Das Foto hier im Text zeigt in einer mit Ranken verzierten Glasvitrine

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Das Foto hier im Text zeigt in einer mit Ranken verzierten Glasvitrine (Höhe ohne Zieraufsatz 36 cm)
die Schnitzarbeit eines volksnahen Künstlers, welche die “Krönung Mariens” darstellt. Ich nehme an,
dass ihr Schöpfer einen Holzblock gefunden hatte, welcher ihm die Grundformen der Figurengruppe
vorgab. Der Sockel des Bildes mit den schneckenförmigen kleinen Wolken, sowie die Körper der göttlichen Gestalten und Mariens sind jedenfalls aus einem massiven Stück gearbeitet. Aus dem Wolkenhaufen schauen drei Engelsköpfchen heraus. Auf jeweils eines hat Gott der Vater und - wie es sich
gehört zu seiner Rechten - der Sohn einen Fuß gesetzt, während Maria auf dem mittleren Engelchen
kniet. Natürlich sind dem Block gesondert geschnitzte
Teile zugefügt, die Gliedmaßen, Jesu wehendes Gewand, die Weltkugel, welche Gott der Vater mit seiner
Linken auf dem Schoß hält. Der Heilige Geist schwebt
als Taube schlicht an einem gebogenen Draht über der
Gruppe.
Das kleine Werk wiederholt ein Motiv, das seit dem späten Mittelalter häufig an Kirchenportalen, in der Malerei oder als Skulptur erscheint. Ohne lange in der Kunstgeschichte zu forschen, findet man Dutzende von ähnlichen Darstellungen, wenn man bei Google das Stichwort „Marienkrönung“ eingibt. Die meisten davon haben ein ehrwürdiges Alter, viele stammen von berühmten Künstlern. Hier aber geht es um das Werk eines
Unbekannten, das, so schätze ich, im frühen 19. Jahrhundert wohl in Südbayern oder Tirol entstanden ist,
denn aus diesen Gegenden kamen die meisten Antiquitäten, die meine Eltern gesammelt hatten. Im Volksmund, oder jedenfalls bei uns, wurde ein solcher
Schrein ein "Herrgottskast'l" genannt. Das stand vielleicht in der guten Stube eines reichen Bauernhofs oder früher, als noch kein Dieb es gewagt hätte, so ein Bild zu stehlen, in einer Feldkapelle. Bei
uns zuhause habe ich das "Kast'l" schon als Kind gesehen. Nach dem Tod meiner Eltern kam es an
mich und in unserem geräumigen Haus jahrzehntelang auf einen Ehrenplatz, an dem ich es aber nicht
täglich vor mir hatte. Jetzt, nach unserem Umzug in eine Wohnung, ist es mir viel näher gerückt und
hat mich entdecken lassen, dass es auf einfache Weise die ganze Grundwahrheit des christlichen
Glaubens darstellt. Das möchte ich zu diesem Jahresanfang 2013 erläutern.
Der Aussage der kleinen Skulptur kommt man näher, wenn man sich fragt, was mit der Gestalt Mariens gemeint ist, die im Zentrum des Bildes steht. Für mich ist dabei freilich nicht entscheidend, was
der Künstler und die Menschen seiner Zeit über Maria gedacht haben. Für sie galt die Geburt Jesu
durch eine Jungfrau als biologische und historische Realität, als Wunder, das die Naturgesetze aufhob und an das man zu glauben hatte, punktum. Immerhin: eine vierte göttliche Person ist Maria
auch nach dem Schnitzwerk nicht. Sie erscheint schon von ihrer Größe her wie ein Kind in der Mitte
der Dreifaltigkeit. Das drückt aus, was man mit einem heute kaum mehr gebrauchten Ausdruck die
„Gotteskindschaft“ nennt – und die kommt uns allen zu. Die Aufnahme Mariens in den Himmel, ihre
„Krönung“, können wir also im übertragenen Sinn verstehen: die Menschheit - wir alle - sind Gottes
Kinder, sind wie Maria in Gottes Liebe aufgenommen. Auch das Wort „Kind“ ist hier freilich wieder
nur ein Bild für ein geliebtes Wesen, das von einem Vater, einer Mutter (Gottes ist beides, und auch
das wieder nur im übertragenen Sinn) gewollt und bei ihnen geborgen ist.
Ich weiß: wenn ich so von Gottes Liebe zu allen Menschen rede, dann kommt das bei vielen Zeitgenossen nur als Ausdruck meines eigenen frommen Gefühls an, das sie nicht teilen. Kann ich also genauer werden? Auch dazu gibt das Bild eine Anleitung: Beide, der Vater und der Sohn gemeinsam
halten eine kleine Krone über Maria, und nehmen sie damit feierlich in ihre eigene Beziehung zueinander auf. Dieses Aufnehmen ist nicht als singuläre Zeremonie zu verstehen, sondern als Hinweis auf
das, was wir alle erhoffen dürfen: nämlich „einst in den Himmel zu kommen“, wie wir unbeholfen sagen. Vom frommen Gefühl der Gottesliebe zum unbestimmten Ausdruck „Himmel“: konkreter ist unsere Aussage damit immer noch nicht geworden. Von Gott kann man eben nicht mit menschlichen
Begriffen reden. Schauen wir aber nochmals auf unser Bild und beachten die Weltkugel, die der Vater
auf dem Schoß hält. Dieses Halten kann uns mehr sagen, als die Gestalt mit dem traditionell bärtigen
Gesicht für sich. Er hebt die Erde und den ganzen Kosmos aus dem Nichts ins Dasein. Nicht etwa nur
durch einen Urknall (obwohl ich diesen und die nachfolgende Evolution nicht infrage stelle), sondern
immerzu. Ohne ihn wäre nichts. Aber auch von Gott als dem Urgrund des Seins kann man sich keine
Vorstellung machen, auch nicht die eines liebenden Vaters, solange man nicht auf die anderen Personen in unserem „Kast’l“ schaut.
Körperlich greifbar, halbnackt, schwer verletzt (die Seitenwunde vom Lanzenstich nach Jesu Tod ist
allerdings auf dem Foto nicht zu erkennen) und mit einem hohen Kreuz in seiner Linken fällt die Gestalt Jesu besonders auf, mit ihrem blutrot wehenden Umhang schon zumal. Ein Wesen aus Fleisch
und Blut, ein Mensch, der aber zur Rechten Gottes sitzt. Der Urgrund des Seins wird in ihm zu einem
für uns verständlichen Wort, wie der Eingang des Johannes-Evangeliums es besonders eindrücklich
sagt. Es ist dieses Wort, die Botschaft von der Liebe des Vaters, die uns „erlöst“, das heißt, die uns
den Weg zum Vertrauen auf Gott gewiesen hat. In der Zeit, als unser „Herrgottskast’l“ entstand, ging
man zwar meist von der Vorstellung aus, Jesus habe sich blutig zu Tode foltern lassen müssen, um
uns von einer kaum begreiflichen „Erbsünde“ gegenüber Gott reinzuwaschen. Viele Gläubige denken
auch heute noch so. Bei anderen aber setzt sich mehr und mehr die Erkenntnis durch, dass es die
Worte und das gesamte Leben Jesu sind, die uns „erlösen“. Sein grausamer Tod zeigt aus dieser Sicht,
dass er voll zu seiner Botschaft stand: er wurde für sie hingerichtet.
Ähnlich mutige Bekenner hat es im Lauf der Weltgeschichte viele gegeben. Edith Stein, Dietrich Bonhoeffer, Maximilian Kolbe, Oscar Romero sind - arg willkürlich - herausgegriffene Beispiele dafür aus
neuerer Zeit. Auch sie haben sich „Kronen“ verdient, genau wie Maria in unserem Bild. Es ist ihnen
aber nicht gegeben, selbst einen anderen Menschen zu krönen, so wie Jesus dies in unserem „Kast’l“
tut. Gewiss, jede(r) von uns, der ganz auf Gott vertraut, könnte an die Stelle von Maria treten. Aber
wir könnten nicht wie „Christus“ (dies jetzt der Messiasname Jesu) zur Rechten Gottes sitzen und auf
Augenhöhe mit dem Vater jemanden in die Gemeinschaft der göttlichen Personen aufnehmen. Was
ich flapsig „Augenhöhe“ nenne, bezeichnen Theologen seit den großen Konzilien von Nicäa und Chalzedon (325 und 451 n. Chr.) als „Wesensgleichheit“ des Sohnes mit dem Vater. Damit ist von einer
zweiten, einer göttlichen Natur des Jesu die Rede. Kein Prophet, kein Prediger, kein noch so begeisterter Mitmensch kann uns von sich aus in die Liebe Gottes aufnehmen. Diese allerengste Verbindung kann nur eine Person herstellen, die Gott und Mensch zugleich ist. Klingt logisch, ist es auch -zugleich aber bleibt es unbeweisbar. Die Überzeugung, dass es sich wirklich so verhält, muss uns geschenkt werden. Manchmal kommt dieses Geschenk (die Theologen nennen es „Gnade“) wie „Liebe
auf den ersten Blick“ bei einem Menschen an, meistens aber, und so scheint Jesus selbst davon gesprochen zu haben, ist das Wort Gottes ein Samenkorn, das in einem offenen und geduldigen Herzen
nach und nach aufgeht. Wer das erlebt, der braucht dann auch keinen Beweis mehr: er glaubt ja an
etwas, was er (was sie) selbst erlebt.
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