Inhaltsübersicht: • Es wurden keine Einträge für das Inhaltsverzeichnis gefunden. ›Familie‹ im Wandel der Gesellschaft und im Spiegel der Medien | Deutsch-Türkisches Medienseminar, 6.–7. November 2014 Von Dilemmata, Humor, Zukunft & Tod | Eine Rückschau So ungewöhnlich das Thema im Vorfeld schien – denn wie sollten wir ›Westler‹ mit unserem disparaten und vielleicht sogar zerstörten Familienbegriff Parallelen zur traditionellen türkischen Familie ziehen? – umso klarer wurde im Laufe der Vorträge und Diskussionen: Wir sitzen alle im selben Boot. (Darum sei ausdrücklich noch einmal der Deutschen Botschaft in Ankara für diese Gelegenheit des Austauschs und gegenseitigen Verstehens gedankt.) Probleme, die man in Westeuropa vor 25 Jahren hatte, werden heute vielleicht in der Türkei akut. Sorgen, die sich manche fortschrittliche türkische Mitdiskutanten für ihr Land machten, sind andererseits auch in Deutschland wieder angebracht – angesichts eines zunehmend restriktiven und konservativen politischen Klimas. Der Fingerzeig aus Deutschland auf das ›Demokratiedefizit‹ anderer Staaten ist heuchlerisch, solange wir unser eigenes Haus nicht in Ordnung bringen. (Als zwei Beispiele von vielen seien nur die grundgesetzwidrige Ausspähung der Bürger und das bis heute andauernde Staatsversagen bei der Aufklärung der NSU-Morde genannt). Erlauben Sie mir, dass ich einige Aspekte des im Seminar ›Gelernten‹ herausgreife und darauf eingehe: Das gute alte Mann-Frau-Dilemma, respektive ein Aspekt davon Die traditionelle Familie scheint sich zumindest in den Ballungsgebieten vieler Länder überlebt zu haben. Obwohl sie, und das lässt sich systemtheoretisch durchrechnen, die effizienteste Form der »Produktionsgemeinschaft« von Mann und Frau ist. Die Arbeitsteilung ist und war ein probates Mittel – nicht nur in Industrie und Wirtschaft, sondern auch im Privaten: der eine Partner kümmert sich um den Broterwerb, der anderen um die häuslichen Belange – inklusive der Kindererziehung. Das führt zu weniger Leerlauf, weniger Redundanz und letztlich weniger Stress, als wenn »jeder alles macht«. Die Mehrfachbelastung, die aus dem neuen Prinzip (Alles realisieren: Karriere, Kinder, Kreativität und gelungene Partnerschaft) resultiert, war in mehreren Vorträgen Thema des Seminars, Stichwort »Vereinbarkeit«. Diese Vereinbarkeit soll die Rahmenbedingungen für ein eigentlich suboptimales Prinzip, also der nicht-arbeitsteiligen Partnerschaft von Mann und Frau verbessern (durch mehr Kinderbetreuungsmöglichkeiten, flexiblere und familienfreundlichere Berufsangebote, bessere finanzielle Unterstützung usw.). Am eigentlichen Kern des Problems kann sie jedoch nichts ändern, was sich am deutlichsten in den Geburtenraten widerspiegelt. (Geburtenziffer in Deutschland derzeit rund 1,4 – Dr. phil. Ines Iwen). Denn die Frauen reagieren auf all diese Angebote nicht mit der »Rückkehr in die Kinderzimmer, sondern mit Gebärverweigerung« (Prof. Dr. Marita Körner). Andererseits ist aus verständlichen Gründen auch ein Rückweg in das traditionelle Familienmodell versperrt … niemand darf und will ja die Frauen in ihren Entwicklungsmöglichkeiten beschneiden. Als Ausweg bleibt letztlich nur das individuelle Aushandeln eines situativen Lebensentwurfs zwischen Mann und Frau in einem bestimmten Lebensabschnitt – was natürlich viel anstrengender, und auch brüchiger und unsicherer ist, als eine feste Konvention, an die man sich hält. Folge: Mehr Trennungen, mehr Scheidungen, wiederum weniger Geburten. Echte Lösungen? Es wird gesucht ... Noch etwas anders sieht die Situation – nimmt man die Durchschnittswerte – in der Türkei aus. Beispiel: Ein Drittel der Frauen werden unterhalb des Alters von 18 Jahren verheiratet, und im Durchschnitt ist diese Gruppe sogar erst 15 Jahre alt. (Prof. Dr. Banu Ergöcmen). Um staatliche Regelungen zu unterlaufen, werden durch Imame religiöse Trauungen durchgeführt (Selma Güngör) – und dies sogar in Deutschland, mit Duldung der Behörden. Das sind natürlich in unseren Augen unhaltbare Zustände. Und es ist die »Gleichberechtigung von Frauen und Männern in allen Lebensbereichen« anzustreben (Saadet Garan), das wird jeder unterschreiben. Man muss sich nur der Kollateralschäden so einer Entwicklung bewusst sein. Die dramatischste davon ist eine einbrechende Geburtenrate. In der Türkei liegt die Geburtenziffer derzeit im Durchschnitt noch bei 2,16 (in Deutschland 1,4) (Prof. Dr. Banu Ergöcmen) Nimm´s mit Humor Nach den Varianten des Zusammenlebens von Mann und Frau kommen wir nun zu den alternativen Lebenspartnerschaften, die von manchen leider immer noch als sonderbare (und ggfls. therapiebedürftige) Abweichler gesehen werden …– und das in manchen Gegenden Bayerns (mein Bundesland) nicht weniger als in der Türkei. Schön war es zu hören, dass die Zeitschrift ›Eltern‹ sich vor einigen Jahren zur ›Inklusion‹ entschlossen hat. Lesben- oder Schwulen-Paare (bzw. alle LGBTIs – Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender/Transexual and Intersexed), werden also jetzt nicht mehr als exotische Sonderformen dargestellt und sind nicht mehr an sich schon berichtenswert. Sondern sie werden als normale Familien betrachtet, in denen sich etwas abspielt: das Kind hat ein neues Haustier, das Kind braucht Nachhilfe-Unterricht, etc. etc. (Nora Imlau). Ein bemerkenswerter Fortschritt, den ich als Nicht-Leser von ›Eltern‹ leider nicht nachprüfen kann. Am erfrischendsten fand ich den Vortrag von Sule Cylan von LISTAG, die vom Outing ihres Sohnes berichtete, und davon, dass man sie erst einmal mit ihm in die Therapie geschickt hätte, und von einem Therapeuten, der den ungemein therapeutischen und hilfreichen Spruch (Achtung, Ironie) absonderte: »Du sollst dich wie ein Mann verhalten!« . Aber Sule Ceylan berichtete auch sehr offen über ihre eigenen Vorurteile, etwa, dass sie, als sie erfuhr, ihr Sohn sei schwul, erwartete, er müsse doch nun Frauenkleider anziehen und sich schminken ... Es ist wohl schwer zu glauben, aber ich nehme an, dass es solche (aber)witzigen Vorstellungen bar jeden Wissens auch immer noch hier und da in Deutschland gibt. Auch hier hatte man am Ende aber den positiven Eindruck: Alle sitzen im selben Boot, egal im welchem Land, und für Sule Ceylan wurde die sexuelle Identität ihres Sohnes zur Normalität – genau wie das wohl den meisten deutschen Familien geht. Unsere tägliche Dosis Religion gib uns heute ... Problematisch ist für mich der Versuch von Religionen im öffentlichen Raum Platz zu greifen, sei es in der Türkei oder in Deutschland. Wenn dies türkische (islamische) Vereinigungen in Deutschland mit Verweis auf die Gleichberechtigung mit anderen Religionen tun, kann man allerdings schwer Argumente dagegen finden – etwa gegen islamischen Religionsunterricht in Schulen. Warum? Zunächst: Alle Religionen – egal wie sie heißen – haben meiner Meinung nach im offiziellen Ausbildungskontext von jungen Menschen nichts zu suchen. Religionsunterricht gehört nicht in die Schule. Wer so etwas möchte, kann sich in der Kirche, Moschee oder Synagoge (oder zu Hause) belehren lassen. Es sollte nicht Aufgabe des Staates sein, bestimmte einseitige Ideologien und Weltsichten zu fördern – weder die katholische noch die moslemische und auch sonst keine andere. Religion sollte Privatsache sein – idealerweise. Leider ist dem nicht so. Die Einflüsse (in Deutschland) der christlichen Kirchen auf die (christlichen, und auch alle anderen) Parteien sind massiv, der Staat zieht für die Kirchen Steuergelder ein und reicht sie weiter, der Staat finanziert kirchliche Ämter und alimentiert die Kirchen als »Ausgleichszahlungen« für Gebietsverluste seit Jahrhunderten. Kurzum: Wir haben in Deutschland die Trennung von Staat und Kirche bei weitem nicht geschafft, im Gegensatz etwa zu Frankreich, das hier wesentlich weiter ist. Und wenn man manche Politiker von heute so reden hört, denkt man häufig, sie sind weit rückständiger als die aufgeklärten Geister des 18. und 19. Jahrhunderts. Genau aus diesem Grund ist es schwer, neue Ansprüche des Islam in Deutschland sachlich gerechtfertigt zurückzuweisen. Und noch schlimmer: Es gibt natürlich auch Kräfte in der Katholische Kirche, die sich nur zu gerne (hätten sie nicht gerade diesen fortschrittlichen Papst) diesem willkommenen Rollback in die Vergangenheit anschließen würden. Doch weder gehört Religionsunterricht in die Schule, noch sollte der deutsche Staat eine Imam-Ausbildung fördern und finanzieren. Auch an Universitäten hat das Fach Religion im Sinne eines Glaubensbekenntnisses nichts zu suchen. Nur im Sinne vergleichender Religionswissenschaften. In der Zukunft wartet unter anderem der (hoffentlich selbstbestimmte) Tod Was wir für die Zukunft brauchen: Erstens – Akzeptanz: Sowohl die deutsche als auch die türkische Gesellschaft stehen vor enormen demographischen Herausforderungen. Die frühere ›Bevölkerungspyramide‹ wandelt sich in der Türkei zu einem Kubus, in Deutschland sogar allmählich zu einer auf den Kopf gestellten Pyramide. Die Geburtenrate in Deutschland reicht bei weitem nicht mehr zur (gleichzahligen) Reproduktion der Bevölkerung aus. Alle gegensteuernden Maßnahmen sind bislang Schall und Rauch, die Familienpolitik ›versagt durch fehlende Infrastukturförderung‹ (Prof. Dr. Gerhard Martin Naegele). Alleine schon aus diesem profanen Grunde sollten wir endlich die Chancen der Zuwanderung in Deutschland erkennen, in den Vordergrund stellen und politisch vermitteln. Zweitens – Flexibilität: Das verbreitete partitionierte Denken in Ausbildung, Erwerbstätigkeit und Ruhestand ist angesichts der neuen Herausforderungen nicht hilfreich. Bevor man aber hier neue praktikable Lebensplanungen schaffen kann, muss man zuerst einmal neue Denkansätze wagen. Eigentlich eine Aufgabe für Politik, Gewerkschaften und Arbeitgeber, die sie aber gern umgehen, weil sie sich am liebsten an das Gewohnte halten. Senioren müssen wir selbstverständlich die Möglichkeit geben, weiter zu arbeiten und ihr Wissen und ihre Erfahrungen weiter einzubringen, so lange sie dies können und wollen. Und ohne, dass allein schon der Ausblick auf Bürokratie und Steuererklärung abschreckend wirkt. Und wir müssen ihnen die Möglichkeit geben, so zu leben, wie sie wollen, sei es in Heimen, Wohngemeinschaften oder der eigenen Familie. Drittens – Entkommerzialisierung. Weder bei Heimen, Hospizen, noch bei der Sterbebegleitung darf das kommerzielle Interesse des Betreibers im Vordergrund stehen. Der Vortrag von Markus Breitscheidel hat eindrücklich die Auswüchse des Neoliberalismus in Pflegeeinrichtungen geschildert. Großen Respekt für sein Engagement und dafür, dass er 186 einstweiligen Verfügungen (!) standgehalten hat. © Armin Fischer, München, November 2014 www.allein-vaeter.de www.textundtext.de