StadtZeit Nr. 66 (BdA)

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StadtZeit
66
KASSEL
M AG A Z I N
Informations- und
Kommunikationsforum für
Kassels innovative Seiten
No. 66 • Jahrgang 12
Feb/März 2015
H AU S U N D G A RT E N
W I E G E WO H N T
WIR BRAUCHEN ALLE FARBEN
präfrontaler
ortex
Scheitellappen
GESUND LEBEN
Vom Trampelpfad zur „Daten-Autobahn“
Temporallappen
C
b
StadtZeit-Serie
ESSEN & GENIESSEN
„Politisch bleiben wir neutral!“
BAUKULTUR KASSEL
2. Beitrag von G. Greiner und A. Reichel
StadtZeit-Serie
Baukultur Kassel
StadtZeit-Serie
Baukultur Kassel
Gerhard Greiners und Alexander Reichels Text sind Teil einer Reihe von Gastbeiträgen zum Thema Baukultur. Den Auftakt bildete in der letzten StadtZeit ein Beitrag von Stadtbaurat Christof
Nolda.
Die StadtZeit möchte damit dazu beitragen, das für die Fuldastadt wichtige Thema in der öffentlichen Wahrnehmung zu verankern.
Unter dem Arbeitstitel „Charta der Baukultur / Kasseler Erklärung zur Baukultur“ arbeitet derzeit Arbeitsgruppe an den
Grundlagen für selbige. Darüber hinaus sol ein „Baukultur-Verdachtsflächen-Kataster“ einen Überblick über Flächen und Gebäude vermitteln und besonders sensible Bereiche definieren.
Um den Informationsfluss zu verbessern soll es eine Internetplattform zur Vernetzung baukultureller Aktivitäten geben.
Alle Informationen zum Baukultur-Prozess und die Dokumentation der bisherigen Arbeit sind bis auf weiteres auf den Seiten
der Stadt Kassel zu finden.
Foto: Constantin Meyer
Foto: Constantin Meyer
Kontakt:
Magistrat der Stadt Kassel
Amt für Stadtplanung, Bauaufsicht und Denkmalschutz
Ansprechpartnerin: Petra Gerhold
Tel. 0561/ 787-2105
[email protected]
www.stadt-kassel.de (> Projekte > Baukultur)
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Baukultur _ bau Kultur!
Machen wir doch aus der verloren gegangenen schönen alten Stadt eine schöne neue
Stadt! Tragen wir bei allen Neu- und Umbauten zu positiven Veränderungen bei!
Von Gerhard Greiner und Alexander Reichel
Kassel strebt nach einer Wende. Die Struktur verändert sich rasant.
An vielen Orten entstehen neue Häuser und Plätze. Die Stadt legt folgerichtig ein besonderes Augenmerk auf die Steigerung lokaler Baukultur. Ein ehrgeiziges und nicht nur aus Sicht der Kasseler Architekten des BDA (Bund Deutscher Architekten) lohnenswertes Ziel. Die
Baukultur einer Stadt und das Selbstwertgefühl ihrer Bewohner stehen in enger Verbindung zueinander und schaffen die Identität ihrer
Bürger.
Nach einer Umfrage der Bundesstiftung Baukultur informieren sich
über 70 Prozent aller Bürger über Bauprojekte in ihrer Umgebung.
Was verbirgt sich daher hinter dem abstrakten Begriff der Kultur, gar
der Baukultur? Während unter dem Begriff Kultur neben der „Pflege
geistiger Güter“, mittlerweile weitläufig alle Lebensbereiche von der
Essens- bis zur Willkommenskultur, abstrakt subsumiert werden, wird
es bei der Baukultur schnell gegenständlich.
Was für den Einen die steingewordenen Manifeste früherer religiöser
oder weltlicher Herrschaftsstrukturen sind, bezieht ein Zweiter auf
Alltägliches und Zeitgenössisches – vom kleinen Einfamilienhaus bis
zum großen Museum, von den Grünanlagen bis zu den Verkehrsflächen. Für einen Dritten wiederum bedeutet Baukultur weniger Dingliches sondern vielmehr die Qualität der Prozesse, mit der Planungsund Bauvorhaben realisiert werden, bis hin zur basisdemokratischen
Legitimation.
Darin spiegelt sich die Vielfalt des Begriffs wieder, denn Baukultur ist
eben nicht nur das fertige Produkt wie z.B. das heutige Kasseler Weltkulturerbe – die Wilhelmshöhe – sondern gleichermaßen die Vielzahl
historischer, aktueller und künftiger Ereignisse, die nicht losgelöst von
deren Entstehungsprozessen betrachtet werden können. Das Bauwerk wird erst durch seine Betrachtung, seine Erörterung und den
gesellschaftlichen Diskurs zum baukulturellen Erlebnis.
Zum Begriff der Kultur gehört das Ringen um die beste Lösung und
die Diskussion um die bestmögliche Qualität. Gerade hier zeigt sich,
ob eine Stadtgesellschaft faire, ernsthafte und transparente Diskussionen und Verfahren ermöglicht, die die beste Lösung für die Allgemeinheit suchen oder ob es nur darum geht Einzelaspekte jeweils verschiedenster Interessenslagen durchzusetzen. Nicht umsonst wird bei
der Gebäudebewertung nach den Richtlinien der Nachhaltigkeit dem
sozial verträglichen und transparenten Entstehungsprozess eine besondere Bedeutung beigemessen.
Fotos: Beispiele für eine gute Baukultur in Kassel
StadtZeit Kassel Nr. 66
StadtZeit-Serie
Foto: Constantin Meyer
Baukultur Kassel
Streben nach qualitätsvoller Architektur
zentral
Die Bundesstiftung der Baukultur stellt in ihrem diesjährigen Bericht
fest, das Gebäude keine Privatangelegenheiten sind, sondern in ihrer
Erscheinung und ihrem allgemeinen Nutzen auch der Öffentlichkeit
verpflichtet sind und verweist zusätzlich noch auf Artikel 14 in unserem Grundgesetz, Absatz 2: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch
soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“
Aber auch ohne diesen relevanten Hinweis ist der Begriff der Baukultur zu erklären, besonders wenn man ihr Fehlen, ihre Abwesenheit
spürt. Jeder kennt das Gefühl in manch steriler Neubausiedlung, in
vom Verkehrslärm dominierten Straßen oder in zahllosen Gewerbegebieten. An sogenannten „Unorten“, an denen man keine Minute
länger verbringen möchte als zwingend notwendig. Oder sind das
Orte, an denen man keine Baukultur erwarten darf?
Warum scheint es, das "Zweckbauten" wie z. B. Industriehallen oder
Brückenbauwerke früherer Zeiten liebevoller detailliert und aufwändiger gestaltet waren? Verdienen nicht alle Orte, an denen wir unser
Leben verbringen, eine angemessene Wohlgestalt? Wollen wir nicht
auch in Zukunft um Abriss oder Umbau eines heute, im Jahr 2015,
neu errichteten Industriebaus streiten, weil vielleicht ein Stück Baukultur in Gefahr geraten könnte – so wie wir heute um die Bewahrung des kulturellen Erbes einer Salzmannfabrik ringen?
Als Ursache für manche Achtlosigkeit bei der Gestaltung unserer Umwelt können aus heutiger Wohlstandssicht kaum fehlende Mittel
oder nicht vorhandene technische Möglichkeiten herangezogen werden. Hier geht es eher um fehlende Bildung und mangelnde Wertschätzung oder eben das Fehlen von Baukultur und damit auch von
Planungskultur.
Foto: Constantin Meyer
Foto: Constantin Meyer
Kassel strebt nach einer Wende. Die Stadt legt daher besonderes Augenmerk auf die Steigerung lokaler Baukultur. In Kassel wird oft der
Verlust der 'schönen alten Stadt' durch die Zerstörung des Kriegs betrauert. Manche Nachkriegssünde im Streben nach autoverkehrsgerechter Stadtplanung trug zusätzlich dazu bei. Mit dem Verlust der
Altstadt ging ein Stück Selbstwertverlust und damit nachhaltig ein
Stück Achtsamkeit für den Umgang mit der gebauten Umwelt einher.
Geradezu schizophren scheint dabei, dass die Abwesenheit der vormals hoch geschätzten Umgebung nicht selbstverständlich zum Streben nach neuer qualitätsvoller Architektur führt, sondern ein zunächst temporärer Notstand mit ortstypischen „Gemähre“ geduldet
oder durch Fortsetzung der unachtsamen Gestaltung noch manifestiert wird.
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StadtZeit-Serie
Foto: Reichel
Baukultur Kassel
Foto: Constantin Meyer
ist die Ausnutzung der grundstücksspezifischen Maximalflächen und
-volumen zu Gunsten ihrer Entwickler. Aber nicht nur die Maximierung der Bauherrnrendite, sondern die Steigerung der Lebensqualität
aller Bürger einer Stadt sind Ziel guter Baukultur. Und dazu gehört
dann auch der behutsame Umgang mit dem Bestand oder die sensible Weiterentwicklung wichtiger innerstädtischer Grundstücke und
Gebäude. Diese Haltung kann sich aber nur entwickeln mit einer Planungskultur, die ebenso achtsam mit allen Beteiligten umgeht, die inhaltliche Architekturwettbewerbe fördert, und Gestaltung, auch in
Form eines Gestaltungsbeirates anerkennt. All dies führt im Idealfall
zu einer Steigerung der Lebensqualität aller Beteiligten, der Nutzer
und Betrachter, also auch der Stadtgesellschaft und ihren einzelnen
Bürgern, und damit auch zu der des Auftraggebers und Bauherrn.
Und damit kann die Wende gelingen – bau Kultur!
Gute Baukultur fördert Lebensqualität
Machen wir doch aus der verloren gegangenen schönen alten Stadt
eine schöne neue Stadt. Tragen wir bei allen Neu- und Umbauten dazu bei - ob im Großen beim Ordnen des Verkehrs bis 2030, beim Museums- oder Gewerbebau, aber auch bei der energetischen Sanierung des kleinen Wohnhauses um die Ecke, also überall dort, wo sich
Möglichkeiten zu positiven Veränderungen ergeben. Arbeiten wir gemeinsam daran Stadt und Stadtraum achtsam und zum Wohl aller
Nutzer und Betrachter angemessen zu gestalten.
In einer Stadt aufstrebender Baukultur müssen gemeinsam Haltungen spürbar werden, müssen neben den Baurechten auch die Baupflichten umgesetzt werden. Denn diese Pflichten werden gerne vergessen. Sie sind unbequem und fordern Disziplin. Von der Verwaltung bei der Vergabe vom Baurecht, von den Investoren beim Einhalten der Verfahren und von uns Architekten beim Einfügen in den
Kontext. Nicht jedem das Umfeld ignorierende Bauvolumen muss der
rote Teppich ausgerollt werden. Nicht jede Stadtvilla wird durch die
Verwendung des Begriffs zur Baukultur. Die meisten dieser Häuser
sind verpasste Chancen, der Einzigartigkeit des Ortes, an dem sie entstehen, Ausdruck zu geben. So wie viele andere Projekte auch, die
ohne gestalterische Idee an beliebige Orte gepflanzt werden. Rücksichtslos ignorieren Sie ihr Umfeld zugunsten rationeller Vervielfachung immer gleicher Details. Das einzig standortbezogene an ihnen
Die Autoren
Gerhard Greiner, Dipl. Ing. FH Architekt
BDA, Vorstandsmitglied HHS Planer + Architekten AG, Kassel, ist seit Ende 2014 Vorsitzender der BDA-Gruppe Kassel. Das Büro
plant energieeffiziente Neu- und Umbauten
unterschiedlicher Nutzungen, von Wohn- und Gewerbebauten bis zu
Kultur-, Schulhäusern und Bauten für die Wissenschaft. HHS ist Gründungsmitglied der Deutschen Gesellschaft für nachhaltiges Bauen
DGNB.
Prof. Alexander Reichel, Dipl.-Ing. Architekt,
Reichel Architekten, ist seit 2009 im Vorstand
der Gruppe Kassel und seit 2007 Mitglied im
Denkmalbeirat der Stadt Kassel. Er lehrt Nachhaltiges Bauen und Entwerfen. Das Büro erhielt
u.a. in 2013 den renommierten Simon-Louis-Du-Ry-Architekturpreis
für die Erweiterung des Kongresspalais Stadthalle Kassel.
BDA – Bund Deutscher Architekten
Foto: Constantin Meyer
Der Bund Deutscher Architekten BDA wurde im Jahr 1903 als Verband der freien Architekten in Deutschland gegründet. Seitdem setzt
er sich satzungsgemäß in der Öffentlichkeit aktiv für "Architektur und
Architekturqualität in Verantwortung gegenüber der Gesellschaft
und der Umwelt" ein. Der BDA bekennt sich zur Notwendigkeit einer
verantwortungsbewussten, alle Bereiche umfassenden Planung für
eine lebenswerte, gebaute Umwelt. Zielsetzung des BDA ist die Qualität des Planens und Bauens in Verantwortung gegenüber dem Bauherrn und der Gesellschaft.
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Fotos: Beispiele für eine gute Baukultur in Kassel
StadtZeit Kassel Nr. 66
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