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Interview
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Die Lippen-, Kiefer- und Gaumenspalte
aus pädagogischer Sicht
?
Frau Knolle, kommt es noch
häufig vor, dass die Begriffe
Hasenscharte und Wolfsrachen
verwendet werden? Was sagen Sie
dazu?
Die Begriffe „Hasenscharte“ oder „Wolfsrachen“ sind meines Erachtens aus dem
Sprachgebrauch verschwunden. Nur ältere Menschen verwenden diese noch, ähnlich wie bei der Bezeichnung „Mongoloismus“. Hier hat sich im Sprachgebrauch ein
sehr positiver Wandel vollzogen.
?
Was müssen Sie aus pädagogischer Sicht bei Kindern mit
LKG-Spaltfehlbildungen
besonders beachten?
Aus hörgeschädigtenpädagogischer Sicht
ist das Augenmerk darauf zu richten, eine
negative Hörbilanz zu vermeiden. Neben
der aufmerksamen Begleitung der regelmäßigen Kontrolle des aktuellen Hörstatus gehören dazu gezielte Angebote zum
Training der Hörwahrnehmung. Darüber
hinaus ist das Einwirken auf das familiäre
Umfeld des Kindes ein wichtiger Ansatz.
Es ist von großer Bedeutung, dass die Eltern / Kind-Kommunikation
auf
vorsprachlicher und sprachlicher Ebene in jeder Beziehung erhalten ist und weiter
wächst.
?
Früher wurde in der Regel
zweizeitig operiert, heute eher
einzeitig. Macht sich das Ihrer
Erfahrung nach bemerkbar und wenn
ja, wie?
Aufgrund der bei uns nur selten vorstelligen Patienten können wir aus unserer
Sicht hierzu keine Aussagen machen.
In jedem Fall ist aber die einmalige OP-Situation mit ihren notwendigen Folgen für
ein Kind und die Familie auf psychosozialer Ebene wesentlich besser zu verarbeiten.
?
Wie häufig sehen Sie assoziierte
Schluckstörungen und wie kann
man damit als Sonderpädagogin
umgehen?
Hier ist durch die Spezialisierung der Logopädinnen eine gute Zusammenarbeit
die Basis für das Gelingen besonderer Fördermaßnahmen. Insbesondere, wenn ein
Kind teilstationär oder stationär in unserer Einrichtung (Kindergarten / Internat)
aufgenommen wird, sind interdisziplinäre Fördergespräche unabdingbar.
?
Welchen Anteil nimmt bei Ihnen
die Elternberatung ein? Worauf
weisen Sie besonders hin?
Die Ausführungen zur zweiten Frage machen bereits deutlich, dass der systemische Ansatz in der Begleitung des familiären Umfeldes einen wichtigen Handlungsansatz darstellt. Die Familien bedürfen
nicht selten der Unterstützung, um die Beziehung zu ihrem Kind zu erhalten und
den für die Entwicklung notwendigen Dialog mit dem Kind führen zu können.
Auch benötigen die Eltern unter Umständen Beratung und Hilfen, um sich in dem
interdisziplinären Kontext sicher zu bewegen. Es ist bei dem hier bestehenden
Kontext stets zu beachten, psychosozialen
Folgen möglichst präventiv zu begegnen.
Das Interview führte Prof. Dr. med. Dr.
med. dent. Martin Rücker, Hannover.
Zur Person
Gabriele Knolle, Jahrgang 1954, Ausbildung
als Förderschullehrerin
mit den Fachrichtungen
Hör- und Sprachbehinderten-, Verhaltensund Lernbehindertenpädagogik, als Transaktionsanalytikerin (CTA) und MontessoriPädagogin. Sie ist Abteilungsleiterin des
Bereichs Pädagogische Audiologie,
Frühförderung und Wohnen am Landesbildungszentrum für Hörgeschädigte in Hildesheim.
Sprache · Stimme · Gehör 2012; 36
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In der Tat wissen wir aus aktuellen Studien, dass Kognition und Spracherwerb von
einer Lippen-, Kiefer- und Gaumenspaltbildung beeinflußt werden können. Damit verbunden sollen auch die Inzidenzen für Lern- und Leseschwierigkeiten zunehmen. Insbesondere gibt es Anzeichen
dafür, dass erst mit zunehmendem Alter
bei Kindern mit Lippen-, Kiefer- und Gaumenspalten Schwächen in der expressiven Sprachkompetenz auffällig werden
können. Zwar besuchen inzwischen die
meisten Kinder mit Lippen-, Kiefer- und
Gaumenspalten eine Regelschule, dennoch sollte das Angebot von spezialisierten Förderschulen im Einzelfall in Betracht gezogen werden. Daher freue ich
mich besonders, dass ich Frau Gabriele
Knolle als Förderschullehrerin für das folgende Interview gewinnen konnte.
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