a multicenter phase I/II study. Clin Cancer Res 2009; 15: 307−314. Baseline sowie nach Adjustierung für Patientinnen im Crossover erhalten. Quelle: Blackwell KL et al. Updated survival analysis of a randomized study of Lapatinib alone or in combination with Trastuzumab in women with HER2-positive metastatic breast cancer progressing on Trastuzumab therapy. 32. CTRC-AACR Brustkrebssymposium in San Antonio (SABCS) vom 9. bis 13. Dezember 2009, San Antonio/USA; Abstract 61 Onkologische Welt 1/2010 © Schattauer 2010 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-19 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Kongressnachlese 13 Zoledronsäure gegen Knochendichteverlust Diskussion beendet – lieber sofort als später Die Upfront-Gabe von Zoledronsäure ist effektiver in der Prophylaxe eines Knochendichteverlustes während der Behandlung mit einem Aromataseinhibitor als bis zu den ersten Schäden zu warten. Dies unterstreichen die 5-Jahres-Daten der Z-FAST-Studie, die in San Antonio vorgestellt wurden (1). Nach Ansicht von Prof. Theresa Guise, Indianapolis/USA, kann nach diesen Ergebnissen kein Zweifel mehr darüber bestehen, dass alle Patienten, die wegen eines Mammakarzinoms einen Aromataseinhibitor (Letrozol) erhalten, zu Therapiebeginn ebenfalls eine Prophylaxe eines Knochendichteverlustes benötigen. In der aktuellen Auswertung nach fünf Jahren stieg bei den upfront mit Zoledronsäure behandelten Frauen (n = 140) die mittlere Knochendichte im Lendenwirbelkörper als primärem Studienendpunkt um 6,2 %, während sie in der Vergleichsgruppe (n = 300) um 2,4 % sank (p < 0,001). Diese Frauen erhielten Zoledronsäure erst, wenn der T-Score der Knochendichte im Lendenwirbel oder an der Hüfte unter einen Wert von –2 gesunken oder eine nicht traumatische Fraktur aufgetreten war. An der Hüfte verzeichnete die Upfront-Gruppe ebenfalls einen Anstieg der Knochendichte um 2,6 %, die Vergleichsgruppe verzeichnete einen Rückgang um 4,1 % (p < 0,001). Knochenbrüche traten bei 9,3 % der Frauen in der Upfront-Gruppe und 11 % der Ver- Die Evidenz wächst Bisphosphonate zur Brustkrebsprävention? Seit mehreren Jahren wird darüber diskutiert, ob und inwieweit Brustkrebspatientinnen in der adjuvanten Situation von einer zusätzlichen Bisphosphonatgabe profitieren. Für die adjuvante Gabe von Bisphosphonaten sprechen die Studien ABCSG 12 bei prämenopausalen und ZO-FAST bei postmenopausalen Patientinnen. Anhand der Daten von 10 000 Frauen der Women’s Health Initiative (WHI) prüfte die Arbeitsgruppe um Prof. Rowan Chlebowski, Los Angeles/USA, die Assoziation zwischen oralen Bisphosphonaten und der Brustkrebsinzidenz (1). In den letzten Jahren mehren sich Hinweise, dass Zoledronsäure nicht nur zur Prävention von Osteoporose und SRE sinnvoll ist, sondern beim adjuvanten Einsatz beim frühen Brustkrebs auch Tumorrezidive verhindern kann. Die Kommission Mamma der deutschen Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische Onkologie (AGO) hat in ihren Empfehlungen 2009 dem adjuvanten Einsatz der Bisphosphonate ein eigenes Kapitel gewidmet und die adjuvante Gabe von Clodronat oder Zoledronat mit einer „Plus“-Bewertung befürwortet und damit den therapeutischen Nutzen bestätigt. Die WHI-Population umfasst über 150 000 Frauen im Alter zwischen 50 und 79 Jahren ohne Mammakarzinom und ohne Einsatz der prä- gleichsgruppe auf. Allerdings ist die Z-FASTStudie statistisch nicht darauf ausgelegt, einen signifikanten Unterschied zwischen beiden Therapiegruppen zu entdecken, schränkte Guise ein. Ernsthafte renale Nebenwirkungen sowie Kieferosteonekrosen wurden nicht beobachtet. Bei allen Teilnehmern wurde vor der Letrozolbehandlung eine chirurgische Tumorresektion mit anschließender Chemotherapie bzw. Radiatio durchgeführt. Innerhalb der fünfjährigen Letrozolbehandlung trat in der Upfront-Gruppe in 5,3 % ein erneutes Rezidiv auf, in der Vergleichsgruppe waren es 7 %. Eine Fernmetastase trat in der Upfront-Gruppe bei neun Frauen versus 19 Frauen in der Vergleichsgruppe auf. Dr. Alexander Kretzschmar, München Literatur 1. Brufsky A et al. Cancer Res 2009; 69 (Suppl); Abstract 4083. Quelle: 32. CTRC-AACR Brustkrebssymposium in San Antonio (SABCS) vom 9. bis 13. Dezember 2009, San Antonio/USA ventiv wirkenden Substanzen Tamoxifen oder Raloxifen. Analysiert wurden etwa 10 000 WHITeilnehmerinnen, von denen KnochendichteDaten zur Verfügung standen. 2 216 von ihnen nahmen bei Studieneinschluss Bisphosphonate, meist Alendronat (89,7 %), ein. Da eine erniedrigte Knochendichte mit einem geringeren Brustkrebsrisiko einhergeht, diese aber andererseits eine Indikation für die Bisphosphonattherapie ist, wurden alle Ergebnisse daraufhin adjustiert. Signifikante Risikoreduktion um 32 % Dennoch konnte in der Multivarianzanalyse eine signifikante Risikoreduktion für invasive Mammakarzinome um 32 % bei Bisphosphonattherapie ermittelt werden (HR 0,68; p < 0,01). Signifikant fiel der präventive Effekt der Bisphosphonate allerdings nur bei ER-positiven Tumoren aus, während die Inzidenz ERnegativer Tumoren nur tendenziell verringert wurde (p = 0,02 bzw. p = 0,27). Überraschen- © Schattauer 2010 Onkologische Welt 1/2010 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-19 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Kongressnachlese 14 derweise ging die Bisphosphonattherapie allerdings mit einer erhöhten Rate an DCIS (duktales Carcinoma in situ) einher – ein Phänomen, für das es derzeit laut Chlebowski keine Erklärung gibt (HR 1,59; p = 0,002). Für den präventiven Effekt der Bisphosphonattherapie spricht auch eine israelische Studie (2): Der Benefit in puncto Brustkrebsrisiko zeigte sich erstmals nach Ende des ersten Therapiejahrs und blieb im Behandlungsverlauf konstant. Zudem hatten Frauen, bei denen unter einer Bisphosphonattherapie ein Mammakarzi- nom auftrat, günstigere Prognosefaktoren als die Kontrollen. Trotz dieser positiven Studiendaten wiesen Chlebowski und Prof. Gad Rennert, Haifa/Israel, darauf hin, dass es sich nur um Hypothesen generierende Ergebnisse aus Beobachtungsstudien handelt. Ob Bisphosphonaten künftig ein Stellenwert in der Brustkrebsprävention zukommt, kann laut Rennert nur in prospektiven randomisierten Studien geklärt werden. Denosumab als Alternative zu Bisphosphonaten? Rund drei Viertel aller Frauen mit metastasiertem Brustkrebs entwickeln im Krankheitsverlauf Knochenmetastasen. Zur Vermeidung bzw. Verzögerung skelettbezogener Ereignisse (SRE), beispielsweise Frakturen, Rückenmarkkompression, Radiatio oder operative Eingriffe, werden häufig Bisphosphonate eingesetzt. Als therapeutische Alternative wird der gegen den RANK-Liganden gerichtete monoklonale Antikörper Denosumab bei mehreren Tumorentitäten klinisch evaluiert. Anteil SRE-freier Patienten (%) 100 sen. Beim primären Endpunkt, der Zeit bis zum ersten SRE, erwies sich der Antikörper dem bisherigen Standard als überlegen: Das Risiko für die erste Skelettkomplikation wurde im Vergleich zu Zoledronsäure signifikant um relativ HR 0,82 (95% KI: 0,71–0,95) p < 0,0001 (Nichtunterlegenheit) 18 % Risikoreduktion p = 0,01 (Überlegenheit) 75 1. Chlebowsky RT et al. Cancer Res 2009 (Suppl); Abstract 21. 2. Rennert G et al. Cancer Res 2009 (Suppl); Abstract 27. Quelle: 32. CTRC-AACR Brustkrebssymposium in San Antonio (SABCS) vom 9. bis 13. Dezember 2009, San Antonio/USA Dr. Katharina Arnheim, Freiburg Antikörpertherapie gegen Osteoporose Eine internationale randomisierte Phase-IIIStudie vergleicht den Antikörper (120 mg s. c. alle vier Wochen) mit Zoledronsäure (4 mg i. v. alle vier Wochen) bei 2 046 Bisphosphonat naiven Brustkrebspatienten mit Knochenmetasta- Literatur 18 % gesenkt (HR 0,82; p = 0,01). Prof. Alison Stopeck, Tucson/USA wies darauf hin, dass sich die Ereigniskurven beider Studienarme bereits ab dem sechsten Monat trennten und bis Studienende in Monat 34 kontinuierlich auseinander drifteten (씰Abb. 1). Auch die Zeit bis zum ersten und nachfolgenden SRE (sekundärer Endpunkt) wurde durch Denosumab signifikant verlängert, das Risiko in der Multi-Event-Analyse um 23 % reduziert (HR 0,77; p = 0,001). Bei weiteren Endpunkten wie der Zeit bis zur ersten Knochenbestrahlung und bis zum Auftreten moderater bis schwerer Schmerzen erwies sich Denosumab ebenfalls als signifikant überlegen. Auch die Zeit bis zum ersten SRE oder bis zur Hyperkalzämie wurde gegenüber Zoledronsäure signifikant verlängert (HR 0,82; p = 0,007). Beim progressionsfreien Überleben gab es allerdings keinen Unterschied zwischen den Studienarmen. Akute-Phase-Reaktionen und renale Nebenwirkungen waren unter Zoledronsäure deutlich häufiger als mit Denosumab. Kiefernekrosen traten in beiden Armen selten auf. Stopeck bewertete Denosumab aufgrund der neuen Daten als vielversprechende Substanz bei ossär metastasierten Patientinnen. Dr. Katharina Arnheim, Freiburg 50 Literatur 25 0 0 3 6 9 12 15 18 Monate 21 24 27 30 Abb. 1 Risikoreduktion für ein erstes skelettbezogenes Ereignis (SRE) durch Denosumab im Vergleich zu Zoledronsäure 1. Stopeck A et al. Cancer Res 2009 (Suppl); Abstract 22. Quelle: 32. CTRC-AACR Brustkrebssymposium in San Antonio (SABCS) vom 9. bis 13. Dezember 2009, San Antonio/USA Onkologische Welt 1/2010 © Schattauer 2010 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-19 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Aus Forschung und Industrie 16 Neuer PARP-Hemmer in Phase-III-Studie geprüft Therapie des tripelnegativen Mammakarzinoms in Sicht? Nach positiven Phase-II-Daten ist jetzt für den PARP-Hemmer BSI-201 eine Phase-IIIStudie angelaufen, in der die Wirksamkeit und Sicherheit in der Therapie des tripelnegativen Mammakarzinoms untersucht wird. Die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA) hat ein beschleunigtes Prüfverfahren bewilligt. Tripelnegative Mammakarzinome sind aggressiv und schwer behandelbar, da Rezeptoren für Östrogen, Progesteron und HER2 fehlen und damit durch verfügbare Behandlungsformen nicht angegriffen werden. Als Hoffnungsträger gilt die neue Klasse der PARP-Inhibitoren. PARP (PolyADP-Ribose-Polymerase) ist ein Enzym zur Reparatur der DNA-Schädigung, einschließlich chemotherapieinduzierter Tumorzellschäden. Zurzeit wird untersucht, ob die Substanzen, die das PARP-Enzym hemmen, den Selbstreparatur- mechanismus der Tumorzellen verringern, so dass sie therapiesensitiver werden. Auf dem letzten ASCO-Kongress haben zwei Phase-II-Studien bei Frauen mit tripelnegativen und BRCA-1-2-defizienten Mammakarzinomen vielversprechende Resultate gezeigt. Der PARP-1-Inhibitor BSI-201 wurde bei 120 Patienten zusammen mit einer konventionellen Chemotherapie versus Chemotherapie allein geprüft. Eine aktualisierte Analyse zeigt, dass BSI-201 in Kombination mit Gemcitabin und Carboplatin das mittlere Gesamtüberleben von 7,7 Monaten auf 12,2 Monate (HR = 0,5, p = 0,005) erhöhte. BSI-201 erhöhte weder Häufigkeit noch Schweregrad chemotherapieassoziierter unerwünschter Ereignisse. Das mittlere Überleben wurde im BSI-201-Arm noch nicht erreicht. Derzeit läuft eine Phase-III-Studie zur Wirksamkeit und Verträglichkeit von BSI-201 in Kombination mit Gemcitabin und Carboplatin bei Frauen mit einem tripelnegativen Mammakarzinom. Insgesamt sollen 420 Frauen, die zuvor im metastasierten Stadium 0 bis 2 Therapien erhalten hatten, rekrutiert werden. Die primären Studienendpunkte sind die Verbesserung des progressionsfreien Überlebens und des Gesamtüberlebens. Aufgrund des Crossover-Designs haben alle Patientinnen, die in die klinische Phase-III-Studie mit BSI-201 aufgenommen werden, eine potenzielle Chance, BSI-201 zu erhalten. Patientinnen im Kontrollarm können bei einer Krankheitsprogression BSI-201 erhalten. Dr. Alexander Kretzschmar, München Onkologische Welt 1/2010 © Schattauer 2010 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-19 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Kongressnachlese Hämatoonkologie 51. Jahrestagung der American Society of Hematology Von Darwins Selektionskriterien bis hin zu molekularen Biomarkern Vom 5. bis 8. Dezember 2009 wurden auf dem ASH neue Erkenntnisse zur Diagnose und Behandlung von Lymphomerkrankungen vorgestellt. Über 20 000 interessierte Ärzte und Wissenschaftler aus aller Welt informierten sich bei etwa 3 500 Veranstaltungen wie Symposien, Fortbildungsprogrammen oder speziellen Seminaren und anhand von über 1 000 Postern auf diesem wichtigsten hämatologischen Kongress. Zentrale Themen der Jahrestagung waren unter anderem die aktuellen Therapien des Multiplen Myeloms oder des Non-Hodgkin-Lymphoms. Die Ergebnisse von Studien mit neuen Wirkstoffen und das bessere Verständnis der Stammzelltherapie gehörten ebenfalls zu den Highlights. Im Jahr 2009 wurde der 200. Geburtstag von Charles Darwin und der 150. Jahrestag seines wegweisenden Buches „Die Entstehung der Arten“ gefeiert. Grund genug für Prof. Melvin Greaves, Sutton/England, in seiner Ham-Wasserman-Lecture den Fokus auf die Entstehung der akuten lymphoblastischen Leukämie (ALL) im Kindesalter unter Berücksichtigung der Darwinschen natürlichen Selektionskriterien zu legen (1). Mithilfe von Zwillingsstudien (2) und Untersuchungen von Nabelschnurblut (3) zeigte Greaves, dass viele ALL-Fälle in der Kindheit auf bereits genetische In-utero-Veränderungen, beispielsweise Genfusionen, zurückgeführt werden können. PCR-Untersuchungen von neonatalem Blut und von Nabelschnurblut erlaubten die Schlussfolgerung, dass Neugeborene zwar gesund sind, aber aufgrund von chromosomalen Abweichungen, beispielsweise Deletionen, später in der Kindheit an einer ALL erkranken. Allerdings konnten auch leukämische chromosomale Veränderungen in Neugeborenenblut festgestellt werden, ohne dass diese Kinder später eine Leukämie entwickelten. Dieses führt Greaves zu der Annahme, dass es ein zweistufiges Entstehungsmodell der kindlichen ALL geben müsse. Die ersten genetischen Veränderungen finden demnach im Uterus statt und zwar bis zu 100-mal häufiger als Kinder dann später an Leukämie erkranken. Die zweite genetische Veränderung, die notwendig ist, damit die Krankheit zum Ausbruch kommt, vollzieht sich also erst in der Kindheit. Dennoch bleibt die Mehrheit der Kinder mit einem Gendefekt gesund. Die Daten zeigen also keine li- neare Sequenz der Mutationen, sondern eher eine verzweigte genetische Struktur, ähnlich dem 1837 von Darwin beschriebenen evolutionären Verzweigungsdiagramm. Dieses genetische Wissen ist wichtig für zukünftige Therapiemöglichkeiten, z. B. der Stammzelltherapie, schlussfolgerte Greaves. CML – TyrosinkinaseInhibitoren im Vergleich Um die steigende Zahl der zielgerichteten Therapeutika optimal einzusetzen, werden Biomarker zur Typisierung nicht nur der tumorspezifischen molekularen Veränderungen immer wichtiger. Auch die Patienten müssen ebenso gut charakterisiert sein, nicht zuletzt, um ihnen nutzlose Behandlungen zu ersparen. Für den Tyrosinkinaseinhibitor (TKI) Imatinib (Glivec®) liegen inzwischen umfangreiche Daten molekulargezielter Therapien bei der chronisch myeloischen Leukämie (CML) vor. In Studien konnte für Imatinib eine hohe molekulare Remissionsrate bei guter Lebensqualität belegt werden (4). Für den TKI Nilotinib (Tasigna®) wurden erste Ergebnisse der ENESTnd-Studie (evaluating nilotinib efficacy and safety in clinical trails of newly diagnosed Ph+ CML patients) vorgestellt. Darin werden die Wirksamkeit auf molekularer Ebene (MMR) und die Sicherheit von Nilotinib versus Imatinib bei Patienten mit neu diagnostizierter Philadelphia-Chromosom-positiver CML (Ph+ CML) in der chronischen Phase untersucht. Verglichen wurden in der offenen, randomisierten multizentrischen PhaseIII-Studie mit 846 Patienten die Wirksamkeit (MMR) nach zwölf Monaten und Sicherheit unter Nilotinib 600 mg/d bzw. 800 mg/d vs. Imatinib 400 mg/d. Der primäre Endpunkt war die MMR nach zwölf Monaten, sekundäre Endpunkte waren die zytogenetische Remission (CCyR) nach zwölf Monaten, das ereignisfreie Überleben (PFS) und das Gesamtüberleben (OS). Die Auswertungen dieses ersten direkten Vergleiches der beiden oralen TKI zeigen eine signifikante Überlegenheit von Nilotinib gegenüber Imatinib in allen Wirksamkeitsparametern: MMR 44 % bei 300 mg/d bzw. 43 % bei 400 mg Nilotinib vs. 22 % bei 400 mg/d Imatinib (p < 0,0001). Die CCyR nach zwölf Monaten war sowohl für 300 mg als auch für 400 mg Nilotinib im Vergleich zu 400 mg Imatinib signifikant höher (80 vs. 65 %; p < 0,0001) (5). Nach zwölf Monaten zeigten signifikant weniger Patienten unter zweimal Das Ernest N. Morial Convention Center New Orleans war Austragungsort der 51. Jahrestagung der American Society of Hematology im Dezember 2009 (Foto: Dr. Anja Borchers, Stuttgart). © Schattauer 2010 Onkologische Welt 1/2010 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-19 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 17 Kongressnachlese 18 täglich 300 mg Nilotinib eine Krankheitsprogression als Patienten, die einmal täglich 400 mg Imatinib erhalten hatten (2 vs. 11 Patienten). Die Therapie mit Nilotinib wurde gut vertragen. Im Nilotinib-Arm brachen weniger Patienten die Studie aufgrund von unerwünschten Nebenwirkungen ab als im Imatinib-Arm (Nilotinib 300 mg/d: 7 %; Nilotinib 400 mg/d: 11 %; 400 mg/d Imatinib: 9 %). Diese auffallenden Responderraten in der Nilotinibtherapie zusammen mit einem sehr geringen Fortschreiten der Krankheit zeigen deutlich, dass Patienten mit einer First-Line-Induktionstherapie mit Nilotinib ein verlängertes progressionsfreies Überleben haben, sagte Prof. Guiseppe Saglio, Turin/Italien. Bei einem suboptimalen Ansprechen der Imatinib-Therapie sollte nach aktuellen ELN-Guidelines (European LeukemiaNet) eine Erhöhung der Imati- nib-Dosis oder die Therapie mit einem Zweitlinienpräparat wie Nilotinib vorgesehen werden. Bei Imatinib-Resistenz oder -unverträglichkeit sollte eine sofortige Umstellung auf eine Zweitlinientherapie erfolgen (6). Auf dem ASH-Kongress wurden hierzu einige Subgruppenauswertungen der ENACTStudie (Expanding nilotinib access in clinical trials) vorgestellt (7). Von den insgesamt 1 422 ENACT-Patienten waren 32 % älter als 60 Jahre. Die Patientenpopulation war länger und intensiver vorbehandelt, erhielt aber seltener eine Hochdosistherapie mit Imatinib (< 60 Jahre: 34 %; > 60 Jahre 26 %) und erreichten seltener eine zytogenetische Response. Trotzdem sprach diese Subgruppe ebenso gut auf Nilotinib an wie jüngere Patienten (CHR: 39 %; MCyR: 41 %, CCyR: 31 %). Dr. Anja Borchers, Stuttgart Nicht vorbehandeltes multiples Myelom VMP-Schema mit Überlebensvorteil gegenüber MP Die Dreijahres-Daten der VISTA-Studie bestätigen den Anspruch dieses Schemas als eine First-Line-Therapie bei dieser Patientenkohorte. Teilnehmer waren 682 unvorbehandelte, nicht für eine Stammzelltransplantation geeignete Patienten mit einem medianen Alter von 71 Jahren. Nach einem Follow-up von 36,7 Monaten lebten mit 68,5 vs. 54,0 % deutlich mehr mit dem VMP-Schema (Bortezomib/Melphalan/Prednison) behandelte Patienten als im Vergleichsarm mit dem MP-Schema (Melphalan/Prednison) (HR 0,653, p = 0,0008). Das um 35 % signifikant geringere Sterberisiko (HR 0,653, p = 0,0008) für die Patienten im VMP-Arm versus MP ist umso erstaunlicher als 50 % der Patienten des MP-Arms im weiteren Verlauf Bortezomib erhalten hatten. Das mediane Gesamtüberleben war zu diesem Zeitpunkt lediglich im MP-Arm erreicht (43,1 Monate), wobei Patienten in diesem Arm zu 50 % im weiteren Erkrankungsverlauf Bortezomib erhalten hatten (1). Darüber hinaus benötigten während der Nachbeobachtungszeit auch weniger Erkrankte des VMP-Arms eine nachfolgende Therapie als unter MP (52 vs. 69 %). Das behandlungsfreie Intervall lag dementsprechend bei 17,6 vs. 8,4 Monaten (p < 0,0001), die mediane Zeit bis zur nachfolgenden Therapie betrug 28,1 vs. 19,2 Monate (p < 0,0001). Die Daten weisen auch darauf hin, dass die Patienten von einer erneuten Behandlung mit Bortezomib nach einer VMP-Therapie profitierten. Insgesamt 24 % der Patienten im VMP-Arms wurden im Anschluss an die Studie erneut mit Bortezomib behandelt. Dabei wurde ein Ansprechen von 47 % mit 6 % kompletten Remissionen erreicht. Literatur 1. Greaves M. Vortag auf der 51. Jahrestagung der ASH, 5. Dezember 2009, New Orleans/USA. 2. Cazzaniga G et al. 51. Jahrestagung der ASH, 5.–8. Dezember 2009, New Orleans/USA; Abstract 87. 3. van Delft FW et al. 51. Jahrestagung der ASH, 5.–8. Dezember 2009, New Orleans/USA; Abstract LBA 5. 4. Larson RA et al. Blood 2008; 111: 4022–4028. 5. Saglio G et al. 51. Jahrestagung der ASH, 5.–8. Dezember 2009, New Orleans/USA; Abstract LBA 1. 6. Baccarani M et al. J Clin Oncol 2009; E-pub ahead of print. 7. Le Coutre PD et al. 51. Jahrestagung der ASH, 7. Dezember 2009, New Orleans/USA; Poster 3286. Quelle: Vorträge und Media Briefing „Building on a decade of progress: Advances in treating and measuring success in Philadelphia chromosome-positive chronic myeloid leukemia” im Rahmen der 51. Jahresdung der ASH am 7. Dezember 2009, New Orleans/ USA; Veranstalter: Novartis Pharma GmbH, Nürnberg Dreijahresüberleben der Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion (Kreatininclearance < 60 ml/min, 63,1 %) gegenüber dem von Patienten mit intakter Nierenfunktion (Kreatininclearance ≥ 60 ml/min, 74,5 %, p = 0,238). Gleiches galt für Patienten ohne oder mit hohem zytogenetischem Risiko (71,6 vs. 56,1 %, p = 0,399). Lediglich bei einem Vergleich der älteren Patienten ≥ 75 Jahre fiel das Dreijahresüberleben signifikant geringer als bei jüngeren Patienten unter 75 Jahren aus (55,5 vs. 74,1 %, p = 0,011). Dies lässt sich jedoch auf das Alter als unabhängigem Risikofaktor für ein kürzeres Überleben zurückführen. In Hinblick auf das Verträglichkeitsprofil zeigten sich im Rahmen der längeren Nachbeobachtung keine Unterschiede zu den initial in der VISTA-Studie beobachteten Nebenwirkungen. Diese waren unter VMP beherrschbar und entsprachen den Erwartungen (1, 2, 3). Dr. Alexander Kretzschmar, München Literatur Keine Nachteile bei schlechter Nierenfunktion Eine Auswertung innerhalb des VMP-Arms zeigte keine signifikanten Unterschiede beim 1. Mateos MV et al. 51. Jahrestagung der American Society of Hematology (ASH) vom 5. bis 8. Dezember 2009, New Orleans/USA; Abstract 3859. 2. San Miguel JF et al. Blood 2008; 112: Abstract 650. 3. San Miguel JF et al. N Engl J Med 2008; 359: 906–917. Onkologische Welt 1/2010 © Schattauer 2010 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-19 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Kongressnachlese 19 „Advance Care Planning“ – Konzept für das Lebensende Vorausschauender Versorgungsplan statt Patientenverfügung? Die Mehrheit der Bürger hat erhebliche Vorbehalte gegen eine Patientenverfügung. Zu erklären ist das unter anderem damit, dass man nicht vorhersehen kann, welche Lebensperspektiven sich auch in einer schweren, lebensbedrohlichen Krankheit noch bieten. Daher ist es sinnvoll, sich über Alternativen zur Patientenverfügung Gedanken zu machen. Bei dem amerikanischen Konzept „Advance Care Planning“ (ACP) handelt es sich nicht um ein Formular, sondern um eine Strategie im Sinne eines vorausschauenden Versorgungsplans. Das ACP-Konzept antizipiert die Verschlechterungen des Zustandes, die unter medizinischen Gesichtspunkten absehbar sind. ACP kommt zum Einsatz, wenn die Krankheit fortgeschritten und als zum Tode führend eingeschätzt wird. Das Therapieziel besteht dann in der Leidensminderung, eine Übertherapie wird ausgeschlossen. Wichtig ist das Gespräch mit Arzt, Patienten und Angehörigen. Es sollte eine Übereinstimmung aller Beteiligten über die Maßnahmen, beispielsweise bei einer lebensbedrohlichen Komplikation erzielt werden. Weiterhin sollte immer ein Testament geschrie- ben sein und ein Pflegebevollmächtigter ernannt werden. Prof. Fausto Loberitza jr., Omaha/USA, stellte eine Beobachtungsstudie mit 293 Patienten vor, die aufgrund von hämatologischen Tumoren eine Stammzellentherapie erhalten hatten (HEMA-COMM-Studie). Nur 50 % dieser Patienten hatten zur Zeit der Transplantation ein ACP. Diese Untersuchung sollte klären, ob ein ACP ein Indikator für eine bessere Behandlungsbzw. Lebensqualität sein kann, oder ob der Patient durch die Konfrontation mit dem Gespräch über den Tod noch mehr gestresst wird. Konsolidierungstherapie beim follikulären Lymphom Mehr Komplettremissionen und weniger Toxizität bei verkürzter Induktionstherapie Eine auf der Jahrestagung der American Society of Hematology (ASH) im Dezember 2009 vorgestellte Studie bestätigt die hohe Aktivität von 90Yttrium-Ibritumomab-Tiuxetan (Zevalin®) beim follikulären Lymphom: Die First-Line-Konsolidierungstherapie mit Yttrium-Ibritumomab-Tiuxetan ermöglicht eine Verkürzung der initialen Chemotherapie von sechs auf vier Zyklen und damit eine deutliche Reduktion der Hämatotoxizität. Gleichzeitig verbessert die Radioimmuntherapie die Effektivität der Induktionsbehandlung, sodass bei Therapieende 94 % der Patienten eine komplette Remission (CR) erreicht hatten. Eine 2008 vorgestellte Phase-II-Studie bei nicht vorbehandelten Patienten mit follikulärem Lymphom wies darauf hin, dass 95 % der Behandelten nach einer Radioimmuntherapie mit Yttrium-Ibritumomab-Tiuxetan im Anschluss an eine Chemotherapie mit Fludarabin/Mitoxantron (FM) eine komplette Remission (CR) erreichten. Das Gesamtüberleben nach dreijähri- Die Ergebnisse zeigen, dass Patienten mit ACP älter waren als Patienten ohne (56 vs. 52 Jahre), ein höheres Einkommen, eine schwerere Form der Leukämie mit schlechteren Heilungschancen und bereits eine Therapie erhalten hatten. Es gab keine Unterschiede in der Lebensqualität, dem Auftreten einer Depression oder Angst. Patienten mit oder ohne ACP unterschieden sich allerdings in der Bewältigung der Probleme: Patienten mit ACP suchten häufiger Unterstützung, sprachen mehr über ihre Gefühle (gefühlfokussierte Bewältigung), versuchten Probleme aktiv zu lösen (problemfokussierte Bewältigung) und hatten eine positivere Einstellung gegenüber dem weiteren Krankheitsverlauf. Ein ACP gibt dem Patienten die Möglichkeit eines realistischen Blickes auf die Krankheit und sich kritisch mit ihr auseinanderzusetzen, schlussfolgerte Loberitza. Deshalb sollte der Arzt bei Patienten mit einer lebensgefährlichen Erkrankung die Möglichkeit eines ACP besonders betonen und vorantreiben. Dr. Anja Borchers, Stuttgart Quelle: Loberitza FR jr. et al. 51. Jahrestagung der American Society of Hematology (ASH), 5.–8. Dezember 2009, New Orleans/USA; Abstract 72 gem Follow-up betrug 100 %, 76 % davon progressionsfrei. Aufgrund dieser Daten wurde eine weitere multizentrische Phase-II-Studie bei nicht vorbehandelten Patienten initiiert, in der Yttrium-Ibritumomab-Tiuxetan im Anschluss an eine auf vier Zyklen verkürzte Induktionstherapie mit Rituximab plus FM (RFM) verabreicht wurde, berichtete Dr. Pier Luigi Zinzani, Bologna/Italien. Ziel war die Entwicklung eines neuen Therapieansatzes, in der die Exposition der Patienten gegenüber einer konventionellen Chemotherapie verringert und damit auch die Toxizität reduziert wird. Insgesamt beendeten 52 der 55 nicht vorbehandelten Patienten mit follikulärem NonHodgkin-Lymphom (Stadien II–IV) die Induktionstherapie mit RFM. Davon sprachen 37 Patienten (71 %) auf die Therapie an, die CR-Rate betrug 75 %, 14 Patienten (27 %) erreichten eine partielle Remission (PR). 50 Patienten erhielten danach eine Yttrium-Ibritumomab-Tiuxetan-Infusion, womit die Qualität des Ansprechens erheblich verbessert werden konnte: Elf © Schattauer 2010 Onkologische Welt 1/2010 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-19 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Kongressnachlese 20 der partiellen Responder kamen nach Einmalgabe des Antikörpers in eine CR, sodass die CRRate auf 94 % anstieg. Nach einem im Mittel 19-monatigem Follow-up befinden sich 84 % der Patienten weiterhin in CR. Bei vergleichbarer Effektivität wurde durch die Verkürzung der initialen Chemotherapie auf nur vier Zyklen ei- ne Reduktion der Hämatotoxizität um rund 30 % erreicht, so Zinzani. Auch erholte sich die Knochenmarkfunktion bei allen Patienten innerhalb von vier Wochen nach der Radioimmuntherapie wieder vollständig. Dr. Alexander Kretzschmar, München Fortschritte beim multiplen Myelom Neue Therapieoptionen für ältere und stark vorbehandelte Patienten Molekularbiologischen Analysen zeigen, dass das multiple Myelom (MM) ein Spektrum an Erkrankungen aufgrund vieler genetischer Veränderungen darstellt. Deshalb wird davon ausgegangen, dass zukünftig für die zugrunde liegenden Defekte spezifische und individualisierte Therapien angeboten werden können. In der Therapie wurden in den letzten Jahren mithilfe von neuen Wirkstoffen wie dem Proteaseinhibitor Bortezomib und den Immunmodulatoren Lenalidomid und Thalidomid weitere Fortschritte erzielt. In einer Reihe von Studien wird geklärt, welche der neuen Wirkstoffe am besten mit den etablierten Therapien wie Melphalan und Kortikosteroiden wirken. In der placebokontrollierten, doppelblinden Phase-III-Studie MM-015 wurde die Wirksamkeit und Verträglichkeit der Kombination von Lenalidomid, Melphalan und Prednisolon (MPR) bei Myelom-Patienten im Alter von 65 Jahren oder darüber mit der des Standardregimes Melphalan/Prednisolon (MP) verglichen (1). Die 459 Patienten wurden in drei Studienarme randomisiert und erhielten jeweils entweder neun Zyklen MP gefolgt von Placebo (n = 154), neun Zyklen MPR gefolgt von Placebo (n = 153) oder neun Zyklen MPR gefolgt von Quelle: Zinzani PL et al. A phase II trial of RFM (Rituximab, Fludarabine and Mitoxantrone) chemotherapy followed by Yttrium 90 (90Y) Ibritumomab Tiuxetan (90Y-IT) for untreated follicular lymphoma (FL) patients. Poster Session Lymphoma: Therapy with Biological Agents, excluding Pre-Clinical Models“ am 7. Dezember 2009; Abstract 3743 einer Erhaltungstherapie mit 25 mg Lenalidomid an den Tagen 1 bis 21 (MPR-R, n = 152). Nach einer medianen Nachbeobachtungszeit von 9,4 Monaten wurden die von einem unabhängigen Bewertungskomitee überprüften Daten einer ersten Interimsanalyse zugeführt. Im primären Endpunkt, dem progressionsfreien Überleben (PFS), ergab sich dabei eine statistisch und klinisch signifikante Überlegenheit für das MPR-R-Regime gegenüber dem MP-Arm. Während unter MPR-R das mediane PFS auch nach deutlich mehr als 20 Monaten noch nicht Für über 20 000 interessierte Ärzte und Wissenschaftler aus aller Welt öffneten sich die Türen des Kongresszentrums am 5. Dezember 2009 (Foto: Dr. Anja Borchers, Stuttgart). erreicht worden war, betrug es unter MP 13 Monate (Hazard Ratio 0,499, p < 0,001). Mit MPR-R behandelte Patienten hatten im Vergleich zum MP-Regime ein um 50 % geringeres Risiko für Krankheitsprogression oder Tod. Auch im Hinblick auf das Gesamtansprechen war der MPRR-Arm signifikant überlegen (77 vs. 49 %, p < 0,001). Trotz eines relativ hohen Anteils an Patienten mit schlechter Prognose betrug das Einjahres-Überleben unter MPR-R 92 %, eines der bisher besten Ergebnisse einer neuen Therapieform im Vergleich mit dem MP-Regime. Auch im Vergleich zum MPR-Arm erwies sich das MPR-R-Regime als überlegen. Gegenüber der Gabe von Placebo nach dem neunten Zyklus reduzierte die weitere Behandlung mit Lenalidomid das Risiko für Krankheitsprogression oder Tod um 75 %. MPR-R erwies sich bei dieser älteren Patientengruppe als gut verträglich und könnte nach Meinung der Autoren hier zu einer neuen Standardtherapie werden. Auch stark vorbehandelte Patienten profitieren In Kombination mit Dexamethason ist Lenalidomid bereits zur Behandlung des rezidivierenden/refraktären MM zugelassen. Dimopoulos und Kollegen stellten hierzu erste Ergebnisse einer laufenden Studie mit stark vorbehandelten Patienten, teilweise auch mit eingeschränkter Nierenfunktion, vor (2). Die Studienteilnehmer litten an einer peripheren Neuropathie (Grad 2 oder höher) oder sprachen nicht mehr auf Thalidomid, Bortezomib oder Dexamethason an. Sie erhalten in Abhängigkeit von der Kreatinin-Clearance (CrCl) Lenalidomid an den Tagen 1 bis 21 eines 28-Tageszyklus (CrCl > 50 ml/min: 25 mg; CrCl 30–50 ml/min: 10 mg), bzw. 15 mg Lenalidomid jeden zweiten Tag bei einer CrCl von 15–30 ml/min oder 15 mg dreimal pro Woche am Tag nach der Dialyse. Dexamethason wird während der ersten vier Zyklen in einer Dosierung von 40 mg an Onkologische Welt 1/2010 © Schattauer 2010 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-19 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Kongressnachlese 21 den Tagen 1 bis 4 und 15 bis 18 verabreicht, danach nur noch an den Tagen 1 bis 4. Ausgewertet wurden bisher 46 Patienten mit median drei Vortherapien, von denen 68 % nicht mehr auf Thalidomid, 56 % nicht mehr auf Bortezomib und 61 % nicht mehr auf Dexamethason ansprachen. 36 Patienten begannen mit der normalen Lenalidomid-Dosierung, zehn Patienten benötigten eine Dosisanpassung wegen gestörter Nierenfunktion. Bei 46 % der Patienten war im Laufe der Behandlung eine Reduktion der LenalidomidDosis notwendig. Während 17 % der Patienten eine Komplettremission erreichten, zeigten 5 % eine sehr gute partielle Remission, 38 % eine partielle Remission und 22 % eine stabile Erkrankung. Eine partielle Remission oder ein besseres Ansprechen erreichten 43 % der Patienten, die auf Thalidomid, bzw. 76 % der Teilnehmer, die auf Bortezomib nicht mehr ansprachen. Von den Patienten mit renaler Insuffizienz erzielten 60 % ebenfalls mindestens eine partielle Remission, im Vergleich zu 58 % der Teilnehmer mit normaler Nierenfunktion. Insgesamt betrug die mediane Zeit bis zur Krankheitsprogression neun Monate, bei einem medianen Gesamtüberleben von 16 Monaten. Bei zwei der zehn Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion (CrCl Therapeutische Deeskalation beim frühen HodgkinLymphom Neuer Therapiestandard gefunden Angesichts der guten Prognose von Patienten mit einem Hodgkin-Lymphom im Frühstadium beschäftigen sich einige Studien mit Deeskalationsstrategien zur Minimierung der behandlungsassoziierten Toxizität. Die Deutsche Hodgkin-Studiengruppe untersuchte in der randomisierten Studie HD 10 mehrere Kombinationsregime (1). In der aufwendigen Studie wurden insgesamt 1 370 Patienten in vier Arme randomisiert ● 4 x ABVD (Doxorubicin, Bleomycin, Vinblastin und Dacarbazin) + 30 Gy, ● 4 x ABVD + 20 Gy, ● 2 x ABVD + 30 Gy und ● 2 x ABVD + 20 Gy. Zwischen den Gruppen gab es keine Unterschiede hinsichtlich Alter, Geschlecht, Stadium, Histologie, Allgemeinzustand und Risikofaktoren. Die Auswertung ergab in den vier Armen nach einem medianen Follow-up von 79–91 Monaten eine Remissionsrate von 97–99 %. Bei der Wirksamkeit war die Anzahl der Chemotherapie-Zyklen unerheblich. Es wurde weder beim 5-Jahres-Gesamtüberleben (4 x ABVD: 97,1 %; 2 x ABVD: 96,6 %), dem progressionsfreien Überleben (4 x ABVD: 91,2 %; 2 x ABVD: 92,9 %) noch der Freiheit eines Therapieversagens (4 x ABVD: 93,0 %; 2 x ABVD: 91,1 %) ein klinisch relevanter Unterschied beobachtet. Auch die Strahlendosis – 30 oder 20 Gy – beeinflusst das Therapieergebnis nicht: 5-Jahres-Gesamtüberleben (4 x ABVD: 97,6 %; 2 x ABVD: 97,5 %), progressionsfreies Über- Neue Substanzen beim rezidivierten MM Zu den Hoffnungsträgern zählt der ProteasomInhibitor der zweiten Generation Carfilzomib. Das Wirkprofil der Substanz zeichnet sich offenbar durch weniger unerwünschte Effekte aus, die über andere Mechanismen vermittelt werden als die (erwünschte) Proteasom-Inhibition. Dies könnte eine Erklärung für seine geringe Rate an limitierenden Neuropathien und Myelosuppression sein. Vorgestellt wurden ers- te Ergebnisse der PX-171-004 Phase-II-Studie mit 57 Patienten mit einem rezidivierten oder refraktären multiplen Myelom (MM). Diese Patienten hatten bereits bis zu drei Therapien erhalten, nicht jedoch Bortezomid. 37 % der Teilnehmer klagten über Neuropathien und 21 % litten unter einer eingeschränkten Nierenfunktion. Von 51 ausgewerteten Patienten wurden 45 % als Gesamtresponder gewertet. Bei 20 % der Pa- < 50 ml/min) konnte die CrCl auf > 60 ml/min normalisiert und bei zwei weiteren (CrCl 15–29 ml/ min) auf 30–59 ml/min verbessert werden. Dr. Anja Borchers, Stuttgart Dr. Alexander Kretzschmar, München Literatur 1. Palumbo A et al. 51. Jahrestagung der American Society of Hematology (ASH) vom 5. bis 8. Dezember 2009, New Orleans; Abstract 613. 2. Dimopoulos et al. 51. Jahrestagung der American Society of Hematology (ASH) vom 5. bis 8. Dezember 2009, New Orleans; Abstract 3871. leben (4 x ABVD: 93,7 %; 2 x ABVD: 93,2 %) und Freiheit eines Therapieversagens (4 x ABVD: 93,4 %; 2 x ABVD: 2,9 %). Im Gegensatz dazu verzeichneten die beiden Arme mit nur 2 ABVD-Zyklen eine signifikant niedrigere Grad 3/4-Toxizität (33 vs. 52 %, darunter eine signifikant niedrigere Rate an Leukopenien (15 vs. 24 %) und Haarausfall (15 vs. 28 %). Desgleichen war auch die niedrigere Strahlendosis deutlich besser verträglich. Unter einer Dosis von 20 Gy wurden im Vergleich zu 30 Gy weniger Ereignisse (2,9 vs. 8,7 %) sowie weniger Fälle einer Mukositis (0,7 vs. 3,4 %) und einer Dysphagie (2 vs. 3 %) beobachtet. Die Deutsche Hodgkin-Studiengruppe sieht nach diesen Ergebnissen das Regime 2 x ABVD, gefolgt von einer Radiatio mit 20 Gy als den neuen Standard in der Therapie des HodgkinLymphoms im Frühstadium. Dr. Alexander Kretzschmar, München Quelle: Engert A et al. 51. Jahrestagung der American Society of Hematology (ASH) vom 5. bis 8. Dezember 2009, New Orleans/USA; Abstract 716 tienten blieb die Krankheit über mindestens sechs Wochen unverändert. Die häufigsten Nebenwirkungen waren Müdigkeit, Übelkeit und Anämie. Nur noch 12 % klagten über Neuropathien. Bei den Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion musste die Dosis nicht verringert werden. Quelle: Wang L et al. 51. Jahrestagung der American Society of Hematology (ASH) vom 5. bis 8. Dezember 2009, New Orleans/USA; Abstract 302 © Schattauer 2010 Onkologische Welt 1/2010 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-19 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Kongressnachlese 22 Diffus großzelliges B-Zell-Lymphom R-CEOP statt R-CHOP bei Patienten mit kardialer Vorschädigung Viele Patienten mit einem diffus großzellige B-Zell-Lymphom (DLBCL) haben komorbide Erkrankungen wie etwa kardiovaskuläre Vorschädigungen, welche die Therapiewahl einschränken. Dies gilt beispielsweise für Doxorubicin-basierte Chemotherapien wie R-CHOP. In der kanadischen Provinz British Columbia gilt für diese Fälle die Empfehlung, Doxorubicin durch Etoposid (R-CEOP) zu ersetzen. Die Ergebnisse einer Vergleichsstudie unterstützen diese Empfehlung. In der vorliegenden Studie von Moccia und Kollegen erhielten die 81 Studienteilnehmer (68 % Männer, ∅ 73 Jahre, 82 % in fortgeschrittenen Zustand) in jedem Zyklus das R-CEOP-Regime mit 50 mg/m2 i. v. an Tag 1 sowie 100 mg2 oral an den Tagen 2 und 3. Insgesamt wurden je nach Allgemeinzustand der Patienten und DLBCL-Progressionsgrad bis zu sechs Zyklen verabreicht. Die Vergleichsgruppe war eine gematchte Kohorte von 162 Patienten, die nach dem R-CHOP-Regime behandelt wurde. Primäre Studienendpunkte waren der Zeitraum bis zur Progression (TTP) und das Gesamtüberleben Indolente und Mantelzell-Lymphome B-R schlägt CHOP-R um Längen bei Lymphomen Bei unvorbehandelten follikulären, indolenten und Mantelzell-Lymphomen ist die Kombination Bendamustin-Rituximab (B-R) als First-Line-Therapie signifikant effektiver und dabei besser verträglich als das konventionelle CHOP-R-Schema. Die von Priv.-Doz. Dr. Mathias Rummel, Gießen, vorgestellten finalen Ergebnisse zeigen ein um 20,1 Monate längeres medianes progressionsfreies Überleben unter B-R (54,9 Monate; R-CHOP: 34,8 Monate; p = 0,00012) und eine signifikant höhere Komplettremissionsrate (B-R: 39,6 %; R-CHOP: 30,0 %, p = 0,0262). In der randomisierten Phase-III-Studie erhielten 549 nicht vorbehandelte Patienten mit follikulären Lymphomen Grad 1 und 2, Waldenström-Lymphomen, mit CLL ohne leukämische Phase, nodulären und generalisierten Marginalzonen-Lymphomen sowie Mantelzell-Lymphomen über maximal sechs Zyklen entweder Rituximab (375 mg/m²) an Tag 1 plus Bendamustin (90 mg/m²) an Tag 1 und 2 (B-R) alle 28 Tage oder Standard-CHOP plus 375 mg/m² Rituximab alle 21 Tage. Primäres Studienziel war die Nichtunterlegenheit von B-R als First-LineRegime gegenüber CHOP-R beim progressionsfreien Überleben (PFS) nach drei Jahren. (OS). Die 5-Jahres-TTP unterschied sich in beiden Gruppen nicht signifikant (R-CEOP: 57 %; R-CHOP: 62 %; p = 0,21). Das 5-Jahres-OS war unter dem R-CEOP-Regime mit 49 % signifikant geringer als unter R-CHOP (64 %; p = 0,02). Dieser Unterschied resultiert nach Ansicht der Autoren aus der höheren Komorbidität und Gebrechlichkeit der R-CEOP-Gruppe. Für R-CEOP als Alternative bei kardialer Vorbelastung oder R-CHOP-Intoleranz spricht auch eine Subgruppenanalyse in der R-CHOPGruppe. Dort unterschieden sich die TTP und OS nach fünf Jahren bei denjenigen Patienten, die nur einen Teil der Zeit mit dem Anthrazyklin behandelt wurden und den Patienten ohne Anthrazyklin-Therapie nicht signifikant (TTP: p = 0,49; OS: p = 0,77). Dr. Alexander Kretzschmar, München Quelle: Moccia AA et al. 51. Jahrestagung der American Society of Hematology (ASH) vom 5. bis 8. Dezember 2009, New Orleans/USA; Abstract 408 Die Gesamtansprechraten waren mit 92,7 % unter B-R und 91,3 % unter CHOP-R vergleichbar, jedoch war die Rate an kompletten Remissionen (CR) von 39,6 % unter B-R signifikant höher als unter CHOP-R mit 30,0 % (p = 0,0262). Auch die Zeit bis zur nächsten Behandlung (Time To Next Treatment, TTNT) ist unter B-R signifikant länger (p = 0,000022). Das bessere progressionsfreie Überleben von B-R gegenüber CHOP-R galt auch für alle Subgruppen, darunter Patienten mit Mantelzell-Lymphomen. Hier war nach einer Nachbeobachtungszeit von 34 Monaten das mediane PFS mit 32,5 Monaten unter B-R signifikant höher als unter CHOP-R mit 22,3 Monaten (p = 0,0146). Etwas unerwartet setzte sich B-R auch bei Patienten mit erhöhten LDH-Werte > 240 U/l durch. Dr. Alexander Kretzschmar, München Quelle: Rummel MJ et al. 51. Jahrestagung der American Society of Hematology (ASH) vom 5. bis 8. Dezember 2009, New Orleans/USA; Abstract 405 Onkologische Welt 1/2010 © Schattauer 2010 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-19 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Forum Hämatologie 23 Erweiterte Therapieoptionen beim Mantelzell-Lymphom Intravenöse mTOR-Inhibition auch in der Hämatologie erfolgreich Beim Mantelzell-Lymphom (MCL) waren die Therapieoptionen bei rezidivierten und refraktären Patienten bisher sehr limitiert. Die Zulassung molekularer Therapien wie Temsirolimus (Torisel®) beim MCL ist umso wichtiger, da hier die Prognose unter den Lymphomen am schlechtesten ist, meinte Prof. Martin Dreyling, München. Zudem betrifft das MCL meist ältere Patienten, für die intensive Chemotherapien nicht mehr infrage kommen. Temsirolimus wurde zunächst in Phase-II-Studien bei teils vielfach vorbehandelten MCL-Patienten untersucht. „Die Effektivität der Substanz als Monotherapie in diesem Kollektiv entsprach der von Standard-Chemotherapien“, so Dreyling. Aufgrund der Heterogenität des MCL forderte er eine kontrollierte Phase-IIIStudie mit definierten Einschlusskriterien. Diese Studie wurde kürzlich im renommierten Journal of Clincial Oncology publiziert (1). Sie ist mit 162 Patienten die bisher größte PhaseIII-Studie beim MCL, so Priv-Doz. Dr. Georg Hess, Mainz. Rekrutiert wurden intensiv vorbehandelte Patienten mit weit fortgeschrittener Erkrankung: Alle hatten 2–7 Therapien erhalten; obligat waren Anthrazykline, Rituximab und Alkylanzien. Die dreiarmige Studie verglich Temsirolimus in zwei Dosierungen mit einer vom jeweiligen Zentrum gewählten Monochemotherapie, meist Gemcitabin oder Fludarabin (Investigator’s choice). Temsirolimus wurde in einer Initialdosis von 175 mg/w über drei Wochen und danach in Dosierungen von 75 mg oder 25 mg/w bis zum Progress oder bis zum Auftreten einer inakzeptablen Toxizität verabreicht. Progress um drei Monate verzögert Die höher dosierte Temsirolimus-Therapie war der konventionellen Chemotherapie signifikant überlegen: Die Rate objektiver Remissionen be- trug unter der Chemotherapie 2 %, unter höher dosiertem Temsirolimus 22 %, darunter war ein Patient mit einer kompletten Remission. Die Ansprechdauer unter der hohen TemsirolimusDosis betrug median 7,1 Monate im Vergleich zu 3,6 Monaten bei niedriger Dosis. Das progressionsfreie Überleben als primärer Endpunkt wurde von median 1,9 Monaten im Kontrollarm auf 4,8 Monate verlängert (씰Abb. 1). Dieser Vorteil war unabhängig von Alter, Karnofsky-Status, Anzahl der Vortherapien und MCL-Variante (2). Das Gesamtüberleben war mit 13,6 Monaten gegenüber 9,7 Monaten im Kontrollarm tendenziell verbessert. Den Stellenwert von Temsirolimus im klinischen Alltag sieht Dreyling bei Patienten mit rezidiviertem und/oder refraktärem Mantelzell-Lymphom. Als Grundlage für die gute Wirksamkeit und Sicherheit von Temsirolimus gilt die Pharmakokinetik: Durch die intravenöse Verabreichung werden hohe Spitzenspiegel im Blutplasma erreicht, die nach der Applikation schnell wieder abfallen, während mTOR und die nachgelagerten Signalwege weiterhin langfristig gehemmt werden. Dadurch kann sich das Immunsystem innerhalb von 24 Stunden wieder normalisieren. Eine langfristige Hemmung der zentralen Immunzellen, wie sie eine tägliche orale Gabe zur Folge hätte, kann so vermieden werden (3). Dr. Katharina Arnheim, Freiburg Literatur Abb. 1 Progressionsfreies Überleben unter Temsirolimus (initial 175 mg über drei Wochen, danach 75 mg oder 25 mg/w) vs. Monochemotherapie Wahrscheinlichkeit des progressionsfreien Überlebens (%) 100 1. Hess G et al. J Clin Oncol 2009; published ahead of print on July 6; 10.1200/JCO.2008.20.7977. 2. Hess G et al. 14. Kongress der European Hematological Association (EHA) vom 4. bis 7. Juni 2009, Berlin, Abstr. 0973. 3. Hidalgo M et al. Clin Cancer Res 2006; 12(19): 5755. Temsirolimus 175/75 mg Temsirolimus 175/25 mg Monochemotherapie 75 50 25 0 p = 0,0009 0 5 10 15 Monate 20 25 Quelle: Pressegespräch „mTOR-Inhibition mit Torisel®: Neues Wirkprinzip in der Therapie des fortgeschrittenen Mantelzell-Lymphoms zugelassen“ anlässlich der DGHO-Jahrestagung am 2. Oktober 2009, Mannheim; Veranstalter: Wyeth Pharma GmbH, Münster Dieser Beitrag entstand mit freundlicher Unterstützung der Wyeth Pharma GmbH, Münster © Schattauer 2010 Onkologische Welt 1/2010 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-19 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Im Blickpunkt Leukämie 24 Zweitlinientherapie der CML mit Dasatinib 100 mg Dasatinib einmal täglich als optimales Therapieschema bestätigt Eine mögliche Ursache für eine Resistenzentwicklung und damit ein Therapieversagen bei der Chronischen Myeloischen Leukämie (CML) ist die mangelnde Compliance. Gründe für eine unzureichende Therapietreue sind vor allem Nebenwirkungen, eine hohe Anzahl an täglich einzunehmenden Tabletten und eine umständliche Integration der Therapie in den Alltag der Patienten. Mit Dasatinib (Sprycel®) steht eine Zweitlinientherapie der CML zur Verfügung, die sich durch hohe Wirksamkeit, gute Verträglichkeit und eine patientenfreundliche, einmal tägliche Anwendung unabhängig von den Mahlzeiten auszeichnet. Auf dem EHA-Kongress 2009 wurde dies erneut belegt: die dort vorgestellten 36-Monats-Daten der Dosisoptimierungsstudie 034 bestätigen nicht nur die gute Krankheitskontrolle mit Dasatinib nach Erstlinienversagen, sondern auch die bessere Verträglichkeit von Dasatinib 100 mg bei gleicher Wirksamkeit vs. Dasatinib 2 x 70 mg. Frühes Erkennen von Resistenzen durch engmaschiges Monitoring „Eine regelmäßige Kontrolle des Ansprechens ist bei der CML verhältnismäßig einfach, denn die Erkrankung kann heute zytogenetisch sehr genau definiert werden“, erklärte Haferlach. Dies ist insofern von hoher Bedeutung, als dass mithilfe eines engmaschigen Monitorings ein Verlust des Therapieansprechens schon frühzeitig nachgewiesen werden kann. „Eine schnelle Anpassung oder Änderung der Therapie kann verhindern, dass Patienten aufgrund einer nicht erkannten Resistenz in eine fortgeschrittene Phase übergehen“, führte Haferlach aus. Klare Vorgaben für das zur Erfolgskontrolle notwendige Monitoring sowie zur medikamentösen Therapie geben die Empfehlungen des European LeukemiaNet (ELN) zum Therapiemanagement der CML. Bei einer guten Krankheitskontrolle verläuft die CML vergleichsweise symptomarm. % Patienten „Die Noncompliance stellt einen in der Praxis immer wieder unterschätzten Risikofaktor für ein Therapieversagen dar“, erläuterte Dr. Tilman Steinmetz, Köln. Der niedergelassene Onkologe weiß aus Erfahrung, dass viele Patienten einerseits genau wissen wollen, wie es um ihre Erkrankung steht, andererseits aber auch dazu neigen, die Tabletten nur unregelmäßig einzunehmen, wenn sie sich gut fühlen. „Wichtig ist es, unseren Patienten die Bedeutung einer regelmäßigen Medikamenteneinnahme als Voraussetzung zum Erhalt der Remission und zur Minimierung des Risikos einer Resistenzentwicklung klar zu machen“, bestätigte Prof. Torsten Haferlach, München. MCyR CCyR Abb. 1 In der START-R-Studie erhielten die Teilnehmer, die unter 400–600 mg/d Imatinib resistent oder intolerant waren, entweder Dasatinib 70 mg/bid oder Imatinib 800 mg/d. Die Rate an kompletten zytogenetischen Remissionen (CCyR) war unter Dasatinib signifikant höher als unter hoch dosiertem Imatinib (p = 0,041). Diese Chancen werden in der Praxis jedoch nicht immer ausgenutzt, denn außerhalb von Studien werden viele Patienten nicht ausreichend häufig überprüft. Die ELN-Empfehlungen sind zwar bekannt, werden aber gerade bezüglich des Monitorings nur unzureichend umgesetzt. Einer europaweiten Umfrage von BristolMyers Squibb zufolge führten nur 52 % der 559 befragten Ärzte alle drei Monate eine molekulare Kontrolle, meist eine PCR durch, obwohl 92 % angaben, CML-Leitlinien und Empfehlungen zum Therapiemonitoring zu kennen. Als Grund dafür wurde häufig Scheu vor den Kosten des regelmäßigen Monitorings angeführt (1). „Tatsächlich liegen die Kosten für ein regelmäßiges Monitoring nur bei 5–10 % der gesamten Therapiekosten (2)“, setzte Haferlach entgegen. „Das ist also kein Grund, auf eine regelmäßige Verlaufskontrolle zu verzichten und ein Fortschreiten der Erkrankung zu riskieren.“ Dasatinib in der Zweitlinie etabliert Ein Vergleich der deutschen CML-Studiengruppe zeigt, dass das 5-Jahres-Überleben bei CML mit Imatinib, der ersten zielgerichteten CML-Therapie, in den vergangenen 20 Jahren deutlich erhöht werden konnte (3). Dennoch ist der Einsatz von Imatinib nicht bei allen Patienten erfolgreich. In der IRIS-Studie hatten nach sieben Jahren 40 % der Betroffenen die Studienbehandlung mit Imatinib abgebrochen. Die beiden wichtigsten Begründungen dafür waren unzureichende Wirkung bzw. Progress (15 %) und das Auftreten von Nebenwirkungen (5 %) (4). Unter Therapie mit Imatinib ist die Gefahr der Progression im zweiten Jahr am Größten, danach sinkt das Risiko. „Patienten, die nicht optimal auf die Erstlinientherapie ansprechen, brauchen alternative Therapieoptionen“, erläuterte Prof. Andreas Hochhaus, Jena. Hier hat sich Dasatinib in der Zweitlinientherapie als wichtige Behandlungsoption etabliert. Aufgrund der sehr selten auftretenden Kreuztoleranz zwischen Dasatinib und Imatinib profitieren auch Patienten von Dasatinib, die zuvor unter Imatinib eine Intoleranz entwickelt hatten. Onkologische Welt 1/2010 © Schattauer 2010 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-19 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Im Blickpunkt Leukämie 25 ● ● ● ● Abb. 2 Remissionsraten unter Dasatinib 100 mg 1 x täglich bei CML-CP: 3-Jahres-Daten; CHR = komplette hämatologische Remission, MCyR = gute zytogenetische Remission, CCyR = komplette zytogenetische Remission, MMR = gute molekulare Remission Dasatinib 50 mg/bid (n = 167) Dasatinib 100 mg/qd (n = 165) Dasatinib 70 mg/bid (n = 7) und Dasatinib 140 mg/qd (n = 163). Die Auswertung zeigte unter allen Dosierungen ein insgesamt sehr schnelles Ansprechen. Eine CCyR war dabei nach zwölf Monaten mit einem verbesserten progressionsfreien Überleben (PFS) nach 36 Monaten assoziiert. „Auch in der Zweitlinie müssen wir mit einer effektiven Therapie schnell ein gutes Ansprechen erzielen, um die Erkrankung langfristig stabil zu halten“, kommentierte Hochhaus. Bei den Remissionsraten sowie beim Gesamtüberleben (OS) war die Wirksamkeit zwischen den verschiedenen Dosierungen vergleichbar gut mit leichten Vorteilen beim OS für Dasatinib 100 mg/qd (씰Abb. 2 und 3). Deutliche Vorteile konnten für Dasatinib 100 mg/qd bezüglich der Nebenwirkungen festgestellt werden. Dies gilt insbesondere für das Auftreten von arzneimittelbedingtem Pleuraerguss (alle Grade) und Zytopenien (Grad 3/4). Nach 36 Monaten resultierte dies in der geringsten Inzidenz von Behandlungsunterbrechung (62 vs. 72–79 %), Dosisverringerung (39 vs. 46–62 %) und Therapieabbruch (48 vs. 53–60 %) (6), so Hochhaus. „Das Dosierungsschema wurde gut vertragen und stellt für mich eine gute Behandlungsoption für Patienten nach Imatinib-Versagen dar.“ Dr. Alexander Kretzschmar, München Abb. 3 Gesamtüberleben (OS) unter Dasatinib 100 mg 1 x täglich bei CML-CP: 3-Jahres-Daten Weitere Studien sind bei Patienten in der Zweitlinientherapie durchgeführt worden, die Dasatinib im Vergleich zur Hochdosis-Imatinib-Therapie untersuchen. Im Rahmen der START-R-Studie erhielten die Teilnehmer, die unter 400–600 mg/Tag Imatinib resistent oder intolerant waren, drei Monate lang entweder Dasatinib 70 mg/bid (n = 101) oder Imatinib 800 mg/qd (n = 49) (5). Die Dasatinib-Gruppe erzielte hier eine signifikant bessere komplette zytogenetische Remission (CCyR) als die Patienten unter hoch dosiertem Imatinib (p = 0,041) (씰Abb. 1). Experten schließen daraus, dass eine frühe Umstellung auf Dasatinib Vorteile bieten könnte. Studie zeigt Vorteile für 100 mg einmal täglichDasatinib Auf dem EHA-Kongress 2009 wurden die 3-Jahres-Daten der Phase III-Dosisoptimierungsstudie CA180-034 und damit die längste publizierte Untersuchungszeit eines Tyrosinkinaseinhibitors der 2. Generation in der Zweitlinie vorgestellt (6). Darin wurden vier Dosierungen von Dasatinib bei 662 CML-Patienten in der chronischen Phase in der Zweitlinie nach Imatinib-Versagen verglichen: Literatur 1. TNS Healthcare. It’s best to Test Survey. Unterstützt durch Bristol-Myers Squibb. 2. Baccarani M et al. J Clin Oncol 2009; 27: 6041–6051. 3. Palandri F et al. Haematologica 2009; 94(2): 205–212. 4. O’Brien S et al. Jahrestagung der American Society of Hematology (ASH) 2008. 6.–9. Dezember 2008, San Francisco/Kalifornien; Abstract 186. 5. Kantarjian H et al. Blood 2007; 109(12): 5143–5150. 6. Hochhaus A et al. EHA 2009. 7. Juni 2009 Berlin; Abstract 1091. Quelle: Pressekonferenz „3-Jahresdaten Sprycel®“ im Rahmen der DGHO-Jahrestagung am 2. Oktober 2009, Mannheim; Veranstalter: Bristol-Myers Squibb GmbH & Co. KGaA, München Dieser Beitrag entstand mit freundlicher Unterstützung der Firma Bristol-Myers Squibb GmbH & Co. KGaA, München. © Schattauer 2010 Onkologische Welt 1/2010 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-19 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 26 © Schattauer 2010 Psychoonkologie Psychosomatische Aspekte der Beratung bei erblichem Brustund Ovarialkarzinom Im Rahmen der genetischen Diagnostik M. Neises1; D. Gadzicki2 1Medizinische Hochschule Hannover; 2Institut für Zell- und Molekularpathologie, Medizinische Hochschule Hannover Schlüsselwörter Erblicher Brust- und Ovarialkrebs, Beratung, psychische Belastung, Psychotherapie Zusammenfassung Der Nachweis der Gene BRCA (breast cancer gene) 1 und 2 in den Jahren 1994 und 1995 war die Voraussetzung für die Diagnostik genetischer Grundlagen des familiären Mamma- und Ovarialkarzinoms. Eine Mutation in einem dieser Gene ist der wichtigste Risikofaktor für die Entstehung eines solchen Karzinoms. Etwa 5–10 % aller Mamma- und Ovarialkarzinome sind durch genetische Veranlagung bedingt. Die Möglichkeiten der prädiktiven Medizin können sowohl Entlastung, aber auch psychische Belastungen der Ratsuchenden nach sich ziehen. Die Kenntnis der eigenen Prognose oder die anderer innerhalb der Familie kann die Kommunikation und damit die Familienbeziehungen belasten. Die in der Regel noch gesunde Frau wird in der Beratung oft zum ersten Mal damit konfrontiert, dass die Erkrankung potenziell alle in der Familie und auch sie im Laufe ihres Lebens betreffen kann. Diese emotionale Belastung sollte in besonderer Weise berücksichtigt werden. Dabei ist innerhalb der Familie die Autonomie aller mit einem Recht auf Wissen, aber auch Nichtwissen sicherzustellen. Korrespondenzadresse Prof. Dr. Dr. med. Mechthild Neises Medizinische Hochschule Hannover E-Mail: [email protected] Privat: Lemierser Berg 119, 54074 Aachen E-Mail: [email protected] Onkologische Welt 2010; 1: 26–31 Grundlegend modifizierter Nachdruck aus: Ärztliche Psychotherapie 2008; 3: 89–95; grundlegend überarbeiteter Nachdruck aus: Gadzicki D, Neises M. Das interdisziplinäre Beratungskonzept bei familiärer Belastung für Brust- und Eierstockkrebs. FORUM Deutsche Krebsgesellschaft 2005; 5: 43–45. Mit freundlicher Genehmigung der Springer Medizin Verlags GmbH, Heidelberg. Nach Schätzungen entstehen 5–10 % aller Brust- und Ovarialkarzinome aufgrund einer erblichen Disposition. Bei den Mammakarzinomen, die vor dem 35. Lebensjahr entstehen, sind 25–40 % genetisch bedingt (12). Die Veranlagung der Erkrankung wird mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 % an die Nachkommen weitergegeben. In den Jahren 1994 und 1995 wurden die Gene BRCA1 und 2 (breast cancer gene) nachgewiesen. Diese weisen in etwa 50 % der erblichen Fälle Mutationen auf. Diese Mutationen können mit molekulargenetischen Methoden identifiziert werden (15). Für die restlichen 50 % der erblichen Erkrankungen werden Veränderungen in weiteren, noch nicht identifizierten Brustkrebsgenen verantwortlich gemacht. Frauen mit einer krankheitsassoziierten Mutation im BRCA1- oder 2-Gen haben ein lebenslanges Risiko von bis zu 85 %, an einem Mammakarzinom, und von 20–60 %, an einem Ovarialkarzinom zu erkranken (11). Im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung ist damit das lebenslange Risiko für ein Mammakarzinom rund zehnfach und für ein Ovarialkarzinom rund 50-fach erhöht. Häufig treten die familiären Krebserkrankungen schon vor dem 50. Lebensjahr auf, außerdem besteht ein erhöhtes Risiko für andere Krebserkrankungen wie z. B. Darmkrebs, Gebärmutterkrebs und Bauchspeicheldrüsenkrebs (21). Verbundprojekt „Familiärer Brust- und Eierstockkrebs“ Die zwölf Zentren des Verbundprojektes „Familiärer Brust- und Eierstockkrebs“ der Deutschen Krebshilfe haben sich die Aufgabe gestellt, Frauen mit einer Familienbelastung für Brust- oder Eierstockkrebs im Rahmen der molekulargenetischen Di- agnostik umfassend zu beraten und zu betreuen. 2003 wurden dazu Empfehlungen mit Leitbildcharakter publiziert (19). Durch die begleitende qualitätsgesicherte Überprüfung und Optimierung des Vorgehens wurden Voraussetzungen dafür geschaffen, dass die Leistungen in die Regelversorgung übernommen wurden (7). Interdisziplinäres Beratungskonzept Jeder genetischen Diagnostik geht eine ausführliche genetische Beratung voraus, um die informierte Zustimmung (informed consent) und das Recht auf Nichtwissen zu gewährleisten. Im Fall von erblichen Krebserkrankungen, wie dem erblichen Brustund Eierstockkrebs, findet die Beratung in einem interdisziplinären Rahmen statt, sodass außer dem Facharzt für Humangenetik ein mit dem klinischen Krankheitsbild vertrauter Facharzt, ein Gynäkologe und zusätzlich ein Psychologe oder ärztlicher Psychotherapeut einbezogen werden (씰Abb. 1). Mit diesem interdisziplinären Beratungskonzept werden die von der Bundesärztekammer formulierten „Richtlinien zur Diagnostik der genetischen Disposition für Krebserkrankungen“ erfüllt (3). In der Erstberatung wird die Familienanamnese erhoben. Hierfür wird ein vollständiger Stammbaum über mindestens drei Generationen sowohl die mütterliche als auch die väterliche Linie berücksichtigend erfasst. Zusätzlich werden Angaben über die Tumorart aller betroffenen Angehörigen, das Alter bei Erstdiagnose aller Tumorpatienten in der Familie sowie das Alter und das Geschlecht aller betroffenen und nicht betroffenen Familienangehörigen erhoben. Die von der Ratsuchenden gemachten Angaben zur Diagnose von Onkologische Welt 1/2010 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-19 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. M. Neises; D. Gadzicki: Erbliches Brust- und Ovarialkarzinom Krebserkrankungen werden anhand von histopathologischen Befunden und Arztbriefen, die häufig zusätzlich angefordert werden müssen, überprüft. Anschließend wird nach ausführlicher Analyse des Stammbaumes geklärt, ob in der Familie ein erblicher Brust- und Eierstockkrebs oder eine andere familiäre Krebserkrankung vorliegen könnte. Es stehen unterschiedliche Kalkulationsmodelle zur Verfügung, die für den beratenden Arzt hilfreich sind, um die Erkrankungs- und Mutationswahrscheinlichkeit zu ermitteln und damit das individuelle genetische Risiko abzuschätzen. Sofern ein deutlich erhöhtes Risiko für erblichen Brust- und Eierstockkrebs besteht, wird die molekulargenetische Diagnostik angeboten. Es wird bereits im ersten Beratungsgespräch ausführlich über die Möglichkeit, die Grenzen und Konsequenzen der molekulargenetischen Diagnostik aufgeklärt. Zunächst sollte eine erkrankte Frau aus der Familie (Indexpatientin) untersucht werden. Wird bei ihr eine krankheitsverursachende Mutation identifiziert, können im nächsten Schritt gesunde Frauen aus der Familie untersucht werden, um zu klären, ob sie die Mutation und damit das erhöhte Erkrankungsrisiko geerbt haben oder nicht. Für bereits erkrankte Mutationsträgerinnen hat das Ergebnis der molekulargenetischen Diagnostik unmittelbare Relevanz, da für sie ein deutlich erhöhtes Risiko für ein Rezidiv und eine zweite Neuerkrankung besteht (8). Ein weiterer wichtiger Grund für bereits erkrankte Frauen in die Beratung zu kommen ist, das Risiko für die eigenen Kinder zu erfahren. Entsprechend dem autosomal-dominanten Erbgang haben Kinder einer Mutationsträgerin ein Risiko von 1 : 1 die Mutation zu erben. Im Beratungsgespräch wird die Ratsuchende über das für sie geeignete Früherkennungs- bzw. Nachsorgeprogramm aufgeklärt, zusätzlich wird die Möglichkeit prophylaktischer operativer Maßnahmen zur Reduktion des Erkrankungsrisikos besprochen. Nach dem Beratungsgespräch erhält die Ratsuchende einen ausführlichen, verständlichen Beratungsbrief, in dem die wichtigsten Gesprächsinhalte noch einmal zusammengefasst werden. Sofern die Ratsuchende eine molekulargenetische Diagnostik wünscht, meldet sie Abb. 1 Psychologische Betreuung in der interdisziplinären Beratung sich, gegebenenfalls zusammen mit der Indexpatientin zum zweiten Beratungsgespräch. Hierbei werden im Rahmen eines interdisziplinären Beratungssettings nochmals die Möglichkeiten und Konsequenzen der molekulargenetischen Diagnostik und die Gründe für die Entscheidung besprochen. Dann erst erfolgt die Blutentnahme. Sobald das Ergebnis der molekulargenetischen Untersuchung vorliegt, wird die Ratsuchende schriftlich zu einem dritten Beratungsgespräch eingeladen, in dem das Untersuchungsergebnis ausführlich erläutert und die sich daraus ergebenden Konsequenzen besprochen werden. Selbstverständlich kann die Ratsuchende jederzeit ohne Angabe von Gründen aus dem Beratungsvorgehen aussteigen. Psychosomatische Aspekte Mit der Einbeziehung eines ärztlichen Psychotherapeuten oder eines psychologischen Psychotherapeuten mit somatischem Krankheitswissen bekommt die Ratsuchende die Chance, dass parallel eine Psychodiagnostik mit erfolgen kann. Dabei sind wichtige Aspekte: die Motivation der Ratsuchenden für die prädiktive Diagnostik sowie ihre psychosoziale Situation, das aktuelle psychische Befinden und ihre Res- sourcen sowie relevante Copingstrategien. Zeigt sich dabei die Notwendigkeit eines psychotherapeutisch orientierten Erstgesprächs, sollte dieses die Aspekte entsprechend 씰Kasten 1 umfassen. Bei der Erörterung der Motivation ist es wichtig zu erfragen, von wem der Anstoß zur Diagnostik ausging und wer im familiären oder persönlichen Umfeld welche Erwartungen mit dem Testergebnis verbindet. Bei der Klärung der Beziehung zu Brustkrebserkrankten in der Familie sollte das persönliche Erleben von Krebserkrankungen innerhalb der Familie erörtert werden und die Erinnerungen, die damit verbunden sind. Im Rahmen der biografischen Anamnese sollten biografische Vulnerabilitätsfaktoren erhoben werden, verbunden mit der bisherigen Bewältigung von Lebenskrisen einschließlich der persönlichen und sozialen Ressourcen. Bei der Klärung des aktuellen Befindens ist besonders zu achten auf Angsterleben und Umgang mit Angst, sei es Lebensangst allgemein oder auch die spezielle Angst vor einer Krebserkrankung oder im Verlauf einer bereits eingetretenen Krebserkrankung im Sinne eines Damokles-Syndroms. Das mit psychotherapeutischer Kompetenz geführte Erstgespräch ermöglicht die Früherkennung von psychischen Risikofaktoren und erlaubt die Stärkung oder auch Entwicklung einer Mo- © Schattauer 2010 Onkologische Welt 1/2010 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-19 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 27 28 M. Neises; D. Gadzicki: Erbliches Brust- und Ovarialkarzinom Psychotherapeutisch orientiertes Erstgespräch Relevante Aspekte eines psychotherapeutisch orientierten Erstgesprächs im Rahmen der tumorgenetischen Diagnostik: 1. Motivation zur Diagnostik der Ratsuchenden, innerhalb der Familie und im persönlichen Umfeld 2. persönliche Einstellung, Informationsstand, Erwartung an das Gespräch, subjektive Krankheitstheorie, Erleben der Beratung, des Beratungs- und Diagnostikprozesses 3. Betrachtung des Familiensystems und seiner Mitglieder, speziell Klärung der Beziehung zu bereits an Krebs erkrankten Familienmitgliedern 4. biografische Anamnese 5. gegenwärtiges biopsychosoziales Befinden, individuelle und familiäre psychiatrische und psychosomatische Erkrankungen 6. abschließende Klärung des weiteren Vorgehens, z. B. weitere Beratungsgespräche oder Abklärung der Indikation und Motivation zu einer psychotherapeutischen Behandlung tivation für eine umfangreichere Beratung und ggf. Psychotherapie, falls diese im Vorfeld notwendig ist (1). Einstellung gegenüber der genetischen Diagnostik Die aufgezeigten Aspekte machen bereits deutlich, dass der Aufklärung und der genetischen Beratung eine besondere Bedeutung zukommt. Ziel ist es, bereits im ersten Beratungsgespräch den Familien die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen und Konsequenzen der molekulargenetischen Diagnostik aufzuzeigen. Nicht zuletzt soll damit auch Enttäuschungen im Diagnostik- und Beratungsverlauf vorgebeugt werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass – wie bei jeder Arzt-Patient-Begegnung – nicht nur professionelles Wissen in der Regel an einen Laien vermittelt wird, sondern dass in dieser Situation Laien mit hochkomplexen medizinischen und genetischen Zusam- menhängen konfrontiert werden, die mit erheblichen Anforderungen an das kognitive Verständnis verbunden sind. Zudem bringen Ratsuchende oft eigene Vorstellungen im Sinne der subjektiven Krankheitstheorie mit, die sich vor dem Hintergrund der Lebenslerngeschichte der Ratsuchenden verstehen lassen und die unter Umständen irrationale Vorstellungen beinhalten können. In jedem Fall sind inadäquate Erwartungen oder Vorstellungen über die Genanalyse abzuklären und zu korrigieren. Bei der Motivation der Ratsuchenden kann sich unter Umständen eine sehr vage oder aber auch eine sehr insistierende Motivation zeigen. Oft wird dies begleitet von einer fehlenden Ambivalenz gegenüber der Testung. Unter Umständen sind dann mehrere Gespräche notwendig, um zu einer Entscheidung für oder gegen die prädiktive Diagnostik zu kommen. Hinter einer solchen Haltung kann sich eine hohe psychische Belastung und unter Umständen auch eine behandlungsbedürftige psychische Erkrankung zeigen. Dazu gehören Suchterkrankungen, schwerwiegende psychische Störungen wie z. B. bestimmte Persönlichkeitsstörungen oder auch eine schwere Depression. Sollten diese Erkrankungen diagnostiziert werden, sind sie immer einer adäquaten Behandlung zuzuführen, bevor eine weitergehende Entscheidung zur Gendiagnostik getroffen wird. In einem Erstgespräch kann sich auch zeigen, dass die Klärung der aktuellen Lebenssituation Vorrang haben sollte, wie Motivation vor der prädiktiven Diagnostik Klärung der Motivation vor der prädiktiven Diagnostik bei erblichem Mamma- und Ovarialkarzinom: 1. unklare oder fixierte Motivation 2. unrealistische Erwartungen und Vorstellungen bezüglich der prädiktiven Diagnostik 3. hohe psychische Belastungen, z. B. durch Partnertrennung oder Verlust eines nahen Angehörigen an Krebs 4. behandlungspflichtige psychische oder psychiatrische Erkrankungen und deren Einfluss auf die Motivation z. B. bei bestehenden tiefgreifenden Beziehungskonflikten in der Partnerschaft oder nach aktueller Trennung vom Partner. Nicht selten wird die Motivation zur Untersuchung ausgelöst durch Erkrankung oder Verlust eines Angehörigen an einer Krebserkrankung. Wenn eine solche Verlustsituation erst kurze Zeit zurück liegt, sollte der Verarbeitung und der Trauer vorrangig Raum gegeben werden. In einer solchen Situation kann die Entscheidung von ärztlicher Seite, den geplanten Gentest zurückzustellen, ein hilfreiches Angebot für die Patientin sein, insbesondere wenn gleichzeitig weitere Beratungsgespräche möglich sind (씰Kasten 2). Psychosomatische Aspekte aufseiten der Patientin Inwieweit eine genetische Untersuchung stattfinden soll oder nicht, bzw. sinnvoll ist oder nicht, hängt in erster Linie ab von der Entscheidung der Patientin. Oft braucht die Patientin in diesem Entscheidungsprozess Rat, sei es von nahe stehenden Bezugspersonen, von ärztlicher Seite oder auch die Fachkompetenz eines Psychotherapeuten. Aus dieser Perspektive dürfte die Entscheidung in erster Linie davon abhängen, wie die Patientin bisher in ihrem Leben mit seelischen Belastungen jedweder Art umzugehen pflegte. Eine Variable, welche diese Bewältigungsstrategien bestimmt, ist u. a. die Persönlichkeitsstruktur. Dabei ist zu betonen, dass eher zwanghaft strukturierte Menschen zu einer genauen Kenntnis der gesamten Krankheitslage, also auch der genetischen Disposition, tendieren. Eher phobisch strukturierte Patientinnen würden eine solche Kenntnis vermeiden. Bei histrionischer Persönlichkeitsstruktur kann ebenfalls die Tendenz zur Kenntnis eine geringere Rolle spielen und liegt die Kenntnis dann vor, dient sie entsprechend der Kommunikationsweise oft zur herausstreichenden Darstellung der eigenen Situation. Eine besondere Variable dürfte bei der Patientin auch ihre generelle Risikobereitschaft sein, die sich ebenfalls aus der Vorgeschichte erkennen lässt, insbesondere wenn die Patientin sich bereits früher in ambivalenten Belastungssituationen erlebt Onkologische Welt 1/2010 © Schattauer 2010 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-19 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. M. Neises; D. Gadzicki: Erbliches Brust- und Ovarialkarzinom hat, in denen ihre Entscheidung gefordert wurde. Zu erwarten ist, dass eher Patientinnen mit höherer Risikobereitschaft die genetische Untersuchung bejahen als diejenigen mit niedriger Risikobereitschaft. Auch die allgemeine Krankheitsvorgeschichte der Patientin hat einen Einfluss sowohl im Hinblick auf den früheren Umgang mit anderen somatischen Erkrankungen, aber auch die Erfahrung durchgemachter psychischer, eventuell psychiatrischer Erkrankungen. Aber auch andere Bereiche der Lebensgeschichte, etwa die Verarbeitung ganz anderer Belastungen, wie etwa aufgrund von Flucht oder Gewalterfahrung oder auch von Partnerverlust, können einen Hinweis auf die möglichen Reaktionen bei Mitteilung einer belastenden genetischen Konstellation geben. Die Gründe der Motivation zur genetischen Testung sind in der Regel unterschiedlich bei Frauen, die selbst bereits an Brustkrebs erkrankt sind bzw. solchen, bei denen in der Familie ein BRCA1/2-Nachweis vorliegt (5). Für Frauen, die selbst erkrankt sind, ist in der Regel das Hauptmotiv, mehr Information hinsichtlich einer möglichen Erkrankung ihrer Kinder zu bekommen, darüber hinaus die Sorge, selbst wieder an Brustkrebs zu erkranken und schließlich für die wissenschaftliche Forschung hilfreich zu sein. Bei Frauen, bei denen in der Familie bereits der BRCA1/2-Nachweis erfolgte, wurde häufiger das Motiv genannt, von einem Familienmitglied zur Diagnostik motiviert worden zu sein. Das gilt insbesondere für Frauen mit einem geringeren Ausbildungslevel, von diesen Frauen wurden auch häufig die Motive genannt, das Risiko für ihre Kinder abzuklären, die wissenschaftliche Forschung zu unterstützen und das Interesse an einer prophylaktischen Mastektomie. Während jüngere Frauen stärker motiviert sind hinsichtlich ihres eigenen Risikos, an Brustkrebs zu erkranken, verbunden mit dem Interesse, mehr zur prophylaktischen Mastektomie zu erfahren, wurde von älteren Frauen häufiger der Wunsch, den wissenschaftlichen Fortschritt zu unterstützen, genannt, wie auch das Interesse an der Risikoeinschätzung für ihre Kinder (22) (씰Kasten 3). In der Untersuchung von Keller (10) hatten sich 95 % der Patienten bereits vor der Beratung zugunsten einer genetischen Untersuchung entschieden, dabei überwiegen Motive zur genetischen Testung Häufige Motive zur genetischen Testung nach Brustkrebs: 1. bei Frauen mit einer Brustkrebserkrankkung in der Anamnese – Risiko für ihre Kinder – wissenschaftliche Forschung unterstützen 2. bei Nachweis von BRCA1/2 in der Familie – weil ein Familienmitglied die genetische Testung vorgeschlagen hat – Risiko für ihre Kinder – Interesse an einer prophylaktischen Mastektomie hohe Erwartungen an den Nutzen der genetischen Untersuchung wie z. B. die Hoffnung auf „Gewissheit“ (81 %), auf risikoreduzierende Optionen für die eigene Person (88 %) und die Familie (68 %), aber auch auf „Erleichterung durch einen negativen Mutationsbefund“ (87 %). Ein Nutzen für die Zukunfts- und Familienplanung wird dagegen seltener (32 und 17 %) erwartet. Ganz wesentlich spielt die familiäre Situation eine Rolle, da die Absprache der weiteren Untersuchungen bzw. des Vorgehens bei bekannter genetischer Disposition nicht nur eine Sache der Patientin selbst, sondern auch eine Frage der Abstimmung mit den familiären Bezugspersonen, insbesondere dem Partner ist. Sofern diese Partnerschaft tragfähig und stützend ist, ist sie eine wesentliche Hilfe für die seelische Verarbeitung einer genetischen Disposition. Die Partner sollten, wenn möglich, in den Entscheidungsprozess für die genetische Testung einbezogen werden, da von diesen oft der Wunsch nach mehr Information angegeben wird. Von ihnen wird oft eine positive Einstellung zur genetischen Testung mitgebracht, die für die Patientin hilfreich ist und dies selbst auch bei der Vorannahme, dass der Test einen BRCA1/2-Nachweis erbringen könnte (2). Besteht gleichzeitig eine offene Kommunikation in der Familie, hat dies für die betroffenen Frauen deutlich entlastende Effekte. Allerdings führt ein offenes Informationsverhalten bei Partnern zu einer erhöhten psychischen Belastung, während dies bei Frauen eher der Fall ist, wenn ein ge- ringer Austausch über die möglichen Konsequenzen stattfindet (13). Psychosomatische Aspekte der Arzt-PatientinBeziehung Ganz entscheidend ist die Festigkeit der Arzt-Patientin-Beziehung, insbesondere bezüglich der folgenden Aspekte: Zunächst stellt sich die Frage, ob die aktuelle Arzt-Patientin-Beziehung eingebettet ist in eine bereits frühere ärztliche Betreuung der Patientin oder ob die Feststellung einer genetischen Belastung nur zu einer aktuellen Begegnung mit dem betreffenden Arzt geführt hat. Vertrauen dürfte im ersten Fall bereits gewachsen sein, im Falle der Mitteilung an die Patientin im Rahmen einer aktuellen, vielleicht einmaligen Begegnung, ist in besonderer Weise die Verarbeitungsfähigkeit der Patientin zu berücksichtigen. Die hier einzusetzende psychosomatische Betreuung hat die Belastungsgrenze so wie diese sich nach den bereits genannten Variablen ergeben hat, zu berücksichtigen, aber auch eventuell im Rahmen einer begleitenden Psychotherapie die Verarbeitung dieser Belastung zu stützen und zu stärken. Dabei ist die Lebensperspektive der Patientin sowohl im Hinblick auf die bereits zurückgelegte Lebenszeit, aber insbesondere auch im Hinblick auf die grundsätzliche Lebensperspektive, welche die Patientin sich für die Zukunft gemacht hat, zu berücksichtigen. In einer solchen Situation geht es um die Annahme und Akzeptanz der Erkenntnis der genetischen Belastung und damit um die Reflexion ihrer Bedeutung für Lebenswerte und Lebensziele, welche der Patientin zu Eigen sind. Auch ohne begleitende Psychotherapie ist im Hinblick auf die somatopsychische Situation der Patientin eine hohe Sensibilität und eine nachdrückliche Fähigkeit des Arztes zur Identifikation mit der Patientin in der aktuellen Situation bei Bekanntgabe eines positiven genetischen Befundes notwendig. Eine entsprechend stabile und funktionierende Arzt-Patientin-Beziehung muss dann erst aufgebaut werden (16). Hier ist das Beratungsmodell, wie es von der Bundesärztekammer entwickelt wurde, © Schattauer 2010 Onkologische Welt 1/2010 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-19 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 29 30 M. Neises; D. Gadzicki: Erbliches Brust- und Ovarialkarzinom als Orientierung und Richtlinie für den Arzt hilfreich. Wichtig ist auch die Motivation der Patientin einerseits und die Indikation für eine psychotherapeutische Intervention andererseits abzuklären. Unter Umständen ist eine Motivation erst aufzubauen, damit ein hinreichender Erfolg für die Krankheitsverarbeitung und die Zukunftsgestaltung der Patientin erreicht wird. Aber auch unabhängig von diesen Gesichtspunkten ist eine vertrauensvolle und stützende Arzt-Patientin-Beziehung bei der Entscheidung der Patientin notwendig, zum einen bereits für den Entschluss zur genetischen Diagnostik und zum anderen auch bezüglich der Mitwirkung der Familie, diese bereits bei der Entscheidung einzubeziehen. Dies gilt besonders dann, wenn ein positives Ergebnis der genetischen Untersuchung mit der Familie zu erörtern ist. Besonders gilt diese Überlegung, wenn eine hohe genetische Belastung für prophylaktische operative Maßnahmen spricht. Diese z. B. an einer gesunden Brust durchzuführende Operation sollte mit dem Paar besprochen werden. Indikation zur intensivierten Beratung und Überleitung in Psychotherapie Aus psychosomatischer Sicht ist die Frage der Indikation einer genetischen Untersuchung, aber auch der Mitteilung und der Verarbeitung eines belastenden Ergebnisses auf die aktuelle Lebensgestaltung zu beziehen, das Umfeld der Familie und anderer Bezugspersonen, die grundsätzliche Lebenseinstellung zum Sinn und Wert der eigenen Lebensgestaltung und insbesondere der Selbstwahrnehmung der Patientin. Entscheidend geht es aber bei einer genetischen Belastung und deren Mitteilung um die Ressourcen-Mobilisierung, d. h. Besinnung auf solche Lebensbereiche, welche eine Stabilisierung des Selbstwertgefühls, der Lebenssicherheit und der Lebenserfüllung ermöglichen. Andererseits ist zu achten auf vorhandene Belastungen, die partnerschaftlich, krankheitsbedingt, wirtschaftlich oder familiär verursacht sein können. Insbesondere sind die sowohl inneren als auch äußeren Ressourcen, wobei letztere aus dem sozialen Umfeld kommen, bei der Verarbeitung nach einer belastenden Mitteilung aus psychosomatischer Sicht zu berücksichtigen. Im Beratungssetting sollte besondere Aufmerksamkeit darauf gerichtet werden, ob bereits ein Familienmitglied an Krebs erkrankt ist. Dies gilt in ganz besonderer Weise, wenn eine Schwester der Ratsuchenden erkrankt ist, da dies immer zu ausgeprägten Belastungen führt (4). Dies sollte Anlass geben, über die Routineberatung hinaus Einzelgespräche anzubieten und dies möglichst in der kontinuierlichen Begleitung durch eine Person. Intensive Betreuungsangebote sollten auch Frauen zukommen, die Erfahrung mit Pflegebedürftigkeit und Tod aufgrund einer Krebserkrankung in der Familie haben, da diese Frauen unter Umständen in besonders enger Weise involviert waren in den Krankheitsverlauf und dies möglicherweise auch bei einer größeren Anzahl ihrer nahen Verwandten erleben mussten. Insbesondere das Einbezogensein in die Pflege Schwerstkranker führt zu Belastungen, die sich auf die Perzeption des eigenen erhöhten Risikos, in der Zukunft eine Krebserkrankung zu entwickeln, oder zum Verlauf einer Krebserkrankung auswirken. Generell brauchen Frauen mit niedriger Schulbildung und ohne Berufsabschluss mehr Aufmerksamkeit, da diese soziodemografischen Merkmale mit höherer Angst und Depression korrelieren. Ablehnerinnen der Diagnostik sollte immer auch eine besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden, da sich dahinter eine hohe psychische Morbidität verbergen kann, die man nicht erfasst, wenn man eine solche Entscheidung voreilig akzeptiert. Die Entscheidung für oder gegen einen Gentest hat oft Rückwirkungen auf die weiteren Familienmitglieder, so kann die Ablehnung des Tests dazu führen, dass eine Stärkung des Familienzusammenhaltes erlebt wird, verbunden mit dem Freiraum, Emotionen zu äußern, während getestete Mutationsträgerinnen sich oft weniger ermutigt fühlen, ihre Emotionen zu äußern und oft eine Abnahme im Austausch mit anderen Personen erleben (14). Auch Frauen, die in der Wahrnehmung von präventiven Maßnahmen generell eine geringe Compliance zeigen, sind häufig durch eine höhere psychische Morbidität belastet. Diese Aspekte unterstreichen nicht nur die Notwendigkeit eines kontinuierlichen Beratungsangebotes im Verlauf des diagnostischen Prozesses und die Notwendigkeit der psychotherapeutischen Kompetenz im Rahmen der interdisziplinären Beratung (18). Darüber hinaus sollte jederzeit die Möglichkeit zu einer Krisenintervention bestehen, wie auch die Überleitung in eine ambulante Psychotherapie. Schließlich ist es auch wichtig, darauf hinzuweisen, dass viele der Ratsuchenden die Ergebnismitteilung gut verarbeiten (20), d. h. etwa 80 % der Ratsuchenden den Entscheidungsprozess und die Diagnostik aus eigenen Ressourcen bewältigen. Die Hälfte der Ratsuchenden sieht hinsichtlich ihres Wunsches nach Diagnostik gynäkologische und genetische Themen im Vordergrund, psychoonkologische Aspekte sind für sie nicht relevant. Bezogen auf den Betreuungsbedarf muss man davon ausgehen, dass etwa jede 5. Ratsuchende psychoonkologischen Betreuungsbedarf hat. Die Frage nach aussagekräftigen Prädiktoren, mit denen sich höher belastete Ratsuchende frühzeitig identifizieren lassen, lässt sich derzeit noch nicht eindeutig beantworten, obwohl gerade für diese Gruppe ein erhöhter Betreuungsbedarf anzunehmen ist. Schlussfolgerung Die gentechnologischen und gendiagnostischen Fortschritte der letzten Jahre haben das Interesse an prädiktiver genetischer Brust- und Ovarialkrebsdiagnostik steigen lassen. Obwohl Frauen mit einem geringen Risiko von einer solchen Testung nicht profitieren können, zeigen Studien ein zunehmendes Interesse von Frauen in der Allgemeinbevölkerung (17). Für die Beratung sollten Informations- und Kommunikationsstrategien entwickelt werden, die auf unrealistische Erwartungen bezüglich genetischer Testung fokussieren und die darüber hinaus dazu beitragen, dass das wahrgenommene Krebsrisiko sowie ein erhöhter Level an Ängsten und Sorgen reduziert wird. Im Beratungsprozess ist zu berücksichtigen, dass das genetische Risiko und das Ergebnis der molekulargenetischen Diagnostik die ganze Familie betrifft. Onkologische Welt 1/2010 © Schattauer 2010 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-19 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. M. Neises; D. Gadzicki: Erbliches Brust- und Ovarialkarzinom Die interdisziplinäre Zusammenarbeit ist die beste Voraussetzung dafür, dass ein erhöhtes Erkrankungsrisiko richtig interpretiert wird, aber auch geeignete Maßnahmen und insbesondere weitergehende Beratung und Psychotherapieangebote gemacht werden können, von denen die Ratsuchenden und deren Familien profitieren. Supportive Gruppenpsychotherapieangebote für Trägerinnen von BRCA1/2-Mutationen zeigten, dass bei den Teilnehmerinnen der Wissensstand bereits vor der Intervention hoch war und im Laufe der Intervention auch nicht mehr verbessert wurde. Signifikante Verbesserungen wurden im psychischen Befinden erreicht sowohl hinsichtlich der Sorgen bezüglich einer Krebserkrankung sowie Ängste und depressive Verstimmungen insgesamt. Ein großer Teil der Frauen fand die Begleitung hilfreich für den Entscheidungsprozess hinsichtlich einer prophylaktischen Operation (Ovarektomie oder Mastektomie) (6). Über die langfristigen Auswirkungen des Wissens um die eigene genetische Krebsveranlagung ist bisher noch wenig bekannt. Vermutlich wird es noch eine genauer zu bestimmende Gruppe von Personen geben, die mit verstärkter Ängstlichkeit oder erhöhter Neigung zu körperlichen Beschwerden reagieren und für die das Wissen um ihr Krebsrisiko mehr Belastung als Nutzen bedeuten könnte (9). Risikopersonen frühzeitig zu identifizieren und geeignete Unterstützungsangebote zu entwickeln, wird eine wichtige Aufgabe in der Zukunft sein. Literatur 1. Bodden-Heidrich R. Psychosomatische Aspekte der prädiktiven Diagnostik in der Frauenheilkunde. Gynäkologe 2001; 34: 189–193. 2. Bluman LG, Rimer BK, Regan Sterba K et al. Attitudes, knowledge, risk perceptions and decisionmaking among women with breast and/or ovarian cancer considering testing for BRCA1 and BRCA2 and their spouses. Psychooncology 2003; 12: 410–427. 3. Bundesärztekammer. 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All rights reserved. 31 32 © Schattauer 2010 Psychoonkologie Pharmakotherapie in der Psychoonkologie W. Häuser Innere Medizin I – Funktionsbereich Psychosomatik, Klinikum Saarbrücken Schlüsselwörter Psychoonkologie, Pharmakotherapie, Leitlinien Zusammenfassung In einer systematischen Literatursuche wurden in deutschen onkologischen Leitlinien keine Aussagen zu einer psychopharmakologischen Therapie von psychischen Störungen bzw. psychosomatischer Symptome gefunden. Eine kanadische evidenzbasierte Leitlinie zur Behandlung depressiver Störungen bei Krebserkrankungen kommt zu der Einschätzung, dass die Evidenz der Wirksamkeit medikamentöser und psychotherapeutischer Behandlungen schwach ist. Es gibt keine Evidenz für die Überlegenheit einer Antidepressivaklasse. Bei der Therapie mit Antidepressiva sind bei onkologischen Patienten vor allem potenzielle Nebenwirkungen und Arzneimittelinteraktionen zu berücksichtigen. Leitlinien zur Therapie anderer seelischer Störungen bei onkologischen Patienten wurden nicht gefunden. Die Ergebnisse der Studien zur Wirksamkeit von Benzodiazepinen zur Therapie von Angststörungen bei onkologischen Patienten sind widersprüchlich. Die Empfehlungen zur Behandlung von Angststörungen mit Antidepressiva, des Deliriums mit Neuroleptika und Tranquilizern und zur palliativen Sedierung mit Tranquilizern und Neuroleptika gründen auf Expertenmeinung. Korrespondenzadresse Dr. med. Winfried Häuser Innere Medizin I (Gastroenterologie, Hepatologie, Stoffwechsel- und Infektionskrankheiten, Onkologie, Psychosomatik) Klinikum Saarbrücken gGmbH Winterberg 1, 66119 Saarbrücken Tel. 06 81/9 63–20 20, Fax –20 22 E-Mail: [email protected] Onkologische Welt 2010; 1: 32–36 Nachdruck aus: Ärztliche Psychotherapie 2008; 3: 96–101 Die Fülle der Literatur zu medikamentösen und psychotherapeutischen Behandlungsoptionen in der Psychoonkologie ist von einer einzelnen Person nicht zu übersehen. Eine selektive Literaturauswahl und -wiedergabe im Rahmen einer Übersichtsarbeit durch eine einzelne Person birgt das Risiko der Reproduktion eigener klinischen Erfahrungen und Vorlieben. Der Bezug auf Leitlinien, d. h. auf die Ergebnisse systematischer Literaturrecherchen und Konsensusprozesse durch Expertengruppen von wissenschaftlichen Fachgesellschaften kann die genannten Risiken reduzieren. Im Falle fehlender Leitlinien oder fehlender Evidenz aufgrund kontrollierter Studien gewinnt die klinische Erfahrung (Expertenwissen) als niedrigste Stufe der Evidenz an Bedeutung. Im Folgenden wird eine Übersicht über Empfehlungen zu pharmakologischen Therapieoptionen in der Psychoonkologie auf der Basis einer Literaturrecherche ergänzt durch die klinischen Erfahrungen des Autors gegeben. Der Autor ist seit zwanzig Jahren in der medizinischen (onkologischen, schmerztherapeutischen und palliativmedizinischen) und psychotherapeutischen Behandlung von onkologischen Patienten im Krankenhaus (internistisch-psychosomatische Station, psychosomatischer und schmerztherapeutischer Konsiliardienst und Ambulanz) tätig. pressive Disorder“ [MESH] OR „Anxiety Disorder“ [MESH] AND „Neoplasms“ [MESH] AND „Controlled Clinical Trials“ [MESH] OR „Randomized Controlled Trial“ [Publication Type] OR Review [Publication Type] von 1/1996 bis 12/2007. Ergebnisse Die Recherche bei den AWMF-Leitlinien zeigte fünf Leitlinien an. Die Leitlinien ● Psychosoziale Versorgung in der Kinder- und Jugendonkologie; AWMFLeitlinien-Register Nr. 025/002 Entwicklungsstufe: 1. Letzte Überarbeitung 6/2005, ● Interdisziplinäre kurzgefasste Leitlinien der Deutschen Krebsgesellschaft Arbeitskreis Psychosoziale Krebsberatung, letzte Überarbeitung Juni 2004 sowie ● die Leitlinien zum Zervix-, Ovarial- und Mammakarzinom enthielten keine Empfehlungen einer medikamentösen Therapie bei psychoonkologischen Maßnahmen. Die Ergebnisse der Recherchen zu systematischen Reviews sind im Folgenden dargestellt. Depressive Störungen Methodik Eine Recherche über bestehende evidenzbasierte Leitlinien zur Psychoonkologie wurde über die Suchfunktion der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlich medizinischen Fachgesellschaften AWMF (www.uni-duesseldorf.de/WWW/AWMF/ ll/index.html) im Dezember 2007 mit dem Suchbegriff „Psychoonkologie“ durchgeführt. Weiterhin erfolgte eine Literatursuche über die Datenbank Medline (über Pubmed) mit den Suchbegriffen „Psychooncology“ AND „Psychotropic Drugs“ [MESH] sowie mit den Suchbegriffen „De- Häufigkeit Die Prävalenz einer Major Depression liegt bei onkologischen Patienten zwischen 14–16 % und ist damit 2- bis 3-mal höher als in der allgemeinen Bevölkerung (14). Die Häufigkeit von behandlungsbedürftiger vermehrter Depressivität (Major and Minor Depression) bei stationären onkologischen Patienten liegt bei 30 % (16). Empfehlungen der Literatur Die Kanadische Supportive Care Guidelines Group führte eine systematische Lite- Onkologische Welt 1/2010 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-19 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. W. Häuser: Pharmakotherapie in der Psychoonkologie raturrecherche über die Wirksamkeit pharmakologischer und nicht pharmakologischer Behandlungen bei Depressionen (major depression and other depressive disorders) bei onkologischen Patienten in den Datenbanken Medline, Embase, Cinahl, PsycINFO und der Cochrane Library bis Juni 2005 durch. Sieben Studien zur pharmakologischen Therapie von Depressionen bei Patienten mit Krebserkrankungen wurden gefunden (14). Zwei Studien fanden eine Überlegenheit von Mianserin gegenüber Placebo (4, 31). Alprazolam war in einer Studie der progressiven Muskelentspannung überlegen (6). Zwei Studien verglichen Fluoxetin mit Placebo (5, 13), je eine verglich Fluoxetin mit Desipramin (7) bzw. Paroxetin mit Amitriptylin (11). Die beiden letztgenannten Studien fanden eine Reduktion der depressiven Symptome am Therapieende. Aufgrund des Fehlens eines Placeboarmes ist die Validität der Studien jedoch eingeschränkt. Das Leitlinienkomitee kam zur Einschätzung, dass nur eine schwache Evidenz für die Wirksamkeit einer medikamentösen (als auch psychotherapeutischen) Behandlung depressiver Störungen bei onkologischen Patienten besteht. Ein US-amerikanisches systematisches Review kam ebenfalls zu dem Ergebnis, dass die Evidenz für die Wirksamkeit einer psychopharmakologischen Behandlung bei Krebspatienten mit Major und Minor Depression sehr begrenzt ist (21). Die interdisziplinär erarbeiteten Empfehlungen der kanadischen Supportive Care Guidelines Group zur Therapie depressiver Störungen sind in 씰Kasten 1 zusammengefasst. Die Auswahl des Antidepressivums sollte die potenziellen Nebenwirkungen des Antidepressivums, die potenziellen Interaktionen mit anderen Medikamenten, das Ansprechen auf frühere antidepressive Behandlungen und die Patientenpräferenzen berücksichtigen (14). Eigene Erfahrungen Die Empfehlungen der kanadischen Leitliniengruppe zur Auswahl des Antidepressivums decken sich mit aktuellen Empfehlungen der medikamentösen Therapie von Depressionen bei körperlichen Erkrankungen aus dem deutschsprachigen psychiatri- Empfehlungen zur Behandlung depressiver Störungen Interdisziplinäre Empfehlungen der kanadischen Supportive Care Guidelines Group zur Behandlung depressiver Störungen bei onkologischen Patienten: ● Goldstandard für die Diagnose einer depressiven Störung ist ein strukturiertes psychiatrisches Interview. Als ScreeningVerfahren werden die Hamilton Depression Rating Scale (> 14 der ersten 17 Items positiv) oder die Krankenhaus Angst und Depression Skala HADS-D (Depressivitätsskala > 8) empfohlen. ● Eine suffiziente symptomatische Therapie von Schmerzen und anderen körperlichen Symptomen (z. B. Übelkeit) sollte vor oder mit Beginn einer antidepressiven Medikation durchgeführt werden. ● Der Einsatz von Antidepressiva soll bei mittelschweren bis schweren Depressionen erwogen werden. ● Die aktuelle Datenlage unterstützt nicht eine Überlegenheit eines Antidepressivums bzw. einer Antidepressivaklasse. ● Die aktuelle Datenlage unterstützt weder eine Überlegenheit der pharmakologischen noch der psychotherapeutischen Behandlung. ● Bei Krebspatienten mit „Major Depression“ ist eine Kombination von pharmakologischen und psychotherapeutischen Verfahren zu erwägen. schen Konsiliardienst. Die deutschsprachigen Empfehlungen nennen als weiteres Auswahlkriterium des Antidepressivums das aktuelle klinische Bild (z. B. agitiertängstlich versus gehemmt-apathisch) sowie weitere internistische Begleiterkrankungen (15). Die Krebserkrankung kann zu Einschränkungen der Metabolisierung von Psychopharmaka führen, zum Beispiel im Falle von fortgeschrittener Lebermetastasierung. Eine Dosisanpassung von einigen Antidepressiva ist bei fortgeschrittener Niereninsuffizienz notwendig. Bei Patienten mit Hirnmetastasen bzw. Hirntumoren ist vom Einsatz von trizyklischen Antidepressiva wegen der Herabsetzung der Krampfschwelle abzuraten. Da potenzielle Arzneimittelinteraktionen und mögliche Dosisanpassungen bei Leber- und Niereninsuffizienz auch für den Internisten nicht mehr zu überblicken sind, wird in dem Klinikum, in dem der Autor arbeitet, eine Software zur elektronischen Verordnungsunterstützung verwendet (www.rpdoc.de), um potenzielle Arzneimittelinteraktionen zu erfassen und um Hinweise für Dosisreduktionen bei Niereninsuffizienz zu erfassen. Bei der Dosisfindung ist bei onkologischen Patienten allen Alters das Prinzip des „Start slow, go slow“ (niedrige Anfangsdosis, langsame und niedrige Dosissteigerung) zu berücksichtigen. Nach Erfahrungen des Autors ist bei Patienten mit rezidivierenden depressiven Episoden, welche aktuell im Rahmen der onkologischen Behandlung rezidivieren, im Falle des früheren Ansprechens auf Antidepressiva eine eindeutige Indikation für eine Antidepressivatherapie gegeben. Die Erfolgsaussichten einer antidepressiven Therapie bei Patienten mit vorbestehender Dysthymie sind gering. Bei depressiven Anpassungsstörungen bei fortgeschrittener Tumorerkrankung bzw. bei schwerwiegenden Komplikationen der Krebserkrankung bzw. ihrer medizinischen Behandlung sind die Erfolgsaussichten einer Antidepressivatherapie gering. Unruhe, Nervosität und Schlafstörungen lassen sich besser pharmakologisch beeinflussen als Antriebsschwäche und Verlust von Lebensfreude. Unter Berücksichtigung der in 씰Kasten 2 ge- Auswahlkriterien für Antidepressiva Kriterien für die Auswahl eines Antidepressivums bei Patienten mit Krebserkrankungen (14, 15): ● Patientenpräferenzen ● früheres Ansprechen auf Antidepressiva ● aktuelles klinisches Bild (agitiert, gehemmt) ● Nebenwirkungsprofil Antidepressivum ● Interaktionen Antidepressivum mit übriger Medikation ● Art und Schweregrad körperlicher Erkrankungen (z. B. Leber- und Niereninsuffizienz) ● Ausmaß der Krebserkrankung (z. B. Hirnmetastasen) © Schattauer 2010 Onkologische Welt 1/2010 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-19 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 33 34 W. Häuser: Pharmakotherapie in der Psychoonkologie nannten Auswahlkriterien setzt der Autor bei agitiert-ängstlichem Syndrom das trizyklische Antidepressivum Doxepin (beginnend mit 25 mg zur Nacht, bis 150 mg/d) und bei Schlafstörungen den Serotonin-/Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer Mirtazapin (beginnend mit 15 mg zur Nacht, bis 60 mg/d) ein. Bei gehemmt-apathischen Syndromen wird der selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer Sertralin (beginnend mit 25 mg morgens, bis 100 mg/d) selten genutzt. Im Vergleich zu Fluoxetin ist die Rate der Arzneimittelinteraktionen von Sertralin geringer. Bei starker innerer Anspannung und/oder ausgeprägten Ängsten und Schlafstörungen setzt der Autor wegen des schnelleren Wirkungseintritts Lorazepam oder Alprazolam (beginnend mit 0,5 bis 8 mg/d) ein. Angststörungen Häufigkeit Die Häufigkeit von Angststörungen (vor allem ängstliche Anpassungsstörung, Panikstörung, generalisierte Angststörung, gemischte Angststörung) wird bei onkologischen Patienten mit bis zu 18 % angegeben (3). Empfehlungen der Literatur Systematische Reviews bzw. Leitlinien zur Therapie von Angststörungen bei onkologischen Patienten wurden bei der Literaturrecherche nicht gefunden. Ein Cochrane Review aus dem Jahr 2004 fand keine methodisch ausreichenden Studien zum Thema „Drug therapy for anxiety in palliative care“ (8). Im Falle des Einsatzes von Antidepressiva zur Behandlung von Panikstörungen gelten nach Ansicht des Autors für die Auswahl der Substanzen die Empfehlungen zur antidepressiven Therapie (씰Kasten 1). Die Ergebnisse von Studien zur Wirksamkeit von Tranquilizern bei Patienten mit Krebserkrankungen sind uneinheitlich: Überlegenheit von Alprazolam gegenüber dem PMR (6), keine Überlegenheit Alprazolam gegenüber Placebo (19) und Überlegenheit von Alprazolam gegenüber Diazepam (23). Eigene Erfahrungen Die klinischen Erfahrungen des Autors mit Alprazolam und Lorazepam zur zeitlich befristeten medikamentösen Krisenintervention bei ängstlichen Anpassungsstörungen im Rahmen von Mitteilungen von Erst,- Rezidiv- und Progressdiagnosen, bei dekompensierter spezifischer Phobie bzw. Agoraphobien (z. B. Platzangst, Angst vor Alleinsein im Krankenzimmer) im Rahmen der medizinischen Behandlung als auch zur Dauertherapie in palliativen Situationen sind positiv. Alprazolam und Lorazepam sind auch wirksame Medikamente in der Therapie des antizipatorischen Erbrechens bei Chemotherapie (12) bzw. Kombinationspräparate innerhalb einer Stufentherapie bei chemotherapiebedingtem Erbrechen (1). Weiterhin hat der Autor positive Erfahrungen mit dem mittelfristigen Einsatz des stimmungsaufhellend wirkenden Anxiolytikums Opipramol (mit 25 mg beginnend, bis maximal 100 mg/d), z. B. während der Durchführung einer Radiochemotherapie, bei Patienten mit vorbestehender und im Rahmen der Krebserkrankung erstmals diagnostizierter generalisierter Angststörung. Delir Definition und Häufigkeit bei onkologischen Patienten Das Delir ist durch die Kardinalsymptome Störungen ● des Bewusstseins (verminderte Klarheit in der Umgebungswahrnehmung, Wahrnehmungsstörungen, reduzierte Fähigkeit, die Aufmerksamkeit zu fokussieren, aufrechtzuerhalten und umzustellen), ● der Kognition (Beeinträchtigung des Immediatgedächtnisses und des Kurzzeitgedächtnisses bei relativ intaktem Langzeitgedächtnis, Desorientiertheit zu Zeit, Ort und Person), ● der Psychomotorik (rascher, nicht vorhersagbarer Wechsel zwischen Hypound Hyperaktivität, verlängerte Reaktionszeit, vermehrter oder verminderter Redefluss, verstärkte Schreckreaktion) und ● des Schlaf-wach-Rhythmus (Schlaflosigkeit, mit oder ohne Schläfrigkeit am ● Tage oder Umkehr des Schlaf-wachRhythmus, nächtliche Verschlimmerung der Symptome, unangenehme Träume oder Albträume, die nach Erwachen als Halluzinationen oder Illusionen weiter bestehen können) sowie den plötzlichen Beginn und die Tagesschwankungen des Symptomverlaufes definiert. Hyperaktive, hypoaktive und gemischte Verläufe werden unterschieden (17). Über die Häufigkeit deliranter Symptome bei onkologischen Patienten in stabiler Krankheitsphase wurden bei der Literaturanalyse keine verlässlichen Prävalenzraten gefunden. Mögliche behandelbare Ursachen von deliranten Syndromen sind Medikamente (auch Opioide und Antidepressiva), Sepsis, Hirnmetastasen, Exzikose und schwerwiegende Elekrolytverschiebungen (Hyponatriämie, Hyperkalziämie). In der Terminalphase von Erkrankungen wird ein delirantes Syndrom bei bis zu 90 % der Patienten beobachtet (17). Empfehlungen der Literatur Bei der Literaturrecherche wurden keine Leitlinien, systematischen Reviews oder kontrollierte Studien zur Therapie des Delirs bei onkologischen Patienten gefunden. Narrative palliativmedizinische Reviews empfehlen Haloperidol als Standardmedikament bei hyperaktiven Formen des Delirs. Die initiale Dosis liegt bei 1–2 mg oral oder subkutan, zweimal am Tag. Die Dosis kann auf bis zu 3 x 10 mg/d gesteigert werden. Ergänzend wird Midazolam (5–50 mg/d; s. c. oder i. v.) empfohlen (17). Eigene Erfahrungen Falls eine orale Gabe möglich ist, wird Lorazepam (1–4 mg/d) anstelle von Midazolam gegeben. Bei schweren agitierten Formen des Delirs wird eine kontinuierliche intravenöse Gabe von Haloperidol (bis zu 40 mg/d) und Diazepam (bis zu 50 mg/d) durchgeführt. Zur Behandlung von Halluzinationen und wahnhaftem Erleben ist Haloperidol das Mittel der Wahl. Zur Angstlösung und Sedierung sind meist hohe Dosen Haloperidol (> 10 mg) notwendig. Falls Unruhe und Angst die führenden Onkologische Welt 1/2010 © Schattauer 2010 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-19 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. W. Häuser: Pharmakotherapie in der Psychoonkologie Symptome sind, werden daher Lorazepam bzw. Risperidon bevorzugt. Im Fall von extrapyramidalen Nebenwirkungen bei Haloperidolgabe wird das atypische Neuroleptikum Risperidon (0,5–4 mg/d) eingesetzt. Da sich hypoaktive Formen des Delirs unter Neuroleptika verschlechtern können, wird auf die Gaben von Neurolpetika verzichtet und im Falle von Schlaflosigkeit und Albträumen eine Therapie mit Lorazepam (0,5–2 mg zur Nacht) durchgeführt. Palliative Sedierung Definition, Indikation und Häufigkeit Der Begriff palliative Sedierung (Synonyma: terminal sedation, palliative sedation, end-of-life sedation) beschreibt die medikamentös induzierte und unterhaltene Reduktion des Bewusstseins eines Patienten mit weit fortgeschrittener Erkrankung und unerträglichen Symptomen (z. B. Schmerzen, Dyspnoe, agitiertes Delir, Übelkeit/Erbrechen und existenzielle seelische Not) (20). Die Sedierung kann oberflächlich (Somnolenz) oder tief (Stupor) durchgeführt werden. Es ist nicht bekannt, wie häufig eine palliative Sedierung in nicht spezialisierten Krankenhausabteilungen oder im ambulanten Bereich eingesetzt wird. In ambulanten und stationären Palliativ- und Hospizeinrichtungen wurde bei einer Analyse von 13 Studien eine mediane Häufigkeit von 25 % (Spannweite 1–72 %) angegeben (20). Die Initiative für eine palliative Sedierung kann von Patienten, Angehörigen oder Behandlern ausgehen. Die Indikation für eine palliative Sedierung soll wie folgt überprüft werden (20): 1. mehrfache Evaluation durch mehrere Kliniker, obligat einem Psychoonkologen 2. kompetente medikamentöse/psychotherapeutische Behandlung von Angst, Depressivität und existenzieller Not 3. interdisziplinäre Fallkonferenz 4. gemeinsame Entscheidungsfindung mit Patient und Angehörigen 5. zunächst vorübergehende Sedierung für 1–2 Tage, danach Rücknahme der Sedierung und erneute gemeinsame Diskussion der Optionen Fazit für die Praxis Psychopharmaka (Antidepressiva, Tranquilizer und Neuroleptika) werden in der Onkologie häufig eingesetzt (2, 9, 18) – wahrscheinlich häufiger von „Somatikern“ als von Psychoonkologen. Fehlende Empfehlungen zur psychopharmakologischen Therapie in deutschen onkologischen Leitlinien weisen auf Versäumnisse von psychoonkologisch tätigen Psychosomatikern und Psychiatern hin, psychopharmakologische Therapieoptionen in der Psychoonkologie zu etablieren. Die wissenschaftliche Evidenz für die Wirksamkeit psychopharmakologischer und psychotherapeutischer Verfahren zur Behandlung von psychischen Störungen (Major Depression, Panikstörung, Delir) bei onkologischen Patienten ist schwach. Aufgrund fehlender oder unzureichender personeller Ressourcen von psychosomatischen bzw. psychiatrischen Konsiliar-Liaison(CL)-Diensten in den meisten Akutkliniken Deutschlands ist nach Ansicht des Autors eine psychopharmakologische Behandlung von psychischen Störungen bzw. psychosomatischen Symptomen bei onkologischen Patienten durch den CLDienst bzw. durch primär somatisch tätige Ärzte im Rahmen der psychosomatischen Grundversorgung einer fehlenden Behandlung vorzuziehen. Empfehlungen der Literatur Bei der Literaturrecherche wurden keine Leitlinien oder systematische Reviews zur palliativen Sedierung gefunden. Eine multizentrische japanische Studie bestätigte die ethische Validität der palliativen Sedierung in spezialisierten Einrichtungen (10). Narrative palliativmedizinische Reviews empfehlen Midazolam (Beginn mit 0,4 mg/d, Steigerung bis 4,5–10 mg/h) aufgrund der mit der kurzen Halbwertszeit einhergehenden guten Steuerbarkeit. Alternativ kann Diazepam (10–60 mg/d), auch subkutan oder in Form von Suppositorien, gegeben werden. Weiterhin wird das Neuroleptikum Levopromazin (Bolusgabe 25 mg, weitere Titration mit 25–300 mg/d intravenös) eingesetzt. Als Alternative wird das Allgemeinanästhetikum Propofol genannt, das sich durch eine sehr gute Steuerbarkeit und eine zusätzliche antiemetische und antipruriginöse Wirkung auszeichnet. Psychopharmakologische Therapieoptionen Zusammenfassung psychopharmakologischer Therapieoptionen in der Onkologie (Präferenzen des Autors): ● Major Depression, depressive Anpassungsstörung – ängstlich-agitiert: Doxepin (25–100 mg/d) – gehemmt-apathisch: Sertralin (25–100 mg/d) ● Angststörungen – Panikstörung: Sertralin (25–100 mg/d) – generalisierte Angststörung: Opipramol (25–150 mg/d) – ängstliche Anpassungsstörung: Doxepin (25–100 mg/d) oder Lorazepam (0,5–4 mg/d) ● Delirium – Haloperidol (1–30 mg/d) und/oder Lorazepam (0,5–4 mg/d) ● terminale Sedierung – Diazepam (10–60 mg/d) – Morphin (30–300 mg/d) Eigene Erfahrungen Die palliative Sedierung wird in Kombination von Diazepam und Morphin durchgeführt. Bei morphinnaiven Patienten wird eine Testdosis von 5 mg (subkutan oder intravenös) gegeben, anschließend je nach Wirkung titriert (Dosen zwischen 30–300 mg/d). Bei opioidvorbehandelten Patienten wird die Tagesdosis auf Morphin umgerechnet und diese Dosis intravenös verabreicht. Schlussfolgerung Die klinische Erfahrung des Autors spricht für die Notwendigkeit und Wirksamkeit einer Therapie mit sedierenden Antidepressiva bei ängstlich-agitierten depressiven Syndromen, mit Tranquilizern bei dekompensierten Angststörungen, mit Neuroleptika/Tranquilizern bei hyperaktiven deliranten Syndromen und mit Tranquilizern/Opioiden bei der terminalen Sedierung. Eine Zusammenfassung psychopharmakologischer Therapieoptionen in der Onkologie findet sich in 씰Kasten 3. © Schattauer 2010 Onkologische Welt 1/2010 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-19 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 35 36 W. Häuser: Pharmakotherapie in der Psychoonkologie Es ist nach Ansicht des Autors sinnvoll, sich bei der Auswahl der Psychopharmaka auf wenige Substanzen zu beschränken, um ausreichende eigene Erfahrungen mit der Wirksamkeit und den Nebenwirkungen der Präparate zu sammeln. 7. 8. 9. Literatur 1. Abali H, Oyan B, Guler N. Alprazolam significantly improves the efficacy of granisetron in the prophylaxis of emesis secondary to moderately emetogenic chemotherapy in patients with breast cancer. Chemotherapy 2005; 51: 280–285. 2. Berney A, Stiefel F, Mazzocato C et al. Psychopharmacology in supportive care of cancer: a review for the clinician. III. Antidepressants. Supp Care Cancer 2000; 8: 278–286. 3. Carroll BT, Kathol RG, Noyes R Jr et al. Screening for depression and anxiety in cancer patients using the Hospital Anxiety and Depression Scale. Gen Hosp Psychiatry 1993; 15: 69–74. 4. Costa D, Mogos I, Toma T. Efficacy and safety of mianserin in the treatment of depression of women with cancer. Acta Psychiatr Scand Suppl 1985; 320: 85–92. 5. Fisch MJ, Loehrer PJ, Kristeller J et al. Fluoxetine versus placebo in advanced cancer outpatients: a double-blinded trial of the Hoosier Oncology Group. J Clin Oncol 2003; 21: 1937–1943. 6. Holland JC, Morrow GR, Schmale A et al. A randomized clinical trial of alprazolam versus progressive muscle relaxation in cancer patients with 10. 11. 12. 13. 14. anxiety and depressive symptoms. J Clin Oncol 1991; 9: 1004–1011. Holland JC, Romano SJ, Heiligenstein JH et al. A controlled trial of fluoxetine and desipramine in depressed women with advanced cancer. Psychooncology 1998; 7: 291–300. Jackson KC, Lipman AG. Cochrane Database Syst Rev. Drug therapy for anxiety in palliative care 2004; (1): CD004596. Mazzocato C, Stiefel F, Buclin T et al. Psychopharmacology in supportive care of cancer: a review for the clinician: II. Neuroleptics. Supp Care Cancer 2000; 8: 89–97. Morita T, Chinone Y, Ikenaga M et al; Japan Pain, Palliative Medicine, Rehabilitation, and Psycho-Oncology Study Group. Ethical validity of palliative sedation therapy: a multicenter, prospective, observational study conducted on specialized palliative care units in Japan. J Pain Symptom Manage 2005; 30: 308–319. Pezzella G, Moslinger–Gehmayr R, Contu A. Treatment of depression in patients with breast cancer: a comparison between paroxetine and amitriptyline. Breast Cancer Res Treat 2001; 70: 1–10. Razavi D, Delvaux N, Farvacques C et al. Prevention of adjustment disorders and anticipatory nausea secondary to adjuvant chemotherapy: a doubleblind, placebo-controlled study assessing the usefulness of alprazolam. J Clin Oncol 1993; 11: 1384–1390. Razavi D, Allilaire JF, Smith M et al. The effect of fluoxetine on anxiety and depression symptoms in cancer patients. Acta Psychiatr Scand 1996; 94: 205–210. Rodin G, Katz M, Lloyd N et al. Treatment of depression in cancer patients. Curr Oncol 2007; 14: 180–188. Literaturtipp zum Thema Psychoonkologie Das Besondere an diesem Buch ist sein ungewöhnlicher Aufbau: Zum einen interviewt der Autor als Behandler 16 unterschiedliche Krebspatienten in Form eines Telefoninterviews, zum anderen befragt ein (fiktiver) Interviewer den Behandler selbst zu allen wesentlichen Fragen rund um die Diagnose Krebs. Die Patienten kommen alle aus unterschiedlichen Lebenslagen (Alter, Geschlecht), leiden unter verschiedenen Krebsarten und befinden sich in den unterschiedlichsten Stadien der Erkrankung. Ihre Geschichten zeigen jedoch eine Art roten Faden: Auf die Eröffnung „Sie haben Krebs“ folgt dem ersten Schock und dem nachfolgenden Chaos und Zusammenbrechen eine neue Lebensqualität oder auch „Lebens-Farbe“. Durch die psychoonkologische Betreuung erleben die Patienten eine innere Wandlung, sie spüren deutlich ihr persönliches Wachsen und Streben nach Sinn und eigenen Werten, eigenem Rhythmus und intensiven Begegnungen. Ihre Geschichten blenden das Schlimme und Beängstigende nicht aus – sie lassen durch die Bedrohung eine positive Reifung hin zum eigenen Ich erkennen. Jeder Patient wird sich nach Erhalt der Diagnose fragen, ob und wenn ja wie er zur Entstehung der Krankheit beigetragen hat. Interessant ist zum Beispiel, dass bei der in jedem Interview gestellten Frage „Womit bringen Sie Ihre Erkrankung im Nachhinein in Verbindung?“ alle Patienten auch bei sich eine Mitverantwortung (manche sogar Schuld) sehen. Dr. Elmar Reuter löst dies sehr differenziert in seinen Antworten auf: Beherrschend ist die Studienlage, die die Ursachen einer Krebserkrankung nicht im Betroffenen selbst, seiner Persönlichkeit, seinen Gefühlen und Gedanken findet. Allerdings sieht die Wissenschaft eine 15. Rothenhäusler HB. Depression bei körperlichen Erkrankungen – Diagnose und Therapie vor konsiliar-psychiatrischem Hintergrund. Fortschr Neurol Psychiat 2003; 71: 358–365. 16. Singer S, Bringmann H, Hauss J et al. Prävalenz komorbider seelischer Störungen und nach psychosozialer Hilfe bei Patients mit malignen Tumoren im Akutkrankenhaus. Dtsch Med Wochenschr 2007; 132: 2071–2076. 17. Stagno D, Gibson C, Breitbart W. The delirium subtypes: a review of prevalence, phenomenology, pathophysiology, and treatment response. Palliat Support Care 2004; 2: 171–179. 18. Stiefel F, Berney A, Mazzocato C. Psychopharmacology in supportive care in cancer: a review for the clinician. I. Benzodiazepines. Supp Care Cancer 1999; 7: 379–385. 19. Wald TG, Kathol RG, Noyes R Jr et al. Rapid relief of anxiety in cancer patients with both alprazolam and placebo. Psychosomatics 1993; 34: 324–332. 20. Weber M, Strohscheer I, Samonigg H et al. Palliative Sedierung – eine Alternative zur Euthanasie bei unerträglichem Leid am Ende des Lebens? Med Klin 2007; 100: 292–298. 21. Williams S, Dale J. The effectiveness of treatment for depression/depressive symptoms in adults with cancer: a systematic review. Br J Cancer 2006; 94: 372–390. 22. van Heeringen K, Zivkov M. Pharmacological treatment of depression in cancer patients. A placebo-controlled study of mianserin. Br J Psychiatry 1996; 169: 440–443. 23. Ziólko E, Knopik J, Bucior J, Foltyn W, JastrzebskaOkon K, Tomczyk A, Kempinski M. Evaluation of the usefulness and effectiveness of anxiolytic therapies in neoplastic diseases. Pol Merkur Lekarski. 2004 Jun; 16: 561–564. Mitbeteiligung durchaus im umfassenderen „Lebensstil“ im Sinne einer gesellschaftlichsozialen Umgebungsbedingung, innerhalb der sich auch die persönliche Psyche des Erkrankten formt. Dr. Elmar Reuter ist seit 35 Jahren niedergelassener Psychotherapeut, Ausbilder und Supervisor von Psychoonkologen. Seit zehn Jahren beschäftigt er sich fast nur noch mit Krebspatienten. Sein Buch soll informieren, ermutigen, Hilfestellung geben und vor falscher Hoffnung, aber auch vor falscher Hoffnungslosigkeit schützen. Gedacht ist es für Betroffene, Angehörige und Freunde – und nicht zuletzt auch für Behandler, die sich der „Innenseite“ des Krebses öffnen. Elmar Reuter Leben trotz Krebs – eine Farbe mehr Interviews zu einem gelingenden Leben nach Krebs Schattauer Verlag 2010, 181 Seiten, EUR 19,95, ISBN 978–3–7945–2753–3 Onkologische Welt 1/2010 © Schattauer 2010 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-19 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Aktuelle Serie: Knochentumoren © Schattauer 2010 Knochentumoren Neben den häufigen Veränderungen des Knochens im Rahmen von metabolischen Erkrankungen und Entzündungen gibt es die tumorösen Erkrankungen des Knochens. Hier muss in der täglichen Praxis zwischen benignen Tumoren, tumorsimulierenden Läsionen des Knochens und malignen Tumoren unterschieden werden. Die Behandlung, gerade von malignen Knochentumoren, bleibt auch heutzutage eine Herausforderung. In den vergangenen zwei Jahrzehnten ist die Diagnostik und die Therapie von Knochentumoren nachhaltig verbessert worden. Die weitere wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Tumoren des Bewegungsapparats versprechen Fortschritte in der Behandlung und eine Verbesserung in den funktionellen Ergebnissen und dem Überleben. Der wichtigste Faktor dieser Verbesserungen ist der Tatsache zu zollen, dass Knochentumoren, und gerade maligne Knochentumoren, zentralisiert in spezialisierten Zentren vorgestellt und behandelt werden. Die Komplexität der Diagnose und der daraus resultierenden Therapie verlangt eine konsequente interdisziplinäre Zusammenarbeit in einer dafür eingerichteten Infrastruktur. Selbst vermeintlich gutartige Veränderungen des Knochens können deutliche und langwierige Probleme für den Patienten bedeuten. Die radiologische Diagnostik und die korrekte Biopsie mit histologischer Beurteilung spielen in dem Gesamtkonzept der Therapie von Knochentumoren eine zentrale Rolle. Es werden die malignen Tumoren im Kindesalter, die chondrogenen Tumoren und der Riesenzelltumor vorgestellt. Die Darstellung von Fällen eines Hibernoms soll die Vielseitigkeit der Möglichkeiten einer tumorösen Knochenveränderung zeigen. Diesen Themen, die in einem Schwerpunktheft der „Osteologie“ erschienen sind, widmen wir uns in der „Onkologischen Welt“ in Form einer Serie. Wir hoffen, sie stößt auch auf Ihr Interesse und freuen uns über Ihre Rückmeldung. Prof. Andreas Kurth, Mainz Prof. Dr. med. Andreas Kurth Mainz im Februar 2010 Onkologische Welt 1/2010 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-19 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 37 38 © Schattauer 2010 Aktuelle Serie: Knochentumoren Bioptische Sicherung von gutund bösartigen Knochentumoren J. Bruns1; G. Delling2; C. R. Habermann3 1Schwerpunkt orthopädische Chirurgie, Diakonieklinikum Hamburg, Standort „Alten Eichen“, Hamburg; 2Institut für Pathologie, MVZ, Marienkrankenhaus Hamburg; 3Klinik und Poliklinik für diagnostische und interventionelle Radiologie, Diagnostikzentrum Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf Schlüsselwörter Tumor, Knochen, Sarkom, Biopsie Zusammenfassung Knochentumoren, meist benigne Läsionen oder tumorähnliche Läsionen, sind relativ häufig. Maligne Primärtumoren des Skelettapparates, meist Osteo-, Chondro- und EwingSarkome, dagegen relativ selten, Knochenmetastasen wiederum sehr häufig. Die Symptome dieser Tumoren oder tumorähnlichen Läsionen sind unspezifisch. Am dramatischsten sind pathologische Frakturen. Die Therapie dieser Erkrankungen ist sehr unterschiedlich: Benigne Läsionen werden in der Regel ohne Sicherheitsabstand reseziert, zystische Tumoren und tumorähnliche Läsionen meist „intraläsional“ ausgeräumt. Zusätzliche intraoperative Maßnahmen, sogenannte Kautherisierungen, helfen, mikroskopische Tumorreste abzutöten. Anschließend wird der Defekt meist mit einer Knochenzementplombe (thermische Kautherisierung) aufgefüllt und erst zweizeitig mit autogenem Knochen aufgefüllt. Bei Knochenmetastasen besteht meist ein palliatives Therapiekonzept, da die Grunderkrankung einen wesentlichen Einfluss auf die Prognose quoad vitam hat. Dagegen hat bei primären Malignomen des Knochens die Therapie in aller Regel ein kuratives Ziel. Die operative Resektion steht dabei im Zentrum der Behandlung, Chemo- und Strahlentherapie stellen neo- und adjuvante Maßnahmen dar und haben einen wesentlichen Einfluss auf die Prognose. Der bioptischen Diagnostik kommt ein Korrespondenzadresse Prof. Dr. med. Juergen Bruns Schwerpunkt orthopädische Chirurgie Diakonieklinikum Hamburg Standort „Alten Eichen“ Jütländer Allee 48, 22527 Hamburg Tel. 0 40 /54 87 21–01, Fax –09 E-Mail: [email protected] wesentlicher Stellenwert zu. Biopsien werden in Inzisions- und Exzisionsbiopsien unterschieden. Bei den Inzisionsbiopsien unterscheidet man Nadel- oder Stanz- von offenen Biopsien. Für die Probenentnahme gibt es genau beschriebene Leitlinien. Da die Biopsiestelle durch Tumorzellen kontaminiert ist, muss diese bei malignen Tumoren bei der späteren operativen Tumorresektion mit kurativem Operationsziel zusammenhängend mit dem Tumor entfernt werden. Von der Inzisions- ist die Exzisionsbiopsie zu unterscheiden. Aufgrund der multimodalen Therapie bei Sarkomen ist eine Exzisionsbiopsie nur bei Tumoren und tumorähnlichen Läsionen des Knochens indiziert, bei denen keine oder nur eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit eines malignen Geschehens besteht. Auch dann sind die Kriterien „möglichst geringe Kontamination der Umgebung“ und „Berücksichtigung einer eventuellen Nachresektion“ zu beachten. Im Zweifelsfall ist immer eine Inzisionsbiopsie der Exzisionsbiopsie vorzuziehen. Da die Komplikationsrate von Biopsien, egal welcher Technik, durchgeführt in einer Institution außerhalb eines Tumorzentrums signifikant höher ist, sollte der Patient im Zweifelsfall noch vor einer Biopsie in ein Tumorzentrum überwiesen werden, zumindest sollten die Durchführungskriterien mit einem derartigen Zentrum vor der Biopsie abgesprochen werden. Erfolgt eine Biopsie außerhalb eines Tumorzentrum, ist für den späteren Operateur eine bildgebende Dokumentation zur Identifikation der Biopsiestelle zwingend notwendig. Onkologische Welt 2010; 1: 38–43 Nachdruck aus: Osteologie 2009; 18: 177–183 Gutartige Knochentumoren und sogenannte tumorähnliche Läsionen (TÄL) sind relativ häufig. Diese benignen Entitäten können teilweise eine hohe Rezidivrate aufweisen (1, 2). Unter den malignen Tumoren stellen die Knochenmetastasen die häufigsten Läsionen dar. Sehr viel seltener sind primäre Malignome des Knochens, wie Osteo- und Ewing-Sarkome, die besonders im Kindes- und Jugendalter auftreten (3, 4), und das Chondrosarkom, das das häufigste Knochensarkom im Erwachsenenalter ist (5, 6). Die Chance für einen nicht onkologisch tätigen Orthopäden, einen malignen Tumor des Skelettapparates zu sehen, beträgt weniger als einen Tumor in drei Jahren (7). Benigne Knochentumoren und TÄL werden in der Regel ohne Sicherheitsabstand reseziert bzw. es erfolgt eine „intraläsionale Ausräumung“ mit anschließender Defektauffüllung, meist mit Knochenzement nach zusätzlicher chemischer, mechanischer und/oder thermischer Kautherisierung mit verschiedenen Maßnahmen wie hochprozentigem Alkohol für Minuten, Radiofrequenzablation oder Knochenzement (Polymerisationshitze) (8). Anders gestaltet sich die Behandlung von primären Malignomen des Knochens. Während bei Sarkomen meist ein kuratives Therapieziel besteht (3), hat die Behandlung von Knochenmetastasen dagegen in den meisten Fällen ein palliatives Behandlungsziel (9–12). Nur in Ausnahmefällen kann auch bei Knochenmetastasen ein kuratives Behandlungsziel bestehen. Da klinisch die Symptome völlig unspezifisch sind, laborchemische Untersuchungen nur selten helfen und die bildgebende Diagnostik, obwohl sie in den letzten Jahren wesentliche Verbesserungen erzielt hat, eine definitive Diagnose nicht erlaubt, ist diese in fast allen Fällen erst mittels Biopsie und histopathologischer Untersuchung zu stellen. Onkologische Welt 1/2010 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-19 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. J. Bruns et al.: Bioptische Sicherung von gut- und bösartigen Knochentumoren Auch wenn die Bildgebung (meist MRT und Röntgen) eindeutige Malignitätskriterien zeigt, ist es für die nach Diagnosestellung wahrscheinlich indizierte multimodale Therapie wichtig, den Grad der Malignität und die Sarkomentität zu kennen, da die neoadjuvante Behandlung mit Chemotherapie und gegebenenfalls Strahlentherapie (Ewing-Sarkomgruppe) dieser Tumoren unterschiedlich ist. Nicht nur bei Verdacht auf einen malignen Primärtumor des Knochens ist aufgrund der therapeutischen Konsequenzen eine Biopsie unverzichtbar. Auch wenn es sich um eine Knochenmetastase oder um eine maligne hämatologische Erkrankung wie ein Plasmozytom oder Lymphom handeln könnte, besonders wenn derartige Erkrankungen bisher nicht bekannt sind, kann eine Biopsie, ebenso wie bei unklaren, aber benignen Läsionen, notwendig sein (13, 14). Die Eröffnung des Tumors bzw. der TÄL durch die Biopsie führt unvermeidbar zu einer Kontamination des Biopsiekanals durch Tumorzellen. Dies ist während der Biopsie hinsichtlich der späteren operativen Therapie mit kurativem Therapieziel eines malignen Prozesses zu berücksichtigen. Eine inadäquate Resektion, d. h. keine „weite Resektion“ (SSS-Definition nach Enneking) oder keine „R0-Resektion“ (UICC-Definition) verschlechtert die Behandlungsergebnisse eindeutig. Auch durch eine adjuvante Therapie kann dieser Nachteil nicht ausgeglichen werden (15–19). Daraus folgt, dass der Biopsiekanal als Teil des Tumors gilt. Eine kurative Resektion maligner Knochentumoren erfordert daher, den Biopsiekanal zusammenhängend mit dem Tumor zu entfernen. Ist der Biopsiekanal aufgrund mangelnder Markierung bzw. Dokumentation nicht wiedererkennbar und somit nicht zusammenhängend mit dem eigentlichen Tumor zu entfernen, kann das kurative Ziel einer „weiten“ oder R0-Resektion nicht erreicht werden. Es besteht die Gefahr, dass sich eine Implantationsmetastase bzw. ein Rezidiv entwickelt (20–22). Diese Betrachtungsweise des Biopsiekanals stellt eines der Hauptkriterien für eine Probenentnahme dar. Vor einer Biopsie sollte immer eine interdisziplinäre Besprechung zwischen dem Operateur, dem Radiologen und dem Pathologen erfolgen. Es sollten dabei drei Differenzialdiagnosen genannt werden, um die Aufmerksamkeit zu steigern und um möglichst früh weitere therapeutische Schritte einleiten zu können. Außerdem sollte definiert werden, aus welchem Teil der Läsion bzw. des Tumors Gewebe zu entnehmen ist (13, 14). Liegt ein extraossärer Tumoranteil vor, wird in der Regel aus diesem Bereich die Biopsie entnommen. Bei rein ossären Prozessen ist es wichtig, die Biopsie nicht aus der meist zentral befindlichen Nekrose zu entnehmen, da es dem Pathologen unmöglich ist, anhand nekrotischen Gewebes eine Diagnose zu stellen. Eine Besonderheit unter den primären Malignomen des Knochens stellt das dedifferenzierte Chondrosarkom dar (23, 24) (씰Kasuistiken Beispiel 2). Bei diesem Tumor liegen nebeneinander zwei sehr unterschiedliche Tumoranteile vor: Der chondroide Anteil, der für die Prognose relativ unwichtig ist, und der dedifferenzierte Anteil, der die Prognose wesentlich bestimmt. Fatal wäre es, ein Areal mit fraglich dedifferenziertem Tumorgewebe zu übersehen und die Biopsie aus dem chondroiden Bereich zu entnehmen. Dies könnte zur Folge haben, dass der Tumor in seinem Grading zu niedrig eingestuft wird, ein Grad-I–IIIChondrosarkom oder gar ein Enchondrom ohne Dedifferenzierung angenommen wird und „nur“ eine operative Resektion ohne adjuvante Therapie erfolgen würde. Das dedifferenzierte Chondrosarkom ist eines der wenigen Chondrosarkome, das nicht nur operativ zu behandeln ist, sondern auch einer neo- und/oder adjuvanten Chemotherapie zugänglich ist. Nach der Biopsie muss nachvollziehbar sein, an welcher anatomischen Lokalisation diese erfolgte. Bei einer offenen Inzisionsbiopsie markiert die spätere Narbe auf dem Hautniveau die Zugangsstelle. Bei Nadeloder Stanzbiopsien ist es unabdingbar, diese Stelle in geeigneter Weise permanent zu markieren, damit der Operateur den – wenn auch dann kleinen – Biopsiekanal mit dem Tumor zusammen entfernen kann. Vorgehensweisen Bei den Biopsien sind prinzipiell zwei Vorgehensweisen zu unterscheiden ● ● Eine Inzisionsbiopsie hat das Ziel, einen repräsentativen Teil des Tumors für diagnostische Zwecke zu gewinnen. Dabei verbleibt der größte Teil des Tumors vorerst im Patienten. Erst zweizeitig erfolgt nach Diagnosestellung und eventuell neoadjuvanter Therapie die Tumorresektion, meist mit dem Ziel einer „weiten Resektion“ (13, 14, 25, 26). Bei einer Exzisionsbiopsie wird dagegen der gesamte Tumor ohne Sicherheitsabstand entfernt und der histopathologischen Untersuchung zugeführt. Dies ist die Vorgehensweise bei benignen Läsionen bzw. TÄL, bei denen nach der interdisziplinären Besprechung keine oder nur eine verschwindend geringe Wahrscheinlichkeit für ein Malignom besteht. Die Inzisionsbiopsie, ob offen oder mittels Nadeln oder Stanzen durchgeführt, ist immer dann indiziert, wenn der Verdacht auf einen malignen Prozess besteht. Die Inzisionsbiopsie kann prinzipiell in Form einer offenen Inzisionsbiopsie oder einer Nadel- oder Stanzbiopsie erfolgen. Die offene Inzisionsbiopsie gilt als „Goldener Standard“ (7). Bei ihr wird nach vorheriger Definition der Zugangsstelle der Tumor auf möglichst direktem Wege transmuskulär über eine Längsinzision erreicht und ein ausreichend großes Gewebestück entnommen. Liegt ein extraossärer Tumoranteil vor, sollte aus diesem Bereich Gewebe entnommen werden. Bei ausschließlich im Knochen liegenden Läsionen ist aus möglichst vitalen Arealen Gewebe zu entnehmen, um dem Pathologen die Diagnosestellung zu ermöglichen. Bei einer Nadel- oder Stanzbiopsie handelt es sich um eine minimalinvasive Methode. Prinzipiell wird dabei mittels einer Nadel oder Stanze aus dem zuvor definierten Tumorareal eine Probe zur histologischen Untersuchung entnommen. Die wesentliche Problematik besteht darin, ausreichend Gewebe zu gewinnen. Nadelbiop- © Schattauer 2010 Onkologische Welt 1/2010 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-19 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 39 40 J. Bruns et al.: Bioptische Sicherung von gut- und bösartigen Knochentumoren sien können im Unterschied zu Stanzen nur geringe Gewebemengen fördern und sind für Biopsien am Knochen aufgrund seiner Härte wenig geeignet. Auch wenn mittels Nadelbiopsie Gewebe gewonnen werden kann, ist häufig nur eine zytologische und keine histologische Diagnostik möglich. Für die Stanzbiopsie von hartem Knochengewebe hat sich die Jamshidi-Stanze bewährt (27–30). Mit ihr lässt sich ein je nach Größe bzw. Länge der Stanze unterschiedlich großer Stanzzylinder gewinnen, der auch eine histologische und nicht nur eine zytologische Diagnostik möglich macht. Bei zu hartem Knochengewebe oder zu flüssigem Gewebe kann jedoch auch mit einer Stanze die Biopsie frustran verlaufen. Wegen der bereits genannten Kriterien ist immer die Lage der Instrumente während der Biopsie durch ein geeignetes bildgebendes Verfahren zu dokumentieren. In aller Regel sollte es sich um eine radiologische Methode (Röntgen, CT oder eventuell MRT) handeln. Dabei ist darauf zu achten, dass zweifelsfrei wiedererkennbare anatomische Landmarken abgebildet werden. Eine Dokumentation mittels Ultraschall erscheint nicht nur den Autoren als unzureichend, da anatomische Landmarken nicht ausreichend sicher erkennbar sind. Insbesondere zur Abbildung des Knochens reicht eine Sonografie nicht aus. Außerdem ist die maximale Vordringtiefe des Instrumentes zu dokumentieren. Fatal wäre es, wenn durch eine zu forsche Vorgehensweise der Tumor durchstoßen wird und somit das gegenseitige gesunde Gewebe bzw. ein weiteres Kompartiment oder gar Leitungsstrukturen wie Nerven oder Gefäße kontaminiert oder verletzt werden. Bei einer Exzisionsbiopsie wird dagegen der Tumor komplett im Sinne einer Enukleation entfernt und histopathologisch untersucht. Diese Vorgehensweise ist nur bei geringem Malignitätsverdacht, kleiner Tumorgröße (< 5 cm) und oberflächlicher, epifaszialer Lage im Weichteil bzw. entsprechenden Kriterien am Knochen (z. B. Enchondrom) oder bei zystischen Läsionen und „intraläsionaler Ausräumung“ indiziert. Auch bei einer Exzisionsbiopsie ist es wichtig, die Kontamination der Umgebung möglichst gering zu halten, da sich trotz Annahme eines benignen Prozesses nach der histopathologischen Untersuchung ein maligner Prozess ergeben könnte. Werden die Durchführungskriterien einer Inzisionsbiopsie – soweit möglich – auch bei Exzisionsbiopsien beachtet, ist auch in derartigen Fällen eine Nachresektion mit „weiten Resektionsrändern“ möglich und somit das operativ-onkologische Ziel weiterhin erreichbar. Grundregeln für Biopsien bei Verdacht auf einen malignen Knochentumor Das oberste Gebot lautet: Vermeidung einer größeren Kontamination der gesunden Umgebung, denn es könnte sich ergeben, dass es sich doch um ein Malignom handelt, das zur Nachresektion zwingt. Werden also auch bei benignen Läsionen die allgemeinen Kriterien eingehalten, kann eine Nachresektion ohne große Probleme ablaufen. 1. Präoperativ ist in einer interdisziplinären Besprechung zwischen Radiologen, Pathologen und Operateur anhand der Bildgebung (meist Röntgen und Magnetresonanztomografie) das Tumorareal zu definieren, das die größte Wahrscheinlichkeit bzw. höchste Trefferquote besitzt, um repräsentatives, möglichst nicht ossifiziertes und nicht nekrotisches Gewebe zu gewinnen. 2. Bei der Operation kann eine Blutsperre fakultativ angelegt werden. Eine Blutleere verbietet sich, da das notwendige Auswickeln der Extremität zum verstärkten Auspressen von Tumorzellen führen kann. Eine Blutsperre sollte vor Wundverschluss geöffnet werden, um etwaige Blutungen suffizient versorgen zu können und um Hämatome zu vermeiden. 3. An Extremitäten sollten nur längsverlaufende Inzisionen erfolgen. Sie sollten möglichst weit distal und so lokalisiert sein, dass sie bei der späteren Resektion des Tumors im Verlauf der Inzision zur Tumorresektion liegen. Die verheilte Biopsienarbe gilt als durch Tumorzellen kontaminiert und wird mit dem Tumor zusammenhängend später reseziert. Bei Knochentumoren, die auf den Knochen begrenzt sind und keinen Weichteilanteil aufweisen, wird durch eines der Muskelkompartimente eingegangen. Eine Präparation im Spaltraum der Faszien zwischen zwei Muskelkompartimenten ist zu vermeiden. Dies unterscheidet sich deutlich von einer Präparation bei nicht tumorösen Erkrankungen. Die Präparation erfolgt direkt auf den Tumor zu, eine Präparation zur Seite ist zu vermeiden, da sie das Kontaminationsareal vergrößert. Eine Präparation nahe von Gefäßen und Nerven ist zu vermeiden, da diese – ebenso wie Faszien – als Ausbreitungsschienen für Tumorzellen gelten. Dadurch würde die Kontaminationsgefahr in der Umgebung erhöht werden. Weist eine knöcherne Läsion einen Weichteilanteil auf oder könnte es sich um ein Weichteilsarkom mit sekundärer Beteiligung des Knochens handeln, sollte aus dem extraossären Anteil bzw. aus dem nicht ossifizierten Areal die Gewebeprobe entnommen werden, soweit andere Kriterien nicht verletzt werden. 4. Eine weitere Prämisse besteht darin, vitales Tumorgewebe zu gewinnen. Da viele Tumoren eine zentrale Nekrose aufweisen, ist eine Gewebeentnahme aus meist zentral liegendem Nekroseareal zu vermeiden. Sinnvoller ist die Probenentnahme aus der Tumorperipherie, da hier die Chance, vitales Tumorgewebe zu erhalten, sehr viel größer ist. 5. Nach Entnahme von ausreichendem Gewebe erfolgt bei offenen Biopsien eine subtile Blutstillung, gegebenenfalls zusätzlich die Einlage von Hämostyptika. Die Verwendung einer Drainage ist obligat, jedoch darf der Drainagekanal nicht zusätzlich gesundes Gewebe bzw. andere, intakte Kompartimente durchqueren und somit kontaminieren. Daher ist die Drainage aus dem Wundwinkel oder in einer Entfernung von ca. 1 cm unmittelbar in Verlängerung des Schnittes auszuleiten. 6. Der Hautverschluss hat atraumatisch mit intrakutaner Naht oder mit schmaler transkutaner Naht zu erfolgen. Breite, durchgreifende Nähte sind wegen der Kontaminationsgefahr zu vermeiden. Onkologische Welt 1/2010 © Schattauer 2010 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-19 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. J. Bruns et al.: Bioptische Sicherung von gut- und bösartigen Knochentumoren Kasuistiken Beispiel 1 Ein 74-jähriger Mann mit bekanntem Prostatakarzinom klagte seit Wochen über Kniegelenksbeschwerden rechts. Das MRT zeigte eine große Osteolyse im Bereich des distalen Femurs (씰Abb. 1a). Unter der Annahme einer Knochenmetastase des Prostatakarzinoms erfolgte andernorts ohne vorherige Inzisionsbiopsie die palliative, intraläsionale Stabilisierung mittels Verbundosteosynthese (씰Abb. 1b). Die histopathologische Untersuchung ergab überraschenderweise die Diagnose eines malignen, fibrösen Histiozytoms des Femurs. Daraufhin erfolgte zunächst die neoadjuvante Chemotherapie. Da glücklicherweise nach der Erstoperation die Kontamination der Umgebung gering war, war eine weite Resektion mit Implantation eines distalen Femurteilersatzes möglich (씰Abb. 1c–d = intraoperativer Situs; 씰Abb. 1f, 씰Abb. 1g = postoperatives Röntgenbild). Beispiel 2 Ein 65-jähriger Mann klagte seit mehreren Wochen über Schmerzen und Schwellung im mittleren Oberschenkel. Die bildgebende Diagnostik ergab einen großen diaphy- c) a) d) e) g) f) b) Abb. 1 MRT (sagittale Ebene) mit Darstellung einer Osteolyse im distalen Femur (a); Röntgenbild mit Verbundosteosynthese (b); präoperative Situation mit eingezeichnetem Resektionsbereich unter Mitnahme der Austrittsstelle der Drainage (c); intraoperativer Situs: Die alte Inzisionsnarbe wird komplett und am Resektat anhaftend reseziert (d); Situs nach Resektion und Implantation eines distalen Femurteilersatzes (Modell MUTARS®, Fa. Implantcast, Buxtehude) (e); postoperative Röntgenaufnahmen (f, g) © Schattauer 2010 Onkologische Welt 1/2010 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-19 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 41 42 J. Bruns et al.: Bioptische Sicherung von gut- und bösartigen Knochentumoren a) b) c) d) Abb. 2 MRT (koronale Ebene) eines dedifferenzierten Chondrosarkoms mit den zwei Komponenten (die Pfeile markieren den dedifferenzierten Anteil) (a); transversales MRT-Bild: zu erkennen ist der große extraossäre Anteil (b); Röntgenbild der pathologischen Fraktur: kurzer Pfeil = chondroide Tumorkomponente; langer Pfeil: dedifferenzierte Komponente (c); postoperatives Röntgenbild nach „weiter Resektion“ und Stumpfaufbauplastik (Modell MUTARS®, Fa. Implantcast, Buxtehude) (d) sär lokalisierten Knochentumor des Femurs mit einem großen extraossären Tumoranteil. Das MRT-Bild zeigt zwei Komponenten des Tumors, einen chondroiden Anteil sowie einen nicht chondroiden Anteil (씰Abb. 2a, 씰Abb. 2b) Die Pfeile kennzeichnen den nicht chondroiden extraossären Tumoranteil. Nach interdisziplinärer Besprechung erfolgte unter der Verdachtsdiagnose „dedifferenziertes Chondrosarkom“ trotz pathologischer Fraktur (씰Abb. 2c [die Pfeile kennzeichnen den nicht chondroiden – langer Pfeil – und den chondroiden intramedullären Tumoranteil – kurzer Pfeil]) zunächst die Inzisionsbiopsie aus dem nicht chondroiden extraossären Tumoranteil. Die Verdachtsdiagnose wurde bestätigt. Daraufhin erfolgte aufgrund der Weichteilbeteiligung und der prospektiv mangelnden Weichteildeckung einer möglichen Tumorendoprothese eine weite Tumorresektion im Sinne der Hüftexartikulation und anschließender Stumpfaufbau- plastik (씰Abb. 2d). Damit war eine bessere Prothesenversorgung möglich als nach einer Hüftexartikulation. Diskussion Anders als Karzinome sind muskuloskelettale Sarkome selten und stellen für den nicht onkologisch tätigen erstbehandelnden Arzt außerhalb eines Tumorzentrums eine Rarität dar (7). Dies gilt für Knochenund Weichteilsarkome. In beiden Fällen sind benigne Läsionen etwa hundertmal häufiger als maligne (1, 2). Das mag der Grund dafür sein, dass das korrekte Prozedere einer Biopsie häufig nicht eingehalten wird. Schon 1982 hatten Mankin et al. (25) berichtet, dass die Komplikationsrate von Biopsien bei Tumoren des Muskel-Skelett-Apparates bei Institutionen, die keine Tumorzentren darstellten, signifikant höher lag als in Tumorzentren. Erschreckend war die Erfahrung, dass trotz intensiver Aufklärung über die Gefahren einer insuffizienten Biopsie der gleiche Erstautor 14 Jahre später (25, 26) nach einer erneuten Analyse feststellen musste, dass sich keine signifikante Änderung hinsichtlich der Komplikationsrate ergeben hatte: Weiterhin unterschieden sich die Komplikationsraten und Fehler signifikant: Biopsien, durchgeführt in zuweisenden, nicht spezialisierten Institutionen, wiesen trotz zahlreicher Aufklärungskampagnen abermals eine zwei- bis zwölfmal höhere Fehlerquote auf als diejenigen, die an einem Zentrum erfolgten. Aufgrund der unspezifischen Symptomatik muskuloskelettaler Tumoren besteht die wichtigste diagnostische Maßnahme darin, überhaupt an das Vorliegen eines malignen Tumors zu denken. Besteht der Verdacht auf ein malignes oder in seiner Dignität unklares Tumorleiden, sollte noch vor einer Biopsie ein Tumorzentrum konsultiert werden. Diverse Untersuchungen haben gezeigt, dass die Entwicklung von diagnostischen und therapeutischen Strategien in einem spezialisierten Tumorzentrum mit interdisziplinärem Vorgehen die Behandlungsergebnisse deutlich verbessert (7, 25, 26). Welche Form der Inzisionsbiopsie gewählt wird, hängt u. a. von der Erfahrung der einzelnen Zentren ab. Die offene Biopsie gilt als „Goldstandard“ (7). Mehrere Untersuchungen über die Wertigkeit von Biopsien am Muskel-Skelett-Apparat, die leider aufgrund der unterschiedlichen Nomenklatur nicht direkt vergleichbar sind, unterschiedliche Rahmenbedingungen aufweisen und meist Weichteil- und Knochentumoren gleichzeitig untersuchten, haben aus verschiedenen Tumorzentren Folgendes gezeigt: Mit einer „needle-core“Biopsie kann in 87 % der Fälle eine adäquate Histologie gewonnen werden. Dabei betrug die Treffsicherheit 81,1 %. Zu 100 % konnten benigne von malignen Läsionen unterschieden und eine spezifische Diagnose gestellt werden (27). Bei 56 Knochenläsionen zeigte sich 1999 eine „accuracy“ von 73 % und eine „effectiveness“ von 75 % (31). Biopsien unter CT-Kontrolle mit einer Jamshidi-Nadel ergaben bei 91 Knochentumoren, dass in 100 % der Fälle gutartige von bösartigen Läsionen unterschieden werden konnten und eine „accuracy“ von 85 % er- Onkologische Welt 1/2010 © Schattauer 2010 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-19 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. J. Bruns et al.: Bioptische Sicherung von gut- und bösartigen Knochentumoren zielt wurde (28). Bei 110 Knochenläsionen fanden Puri et al. 2006 (32) einen „diagnostischen Gehalt“ von 81,03 % sowie „accuracy“ von 95,74 %. Bei 253 Knochenbiopsien unter CT-Kontrolle, die mit den Ergebnissen von Weichteilprozessen verglichen wurden, ergab sich am Knochen eine geringere Treffsicherheit (68 %) als bei Weichteiltumoren (79 %). Die Treffsicherheit war abhängig von der Entität: Sie betrug bei Chondrosarkomen 95 %, bei Ewing-Sarkomen 94 %, bei Metastasen 88 %, bei Osteosarkomen 87 % und bei benignen Knochentumoren 81 %. Zudem war die Treffsicherheit von der anatomischen Lage des Tumors abhängig: Tu- Fazit für die Praxis Maligne Primärtumoren des Knochens stellen seltene Entitäten des Muskel-SkelettApparates dar. Ihre Symptome sind nicht richtungsweisend. Für den Erstbehandelnden ist es daher wichtig, überhaupt an die Möglichkeit zu denken, dass es sich um ein Sarkom des Knochens handeln könnte. Die bildgebende Diagnostik mittels Röntgenbild und Magnetresonanztomografie stellt nicht invasiv die wichtigste Methode bzw. die Methode der Wahl dar. Eine Sonografie ist nicht ausreichend. Die Inzisionsbiopsie stellt bei hohem Malignitätsverdacht bzw. unklaren Prozessen die Methode der Wahl dar. Die offene Biopsie gilt als Goldstandard. Stanzbiopsien (Needlecore-Biopsie) weisen eine gleich gute Verlässlichkeit auf. Biopsien sind nach standardisierten Kriterien durchzuführen, um Komplikationsraten gering zu halten. Eine Exzisionsbiopsie, bei der der Tumor komplett entfernt wird, ist nur bei kleinen, oberflächlich liegenden Tumoren bzw. bei zystischen Läsionen bzw. geringem Malignitätsverdacht indiziert. Auch bei Exzisionsbiopsien sind die genannten Kriterien weitgehend einzuhalten, um im Fall eines malignen Geschehens die Nachresektion im Gesunden ohne wesentliche onkologische Einbußen durchführen zu können. Komplikationsraten von Biopsien in einem Tumorzentrum sind wesentlich geringer als an nicht spezialisierten Institutionen. Dementsprechend wird empfohlen, vor einer Biopsie derartige Zentren zu kontaktieren und den Patienten vor der Biopsie dorthin zu überweisen. moren an der Wirbelsäule (61 %) wiesen gegenüber einer Lokalisation außerhalb der Wirbelsäule (75 %) eine geringe Trefferquote auf, Beckentumoren dagegen eine höhere als Tumoren, die nicht am Becken lokalisiert waren (30). Biopsien, die unter MRT-Kontrolle erfolgten, ergaben am Knochen einen „diagnostischen Gehalt“ von 95 %, eine Sensitivität von 92 % sowie eine Spezifität von 100 %. Der positive Vorhersagewert lag bei 100 %, der negative bei 86 %. Somit waren alle beschriebenen Kriterien besser als bei Weichteiltumoren (33). Ähnliche Ergebnisse werden mittlerweile auch über Biopsien berichtet, die mittels Navigationstechniken erfolgen (34). Literatur 1. Delling G. Diagnostik von Knochentumoren. Verh Dtsch Ges Path 1998; 82: 121–132. 2. Freyschmidt J, Ostertag H, Jundt G. Knochentumoren. Klinik, Radiologie, Pathologie. Berlin, Heidelberg, New York, Hongkong, London, Mailand, Paris, Tokio: Springer 2003. 3. Bielack SS, Kempf-Bielack B, Delling G et al. Prognostic factors in high-grade osteosarcoma of the extremities or trunk: an analysis of 1,702 patients treated on neoadjuvant cooperative osteosarcoma study group protocols. J Clin Oncol 2002; 20: 776–790. 4. Gebert C, Hardes J, Hoffmann C et al. 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Comprehensive Cancer Centers als interdisziplinäre, die Grundlagenwissenschaften einbeziehende Kompetenzzentren für Krebserkrankungen erweitern das Aufgabenspektrum der klassischen Tumorzentren. Aktuelle Probleme betreffen ihre nachhaltige Finanzierung (vor allem im Bereich der Patientenversorgung), die noch unzureichende wissenschaftliche Evaluation, die potenziell größer werdende Kluft der Patientenversorgung in Zentren und in der Fläche sowie die unklare Positionierung der Forschung zwischen öffentlichen und kommerziellen Interessen. Ein Fach-Symposium in Berlin gab aktuelle Einblicke in die Arbeit einiger Spitzenzentren. Prof. Michael Hallek vom Centrum für Integrierte Onkologie Köln-Bonn (CIO) berichtete von seinen Erfahrungen mit der 2008 gegründeten Einrichtung. In dem Verbund der Unikliniken Köln und Bonn arbeiten alle an der Diagnostik, Behandlung und Betreuung von Krebspatienten beteiligten Kliniken und Institute am Universitätsklinikum Köln zusammen. Das Ziel, so Hallek, ist die konsequente Verbesserung der Behandlung und Betreuung der Betroffenen. Bei der Schaffung des Zentrums wurde auf die Optimierung der interdisziplinären Zusammenarbeit der klinischen Fächer, eine umfassende psychoonkologische Patientenbetreuung und eine enge Verzahnung der klinischen Versorgung mit der Grundlagenforschung und der klinischen Forschung Wert gelegt. Wie bei anderen CCCs sollen in Köln-Bonn wissenschaftliche Innovationen schnell klinisch umgesetzt werden. Diesem Ziel dient ein großes Angebot klinischer Studien zur Evaluation neuer Therapieansätze und die ständige Aktualisierung der interdisziplinären CIO-Leitlinien. Das CIO baut aktive Partnerschaften mit außeruniversitären Partnern – niedergelassenen Ärzten und Kliniken – auf, um möglichst vielen Patienten eine optimale sektorübergreifende und heimatnahe Versorgung zu ermöglichen. Zentral integriert sind auch Patientenvertretungen und Selbsthilfegruppen. Hallek machte auf einen Aspekt besonders aufmerksam: „Die Kommunkationsbarrieren, die im deutschen Gesundheitswesen so überaus bestimmend sind, können durch den interdisziplinären Charakter von CCCs und ihre enge interne und externe Vernetzung wirksam überwunden werden“. Deshalb sei nicht nur ei- ne strukturelle Integration der beteiligten Einrichtungen wichtig, sondern auch ihre räumliche Zusammenlegung wie im CIO. Dies unterstützt nicht nur die Interdisziplinarität, sondern erspart auch den Patienten weite Wege. Eine der patientenbezogenen Neuerungen am CIO sind „Patienten-Lotsen“. Dies sind erfahrene Krankenschwestern, die die Patienten kontinuierlich begleiten und bei Kommunikationsproblemen als Mittler fungieren. Auch die enge Einbindung komplementärer Unterstützungsmöglichkeiten am CIO, etwa aus der Psychoonkologie oder Sportmedizin verbessert die Versorgungsqualität nachhaltig. Ob sich dies in einer Verbesserung des Outcomes auszahlt, kann heute noch nicht gesagt werden. Größere Unabhängigkeit in der klinischen Forschung Angesichts der Hauptaufgabe von CCCs, nämlich wesentlich zum wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn in der Onkologie beizutragen, forderte Hallek – unter Beifall – neue Strukturen für eine interessensunabhängige klinische Forschung, bei der nicht nur singuläre Zielgrößen wie „Zunahme des progressionsfreien Intervalls“ im Vordergrund stehen, sondern Parameter einer ganzheitlich-integrativen Onkologie (Lebensqualität, Empowerment). Die Möglichkeiten der modernen Krebsmedizin hätten aus der früher meist finalen Diagnose Krebs eine oft chronische Krankheit gemacht. Dr. Bernhard Sperker von der Deutschen Krebshilfe, Bonn, betonte , wie wichtig qualitativ hochwertig arbeitende CCCs auch aus Sicht Erster Lehrstuhl für „Präventive Onkologie“ Prof. Christof von Kalle vom Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen Heidelberg (NCT) betonte in seiner Darstellung des noch jungen CCCs den Aspekt der translationalen Forschung, der bei der Vielzahl großer und renommierter Einrichtungen in Heidelberg offenkundig sei. Damit ist Heidelberg in einigen onkologischen Forschungsbereichen weltweit führend. Angesichts der steigenden Anzahl von Krebspatienten kommt nicht nur der Therapie oder Nachsorge eine wichtige Rolle zu, sondern auch der Vorbeugung. In Heidelberg wurde dafür der erste deutsche Lehrstuhl für „Präventive Onkologie“ eingerichtet. Neben vielen anderen Projekten werden am NCT eine Gewebe-Datenbank und ein eigenes klinisches Krebsregister eingerichtet. Die Zusammenarbeit mit ambulant tätigen Onkologen findet auf Augenhöhe statt, wobei Verträge mit bislang 15 Praxen das Prozedere genau regeln – einschließlich Rücküberweisung und Einbeziehung in Therapieentscheidungen. Wesentliche Fragen zur Finanzierung des CCCs sind jedoch auch in Heidelberg noch unklar. Hallek forderte eindrücklich, dass „die CCCs nicht an der sektoralen Versorgung in Deutschland scheitern dürfen“. seiner Organisation seien. Nicht zuletzt Evaluationen zur Qualität deutscher Tumorzentren durch die Krebshilfe hätten wesentlich dazu beigetragen, damals festgestellte Versorgungsdefizite deutlich zu reduzieren. Zudem seien Standards für onkologische Spitzenzentren etabliert worden, einschließlich gezielter Förderprogramme für derzeit zehn Zentren. Die meisten Vertreter dieser Zentren bewerteten die Auswirkungen dieser Programme als „extrem wirkungsvoll“ – viele Projekte zur Förderung translationaler Forschung, Interdisziplinarität und verstärkten Patienten-Orientierung hätten ohne die Unterstützung der Deutschen Krebshilfe nicht durchgeführt werden können. Rainer Bubenzer, Berlin Quelle: Tagung „Aktuelle Trends und Paradigmenwechsel in der onkologischen Therapie“ am 13.–14. November 2009, Berlin; Veranstalter: Paul Martini-Stiftung, Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina, Berlin Onkologische Welt 1/2010 © Schattauer 2010 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-19 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Forum Supportivtherapie 45 Invasive Mykosen bei Tumorpatienten Frühzeitiges und gezieltes Handeln verbessert Überlebenschancen Invasive Pilzinfektionen sind eine der Hauptursachen erhöhter Morbidität und Letalität von Tumorpatienten mit einer Remissions-induzierenden Chemotherapie. Der frühe Einsatz von Antimykotika ist zwingend, um die Überlebenschancen der von Pilzinfektionen betroffenen Patienten zu verbessern. Wir sprachen mit Prof. Oliver Cornely über seine Erfahrungen an der Kölner Universitätsklinik. ? Bei welchen Tumorpatienten ist eine Prophylaxe invasiver Mykosen angezeigt? Cornely: Die Mehrzahl der invasiven Pilzinfektionen wird durch Aspergillus und Candida hervorgerufen. Besonders gefähr- Gute Erfahrungen mit Posaconazol Von großer Bedeutung ist der Einsatz von Posaconazol (Noxafil®) in der Salvage-Therapie bei invasiven Aspergillosen, wo es in der aktualisierten AGIHO-Leitlinie mit dem Evidenzgrad A II empfohlen wird (1). Darüber hinaus empfiehlt die aktuelle AGIHO-Prophylaxe-Leitlinie die vorbeugende Anwendung von Posaconazol, wenn Patienten mit bestimmten hämatologischen Tumoren während der Krebstherapie ein besonders hohes Risiko für Pilzinfektionen haben (Evidenzgrad A I) (2). Die gute Wirksamkeit und Verträglichkeit von Posaconazol bestätigte sich auch in einer offenen Beobachtungsstudie mit 214 Patienten, die Posaconazol für die Therapie oder Prophylaxe einer invasiven Mykose erhalten hatten (3). Während der Behandlung wurden bei der Hälfte der Patienten unerwünschte Ereignisse (AE) verschiedener Schweregrade registriert, jedoch standen nur 18 % der AE in einem möglichen kausalen Zusammenhang mit der Einnahme des Antimykotikums. Es traten keine durch Posaconazol verursachten Todesfälle auf. 86 von 89 im Langzeit-Follow-up (sechs Monate) erfasste Patienten mit invasiver Mykose (Gesamtkohorte: n = 126) hatten komplett (n = 65) oder teilweise (n = 21) auf die Therapie angesprochen. det sind Patienten mit akuten Leukämien sowie Patienten nach Stammzelltransplantation. Sie entwickeln am häufigsten Aspergillosen, gefolgt von Candida-Infektionen und Zygomykosen. Zurzeit ist eine medikamentöse Prophylaxe die beste Wahl für neutropenische AML-Patienten in der Remissionsinduktion und für KMT-Patienten mit Graft-versus-Host-Erkrankung. Posaconazol in der Dosierung 3 x 200 mg bzw. 3 x 5 ml ist aufgrund überzeugender Phase-III-Studien für diese beiden Prophylaxen die erste Wahl. ? Welche Erfahrungen haben Sie mit der Prophylaxe an der Uniklinik in Köln gemacht? Cornely: Wir versuchen in der „Kölner Neutropeniekohorte“ nachzuvollziehen, ob die Prophylaxe-Daten aus den erwähnten Studien auf unser Zentrum übertragbar sind. Hier wird seit Januar 2006 prophylaktisch Posaconazol bei AML- und MDS-Patienten während der Induktionstherapie eingesetzt. Ein Vergleich zwischen 77 Patienten, die von 2006 bis 2008 das Azol präventiv erhalten hatten, und 82 Patienten aus den Jahren 2003 bis 2005 ohne systemisch wirksame Prophylaxe, erbrachte eine signifikante Reduktion invasiver Mykosen. Gemäß den EORTC/MSG-Kriterien gesicherte oder wahrscheinliche Pilzinfektionen wurden heute bei 4 % bzw. seinerzeit bei fast 20 % der Patienten festgestellt. Auch hatten die Patienten in der Posaconazol-Gruppe im Durchschnitt weniger Fiebertage. ? Wie schnitt Posaconazol hinsichtlich der Verträglichkeit ab? Cornely: Sie beziehen sich auf die PhaseIII-Studien? Die Verträglichkeit von Posa- Prof. Oliver Cornely, Köln conazol entsprach dort der von Fluconazol. Es ist für die Beurteilung der Sicherheit und Verträglichkeit vor allem die doppelblinde Ullmann-Studie relevant. Sie zeigte bei GvHD-Patienten keine Unterschiede für diese Zielparameter. ? Wenn es doch einmal zu einer Infektion gekommen ist, welche Therapiemöglichkeiten gibt es und wie gehen Sie vor? Cornely: In unserer Neutropeniekohorte haben wir in den Jahren 2006 bis 2008 Aspergillosen nur bei drei Patienten mit Erstinduktion diagnostiziert. Und das auf dem Hintergrund eines intensiven diagnostischen Screenings. Aber auch für solche seltenen Ereignisse braucht man einen vorab festgelegten Plan. Wir wechseln bei diesen Patienten auf jeden Fall die Antimykotika-Klasse. Die Therapieentscheidung hängt aber von mehreren Faktoren ab. Besteht beispielsweise eine reduzierte Nierenfunktion, dann wird eher Caspofungin gewählt. Hat der Patient noch eine längere Neutropeniephase durchzustehen, dann neige ich eher zu liposomalem Amphotericin B. Es handelt sich um eine schwierige klinische Frage, die sich glücklicherweise selten stellt. Das Interview führte Natalie Fiebig, Köln Literatur 1. Böhme A et al. Ann Hematol 2009; 88(2): 97–110. 2. Cornely OA et al. Haematologica 2009; 94(1): 113–122. 3. Data on File, Essex Pharma. Dieser Beitrag entstand mit freundlicher Unterstützung der Essex Pharma GmbH, München. © Schattauer 2010 Onkologische Welt 1/2010 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-19 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Aus Forschung und Industrie 46 Fortgeschrittenes Nierenzellkarzinom Siegeszug der zielgerichteten Therapien Vor wenigen Jahren konnte man als Onkologe seinen Patienten mit fortgeschrittenem Nierenzellkarzinom (mRCC) kaum eine wirksame Therapie anbieten. Das hat sich innerhalb kurzer Zeit grundlegend geändert: Nachdem mittlerweile mehrere wirksame Medikamente zur Verfügung stehen, geht es darum, Kriterien für die Differenzialtherapie beim einzelnen Patienten zu erarbeiten. Bis vor wenigen Jahren war die Zytokintherapie (Interferon alpha oder Interleukin 2) die einzig effektive Option. Beide Immuntherapien sind mit erheblichen Toxizitäten verbunden und zeigten ihre Wirksamkeit nur bei einem kleinen Prozentsatz hochselektionierter Patienten. Zunehmende Erkenntnisse über Biologie und Genetik der RCC haben zur Entwicklung neuer gezielter Therapien geführt. Nach zwei Jahrzehnten Stillstand in der Erforschung neuer Behandlungsmöglichkeiten des RCC wurden in kurzer Folge vier neue Substanzen zur Behandlung des mRCC registriert: Sorafenib, Sunitinib, Temsirolimus und Bevacizumab. Mit Everolimus ist ein weiterer THI in den USA und in der Schweiz als Second-Line-Therapie nach Vortherapie mit einem Tyrosinkinaseinhibitor (TKI) zugelassen. Unter Sunitinib konnte laut Prof. Kurt Miller, Berlin, beim mRCC in einer Phase-III-Studie mit 750 Patienten das Gesamtüberleben auf 26,4 Monate und das progressionsfreie Überleben (PFS) auf 11 Monate gesteigert werden und war damit der Therapie mit Interferon-α (OS: 21,8 Monate; PFS: 5 Monate) signifikant überlegen. Sunitinib ist für Miller entsprechend den NCCN- und ASCO-Guidelines die Therapie der ersten Wahl bei niedrigem bis mittleren Progressionsrisiko. Die Berechtigung für eine Therapie- Progressionslinie gruppe (Anteil der Patienten) Therapie Alternative der 1. Wahl Therapieoptionen 1st Line niedriges Risiko mittleres Risiko (80–90 %) Sunitinib hohes Risiko (10–20 %) Temsirolimus Sunitinib 2nd Line Interferon-α + Bevacizumab Zytokintherapie (ausgewählte Patienten) Neue Chancen auch für die Metastasenchirurgie Die Metastasenchirurgie bleibt trotz der guten Ergebnisse der zielgerichteten Therapeutika ein integraler Bestandteil der interdisziplinären Therapie des mRCC, erklärte Prof. Lothar Bergmann, Frankfurt/Main. Damit sollte, wo immer es möglich ist, eine Tumorexzision durchgeführt werden, da das Gesamtüberleben dadurch verbessert wird. Die medikamentöse Verkleinerung des Tumors bietet auch für den Chirurgen neue Möglichkeiten. Die zielgerichteten Therapeutika besitzen im Vergleich zu den etablierten Chemotherapien ein eigenes Sicherheits- und Verträglichkeitsprofil. In der Zulassungsstudie zeigte sich Sunitinib hinsichtlich der Lebensqualität, die mittels mehrerer validierter Scores prospektiv erhoben wurde, durchgehend überlegen gegenüber IFN-α. Dies galt auch in Bezug auf die mit dem FKSI-DRS-Score erfasste nierenkrebsspezifische Lebensqualität (FKSI-DRS = Functional Assessment of Cancer therapy – Kidney Symptom Index – Disease-Related Symptoms). Zum Management der Nebenwirkungen der Behandlung mit Sunitinib wurde eine spezielle Broschüre entworfen, die über den Hersteller bezogen werden kann. Dr. Alexander Kretzschmar, München Zytokinvortherapie Sorafenib VEGF-Vortherapie Tab. 1 Therapiealgorithmus beim fortgeschrittenen Nierenzellkarzinom Monotherapie mit Interferon-α ist nur noch für streng selektierte Patienten gegeben. Bei Patienten mit einer schlechten Prognose nach MSKCC ist hingegen Temsirolimus das Mittel der Wahl (씰Tab. 1). In der Zukunft wird es auch darum gehen, so Miller, herauszufinden, welche Reihenfolge oder Kombination die besten Ergebnisse erzielt werden. Sunitinib Everolimus*, Axitinib*/Studien Sorafenib *bisher keine Zulassung bei mRCC Neue S3-Leitlinie „Lungenkarzinom“ Die neue S3-Leitlinie „Lungenkarzinom“ der Deutschen Krebsgesellschaft soll im Februar 2010 in Druckform vorliegen. Die S3-Leitlinie soll die flächendeckende Umsetzung einer multidisziplinären und qualitätsgesicherten Therapie von Lungenkarzinomen ermöglichen. Quelle: Post-ASCO-Pressegespräch „Neue Datenlage zur RCC-Therapie ASCO 2009: Experten diskutieren die Implikationen für den klinischen Alltag“ am 1. Juli 2009, Berlin; Veranstalter: Pfizer Pharma GmbH, Berlin Zwischenzeitlich hat auch eine Arbeitsgruppe zur Etablierung einer S3-Leitlinie „Malignes Mesotheliom“ ihre Arbeit aufgenommen. Onkologische Welt 1/2010 © Schattauer 2010 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-19 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Aus Forschung und Industrie 47 First- und Second-Line-Therapie des NSCLC Aktuelle und künftige Standards In der Second-Line-Therapie des fortgeschrittenen nicht kleinzelligen Lungenkarzinoms (NSCLC) können heute Dank der gestiegenen Zahl von Behandlungsoptionen individuelle Patientenwünsche und Krankheitsfaktoren stärker berücksichtigt werden. Therapieoption der ersten Wahl bleibt derzeit eine Monotherapie mit Docetaxel (Taxotere®), meinte Prof. Martin Wolf, Kassel, auf einer Pressekonferenz. Auch in der First-Line-Therapie sind heute Docetaxel-haltige Chemotherapien in dem Therapiealgorithmus etabliert. Beim NSCLC wurde der Einsatz einer SecondLine-Therapie bei Progression nach der FirstLine-Chemotherapie mangels therapeutischer Optionen lange kontrovers diskutiert. Kandidaten für eine Second-Line-Therapie sind heute grundsätzlich Patienten in gutem Allgemeinzustand mit radiologisch nachgewiesenem Progress und ohne wesentliche Toxizitäten nach der vorangegangenen Therapie. Ein therapeutischer Durchbruch erfolgte erst vor rund zehn Jahren durch Docetaxel, das in der TAX317– und TAX320-Studie eine verlängerte Überlebenszeit gegenüber Best Supportive Care sowie Ifosfamid oder Vinorelbin nachweisen konnte. Heute ist für die in dieser Indikation zugelassenen Substanzen eine Überlebensverlängerung nachgewiesen – eine Situation, die vor nicht allzu langer Zeit kaum vorstellbar war, so Wolf. Als Selektionskriterium gewinnt neben der Frage nach der Vortherapie vor allem die Tumorhistologie und EGFR-Mutationen an Bedeutung. Da Pemetrexet beim Plattenepithelkarzinom – anders als beim Nichtplattenepithelkarzinom – keinen Vorteil bietet, bleibt hier die Wahl zwischen Docetaxel und einem EGFRTyrosinkinase-Inhibitor (TKI). Unter Wirksamkeitsaspekten ist jedoch Docetaxel für Wolf die Behandlungsoption der ersten Wahl. „Bislang war keine Substanz in der Second-Line-Therapie Docetaxel überlegen“, so sein Fazit. Dank dieser Auswahl lassen sich nicht nur individuelle Patientenwünsche besser erfüllen. Auch krankheits- und therapiebezogene Fakto- Neue Therapieoption bei allen moderat emetogenen Chemotherapien Übelkeit und Erbrechen gegenüber Standardantiemese reduziert Onkologische Patienten profitieren auch bei nicht auf Anthrazyklin/Cyclophosphamidbasierenden moderat emetogenen Chemotherapien von der Zugabe des Neurokinin1-Rezeptorantagonisten Aprepitant (Emend®) zur antiemetischen Standardprophylaxe bestehend aus einem 5-HT3-Rezeptorantagonisten und Dexamethason. Eine Anpassung der Leitlinien nach entsprechenden Studiendaten wird erwartet. Laut Dr. Karin Jordan, Halle, wird in den aktuellen Leitlinien der Multinationalen Gesellschaft zur supportiven Betreuung bei Krebspatienten (MASCC) und der Europäischen Gesellschaft für Medizinische Onkologie (ESMO) Aprepitant bei hoch emetogenen Chemotherapien ein fester Platz zur Prophylaxe sowohl des akuten wie auch des verzögerten Erbrechens eingeräumt. Bei moderat emetogenen Chemotherapien gibt es in den genannten Leitlinien ren – Komorbiditäten, residuale Toxizitäten (Niere, Neuropathie), Applikationsfrequenz oder persönliche Ängste und Unverträglichkeiten (Nadeln, Haarausfall, Hautausschlag, Verdauung) müssen in die Medikamentenwahl einbezogen werden. Nichtraucher profitieren am meisten von einer Second-Line-Therapie. Docetaxel-haltige Chemotherapieregime mit Cisplatin, Carboplatin oder Gemcitabin haben sich inzwischen auch als effektive FirstLine-Therapie etabliert, so Prof. Rudolf Huber, München. Vergleichsstudien zeigen für Docetaxel-haltige Regime gegenüber Vinorelbin/Cisplatin eine signifikante Überlegenheit im Hinblick auf das Gesamtüberleben bei gleichzeitig besserer Verträglichkeit, unabhängig vom Alter der Patienten. Zahlreiche Studien beschäftigen sich derzeit mit der Frage, welchen (Überlebens-)Vorteil die neuen zielgerichteten Substanzen als Monotherapie oder in Kombination mit einer Chemotherapie bringen. Der aktuelle Therapiealgorithmus orientiert sich hier laut Huber derzeit am EGFR-Status, dem klinischen Allgemeinzustand des Patienten und der Tumorhistologie. Dr. Alexander Kretzschmar, München Quelle: Pressekonferenz „10 Jahre Taxotere® beim NSCLC – etablierter Standard in der First- und SecondLine-Therapie“ am 10. November 2009, München; Veranstalter: Sanofi-Aventis Deutschland GmbH, Frankfurt eine Empfehlung von Aprepitant bislang nur im Falle Anthrazyklin/Cyclophosphamid(AC)-basierter Regime. Inzwischen liegen jedoch Studienergebnisse vor, die für den Einsatz von Aprepitant auch bei nicht AC-haltigen moderat emetogenen Chemotherapien sprechen, so Jordan. In einer placebokontrollierte Doppelblindstudie erhielten 848 Brustkrebs-Patienten eine moderat emetogene Chemotherapie mit unterschiedlichen Substanzen, in 52 % der Fälle jedoch kein AC-haltiges Regime. Wirksam auch bei AC-haltigen Regimen 418 Patienten erhielten mit Beginn der Chemotherapie zur Antiemese 16 mg/d Ondansetron an Tag 1–2 sowie Dexamethason an Tag 1. Die © Schattauer 2010 Onkologische Welt 1/2010 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-19 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Aus Forschung und Industrie 48 andere Gruppe bekam zusätzlich 125 mg Aprepitant an Tag 1 sowie 80 mg Aprepitant an Tag 2–3. Den primären Endpunkt – definiert als keine Emesis in den ersten fünf Tagen nach Beginn der Chemotherapie – erreichten in der Aprepitant-Gruppe 76 vs. 62 % in der Vergleichsgruppe (p < 0,01). Die Zusatzmedikation von Aprepitant war nicht nur in der akuten Phase (Tag 1: 92 vs. 84 % ohne Erbrechen), sondern auch in der verzögerten Phase (Tag 2–5: 78 vs. 67 %) signifikant überlegen. Differenziert nach AC-freien und AC-haltigen moderat emetogenen Chemotherapien, profitierten die Patienten unter AC-freien Regimen im Mittel zwar etwas schwächer, aber ebenfalls signifikant im primären Endpunkt von der zusätzlichen Gabe von Aprepitant. Jordan erwartet daher eine baldige Revision der Individualisierte NSCLC-Therapie Tumorhistologie und Biomarker weisen den Weg Wird ein nicht kleinzelliges Lungenkarzinom (NSCLC) in einem frühen, noch resektablen Stadium diagnostiziert, ist die Prognose nicht schlechter als bei anderen malignen Erkrankungen. Das ist aber nur bei einem Viertel der Erkrankten der Fall. Einen deutlichen Fortschritt in der NSCLC-Behandlung markiert in dieser Situation die zielgerichtete individualisierte Therapie in Verbindung mit einer pathohistologischen Charakterisierung des Tumors und die Bestimmung prädiktiver molekularbiologischer Marker. Früher waren NSCLC häufig Plattenepithelkarzinome. Durch die veränderten Rauchergewohnheiten mit „leichteren“ Zigaretten, die ein anderes Spektrum an Schadstoffen aufweisen, werden die Plattenepithelkarzinome immer mehr von Adenokarzinomen abgelöst. Dieser Wandel hat für die Therapie einen Vorteil gebracht, wie die Zulassungsstudie für Pemetrexed (Alimta®) in Kombination mit Cisplatin für die Erstlinientherapie des fortgeschrittenen NSCLC zeigte. Die Studie mit über 1 700 Patien- ten ergab, dass Adenokarzinome und großzellige Karzinome signifikant besser auf das Regime ansprechen als auf das Vergleichsregime aus Gemcitabin plus Cisplatin. Gegen das Plattenepithelkarzinom erwies sich Pemetrexed/ Cisplatin wenig wirksam. Prof. Martin Wolf, Kassel, erklärte diesen Unterschied dadurch, dass ein Adenokarzinom weniger Thymidylsynthase exprimiert als ein Plattenepithelkarzinom und daher der Multi-Target-Enzym-Inhibitor Pemetrexed besser wirken kann. Inzwi- MASCC/ESMO-Leitlinien mit einer Einbeziehung von Aprepitant zur Antiemese bei moderat-emetogener Chemotherapie aller Regime. Dr. Alexander Kretzschmar, München Quelle: Satellitensymposium „Neue Studiendaten und erweiterte Strategien bei der Antiemese“ am 31. Oktober 2009, München; Veranstalter: MSD Deutschland, Haar schen haben weitere klinische Studien und Erfahrungen bestätigt, dass das Regime Peremetrexed/Cisplatin einen signifikanten Überlebensvorteil gegenüber der Kombination Gemcitabin/Cisplatin beim Adenokarzinom bietet und auch deutlich besser vertragen wird. Der Pathologe Dr. Florian Länger, Hannover, berichtete über die zunehmende Bedeutung von prädiktiven Biomarkern für die individualisierte Therapie, wobei zur Zeit Mutationen des epithelialen Wachstumsfaktors (EGFR) und des K-ras-Onkogens im Vordergrund stehen. In etwa 16 % der Adenokarzinome liegt eine EGFR-Mutation vor. Diese Patienten sprechen besonders gut auf die Therapie mit Pemetrexed/Cisplatin an. Es wird eine Remissionsrate von rund 70 % erreicht. Dabei spielt es keine Rolle, ob das Regime in der Erstlinien- oder Zweitlinientherapie eingesetzt wird. Siegfried Hoc, Olching Quelle: Pressegespräch und Vernissage „Histologie und individualisierte Therapie: Reise in den Mikrokosmos der Lunge“ am 26. November 2009, Bad Homburg; Veranstalter: Lilly Deutschland GmbH, Bad Homburg Onkologische Welt 1/2010 © Schattauer 2010 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-08-19 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved.