Architektur und Erlebnis Das Festspielhaus Bayreuth

Werbung
Hans-Jürgen Fliedner
Architektur und Erlebnis
Das Festspielhaus Bayreuth
Hans-Jürgen Fliedner
Architektur und Erlebnis
Das Festspielhaus Bayreuth
(Die architektonische Schematisierung des Erlebnisses der Ideen)
Mit 40 Skizzen und Abbildungen
Synästhesie Verlag
Hans-Jürgen Fliedner
Hans-Jürgen Fliedner
Synästhesie Verlag
Shaker Media GmbH, Aachen
Während einer Pause, 1892
Wegen der kleinen Auflage wurde die vorliegende Publikation in dem noch
relativ neuen Digitaldruckverfahren erstellt. Zumal die Bildqualität erreicht bei
diesem Verfahren nicht die Qualität eines konventionellen Drucks. Da die
Abbildungen aber nur als Interpretationshilfe des im Text vorgetragenen
Gedankengangs zu sehen sind, ist diese kleine Qualitätsminderung vertretbar.
Impressum:
Gestaltung der Buchdecke:
Satz und Layout:
S/W-Repros:
Gesamtherstellung:
Titelbild:
© Bayreuther Festspiele
© 1999 Synästhesie Verlag – Inh.: H.-J. C. Fliedner, Coburg
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen
Wiedergabe und sonstiger Reproduktionsverfahren, vorbehalten.
ISBN 3-931248-05-4
Inhaltsverzeichnis
Einleitung .............................................................................. 7
I. Methode als Erlebnis – Erlebnis als Methode ........................... 11
Das Absolute als Realgrund des Wahren und Schönen 12 – das platonische
Verhältnis von Wahrheit und Schönheit, Auflösungsmetapher I (Benjamin) 12 –
die Methode der idealischen Auflösung, Auflösungsmetapher II (Hölderlin) 14 –
die Auflösung der kanonischen Reflexionsform in das Absoluten (Benjamin) 20 –
die „unverständliche“ Formwerdung des Absoluten (Schlegel) 24 – der deduzierte
„neue Leser“ (Schlegel) und der universale Anspruch des Gesamtkunstwerkgedankens 25 – ‚Invention als Expansion‘ (Schelling), erste Schematisierung des
Werkgestaltungsprozesses als Umkehrung des Erlebnisprozesses 26 – die Methode
der romantischen Ironie (Kierkegaard) und das Fichtesche Ich als adäquate
Erscheinungsform des Absoluten 27 – das absolute Ich als Apriori einer sakralen
Kunst und Kunsttheorie (Novalis) 30 – die Konstruktion apriorischer Gedichte
(Schlegel) 32 – zur dialektischen Struktur des Ideenerlebnisses: die emotionale
Durchdringung formauflösender Reflexionsakte (Benjamin, Schlegel) 33 – die
Konkretisierung der Idee im Extrem: das Festspielhaus Bayreuth 35 – die
erlebnisspezifische Identität von theatralischer Kirche und sakralem Theater 36
II. Die neue Mythologie und die mythologische Architektur ........... 38
Idealistische (negative) und realistische (positive) Philosophie (Schelling) 38 –
die neue Mythologie als Erscheinungsform des Idealismus (Schlegel, Schelling) 40 – die Umformung der neuen Mythologie in die Hülle der mythologischen
Architektur (Schlegel, Schelling, Schinkel) 44 – Magie und Mitteilbarkeit der
neuen Mythologie (Nietzsche) 48 – die ästhetische Kirche (Hölderlin) 48 – die
Rettung der Religion durch die Kunst (Wagner) 51 – Nietzsches These von der
dämonischen Mitteilbarkeit der Wagnerschen Mythologie 52 – der isolierte
Künstler und sein Werk (Wagner) 52 – Metaphysik der Musik (Nietzsche,
Schopenhauer) 53 – der Zusammenhang von: Denken – Musik/Architektur –
Mythos – Religion 54 – der musikalische Mythos als Katalysator eines einheitsstiftenden Erlebens (Gadamer) 55 – die mythologische Architektur als Hülle des
sakralen (Kunst-)Erlebens (Solger) 56
III. Die Deduktion des konkreten architektonischen Werks –
das Festspielhaus Bayreuth .................................................. 57
Parallelität intellektueller und phantasiemäßiger Anschauung (Schelling) 57 –
der Traumzustand und die mythische Ausdeutung der intellektuellen Anschauung
in/ Zeit und Raum (Kierkegaard, Nietzsche, Wagner) 59 – die expandierende
6
Entwicklungsreihe der Kunst 60 – die Musik: Darstellung der reinen Denkakte in
der Zeit (Solger) 60 – die Architektur: Darstellung der reinen Denkakte im Raum
(Solger) 64 – Problem: die gestalterisch-schöpferische Vermittlung der ZeitKunst Musik und der Raum-Kunst Architektur (Fichte) 66 – Problemlösung: die
musikalisch deduzierte Gebärde (Wagner) als anthropomorphe Architekturminiatur 68 – Richard Wagners Deutung der Festspielhausarchitektur 75 – die
Architektonisierung des Erlebnisschemas in Theater- und Kirchenarchitektur
(Solger) 81
IV. Die theatralische Kirche und das sakrale Theater –
zur architekturgeschichtlichen Genese des Bayreuther
Festspielhauses ................................................................. 84
Die Verwirklichung der Idee im Extrem: das Festspielhaus Bayreuth 84 –
Zwischenspiel: ‚revolutionär‘-romantisches Philosophieren und ‚konservativ‘-klassizistische Formensprache in der Architektur 85 – Frederik Hansens Frauenkirche
als zentalperspektivisch strukturierte Erlebnisarchitektur (Zeitler) 88 – Parallele:
anthropomorpher und architektonischer Chor (Nietzsche) 90 – die „Wölbung“ als
Grenze des Raumerlebens (Moritz) 92 – die theatralische Funktion des Triumphbogens 94 – der Triumphbogen als Proszeniumsbogen: Friedrich Gillys Berliner
Schauspielhausentwurf 96 – Gillys Entwurf zu einem Denkmal Friedrich des
Großen und die Proszeniumsreform Schinkels 101 – die theatralisch relevante
Säulenstellung 103 – die Entwürfe zu einem provisorischen Festtheater (Semper) 107 – Sempers doppeltes Proszenium 110 – das doppelte Proszenium in
einer theatralischen Kirchenarchitektur: Carlo Rainaldis S. Maria in Campitelli 111 – die Synthese: Otto Brückwalds Bayreuther Festspielhaus 113 –
Wagners „Parsifal“ und das Festspielhaus Bayreuth: die Identität von sakralem
Theater und theatralischer Kirche 114
V.1 Das Proszenium als spekulativer Indifferenzpunkt der Theaterarchitektur ..................................................................... 115
V.2 Der christliche Longitudinalbau als „geradlinige“ Präformation des
Bayreuther Festspielhauses ................................................ 117
Anmerkungen zu Kapitel I ....................................................... 119
Anmerkungen zu Kapitel II ...................................................... 123
Anmerkungen zu Kapitel III ..................................................... 126
Anmerkungen zu Kapitel IV ..................................................... 130
Die zitierte Literatur ............................................................... 132
Bildquellennachweis ............................................................... 133
Einleitung
Die vorliegende Abhandlung basiert auf dem Text der Examensarbeit, die der Verfasser im Jahr 1979 an der RWTH Aachen vorlegte.
Auch noch nach zwanzig Jahren bewahrt diese Untersuchung ihre
Gültigkeit. Sie liegt nunmehr in dieser kleinen Publikation vor und
wurde zu diesem Zweck einer behutsamen Überarbeitung unterzogen.
Es wird sinnvoll sein, dem Leser eine kurze Zusammenfassung des
diese Arbeit bestimmenden Gedankengangs zu geben:
Die Auseinandersetzung mit Wagners Werk macht deutlich, daß
dieses dem geistigen Erbe des Idealismus und der romantischen
Geisteswelt entschieden verpflichtet ist. Richard Wagner begreift sein
Schaffen als Ausdruck einer ihn impulsierenden Idee und Ideenwelt.
Der erste Abschnitt der Abhandlung beschäftigt sich folglich mit
der Vermittlung dieser Ideensphäre. Mittels geeigneter Quellen –
Hölderlins poetische Theorien sind hier besonders gewichtig – läßt
sich ein methodisches Schema aufzeigen, das der Überschreitung der
endlichen Wirklichkeitserfahrung auf die Unendlichkeit der Idee
eignet. Dieses Schema hat eine ‚zentralperspektivische‘ Struktur, die
letztlich auf die Konzeption des Bayreuther Festspielhauses übertragbar ist.
Der zweite Teil des Textes widmet sich der Forderung der
Romantiker nach einer neuen Mythologie, die den idealistischen
Ansprüchen genügt und in der die Gesamtkunstwerkidee beschlossen ist. Es zeigt sich, daß die neue Mythologie wesentlich auf
der Musik basiert und eine architektonische Hülle mitmeint, die den
Mythos vollendend beschließt.
Im dritten Abschnitt wird das Bayreuther Festspielhaus gleichsam aus dem Absoluten deduziert. Neben den Gedankengängen
Schellings, Schopenhauers, Solgers, Fichtes und Nietzsches nehmen
die Erwägungen Wagners eine zentrale Stelle ein, da er die
7
8
körperliche Gebärde (als anthropomorphe Architekturminiatur) aus
der Musik ableitet. In einer Schritt für Schritt vorgehenden
Ableitung wird letztlich die gesamte Gestaltung des Festspielhaus-Innenraums erklärbar.
Der abschließende Teil der Abhandlung betrachtet die architekturgeschichtlichen Aspekte des Festspielhauses, ohne jedoch die
einleitenden theoretischen Erwägungen aus dem Auge zu verlieren.
Dieser Text kann durchaus isoliert gelesen werden, falls sich der
Leser nicht mit den spekulativen Überlegungen und Ableitungen der
ersten drei Abschnitte auseinandersetzen will.
Vielleicht noch eine Bemerkung zu den Eigentümlichkeiten der
Formulierung dieses Textes:
Immer wieder kann man feststellen, daß an einer ‚geballten‘
Häufung der Partizipialkonstruktion Anstoß genommen wird. Aber
gerade diese vermag das Wesentliche einer deduktiv-spekulativen
Methode zu vermitteln. Ein Beispiel: „Die Musik steigt aus dem
mystischen Abgrund hervor. Sie gebiert eine ihr adäquate Architektur“ meint etwas völlig anderes als die Wendung: „Die aus dem
mystischen Abrund aufsteigende Musik gebiert eine ihr adäquate
Architektur“. Die erste Formulierung reiht separate Elemente – also
hier: Musik und Architektur – additiv aneinander, während letztere
einen organischen Zusammenhang weist, der die Architektur schon
immer als ‚in nuce‘, als in der Musik gegeben mitmeint.
Wichtig ist noch zu erwähnen, daß im Text zwischen Fußnoten
und Anmerkungen unterschieden ist. Die Fußnoten geben Bemerkungen und Zitate, die den Gedankengang des Haupttextes ganz
wesentlich lancieren und daher unbedingt ‚mit‘gelesen werden
sollten. Die an das Buchende gestellten Anmerkungen enthalten
neben den üblichen bibliographischen Angaben weitere Kommentare
und Zitate, auf deren Lektüre gegebenenfalls verzichtet werden
kann.
Kursive Hervorhebungen im Text und innerhalb der Zitate stammen ausschließlich vom Verfasser.
Hans-Jürgen Fliedner
Der Verfasser ist sich darüber im Klaren, daß das Bändchen wohl
nur einen kleineren Leserkreis ansprechen wird. Daher erscheint das
Buch in einer Kleinstauflage, die nur per Digitaldruck ökonomisch realisierbar und damit auch gegenüber dem Buchkunden
preislich vertretbar ist. Über die leichten qualitativen Mängel des
noch jungen Druckverfahrens möge man daher generös hinwegsehen.
Coburg, im März 1999
Hans-Jürgen Fliedner
Die Kapitel V.1 (Das Proszenium als spekulativer Indifferenzpunkt der Theaterarchitektur) und V.2 (Der christliche Longitudinalbau als „geradlinige“ Präformation des Bayreuther Festspielhauses) sind Ergänzungen für diese „Online-Ausgabe“
Coburg, im Februar 2012
9
10
I. Methode als Erlebnis – Erlebnis als Methode
Das Ziel dieser kleinen Abhandlung, die sich maßgeblich auf
Quellenmaterial des 19. Jahrhunderts stützen wird, ist es, Erlebnisse, die im Folgenden näher als Erlebnisse der Ewigkeit (der
Ideen) bestimmt werden sollen, mit einer diesen Erlebnissen
adäquaten, diesen Raum und Rahmen gebenden Architektur zu
korrelieren; einer Architektur also, die – das meint ihre Adäquatheit – eine in einer Theorienbildung dieser Ideenerlebnisse reflektierte bzw. präformierte ist.
Die Artung der dieser Zielsetzung beschlossenen Eingangsthesen
verlangt eine methodische Besinnung, die zunächst im Bereich abstrakter Allgemeinheit verbleiben darf, da sie die Deutung und
Ableitung der vorab genannten Erlebnisse zum Gegenstand hat.
Eine erste, grobe Analyse der historischen Tatsachen, in denen
der Geist des 19. Jahrhunderts sich dachte und verwirklichte – ein
Geist, der hier schon immer ein in seiner phänomenalen Universalität gebrochener ist – liefert die Grundstruktur der hier in
Frage stehenden Erlebnisse als eine den Philosophemen der romantischen Transzendentalphilosophie immanente; ja – diese können ohne jene gar nicht gedacht, gar nicht gewußt werden. Es ist
die Macht meditativer Versenkung, die in der philosophischen Einstellung, in einem inneren Erleben, in der transzendentalen Anschauung ein absolutes, ursprüngliches Wissen ‚zeitigt‘, in deren
formaler Universalität alles Wissen vom Sein in potentia beschlossen
liegt. So gesehen – „Es kann nicht von einem Seyn … sondern es
muß von einem Sehen ausgegangen werden.“1 – befinden wir uns im
Zentrum frühromantischen Wissens, und dort meint das Personalpronomen „wir“ nicht länger eine verbindliche Wahrheit heischende wissenschaftliche Konvention, vielmehr ist in der ekstatischen Vernichtung individuellen Dafürhaltens und Meinens die
Differenz von Ich und Du, von Subjekt und Objekt aufgehoben: das
11
12
Absolute, als eine erste, vom Bewußtsein transzendental innegehabte Tatsache, ist der Real-Grund alles Wahren, ist intersubjektive
Wahrheit, deren Gestaltwerdung zu deuten, deren alle Form transzendierendes Geheimnis zu lüften als „ein Anliegen jedes kunstphilosophischen Versuchs“2 bezeichnet werden muß.
Es ist das die Stufenfolgen liebenden Begehrens beschreibende
Symposion, das „die platonische Auffassung vom Verhältnis der
Wahrheit zur Schönheit“3 begreifen macht:
„Eros – so muß verstanden werden – wird seinem ursprünglichen
Bestreben nicht untreu, wenn er sein Sehnen auf die Wahrheit
richtet, denn auch die Wahrheit ist schön … In der Wahrheit ist das
Refugium der Schönheit überhaupt. Solange nämlich bleibt das
Schöne scheinhaft, antastbar, als es sich frank und frei als solches
einbekennt. Sein Scheinen, das verführt, solange es nichts will als
scheinen, zieht die Verfolgung des Verstandes nach und läßt seine
Unschuld einzig da erkennen, wo es an den Altar der Wahrheit
flüchtet. Dieser Flucht folgt Eros, nicht Verfolger, sondern als
Liebender; dergestalt, daß die Schönheit … immer beide flieht: den
Verstand aus Furcht und aus Angst den Liebenden. Und nur dieser
kann es bezeugen, daß Wahrheit nicht Enthüllung ist, die das
Geheimnis vernichtet, sondern Offenbarung, die ihm gerecht wird. Ob
Wahrheit dem Schönen gerecht zu werden vermag? Diese Frage ist
die innerste im ‚Symposion‘. Platon beantwortet sie, indem er der
Wahrheit es zuweist, dem Schönen das Sein zu verbürgen. In diesem
Sinne also entwickelt er die Wahrheit als den Gehalt des Schönen.
Nicht aber tritt er zutage in der Enthüllung, vielmehr erweist er sich
in einem Vorgang, den man Gleichnisweise bezeichnen dürfte als das
Aufflammen der in den Kreis der Ideen eintretenden Hülle, als ein
Verbrennen des Werkes, in welcher seine Form zum Höhepunkt ihrer
Leuchtkraft kommt.“4
Dieses: die Läuterung des schönen Scheins in der Lohe der Wahrheit, beschwört eine dem Kontext dieser Abhandlung eignende
Metapher – es ist der feurige Opfertod Brünhildes, durch den sie sich
„in mächtigster Minne“ mit dem „seligen Helden“ – Siegfried – auf
ewig vereint; eine Vereinigung, die das ‚Erlösungsmotiv‘ der Schlußmusik der Götterdämmerung nachhaltig und nachhallend unterstreicht.
Dem Schlußbild, dem Abgesang, der Auflösung Brünhildes läßt
sich eine Abhandlung Hölderlins unterlegen, die den Titel „Das
Werden im Vergehen“ trägt und die allererst als eine Würdigung
historischer Besinnung gedeutet sein will, da der in ihrem Werden,
in ihrem Vergehen idealisch innegehabten Wirklichkeit – diesen
Vorgang bezeichnet Hölderlin mit dem terminus technicus der
„idealischen Auflösung“ – eine Totalität eignet, der die Wahrheit
immanent ist.
Aber diese Wahrheit findet sich auch immer da – und das ist für
unsere Betrachtung von Wichtigkeit – wo die Totalität eine Beschränkte, eine hermetische ist: so im Kunstwerk, so im Mythos. Es
ist eben die als begrenzt, abgeschlossen, vollendet gefundene
‚historische‘ Wirklichkeit des einigen und einzigen Werkes, die der
Überschau, der „idealischen Auflösung“, der Kontemplation ihre
spezifische, Brünhildes finaler Haltung gleichermaßen eigene Charakteristik verbürgt: die „idealische Auflösung ist furchtlos“5;
furchtlos, weil die in der Hülle des Mythos mit absoluter Notwendigkeit agierenden Personen und Personifikationen durch diese
Hülle vor den dem Mythos transzendenten, in diesen niemals
eindringen könnenden Furchtphänomenen geschützt sind.*)
*) Die dem Mythos spezifische, auf eine mythologische Architektur übertragbare
Hermetik (vgl. den 2. Teil dieser Abhandlung, S. 38ff) findet sich u.a. in
Schellings „Philosophie der Kunst“ akzentuiert: „Einzig, indem die Götter
unter sich eine Welt bilden, erlangen sie eine unabhängige Existenz für die
Phantasie oder eine unabhängige poetische Existenz … dadurch werden sie
Wesen einer eigenen Welt, die ganz für sich besteht und von der insgemein
sogenannten wirklichen ganz getrennt ist“6.
13
14
So versteht sich auch das den Kunstfreund etwa ergreifende
Entsetzen, wenn er ein Museum, ein Theater, allgemein: den architektonischen Rahmen seiner ästhetischen Kontemplation verlassend,
erneut in die ‚gemeine‘ Wirklichkeit eintritt, weil diese ihn in seiner
noch aus dem aktuellen Erleben resultierenden Selbstverlorenheit
befremdet, zumal jetzt andere Ordnungsprinzipien vorzuwalten
scheinen, die dem Unvorhersehbaren, damit Latent-Bedrohlichen
breiten Rahmen geben.
Eine solch’ einseitige Darstellung eines Erlebnisverlaufes provoziert die vor einem Glotzt-nicht-so-romantisch Warnenden und
gibt dem vulgären Argument der Realitätsflucht reichlich Nahrung.
Doch der Perspektivismus dieser Darstellung rechtfertigt sich im
Sinne einer hier rigoros vorzunehmenden Abgrenzung, der nämlich,
daß es so zu nennende ästhetische Erlebnisse7 – innere Erlebnisse in
einem geschlossenen Innenraum – von sogenannten Alltagserlebnissen – äußere Erlebnisse in einem allseitig offenen Raum – streng
zu unterscheiden gilt, wobei sich die membranlose Massivität der
Grenze – eine Osmose der Alltagswelt in den ästhetischen Erlebnisraum (und umgekehrt) hat nicht statt – sinnfällig in der Architektur artikuliert.
Diese vorab umrissene Hermetik von (Geschichte,) Mythos,
Kunst, Erlebnisraum als Korrelat eines Erlebens, das sich innerhalb
abgegrenzter ‚Gegenstandsbereiche‘ entfaltet, leitet hin zu Hölderlin, der in seiner Definition der „idealischen Auflösung“ die
synthetisierende Dynamik eines inneren Erlebnisprozesses liefert
[wir ergänzen und verdeutlichen seinen Gedankengang durch einige
parenthetische Einschübe]:
Hölderlin begreift die „idealischen Auflösung“ als einen gedanklichen „Rückblick auf den Weg, der zurückgelegt werden mußte,
vom Anfang der Auflösung [den wir als den Beginn eines (musikalischen Gesamt-)Kunstwerks deuten können] bis dahin, wo aus dem
neuen Leben [das ist die durch das Werk affizierte Stimmungslage
Bild 1 Die gedanklich in den ‚Raum‘
projizierten ‚Motive‘; in Hölderlins
Terminologie: „episch-real“.
Bild 2 Die synthetisierende Bewegung
des innerlichen Auflösungsprozesses;
„lyrisch-idealisch“.
des Rezipienten am Ende des Werkes] eine Erinnerung des Aufgelösten [das sind die gedanklich in den ‚Raum‘ projizierten Bausteine
des Kunstwerkes; seine ‚Leitmotive‘ etwa, Bild 1] und daraus, als
Ergänzung und Vereinigung der Lücken und des Kontrastes der
zwischen dem Neuen [also hier: der neuen Befindlichkeit des
Rezipienten] und dem Vergangenen [das ist die Situation des
Zuhörers bzw. Zuschauers etwa zu Beginn des Werkes] die Erinnerung
der Auflösung [also die ‚innere‘ Reproduktion der erinnerten Motive
in ihrem zeitlich-organischen Zusammenhang] erfolgen kann. Diese
idealische Auflösung“, so fährt Hölderlin fort, „ist furchtlos.
Anfangs- und Endpunkt [des Werkes] ist schon gesetzt, gefunden,
gesichert, deswegen ist diese Auflösung auch sicherer, unaufhaltsamer, kühner, und sie stellt sich hiermit, als das was sie eigentlich
ist, als einen reproduktiven Akt dar, wodurch das Leben [das hier
den ‚Lebensabschnitt‘ der lebendigen Begegnung mit dem Werk
bedeutet] alle seine Punkte [Motive, s.o.] durchläuft, auf keinem
verweilt, auf jedem sich auflöst, um in dem nächsten sich herzustellen [Bild 2]; nur das in dem Grade die Auflösung idealer wird, in
15
○
○
Bild 4 „Objekt im vollendetsten Zustand“; Evidenz des Ideenerlebnisses = „Totalgefühl“.
TOTAL-GEFÜHL
welchem sie sich von ihrem Anfangspunkte [s.o.] entfernt [Bild 3],
hingegen in eben dem Grade die Herstellung [hier ist also die
ganzheitliche Reproduktion des Werkes gemeint] realer, bis endlich
aus der Summe dieser in einem Moment unendlich durchlaufenen
Empfindungen des Vergehens und Entstehens ein ganzes Lebensgefühl, und hieraus das … Aufgelöste in der Erinnerung (durch die
Notwendigkeit eines Objektes im vollendetsten Zustand [das ist die
Idee des Werkes, Bild 4]) hervorgeht …
„Aber diese idealische Auflösung unterscheidet sich auch dadurch
von der wirklichen [bloß zerstörenden Auflösung], weil sie aus dem
Unendlichgegenwärtigen zum Endlichvergangenen [also von der abgeschlossenen Erfahrung des komplexen Werkes zu dessen einzelnen
‚Motiven‘] geht, daß 1) auf jedem Punkte derselben Auflösung und
Herstellung, 2) ein Punkt in seiner Auflösung und Herstellung mit
jedem anderen, 3) jeder Punkt in seiner Auflösung und Herstellung
mit dem [punktuell-unendlichen] Totalgefühl der Auflösung und
Herstellung unendlich verflochten ist [Bild 4], und alles sich in
Schmerz und Freude, in Streit und Frieden, in Bewegung und Ruhe,
Bild 3 Die synthetisierende Bewegung
des innerlichen Auflösungsprozesses;
vgl. Bild 2
○
○
16
hermetisch-„furchtlos“
und Gestalt und Ungestalt unendlich durchdringet, berühret, und
angehet und so ein himmlisches Feuer statt irdischem wirkt.“8
Diese von Hölderlin im Begriff der idealischen Auflösung intendierte, letztgültige Synthese, in der sich die Antinomien der
reproduzierten Wirklichkeit erschöpfen, hat hier, im Bild des himmlischen Feuers (Hölderlin), wie dort: in dem des Verbrennens des
schönen Scheins in der Flamme der Wahrheit (Benjamin), einen
bildlichen Ausdruck gefunden. Diese Metaphern, mit ihrer sakralen
Dimension – ohne welche die Wahrheit nicht gedacht werden kann –,
verweisen einerseits auf die der Romantik wichtig werdenden Bilder
buddhistischer Geisteswelt, auf die sich etwa Arthur Schopenhauer
und Richard Wagner gleichermaßen berufen, andererseits auf eine aus
bloßer Beliebigkeit hervorzuhebende literarische Quelle bedeutenden
Ranges: Lord Byrons – Goethe gewidmetes9 – Trauerspiel „Sardanapal“, dessen Schlußbild: die Vereinigung Sardanapals mit seiner
Lieblingssklavin Myrrha in den Flammen des Scheiterhaufens:
„S. Leb’ wohl! Zum letztenmal noch ein Umarmen
„M. Ja, doch das letzte nicht; es gibt noch eines
„S. Wahr; unser Staub wird sich im Feuer mischen
„M. Er soll sich rein, wie meine Liebe war
Und frei von irdischen Schlacken, irdischen Trieben
Mit deinem mischen …“10
Richard Wagner bei der Gestaltung des Götterdämmerungsfinales
inspiriert haben könnte.11
Allen vorab zitierten Bildern ist eine die Erscheinung an der
Wahrheit nichtende Relation charakteristisch. Diese Beziehung läßt
die Darstellung einer aller Darstellung entspringenden Wahrheit und
der ihr immanenten Ordnung der Ideen als ein methodisches
Problem evident werden. Einzig eine Entkonturierung der empirischen Welt, die sich im Medium wirklichkeitsabstrahierender
17
18
Reflexions-Akte vollzieht, macht es, daß die Erscheinungswelt in die
der Ideen eingeht und in dieser sich auflöst.
Der von Hölderlin definierte Prozeß der „idealischen Auflösung“ ist
es demnach, den es in seiner methodischen Relevanz zu betonen gilt:
Der idealischen Auflösung – die als ein Reflexions-, als ein Denkprozeß von der wirklichen, d.h. bloß zerstörenden Auflösung zu
unterscheidenden ist – ist eine Unendlichkeit immanent, die nicht als
eine leere Unendlichkeit eines unabschließbaren Fortganges, vielmehr
als ‚total‘-erfüllte, weil wahre Unendlichkeit eines reflexiven Zusammenhangs gedeutet werden muß. Dieser Modus der Existenz des Unendlichen im Endlichen kann einerseits ein Sich-selbst-Denken, ein
autonomes Handeln des ‚Gegenstandes‘*) (also den ‚objektiven‘ Aspekt
des „TOTAL-Gefühls“) bedeuten, andererseits muß er als ein dem
Aufzulösenden zwecks zusammenfassender Auflösung unabdingbares,
die Abstraktion von aller Gegenstandsreflexion vollziehendes Subjekt
(„Total-GEFÜHL“) verstanden werden.
Diese gedoppelte Bindung der synthetisierenden Reflexion – eine
innere Handlung eines sich selbst denkendes Objekt bzw. eines
individuell-unendliches Subjekt – erlaubt eine im Begriff der Handlung entschärfte Unterscheidung symbolischer und kontemplativer
Handlungen: erstere konstituieren die kultischen Rituale, in denen
ein spezifisch theatralischer Gestus wirksam wird und die sich,
*) Dieser „Gegenstand“ – Hölderlins „vollendetstes Objekt“ – kann als Mythos,
als (Gesamt-) Kunstwerk komplexer Natur sein; die diesem ‚Gegenstand‘
charakteristische (Bild-) Magie (vgl. den zweiten Teil dieser Abhandlung,
bes. S. 48ff) wäre das Zeichen einer der Idee spezifischen absoluten
Handlungsautonomie; in diesem Sinne formuliert K.W.F. Solger. „Das künstlerische Handeln selbst ist nichts anderes als die Tätigkeit der Idee, wodurch
diese sich selbst bewirkt, das Leben der Idee selbst“12 und bei K.Fr. Schinkel
heißt es mit Bezug auf die Baukunst:
„… in der Baukunst muß wie in jeder Kunst Leben sichtbar gemacht werden,
man muß die Handlung des Gestaltens der Idee sehen.“13
einen Verweis auf das Unendliche im Endlichen bedeutend, der
romantischen Definition der Idee, so sie sich im Christlich-Symbolischen zeigt, verbinden lassen*), letztere charakterisieren eine
rezeptive, eine Andachts-Haltung, die, da das Subjekt den Zusammenhang von Erscheinung und Wahrheit, von Form und Gehalt, von
Endlichem und Unendlichem erstellt, eine mystische genannt
werden kann.**)
Somit wäre in der an das (absolute) Subjekt geknüpften, soeben
als Andachtshaltung näher spezifizierten idealischen Auflösung,
die – das wäre ihre Formel – als ein auf einen unendlich erfüllten
Zusammenhang zielendes, Gegenstandsreflexionen transzendierendes
Denken gedeutet werden mußte, ein methodisches, ein erkenntnistheoretisches Schema aufgezeigt, das neben dieser Unendlichkeit des
Zusammenhangs eine Unmittelbarkeit der Erkenntnis, die in der
Erfahrung des Gegenstandes ihren „Sinn“16 in dem Erlebnis der Idee
ihre ekstatische, im Leuchten der Wahrheit erfüllte Beruhigung
findet, verbürgt. Die durch die oben zitierten Auflösungsmetaphern
*) Zum Zusammenhang von christlichem Kultus und Theatralik schreibt Schelling: „… die Kirche, der „sichtbare[n] Leib Gottes … constituirt … sich
selbst durch Handlung. Das öffentliche Leben der Kirche konnte also allein
symbolisch, ihr Cultus ein lebendiges Kunstwerk, gleichsam ein geistliches
Drama seyn …“14
**) Zum vorausgegangenen Abschnitt folgende Stelle aus Schellings „Philosophie
der Kunst“: „Es ist … Prinzip des Christentums … daß es keine vollendeten
Symbole, sondern nur symbolische Handlungen hat. Der ganze Geist des
Christentums ist der des Handelns. Das Unendliche ist nicht mehr im
Endlichen, das Endliche kann nur ins Unendliche übergehen; nur in diesem
können beide eins werden. Die Einheit des Endlichen und Unendlichen ist
also im Christentum Handlung. Die erste symbolische Handlung Christi ist die
Taufe … die andere sein Tod … Inwiefern die Handlung, wodurch das
Endliche hier zugleich das Unendliche wird, als Andacht in das empfangende
Subjekt fällt, insofern ist sie nicht symbolisch, sondern mystisch; inwiefern
sie aber eine äußere Handlung ist, ist sie symbolisch.“15
19
20
illustrierten Begriffe eines punktuell-unendlichen, eines „ganzen
Lebensgefühls“, das aus der Summe endlich durchlaufener Empfindungen des Vergehens und Entstehens in einem Moment (Hölderlin,
s.o.) hervorgeht, sind es demnach, die das ‚blitzartige‘ Aufgehen
eines ganzen Erkenntniszusammenhanges (der bei formaler Differenzierung in Reflexionsstufen verschiedenen Deutlichkeitsgrades*)
zerfällt) in einer höheren, in einer absoluten Erkenntnis anzeigen.
Walter Benjamin hat, bei Berufung auf die frühromantischen
Schriften Friedrich Schlegels und Friedrich von Hardenbergs, ein
an Hölderlins „Werden im Vergehen“ gemahnendes „Schema der
romantischen Erkenntnistheorie“17 geliefert, in dem die in den
„Reflexionsstufen“ gegebene Unmittelbarkeit der Erkenntnis, als
auch „die Auflösung der … Reflexionsform gegen das Absolute“18
entwickelt ist. Er muß daher hier ausführlich zitiert werden, da
sein Gedankengang der klärenden Vertiefung der vorab charakterisierten Auflösungsmethode Hölderlinscher Prägung eignet (vgl.
Bild 5):
„Das bloße Denken, mit seinem Korrelat eines Gedachten ist für
die Reflexion Stoff. Es ist zwar dem Gedachten gegenüber Form, es
ist ein Denken von etwas, und darum soll es aus terminologischen
Gründen erlaubt sein, es die erste Reflexionsstufe zu nennen; bei
*) Deutlichkeitsstufen:
a) bei Benjamin (s.u., vgl. „Kunstkritik“ S.27): Reflexionspole und Deutlichkeitsstufen bis hin zur höchsten Klarheit im Absoluten
(End-/Zielpunkt)
Realtotal
Unendlichneu
Unendlichgegenwärtig
(Besonderes/Wirkliches)
(Anfangs-/Ausgangspunkt)
Idealpartikular
Endlichalt
Endlichvergangen
b) bei Hölderlin (s.o., vgl. „Werke“ S.644) angedeutet in den polaren
Begriffspaaren:
(Absolutes/Idee)
Schlegel heißt sie der „Sinn“. Die eigentliche Reflexion in ihrer
vollen Bedeutung entsteht jedoch erst auf der zweiten Stufe, in
dem Denken jenes ersten Denkens … Im zweiten Denken oder, mit
Friedrich Schlegels Wort, der „Vernunft“ kehrt in der Tat das erste
Denken verwandt auf höherer Stufe wieder: es ist zur „Form der
Form als ihres Gehaltes“ geworden, die zweite ist aus der ersten
Stufe, somit unmittelbar durch eine echte Reflexion hervorgegangen*). Es ist mit anderen Worten das Denken der zweiten Stufe
aus dem ersten von selbst als dessen Selbsterkenntnis entsprungen20. „Sinn, der sich selbst sieht, wird Geist“ heißt es [bei
*) Diese im Denken des Denkens behauptete Unmittelbarkeit der Erkenntnis
rechtfertigt die Deutung der Methode als Erlebnis. Benjamins Darstellung
nimmt anverwandelnden Bezug auf die folgenden Ausführungen J.G. Fichtes,
die das Verhältnis der „allgemeinen Wissenschaftslehre zur Logik“ diskutieren:
„In der Wissenschaftslehre ist die Form vom Gehalt, oder der Gehalt von der
Form nie getrennt … Soll in den Sätzen der Logik die blosse Form … nicht
aber der Gehalt liegen, so sind sie nicht zugleich Sätze der Wissenschaftslehre, sondern sie sind von ihnen verschieden …
„… Die Logik soll die blosse Form, vom Gehalt abgesondert, aufstellen; diese
Absonderung kann, da sie keine ursprüngliche ist, nur durch Freiheit
geschehen. Die freie Absonderung der blossen Form vom Gehalte wäre es
sonach, durch welche eine Logik zu Stande käme. Man nennt eine solche
Absonderung Abstraction; und demnach besteht das Wesen der Logik in der
Abstraction von allem Gehalt der Wissenschaftslehre.
„Auf diese Art wären die Sätze der Logik blosse Form, welches unmöglich ist,
denn es liegt im Begriffe des Satzes überhaupt, dass er beides, Gehalt sowohl
als Form habe. Mithin müsste das, was in der Wissenschaftslehre blosse Form
ist, in der Logik Gehalt seyn, und dieser Gehalt bekäme wieder die
allgemeine Form der Wissenschaftslehre, die aber hier bestimmt als Form
eines logischen Satzes gedacht würde. Diese zweite Handlung der Freiheit,
durch welche die Form zur Form der Form als ihres Gehaltes wird, und in sich
selbst zurückkehrt, heisst Reflexion. Keine Abstraction ist ohne Reflexion;
und keine Reflexion ohne Abstraction möglich.“19
21
22
Friedrich Schlegel] … Fraglos ist vom Standpunkt der zweiten
Stufe das bloße Denken Stoff, das Denken des Denkens seine Form.
Die erkenntnistheoretisch maßgebende Form des Denkens ist also
das Denken des Denkens. Auf Grund der Unmittelbarkeit seines
Ursprungs aus dem Denken ersten Grades wird dieses Denken mit
dem Erkennen des Denkens identifiziert. Es bildet für die Frühromantiker die Grundform alles intuitiven Erkennens und erhält so
seine Dignität als Methode; es befaßt als Erkennen des Denkens
jede andere, niedere Erkenntnis unter sich, und so bildet es das
System“21 denn „jenes „Form der Form als ihres Gehaltes“ werden
findet nach der romantischen Anschauung unaufhörlich statt und
konstituiert vorerst nicht den Gegenstand, sondern die Form, den
unendlichen methodischen Charakter des wahren Denkens.“22
„Es wird demgemäß“, so setzt Benjamin seine Betrachtung fort,
„das Denken des Denkens zum Denken des Denkens des Denkens
(und so fort), und es ist damit die dritte Reflexionsstufe erreicht … Die dritte Reflexionsstufe bedeutet mit der zweiten
verglichen, etwas prinzipiell Neues. Die zweite, das Denken des
Denkens, ist die Urform, die kanonische Form der Reflexion … Auf
der dritten und jeder folgenden höheren Reflexionsstufe geht
jedoch in dieser Urform eine Zersetzung vor sich, die in einer
eigentümlichen Doppeldeutigkeit sich bekundet … Das Denken des
Denkens des Denkens kann auf zweifache Art aufgefaßt und
vollzogen werden. Wenn man von dem Ausdruck „Denken des
Denkens“ ausgeht, so ist dieser auf der dritten Stufe entweder das
gedachte Objekt: Denken (des Denkens des Denkens), oder aber
das denkende Subjekt (Denken des Denkens) des Denkens. Die
strenge Urform der Reflexion des zweiten Grades ist durch die
Doppeldeutigkeit im dritten erschüttert und angegriffen. Diese
aber würde in einer immer vielfacheren Mehrdeutigkeit auf jeder
folgenden Stufe sich entfalten. In diesem Sachverhalt beruht das
Eigentümliche der von den Romantikern in Anspruch genommenen
1
2
3
4
5
Unendlichkeit der Reflexion: die Auflösung der eigentlichen Reflexionsform gegen das Absolute … das in der Reflexion geformte
Denken wird zum formlosen Denken, welches sich auf das Absolutum
richtet.“23
In der Auflösung der strengen Reflexionsform eine Aufhebung
ihrer unmittelbaren Verweisungsdienlichkeit zu vermuten, hieße
Benjamins Gedankengang – die Vermittlung der unmittelbaren
Formlosigkeit des Absoluten vermittels unmittelbarer, sprich: kanonischer Reflexionsformen – mißverstehen. Friedrich Wilhelm Joseph
Schelling etwa hat die Identität von (Reflexions-) Form und (absoluter) Formlosigkeit in der Anschauung des „Chaos“ als unmittelbar
gegeben gesehen und damit den Zielpunkt des Auflösungsprozesses,
den Benjamin vorab charakterisiert, markiert:
„Jenes Chaos im Absoluten ist nicht bloße Negation der Form,
sondern Formlosigkeit in der höchsten und absoluten Form, sowie
umgekehrt höchste und absolute Form in der Formlosigkeit: absolute Form, weil in jeder Form alle und in alle jede gebildet ist,
Bild 5 Während Hölderlin von einer komplexen Wahrnehmunsgegebenheit („Vaterland“) ausgeht und diese auf das Absolute hin auflöst, so geht Benjamin von einem
Sinnesdatum (1) aus, das in der Methode des potenzierten Denkens eine Auflösung
im Absoluten erfährt. [2 = „Sinn“ (Schlegel), 3 = „Vernunft“ = „kanonische Reflexionsform“ (Benjamin), 4 = Denken des Denkens des Denkens, 5 usw.]
TOTAL-GEFÜHL
23
24
Formlosigkeit, weil eben in dieser Einheit aller Formen keine als
besondere unterschieden wird.“24/*)
Damit ist der unmittelbare Zusammenhang im Absoluten, den es
als einen solchen im romantisch-methodisierenden Subjekt einerseits, als absolute (Un-)Ordnung der Ideen andererseits zu fassen
gilt, gesichert und der Übergang von Extremen, die Vermittlung von
Unmittelbarkeiten dadurch gewährleistet, „daß eben die höchste
Form (wo die Form in der Formlosigkeit nicht mehr erkannt wird)
zur Formlosigkeit, wie in anderen Fällen die Formlosigkeit selbst zur
Form wird.“25
Der unverständlichen Tiefe dieses Gedankens einer Formung aus
der Formlosigkeit der absoluten Form, der Auflösung der geformten
Form in deren ursprüngliche Formlosigkeit hat Friedrich Schlegel in
seinem letzten, die frühromantischen Bemühungen quasi beschließenden Athenaeumsbeitrag einen provokanten Ausdruck verliehen:
„Wahrlich, es würde euch bange werden, wenn die ganze Welt,
wie ihr es fordert, einmal durchaus verständlich würde. Und ist sie
selbst, diese Welt, nicht durch den Verstand aus der Unverständlichkeit oder dem Chaos gebildet.“26
Diese Wendung, die gleichsam auf obiges Schelling-Zitat Bezug
nimmt, erfährt eine auf die wissenschaftliche Methodik und die
Kunst zielende Präzisierung; so wollte Friedrich Schlegel zeigen,
„daß man die reinste und gediegenste Unverständlichkeit gerade aus
der Wissenschaft und der Kunst erhält“27, denn es sind gerade die
Äußerungen der Kunst und einer als Philosophie näher zu spezifizierenden Wissenschaft, die, als durch die Verstandesleistung der
ausübenden Künstler-Philosophen geformte, der notwendigen Bin*) Zur Verdeutlichung eine variierende Formulierung: Jede Form ist, weil in der
absoluten Form und an dieser partizipierend, selbst wieder absolut und
damit unmittelbar mit jeder anderen zusammenhängend.
dung an das Chaos, an das Absolute, an das Formlose der ewig
geformten Ideen, an das Unverständliche, bedürfen, um als Werke
der Kunst, um als Philosopheme eines inspirierten Philosophierens
vor der romantischen (Kunst-)Kritik bestehen zu können.
Mit diesem Hinweis auf eine (Kunst-)Kritik, die den Ursprung
und das unverständliche Werden eines Werkes authentisch deutet,
ist ein hermeneutisches Problem angesprochen, dem Friedrich
Schlegel – dabei ironisch mit dem „Unverstand“ spielend – eine
radikale Lösungsmöglichkeit gewiesen hat, die sich jenseits jeglichen Zugeständnisses an den Rezipienten – in Friedrich Schlegels
Terminologie: den Leser – bewegt:
„Der gesunde Menschenverstand dürfte leicht auf die Vermuthung gerathen können, der Grund des Unverständlichen liege im
Unverstand. Nun ist es ganz eigen an mir, daß ich den Unverstand
durchaus nicht leiden kann, auch den Unverstand der Unverständigen, noch weniger aber den Unverstand der Verständigen.
Daher hatte ich … den Entschluß gefaßt, mich mit dem Leser in ein
Gespräch über diese Materie zu versetzen, und vor seinen eigenen
Augen, gleichsam ihm ins Gesicht, einen anderen neuen Leser nach
meinem Sinn zu construiren, ja, wenn ich es nöthig finden sollte,
denselben sogar zu deduciren. Ich meyne es ernstlich genug und
nicht ohne den alten Hang zum Mystizismus.“28
Friedrich Schlegels mystisches Ansinnen, einen dem unverständlichen, dem chaotischen, dem absoluten Ursprungsort des
Werkes adäquaten, weil aus nämlichem Quellpunkt hervorgehenden
„neuen Leser … zu deduciren“ bezeugt die Intention einer allumgreifenden Kunstauffassung, die das ‚romantische‘ Gesamtkunstwerk
anstrebt: Kunstwerk, „neuer Leser“, der unabdingbare architektonische Rahmen, der diese beiden ‚polaren Komponenten‘ integrativ umschließt, nehmen ihren Ursprung im Quellpunkt des
Absoluten und in den diesem immanenten, zunächst noch unentfalteten Ideen, die im kreativen Akt zur Darstellung gelangen.
25
26
Die hier sich abzeichnende expansive Dimension, die innere
Richtungsbestimmtheit*) des kreativen Prozesses, ist von Friedrich
Wilhelm Joseph Schelling in seiner „Construktion des Besonderen
oder der Form der Kunst“ angedeutet worden:
„Die reale Seite des Genies … welche Einbildung des Unendlichen
ins Endliche ist“, formuliert Schelling im §64 seiner Philosophie der
Kunst „kann im engeren Sinne die … Poesie heißen.
„Erläuterung: Unter Poesie im engeren Sinne wird, wenn wir uns
auch bloß an die Sprachbedeutung halten, das unmittelbare Hervorbringen oder Schaffen eines Realen verstanden, die Invention an und
für sich selbst. Alles unmittelbare Hervorbringen oder Schaffen ist
aber immer und nothwendig Darstellung eines Unendlichen oder
Realen … In der Invention expandirt oder ergießt sich das Genie in
das Besondere … So gibt das Absolute [durch das Genie des
individuellen Künstlers, wie zu ergänzen ist] den Ideen der Dinge,
die in ihm sind, ein unabhängiges Leben, indem es sie in die
Endlichkeit auf ewige Weise einbildet …“29/**)
*) Diese meint eine sukzessive Ausformung der Teilformen des Gesamtkunstwerkes in Zeit und Raum; der hieratische Zusammenhang dieses Ausformungsprozesses, in dem sich die Idee, die man sich als Indifferenzpunkt
vorzustellen hat, verbreitert, konkretisiert und materialisiert, läßt sich wie
folgt charakterisieren: Absolutes – Idee – Künstler (kreativer Akt) und
Kunstwerk: Musik – Sprache (in Dichtung und Gesang) – Malerei (Bühnenbild) – (theatralische) Plastik (Darsteller) – „deducirter Leser“ (Rezipient) –
der diese Teilformen umschließende architektonische Rahmen – (vgl. den
3. Teil dieser Abhandlung)
**) Wenige Zeilen später definiert Schelling diese expansive „Einbildung des
Unendlichen ins Endliche“ als „Erhabenheit,“30, die sich im Kunstwerk als
solche artikuliert. Damit ist in Schellings deduktiver Genealogie des Kunstwerkes – das als Gesamtkunstwerk zu deuten die Weite des Schellingschen
Poesie- und des mit diesem verquickten Geniebegriffes nahelegt – eine
Metaphysik des kreativen Aktes gegeben, die Arthur Schopenhauers idealistische Theorie des Traumes, des Hellsehens und des Somnambulismus
Schellings Definition der poetischen Invention propagiert das
Apriori eines absoluten Wissens, das als ‚einfaches‘ Wissen –
Hölderlins „Totalgefühl“ – auf einen schlechthin neuen Ursprung
und absoluten Anfang geht.
Das ist unstreitig ein ‚revolutionäres‘ Ansinnen, das von den
Romantikern als geistige Folge der französischen Revolution gedeutet worden ist. So jedenfalls hat es Friedrich Schlegel in seinem
berühmten Athenaeumsfragment getan: „Die Französische Revolution, Fichte’s Wissenschaftslehre, und Goethe’s Meister sind die
größten Tendenzen des Zeitalters. Wer an dieser Zusammenstellung
Anstoß nimmt, wem keine Revoluzion wichtig scheinen kann, die
nicht laut und materiell ist, der hat sich noch nicht auf den hohen
weiten Standpunkt der Geschichte der Menschheit erhoben.“32
Mit der Nennung Fichtes ist auf die ‚revolutionäre‘ philosophische Quelle, die das Absolute, das Fichtesche ICH, die
absolute Subjektivität zum spekulativen Ausgangspunkt erhebt,
verwiesen. Um diesen spekulativen Ausgangspunkt zu gewinnen,
ist die Methode der romantische Ironie*) – zumal von ästhe-
antizipiert31. Letztere hat Richard Wagner seiner, sein eigenes musikdramatisches Werk legitimierenden Beethoven-Abhandlung fruchtbar gemacht und
damit das theoretische Fundament für seine Festspielhauspläne und die diese
erläuternden Schriften gelegt. Wir werden auf diese an gegebener Stelle zu
sprechen kommen. An dieser Stelle sei zusammenfassend wie vorwegnehmend bemerkt, daß allen zitierten und im folgenden zu zitierenden, die
Wirklichkeit eines Kunstwerkes in Allgemeinheit, die der Architektur in
Besonderheit deduzierenden Verfahren eine Richtungsbestimmtheit, ein
zentralperspektivisches Schema immanent ist, das sich in der Schellingschen
Definition der ‚Invention als einer Expansion‘ abzuzeichnen beginnt und das
in der Beispielanalyse wird verifiziert werden können.
*) Kierkegaard in einer Anmerkung: „Ich benütze in dieser Darstellung die
Ausdrücke ‚die Ironie und die Ironiker‘; ebensogut könnte ich ‚die Romantik
und die Romantiker‘ sagen. Beide Ausdrucksweisen bezeichnen wesentlich
das Gleiche …“33
27
28
tischer Relevanz – paradigmatisch. Der frühe, maßgeblich dem
späten Fichte verpflichtete Kierkegaard hat ihre Bedeutung in
seiner Dissertationsschrift „Über den Begriff der Ironien“ dargestellt.
Man erinnere sich des Schlegelschen Fragments, so Kierkegaard
formuliert:
„Die Ironie im strengen Sinne richtet sich nicht wider das eine
oder andere einzelne Daseiende, sie richtet sich wider die ganze zu
einer gewissen Zeit und unter gewissen Verhältnissen gegebene
Wirklichkeit [Kierkegaard nennt dieses auch die „Weltgültigkeit“ der
Ironie]. Sie trägt daher in sich eine Apriorität, und sie gelangt zu
ihrer Gesamtansicht nicht dadurch, daß sie allmählich ein Stück der
Wirklichkeit nach dem anderen vernichtet, sondern Kraft ihrer
Gesamtansicht richtet sie Zerstörung an im einzelnen.“34 Das
Resultat der ironischen Auflösung, die ihr innewohnende Apriorität,
charakterisiert Kierkegaard im vorausgehenden Abschnitt seiner
Abhandlung: „… was … das an der Ironie zum Vorschein kommende
ist, das ist die subjektive Freiheit, welche in jedem Augenblick die
Möglichkeit zu neuem Anfang in der Gewalt hat und nicht durch
vorhergehende Verhältnisse beengt wird.“35
Dieses vorhergehende, die Freiheit der Subjektivität beengende
Verhältnis hat die romantische Kunsttheorie in einer die individuelle künstlerische Bestrebung fesselnden ästhetischen Dogmatik
gesehen. Diese zu ‚ironisieren‘ hat Fichte in seiner Kritik des
dogmatisch-realistischen Relikts: des ‚Dinges an sich‘ den romantischen Kunstheroen den Weg geebnet. Seine Bedeutung für die
Kunsttheorie der Folgezeit darf daher nicht unterschätzt werden.
Kierkegaard umreißt Fichtes Leistungen wie folgt:
„Fichte beseitigt die Schwierigkeit mit diesem „An-sich“, indem
er es in das Denken hineinversetzte, er verunendlichte das Ich im
Ich. Das hervorbringende Ich ist das gleiche wie das hervorgebrachte
Ich. Das Ich=Ich ist die abstrakte Identität. Hierdurch machte Fichte
das Denken unendlich frei*). Aber diese Unendlichkeit des Denkens
bei Fichte ist wie alle Unendlichkeit Fichtes eine negative Unendlichkeit … d.h. sie ist eine Unendlichkeit, in der keine Endlichkeit
ist, eine Unendlichkeit ohne allen Inhalt … die Subjektivität wurde
die unendliche, absolute Negativität, die unendliche Spannung, der
unendliche Trieb. Dadurch hat Fichte seine Bedeutung in der
Wissenschaft. Seine Wissenschaftslehre verunendlichte das Wissen.
Aber er verunendlichte es negativ, und dergestalt erhielt er statt der
Wahrheit die Gewißheit, erhielt er nicht positive sondern negative
Unendlichkeit in der unendlichen Identität des Ich mit sich
selbst … Doch eben weil Fichte das Negative hatte, war seinem
Standpunkt ein unendlicher Enthusiasmus eigen, eine unendliche
Spannkraft … indem Fichte dergestalt im Ich=Ich die abstrakte
Identität festhielt … hatte er den absoluten Anfang erworben, und
unter Ausgehen von diesem wollte er … die Welt konstruieren. Das
Ich wurde das Allbegründende.“36/**)
Kierkegaard beschließt seine Charakteristik des Fichteschen
Systems mit der Feststellung, daß dieses „die Frage des Anfangspunktes der Philosophie … zum Bewußtsein gebracht“38 habe.
Doch in Prädikaten wie: „die unendliche Spannung“, „der unendliche Trieb“, „Gewißheit“, „unendlicher Enthusiasmus“, den
Definitionen der Ironie als einer „Andacht“, oder als eines
„subjektiven Genuss[es], sofern das Subjekt in der Ironie sich aus
der Gebundenheit losmacht, in der es von der fortlaufenden
Kette der Lebensverhältnisse gehalten wird“39, weiterhin in der
Hervorhebung der Ironie in ihrer Absichtslosigkeit: „ihr Zweck ist
*) d.h. also: losgelöst vom Ding an sich
**) Entsprechend heißt es im „Systemprogramm des deutschen Idealismus“:
„Die erste Idee ist natürlich die Vorstellung von mir selbst, als einem absolut
freien Wesen. Mit dem freien, selbstbewußten Wesen tritt zugleich eine
ganze Welt – aus dem Nichts hervor – die einzig wahre und gedenkbare
Schöpfung aus Nichts.“37
29
30
ihr innerlich einwohnend, es ist ein metaphysischer Zweck“40,
sind nicht nur die erlebnisrelevanten Begriffe genannt, die unabdingbarer Bestand eines methodischen, auf einen absoluten Ursprung gehenden Denkens und Fühlens sind41 – vielmehr liegt in
ihnen ein gutes Stück der dem Fichteschen Denken verpflichteten ästhetischen Terminologie Arthur Schopenhauers
beschlossen, das die philosophische Standortbestimmung und
kunsttheoretische Selbstbegründung eines Richard Wagner erst
möglich werden läßt.
Fichtes ‚ursprüngliches Erleben‘ und sein aus diesem resultierendes System ist demnach der legitime Ausgangspunkt eines
neuen, romantisierenden Kunsttheoretisierens und Kunstschaffens.
Die ästhetische Relevanz Fichtes bekräftigt etwa die Äußerung
Arthur Schopenhauers, der Fichte immerhin ein rhetorisches
Talent42 zuerkennt; entsprechendes intendiert Hölderlin, wenn er
von einem dem Philosophen notwendigen ästhetischen Sinn
spricht*); am tiefsten und deutlichsten zugleich sind jedoch des
Novalis folgende Worte: „Der Anfang des Ich ist bloß idealisch,
denn der Anfang entsteht später als das Ich; darum kann das Ich
nicht angefangen haben. Wir sehen daraus, daß wir hier im
Gebiete der Kunst sind.“44
Diese noch ganz unter dem Banne Fichtes gesprochenen Sätze
rechtfertigen die These, der gemäß die in einer revolutionären Tat –
Fichtes „Tathandlung“ – gewonnene absolute voranfängliche Subjektivität dem Ursprungsort der Kunst als absoluter Kunst identisch zu
setzen ist. Damit ist die bloß negative Bestimmung, wie Kierkegaard
sie dem Fichteschen Ich einzig zugesprochen, durchbrochen und der
Ausblick auf eine positive (d.i. wirkliche), den „alles überschau*) „Der Philosoph muß eben so viel ästhetische Kraft besitzen, als der
Dichter … Die Philosophie des Geistes ist eine ästhetische Philosophie. Man
kann in nichts geistreich sein … ohne ästhetischen Sinn.“43
enden … und … alles vernichtenden Blick*) auf den idealischen
Anfang richtende Sphäre gegeben – das ist eben die Sphäre der
Kunst – deren innerlicher ‚Zweck‘ sich in ihrer Verweisungsdienlichkeit, nämlich das vor allem Anfang liegende, das dem „principium
individuationis“ entbundene Absolute zu einer realen Anschauung
zu bringen, erschöpft.
Wenn Novalis das Fichtesche Ich dem Gottesbegriff identifiziert46,
so ist nicht nur der der Kunst eigene Ewigkeitsanspruch unterstrichen, den ihr bereits die Synthetisierung mit dem absoluten Ich
verbürgte, vielmehr ist die Kunst einer bloß auf das Sinnliche
gehenden, das Werk lediglich nach dem „schönen Schein“ bemessenden Beurteilung, ihre Profanisierung also, entbunden47, um
nunmehr als sakrale Kunst, als religiöse Kunst in ihre ureigensten
Rechte zu treten.
Mit diesem Hinweis auf die sakrale Dimension der Kunst sind
unsere den absoluten Ursprung derselben umkreisenden Erwägungen
nahezu erschöpft. Wie sehr der Gedanke eines deduktiv sich
entfaltenden, in der Absolutheit der Idee präformierten Werkes –
*) Die in diesem Teil dieser Abhandlung mehr disjunktiv dargestellte Doppelbewegung erlebnismäßig-methodischer Auflösung („vernichten“, „überschauen“) und deduktiver Werkgestaltung („schaffen“) ist in K.W.F. Solgers ästhetischem Ironiebegriff synthetisch verdichtet: „Geht also die Idee durch den
künstlerischen Verstand in die Besonderheit über, so drückt sie sich nicht
allein darin ab, erscheint auch nicht bloß als zeitlich und vergänglich, sondern
sie wird das gegenwärtige Wirkliche, und … die Nichtigkeit und das Vergehen
selbst, und unermeßliche Trauer muß uns ergreifen, wenn wir das Herrlichste,
durch sein notwendiges irdisches Dasein in das Nichts zerstieben sehen …
Dieser Augenblick des Überganges nun, in welchem die Idee selbst notwendig
zunichte wird, muß der wahre Sitz der Kunst, und darin Witz und Betrachtung,
wovon jedes zugleich mit entgegengesetztem Bestreben schafft und vernichtet,
eins und dasselbe sein. Hier also muß der Geist des Künstlers alle Richtungen
in einen, alles überschauenden Blick zusammenfassen, und diesen über allem
schwebenden, alles vernichtenden Blick nennen wir die Ironie.“45
31
32
das zu konkretisieren, zu schaffen selbstverständlich einen historischen Prozeß impliziert – die Idee ist außer aller Zeit, der kreative
Akt vollzieht sich in der Zeit – der Romantik anliegen war, dürfte
folgendes Bruchstück aus Friedrich Schlegels „Gespräch über die
Poesie“48 erhellen:
„ANTONIO. Wir dürfen also nun nichts mehr wünschen, als das
wir Ideen zu Gedichten in uns finden mögen, und dann das
gerühmte Vermögen nach Ideen zu dichten.
„LUDOVIKO. Halten Sie es etwa für unmöglich, zukünftig Gedichte a priori zu construiren?
„ANTONIO. Geben Sie mir Ideen zu Gedichten, und ich getraue
mir, Ihnen jenes Vermögen zu geben.“49
Ludovikos Frage, Antonios Antwort wollen es besagen: Die Idee
ist ein Vorgegebenes. Dieses Diktum darf jedoch nicht zu einem
naiven Mißverständnis, sprich: zu einer Hypostasierung der Ideen
führen; die Ideen bilden eine eigene, apriorische Ordnung: die, der
Ideenwelt und „entgehen jeder wie immer gearteten Projektion in
den Erkenntnisbereich.“50
Um diese exzentrische Seinssphäre der Ideen, die sich einem
analytisch-induktiven Erkenntnisprozeß entzieht, anzuzeigen, ist
Friedrich Schlegels Satz vom „Übergang, der immer ein Sprung sein
muß“51 paradigmatisch.
Doch, so wird man fragen, ist hiermit nicht der in obigem
methodischen Diskurs behaupteten Unmittelbarkeit in der Erkenntnis der Ideen (resp. des Absoluten) widersprochen?
Das führt auf die zentrale Wesensbestimmung des von uns so
benannten „Erlebnisses der Ewigkeit der Ideen“: Unmittelbar ist
zunächst das aller Anschauung und Begrifflichkeit enteilende
Gefühl; das Gefühl definiert den sich im Inneren des Erlebenden
vollziehenden Progressus, es ist die dynamische Erlebnisqualität, die
einer sich in dem Kulminationspunkt des Erlebens bewährenden
Klärung durch die sprunghaft-dialektische Denkbewegung bedarf.52
Es sind demnach die die Hölderlinsche bzw. Benjaminsche
Auflösungsmethode bestimmenden Aspekten sythetisierende Bewegung im Medium der Reflexion, des Begriffes: Auflösung der Form –
als welche es das durch des Künstlers Verstandesleistung geformte
individuelle Werk zu erkennen galt – in die absolute Formlosigkeit
der Idee, die es mit der emotionalen Unmittelbarkeit des Erlebens zu
vermitteln gilt.
Walter Benjamin hat der Tiefe dieses Problems einzig in einer an
das Paradoxe rührenden Lösung Ausdruck zu geben vermocht und
von einer „Vermittlung durch Unmittelbarkeit“53 gesprochen. Dabei
verweist er nicht nur auf den von uns in einer Fußnote54 erwähnten
Fichteschen Gedanken einer in Selbstreflexion sich selbst unmittelbar zum Gehalt werdenden Form, vielmehr zitiert er Schlegels
versöhnliche These: „Das eigentlich Unmittelbare ist zwar das
Gefühl, es gibt aber doch auch ein unmittelbares Denken“55. Dieses
auf die Idee zielende, sich mit der Unmittelbarkeit des Gefühls
synthetisierende „unmittelbare Denken“ hat Friedrich Schlegel in
einem seiner Athenaeumsfragmente zu erfassen versucht: „Eine
Idee, ist ein bis zur Ironie vollendeter Begriff, eine absolute
Synthesis absoluter Antithesen, der stets sich selbst erzeugende
Wechsel zwey streitender Gedanken.“56
In diesem winzigen Sätzchen ist die Quintessenz der romantischen Methode und der Kern der Erlebnisse der Ideen gegeben: Der
„stets sich selbst erzeugende Wechsel“ kann nur als ein subjektives,
als ein die Idee ahnendes Korrektiv gedeutet werden, das die die
dialektischen Sprünge vollführenden, die die Anschauung auflösenden Begriffe auf die den Erlebnisprozeß absolut vollendende Idee
treibt. Daß die Idee als ein aller Empirie entkleidetes Negativum
(Kierkegaard, s.o.) auch außer allem Begriff ist, will die Wendung:
„ein bis zur Ironie vollendeter Begriff“ besagen. Mit dieser ironischen Aufhebung aller Begrifflichkeit ist der Durchbruch in die
Sphäre unmittelbaren Denkens und damit die Synthese von Gefühl
33
34
und Denken in der Evidenz des Ideenerlebnisses vollzogen. Den also
erreichten Kulminationspunkt des Erlebnisprozesses hat Friedrich
Hölderlin durch die dem erlebenden Subjekt spezifische Haltung der
Furchtlosigkeit und das diese finale Haltung bestimmende „Totalgefühl“ charakterisiert.57
Zum Abschluß der soeben geleisteten Erlebnisdefinition soll
nicht unbetont bleiben, daß dem Begriff als einem Mittleren im
Medium, d.h. als zwischen Idee und Phänomen schwebendem, eine
ausgezeichnete Rolle zukommt, denn „Ideen … bleiben dunkel
[‚negativ‘], wo die Phänomene sich zu ihnen nicht bekennen und
um sie scharen. Die Einsammlung der Phänomene ist die Sache der
Begriffe und die Zerteilung, die sich kraft des unterscheidenden
Verstandes in ihnen vollzieht, ist um so bedeutungsvoller, als in
einem und demselben Vollzuge sie ein Doppeltes vollendet: die
Rettung der Phänomene und die Darstellung der Ideen.“58
In den also geretteten, weil die Idee darstellenden Phänomenen ist
der Übergang von der Negativität bloßer Methode zur phänomenalen
Sinnerfülltheit des Erlebens vollzogen – die Idee paart sich mit dem
Faktum – „Ein Ideal ist zugleich Idee und Faktum“, fährt Friedrich
Schlegel in unmittelbarem Anschluß an den oben zitierten Satz fort.
„Haben die Ideale für den Denker nicht so viel Individualität wie die
Götter des Altertums für den Künstler, so ist alle Beschäftigung mit
Ideen nichts als ein langweiliges und mühsames Würfelspiel mit
hohlen Formeln, oder ein nach Art der Chinesischen Bonzen, hinbrütendes Anschauen seiner eigenen Nase.“59
Es ist demnach an der Zeit, sich an die eigene Nase zu greifen,
um diese auf ein „Faktum“ zu stoßen, in dem sich die Struktur der
‚romantischen‘, auf die Idee zielenden Erlebnismethode in der dem
deduktiven Gestaltungsprozeß spezifischen Umkehrung der Erlebnisrichtung ausformt. Ein solches, den Gestaltungs- wie Erlebnisprozeß
schematisierendes, die Idee faktisierendes „Ideal“ läßt sich tatsächlich als im Kult- sprich: Theaterbau des 19. Jahrhunderts
gegeben nachweisen. Da die Idee einer induktiven, mehr auf die
Anhäufung von Fakten bedachten Betrachtung verschlossen bleibt,
kann der Verweis auf nur ein zentrales Beispiel der Architekturgeschichte des 19. Jahrhunderts nicht wundernehmen: nur im
Extrem ist eine Repräsentation der Idee zu erwarten. Dieses weiß die
von der Idee ihren Ausgangspunkt nehmende Betrachtung ohne
Umschweife ausfindig zu machen: Ein solches Extrem ist das
Wagnersche Festspielhaus zu Bayreuth, mit dem unsere Betrachtung – quasi als absolutem Indifferenzpunkt – anhebt, um letztlich
wieder zu diesem zurückzugehen.
Doch einen solchen Indifferenzpunkt lediglich in einem vorgefundenen komplexen Ganzen zu konstatieren kann nicht befriedigen, so der Gedanke einer sukzessiven, den deduktiven Gestaltungsprozeß referierenden Ausformung erwiesen und damit die
Schematisierung der vorab charakterisierten Erlebnisstruktur in
Architektur nachvollzogen werden soll.
Auf der Suche nach einem diesem deduktiven Gestaltungsprozeß
genügenden Indifferenzpunkt werden wir an das Zentrum des
Theaterbaus: das Proszenium verwiesen. Es ist durchaus evident, das
Proszenium als den in der Architektur materialisierten Indifferenzpunkt zu bezeichnen, da es das ‚negative‘ Faktum in der Theaterarchitektur bedeutet; d.h.: es bildet die Stelle im architektonischen
Komplex, die die geringste architektonische Wirklichkeit einnimmt,
da sie zunächst nicht maßgeblich in die äußere, „historisch
geadelte“60 Bauform eingreift und diese bestimmt(vgl.: ANHANG V.1.). Nur
vom Proszenium her konnte sich daher ein neues, architektonisches
Ganzes antinomisch entfalten: Wie der an der absoluten Vernunft
rührende Verstand die Antinomien eines Ich und Nicht-Ich und die
beide trennende und vereinigende Grenze (des Begriffs) entbindet,
so konkretisiert sich der architektonische Indifferenzpunkt in zwei
diametral entgegenstehenden Raumsphären: der ‚realen Welt‘ des
Auditoriums auf der einen, der ‚idealen Welt‘ des Bühnenraumes auf
35
36
der anderen Seite. Doch die Bestimmung des Proszeniums erschöpft
sich nicht nur in der (Grenz-)Setzung eines zu architektonischer
Wirklichkeit gelangenden Dualismus; vielmehr zeichnet sich in der
Proszeniumsreform – deren detaillierte Darstellung dem Beispielteil
vorbehalten bleibt – eine letztlich auf den ganzen Innenraum
übergreifende, ‚Geisterwelt‘ und ‚reale Welt‘ synthetisierende Zentralperspektivik ab, die das adäquate Schema des vorab in abstracto
gewonnenen Erlebnisses liefert. Das Proszenium meint da das
Mittlere im Medium, als welches wir in unseren theoretischen
Ausführungen den Begriff erkannten: Vollzieht sich das Erleben als
ein sprunghaft-kontinuierlicher Auflösungsprozeß des Konkreten bis
hin zur ironischen Vollendung, in der der Erlebende der Idee inne
wird, so artikuliert sich im Proszenium bzw. in der in und aus
diesem sich entwickelnden, Auditorium und Bühnenraum einigenden, den Grundriß durchdringenden, zentralperspektivischen Linienschar ein eine architektonische Wirklichkeit einnehmendes Schema
des erlebnismäßigen Abstraktionsprozesses, welches in einem dem
Proszenium, dem ‚Begriff‘ exzentrischen Raumpunkt: dem Fluchtpunkt der perspektivischen Linienschar, der erlebnisimmanenten
Idee ein architektonisches (im Grundriß nachweisbares) Synonym
zuweist [Abb. 1].
Die vorgetragene Verquickung von: Methode, Erlebnis, Proszenium, der damit ausschließlich auf den Theaterbau, sprich: das
Festspielhaus Bayreuth gegebene Verweis, ließe die behauptete
Formwerdung der deduzierten Erlebnisstruktur in Architektur allemal evident werden. Aber es dürfte einsichtig sein, daß eine
Architektur als architektonisiertes Schema dieses die Ganzheitlichkeit des Absoluten intendierenden Erlebens nicht in disparate
Gattungen zerfallen kann. Gemessen an der Andachts-Natur dieses
Erlebens, in hinweisender Vorwegnahme der Hölderlinschen Idee
einer „sinnliche Religion“ resp. „ästhetischen Kirche“61 scheint es
tautologisch, von einer Architekturgattung: Theaterbau einerseits,
Abb. 1 Otto Brückwald, Bühnenfestspielhaus zu Bayreuth, Grundriß;
zeichnerische Ergänzung vom Verfasser
von einer Bauaufgabe Kirchenarchitektur andererseits zu sprechen.62
Der der Theater- und Kirchenarchitektur gemeinsamen, in ihrer
‚ästhetischen Hausordnung‘, dem ‚ästhetischen Erleben‘ manifest
werdenden Idee ließe sich durch eine die gemeinte Identität
akzentuierende Wendung Ausdruck geben, die wir der weiteren
Untersuchung thesenartig voranstellen wollen: Es gibt die theatralische Kirche – es gibt das sakrale Theater.
37
38
II. Die neue Mythologie und die mythologische
Architektur
Die bisherigen Ausführungen haben erkennen lassen, daß die
Architektur den Beschluß, die ‚Vollendung‘ einer der romantischen
Ideenwelt erwachsenden Kunstauffassung ist; die Architektur bedeutet demnach die ‚gemauerte Kontur‘ eines ‚inneren‘, kulturellen
Prozesses, der, reduziert auf seine philosophisch-ästhetischen Konzeptionen, an seinem Fundament erfaßt ist. Dieser Bewegung: von
‚innen‘ nach ‚außen‘ versuchten und versuchen wir in unserem
methodischen Vorgehen Rechnung zu tragen. Im Sinne dieser
Bewegungsrichtung scheint es konsequent, das konkrete Beispiel:
das ‚Außen‘ , weiterhin an das Ende der Betrachtung zu stellen, um
sich erneut dem ‚Innen‘, dem von der Architektur beschlossenen
Erlebnis-Korrelat zuzuwenden, das es nunmehr zu präzisieren gilt.
Gemessen an der ‚Sinn‘-Erfülltheit eines konkreten Erlebens, dem
das erlebende Subjekt in einer inneren Synthese (einer inneren
Handlung, einer mystischen Andachtshaltung – s.o.) seinen sakralen
Gehalt zuzuweisen vermag, könnten die das Erlebnis in abstracto
deduzierenden Versuche eingedenk der alsdann gewonnenen Bestimmtheit und Anschaulichkeit als überflüssige Propädeutik abgetan werden. So ist denn auch durch einen unbändig auftretenden
Positivismus geschehen, der da glaubte mit dem romantischen
Verdikt, daß „das Ideale das Wirkliche und viel wirklicher als das
sogenannte Wirkliche selbst“63 sei, ob dessen Leere, ob dessen
Negativität brechen zu müssen. Die Romantiker und ihre Epigonen
haben der anfänglichen Negativität ihrer einem ‚idealischen‘ Absoluten verpflichteten Spekulation nie entraten, dabei eine ‚positive‘ Ergänzung und Vollendung als der negativen Sphäre unabdingbar empfunden. Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, als einer
der uns in diesem Zusammenhang zentral interessierenden Denker,
konzipiert erst in seinem Alterswerk, der „Offenbarungsphilo-
sophie“, den gleichermaßen versöhnenden als trennenden Entwurf
einer „positiven Philosophie“, die der „negativen“ ergänzend an die
Seite zu stellen ist:
„Die negative Philosophie hat das in der Erfahrung Seiende nur
als Objekt einer möglichen Erkenntnis. Ihr Zusammenstimmen mit
der Wirklichkeit ist zufällig. Sie würde wahr sein, auch wenn überall
nichts existierte. Sie ist die Logik, der Apriorismus des Empirischen.
Die positive Philosophie aber konkresziert mit der Erfahrung“.64
Diese mit der Erfahrung konkreszierende Philosophie erst vierzig
Jahre65 nach ihrem (negativ-)idealistischen Pendant entstanden zu
wissen, liefert eine unserem Problemkreis wichtige Konsequenz: es
scheint jetzt nur allzu einsichtig, daß eine ein ‚negatives‘, entmaterialisiertes Denken in positivem Sinne beschließende architektonische Kontur – das Festspielhaus Bayreuth – mit mehr denn
50jähriger Verzögerung ausgebildet werden konnte – das macht die
quasi kolloidale Natur der romantischen Geisteswelt, deren nahezu
entmaterialisierte Gedanken-Partikel in einem langen Schwebezustand verblieben, bis sie sich feste architektonische Formen bildend
auf dem Grunde*) absetzten.
Der Verweis auf Schellings denkerische Entwicklung vermochte
den sich in einer größeren Zeitspanne entfaltenden geistesgeschichtlichen Progressus mit seinen negativen und positiven, d.h.
*) In diesem Sinne formuliert Richard Wagner angesichts seiner sich verwirklichenden Bayreuthpläne:
„Was nämlich unsere nicht immer sehr geisvollen Witzlinge bisher unter dem
unsinnigen Begriffe einer „Zukunftsmusik“ zu ihrer Belustigung sich auftischten, das hat jetzt seine nebelhafte Gestalt verändert, und ist auf festem
Grund und Boden zu einem wirklich gemauerten „Bayreuth“ geworden, in
welchem er eine ganz reale Form annimmt.66
Entsprechend heißt es vom Festspielhaus Bayreuth:
„… dieser Bau … in dessen charakteristischen Eigenschaften Sie sofort die
Geschichte des Gedankens lesen werden, der in ihm sich verkörpert.“67
39
40
mit seinen idealistischen und realistischen Polen anzuzeigen. Eine
solche, dem historischen Tatbestand aposteriorisch entnommene
Entwicklung darf jedoch nicht glauben machen, daß die divinatorische Kraft der Frühromantiker der antizipierenden Erkenntnis
einer derartigen Entwicklung entbehrt habe. Gerade der auf das
Praktische gehende, schöpferische Romantiker wußte im Sinne
seines Poetisierungsbestrebens auf das den Ideen Wirklichkeit
gebende, realistische Komplement zu drängen:
„Der Idealismus in jeder Form“, so Friedrich Schlegel, „muß auf
eine oder die andere Art aus sich herausgeben, um in sich
zurückkehren zu können und zu bleiben was er ist. Deswegen muß
und wird sich aus seinem Schooß ein neuer und ebenso grenzenloser
Realismus erheben; und der Idealismus also nicht bloß in seiner
Entstehungsart ein Beyspiel für die neue Mythologie, sondern selbst
auf indirekte Art Quelle derselben werden.“68
Mit Schlegels Fingerzeig auf eine dem Idealismus latente „neue
Mythologie“ ist der Übergang zu einer „Sinn“-Erfüllung unseres
Erlebnisschemas angekündigt. Den Zusammenhang resümiert, den
Übergang präsentiert Friedrich Schlegel an gleicher Stelle:
„Kann eine neue Mythologie sich nur aus der innersten Tiefe des
Geistes wie durch sich selbst herausarbeiten, so finden wir einen sehr
bedeutenden Wink und eine merkwürdige Bestätigung für das was wir
suchen in dem großen Phänomen des Zeitalters, im Idealismus!
Dieser ist auf eben die Weise gleichsam wie aus Nichts entstanden,
und es ist nun auch in der Geisterwelt ein fester Punkt konstituirt,
von wo aus die Kraft des Menschen sich nach allen Seiten mit
steigender Entwicklung ausbreiten kann, sicher sich selbst und die
Rückkehr nie zu verlieren.“69
Den Ursprung einer neuen Mythologie, den „festen Punkt der
Geisterwelt“ dem Fichteschen Ich identisch zu setzen, das entspricht der Intention Schlegels. Die dem Idealismus, dem absoluten
Ich eigene Dynamik – die „Diastole“ und „Systole“, um zwei
Termini zu nennen, die Friedrich von Hardenberg mit Vorliebe
diesem ‚inneren Leben‘ des Idealismus zugeordnet hat – findet sich
gleichfalls bei Friedrich Schlegel entschieden charakterisiert und
unterstreicht die oben angeklungene Unterscheidung kreativer
Akte einerseits, rezeptiv-erlebnismäßiger Akte andererseits, deren
absolute, weil in einem Indifferenzpunkt als identisch zu begreifende Ausgangs- und Zielpunkte beiden Bewegungsrichtungen
gemeinsam sind.
Mit deutlicher Affinität zu der von uns bereits charakterisierten
romantischen Methode variiert Schlegel das vorab Vorgetragene wie
folgt:
„Wie es das Wesen des Geistes ist, sich selbst zu bestimmen und
in ewigem Wechsel aus sich heraus zu gehen und in sich zurückzukehren [hier formuliert Schlegel die Dialektik zweier Bewegungsrichtungen, deren absolute These resp. Synthese, die eines beiden
Richtungen zugrunde liegenden Selbstgesetzes: Selbstbestimmung
des Ich, ist]; wie jeder Gedanke [und hier zielt Friedrich Schlegel
auf die Methode] nichts anderes ist als das Resultat einer solchen
Tätigkeit; so ist derselbe Proceß auch im Ganzen und Großen in
jeder Form des Idealismus sichtbar, der ja selbst nur die Anerkennung jenes Selbstgesetzes ist, und das neue durch die Anerkennung verdoppelte Leben, welches die geheime Kraft desselben durch
die unbeschränkte Fülle neuer Erfindungen, durch die allgemeine
Mittheilbarkeit und durch die lebendige Wirksamkeit aufs herrlichste offenbart.“70 In diesem dritten Abschnitt des zitierten Satzes
ist der Übergang zum ‚idealistischen‘ Phänomen vollzogen: die
‚positive‘ Setzung eines Konkreten gibt die äußere „Anerkennung“
eines ‚negativen‘, das Wesen des Idealismus wahrenden ‚inneren‘
Lebens, das sich mit dem Vorzug „allgemeine[r] Mittheilbarkeit“
nunmehr in der „Form“ eines „sichtbar[en]“ Werkes „verdoppelt“.71
Allgemein mitteilbar zu sein, diesen „… Vorzug hat die Mythologie. Was sonst das Bewußtseyn ewig flieht, ist hier dennoch
41
42
sinnlich geistig zu schauen, und festgehalten, wie die Seele in dem
umgebenden Leibe, durch den sie in unser Auge schimmert, zu
unserm Ohr spricht.“72 Denn „das ist der eigentlich Punkt“, so fährt
Friedrich Schlegel fort, „daß wir uns wegen des Höchsten nicht so
ganz allein auf unser Gemüth verlassen. Freylich, wem es da trocken
ist, dem wird es nirgends quillen; und das ist eine bekannte
Wahrheit, gegen die ich am wenigsten gesonnen bin mich aufzulehnen. Aber wir sollen uns überall an das Gebildete [Geformte]
anschließen und das Höchste durch die Berührung des Gleichartigen, Aehnlichen, oder bey gleicher Würde Feindlichen entwikkeln, entzünden, nähren, mit einem Worte bilden [das könnte man
eine Dialektik im Konkreten nennen]. Ist das Höchste aber wirklich
keiner absichtlichen Bildung fähig; so laßt uns nur gleich jeden
Anspruch auf irgend eine freye Ideenkunst aufgeben, die alsdann
ein leerer Name seyn würde.
„Die Mythologie ist ein solches Kunstwerk … In ihrem Gewebe ist
das Höchste wirklich gebildet; alles ist Beziehung und Verwandlung,
angebildet und umgebildet, und dieses Anbilden und Umbilden eben
ihr eigenthümliches Verfahren, ihr inneres Leben, ihre Methode
wenn ich so sagen darf.“73
Friedrich Schlegels Ausführungen kann man einen Passus aus
Schellings „Philosophie der Kunst“ synoptisch an die Seite stellen,
zumal besondere hier die sakrale Dimension einer dem Idealismus
‚entspringenden‘ Mythologie deutlich wird. Schelling schreibt:
„… Wir werden
„1) auch in der Philosophie der Kunst von keinem anderen
Princip als dem des Unendlichen ausgehen können; wir werden das
Unendliche als das unbedingte Princip der Kunst darthun müssen.
Wie für die Philosophie das Absolute das Urbild der Wahrheit – so
für die Kunst das Urbild der Schönheit74. Wir werden daher zeigen
müssen, daß Wahrheit und Schönheit nur zwei verschiedene Betrachtungsweisen des Einen Absoluten sind.
„2) Die zweite Frage, wie in Ansehung der Philosophie überhaupt,
so auch in Ansehung der Philosophie der Kunst, wird seyn: wie jenes
an sich schlechthin Eine und Einfache in eine Vielheit und Unterscheidbarkeit übergehe, wie also aus dem allgemeinen und absoluten
Schönen besondere schöne Dinge hervorgehen können. Die Philosophie beantwortet diese Frage durch die Lehre von den Ideen oder
Urbildern. Das Absolute ist schlechthin Eines, aber dieses Eine absolut
angeschaut in den besonderen Formen, so daß das Absolute dadurch
nicht aufgehoben wird, ist = Idee. Ebenso die Kunst. Auch die Kunst
schaut das Urschöne nur in Ideen als besonderen Formen an, deren
jede aber für sich göttlich und absolut ist, und anstatt daß die
Philosophie die Ideen wie sie an sich sind, anschaut, schaut sie die
Kunst real an. Die Ideen also, sofern sie als real angeschaut werden,
sind der Stoff und gleichsam die allgemeine und absolute Materie der
Kunst, aus welcher alle besonderen Kunstwerke als vollendete
Gewächse erst hervorgehen. Diese realen, lebendigen und existirenden
Ideen sind die Götter; die allgemeine Symbolik oder die allgemeine
Darstellung der Ideen als realer ist demnach in der Mythologie
gegeben, und die Auflösung der zweiten obigen Aufgabe besteht in
der Construktion der Mythologie …“75
Die „Construktion der Mythologie“ macht es also, daß die dem
Absoluten immanenten Idee zu realer, anschaulicher Gegebenheit
gebracht werden können. – Hier erinnere man sich des Schlegelschen Bestrebens den „neuen Leser“, d.h. den dem Absolutheitsanspruch der Kunst adäquaten Rezipienten „zu construiren, ja …
denselben sogar [aus dem Absoluten] zu deduciren“76, so wird der
‚hermetische‘77 Charakter der neuen Mythologie deutlich. Friedrich
Schlegel hat den absoluten, der gemeinen Wirklichkeit entbundenen
Zusammenhang von Künstler, Kunstwerk, Erlebendem in der –
unbedingt richtig zu verstehenden – Terminologie des 19. Jahrhunderts als ‚künstlich‘ charakterisiert: Die neue „aus der tiefsten
Tiefe des Geistes“78 herauszubildende Mythologie „… muß das
43
44
künstlichste aller Kunstwerke seyn, denn es soll alle anderen
umfassen, ein neues Bette und Gefäß für den alten ewigen Urquell
der Poesie und selbst das unendliche Gedicht, welches die Keime
aller anderen Gedichte verhüllt.“79
Die Mythologie als „Gefäß“, als ‚Kontur‘ aller ihr einwohnenden
Künste und als den Keim dieser Künste selbst begreifen zu machen –
„Mythologie ist die nothwendige Bedingung und der erste Stoff aller
Kunst“80 – impliziert den Gedanken einer ‚mythologischen‘ Architektur, die dem mythologischen (Gesamt-)Kunstwerk Raum gibt und
dieses vollendend-umhüllt. Als „Gefäß“ ist die Architektur die
formal-rational erfahrbare, nach außen tretende Wirklichkeit eines
in ihr geborgenen irrationalen, d.h. auf Ideen bezogenen Lebens,
das nunmehr architektonisch manifest wird.
Es gilt also – ob des spekulativ-deduktiven Ursprungs einer an
die neue Mythologie gebundenen Architektur – sich mit dem
Gedanken und der effektiven Gegebenheit einer Mythologie des
Kultbaues – hier vorrangig: einer Mythologie des Theaterbaues –
vertraut zu machen*); ein Gedanke, der der komplexen, dabei
hermetischen Einheit und Durchdringung von ‚architektonischer
*) In diesem Sinne (wobei es die noch aufzuzeigende wesentlich musikalische
Dimension der neuen Mythologie zu bedenken gilt) schreibt Richard Wagner
in seinem Bayreuth-Aufsatz: „Wer mich … richtig verstanden hat, wird sich
der Einsicht nicht erwehren können, daß selbst die Architektur durch den
Geist der Musik, aus welchem ich mein Kunstwerk, wie die Stätte seiner
Verwirklichung entwarf, zu einer neuen Bedeutung geführt werden durfte,
und daß somit der Mythos des Städtebaues durch Amphions Lyra einen noch
nicht verlorenen Sinn habe.“81
Es sei die in diesem Zusammenhang bedeutsame Feststellung erlaubt, daß
Wagner ‚mythologischstes‘ Werk: „Das Rheingold“, zugleich auch sein (musikalisch) architektonischstes ist. So scheint es nur allzu konsequent, daß im
Zeitraum (Zürich) der Konzeption des „Ringes“ Wagners Festspielhauspläne
deutliche Gestalt annehmen.
Leiblichkeit‘ und ihrer inneren, ‚ästhetischen Beseeltheit‘ Ausdruck
zu geben vermag.
Den Kultbau als unabdingbaren Teil eines geschlossenen Organismus zu bezeichnen, das ist das Resultat einer konsequenten
Ausdeutung der romantischen Kunsttheorie; ‚Innen‘ und ‚Außen‘ des
Gebäudes werden zum beständigen, vom Geist der Idee durchdrungenen Relikt eines künstlerischen Handelns, in dem sich die
Universalität heischende Idee eines mythologischen Gesamtkunstwerkes vollendet.
Der neue Mythos hat also eine periphere architektonische
Qualität; das eine Formulierung, die der bislang praktizierten
deduktiven Methode und ihrer Bewegungsrichtung ‚von innen nach
außen‘*) Rechnung zu tragen vermag.
An dieser Stelle gilt es Friedrich Schlegels „Gefäß“-Metapher
keinesfalls mißzuverstehen. Sie bedeutet nicht den Anstoß zu einer
Betrachtungsweise, die nunmehr das Außen, den Baukörper – das
„Gefäß“ – zum Ausgangspunkt nimmt, um von dort analytisch auf
das Innen, den ‚Gehalt‘ zu schließen; vielmehr liefert die Schlegelsche
Formulierung ein brauchbares Bild der eine anfängliche Totalität
setzenden Spekulation, denn etwa auch das Fichtesche Ich ist in
seiner Absolutheit Keim und Hülle zugleich83. Es ist die – auch von
Fichte akzentuierte – Crux der Spekulation, in einem Zirkelschluß das
zu Entwickelnde als der Beweisführung bereits gegeben vorwegnehmen zu müssen. Ganz in diesem Sinne hat die romantische
Hermeneutik zwischen „divinatorischer“ und „analytischer“ Interpretation unterschieden. Die Analyse – als alle Einheit trennende Re-
*) Diese kreative Bewegungsrichtung: von innen nach außen – die in einer
mythologisch-sakralen Architektur ihren Abschluß findet – beschreibt
Richard Wagner wie folgt: „Dies aber ist das Wesen des deutschen Geistes,
daß er von innen baut: der ewige Gott lebt in ihm wahrhaftig, ehe er sich
auch den Tempel seiner Ehre baut. Und dieser Tempel wird dann gerade so
den inneren Geist auch nach außen kundgeben …“82
45
46
flexion – trägt der historischen Dimension, also der sich in der Zeit
entfaltenden Verwirklichung des Werkes Rechnung; aber im vollendeten (architektonischen) Werk ist die von der Projektion bis hin
zur Realisation umspannte Zeit zum inneren Bestand des Werkes
selbst geworden: das vollendete Werk und die ihm immanente Historie
ist außer allem Werden, ist außer aller Zeit*) – die architektonische
Hülle birgt die „Keime aller anderen Gedichte“85, die als im Gesamtkunstwerk, im neuen Mythos konkrete Formen annehmende, die als
den Innenraum füllende Rituale mit jener Hülle als ihrer architektonischen Reproduktion zu ästhetischer Einheit verschmelzen: Identität von Mythos und mythologischer Architektur.86
Unter diesem Blickwinkel gesehen scheint die von Friedrich
Wilhelm Joseph Schelling im Rahmen der „Construktion der Architektur“ aufgeworfene Frage: „inwiefern eine Kunst, die dem Bedürfniß untergeordnet einem Zweck außer ihr dient, unter die schönen
Künste gezählt werden könne“87 hinfällig und steht in deutlichem
Kontrast zu den Maximen Friedrich Schinkels: „Da Zweckmäßigkeit**) das Grundprinzip alles Bauens ist, so bestimmt die mög*) Zu dieser der Kunst eigenen Dialektik von zeitlichem Werden und (ideen- / erlebnisspezifischer) Zeitlosigkeit sei folgende Stelle aus K.W.F. Solgers
Ästhetik zitiert: „Betrachten wir … das Resultat der [künstlerischen] Thätigkeit, so muß sich in der Entwicklung selbst das Ganze wieder zur vollkommenen Einheit der Idee schließen. Die Idee schließt sich gleichsam
wieder zusammen, da sie sich vom Künstler aus öffnet [das ‚betrachtende‘
Erlebnis ist die Reversion des kreativen Aktes]; aber sie schließt sich in
einem Momente der Wirklichkeit [unterscheide: den kontinuierlich sich in
der Zeit entfaltenden schöpferischen Prozeß einerseits, die Unmittelbarkeit
das Erlebens andererseits]. Dadurch entsteht eine wirkliche Erfahrung von
dieser Vereinigung in der Form einer besonderen Thatsache. Diese nennen wir
das Kunstwerk, welches mithin der Moment ist, worin sich die Idee
vermittelst gegebener Stoffe in ihre Einheit wieder verknüpft.“84
**) Schinkel verwendet den Zweckbegriff in einer philosophisch-metaphysischen Bedeutung, die er maßgeblich dem absoluten Zweckbegriff Fichtes
lichste Darstellung des Ideals der Zweckmäßigkeit, das ist der
Charakter oder die Physiognomie eines Bauwerkes, seinen Kunstwert.“88 Wenn Schinkel dieses Ideal der Baukunst wenige Zeilen
später „eine eigentümliche Schöpfung des Geistes im Grundprinzip“
nennt, „dahingegen bei den übrigen [Künsten] das Ideal aus den,
außer dem Geiste schon vorhandenen, Gegenständen konstruiert
werden kann“89, so definiert er die Architektur als die Manifestation
der Prinzipien des Idealismus schlechthin.*)
Dennoch ist Schellings die Architektur belangende Frage und
sein dieser folgender ästhetischer Rettungsversuch bedeutsam,
weil er die erneute Anknüpfung an einige Aspekte unserer methodischen Erwägungen ermöglicht: er fordert: „… daß die Architektur als schöne Kunst von sich selbst als Kunst des Bedürfnisses
die Potenz seyn, oder sich selbst als solche zur Form, zum Leib
nehmen muß, um eine unabhängige Kunst zu seyn.“91 Das heißt
doch wohl nichts anderes, denn daß die Architektur den ihr
vorgegebenen Zweck in architektonischer Manier, d.h. in der ihr
eigenen, architektonischen Formensprache zu reflektieren habe.
(Lektüre der Schriften Fichtes währen seiner Italienreise) entlehnt haben
dürfte, und die des Dreiklang der architektonischen Konkretisierungsbewegung: Idee – Zweck – Ideal ( – Bauwerk) bedeutet. Auch K.W.F. Solger
unterscheidet eine ideenbezogene, „wahre Zweckmäßigkeit“ von (bloßem)
„Zweck“, s. Anm. 86.
*) Hierzu eine Tagebuchnotiz Schinkels:
„Es kann nicht die Frage sein bei einer Aufgabe für die Baukunst: was gehört
von den bekannten nützlichen Dingen in der Welt zur Ausführung dieser
Aufgabe, sondern es steht eine reine Idee von der allein möglichen Art eines
Werkes in der Seele des Baukünstlers, diese Idee ganz unabhängig von der
bestehenden Welt rein aus ihm selber erschaffen, indem er die tiefste
Bestimmung des Gebäudes unmittelbar in ihm selbst fühlte, und nun erst
entsteht die Frage, was sind die notwendigen Mittel zur Realisierung dieser
neuen, in ganzer Freiheit erzeugten Idee. (Es ist wohl klar, daß … auch die
Mittel ganz neu zu erschaffen wären.)“90
47
48
Als vorgegebener Zweck, als wesensbestimmender Gehalt der
Architektur konnte der neue Mythos bestimmt werden, der als
theatralisch-sakrales Ritual, als Gesamtkunstwerk seine konkrete
Form erhält; eine Form, die durch den in der architektonischen
Hülle vollzogenen Reflexions-, also auf geometrische Formen
gehenden Abstraktionsprozeß (erinnere: „Keine Abstraction ist
ohne Reflexion; und keine Reflexion ohne Abstraction möglich.“92)
zur „Form der Form als ihres Gehaltes“93 wird: die innere, absolute,
weil vom Absolutheitsanspruch des Mythos diktierte ‚ästhetische
Hausordnung‘ metamorphosiert in einem diese ‚potenzierenden‘,
dabei in Unmittelbarkeit auf sie zurückverweisenden ‚Sprung‘ in den
äußeren, architektonischen Rahmen, in dem sich der Konkretisierungsprozeß der Idee vollendet. Genau diesen, der Idee niemals
entratenden Umbildungsvorgang intendiert Friedrich Schinkel in
seiner Forderung, daß „jeder Bau die Idee seiner Gattung zu
symbolisieren habe.“94
Wie nachhaltig eine Methode zu wirken vermochte, die die Kunst
als das Resultat eines immanenten, selbsttätigen Denkens, als das
anschauliche Ergebnis eines das innere Leben des Gegenstandes
bedeutenden Reflexionsprozesses begreifen macht, bekunden folgende Worte Friedrich Nietzsches: „Dem Mythus liegt nicht ein
Gedanke zugrunde, wie die Kinder einer verkünstelten Kultur
meinen, sondern er selbst ist ein Denken.“95 – Das ‚magische‘
Moment des Mythos, die ihm eigene Lebendigkeit ist es demnach,
die diesem neben dem Vorzug „allgemeiner Mittheilbarkeit“ (Schlegel) den seiner eindringlichen Wirksamkeit garantiert.
Ob dieser den Mythos auszeichnenden Qualitäten wird Friedrich
Hölderlins Einforderung einer „sinnliche[n] Religion“96 – das ist der
neue Mythos – als ein alle Lebensäußerungen bindendes „Ideal
aller menschlichen Gesellschaft“97 verständlich. In diesem ideal(ist)ischen Sinne – gepaart mit dem Bewußtsein, eine revolutio-
näre Idee zu vertreten: „Umsturz alles Afterglaubens“98, Gründung
„der ästhetischen Kirche99, ist Hölderlins100 Entwurf „Das älteste
Systemprogramm des deutschen Idealismus“ zu lesen:
„Zuerst werde ich hier“, so Hölderlin, „von einer Idee sprechen,
die, soviel ich weiß, noch in keines Menschen Sinn gekommen ist –
wir müssen eine neue Mythologie haben, diese Mythologie aber
muß im Dienste der Ideen stehen, sie muß eine Mythologie der
Vernunft werden.“101 Weil die (reine) Vernunft einzig, einen intellektuellen Anschauung – das der romantische terminus technicus –
zugängig ist, kann Hölderlin die Überzeugung vertreten, „daß der
höchste Akt der Vernunft, der, indem sie alle Ideen umfaßt, ein
ästhetischer Akt ist, und daß Wahrheit und Güte, nur in der
Schönheit verschwistert sind.“102 Dieser „höchste Akt der Vernunft“ bedeutet das Apriori einer aus der Gestaltlosigkeit der
absoluten Anschauung zu gestaltenden neuen Mythologie, die als
vernünftige dem „große[n] Haufen“ und dem „Philosophen“
gleichermaßen eignet und die ob ihres im Dienste der Harmonie
und Einheit des Absoluten stehenden Verweisungscharakters einen
ihr spezifischen, religiös-moralischen Impuls zu setzen vermag:
„Ehe wir die Ideen ästhetisch d.h. mythologisch machen, haben
sie für das Volk kein Interesse, und umgekehrt: ehe die Mythologie
vernünftig ist, muß sich der Philosoph ihrer schämen. So müssen
endlich Aufgeklärte und Unaufgeklärte sich die Hand reichen, die
Mythologie muß philosophisch werden, um das Volk vernünftig,
und die Philosophie muß mythologisch werden, um die Philosophen sinnlich zu machen. Dann herrscht ewige Einheit unter
uns … dann herrscht allgemeine Freiheit und Gleichheit der
Geister! – Ein höherer Geist vom Himmel gesandt, muß diese neue
Religion unter uns stiften, sie wird das letzte, größte Werk der
Menschheit sein.“103
Hölderlins Einforderung einer platonisch-klassizistischen MythosFormel scheint evident. Doch sein Wunsch nach einer durch einen
49
50
höheren, vom Himmel gesandten Geist sich offenbarenden neuen
Mythologie deckt sich mit der von Schelling gegebenen Bestimmung
christlicher Religion und christlichen Kultes:
„Unter einem Volk, in dessen Poesie die Begrenzung, das
Endliche, herrschend ist [so im Griechentum], ist die Mythologie
und die Religion Sache … des Geschlechts, sofern es selbst Individuum und einem einzelnen Menschen gleich ist … wo dagegen
das Unendliche, das Allgemeine herrschend ist [so im Christentum], kann das Individuum nie zugleich zur Gattung werden, es
ist Negation der Gattung. Hier kann also die Religion nur durch
den Einfluß einzelner von überlegener Weisheit sich verbreiten,
die nur persönlich vom Allgemeinen und Unendlichen erfüllt,
demnach Propheten, Seher, gottbegeisterte Menschen sind. Die
Religion nimmt hier nothwendig den Charakter einer geoffenbarten Religion an, und ist darum schon in ihrem Fundament
historisch. Die griechische Religion, als poetische, durch die
Gattung lebende Religion, bedurfte keiner historischen Grundlage,
so wenig als es die immer offene Natur bedarf. Die Erscheinungen
und Gestaltungen der Götter waren hier ewig; dort, im Christentum, war das Göttliche nur flüchtige Erscheinung und mußte in
dieser festgehalten werden …
„Von dem Begriff der Offenbarung ist der des Wunders unzertrennlich … Der Begriff des Wunders ist in der griechischen Mythologie unmöglich, denn die Götter sind da selbst nicht außer- und
übernatürlich, es sind da nicht zwei Welten, eine sinnliche und
übersinnliche, sondern Eine Welt. Das Christentum, welches nur in
der absoluten Entzweiung möglich ist, ist in seinem Ursprung schon
auf Wunder gegründet. Wunder ist eine vom empirischen Standpunkt aus angesehene Absolutheit, die in die Endlichkeit fällt, ohne
deßwegen ein Verhältniß zu der Zeit zu haben.
„Das wunderbare … ist nun der einzige mythologische Stoff des
Christenthums.“104
Diesen mythologischen Stoff einer bloße Formen tradierenden
und fixierenden dogmatisch-religiösen Konvention zu entreißen und
anverwandelnd neu zu beleben, ist dem romantischen Künstler als
Schöpfer einer Kunstreligion – damit Hölderlins Forderung nach
einer die moralisch-ästhetische Einheit stiftenden „ästhetischen
Kirche“ einlösend – vorbehalten.
„Die Religion“, schreibt Richard Wagner in seiner späten, im
Geiste des Parsifal konzipierten Abhandlung „Religion und Kunst“,
„die Religion lebt … nur noch künstlich, wann sie zu immer
weiterem Ausbau ihrer dogmatischen Symbole sich genötigt findet,
und somit das Eine, Wahre und Göttliche in ihr durch wachsende
Anhäufung von, dem Glauben empfohlenen, Unglaublichkeiten
verdeckt … Man könnte sagen, daß da, wo die Religion künstlich
wird, der Kunst es vorbehalten sei, den Kern der Religion zu
retten …“105
Eine den Kern der Religion in der neuen mythologischen Hülle
konservierende Kunstreligion bleibt an die Schellingsche Definition
des Christlichen und des christlichen Kultes gebunden. Die damit
bedeutete Einformung eines schlechthin Ungeformten durch den die
neue mythische Form formenden Künstler entspricht den Prinzipien
der in obigem methodischem Diskurs gegebenen Deduktion der
Kunst und ihrer sie reflektierend beschließenden architektonischen
Hülle als das Paradigma des romantisch Wunderbaren.
Die dem Wunderbaren spezifische Isolation – „Wunder ist eine
vom empirischen Standpunkt aus angesehene Absolutheit, die in die
Endlichkeit fällt, ohne deßwegen ein Verhältniß zu der Zeit zu
haben“, definierte Schelling – artikuliert sich denn auch in einer
dem architektonisch ‚Wunderbaren‘ spezifischen Monumentalität des
Baukörpers einerseits, in einer geographisch-städtebaulichen Isolation des Kultbaues andererseits.106
Aber nicht nur das sich ‚petrifizierende‘ Kunstwerk, auch der das
‚Wunder‘-Werk als Mittler wirkende Künstler ist Repräsentant der
51
52
dem Offenbarungscharakter der Kunst typischen (zeitlich-räumlichen) Entrücktheit. In diesem Sinne schreibt Richard Wagner in
seiner Abhandlung „Das Publikum in Zeit und Raum:
„Wenn wir in der Betrachtung des Verlaufes der Geschichte nichts
anderem nachgehen als den in ihm vorwaltenden Gesetzen der …
Oberfläche der Erde … so müssen wir uns bei dem fast plötzlichen
Auftauchen überragender geistiger Größen oft fragen, nach welchen
Gesetzen wohl diese gebildet sein möchten. Wir können dann nichts
anderes als ein, von jenen ganz verschiedenartiges Gesetz annehmen, welches, vor dem geschichtlichen Ausblicke verborgen, in
geheimnisvollen Sukzessionen ein Geistesleben ordnet, dessen
Wirksamkeit die Verneinung der Welt und ihrer Geschichte anleitet
und vorbereitet. Hierbei bemerken wir nun, daß gerade diejenigen
Punkte, in welchen diese Geister mit ihrer Zeit und Umgebung sich
berühren, die Ausgänge von Irrtümern und Befangenheiten für ihre
eigenen Kundgebungen werden, so daß eben die Einwirkungen der
Zeit … das Schicksal der großen geistigen Individuen dahin entscheiden, daß ihr Wirken, dort, wo es ihrer Zeit verständlich zu sein
scheint, für das höhere Geistesleben sich als nichtig erweist, und
erst eine spätere … zu richtiger Erkenntnis gelangte Nachwelt den
wahren Sinn ihrer Offenbarungen erfaßt.“107
Wagners Diktum, daß der Wesensgehalt eines, sprich: seines
Werkes erst einer späteren Generation verständlich werde, scheint
vorrangig vor dem Hintergrund der intellektualistisch-formalistischen Rezeption und Rezension seines Werkes gesehen werden zu
müssen. Im Gegensatz dazu hat Friedrich Nietzsche im Werke
Wagners das ‚magische‘ Moment, also die von Hölderlin und Schlegel
propagierte allgemeine Mitteilbarkeit und Verständlichkeit der
neuen Mythologie, unmittelbar gegeben gesehen:
„… die Größe Wagners [besteht] … gerade in jener dämonischen
Mitteilbarkeit, welche gleichsam in allen Sprachen … redet und das
innere … Erlebnis mit der höchsten Deutlichkeit erkennen läßt;
sein Auftreten in der Geschichte der Künste gleicht einem vulkanischen Ausbruch des gesamten ungeteilten Kunstvermögens der
Natur …
„Das Dichterische in Wagner zeigt sich darin, daß er in sichtbaren und fühlbaren Vorgängen, nicht in Begriffen denkt, das heißt,
daß er mythisch denkt, so wie immer das Volk gedacht hat. Dem
Mythus liegt nicht ein Gedanke zugrunde … sondern er selbst ist
ein Denken; er teilt eine Vorstellung von der Welt mit, aber in der
Abfolge von Vorgängen, Handlungen und Leiden. Der Ring des
Nibelungen ist ein ungeheures Gedankensystem ohne die begriffliche Form des Gedankens. Vielleicht könnte ein Philosoph etwas
ganz Entsprechendes ihm zur Seite stellen, das ganz ohne Bild und
Handlung wäre und bloß in Begriffen zu uns spräche: dann hätte
man das gleiche in zwei disparaten Sphären dargestellt, einmal für
das Volk und einmal für den Gegensatz des Volkes, den theoretischen Menschen.“108
Nietzsches Hölderlins systemprogammatische Ideen perpetuierende Interpretation des Wagnerschen Werkes als magisch-sinnliche
Philosophie legt es nahe, die dem „Volk“ „fühlbaren“, vom „theoretischen Menschen“ zu reflektierenden „Vorgänge“ der Musik
gleichzusetzen. Damit wäre der Übergang zu der die theoretischen
Äußerungen Nietzsches und Wagners gleichermaßen begründenden
Ästhetik Arthur Schopenhauers vollzogen. Angesprochen ist die in
Schopenhauers Metaphysik der Musik formulierte Affinität von
Musik und Philosophie; dort heißt es:
„Wenn ich nun in dieser ganzen Darstellung der Musik bemüht
gewesen bin, deutlich zu machen, daß sie in einer höchst allgemeinen Sprache das innere Wesen, das Ansich der Welt, welches
wir … unter dem Begriff Willen denken, ausspricht, in einem
einartigen Stoff, nämlich bloßen Tönen, und mit der größten
Bestimmtheit und Wahrheit; wenn ferner … die Philosophie nichts
Anderes ist, als eine vollständige und richtige Wiederholung und
53
54
Aussprechung des Wesens der Welt, in sehr allgemeinen Begriffen …
so wird wer mir gefolgt und in meine Denkungsart eingegangen ist,
es nicht so sehr paradox finden, wenn ich sage, daß … eine
vollkommen richtige, vollständige und in das Einzelne gehende
Erklärung der Musik … sofort auch eine genügende Wiederholung
und Erklärung der Welt in Begriffen … also die wahre Philosophie
seyn würde, und daß wir folglich den … Ausspruch Leibnitzens …
parodieren können: Musica est exercitium metaphysices occultum
nescientis se philosophari animi (Die Musik ist eine unbewußte
Übung in der Metaphysik, bei der der Geist nicht weiß, daß er
philosophirt).“109 (Man erinnere sich: Nietzsche hatte die Parodie
parodiert, indem er sinngemäß formulierte: Der „Mythus“ ist eine
unbewußte Übung im Denken, bei dem das Volk nicht weiß, daß es
denkt.)
Bindet man diese Kernstelle in Schopenhauers Ästhetik an die
vorab vorgetragenen, den neuen Mythos umkreisenden Aspekte, so
ergibt sieh die Reihung: (christliche) Religion = (neuer) Mythos =
Musik (mit ihrem architektonischen Pendant 110) = Gedankensystem = Philosophie = ( vernünftige) Religion.
Diese sich gleichsam zu einem ‚heiligen‘ Kreis schließende,
zyklisch reproduzierbare Reihung hat ihren den absoluten Zusammenhang begründenden ‚Nord‘-Pol im Negativum des ungestalteten
Absoluten einerseits, ihren ‚südlichen‘ Pol im sinnlichen Medium der
unmittelbar das Absolute vermittelnden Musik andererseits. Damit
ist die Musik als die zentrale, weil die sakrale Intention repräsentierende Komponente der neuen Mythologie ausgewiesen:
„Wo ist auch wohl“, schreibt Karl Wilhelm Ferdinand Solger,
„irgend eine Anstalt der neueren Welt, die so die Macht der Künste
zu einem Zauber vereinigte, wie der vollständige musikalische
Gottesdienst im Gesange heiliger Hymnen vor den Gemälden
göttlicher Handlungen, und umgeben von dem kühnen und die
Seelen zum Höchsten emporhebenden Bau des Gotteshauses? Hier
zieht in der That die Seele alle diese verschiedenen Elemente in den
Abgrund ihres Innersten, und erbaut, wie der Ausdruck mit Recht
lautet, durch die Kunst, sich selbst zur Wohnung der gegenwärtigen
Gottheit. Wenn also die vollständigste Verbindung der Künste bei
den Alten die größte Wirklichkeit derselben, das Drama, war, so ist
sie bei den Neueren, wie wir deutlich sehen, im reinsten Inneren der
Idee, der Gottesdienst.“111
Hier ist die der neuen Mythologie spezifische Identität von
theatralischem und kirchlichem Kultus auf das deutlichste ausgesprochen. Es ist eine Identität, die auf der Basis einer beiden
Ritualen gemeinsamen Intentionalität begriffen werden muß und
die präzise in dem deduzierten „Erlebnis der Ewigkeit der Idee“
erfaßt sein dürfte. Wenn die frühromantisch-philosophische Methode dem „theoretischen Menschen“ den Wesenskern dieses Erlebnisses: Auflösung des Endlichen in das Unendliche der Idee hat
nahe bringen können, so ist es das religiös-theatralische Ritual,
das ob seiner konkreten Bestimmtheit, ob seines Vorzuges allgemeiner Mitteilbarkeit und Verständlichkeit dem „Volk“, der Gemeinde dieses Erlebnis aufzuschließen vermag. – Von religiöser
Kunst und Kunstanschauung zu sprechen, heißt demnach nichts
anderes, als eine dem ‚inneren Leben‘ des Gegenstandes adäquate
Rezeptionshaltung als allgemein verbindlich mitzumeinen: Der
einzelne Erlebende erfährt sich vermittels des Erlebnisses des
Absoluten als mit den (neben, hinter, vor,) mit ihm im Gemeinde/Zuschauerraum plazierten Miterlebenden identisch – und
erst hier entfaltet das sakrale Kunsterleben die von Hölderlin
gewünschte moralische Komponente: Es ist die „Intentionale
Tätigkeit“112 des Feierns, des sich gemeinsam auf etwas Versammelns, die diesem Erlebnis spezifisch ist: „Es ist nicht einfach
das Beisammensein als solches, sondern die Intention, die alle eint
und die sie hindert, in Einzelgespräche zu zerfallen oder sich in
Einzelerlebnisse zu zersplittern.“113
55
56
Dieses in einem universalen Gefühl kulminierende, eine überindividuell-religiöse Vereinigung intendierende, von allen individuellen Wünschen und Zwecken gereinigt zu denkende, weil die
Reduktion, die Auflösung auf das Absolute der Ideen vollziehende
Erleben, findet in der die Erlebenden ausrichtenden und einigenden,
den neuen Mythos beschließenden architektonischen Hülle seinen
der anschaulichen Empirie zugängigen Ausdruck. Diesen bedeutet
Karl Wilhelm Ferdinand Solger, wenn er „die Verbindung der
Baukunst mit der Religion“114 betont:
„Der Begriff, mit der Materie verbunden, muß die Idee darstellen,
wie sie alle Besonderheit aufhebt. Diese Aufhebung der Besonderheit durch die Offenbarung der Idee ist etwas Religiöses; daher die
Baukunst, die ein Universum in bestimmten Grenzen darstellt, als
die äußere Gestaltung der Religion erscheint.“115
III. Die Deduktion des konkreten architektonischen
Werks – das Festspielhaus Bayreuth
Wiewohl sich am Leitfaden der Deduktion der Zusammenhang,
sprich: die höhere Identität von mythologischer Architektur, neuem
Mythos, mythologischem Denken, romantischer Methode, letzterer
Affinität mit dem Erleben abgezeichnet hat, bleibt die Frage zu
beantworten, wie sich ein sich anfänglich in der Abstraktheit des
Denkens bewegendes Spekulieren ein individuelles „Faktum“116, wie
in der neuen Mythologie gegeben und von der mythologischen
Architektur beschlossen, zu schaffen vermag – ursprünglicher
formuliert: die Frage geht auf die Deutung und Beschreibung einer
sukzessiven Entfaltung des konkreten Werkes aus dem ‚Nichts‘, aus
dem Apriori der Ideen.
Den Bereich unserer methodischen Erwägungen einbeziehend,
heißt es bei Friedrich Wilhelm Joseph Schelling:
„Das Absolute an und für sich bietet keine Mannichfaltigkeit dar,
es ist insofern für den Verstand eine absolute, bodenlose Leere. Nur
im Besonderen ist Leben. Aber Leben und Mannichfaltigkeit … ist
ursprünglich und an sich nur durch das Princip der göttlichen
Imagination, oder, in der abgeleiteten Welt, nur durch die Phantasie
möglich, die das Absolute mit der Begrenzung zusammenbringt und
in das Besondere die ganze Göttlichkeit des Allgemeinen bildet.“117
„… Im Verhältniß zur Phantasie bestimme ich Einbildungskraft
als das, worin die Produktionen der Kunst empfangen und ausgebildet werden, Phantasie, was sie äußerlich anschaut, sie aus sich
hinauswirft gleichsam, insofern auch darstellt. Es ist dasselbe
Verhältniß zwischen Vernunft und intellektueller Anschauung. In
der Vernunft und gleichsam vom Stoffe der Vernunft werden die
Ideen innerlich gebildet, die intellektuelle Anschauung ist das
innerlich Darstellende. Phantasie also ist die intellektuelle Anschauung in der Kunst.“118
57
58
Schelling, so wird man richtig verstehen, beschreibt eine Parallelität von ‚innerer‘, intellektueller und ‚äußerer‘, phantasiemäßiger
Anschauung, deren Zusammenhang man sich nur in einem von einer
Expansion nach außen begleiteten Übergang im künstlerischschöpferischen Prozeß einerseits (Einbildungskraft-Phantasie), in
einem plötzlich zur Idee sich kontrahierenden Übergang in dem
ästhetischen Erleben andererseits wird vorstellen können. Ganz in
diesem Sinne formuliert der an Schellings Ästhetik orientierte
Arthur Schopenhauer: „Den Uebergang von der gemeinen Erkenntniß der Dinge zur Erkenntniß der Ideen geschieht plötzlich,
indem … das Subjekt aufhört ein bloß individuelles zu sein und
jetzt reines, willenloses Subjekt der Erkenntniß ist, welches nicht
mehr den … Relationen nachgeht; sondern in fester Kontemplation
des dargebotenen Objektes … ruht und darin aufgeht.“119
Hat diese, die Exzentrik der Idee betonende Beschreibung einer
sprunghaft-plötzlich „zur Erkenntniß der Ideen“ gelangenden Anschauungsweise ihre weil die Dynamik des Erlebnisvorganges charakterisierende Gültigkeit, so denkt man sich den vehementen Wechsel
von der äußeren zur inneren Anschauung in seiner Umkehrung: im
schöpferischen Prozeß, durch eine kontinuierliche Expansionsbewegung – bis hin zur finalen Gestaltung des architektonischen
Werkes – ersetzt
Diese Bewegung, die die negative Zielrichtung abstrahierender
Dialektik mit dem konkreten, mythologischen Werk verbindet,
scheint nur durch eine allen Sprung vermeintlich vermittelnde
Poetisierung120 – also die einbildende Phantasie – gelöst werden zu
können. So hat Kierkegaard getan, wenn er formuliert:
„... während die Dialektik ein gänzlich abstraktes und zuweilen
ein negatives Ergebnis liefert, [will] das Mythische weit mehr
geben … das Mythische … ist die Fremdlingschaft der Idee, ihre
Äußerlichkeit, d.h. ihre Zeit- und Raumbestimmtheit unmittelbar
als solche … Das Dialektische rodet alles Ungehörige aus und
versucht nun zur Idee empor zu klimmen;“121 (genau das ist die
Intention der auf das Absolute zielenden romantischen Methode.)
Ob der Beschwerlichkeit, das Ziel des dialektischen Kraftaktes:
den spitzen Gipfel, den Kulminationspunkt der Idee zu erreichen –
„da dies jedoch mißlingt“122, schreibt Kierkegaard, „rührt sich die
Phantasie. Der dialektischen Mühen müde, legt sich die Phantasie
hin und träumt, und hieraus erzeugt sich das Mythische. Während
dieses Träumens schwebt die Idee eilend vorüber in einem unendlichen Nacheinander [Zeit, Musik, (Gebärde, theatralische Handlung)], oder sie bleibt stehen und weitet sich aus mit unendlicher
Gegenwärtigkeit im Raume [Plastik, Malerei, Architektur]. Das
Mythische ist somit der Enthusiasmus der Phantasie im Dienste der
Spekulation …“123
Kierkegaards Worte machen deutlich: der nach dem ‚Nichts‘ des
Absoluten begehrende, demzufolge sich an die Macht der Spekulation verlierende Künstler, empfängt (im Traume) als eine seine
unendliche Sehnsucht, als eine sein Streben nach dem Nichts
intermittierende Metapher den Mythos:
„Das … Negative aber, welches des Denkens ewige Unruhe ist,
trennend und verbindend, das da also vom Gedanken nicht festgehalten werden kann, weil es das den Gedanken Vorantreibende ist,
es steht allhier für die Phantasie stille und verweilt sich, es dehnt
sich für die Anschauung aus. Darin liegt das Mythische … Was somit
die mythische Darstellung über die dialektische Bewegung hinaus
gibt, ist, daß sie das Negative sichtbar macht.“124
Kierkegaard – man beachte den von ihm gegebenen Einsatzpunkt
des Mythischen – interpretiert das Mythische als eine die Reinheit der
transzendentalen Anschauung phantastisch approximierende, die
methodisch-dialektische Auflösungsbewegung interrupierende Größe.
Damit scheint der revolutionär-romantische Anspruch einer der
Negativität der absoluten Anschauung allererst entspringenden,
diese positiv ausdeutenden und ausgestaltenden „neuen Mytho-
59
60
logie“ preisgegeben. Doch ein Vergleich mit den ‚spätromantisch-epigonalen‘ Mythostheorien erhellt die von Kierkegaard in Anspruch genommene Befindlichkeit des Träumens als zureichende
Metapher der intellektuellen Anschauung, in der sich die Phantasietätigkeit unmittelbar begründet. Die Traummetapher findet sich bei
Richard Wagner, dessen aus fatidiken Träumen erwachender Künstler
ein dem absoluten Willen adäquates ‚Bild‘ in zeitlich-räumlicher
Bestimmtheit zu formen vermag125, sie findet sich auch bei Friedrich
Nietzsche, dessen „… Rausch- und Traumkünstler … wir uns etwa
zu denken haben, wie er, in der dionysischen Trunkenheit und
mystischen Selbstentäußerung, einsam und abseits von den schwärmenden Chören niedersinkt und wie sich ihm nun, durch apollinische Traumeinwirkung, sein eigener Zustand, d.h. seine Einheit
mit dem innersten Grunde der Welt in einem gleichnisartigen
Traumbilde offenbart.“126
Die von Nietzsche, Wagner (s.u.), Kierkegaard gleichermaßen
geltend gemachte Hierarchie musikalisch-dionysischen Vorübereilens
der Idee in der Zeit einerseits, ihr apollinisches sich Ausweiten und
Stehenbleiben, „mit unendlicher Gegenwärtigkeit im Raume“ andererseits, intendiert das, was sich eine kontinuierlich expandierende
Entwicklungsreihe der Kunst nennen ließe.
Durchaus bedacht ist die Zeitkunst „Musik“, die die bewußtseinsimmanente Anschauungsform „Zeit“ konkretisiert, an den Anfang
dieser Entwicklungsreihe gesetzt, denn die Musik ist zureichender
Ausdruck der ursprünglichen, also die Reinheit der intellektuellen
Anschauung differenzierenden Denkbewegung.
„In der Musik“, definiert Karl Wilhelm Ferdinand Solger – und hier
ist eine Musik der reinen Innerlichkeit gemeint – „in der Musik wird der
reine Gedanke Thätigkeit und Bewegung, und zwar als bloße Form des
Erkennens unter dem Gesetze des Zeitmaßes und der Bewegung, nicht
als substantieller [d.h.: von der äußeren Erfahrung abgezogener]
Begriff, sondern als Identität seiner eigenen Thätigkeit.“127
Diese ‚musikalische‘, abstrakte Begriffe setzende wie reflektierende, die Gesetze des Geistes repräsentierende Bewußtseinstätigkeit fällt also allererst nicht in die Sphäre des Empfind- und damit
Mitteilbaren. Erst der „Laut“, erst der ‚magisch‘ ausgegebene „Ton“*)
verwandelt die apriorische Bestimmtheit immanent-musikalischer
Denkakte in diese unmittelbar vermittelnde Empfindungsdata, die,
weil musikalisch, d.h. harmonisch geordnet**), in nämlicher Unmittelbarkeit an ihren absoluten Ursprungsort verweisen, denn
*) Zum Zusammenhang/Übergang: Idee – (Denken) Begriff – Laut – Ton folgende
Textstellen aus Solgers Ästhetik:
„Die Musik drückt das Bewußtsein aus, wie es sein eigener Stoff in der
Wirklichkeit ist. [Die Musik ist also nicht entäußernd, sondern sich gleichsam
in sich selbst äußernd: das Medium der Musik ist das Bewußtsein selbst.] Diese
Aeußerung des Bewußtseins geschieht durch den Laut … Es ist die Objectivität
der bewußten Seele, die sich im Laut ausdrückt, welcher mithin kein Mittel der
Mittheilung ist … sondern einzig und allein Mittel der Selbsobjectivierung,
wodurch die Idee Wirklichkeit wird … Im Laute selbst an sich ist keine
Mannichfaltigkeit, die äußerlich als Object betrachtet werden könnte.128
„Der Laut muß, wenn er existiren soll, sich nothwendig als Ton von sich selbst
unterscheiden; sonst währe er bloßer Gedanke oder bloße Zeit [Quantität],
nicht Erfüllung derselben.“129 So hat „der Laut als Ausdruck einer bestimmten
Affection des Bewußtseins auch eine Qualität. Qualität und Quantität des
Lautes müssen sich beide mit dem Begriff verbinden durch das Verhältniß oder
ein mathematisches Mittelglied, worin der reine Begriff in der Zeit auf
bestimmte Weise modificiert wird. Durch die Beziehung auf dies Verhältniß
wird der Laut zum Ton, worin Begriff und Stoff ineinander übergehen. Der Ton
ist der durch das Verhältniß qualitativ und quantitativ bestimmte Laut.“130
**) Zur Deutung von Harmonie und Rhythmus folgende weitere Textstelle aus
Solgers Ästhetik:
„Die Quantität äußert sich in der Musik dadurch, daß der allgemeine Begriff sich
im Gleichartigen wiederholt, dessen periodische Eintheilung den Rhythmus
ausmacht … Der Rhythmus ist an sich bloß Quantität, d.i. Zeiteintheilung ohne
Stoff. Die Wiederkehr der Einheit in der quantitativen Zeitreihe … ist der
Tact … Aber auch die Mannichfaltigkeit der Töne der Qualität nach ist durch
den Contrast in eine Einheit zu verbinden, welche die Harmonie ausmacht.“131
61
62
*) Der hier angesprochene musikalisch-erlebnismäßige Reduktions- bzw. Kontraktionsprozeß mit seiner auflösend-ironischen Durchbrechung der Form des
(ästhetischen) Gegenstandes kann Allegorisierungsprozeß genannt werden;
genau das tut Schelling, wenn er formuliert: „Was nun die Allegorie betrifft,
so ist sie das Umgekehrte des Schema … so, daß Besonderes hier das
Allgemeine bedeutet oder als Allgemeines angeschaut wird.“143
ierenden Bild der Linie weniger ein Wink auf die die Musik
supplierende Raumkunst: Architektur gegeben, vielmehr ist die
Musik in ihrer alle zeitlich-räumliche Kontur antizipierenden
schematischen Struktur ausgewiesen. Diesen in der allgemeinen
‚Sprache‘ der Musik gegründeten Schematismus charakterisiert
Schelling wie folgt:
„Diejenige Darstellung, in welcher das Allgemeine das Besondere
bedeutet, oder in welcher das Besondere durch das Allgemeine
angeschaut wird, ist Schematismus.“139 Das Schema „steht insofern …
zwischen dem Begriff und dem Gegenstand in der Mitte …“140 Es ist
die „Regel“, welche die Hervorbringung des Gegenstandes leitet,
„bis … das Schema allmählich zum völlig concreten Bild wird.“141
Diese Definition eines sich in musikalischer Begrifflichkeit
schematisierenden Bildes erlaubt es, den Bezug zu unseren methodischen Erwägungen herzustellen: der im schöpferischen Akt eine
musikalisch-schematische Kontur ausbildende Künstler bewegt sich
im Bereich einer das spekulative ‚Nichts‘ formierenden, vor-bildlichen ‚Methode‘ bei Umkehrung der methodischen Bewegungsrichtung: nicht die sprunghaft-kontraktive Auflösung eines vorgegebenen, durch den (künstlerischen) Verstand142 geformten Werkes
in den Urgrund einer allen Werkbegriff ironisierenden Idee*) ist hier
zur Aufgabe gemacht, vielmehr die gedankliche Ausbildung eines
der absoluten Idee immanenten, diese spatiierenden, damit alle
*) In diesem Sinne schreibt Wagner in seinem im folgenden noch zu zitierenden
Beethovenaufsatz:
Die allegorische, sich mit dem Begriff des „Erhabenen“ deckende Deutung der
Musik findet sich auch immer wieder in den theoretischen Schriften Richard
Wagners betont.
„… nicht bloß zum Ausdruck der besonderen [zerstreuten] Empfindungen ist die Musik da; diese sind nichts als momentane Zustände,
welche für die Kunst nur durch die Verbindung in eine Einheit etwas
werden können. Die momentane Empfindung muß daher mit der
Einfachheit des menschlichen Gemüthes sich durchdringen. Der
allgemeine menschliche Geist als reine Abstraction ist in jedem
Moment der Musik gegenwärtig zu denken. Indem so mit der Musik
immer die allgemeine Form der einfachen geistigen Thätigkeit
verbunden ist, ist die Musik einerseits inneres Fühlen der Seele
überhaupt, andrerseits Ausdruck der besonderen Empfindung. Beides
muß sich innig durchdringen und eben dadurch die Idee darstellen,
indem die Musik immer als das Allgemeine und dieses selbst
zugleich als momentaner Zustand empfunden wird, also nicht die
Empfindung allein, sondern die einfache Form des Denkens in ihr
verwirklicht erscheint.“132
Diese von Karl Wilhelm Ferdinand Solger konstatierte, in Musikalisch-Empfindbarem sich unmittelbar formierende „allgemeine Form
der einfachen geistigen Thätigkeit“ ist es, die bereits Arthur
Schopenhauer und Friedrich Nietzsche in ihrer dämonisch133metaphysischen134 Deutung der Musik hervorgehoben, und als
Apriori einer neuen Mythologie*) betont haben.
Wenn Solger den sich in Tönen qualifizierenden, das reine
Denken ‚mythisierenden‘ „Laut … die erste Dimension der geistigen … Natur“ 136 nennt und diesen als dem musikalischen
Denken allererst eine bestimmte Richtung137 gebende „zeitliche
Linie“138 bezeichnet, so ist in dem eine Raumvorstellung assozi-
„Wir dürften somit nicht irren, wenn wir in der Musik die apriorische
Befähigung des Menschen zur Gestaltung des Dramas überhaupt erkennen
wollten.“135
63
64
Werkgestalt präformierenden Konkreten. Der musikalische Gedanke
nun, in seiner zeitlich-linearen Struktur, bedeutet den Beginn aller
zeitlich-räumlichen Besonderung; in dieser potentiellen Bestimmung
des Raumes liegt seine schematische Kraft.
Die in der Reinheit einer sie begründenden Begrifflichkeit eine
räumliche Verwandtschaft zu allem musikalischen schematisieren
verratende, wiewohl dieser dialektisch entgegenstehende Kunstäußerung ist nun die Architektur:
„Die Bestandtheile der Kunst sondern sich in Architectur und
Musik völlig voneinander ab … In der Musik tritt der Begriff als
bloße Form, als freie einfache Thätigkeit auf, daher als Laut, welcher
[in einem apriorischen Linienziehen] die Zeit erfüllt144, resümiert
Solger die Definition der Musik.
„In der Architectur … ist der Gegenstand bloßer Stoff ...“145
Dieser „… Stoff [gemeint ist die ansich ungestaltete ‚Materie‘, das
Nicht-Ich (im Fichteschen Sinne)] wird die Darstellung der unmittelbaren Gegenwart des Begriffes ...“, denn „… in der Architectur
reißt sich der Gedanke [in einem diesen konkretisierenden „Sprung“146]
von dem denkenden Vermögen los und wird einheimisch im Raume,
durch das Mittelglied, welches den Gedanken und sein Gesetz mit
dem unorganischen Stoff verbindet. Dieses ist das Verhältniß, das
Schema der Einbildungskraft, welches den bloßen Stoff auf den
Begriff des Raumes zurückführt.“147/*) So ist die in der Architektur
*) Hier eine ergänzende Textstelle zur schematischen bzw. mathematischen
Deutung der Kunst:
„Wird nun [– wie in der Architektur – das] Selbstbewußtsein des Künstlers, wie
es das Wirken der Idee in ihm ist, auf den bloß äußeren Stoff angewendet, so
kann dieser unter keine andern Begriffe gebracht werden, als unter solche, die
auf das bloße nicht individualisierte Material vollständig anwendbar sind.
Solche Begriffe aber sind mathematische, und das Bindungsmittel zwischen
dem Stoffe und dem allgemeinen Begriffe, in welchem beides zusammenfällt,
nennen wir das Verhältniß. Bloß mathematische Begriffe dürfen hier nicht
gestaltete Materie für uns nichts, „… außer wenn wir [sie wieder]
in die Beziehung [der reinen Begriffe] auflösen.“149
In der hier geforderten, den terminus technicus des deduzierten
Ewigkeitserlebnisses aktualisierenden Auflösung der architektonischen Erscheinungsform in eine diese transzendierende wie sie
begründende Begrifflichkeit ist die Affinität des erlebnismäßigen
Zugangs zu Architektur und Musik betont*). Solger unterstreicht in
seiner den Kosmos der Künste differenzierenden Analyse die diesen
beiden Künsten gemeinsame Erlebnisdimension:
„Musik und Architectur“, schreibt er, „wirken wesentlich verschieden von den andren Künsten, weil sie … die Modification des
Selbstbewußtseins im Allgemeinen ausdrücken. (Bei der Plastik und
Malerei muß sich der Beschauer ganz in das Kunstwerk verlieren.) In
der Architectur und Musik muß er sich selbst zum Kunstwerk
machen; sich hingeben, damit das Kunstwerk in sein empfängliches
Gemüth aufgenommen werde und dieses mit dem Kunstwerke in Eins
aufgeht.“151
Trotz dieser erlebnismäßigen wie im Bilde des Schematisierens
übereinstimmenden Qualität von Musik und Architektur bleibt das
verstanden werden, da es bei diesen durchaus nicht auf den Stoff, sondern nur
auf die Form ankommt. Es muß hier immer ein besonderer, bestimmter Begriff
sein, zwischen welchem und dem Stoffe ein mathematischer Mittelpunkt sich
findet, worin beide aufgehen; und dieser ist das Verhältniß. Zu dem Verhältniß
gehört also 1) ein Stoff, der an sich nicht Begriff ist; 2) ein Begriff, der nicht
bloße Form ist, und 3) die Durchdringung beider, welche eben das Verhältniß
ausmacht. Die Kunst, welche den äußeren Stoff durch das Verhältniß dem
Begriffe unterwirft, nennen wir die Architectur.148
*) vgl. auch folgende Textstelle:
„So vermag die Musik uns selbst durch den Moment der Erscheinung in die
Gegenwart des Ewigen zu versetzen, indem sie unsere Empfindung in die
Einheit der lebendigen Idee auflöst. Die Baukunst macht das göttliche Wesen
objectiv im Raume; die Musik löst unser Bewußtsein in die Wahrnehmung des
Ewigen auf.“150
65
66
Problem einer Vermittlung ihrer disparaten Erscheinungsweisen in
Zeit und Raum. Eine die Polarität zeitlich-räumlicher Empfindungsdata betonende Textstelle aus Johann Gottlieb Fichtes populärphilosophischer Schrift „Die Bestimmung des Menschen“ vermag das in
der Frage stehende Übergangsproblem zu akzentuieren und einer der
behaupteten „expansiven Entwicklungsreihe der Kunst“ genügenden
Lösung zuzuführen:
„Empfindungen … sind schlechthin nichts Ausgedehntes, sondern ein Einfaches; und verschiedene sind nicht neben einander im
Raume, sondern sie folgen nach einander in der Zeit“152, bemerkt
Fichtes mit dem „Geist“ dialogisierendes „Ich“ in Übereinstimmung
mit der gegebenen Wesensbestimmung der Musik. „Nun aber“, so
fährt das über die Verfahrensweise des Geistes meditierende „Ich“
fort, „verbreite ich dieselben [Empfindungen] durch einen Raum …
Ich entdecke, dass ich in der That ebenso verfahre, wie der
Geometer mich seine Figuren construiren lässt, und den Punct zur
Linie, die Linie zur Fläche ausdehne. Es nimmt mich Wunder, wie ich
dazu komme.“153
Dieses Wunder einer sprunghaft-räumlich-geometrischen Verbreiterung, in der sich „… das, was eigentlich nur [zeitlich-musikalische]
Empfindung ist, … in ein [räumlich-architektonisch] Empfindbares
verwandelt …“154 vermag einzig eine die disparaten Sphären des
Erscheinens poetisch vermittelnde Kunsttheorie155 zu deuten. Verlangt ist demnach eine mythische Entstehungstheorie der neuen
Mythologie. Diese gibt Richard Wagner in seinem sein eigenes
musikdramatisches Schaffen reflektierenden Beethovenaufsatz.
In diesem Aufsatz wird der das reine ‚Ist‘ der transzendentalen
Anschauung allegorisierende Traumzustand als Werk und Werktheorie
gleichermaßen begründend in Anspruch genommen. Es sei erlaubt,
das Nietzschesche Bild eines in Abgeschiedenheit und Einsamkeit
entrückten Traumkünstlers ‚unwissenschaftlich‘ zu adaptieren, um
den Autoren Richard Wagner an einem isolierten, der romantischen
Offenbarungsidee Ausdruck gebenden Ort träumend zu postieren – auf
dem „Grünen Hügel“ in Bayreuth etwa; hier hinterläßt der Träumer
Wagner die Senke seiner Schlafstelle: den „mystischen Abgrund“ –
also den das erste „Faktum“ seines Festspielhauses bildenden, aller
(äußeren) Wahrnehmung entzogenen Orchestergraben – als Indifferenzpunkt einer den traumgeborenen Mythos ummantelnden Architektur. Der ‚Träumer‘ Wagner entwickelt die zeitlich-räumlichen
Komponenten eines Beethoven-Shakespeareschen – sprich: seines
Musikdramas wie folgt:
Der aus beängstigenden, fatidiken Träumen erwachende Künstler,
so formuliert Wagner sinngemäß, artikuliert sein traumatisches
Unbehagen durch einen Schrei, „in welchem sich ganz unmittelbar
der geängstigte Wille ausdrückt … Wollen wir nun“, so fährt Wagner
fort, „den Schrei, in allen Abschwächungen seiner Heftigkeit bis zur
zarten Klage des Verlangens, uns als das Grundelement jeder
menschlichen Kundgebung an das Gehör denken, und müssen wir
finden, daß er die allerunmittelbarste Äußerung des Willens ist, durch
welche er sich am schnellsten und sichersten nach außen wendet, so
dürfen wir uns [weder] über dessen unmittelbare Verständlichkeit,
[noch] über die Entstehung einer Kunst aus diesem Elemente verwundern.“156 Diese Kunst nun ist die den neuen Mythos fundierende
Musik.
Das von Wagner zwecks Darstellung ihrer Entstehung „analogisch
in Betracht genommene Sprachvermögen erstreckt sich für den Musiker vom Schrei des Entsetzens bis zur Übung des tröstlichen Spieles
der Wohllaute. Da er in der Verwendung der hier zwischenliegenden
überreichen Abstufungen gleichsam von dem Drange nach einer
verständlichen Mitteilung des innersten Traumbildes bestimmt wird,
nähert er sich, wie der zweite, allegorische Traum, der Vorstellungen
des wachen Gehirnes, durch welche dieses endlich das Traumbild
zunächst für sich festzuhalten vermag. In dieser Annäherung berührt
er aber, als äußerstes Moment seiner Mitteilung, nur die Vorstellungen
67
68
der Zeit … [vgl. Kierkegaard, Nietzsche, Solger, Fichte]. Während die,
weder dem Raume noch der Zeit angehörige Harmonie der Töne das
eigentlichste Element der Musik verbleibt, reicht der nun bildende
Musiker der wachenden Erscheinungswelt durch die rhythmische
Zeitfolge seiner Kundgebungen gleichsam die Hand zur Verständigung.“157 Dieses Bild, das deutlich in den räumlichen Vorstellungsbereich spielt, ist von Wagner durchaus bedacht gewählt; das zeigt
sich bereits im folgenden Abschnitt seiner Deduktion:
„Durch die rhythmische Anordnung seiner Töne tritt … der
Musiker in eine Berührung mit der anschaulichen plastischen Welt,
nämlich vermöge der Ähnlichkeit der Gesetze, nach welchen die
Bewegung sichtbarer Körper unsrer Anschauung verständlich sich
kundgibt. Die menschliche Gebärde …“158 ist es, in der Wagner diese
erste Berührung mit der plastisch-räumlichen Welt gegeben sieht.*)
Wagners ‚Deduktion‘ läßt sich wie folgt zusammenfassen: Wie die
absolut gegründeten, der Erscheinung, damit aller Erfahrung trans-
*) In der Umkehrung der von Wagner formulierten Lehre einer erlebnismäßigen
Depotenzierung (Schopenhauer) der Gebärde auf ihr musikalisch Wesentliches wäre der Gedanke ihrer originär-musikalischen Deduktion gegeben;
Wagner schreibt in Fortsetzung der vorab zitierten Textstellen:
„Eben hier, auf dem Punkte des Zusammentreffens der Plastik mit der
Harmonie, zeigt sich aber das … Wesen der Musik sehr deutlich als ein von
dem Wesen namentlich der bildenden Kunst gänzlich verschiedenes; wie
diese von der Gebärde, welche sie im Raume fixiert, die Bewegung der
reflektierenden Anschauung zu supplieren überlassen muß, spricht die Musik
das innerste Wesen der Gebärde mit solch unmittelbarer Verständlichkeit aus,
daß sie, sobald wir ganz von der Musik erfüllt sind, sogar unser Gesicht für
die intensive Wahrnehmung der Gebärde depotenziert, so daß wir sie endlich
verstehen, ohne sie selbst zu sehen. Zieht somit die Musik selbst die ihr
verwandtesten Momente der Erscheinungswelt in ihr, von uns so bezeichnetes Traumbereich, so geschieht dies doch nur, um die anschauende
Erkenntnis durch eine mit ihr vorgehende Umwandlung gleichsam nach innen
zu wenden, wo sie nun befähigt wird, das Wesen der Dinge … zu erfassen.159
zendenten Harmonien erst durch ihre zeitlich-rhythmische Strukturierung akustisch wahrnehmbar werden, so wird die Musik allererst
durch einen den musikalischen Rhythmus in die raumplastische
Gebärdensprache transponierenden ‚Reflexionsprozeß‘ der gesichtsmäßigen Wahrnehmung zugängig.
Der soeben vorgetragene Zusammenhang von absoluter Harmonie,
Rhythmus und Musik, Rhythmus und Gebärde*) ist uns bereits in der
reflexiven Einheit von neuem Mythos und mythologischer Architektur
begegnet.
In der von Richard Wagner deduzierten und musikalisch legitimierten Gebärde scheint nunmehr ein die „expansive Entwicklungsreihe der Kunst“ füllendes Faktum gefunden, das zwischen
mythisch-musikalischem Denken und mythologischer Architektur zu
vermitteln vermag [vgl. auch zu den folgenden Abschnitten Bild 6]:
Die Musik ist ein Denken, das Denken ist ein Linienziehen, das
musikalische Denken ist ein in der ‚theatralischen‘ Gebärde reflektiertes Linienziehen; damit wird evident: die theatralische Geste
entfaltet die zuvor unentfaltete räumliche Komponente der Musik,
sie skizziert die schematische Kontur einer mythologischen, d.h.
einer auf ihren metaphysisch-musikalischen Ursprung zurückverweisenden Architektur. Wie wird man sich diese gestische Andeutung
von Raum vorzustellen haben?
Die Musik ist die Kunst – das haben die Solgerschen Definitionen deutlich werden lassen – die das Absolute in der Form
besonderer Empfindungen zu vermitteln vermag. Diese ein „Einfaches“**) seienden, nicht raumdeterminierenden Empfindungsmo-
*) Assoziiert man hier Schellings Potenzenlehre, so ließe sich von einem
Rhythmus in der ersten und zweiten Potenz sprechen.
**) „Empfindungen … sind schlechthin nichts ausgedehntes, sondern ein Einfaches; und verschiedene sind nicht neben einander im Raume, sondern sie
folgen nach einander in der Zeit“, bemerkte Fichtes mit dem „Geist“
dialogisierendes „Ich“. Entsprechend heißt es an einer anderen Stelle:
69
70
mente hat man als solche in das die Musik realisierende Subjekt zu
setzen. Dieses musikalisch affizierte Subjekt läßt sich zunächst
auf das ‚Bild‘ eines mathematischen Punktes reduzieren.*)
Der diesen punktuell-subjektiven Empfindungen Ausdruck gebende Sänger-Darsteller tritt [Abb. 2]**) vermittels seiner musikalisch-physischen Tätigkeit an die den ursprünglichen Indifferenzund Anschauungszustand bezeichnende Stelle des Künstlers, und
jetzt, durch die von der Musik getragene wie konstituierte Gebärde
weitet sich der Punkt zum Raume: Es ist dies eine mit der musikalischen Empfindung anhebende, auf diese und ihren ideellen
Ursprung zurückverweisende Geste [Abb. 3 und 4], die man sich in
ihrem Sich-Öffnen, in ihrer die punktuelle Empfindung expan„D.G. Kannst du in demselben ungeteilten Moment auf entgegengesetzte Art
empfinden – auf eine sich gegenseitig aufhebende Weise afficirt seyn ?
„Ich. Keinesweges.
„D.G. Jene verschiedenen Grade der Glätte, die du annehmen willst … sind
doch wohl, inwiefern sie verschieden sind, entgegengesetzte Empfindungen,
die in dir aufeinander folgen?
„Ich. Ich kann dies nicht leugnen.
„D.G. Du solltest sie sonach, wie du sie wirklich empfindest als nacheinander
folgende Veränderungen desselben mathematischen Punctes setzen … keinesweges aber nebeneinander, als gleichzeitige Eigenschaften mehrerer Puncte in
einer Fläche.“160
*) vgl. hierzu die folgende Textstelle aus J.G. Fichtes „Grundlage der gesamten
Wissenschaftslehre (1794):
„Das Ich setzt sich selbst schlechthin, und insofern ist seine Thätigkeit in
sich selbst zurückgehend. Die Richtung derselben ist … lediglich centripetal … Nach der äussersten Strenge genommen ist in der gegenwärtigen
Vorstellungsart das Bild des Ich ein mathematischer, sich selbst durch sich
selbst constituirender Punct, in welchem keine Richtung, und überhaupt
nichts zu unterscheiden ist …“161
**) Die Abb. 2 bis 5 mögen als Illustrationen der hier vorgetragenen Deduktion
dienen; man beachte besonders die erläuternde Skizze [Bild 6].
PR
KT
IO
N
DE
N
BÜHNENRAUM
OJ
E
IN
RA
UM
OZ
PR
EN
IU
E
MS
BE
NE
SÄNGER-DARSTELLER
URSPRUNGSGEBÄRDE
IK
AUDITORIUM
MYSTISCHER ABGRUND / „TOTALGEFÜHL“
MUS
*) Die durch Bertel Thorvaldsens „Christus“ („KOMMER TIL MIG“) verbildlichte
passiv-integrative Geste [Abb. 4], die in Gilbert Austins „Declamation“ zitierte162 aktiv-präsentative Geste [Abb. 3] bilden die ‚dialektischen‘ Pole der
hier deduzierten Gebärde.
dierenden Bewegung als ein Dreieck beschreibend, als die zentralperspektivische Struktur des Erlebnisses und des Erlebnisraumes
prägend vorzustellen hat.*)
So gerät der Darsteller und des Darstellers Gebärde zu einer
anthropomorphen Architekturminiatur, die als eine über dem sog.
„mystischen Abgrund“ (Wagner) schwebende, d.h. metaphysischmusikalisch begründete, in ihrer ihre Autonomie relativierenden
Vermittlerrolle durch ein erstes architektonisches Element: den
Proszeniumsbogen [Abb. 5] umfangen wird. Durch diesen eine
vertikale Bewegungsebene aufrichtenden Proszeniumsbogen ist der
Bild 6 Schaubild zur deduktiven Ableitung des Bayreuther Festspielhauses
GEISTIGE ACHSE
71
72
absolute Ursprungsort der neuen, musikalischen Mythologie architektonisch definiert(vgl.: ANHANG V.1.).
Zwecks weiterer Ausgestaltung der hier in deduktiven Schritten zu
entfaltenden mythologischen Architektur hat man zu dem musikalisch affizierten Sänger-Darsteller zurückzukehren. Dessen die
Proszeniumsebene horizontal durchbrechende Gebärde präformiert die
Dimensionen eines sich aus dieser Ebenen antinomisch entfaltenden
Innenraumes, der die anthropomorphe Vorformung im Erscheinungsbild gebauter Architektur monumentalisierend vollendet.
Vergegenwärtigen wir uns diese im Detail anstehende Ausformung auf der Basis einer modifizierten Darstellung des bisher Vorgetragenen:
Die den neuen Mythos weisende, in der ‚unendlichen‘ Tiefe des
„mystischen Abgrundes“ lokalisiert zu denkende, ausdehnungslose,
Abb. 2 u. 3 Gilbert Austin, Die Kunst der rednerischen und der theatralischen
Declamation, Leipzig 1808, Illustrationen
weil außer Raum und Zeit seiende Idee setzt die sie faktisch
repräsentierende Empfindung in den diese Empfindung als ein
Erfahrbares artikulierenden Sänger-Darsteller – die absolute Einheit
der Idee wird hier zu einer durch die ‚plastisch‘-individuelle Einheit
des Sänger-Darstellers vermittelten.
Ausdruck dieser die Idee materialisierenden Vermittlung ist eine
sich in der Geste des Darstellers vollziehende Drehung der vertikalen, der musikalisch-proszenischen in eine horizontale, in eine
anschaulich-räumliche Expansionsbewegung. Folglich gilt es diese
Geste nicht nur als von der Proszeniumsebene umschlossen, vielmehr als von dieser durchschnitten weil diese progressiv durchbrechend zu interpretieren. So ergibt sich das Bild eines parallel zu
seiner fiktiven Grundseite geteilten Dreiecks, das in zwei disparate,
durch die Grundrißlinie der Proszeniumsebene getrennte, sich
Abb. 4 Bertel Thorvaldsen, Christus, Modell 1821 (vgl. Abb. 10)
73
74
Abb. 5 Friedrich Gilly, Studie aus Templin
antinomisch entgegenstehende Teile zerfällt. Die Idee, Ursprung des
mythologischen Werkkomplexes einerseits, Kulminationspunkt des
die Idee erstrebenden Erlebens andererseits, hat man sich als in die
Spitze des abgetrennten Dreiecks projiziert vorzustellen. Damit ist
das ‚Kopf‘-System im Sinne einer Guckkastenbühne schematisiert
und die mythologische Architektur auf ihre zureichende Erscheinungsform: Theaterarchitektur ‚reduziert‘.163
Die im Kontext architektonischer Gestaltwerdung noch ungedeuteten, sich jenseits der Proszeniumsgrundrißlinie fortsetzenden,
von den sich öffnenden Armen des Sänger-Darstellers bedeuteten
Dreiecks-Strahlen verbildlichen nicht nur die expansive Dimension des
optischen Konkretisierungsprozesses [Idee – Bühnenbild („Symbolischer Hintergrund“ (Schinkel)164 – räumlich-plastische Requisiten – Darsteller], vielmehr weisen sie das Grundrißschema eines der
Guckkastenbühne entgegenstehenden, sich kontinuierlich weitenden
Zuschauerraumes, in den die auf das Bühnengeschehen ausgerichteten
Zuhörer wie Zuschauer erlebnismäßig eingebunden werden.
Die Endlichkeit der musikalischen Dynamik macht es, daß die
gedanklich in das Unendliche fortsetzbaren Schenkel des anthropomorph-architektonischen Dreieckschemas ein Begrenzung erfahren –
damit ist der in Gänze zentralperspektivisch strukturierte, den
Erlebenden integrierende theatralische Innenraum ‚musikalisch‘
begrenzt und beschlossen. In dieser musikalisch gesetzten Raumgrenze bewährt sich der metaphysisch-musikalische Ursprung einer
mythologischen Architektur, die sich in deduktiven Schritten entfaltet. Die also gewonnene Theaterarchitektur bedeutet das Paradigma eines die romantische Gesamtkunstwerkidee in der architektonischen Hülle vollendend-konkretisierenden Reflexionsprozesses.165
Richard Wagner nun, hat die Formwerdung einer erlebnisadäquaten Theaterarchitektur in seinem die Ableitungen des Beethovenaufsatzes ergänzenden166 Bayreuth-Vortrag deutlich gemacht.
Vor allem die in der Proszeniumskeimzelle anhebende Ausformung
des Auditoriums ist Gegenstand der Wagnerschen Ausführungen.
Diese gilt es daher hier ausführlich zu zitieren und damit die vorab
geleistete Ableitung einer mythologischen Theaterarchitektur zu
verifizieren. Man beachte jedoch, daß Wagner in diesem Vortrag von
den in seiner Beethovenschrift formulierten musikalisch-gestischen
Voraussetzungen abstrahiert und die Deduktion auf die die Gesamtkunstwerkidee in der optisch-horizontalen Dimension materialisierende Konkretisierungs- bzw. Architektonisierungsbewegung
reduziert.
„Wenn ich jetzt … den Plan des im Aufbau begriffenen Festtheaters in Bayreuth erläutern will,“ beginnt Wagner seine die
Wirkung und Funktion dieses Theaters antizipierenden Ausführungen, „glaube ich hierzu nicht zweckmäßiger vorgehen zu können,
als indem ich auf die zuerst von mir gefühlte Nötigung, den
75
76
technischen Herd der Musik, das Orchester, unsichtbar zu machen,
zurückgreife; denn aus dieser einen Nötigung ging allmählich die
gänzliche Umgestaltung des Zuschauerraumes unseres neueuropäischen Theaters hervor.“167
Ist auch, so formuliert Wagner sinngemäß, das Wahrnehmungsvermögen des Erlebenden bei einer rein musikalischen Darbietung
optisch depotenziert168 und auf das musikalisch Wesentliche konzentriert, „… so handelt es sich dagegen bei einer dramatischen
Darstellung eben darum, das Sehen selbst zur genauen Wahrnehmung eines Bildes zu bestimmen, welches nur durch die
gänzliche Ablenkung des Gesichtes von der Wahrnehmung jeder
dazwischenliegenden Realität, wie sie dem technischen Apparate zur
Hervorbringung der Musik eigen ist, geschehen kann.
„Das Orchester war demnach, ohne es zu verdecken, in eine
solche Tiefe zu verlegen, daß der Zuschauer über dasselbe hinweg
unmittelbar auf die Bühne blickte; hiermit war sofort entschieden,
daß die Plätze der Zuschauer nur in einer gleichmäßig aufsteigenden
Reihe von Sitzen bestehen konnten, deren schließliche Höhe einzig
durch die Möglichkeit, von hier aus das szenische Bild noch deutlich
wahrnehmen zu können, seine Bestimmung erhalten mußte …
Somit gewann die Aufstellung unserer Sitzreihen den Charakter der
Anordnung des antiken Amphitheaters; nur konnte von einer wirklichen Ausführung der nach beiden Seiten weit sich vorstreckenden
Form des Amphitheaters, wodurch es zu einem, sogar überschrittenen Halbkreise ward, nicht die Rede sein, weil nicht mehr der von
ihm großenteils umschlossene Chor der Orchestra, sondern die …
von uns aber in ihrer vollen Tiefe benutzte Szene das zur deutlichen
Übersicht darzubietende Objekt ausmacht.
„Demnach waren wir gänzlich den Gesetzen der Perspektive
unterworfen, welchen gemäß die Reihen der Sitze sich mit dem
Aufsteigen erweitern konnten, stets aber die gerade Richtung nach der
Szene gewähren mußten. Von dieser aus hatte nun das Proszenium
alle weitere Anordnung zu bestimmen: der eigentliche Rahmen des
Bühnenbildes wurde notwendig zum maßgebenden Ausgangspunkt
dieser Anordnung. Meine Forderung der Unsichtbarmachung des
Orchesters gab dem Genie des berühmten Architekten [G. Semper],
mit dem es mir vergönnt war, zuerst hierüber zu verhandeln, sofort
die Bestimmung des hieraus, zwischen dem Proszenium und den
Sitzreihen des Publikums entstehenden, leeren Zwischenraumes ein:
wir nannten ihn den „mystischen Abgrund“, weil er die Realität von
der Idealität zu trennen habe, und der Meister schloß ihn nach vorn
durch ein zweites erweitertes Proszenium ab, aus dessen Wirkung in
seinen Verhältnissen zu dem dahinterliegenden engeren Proszenium
er sich alsbald die wundervolle Täuschung eines scheinbaren
Fernerrückens der eigentlichen Szene zu versprechen hatte …
„Der Erfolg dieser Anordnung dürfte wohl allein genügen, um
von der unvergleichlichen Wirkung des nun eingetretenen Verhältnisses der Zuschauer zu dem szenischen Bilde eine Vorstellung zu
geben.“169
Doch, so formuliert Wagner einige Zeilen später, „eine Schwierigkeit entstand in betreff der den Seitenwänden des Zuschauerraumes
zu gebenden Bedeutung: da sie durch keine Logenräume mehr
unterbrochen waren, boten sie kahle Flächen, welche mit den
aufsteigenden Reihen der Sitzplätze in keine sinnige Übereinstimmung zu bringen war … Da wir für das provisorische Festtheater im Bayreuth jedem Gedanken an … Schmuck entsagen
mußten, drang sich uns überhaupt die Frage [auf], was mit diesen,
dem eigentlichen Zuschauerraume unentsprechenden Seitenwänden
anzufangen sei … Ein Blick auf den ersten der im Anhange
mitgeteilten Pläne [vgl. Abb. 1 und Abb. 6], zeigt uns ein der
Bühne zu sich verengendes Oblong des wirklich benutzten Raumes
für die Zuschauer, begrenzt von zwei Seitenwänden, welche mit
ihrem, dem Gebäude als solchem unerläßlichen, geraden Laufe dem
Proszenium sich in der Weise zuwenden, daß dadurch eine sich
77
78
Abb. 6 Richard Wagner, Sämtliche Schriften und Dichtungen, Bd. 9, Grundrisse
des Bayreuther Festspielhauses
erweiternde unschöne Winkelecke entsteht, deren Raum andererseits
für die Bequemlichkeit der auf Stufen zu ihren Sitzen sich
wendenden Zuschauer durchaus zweckmäßig zu verwenden war. Um
die hierdurch zugleich vor dem Proszenium zu beiden Seiten sich
bildende, störende und die Wirkung des Ganzen belästigende Fläche
möglichst unschädlich zu machen*), war mein jetziger erfindungsreicher Berater [Otto Brückwald] bereits auf den Gedanken gekommen,
ein nochmals vorgerücktes und erweitertes drittes Proszenium
einzuschalten. Von der Vortrefflichkeit dieses Gedankens erfaßt,
gingen wir aber bald noch weiter, und mußten finden, daß wir der
*) Man beachte – erst dann kann von einer erlebnisadäquaten Architektur
gesprochen werden, wenn diese selbst nicht konkreter Bestand des Erlebens
ist – die Architektur soll hinlenken und nicht ablenken. Damit wird deutlich,
daß Wagners Festspielhaus nur in einem von allen autonom-architektonischen
Erlebniswerten befreiten ‚Provisorium‘ seine ‚Vollendung‘ finden konnte.
Abb. 7 Otto Brückwald, Bühnenfestspielhaus zu Bayreuth
ganzen Idee der perspektivisch nach der Bühne zu sich verkürzenden
Breite des Zuschauerraumes nur dann vollkommen entsprechen
würden, wenn wir die Wiederholung des von der Bühne aus sich
erweiternden Proszeniums auf dessen ganzen Raum, bis zu seinem
Abschlusse durch die ihn krönende Galerie, ausdehnten, und somit
das Publikum, auf dem von ihm eingenommenen Platze, in die
proszenische Perspektive selbst einfügten. Es ward hierzu eine dem
Ausgangsproszenium entsprechende, nach oben sich weitende Säulenordnung als Begrenzung der Sitzreihen entworfen, welche über die
dahinter liegenden geraden Seitenwände tauschte, und zwischen
welcher die nötigen Stufentreppen und Zugänge sich zweckmäßig
verbargen.“170
Soweit Wagners Beschreibung des Bayreuther Festspielhausbaues,
die die vorab geleisteten Deduktionen bestätigt: Das sich kontinuierlich weitende, den gesamten Innenraum zentralperspektivisch
79
80
Abb. 8 Bühnenfestspielhaus zu Bayreuth während einer Tannhäuser-Probe (1954)
strukturierende Proszenium (doppeltes Proszenium – dreifaches
Proszenium – usw.) ist zureichender Ausdruck einer die romantische
Gesamtkunstwerkidee konkretisierenden, schöpferisch-expansiven
Tat, deren Umkehrung einen alle mythisch-theatralischen Erscheinungsformen transzendierenden Modus des Erlebens bedeutet.
Dieses Erleben nun, ist zunächst durch das das „Publikum … in die
proszenische Perspektive“ einfügende Auditorium determiniert:
„… der Zuschauer … befindet sich jetzt, sobald er seinen Sitz
eingenommen hat, recht eigentlich in einem „Theatron“, d.h.
einem Raume, der für nichts anderes berechnet ist, darin zu
schauen, und zwar dorthin, wohin seine Stelle ihn weist. Zwischen
ihm und dem zu erschauenden Bilde befindet sich nichts deutlich
Wahrnehmbares, sondern nur eine, zwischen den beiden Proszenien durch architektonische Vermittlung gleichsam im Schweben erhaltene Entfernung, welche das durch sie ihm entrückte Bild
in der Unnahbarkeit einer Traumerscheinung zeigt, während die
aus dem „mystischen Abgrunde“ geisterhaft erklingende Musik …
ihn in jenen begeisterten Zustand des Hellsehens versetzt, in
welchem das erschaute szenische Bild ihm jetzt zum wahrhaftigen
Abbilde des Lebens selbst wird.“171
Mit dieser authentischen, den erlebnismäßigen Kulminationspunkt („Zustand des Hellsehens“) definierenden Beschreibung des
Bayreuther Festspielhauses sind die von uns gelieferten Ableitungen
bekräftigt; der Zusammenhang von Methode, Erlebnis, Architektur
auf der Basis einer der romantischen Kunstkritik erwachsenden, sich
architektonisch formierenden Erlebnisstruktur ist in diesem Beispiel
zu genüge bewiesen.
Doch man erinnere sich der behaupteten Identität von Theaterund Sakralbau. Um diese an geeigneten Beispielen aufzeigen zu
können, wird man von dem zentralen Beispiel: dem Festspielhaus
Bayreuth, das den Zusammenhang von Erlebnis und Architektur
weisende Charakteristikum abzulösen haben. Dieses dürfte am
prägnantesten durch ein das sogenannte Ewigkeitserleben selbst
bestimmendes Wesensmerkmal beschrieben sein: es ist dies die
zentralperspektivische Konzentration des Erlebenden, die sich in der
architektonischen Hülle reflektiert und die der Innenraum architektonisch reglementiert. Dieser sich bei Einbeziehung einiger
Gedanken Karl Wilhelm Ferdinand Solgers konsolidierende ‚perspektivische Parallelismus‘ ist um so merkwürdiger, als er die allen
zu zitierenden Architekturbeispielen gemeinsame Idee eines Verschwebens der (realen) mythischen Erscheinungsformen in eine
diese begründende wie transzendierende (ideale) Sphäre formuliert
und damit eine im Bereich des Anschaulichen verbleibende Verbindung zu den methodischen Erwägungen und der Theorie des
81
82
Ewigkeitserlebnisses garantiert. So heißt es bei Karl Wilhelm
Ferdinand Solger:
„Die Perspective ist keine bloß mechanische, allein auf der
Mathematik beruhende Wissenschaft. Sie wäre nicht möglich, wenn
sich nicht in unsere Auffassung der Gegenstände der Begriff, das
Urtheil mischte. Die perspectivische Erscheinung ist nicht bloß
sinnlich, sondern ruht auf einem Denken*), und so wird durch …
die Perspective die ganze Beziehung der sinnlichen Gegenstände in
einem [punktuellen] Begriff vereinigt.“172
Solger expliziert diesen perspektivischen Reflexionsprozeß an
dem Beispiel einer „altdeutschen Kirche“:
Diese, so behautet er, „… darf nicht als gleichvollendet von allen
Seiten betrachtet, sie muß perspectivisch gedacht werden. Die
Hauptfront ist die Einleitung zum Ganzen, der Thurm die Andeutung des Strebens nach Vereinigung im Aeußeren; und was von
außen versprochen wird, leistet das Innere. Das Schiff muß in
Beziehung auf das eigentliche Heiligthum ganz perspectivisch sein;
das Allerheiligste oder der Chor macht die Vollendung des Ganzen,
schließt die Perspective und muß auf das vollständigste ausgeschmückt sein.
„Die Architectur ist in der neueren Welt die umfassende Kunst
für alle übrigen Künste. Die Plastik … ist immer Schmuck oder
Ausfüllung der Architectur, und das einzelne Bild durch die Beziehung auf den Begriff des Ganzen mit demselben verbunden …
„Auch die Malerei schließt sich … der Architectur an und muß
als ein Bestandtheil in dieselbe aufgenommen werden. Ihre Bestimmung ist, in der perspectivischen Anordnung den Hintergrund zu
bilden. Was die Architectur uns ahnen ließ, das tritt in der Malerei
lebendig hervor.“173
*) Man erinnere sich des ‚methodischen‘ Zusammenhangs von: Denken – Musik –
mythologischer Architektur – neuem Mythos
Die hier in der Kirchenarchitektur gesehene, in einem ‚punktuellen‘ Begriff als vereinigt gedachte Abfolge: Hauptfront, Kirchenschiff, (Vierung), Allerheiligstes/Chor und die diese abschließende
Malerei evoziert die theatralische Parallele und ihre Reihung:
Exedranische174, Zuschauerraum, Proszenium, Bühnenraum und das
diese vollendende Bühnenprospekt.
Da Solgers Ausführungen gemäß die Perspektive, das perspektivische ‚Sehen‘ ein die sinnliche Wahrnehmung transzendierendes
Denken ist, wird das Ewigkeitserlebnis ein aus der formal-architektonischen Ordnung erklärbares: in der durch den architektonischen Grundriß gelenkten Betrachtungsweise des Erlebenden
vollzieht sich eine die Sphären der Sinnlichkeit übersteigende
Abstraktion auf einen, auf Überzeitlichkeit weisenden, ironischvollendeten (Schlegel) Begriff hin: die Dynamik des SinnlichWirklichen verbindet sich mit der Statik des Begrifflich-Überwirklichen; diese einem „Standpunkt höherer Erkenntniß“175 sich
erschließende Verbindung ist der Anschauung der Idee gleichbedeutend.
Mit dieser Einkehr in die Sphäre der Ideen nehmen wir die
theoretischen Erwägungen als abgeschlossen, um nunmehr zu einer
den architekturgeschichtlichen Voraussetzungen des Wagner-Theaters Rechnung tragenden Beispielanalyse überzugehen.
83
84
IV. Die theatralische Kirche und das sakrale Theater –
zur architekturgeschichtlichen Genese des Bayreuther
Festspielhauses
Die vorausgegangenen Betrachtungen haben bei Berufung auf die
romantische Kunsttheorie die Ableitung so zu nennender „Erlebnisse
der Ewigkeit der Ideen“ leisten und als deren Korrelat eine von
Musik getragene, kirchliche und theatralische Rituale gleichermaßen
umgreifende „neue Mythologie“ bestimmen können. Wichtigstes
Resultat jedoch war die Gewinnung eines diesen Erlebnissen
adäquaten (zentralperspektivischen) Schemas, das sich im Kultbau
des 19. Jahrhunderts architektonisiert, sprich: das im Festspielhaus
Bayreuth in deutlichster architektonischer Kontur ausgebildet ist.
Damit dürfte deutlich geworden sein, daß eine hinreichende, der
historischen Faktizität Rechnung tragende Verifikation unserer
theoretischen Erwägungen durch Bindung an ein Beispiel möglich
ist – so, in der ausschließlichen Berufung auf das Extrem, bewährt
sich die Effizienz eines die Wahrheit und die Erscheinung der Idee
konstatierenden, ‚ahistorischen‘ und damit werkimmanenten Interpretationsverfahrens.
Wenn im folgenden dennoch, am Leitfaden der Historie fortschreitend, das Spektrum der zu zitierenden Architekturbeispiele
erweitert werden soll, so hat das folgende Gründe:
Erstens wird nur so ein in gebauter bzw. geplanter Architektur
sich manifestierender Beweis der behaupteten Identität von Theater– und Sakralbau gegeben werden können. Diese Identität ist
Ausdruck der den beiden Gattungen gemeinsamen ‚ästhetischen
Hausordnung‘, die in den die Entsprechung kündenden Wendungen
eines „sakralen Theaters“ einerseits, einer „ästhetischen Kirche“
andererseits angezeigt wurde.
Zweitens gilt es dem Tatbestand Rechnung zu tragen, daß den
unten gedachten Baumeistern der Bruch mit der Tradition im
revolutionären Sinne (absoluter, weil aus dem ‚Nichts‘ schöpfender
Anfang) nicht schlechthin möglich war.
Die gängige Sortierung der hier interessierenden Bauunternehmungen unter den Stilbegriff des Klassizismus impliziert den
historischen Rekurs auf ein vorgegebenes Repertoir ausgebildeter
architektonischer Formenelemente und verweist auf die für die
Architekten der Jahrhundertwende relative Verbindlichkeit in der
Anwendung derselben.
Klassische Gesinnung in der Architektur – und nicht nur in der
Architektur – spricht denn schon immer für jene Berufung auf eine
reduzierte, d.h. reine Formensprache, die ob dieser Reduktion einen
auf die Architektur bezogenen Ursprung und damit den ‚absoluten‘
Anfang architektonischen Bildens meinen kann. Das Minimum
klassischer, geläuterter, dem architektonischen Gestalten notwendiger Elementarformen genügt dem Ideal einer aus dem Geiste der
Arithmetik, der Geometrie zu schöpfenden Baukunst.
Die formal-logische Apriorität romantisch-idealistischer Systeme
des Wissens und des Handelns einerseits, die als apriorisch gegeben
zu nehmenden (weil dem Geist immanenten) Formen einer mathematisch-geometrischen, klassisch-klassizistischen Architektur andererseits verraten eine innige Verwandtschaft, die die Grenze zwischen (Revolutionär-)Romantischem und (Konservativ-)Klassischem
verschwinden macht. So darf z.B. ein Entwurf der Revolutionsarchitektur, gedacht ist an Etienne-Louis Boulleés „Kenotaph für
Newton“, als eine zeitgenössische, den Zeitgeist referierende Illustration frühromantischer, sprich: Fichtescher Philosopheme (die
sich u.a. an der Möglichkeit und effektiven Gegebenheit apriorischer
Erkenntnis in der Naturwissenschaft entzünden), als eine Metapher
des absoluten Ich verstanden werden; das eine Interpretation, die
eine Formulierung Fichtes nahe legt: „Der ursprüngliche Raum oder
der R[aum] als Anschauung [gemeint ist die das unendliche
Bildungsvermögen umgreifende transzendentale Anschauung] hat
85
86
Abb. 9 Etienne Louis Boulée, Kenotaph für Newton, Nachtansicht
gar keine Dimension. Er ist überall, klein oder groß, Kugel; und alles
Verfahren der Einbildungskraft mit ihm ist bloß diese Kugel,
auszudehnen oder zu contrahiren.“176 – Fichtes absolutes Ich,
Boulleés „Kenotaph“ [Abb. 9] sind Kosmos, Kugel, Punkt zugleich,
ihre Parallelität liegt in der von beiden bedeuteten Universalität.
Doch zurück zur bemerkten Diskrepanz von Tradition und einem
im ‚Geiste der Revolution‘ begründeten ‚neuen‘ Anfang künstlerischer Produktion: Richard Wagners Gesinnung und Gesinnungswechsel ist hier beispielhaft: glaubte der ‚revolutionäre‘ Wagner
noch an die künstlerische Revolution, durch die die Tradierung einer
neuen, sprich: seiner Kunst allererst möglich wird, so wird der
seinem jugendlichen Temperament entwachsene Wagner behaupten,
daß der Deutsche nicht revolutionär, sondern reformatorisch ist.177
Ist also, so wird man fragen, da scheinbar nie Neubildung, vielmehr
immer nur Umbildung ist, der idealistische Ansatz dieser Abhandlung
zu verwerfen? Die Antwort lautet auf ein entschiedenes „Nein“.
Idealismus ist den Frühromantikern und ihren Sympathisanten das
Synonym für Wissenschaft und Wissenschaftlichkeit schlechthin, ist
ihnen der Keim einer von allen zufälligen Bedeutungshorizonten
befreiten mythologischen Kunst und Architektur, der, konzentriert in
der Idee des Wagnerschen Musiktheaters, als ein außer aller Zeit
seiender, zunächst von der historischen Frage nach dem Zeitpunkt
seiner Realisierung unberührt bleibt. Doch die Realisation vollzieht sich
in der Zeit: alle unten genannten Beispiele wollen dann als auf ihr
Zentrum: das Ideal178 des sakralen Theaters orientierte Propyläen
verstanden werden, als ‚Experimente‘ – auch das ein romantischer
terminus technicus179 – die, im Bewußtsein des zu Erstrebenden
vollzogen, sich diesem schrittweise annähern. Daß eine erlebnisbezogene, ihren sakral-theatralischen Gehalt reflektierende Architektur
nicht ‚blitzartig‘, als das spontane, unmittelbare Gegenbild des ihr
zugrunde liegenden Gedankens entstehen konnte, hat neben den
genannten die folgenden, hier kurz zu umreißenden Gründe, die an den
Werken der unten einzeln befragten Architekten ablesbar werden:
Friedrich Gillys Entwürfe entbehren des plastisch-anschaulichen
Korrektivs, denn sie blieben unausgeführt.
Friedrich Schinkel fand sich an die Vorstellungen seines königlichen Auftraggebers gebunden; er hatte bei seinem Berliner Schauspielhausbau die Rudimente des abgebrannten Langhansschen
Baues: Grundmauern und Säulenstellung, zu übernehmen.
Gottfried Semper endlich hat – wiewohl die Vorstellungen
Richard Wagners verbal reproduzierend – nicht in den Geist, in den
‚Zweck‘ der ihm gestellten Aufgabe einzudringen vermocht.
Diese kritischen Bemerkungen sind selbstverständlich in keiner
Weise geeignet, das Werk und die geschlossenen Einzelleistungen
dieser bedeutenden Baumeister zu schmälern, sie zeigen nur, daß
einer auf einen extremen Einzelfall gehenden theoretischen Propädeutik eine architektonische Propädeutik, eine Phase des zielbewußten Experimentierens an die Seite zu stellen ist.
87
88
Ein erstes solches, die hier zu berührende Architekturgeschichte
eröffnendes ‚Experiment‘ ist in der „Frauenkirche“ Christian Frederik
Hansens [Abb. 10] gegeben. (Ich beziehe mich hier auf die
Beschreibung Rudolf Zeitlers, der die von ihm analysierten Kunstwerke in solche „monistischer“ und „dualistischer Struktur“180
unterscheidet und mit diesem Interpretationsmodell die Initialzündung zu dieser Arbeit geliefert hat.)
Rudolf Zeitler befragt die Frauenkirche auf eine „duale“, sich in
der Längsachse entfaltende Struktur und kommt zu folgendem
Ergebnis:
„… das Innere der Frauenkirche zu Kopenhagen … ist ein ganz
einfaches Raumgeviert mit einer Tonne darüber; die Raumgrenzen
sind eindeutig. An das Hauptschiff schließt sich eine ebenfalls ganz
einfache große Apsis im Halbrund an. Trotz der geometrischen und
leicht zu überschauenden Formen, und obwohl in Langhaus und Apsis
nur wenige und unter sich gleiche Bauelemente verwendet worden
sind, zeigt die Chornische einen ganz anderen Charakter … nicht
durch irgend welche auffälligen Zutaten, sondern durch zwei Weglassungen: die Einteilung des Langhauses in zwei Geschosse setzt sich
nicht in der Apsis fort; der Ansatz der eingeschossigen Apsis am
Langhaus ist nicht sichtbar. Ihre riesige, gebogene Wandfläche, ein
halber stehender Zylinder, ist bis auf den Figurenfries an ihrem
oberen Abschluß ungegliedert; sie schwebt irgendwo als unbestimmbarer Abschluß hinter dem meßbaren Raum. Den Wandel vom
Meßbaren ins Unfaßbare und damit die überraschende Wirkung
erreicht der Architekt Christian Frederik Hansen einfach dadurch, daß
er das uralte Motiv des sogenannten Triumphbogens benutzt und vor
die Apsis setzt. Er zog die beiden Pfeiler, die den rahmenden Bogen
tragen, ein wenig vor die Wandflucht des Langhauses, so daß der
Betrachter, der im Langhaus steht, die Grenze zwischen Kirchenschiff
und Langhaus nicht sieht und folglich die Distanz zischen seinem
Standort und der Apsiswand nicht abschätzen kann. Vor dieser
Abb. 10 Christian Frederik Hansen, Frauenkirche in Kopenhagen, Innenraum mit
Skulpturenschmuck von Bertel Thorvaldsen (vgl. Abb. 4), 1811-1829
unbestimmbaren Wandfläche steht ein großer Altar, eine klare, mit
wenigen antikisierenden Formen aufgebaute Architektur. Da wir die
Distanz nicht erfassen können, wird es uns auch unmöglich gemacht,
die Größe dieses Aufbaus abzuschätzen … Der Effekt ist das Unfaßbar- und Unwirklichwerden [nicht nur] der Apsis-Raumgrenze“181,
sondern auch des in diese einbezogenen Altars.
Die Beschreibung einer derart erlebten kirchlichen Innenarchitektur liefert – man erinnere sich an die vorab bei Karl Wilhelm
Ferdinand Solger aufgezeigte Abfolge182 – alle zentralen Charakteristika des Erlebnisschemas und die von diesem evozierten Elemente:
einer differenzierten Wirklichkeit: dem Kirchenschiff, steht, geschie-
89
90
Abb. 11 „Parzifal“, 1. Akt, Inszenierung von Wieland Wagner, Bayreuth 1964
den durch das die Grenze setzende Element des Triumphbogens, eine
ideale Sphäre: die Rundung der Apsis, gegenüber, durch deren optische
Vermittlung die auf Überwirklichkeit christlichen Ideenguts zielende
Wirkung des Altars und der verhalten theatralisch gestikulierenden
Christusfigur Thorvaldsens möglich wird.
Dieses sich durch die Vermittlung von Langhaus, Triumphbogen,
Halbrund der Apsis, Rundung des Chores entfaltende Erlebnis mit
seinem Zentrum: dem Altar und der Christusfigur, kann durch einen
Abschnitt aus Friedrich Nietzsches „Geburt der Tragödie“ unterlegt
werden, der die gesuchte theatralische Parallele offenkundig werden
läßt: Dionysos, der als mystisch-musikalische Gottheit (i.S. Nietzsches) Träger der dem Christentum zugesprochenen Wesensmerkmale
ist, wird in Nietzsches Darlegung der Entwicklung der Tragödie in
den Mittelpunkt eines anthropomorphen Chores gestellt, der durch
seine räumlich-(halb-)kreisförmige Anordnung [Abb. 11, vgl.
Abb. 34], durch seine dramatische, seine erlebnisrelevante Funktion:
„die Stimmung des Zuhörers [und Zuschauers] … dionysisch anzuregen“183 eine Verklärung der Gottheit bewirkt, die das architektonische Pendant – hier: der architektonische Chor der Frauenkirche
Hansens, in Bezug auf die christliche Inkarnation des Göttlichen –
hier: Thorvaldsens Christusfigur, gleichfalls zu leisten vermag. Wir
geben hier die entsprechende Stelle aus Nietzsches Frühschrift, die
man der ‚aktuellen‘ Anwendung gemäß zu modifizieren hat:
„Dionysus … ist … zuerst, in der allerältesten Periode der
Tragödie, nicht wahrhaft vorhanden, sondern nur als vorhanden
vorgestellt … Später wird nun der Versuch gemacht, den Gott als
einen realen zu zeigen und die Visionsgestalt samt der verklärenden
Umrahmung [= anthropomorpher/architektonischer Chor] als jedem
Auge sichtbar darzustellen … Jetzt bekommt der dithyrambische
[= der architektonische] Chor die Aufgabe, die Stimmung der
Zuhörer bis zu dem Grade dionysisch anzuregen, daß sie … nicht
etwa den unförmig maskierten Menschen [= den marmornen Christus] sehen, sondern eine gleichsam aus ihrer eigenen Verzückung
geborene Visionsgestalt.“[Abb. 11 und 12]184/*) Der dionysisch
erregte Zuschauer überträgt „… das ganze magisch vor seiner Seele
zitternde Bild des Gottes auf jene maskierte Gestalt und löst ihre
*) Diese hier gegebene Parallele von anthropomorphem und architektonischem
Chor, gepaart mit einer die „Perspektive beschließenden“ (Solger) bzw. die
Architektur im Sinne eines „romantischen Fensterbildes“ (vgl. auch die
Bühnenansicht Schinkels zu dessen Berliner Schauspielhaus: Abb. 25)
‚durchbrechenden‘ , ‚auflösenden‘ Apsismalerei, kann durch Schinkels Ansicht
und Grundriß der projektierten „Berliner Singakademie“ illustriert werden
[Abb. 12 u. 13]. Schinkels Singakademie stellt ein Mittelglied zwischen
‚reiner‘ Kirchenarchitektur und ‚reiner‘ Theaterarchitektur dar.
91
92
Abb. 12 Friedrich Schinkel, Singakademie zu Berlin, Ansicht (unausgeführter Entwurf)
Realität gleichsam in eine geisterhafte Unwirklichkeit auf, in dem
die Welt des Tages [= die Alltagswelt] sich verschleiert und eine
neue Welt deutlicher, verständlicher, ergreifender als jene … sich
unserem Auge neu gebiert.“185
Dieser Textstelle aus Friedrich Nietzsches „Geburt der Tragödie“
kann ein gleichermaßen unserem Erlebnisschema eignender Passus
aus Karl Philipp Moritz „Schriften zur Ästhetik und Poetik“ an die
Seite gestellt werden: Die den Kulminationspunkt des Moritzschen
Raumerlebens bedeutende „Wölbung“ assoziiert das einen kirchlich–
theatralischen Erlebnisraum vollendende Formelement: die Apsis des
Kirchenbaus (bzw. den dieser gleichzusetzenden Rundhorizont
neuerer theatralischer Inszenierungspraxis); Moritz schreibt, man
halte sich dabei unser erstes Beispiel, den Innenraum der Frauenkirche, vor Augen:
Abb. 13 Friedrich Schinkel, Singakademie
zu Berlin, Grundriß (unausgeführter
Entwurf)
„Wir sehen gerade durch [den Mittelgang, die Mittelachse des
Kirchenschiffs] und die Gegenstände reihen und ordnen sich von selber.
„Wir sehen das Entferntere [Apsis und Altar] nicht unmittelbar,
sondern durch das Nähere [Kirchenschiff/Langhaus].
„Das Entferntere erscheint uns nur klein, in Vergleichung mit dem
Näheren – oder, insofern wir es uns, wie auf der Fläche eines
Gemäldes, ebenso wie das Nähere denken [Solger: Architektur als Bild;
Bild, in der sich die gedachte Perspektive der Architektur schließt;
s.o.]; oder es mit dem Näheren gleichsam in eine Reihe stellen.
93
94
„Daher kommt es, daß die Ferne zusammendrängt.
„Die Gegenstände nähern sich in der Entfernung immer mehr der
bloßen Idee von den Gegenständen; das Gesicht nähert sich immer
mehr der Einbildungskraft …
„Wo das Auge durch nichts gehindert wird, da sehen wir Wölbung
und Fläche.
„Das Höchste, was uns erscheinen kann, ist die Wölbung – über
dieser kann uns nichts erscheinen; denn die Wölbung ist über
allem. –“186
Unverhohlen weist Moritz „Wölbung“ in kosmische Dimensionen:
Die Wahrnehmung der Wölbung – des Himmelsgewölbes etwa – gibt
die elementare, nicht differenzierbare Grenze jedweder Erfahrung, die
dem Höhepunkt eines sakralen, eines ‚numinosen‘ Erlebens identisch
zu setzen ist. Rudolf Zeitlers Interpretation der Frauenkirche Hansens
liefert eine Übertragung auf den beschränkten, den begrenzten Raum
der Architektur: Die erlebnismäßig-irrationale Durchbrechung einer
final im Bild der Wölbung erfahrbaren Raumgrenze ist durch das
architektonisch-gewölbte Formelement des Chores und durch die das
‚Verschweben‘ bewirkende Funktion des Triumphbogens in eine
konkrete, sich in deren Grenzen vollziehende Form gekleidet. Diese
der endlichen architektonischen Form immanente, erlebnisbezogene
Unendlichkeit hatten wir als Charakteristikum der romantischen
Kunsttheorie mit ihren Definitionen von Kunstwerk und Mythos,
hatten wir als Spezifikum der romantischen Methode und des mit
dieser zusammenfallenden Erlebnisschemas betonen können.
Die im Frauenkirchenbeispiel gesehene, architektonisch wie
erlebnisbezogen zentrale Stelle des Triumphbogens veranlaßt die
mehr historisierende Frage nach den Inspirationsquellen Hansens.
Die dem Klassizisten obligatorische Italienreise ließe entsprechende
Anregungen vermuten. Für unseren Zweck genügt es, anhebend mit
den autonomen Triumphbögen der römischen Kaiserzeit (man
bedenke das ‚theatralische‘ Ereignis eines triumphalen Einzugs durch
Abb. 14 Friedrich Gilly, Außenansicht des Berliner Schauspielhauses (unausgeführter Entwurf)
den Bogen), auf die formalen Übereinstimmungen mit S. Maria
Maggiore und S. Sabina zu verweisen, des weiteren willkürliche
Vergleichsbeispiele, so die Palastaula (Trier), oder die ottonischen
Gotteshäuser St. Michael (Hildesheim) und den Dom zu Speyer mit
dem für die Mittelalterliche Bauweise typischen Transversalbogen
anzubieten, um die im historischen Wandel gleichermaßen beständige Funktion des Triumphbogenelementes: Trennung idealer und
realer Sphären, bestätigt zu finden. Folglich kann es nicht wundernehmen, daß der Triumphbogen, so dem Zusammenhang der kirchlichen Architektur entbunden, seine ‚Funktion‘ auf ein dem ersten
Anschein nach anders geartetes Architekturkonzept überträgt: das
des Theaterbaus.
Mit Friedrich Gilly setzen die Reformbemühungen des modernen
Theaterbaus ein [Abb. 14].
95
96
Obwohl der Triumphbogen in Gillys reduziertem Formenvokabular
dominiert, wird er in dessen Berliner Schauspielhausentwurf aus
dem Jahre 1800 zu ‚neuer‘ Bedeutsamkeit gesteigert, indem er,
unmittelbar vergleichbar dem sich in der Frauenkirche Hansens
verwirklichenden Gedanken, den ‚idealen‘ Bühnenraum von dem
‚realen‘ Auditorium scheidet [Abb. 15].
Ein Blick auf den Grundriß des Berliner Schauspielhauses
belehrt [Abb. 16], daß Gilly sehr wohl um die erlebnisspezifische
Einheit dieser beiden Sphären gewußt hat. Gilly zeichnet eine dem
Indifferenzpunkt des Proszeniums entbundene, exzentrisch zu
diesem Punkte in der Tiefe des Bühnenraums sich perspektivisch
einigende Linienschar, die auf das Auditorium übergreift. Ist auch
Abb. 15 Friedrich Gilly, Zuschauerraum des Berliner Schauspielhauses (unausgeführter Entwurf)
eine konsequente, diesem Erlebnisschema angemessene architektonische Reflexion in der formalen Ausbildung des Zuschauerraumes nicht vollzogen, so zeigt doch Gillys Skizzierung der
Sitzreihen den möglichst ‚zweckmäßig‘ realisierten Gedanken eines
in die „proszenische Perspektive“187 sich einfügenden Publikums.
Wenn auch die den Theaterbau belangende Tradition in der
Andeutung einer ‚neuen‘ Sitzordnung durchbrochen ist, so bleibt
doch Friedrich Gillys Entwurf der ‚kulinarischen‘ Struktur des
barocken Logentheaters verhaftet. Einzig in einem innenarchitektonischen Detail ist die dem Ideenerlebnis spezifische Richtungsbestimmtheit betont: Die Front der Ränge wird von einer großen,
zwischen vier ionischen Säulen sich öffnenden Mittelloge durch-
Abb. 16 Friedrich Gilly, Grundriß zum Berliner Schauspielhaus (Bayreuth 1798)
97
98
*) Monumentalität und Isolation des Baukörpers sind Charakteristika, die sich
aus dem elementaren Formenvokabular des Gillyschen Entwerfens ergeben;
Beispielhaft: Gillys „Nächtliche Skizze des Gendarmenmarkts in Berlin“
[Abb. 17] – diese präsentiert nicht nur ein in romantischem Sinne sich
offenbarendes ‚Wunderwerk‘, vielmehr veranschaulicht sie das deduzierte
Erlebnisschema in einer bühnenbildähnlichen Ansicht: der lichte, ideenkündende Theaterbau verbildlicht den Kulminationspunkt des Erlebens, auf
den die den Erlebnisprozeß schematisierenden Kolonadenfluchten in zentralperspektivischer Verkürzung hinweisen. Die tief verschatteten Türme der
Gondardschen Kirchen fungieren als Rahmen der Szene. – Monumentalität
und Isolation, Richtungsbestimmtheit und Theatralik zeigen sich in allen
stoßen. Dieses Heraustreten der Mittelloge aus dem Gefüge der
einen Halbzylinder bildenden Ränge bestimmt das Richtungnehmen auf die Bühne hin. Friedrich Gilly unterstreicht dieses
Richtungnehmen lediglich in einer den ästhetischen Selbstzweck des
Innenraumes bekräftigenden, weniger in einer diesen negierenden,
das hieße: theatralisch-zweckmäßigen Weise: der geschlossen liegende Halbkreis des Auditoriums kehrt sein Gesicht gegen den
aufrechten, den Bühnenraum aufreißenden Proszeniumsbogen;
damit ist „ein Raumbild geschaffen … das in seiner formalen
Erscheinung … der Idee einer auf die Bühne bezogenen Zuschauerund Zuhörerschaft entspricht.“188/*)
Abb. 17 Friedrich Gilly, Nächtliche Skizze des Gendarmenmarktes zu Berlin
Plänen und Skizzen Gillys: so in dem frühen, 1794 entstandenen „Entwurf zu
einem Badehaus“ [Abb. 19], dessen kompakte, geschlossene Formgebung
eine Entsprechung in dem 1794 während Gillys Frankreichreise notierten
„Fort sur l’Isle Pelée“ [Abb. 18], der Fassade des „Theatre Feydeau“ und dem
Konzept eines kreisförmig gedachten Theaterbaues (Boullée) hat. Diese
Formgebung kehrt in dem 1800 datierten Schauspielhausentwurf als eine
auch dem Theaterbau angemessene wieder. Ob dieser ‚universalen‘ Übertragbarkeit einer Bauform auf diverse Funktions- bzw. Zweckbereiche wird
deutlich, daß Gillys Entwerfen noch nicht von dem Anspruch einer „Zweckmäßigkeit“ (das ist die dem Bau zugrunde liegende Idee) bestimmt ist, die
sich in der architektonischen Hülle zu reflektieren habe.
Über die 1802 von dem Architekten Louis Catel (Berlin) veröffentlichten „Vorschläge zur Verbesserung der Schauspielhäuser“189,
die an den Publikationen J.A. Breysigs190 orientiert gewesen sein
dürften, führt der Weg der Theaterreformbestrebungen zu dem GillySchüler Friedrich Schinkel.
Catel, der die bei einem Bühnenraum geringer Tiefe unvermeidliche Diskrepanz zwischen der plastisch hervortretenden Körperlichkeit der Darsteller, den Gebrauchsrequisiten im Vordergrund
und der Scheindekorationen eines zu nahen Hintergrundes im Sinne
illusionistischer Wirkung aufgehoben wissen will, fordert ein zu
diesem Zwecke nach vorn erweitertes, in die Orchestra des Audi-
Abb. 18 Friedrich Gilly, Fort Hommel und Fort sur l’Isle Pelée
99
100
Abb. 19 Friedrich Gilly, Entwurf zu einem Badehaus, Grundriß und Ansicht
toriums hineingreifendes Proszenium, auf dem sich die von plastischen Dekorationen umgebene dramatische Handlung abspielt,
wobei das den Ort der Handlung bestimmende Prospekt in dem die
intendierte Wirkung ermöglichenden Abstand die Szene beschließt.
Catel gelangt so zu dem seine Bestrebungen charakterisierenden
Begriff des „unbegrenzten Szenenbildes“.191
Friedrich Schinkel, dessen besonders in Bezug auf die WagnerBühne gewichtigen theoretischen Abhandlungen einen breiten Raum
einnehmen könnten, schließt sich weitestgehend den Vorstellungen
Catels an.
In seiner Würdigung des griechischen Theaters deutet er dessen
Szene ganz im Sinne des deduzierten Ideenerlebnisses als ein
„… Sammelglas, welches das Bild der Handlung auf einen Punkt
zusammenzog und dadurch der physisch umgebenden Welt entrückte,
damit der ungestörte und frei gewordene Geist in den reinen Äther
der Kunst eintauchen und jener höheren Freude teilhaftig werden
konnte. Hieraus geht hervor, nicht allein, wie wenig es darauf
ankommen konnte, sondern, wie sogar absichtlich vermieden werden
mußte, eine gemeine physische Täuschung der Szene zu bewirken …
Eine symbolische Andeutung des Ortes, in welchem die Handlung
gedacht war, welche Andeutung beinahe unbedeutend aus der mit
einer immer stehenden eigentümlichen Architektur versehenen Szene
hervorblickte, war vollkommen hinreichend, der produktiven Phantasie des Zuschauers, auf die bei jedem Genuß gerechnet werden
muß … eine Anregung zu geben, durch welche er imstande war, …
ganz ideal den angedeuteten Ort … auszubilden, und dann die wahre
und ideale Illusion erwuchs.“192
Diesen Überlegungen zufolge verlangt Schinkel einen dem Auge
durch architektonische Vermittlung weit entrückt erscheinenden, die
„produktive(n) Phantasie des Zuschauers“ aktivierenden „symbolischen Hintergrund“193. Das den festen Rahmen der Szene bildende,
diese in gesteigerter Wirkung hervortreten lassende Proszenium
gewinnt folglich bei Schinkel eine zentrale Bedeutung. Dieses
Schinkelsche Proszenium aus dem Detail eines Gillyschen Entwurfes
abzuleiten, soll nunmehr versucht werden:
Vergegenwärtigen wir uns Gillys Entwurf zu einem Denkmal
Friedrich des Großen [Abb. 20]. Die von ihm zu illusionistischer
Abb. 20 Friedrich Gilly, Entwurf zu einem Denkmal für Friedrich II.
101
102
Abb. 21 Friedrich
Schinkel,
Entwurf einer fürstlichen Residenz,
E
i
n
f
a
h
r
t
Wirksamkeit gesteigerte Ansicht erlaubt es, das Denkmal als ausgeführt vorzustellen: der sich dieser Stätte nähernde Betrachter
blickt – nachdem sich das ihm in großer Distanz gegebene Panorama
einer zweigestuften dorischen Säulenarchitektur, gebildet aus den den
Torbau flankierenden Säulenhallen und dem dem Torbau ‚auflastenden‘*) dorischen Peripteros durch die Masse des Torbaus verschlossen hat – blickt durch den Torbogen auf die nun mächtig vor
ihm aufragende, sich gegen den Himmel abzeichnende Tempelanlage,
die wenig später – nun ist der Torbogen des schweren Tempelunterbaues durchschritten – in eben jener Aufwärtsbewegung erstiegen
wird. Im Innersten der Cella wird das Auge durch die den Innenraum
gliedernde Säulenordnung auf den in einer apsiden Nische jupitergleich thronenden Friedrich II. gelenkt [Abb. 22]. Die oben aufreißende Bedachung des Tempels bindet die ‚Unendlichkeit‘ des
*) Die ‚optische Täuschung‘ einer in den Raum gestuften, aber als flächiges
Bild gesehenen Architektur mag durch eine Ansichtszeichnung Schinkels
(Entwurf zu einer fürstlichen Residenz, Einfahrt, 1835) verdeutlicht werden
[Abb. 21].
Abb. 22 Friedrich Gilly, Entwurf
zu einem Denkmal für Friedrich II.,
Innenansicht der Cella
gestirnten Weltenraums in die endliche Wirklichkeit der Gillyschen
Architektur, um so die hier verewigte weltliche Macht mit einer ätherischen Aura zu ummanteln und überwölbend194 zu verklären.
Doch kehren wir zu dem sich vor dem Torbau [Abb. 23] befindenden Betrachter zurück. Die Säulenreihen der Säulenhallen, die
sich dem Torbau symmetrisch anschließen, haben den optischen
Mittelpunkt der Anlage betont und den noch in der Distanz unstet
schweifenden Blick auf diesen konzentriert. Indem Gilly diese
Säulenfluchten die seitlichen Wandungen des Torbaus durchdringen
und sich einreihig im Inneren des Bogens fortsetzen läßt, reproduziert er deren optische Vermittlungsfunktion: Konstituierten sie
dem Erlebenden zunächst die zentrale Stelle einer flächigen Ansicht,
so lenken sie nun die Aufmerksamkeit des nahegetretenen Betrachters durch eine gemessen an der Ausgangssituation orthogonale
Wendung in die Tiefe des (architektonischen) Raumes, um jetzt vor
dem Betrachter ein neues Szenarium: das Prospekt des zentralen
Tempelbaues entstehen zu lassen. Diese Abfolge erlaubt es, von
einer theatralischen Relevanz der Säulenstellung zu sprechen und
103
104
Abb. 23 Friedrich Gilly, Entwurf zu einem Denkmal für Friedrich II., Torbau
damit die behauptete Parallele von Erlebnis und Architektur
bestätigt zu finden.
Schinkels Proszeniumsreform läßt sich jetzt unmittelbar als eine
den Gillyschen Vorlagen entstammende Variante deuten: Der dem
Torbau des Friedrichdenkmals subtrahierte Bogen isoliert die
Schinkels „symbolischen Hintergrund“ rahmende, diesen zu größtem
optischen Effekt steigernde Säulenkonstellation: Schinkels tiefes
Proszenium. Bemerkenswert ist, daß die in dem „Entwurf zu einer
Veränderung des im Jahre 1817 abgebrannten Schauspielhauses zu
Berlin“ [Abb. 24] vorgeschlagenen Neuerungen, soweit sie die
Proszeniumsgestaltung betreffen, den von Gilly vorgegebenen
Vierer-Rhythmus der Säulenreihung unverändert übernehmen.
Neben der vorzüglich der Visualisierung des Bühnenprospektes
dienenden Funktion des Proszeniums betont Schinkel dessen
Abb. 24 Friedrich Schinkel, Entwurf zu einer Veränderung des Inneren
des im Jahre 1817 abgebrannten Schauspielhauses zu Berlin, Grundriß
Abb. 25 Friedrich Schinkel, Zuschauerraum des Schauspielhauses
in Berlin, 1818-21
105
106
Abb. 26 August von Voit, Glaspalast, München, 1854
akustische, weil als Resonator wirkende Qualität [Abb. 25]. Wenn er
darüber hinaus Pläne zu einem versenkten Orchester unterbreitet,
so sind bereits sämtliche von Richard Wagner formulierten Zielsetzungen in kongenialer Weise vorgeprägt, so daß die sich in einem
engen historischen Zeitraum vollziehende Entwicklung durch die
Reihe der ‚Reformatoren‘: Friedrich Gilly – Friedrich Schinkel –
Richard Wagner – Gottfried Semper – Otto Brückwald charakterisiert
werden könnte.
Haben die Bestrebungen Schinkels eine kontinuierlich-strahlengleich auf das Auditorium übergreifende Entwicklung missen lassen
und sich auf die Reform der sich aus dem Indifferenzpunkt des
Proszeniums entfaltenden Einheit: Proszenium, Bühnenraum, Bühnenprospekt, konzentriert, so ist es dem von den Vorstellungen
Richard Wagners befruchteten Gottfried Semper vorbehalten, die
Lösung der noch offenen Aufgabe einer Verzahnung von Bühne und
Zuschauerraum voranzutreiben.
Zentrale Lage der Orchestra, die, dem Auge unsichtbar gemacht,
als sogenannter „mystischer Abgrund“ die ideale Bühnenwelt von
der durch den Zuschauer repräsentierten realen Welt zu scheiden
Abb. 27 Gottfried Semper, Entwurf zum provisorischen Festheater, Projekt A,
hat; versteckter Bühnenrand, der dem Zuschauer jede real-maßstäbliche Korrektur, die das Überwirklichkeit meinende Bühnengeschehen verweltlichen könnte, unmöglich macht, amphitheatralisch
ansteigendes Auditorium – diese von Wagner gestellten Aufgaben
trachtet Semper durch Konstruktionsversuche und optische Studien
zu lösen.
Die infolge dieser Experimente entstehenden Entwürfe referieren
den Konflikt eines zwischen den Richtlinien absolut-theatralischer
Zweckbestimmung und rein architektonisch-formalen Gesetzen
schwankenden Architekten.
Sempers optische Versuche haben ihm gezeigt, daß das von
Wagner gewünschte Verbergen des Bühnenrandes nur bei geraden,
parallel zum Bühnenrand angeordneten Sitzreihen möglich wird,
demnach die halbkreisförmig nach außen tretende – d.h. die äußere
Bauform in ihrer Erscheinung bestimmende – „historisch geadelte“195,
107
108
Abb. 28 Gottfried Semper, Entwurf zum provisorischen Festheater, Projekt B,
weil architektonische Formgebung der Cevea aufgeopfert werden
müßte.
Daß er dennoch in seinem als „Projekt A“ [Abb. 27 u. 29]
bezeichneten Provisorium einer zweckmäßigen Lösung nahe gekommen ist, will weniger als geleistete Einfühlung in die Semper
angetragene Aufgabe gedeutet werden, vielmehr sind die Gründe in
dem Grundriß der unabänderlich vorgegebenen Außenhülle: dem
Münchener Glaspalast zu suchen: dessen rechteckiger Mittelbau
fordert quasi eine ‚theatralische‘ Innenarchitektur, enthob Semper
seines Konfliktes und ließ ihn eine überzeugend zweckmäßige
(d.h. in Sempers Sinne: nicht-architektonische) Lösung schaffen,
die sich, dem deduzierten Erlebnisschema entsprechend, in ihren
einzelnen Funktionsbereichen kontinuierlich entfaltet: eine auf
das musikalisch-optische Erleben bezogene, die Elemente: Auditorium, Proszenium, Bühnenraum einigende perspektivische Linienschar hat ihren Ursprung an der dem Zuschauer diametral gegenüberstehenden, rückwärtigen Bühnenwand. Dieser in Bezug auf die
Theaterpraxis optimale Grundriß: Kreisausschnitt im Rechteck,
stellt ein einmaliges Resultat des Semperschen Entwerfens dar, von
Abb. 29 Gottfried Semper, Modell zum provisorischen Festheater nach Projekt A
dem er sich in seinen Alternativvorschlägen weit entfernt. Das
zeigt schon der Plan zu dem als „Projekt B“ betitelten Provisorium [Abb. 28]. Hier schlägt Semper um einen beträchtlich vor
dem Bühnenrand liegenden Punkt weite, die „proszenische Perspektive“ gänzlich ignorierende Halbkreise, die wohl einem auf
reine Formensprache gerichteten Sinn genügen könnten, jedoch
dem in „Projekt A“ entsprochenen „Ideal der Zweckmäßigkeit“196
völlig zuwider laufen.
Auch die parallel entstehenden Pläne zu einem „Monumentalen
Festtheater“ [Abb. 30] liefern eine gemessen an der Lösung des
A-Projektes unbefriedigende Synthese, die die in den beiden Provisorien ausgebildeten Extreme zu verschmelzen strebt, wohl
aber – das veranschaulicht der auf den Münchner Plänen fußende
Dresdener Bau – ein Abbild des perspektivischen Erlebnisschemas
in der frontalen Fassadengestalt des Baukörpers zu geben vermag [Abb. 31].
109
110
Abb. 30 Gottfried Semper, Entwurf zum monumentalen Festtheater, Grundriß
Jenseits seines formalistischen Ansinnens liefert Semper eine in
Hinblick auf das Bayreuther Theater nachhaltige Proszeniumsreform.
Diese läßt sich aus der Tatsache erklären, daß alle Reform des
Proszeniums, weil das ‚Nichts‘, weil den architektonischen Indifferenzpunkt der theatralischen Architektur betreffend, zunächst
keine die äußere Gestalt des Baukörpers bestimmende Konsequenzen haben muß.
In Sempers sogenanntem „Doppelten Proszenium“ ist dem
eigentlichen Proszenium ein zweites, in die Nähe des Auditoriums
gerücktes vorgesetzt. Dieses, in Motiven und Ordonnanzen dem
ersten völlig gleich, unterscheidet sich von jenem durch die
überdehnten Größenverhältnisse (expansive Tendenz!). Die hieraus
resultierende perspektivische Täuschung findet sich in den Schriften
Wagners und Sempers197 beschrieben: Der Zuschauer, dessen Blick
durch die Fluchtlinien geleitet wird, die das doppelte Proszenium
markiert, wähnt den szenischen Vorgang weit entrückt, nimmt ihn
jedoch mit der Deutlichkeit der wirklichen Nähe wahr, demzufolge
Abb. 31 Gottfried Semper, Hoftheater zu Dresden, 2. Bau
sich eine optische Täuschung einstellt: die auf der Szene auftretenden Darsteller erscheinen in vergrößerter, übermenschlicher
Gestalt – das ist der ‚optische Kothurn‘ der mythologischen Gestalten und Gestaltung Richard Wagners.
Die in Sempers doppeltes Proszenium integrierte „theatralisch
relevante Säulenkonstellation“ erlaubt es, einerseits Schinkels
Säulenproszenium als Semper inspirierende Vorlage zu deuten,
andererseits auf eine die Grenzen des 19. Jahrhunderts durchbrechende, in jeder Hinsicht theatralische Kirchenarchitektur hinzuführen: Carlo Rainaldis „S. Maria in Campitelli“ [Abb. 32].
Das diesem Bau Charakteristische läßt sich dem Grundriß
entnehmen [Abb. 33]: Zwei Zentralräume, der Gemeinderaum und
die Vierung mit dem Sanktuarium, sind durch eine Säulenstellung
miteinander verknüpft, die Sempers doppeltem Proszenium unmittelbar vergleichbar ist.
111
112
Lediglich die deutliche Übereinstimmung mit dem Proszenium
Sempers konstatieren, hieße die behauptete, erlebnisbedingte
Identität von Sakral- und Theaterbau willkürlich herbeiführen. Doch
in S. Maria findet sich eine der neuen Theaterpraxis identische
Lichtführung: der Gemeinderaum ist gleich dem Auditorium des
Theaters in (nahezu) völligem Dunkel belassen; die mit diesem
durch die theatralisch wirksame Säulenordnung verbundene Vierung
wird in gleißendes, durch die Kuppel einfallende Licht getaucht, das
den Altar, die ‚Szene‘ des kirchlichen Rituals, erhellend streift; der
in die Tiefe führende Chor ist in einem verhaltenen Halbdunkel
gehalten, was eine Schinkels symbolischem Hintergrund vergleichbare illusionistisch-ideale Wirkung des Hochaltars und der das
Sanktuarium beschließenden Apsismalerei möglich werden läßt.
Abb. 32 Carlo Rainaldi, S. Maria in Campitelli, Rom, Innenansicht, 1663-67
Dieses und Rainaldis umfangreiche Tätigkeit als Fest- und
Bühnenausstatter198 läßt die erlebnisspezifische Identität von
theatralischer Kirche und sakralem Theater zwingend erscheinen.
Das Bayreuther Festspielhaus darf man nun als die Synthese der
hier aufgezeigten Reformen begreifen. Das von Otto Brückwald zur
Vollendung geführte, kontinuierlich auf das sich perspektivisch
weitende, amphitheatralisch ansteigende Auditorium übergreifende
und damit dieses mit dem Bühnenraum als erlebnismäßige Einheit
verzahnende Proszenium bekundet die konsequente Entwicklung
einer der romantischen Kunstkritik verpflichteten, mit dem kirchlichen Triumphbogenelement anhebenden Reform des Theaterbaus,
die, gemessen an diesem Endresultat, als ‚revolutionär‘ bezeichnet
werden darf.
Abb. 33 Carlo Rainaldi, S. Maria in Campitelli, Rom, Grundriß
113
114
Die sakrale Weihe des Bayreuther Festspielhauses, die – wie zu
zeigen war – von einem sogenannten Ewigkeitserlebnis unabtrennbare Genese des neuen, des mythologischen Theaterbaues dürfen wir
in einem Kulminationspunkt des Wagnerschen Schaffens bestätigt
sehen: in seinem die optischen wie akustischen Gegebenheiten des
Festspielhauses berücksichtigenden Bühnenweihfestspiel „Parsifal“
sind Architektur und sakrales Theater zu einer untrennbaren,
erlebnismäßigen Einheit verbunden und damit, eingedenk der
gezogenen Parallelen, die Identität von sakralem Theater und
theatralischer Kirche auf das nachhaltigste bestätigt.
Abb. 34 „Parsifal“, Gralstempel, 1882-1933, Inszenierung: Richard Wagner
V.
Anhang • Das Proszenium als spekulativer Indifferenzpunkt der Theaterarchitektur • Der christliche Longitudinalbau als „geradlinige“ Präformation des Bayreuther
Festspielhauses • Kulinarisches und kontemplatives
Theater
V.1. Das Proszenium als spekulativer Indifferenzpunkt
der Theaterarchitektur
Im ersten Kapitel dieser Abhandlung – „Methode als Erlebnis • Erlebnis als Methode – definierten wir das Proszenium als
„spekulativen Indifferenzpunkt“ der Theaterarchitektur und formulierten wie folgt:
„Es ist durchaus evident, das Proszenium als den in der Architektur materialisierten Indifferenzpunkt zu bezeichnen, da es das
‚negative‘ Faktum in der Theaterarchitektur bedeutet; d.h.: es bildet
die Stelle im architektonischen Komplex, die die geringste architektonische Wirklichkeit einnimmt, da sie zunächst nicht maßgeblich in die äußere, „historisch geadelte“60 Bauform eingreift und
diese bestimmt.“
Im dritten Kapitel – „Die Deduktion des konkreten architektonischen Werks • das Festspielhaus Bayreuth“ – deduzierten wir die
„Ursprungsgebärde“ des „Sänger-Darstellers“ und den diesen allererst
umfangenden „Proszeniumsbogen“ als adäquate Antizipation des
Festspielhaus-Innenraums im Sinne einer „anthropomorphen Architekturminiatur“.
Um dem Leser diese deduktiven Schritte zu verdeutlichen,
erläutern wir den vorgetragenen Gedankengang durch die folgenden
Skizzen:
115
V.2. Der christliche Longitudinalbau als „geradlinige“
Präformation des Bayreuther Festspielhauses
B
P
A
Z
Z
P
B
654321
Es ist die zentrale „Crux“ der sich um eine Theaterreform
bemühenden Architekten, daß diese die einhellige Position beziehen, eine derartige Reform – hin zum Wagner-Theater als
Kulminationspunkt dieser Reformbestrebungen – könne sich nur
„gattungsimmanent“, also auf die überkommene „höfische“ (s.u.)
Theaterarchitektur rekrutierend, vollziehen. Hierbei wurde – zumal
von dem Freund-als-Wagner-Berater Gottfried Semper – geflissentlich übersehen, daß eine „winzige“ Modifikation des tradierten
chrislich-abendländischen Sakralraums – gleichsam „sprunghaft“
bzw. „geradlinig“ – zur Innenraumausformung des Festspielhauses
Bayreuth geführt hätte; wir verdeutlichen an folgenden Skizzen:
Z
7654321665544332211
7654321666555444333222111
7654321665544332211
7654321665544332211
7654321665544332211
7654321665544332211
7654321665544332211
7654321665544332211
7654321665544332211
7654321665544332211
„Auditorium“
7
6554
3221
7
6
4
3
1
7
6
5
4
3
2
1
7
6
5
4
3
2
1
7
6
5
4
3
2
1
7
6
5
4
3
2
1
1
7
6
5
4
3
2
7
6
5
4
3
2
7654321
1
1
7
6
5
4
3
2
7
6
5
4
3
2
1
7
6
5
4
3
2
1
7
6
5
4
3
2
7654321
1
7
6
5
4
3
2
1
1
7
6
5
4
3
2
7
6
5
4
3
2
1
7
6
5
4
3
2
1
7
6
5
4
3
2
1
7
6
5
4
3
2
1
7
6
5
4
3
2
7654321
1
„Kopfsystem“
Bühnenraum
K
A
K
Z
Bild 10 Lateransbasilika, Rom, Grundriß
(A) Mittelschiff = Auditorium, (B) Apsis, Chor = Bühne, (P) Querschiff, Vierung = Proszenium/Orchestergraben, (Z) Seitenschiffe = Zugänge zum Auditorium, (K) Westwerk = Königsloge, Balkon, Galerie
Bild 9 S. Maria in Campitelli, vgl. Abb. 33
87654321 44332211
87654321 444333222111
87654321 44332211
87654321 44332211
87654321 44332211
87654321 44332211
87654321 44332211
87654321 44332211
87654321 44332211
87654321 44332211
87654321 44332211
87654321 44332211
87654321 44332211
87654321 44332211
87654321 44332211
87654321 44332211
87654321
Das Proszenium kann man als „spekulativen Indifferenzpunkt“ der
Theaterarchitektur definieren, da es zunächst keine raumdeterminierend Funktion hat:
Bild 7 Nicht raumdeterminierender Proszeniumsbogen = beliebige Grundrißformen
der angrenzenden Räume sind möglich
>
Das Proszenium bestimmt also nicht die angrenzenden Raum-Grundrisse (Bühnenraum – Auditorium); erst durch die „anthropomorphe
Architektur-Miniatur“ des „Sängerdarstellers“ werden Bühnenraum und
Auditorium architektonisch konkretisiert (= Festspielhaus Bayreuth):
„Sänger-Darsteller“
Bild 8 „Sängerdarsteller“ und „Proszeniumsbogen“ präformieren eine kontemplativ-erlebnisspezifische Verzahnung von Bühne und Auditorium
5
4
3
2
1
5
4
3
2
1
5
4
3
2
1
5
4
3
2
1
5
4
3
2
1
5
4
3
2
1
1
5
4
3
2
5
4
3
2
54321
1
1
5
4
3
2
5
4
3
2
1
5
4
3
2
1
5
4
3
2
54321
1
5
4
3
2
1
1
5
4
3
2
5
4
3
2
1
5
4
3
2
1
5
4
3
2
1
5
4
3
2
1
5
4
3
2
1
1
5
4
3
2
5
4
3
2
54321
1
1
5
4
3
2
5
4
3
2
1
5
4
3
2
1
5
4
3
2
54321
1
5
4
3
2
54321
54321
54321
1
116
117
118
Anmerkungen zu Kapitel I
1 Fichte-Schelling, Briefwechsel, Einleitung von Walter Schulz, Frankfurt/M.
1968, S.126
2 Walter Benjamin, Ursprung des deutschen Trauerspiels, Frankfurt/M. 1972,
S.11
3 Ebd.
4 Ebd., S.12
5 Friedrich Hölderlin, Werke und Briefe, Hrsg. Friedrich Beißner u. Jochen
Schmidt, Frankfurt/M. 1969, S.643
6 Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Philosophie der Kunst (unveränderter
reprographischer Nachdruck der aus dem handschriftlichen Nachlaß herausgegebenen Ausgabe von 1859), Darmstadt 1976, S.43
7 vgl. Roman Ingarden, Erlebnis, Kunstwerk und Wert, Tübingen 1969, s. bes.:
„Das ästhetische Erlebnis“, S.3-9
8 Hölderlin, Werke, a.a.O., S.643f
9 Verweis auf die maßgeblich durch Goethe vermittelte Wirkung des Byronschen Werkes in Deutschland (vgl. Goethes Gespräche mit Eckermann)
10 Lord Byron, Sämtliche Werke in neun Bänden, Übersetzt von Ad. Böttger,
Herausgegeben und aus anderen Übersetzungen ergänzt von Prof. Dr.
Wilhelm Wetz, Leipzig o.J., Bd. VI, S.182f
11 Erwähnt sei, daß der die geistige Entwicklung des jungen Richard Wagner
maßgeblich beeinflussende Oheim Adolf Wagner u.a. auch als Übersetzer
Byronscher Werke hervorgetreten ist
12 Karl Wilhelm Ferdinand Solger, Vorlesungen über Ästhetik, Hrsg. von Karl
Wilhelm Ludwig Heyse, Leipzig 1829 (Darmstadt 1973), S.442
13 Karl Friedrich Schinkel, Aus Tagebüchern und Briefen, Hrsg. Günther Meier,
Berlin, München, Wien 1967, S.146
14 Schelling, Philosophie der Kunst, a.a.O., S.78
15 Ebd., S.77f
16 Der „Sinn“ bedeutet die erkenntnistheoretisch elementarste Denkform: das
Setzen eines die Bewußtseinsbestimmung (re)produzierenden Gegenstandes
ohne Bewußtsein dieses Setzens; vgl. zur Abgrenzung:
Walter Benjamin, Der Begriff der Kunstkritik in der deutschen Romantik,
Herausgegeben von Hermann Schweppenhäuser, Frankfurt/M. 1973, S.27:
119
120
„Das bloße Denken mit seinem Korrelat eines Gedachten ist für die Reflexion
Stoff … bei Schlegel heißt sie der „Sinn“.“
17 Ebd., S.22
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
Ebd., S.26
Johann Gottlieb Fichte, Sämtliche Werke, Herausgegeben von Immanuel
Hermann Fichte, 8 Bände, Berlin 1845f (Berlin 1971), Bd. I, S.66f
Hierzu: Walter Benjamin, Kunstkritik, a.a.O., S.17:
„Das absolute Subjekt … ist Zentrum dieser Reflexion und daher unmittelbar
zu erkennen. Nicht um die Erkenntnis eines Gegenstandes durch Anschauung, sondern um die Selbsterkenntnis einer Methode, eines Formalen –
nichts anderes repräsentiert das absolute Subjekt – handelt es sich.“
Ebd., S.23f
Ebd., S.25
Ebd., S.25f
Schelling, Philosophie der Kunst, a.a.O., S.109
Ebd., S.114
Athenaeum, Eine Zeitschrift von August Wilhelm Schlegel und Friedrich
Schlegel, Berlin 1798 (I.Bd.), 1799 (II.Bd.), 1800 (III.Bd.), (Darmstadt 1977)
Athenaeum 1800, S.351
Ebd., S.339
Ebd., S.338
Friedrich Schlegels Gedanke: Gewinnung eines idealen Publikums – findet
sich in Entsprechung auch bei Richard Wagner.
„... der Theaterstückmacher [, der] … diese Maxime [„mundus vult Schundus“ (nach Franz Liszt)] dagegen verwirft … der dürfte daher wohl für so
lange, als ihm die Muße dazu vergönnt ist, sich ganz selbst anzugehören, das
Publikum einmal ganz aus den Augen lassen; je weniger er an dieses denkt,
wird ihm, dem ganz seinem Werke Zugewendeten, dann ein ideales Publikum,
wie aus seinem eigenen Inneren, entgegentreten: sollte dieses auch nicht
viel von Kunst und Kunstform verstehen, so wird desto mehr ihm selbst die
Kunst und ihre Form geläufig werden [d.h.: der Künstler fingiert sich im
idealen Publikum als sein eigenes Werk erlebend], und zwar die rechte,
wahre, die gar nichts von sich merken läßt, und deren Anwendung er nur
bedarf, um klar und deutlich sein innerlich erschautes mannigfaltiges
Gebilde dem mühelosen Empfängnisse der außer ihm atmenden Seele
anzuvertrauen.
„So entsteht … einzig das, was man das Gute in der Kunst nennen kann. Es
ist ganz gleich dem moralisch Guten, da auch dies keiner Absicht, keinem
Anliegen entspringen kann.“
Richard Wagner, Sämtliche Schriften und Dichtungen in 14 Bänden, Leipzig,
o.J. (6. Aufl.), Bd. X, S.75
29 Schelling, Philosophie der Kunst, a.a.O., S. 105
30 Ebd.
31 vgl. Arthur Schopenhauer, Zürcher Ausgabe, Werke in zehn Bänden, (Historisch-kritische Ausgabe von Arthur Hübscher, Wiesbaden 31972), Zürich 1977,
Bd. VII, S.247ff
32 Athenaeum 1798, a.a.O., S.232
Friedrich Schlegel zitiert und kommentiert sein Fragment im Rahmen seiner
Abhandlung „Über die Unverständlichkeit“; dort heißt es:
„Dieses Fragment schrieb ich in der redlichsten Absicht und fast ohne alle
Ironie … Daß ich die Kunst für den Kern der Menschheit, und die französische Revoluzion für eine vortreffliche Allegorie auf das System des
transcendentalen Idealismus halte, ist allerdings nur eine von meinen
subjektiven Ansichten … Die Poesie [in Schlegels Fragment vertreten durch
Goethes „Meister“] und der Idealismus sind die Centra der deutschen Kunst
und Bildung; das weiß ja ein jeder. Aber wer es weiß, kann nicht oft genug
daran erinnert werden, daß er es weiß. Alle höchsten Wahrheiten jeder Art
sind durchaus trivial und eben darum ist nichts nothwendiger als sie immer
neu, und wo möglich immer paradoxer auszudrücken, damit es nicht
vergessen wird, daß sie noch da sind, und daß sie nie eigentlich ganz
ausgesprochen werden können.“ Athenaeum 1800, a.a.O., S. 343
33 Sören Kierkegaard, Über den Begriff der Ironie, Mit ständiger Rücksicht auf
Sokrates, Unter Mitarbeit von Rose Hirsch übersetzt von Emanuel Hirsch,
(Düsseldorf/Köln 1961 ), Frankfurt/M. 1976, S.271
34 Ebd., S.250
35 Ebd., S.249
36 Ebd., S.268f
37 Hölderlin, Werke, a.a.O., S.647
38 Kierkegaard, Ironie, a.a.O., S.270
39 Ebd., S.252
40 Ebd.
121
122
41
42
43
44
45
46
47
48
49
50
51
52
53
54
55
56
57
58
Zur gefühlsmäßigen Antizipation („Fühlen“) des Denkens („Methode“)
formuliert Fichte wie folgt:
„Der menschliche Geist macht mancherlei Versuche; er kommt durch blindes
Herumtappen zur Dämmerung, und geht erst aus dieser zum hellen Tag über.
Er wird Anfangs durch dunkle Gefühle*) (deren Ursprung und Wirklichkeit
die Wissenschaftslehre darzulegen hat) geleitet; und wir hätten noch heute
keinen deutlichen Begriff, und wären noch immer der Erdkloss, der sich dem
Boden entwand, wenn wir nicht angefangen hatten, dunkel zu fühlen, was
wir erst später deutlich erkannten.
*) „Es erhellt daraus, daß der Philosoph der dunklen Gefühle des Richtigen
oder des Genies in keinem geringeren Grade bedürfe, als etwa der Dichter
oder Künstler …“, Fichte, Werke, a.a.O., Bd. I, S.73
Schopenhauer, Werke, a.a.O., war dem Verfasser nicht mehr auffindbar
Hölderlin, Werke, a.a.O., S.648
„Philosophie fordert Charakter, und zwar von bestimmter sittlicher Höhe und
Energie. Ebenso ist ohne alle Kunst und Erkenntnis der Schönheit Philosophie undenkbar.“ Schelling, Philosophie der Kunst, a.a.O., S.27
zit. nach: Benjamin, Kunstkritik, a.a.O., S.59
Karl Wilhelm Ferdinand Solger, Erwin, Vier Gespräche über das Schöne und
die Kunst, Nachdruck der Ausgabe Berlin 1907, Mit einem Nachw. und Anm.
hrsg. von W. Henckmann, München 1971, S.387
auch bei Schelling und dem späten Fichte ist das absolute Ich die absolute
Daseinsform des absoluten Seins Gottes (des Absoluten)
vgl. S. 12 und S. 49ff
Athenaeum 1800, a.a.O., S181ff
Athenaeum 1800, a.a.O., S.185
Benjamin, Trauerspiel, a.a.O., S.29
zit. nach: Ebd.
vgl. hierzu Anm. 41 und S.16ff
Benjamin, Kunstkritik, a.a.O., S.22
vgl. S.19, s. Anm. 19
zit. nach: Benjamin, Kunstkritik, a.a.O., S.29
Athenaeum 1798, a.a.O., S.207
vgl. S.13 u. 16, s. Anm. 8
Benjamin, Trauerespiel, a.a.O., S.16f
59 Athenaeum, 1798, a.a.O., S.207
60 vgl. Max Semper, Das Münchner Festspielhaus, Hamburg 1906
61 vgl. S.49 und Anm. 99
62 Die ob der Gleichsetzung von Theater- und Sakralbau behauptete Identität
künstlerisch-theatralischen und christlich-sakralen Erlebens referiert die
Intention der romantischen Kunsttheorie, die zunächst nicht zwischen
religiöser und ästhetischer Pathosform unterscheidet. Die Abstraktion von
den das religiöse bzw. ästhetische Erleben unterscheidenden Stimmungen –
auf die besonders Kierkegaard aufmerksam gemacht hat – ist daher hier
statthaft.
Anmerkungen zu Kapitel II
63 Schelling, Philosophie der Kunst, a.a.O., S.35
„Soll … der Schein, in welchem die Kunst ihre Konzeptionen zum Dasein
erschaft, als Täuschung bestimmt werden, so erhält dieser Vorwurf zunächst
seinen Sinn in Vergleichung mit der äußerlichen Welt der Erscheinungen und
ihrer unmittelbaren Materialität sowie im Verhältnis zu unserer eigenen
empfindenden, das ist der innerlich sinnlichen Welt; welchen beiden wir im
empirischen Leben, im Leben unserer Erscheinungen selber den Wert und
Namen von Wirklichkeit, Realität und Wahrheit im Gegensatz der Kunst zu
geben gewohnt sind, der solche Realität und Wahrheit fehle. Aber gerade
diese ganze Sphäre der empirischen inneren und äußeren Welt ist nicht die
Welt der wahrhaften Wirklichkeit, sondern vielmehr in strengerem Sinne als
die Kunst ein bloßer Schein und eine härtere Täuschung zu nennen. Erst
jenseits der Unmittelbarkeit des Empfindens und der äußerlichen Gegenstände ist die echte Wirklichkeit zu finden … Den Schein und die Täuschung
dieser schlechten, vergänglichen Welt nimmt die Kunst von jenem wahrhaften Gehalt der Erscheinung fort und gibt ihnen eine höhere, geistgeborene
Wirklichkeit.“
Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über Ästhetik, Erster und
zweiter Teil, Mit einer Einführung herausgegeben von Rüdiger Bubner,
Stuttgart 1971, S.46f
64 Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Philosophie der Offenbarung, Herausgegeben und eingeleitet von Manfred Frank, Frankfurt/M. 1977, S.90
65 Ebd. (S.89): „Es sind jetzt vierzig Jahre, da gelang es mir, ein neues Blatt in
der Geschichte aufzuschlagen; die eine Seite [gem.: die negative Philosophie]
derselben ist jetzt vollgeschrieben …“
123
124
69 Ebd., S.97
68 Athenaeum 1800, a.a.O., S.99
67 Ebd., S.326
66 Wagner, Werke, a.a.O., Bd. IX, S.331
84 Solger, Vorlesungen, a.a.O., S.115
83 vgl. S.85f
82 Ebd., S.329
81 Wagner, Werke, a.a.O., Bd. IX, S.342
80 Schelling, Philosophie der Kunst, a.a.O., S.49
96 Hölderlin, Werke, a.a.O., S.648
95 Friedrich Nietzsche, Werke, Herausgegeben von Karl Schlechte, (Nachdruck
der 6. durchgesehenen Auflage, München 1969), München 1976, Bd. I, S.413
94 zit. nach: Oswald Herderer, Klassizismus, München 21977, S.19
93 vgl. S.21 und Anm. 19
92 vgl. S.21 (Fußnote) und Anm. 19
91 Schelling, Philosophie der Kunst, a.a.O., S.223
90 Ebd., S.146f
89 Ebd., S.146
88 Karl Friedrich Schinkel, Aus Tagebüchern und Briefen, Hrsg.: Günther Meier,
München, Berlin, Wien 1967, S.138f
87 Schelling, Philosophie der Kunst, a.a.O., S.218
Solger, Vorlesungen, a.a.O., S.335
„Das Hauptziel der Architectur ist, ein in sich vollendetes harmonisches
Ganze durch das Verhältniß zu bilden. Den Gegenstand dieser Kunst
betreffend, so kann sie im Wesentlichen nur Beziehung auf die Gottheit
haben. Daher geht sie einzig und allein von dem Bau der Tempel aus und ist
an und für sich zu keinem anderen Zweck da. Der Tempel ist Darstellung der
unmittelbaren Gegenwart Gottes in der wirklichen Welt … Alle anderen
Gebäude müssen in Beziehung auf den Tempelbau betrachtet werden. Ist es
nicht die Idee der Gottheit selbst, so muß doch immer eine allgemeine Idee,
z.B. des Schauspiels, des Staates u.s.w. vorausgesetzt werden, die sich als
unmittelbar gegenwärtig in dem Werke der Baukunst darstellt. Nur dann wird
auch die wahre Zweckmäßigkeit erreicht.“
86 Zum mythischen Gehalt mythologischer Architektur: Karl Wilhelm Ferdinand
Solger:
85 s. Anm. 79
70 Ebd., S.98
71 Die im ersten Teil dieser Arbeit aufgewiesene Parallele von Methode (Denken)
und Erlebnis („sinn“-erfüllte Methode) ist durch die auf eine „neue Mythologie“ zielenden Ausführungen Friedrich Schlegels bestätigt; eine Stelle aus
Hegels „Einleitung in die Ästhetik“ mag den Zusammenhang von Denken und
Erleben bekräftigen:
„… das Denken … macht die innerste wesentliche Natur des Geistes aus …
Die Kunst nun und ihre Werke, als aus dem Geiste entsprungen und erzeugt,
sind selbst geistiger Art, wenn auch ihre Darstellung den Schein der
Sinnlichkeit in sich aufnimmt und das Sinnliche mit Geist durchdringt …
wenn auch die Kunstwerke nicht Gedanken und Begriffe, sondern eine
Entwicklung des Begriffes aus sich selbst, eine Entfremdung zum Sinnlichen
hin sind, so liegt die Macht des denkenden Geistes darin, nicht etwa nur sich
selbst in seiner eigentümlichen Form als Denken zu fassen, sondern
ebensosehr sich in seiner Entäußerung zur Empfindung und Sinnlichkeit
wiederzuerkennen, sich in seinem Anderen zu begreifen, indem er das
Entfremdete zu Gedanken verwandelt und so zu sich zurückführt … der
Begriff ist das Allgemeine, das in seinen Besonderungen sich erhält, über
sich und sein Anderes übergreift und so die Entfremdung, zu der er fortgeht,
ebenso wieder aufzuheben die Macht und Tätigkeit ist. So gehört auch das
Kunstwerk, in welchem der Gedanke sich selbst entäußert, zum Bereich des
begreifenden Denkens …“
Hegel, Ästhetik, a.a.O., S.52
72 Athenaeum 1800, a.a.O., S.101
73 Ebd., S.101f
74 Schelling, Philosophie der Kunst, a.a.O., S.14
75 Ebd., S.60
76 s. Anm. 28
98 Ebd., S.648
97 Ebd., S.900
78 Athenaeum 1800, a.a.O., S.96
99 Ebd., S.900
77 vgl. S.25f
79 Ebd.
125
126
100 Die Autorschaft des „Systemprogramms“ ist bekanntlich nicht gesichert;
dieses wissenschaftliche Scheinproblem läßt jedoch den Ideengehalt des
„Systemprogramm“-Textes unberührt. Hölderlin mag daher hier als der die
Text-Quelle (geschichtlich-räumlich) fixierender Urheber gelten
101 Hölderlin, Werke, a.a.O., S.648
102 Ebd.
103 Ebd., S.648f
104 Schelling, Philosophie der Kunst, a.a.O., S.82f
105 Wagner, Werke, a.a.O., S.211
106 Monumentalität ist das Charakteristikum jedes symmetrisch-zentrierten
Baukörpers; (baugeschichtlich) kommunizierende Baukörper würden die
intendierte ‚Zeitlosigkeit‘ eines monumentalen Bauwerkes relativieren;
Platz, städtisches Vorfeld, („grüner“) Hügel, Bergkuppe u.ä. garantieren die
der monumental-mythologischen Architektur unabdingbare Isolation; diese
ist das Zeichen des absoluten Ursprungsortes des Werkes.
107 Wagner, Werke, a.a.O., Bd. X, S.93
108 Nietzsche, Werke, a.a.O., Bd. I, S.413
109 Schopenhauer, Zürcher Ausgabe, a.a.O., (Teil-)Bd. I, S.332
110 vgl. bes. S.64f
111 Solger, Vorlesungen, a.a.O., S.475
112 Hans-Georg Gadamer, Die Aktualität des Schönen, Kunst als Spiel, Symbol
und Fest, Stuttgart 1977, S.54
113 Ebd.
114 Solger, Vorlesungen, a.a.O., S.264
115 Ebd.
Anmerkungen zu Kapitel III
116 vgl. S.34 und Anm. 59
117 Schelling, Philosophie der Kunst, a.a.O., S.37
118 Ebd., S.39
119 Schopenhauer, Zürcher Ausgabe, a.a.O., (Teil-)Bd. I, S.231
120 Poetisierung: pseudokontinuierliche Vermittlung der transzendenten Idee
durch den zeitlichen Gestaltungsprozeß einer ihrer möglichen Darstellungsformen; dieser sukzessive Materialisierungsprozeß ist das, was wir im
folgenden eine „expansive Entwicklungsreihe der Kunst“ nennen werden
(vgl. S.51, s. auch Schellings Def. der Poesie: S.26 und Anm. 29)
121 Kierkegaard, Ironie, a.a.O., S.103
122 Ebd.
123 Ebd., S.103f
124 Ebd., S.108f
125 Ebd., S.108f
126 Nietzsche, Werke, a.a.O., Bd. I, S.26
127 Solger, Vorlesungen, a.a.O., S.340
128 Ebd., S.265
129 Ebd., S.340
130 Ebd., S.265f
131 Ebd., S.342
132 Ebd., S.341
133 vgl. S.52f
134 vgl. S.53f
135 Wagner, Werke, a.a.O., Bd. X, S.106
136 Solger, Vorlesungen, a.a.O., S.340
137 vgl. u.a.: Fichte, Werke, a.a.O., Bd. II, S.227
„ICH. Mein geistiges Vermögen scheint sich innerlich hin und her zu
bewegen, schnell von dem einen auf das andere zu fahren; kurz, es
erscheint mir als ein Linienziehen. – Ein bestimmtes Denken macht einen
Punct in dieser Linie.“
138 Solger, Vorlesungen, a.a.O., S.340
139 Schelling, Philosophie der Kunst, a.a.O., S.129
140 Ebd., S.130
141 Ebd., S.131
142 Zur Deutung des „künstlerischen Verstandes“ vgl. Solger, Erwin, a.a.O.,
4. Gespräch, S.370ff
143 Schelling, Philosophie der Kunst, a.a.O., S.53, vgl. Anm. 165
144 Solger, Vorlesungen, a.a.O., S.334
145 Ebd.
146 vgl. S.47f
127
128
147 Solger, Vorlesungen, a.a.O., S.334
148 Ebd., S.263f
149 Ebd., S.334
150 Ebd., S.341
151 Ebd., S.266
152 Fichte, Werke, a.a.O., Bd. II, S.211
153 Ebd., S.208
154 Ebd., S.211f
155 vgl. Anm. 120
156 Wagner, Werke, a.a.O., Bd. IX, S.69f
157 Ebd., S.76
158 Ebd.
159 Ebd., S.76f
160 Fichte, Werke, a.a.O., Bd. II, S.206f
161 Ebd., Bd. I, S.273
162 vgl. Gilbert Austin, Die Kunst der rednerischen und theatralischen Declamation, Leipzig 1818 (Hanau 1970), Abbildungsteil S.185ff
163 Jede Reduktion ist eine Konkretisierung von Möglichkeit
164 vgl. S.101
165 Ergänzung: die allegorische Struktur der neuen Mythologie; der daraus
resultierende Zusammenhang von Erlebnis und Erlebnisraum:
In der ‚theatralischen‘ Handlung der neuen, musikalischen Mythologie ist
die Idee, die im klassischen Symbolträger der Plastik eine statische
Wirklichkeit einnahm, ihres Da-Seins entbunden: in der theatralisch-kultischen Handlung wandelt sich die statische Plastik in die Dynamik der
musikalischen Allegorie: hier sind die Idee und die der Idee Ausdruck
gebende Darstellung unendlich getrennt*). Einzig vermittels einer abstrahierend-erlebenden Aufhebung der darstellerisch artikulierten allegorischen
Spannung (Idee – Darstellung) vermag der Erlebende die den Kulminationspunkt des Erlebens bedeutende Idee in eine deren Transzendenz
simulierend Tiefe des Erlebnis- sprich: Bühnenraumes zu projizieren und
dieser damit einen ‚ekstatischen‘ Raumpunkt zuzuweisen. Genau diesen
Vorgang repräsentiert das bereits im ersten Teil dieser Abhandlung deduzierte, im Festspielhaus Bayreuth sich architektonisierende Erlebnisschema
mit den Polen einer in einen exzentrischen Raumpunkt gesetzt zu
denkenden Idee einerseits, der diesem Raumpunkt diametral entgegenstehenden (psychischen) Einheit des Erlebenden andererseits; über dem
„mystischen Abgrund“ ‚schwebt‘ die diese beiden Extrempole strahlengleich
auseinandertreibende (erinnere Schlegels „deducirten Leser“) bzw. die den
‚perspektivischen‘ Synthetisierungshinweis gebende theatralische Allegorie,
die wir im Sinne der hier zu leistenden Deduktion auf das Bild eines eine
‚Ursprungsgebärde‘ artikulierenden Sängerdarstellers (und den diesen ausrichtenden Proszeniumsbogen) reduzierten.
*) Zumal im Sinne einer Bestätigung der christlich-religiösen Dimension der
neuen Mythologie folgende Textstelle aus Schellings „Philosophie der Kunst“
(a.a.O., S.74):
„Wenn also die in der griechischen Mythologie erfüllte Forderung Darstellung des Unendlichen als solchen im Endlichen, demnach Symbolik des
Unendlichen war, so liegt dem Christenthum die entgegengesetzte zu
Grunde, das Endliche ins Unendliche aufzunehmen, d.h. es zur Allegorie des
Unendlichen zu machen. Im ersten Fall gilt das Endliche etwas für sich,
denn es nimmt das Unendliche in sich selbst auf, im andern Fall ist das
Endliche für sich selbst nichts, sondern nur, sofern es das Unendliche
bedeutet. Unterordnung des Endlichen unter das Unendliche ist also
Charakter einer solchen Religion.“
166 Wagner verweist in seinem Bayreuth-Vortrag ausdrücklich auf seinen Beethovenaufsatz (vgl. Wagner, Werke, a.a.O., Bd. IX, S.336).
167 Wagner, Werke, a.a.O., Bd. IX, S.336
168 vgl. die Fußnote S.68 und Anm. 159
169 Wagner, Werke, a.a.O., Bd. IX, S.336f
170 Ebd., S.338f
171 Ebd., S.337f
172 Solger, Vorlesungen, a.a.O., S.328
173 Ebd., S.339
174 vgl. Gottfried Sempers Entwurf und Modell zu einem „Monumentalen Festtheater“, eine Exedranische bestimmt die Fassade des „Hoftheaters zu
Dresden“
175 vgl. Solger, Vorlesungen, a.a.Q., S.55f:
„Die Idee ist der Standpunkt der Einheit des Begriffes und des Besonderen.
Soll mithin eine Idee in unserer Erkenntniß werden, so kann dies nur durch
Aufhebung der gemeinen Erkenntniß geschehen, in welcher Allgemeines
129
130
und Besonderes geschieden sind. Die Idee muß als die Form erscheinen,
welche die unendlich relative gemeine Erkenntniß aufhebt, worin die
Elemente derselben sich in die Einheit auflösen. Ideen können nie bloß
durch sich selbst erscheinen, sondern nur erkannt werden in ihrem
Gegensatze gegen die gemeine Erkenntniß. Mit jeder Offenbarung der Idee
ist Aufhebung der gemeinen Erkenntniß verbunden, die eben dadurch in die
Idee aufgenommen wird.“
186 Karl Philipp Moritz, Schriften zur Ästhetik und Poetik, Hrsg. von HansJoachim Schrimpf, Tübingen 1962, S.124f
187 vgl. S.77ff dieser Arbeit
188 Hermann Beenken, Schöpferische Bauideen der deutschen Romantik, Mainz
1952, S.41
189 Louis Catel, Vorschläge zur Verbesserung der Schauspielhäuser, Berlin 1802
177 vgl. Wagner, Werke, a.a.O., Bd. IX, S.85
176 Fichte-Schelling, Briefwechsel, a.a.O., S.105
195 vgl. Anm. 60
194 vgl. S.92ff
192 zit. nach: Ebd., S.33
191 vgl. Franz Benedikt Biermann, Die Pläne für die Reform des Theaterbaues
bei Karl Friedrich Schinkel und Gottfried Semper, Berlin 1928
190 J.A. Breysig, Über den Bau, die Maschinerie und Malerei des Theaters,
Magdeburg 1800
178 Erinnere Friedrich Schlegels Definition: „Ein Ideal ist zugleich Idee und
Faktum“, s. Anm. 59
Anmerkungen zu Kapitel IV
179 vgl. Benjamin, Kunstkritik, a.a.O., S.54 (S.48ff)
197 vgl. Wagner, Werke, a.a.O., Bd. IX, S.337
198 vgl. Erich Hubala, Die Kunst des 17. Jahrhunderts (Propyläen Kunstgeschichte Band IX), Berlin 1970, S.222
196 vgl. S.46f und Anm. 88
193 vgl. Ebd.
180 vgl. Rudolf Zeitler, Die Kunst des 19. Jahrhunderts (Propyläen Kunstgeschichte, Band XI), Berlin 1966, S.35ff
181 Ebd., S.37f
hierzu aus: Paul Klopfer, Von Paladio bis Schinkel, Eßlingen a.N. 1911, S.56:
„… Harmonisch stimmt auch das Innere zum Äußeren – es ist aber eben ein
Tempelinneres, kein protestantisches Kircheninneres. Es besteht in einem
kassettierten Tonnengewölbe, das mit breitem Sims sich auf eine Reihe
dorischer Säulen stützt, die die hohe Emporenwand bilden. Der untere Teil
dieser Säulenwand ist durch Rundbogenöffnungen in sechs Achsen geteilt.
Die Kirche ist wie die Madeleine [Paris] im Halbkreis mit einer Halbkuppel
geschlossen. Dieser Abschluß wirkt durch eine gewisse Askese feierlich. Die
ganze Schmuckart steigert aber den Eindruck des segnenden Christus von
Thorvaldsen, der in diesem Rahmen erst in ganzer Reinheit und lieblicher
Schönheit die Hände breitet und damit dem hart-antik ansprechenden Bild
einen Einschlag christlicher Wärme gibt, der den Beschauer den Klassizismus der Architektur über der wunderbar-innigen Gestalt des segnenden
Erlösers vergessen läßt.“
182 vgl. S.82f dieser Arbeit
183 Nietzsche, Werke, a.a.O., Bd. I, S.54
184 Ebd.
185 Ebd.
131
132
Die zitierte Literatur
Athenaeum, Eine Zeitschrift von August Wilhelm Schlegel und Friedrich Schlegel,
Berlin 1798 (I.Bd.), 1799 (II.Bd.), 1800 (III.Bd.), (Darmstadt 1977)
Beenken, Hermann, Schöpferische Bauideen der deutschen Romantik, Mainz 1952
Benjamin, Walter, Der Begriff der Kunstkritik in der deutschen Romantik, Hrsg.
von Hermann Schweppenhäuser, Frankfurt/M. 1973
ders., Ursprung des deutschen Trauerspiels, Frankfurt/M. 1972
Biermann, Franz Benedikt, Die Pläne für die Reform des Theaterbaues bei Karl
Friedrich Schinkel und Gottfried Semper, Berlin 1928
Fichte, Johann Gottlieb, Sämtliche Werke, Hrsg. von Immanuel Hermann Fichte,
Berlin 1845f (Berlin 1971)
Fichte-Schelling, Briefwechsel, Einleitung von Walter Schulz, Frankfurt/M. 1968
Gadamer, Hans-Georg, Die Aktualität des Schönen, Kunst als Spiel, Symbol und
Fest, Stuttgart 1977
Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, Vorlesungen über Ästhetik, Erster und zweiter
Teil, Mit einer Einführung herausgegeben von Rüdiger Bubner, Stuttgart 1971
Hölderlin, Friedrich, Werke und Briefe, Hrsg. von Friedrich Beißner und Jochen
Schmidt, Frankfurt/M. 1969
Ingarden, Roman, Erlebnis, Kunstwerk und Wert, Tübingen 1969
Kierkegaard, Sören, Über den Begriff der Ironie, Mit ständiger Rücksicht auf
Sokrates, Unter Mitarbeit von Rose Hirsch übersetzt von Emanuel Hirsch,
(Düsseldorf/Köln 1961), Frankfurt/M. 1976
Klopfer, Paul, Von Palladio bis Schinkel, Eßlingen 1911
Moritz, Karl Philipp, Schriften zur Ästhetik und Poetik, Hrsg. von Hans-Joachim
Schrimpf, Tübingen 1962
Nietzsche, Friedrich, Werke, Herausgegeben von Karl Schlechta, (Nachdruck der
6. durchgesehenen Auflage München 1969), München 1976
Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph, Philosophie der Kunst (unveränderter reprographischer Nachdruck der aus dem handschriftlichen Nachlaß herausgegebenen Ausgabe von 1859), Darmstadt 1976
ders., Philosophie der Offenbarung, Herausgegeben und eingeleitet von Manfred
Frank, Frankfurt/M. 1977
Schinkel, Karl Friedrich, Aus Tagebüchern und Briefen, Hrsg. von Günther Meier,
Berlin 1967
Solger, Karl Wilhelm Ferdinand, Vorlesungen über Ästhetik, Hrsg. von Karl
Wilhelm Ludwig Heyse, Leipzig 1829 (Darmstadt 1973)
ders., Erwin, Vier Gespräche über das Schöne und die Kunst, Nachdruck der
Ausgabe Berlin 1907, Mit einem Nachwort und Anmerkungen herausgegeben
von W. Henckmann, München 1971
Schopenhauer, Artur, Zürcher Ausgabe, Werke in zehn Bänden, (Historischkritische Ausgabe von Arthur Hübscher, Wiesbaden 31972), Zürich 1977
Wagner, Richard, Sämtliche Schriften und Dichtungen in 14 Bänden, Leipzig o.J.
Zeitler, Rudolf, Die Kunst des 19. Jahrhunderts (PKG Bd. XI), Berlin 1966
Bildquellennachweis
Ausstellungskatalog, Karl Friedrich Schinkel, Berlin 1982 (21); Gilbert Austin,
Die Kunst der rednerischen und theatralischen Declamation, Leipzig 1808 (2, 3);
Franz Benedikt Biermann, Die Pläne für die Reform des Theaterbaues bei Karl
Friedrich Schinkel und Gottfried Semper, Berlin 1928 (1, 7, 14, 15, 16, 20, 24,
25, 27, 28, 29, 30, 31); Hermann Beenken, Schöpferische Bauideen der
deutschen Romantik, Mainz 1952 (5, 12, 13, 17, 18, 19, 22); Der Festspielhügel,
Richard Wagners Werk in Bayreuth, München 1973 (Titelbild, 8, 11, 34); Erich
Hubala, Die Kunst des 17. Jahrhunderts (PKG Bd. IX), Berlin 1970 (32, 33); Klaus
Lankheit, Revolution und Restauration, Baden-Baden 1965 (9); Josef Ponten,
Architektur die nicht gebaut wurde, Stuttgart 1925,21987 (23); Richard Wagner,
Sämtliche Schriften und Dichtungen in 14 Bänden, Leipzig o.J. (6); Rudolf
Zeitler, Die Kunst des 19. Jahrhunderts (PKG Bd. XI), Berlin 1966 (4, 10)
133
Hector Berlioz
Hans-Jürgen Fliedner
EUPHONIA
DIE MUSIKALISCHE
STADT
THE MUSICAL TOWN
LA VILLE MUSICALE
Skizzen, Bilder und Pläne zu einem utopischen Architekturprojekt
Sketches, Pictures and Plans for an Utopian Projekt on Architecture
(Pulvermaar/Eifel)
Esquisses, tableaux et plans pour un projet d’architekture utopique
Synästhesie Verlag
geb. Ladenpreis 36,- DM
Hector Berlioz: Abendunterhaltungen im Orchester – Prolog, Vierundzwanzigster und
Fünfundzwanzigster Abend, Euphonia, oder die musikalische Stadt (Zukunftsnovelle), der
Neudruck folgt der Übersetzung von Elly Ellès, Leipzig 1907; Evenings with the Orchestra –
Prologue, Twenty-forth and Twenty-fifth Evening, Translation by Jacques Barzun; Soirées de
l’orchestre – Prologue, vingt-quatrième et vingt-cinquième soirées; Hans-Jürgen C. Fliedner:
Euphonia – die musikalische Stadt / the Musical Town / la ville musicale (Pulvermaar/Eifel) –
Skizzen, Bilder und Pläne zu einem utopischen Architekturprojekt / Sketches, Pictures and Plans
for an Utopian Project on Architecture, Translation by Nicholas Barton / Esquisses, tableaux et
plans pour un projet d’architecture utopique, Traduction d’André Teissier; 266 Seiten, 3 x 18
Skizzen im Text, Tafelteil mit 21 Farb- und S/W-Abbildungen, kartoniert, 21 x 14,8 cm.
ISBN 3-931248-01-1
Euphonia – eine Stadt der Musik, der Kunst, des (Musik-) Theaters. Zentrum ist
eine schwimmende Konzerthalle auf dem Pulvermaar. Alle Gebäude sind in ihrem
architektonischen Erscheinungsbild aus den Formen der Notenschrift entwickelt und
mit der gegebenen Landschaft organisch verschmolzen.
„Euphonia, die musikalische Stadt. Eine Sensation. Dieser geht jedoch alles Laute,
Schrille ab … Eigentlich ist Fliedners Griff in die Welt ungeheuerlich … er berücksichtigt und bezieht Landschaft ein und stellt neue, geistige Beziehungen her: als
müsse dort eigentlich (und nur dort) vollendeter Harmonieklang von Natur und
Kultur, von sinnhaft-sinnlicher Erfahrung, Architektur und Schaffenskraft bildlich
werden.“ (W. Rüdell, FT Bamberg)
E. KREOWSKI
TEXT
IN DER KARIKATUR
RICHARD WAGNER
ILLUSTRATION
EDUARD FUCHS
SYNÄSTHESIE VERLAG
geb. Ladenpreis 58,– DM
Eduard Fuchs, Ernst Kreowski: Richard Wagner in der Karikatur; Neudruck der Ausgabe von
1907, Vorwort zur Neuausgabe von Dr. Manfred Eger; 244 Seiten, 224 Abbildungen im Text,
sechs doppelseitige „Beilagen“, Fadenheftung, Festeinband, Schutzumschlag.
ISBN 3-931248-03-8
Aus dem Vorwort von Manfred Eger
Die Karikatur scheint maßgeblich an die Lebens- und Wirkenszeit einer Persönlichkeit gebunden. Das mag der Grund sein, daß der schöne Band „Richard Wagner in der
Karikatur“ bisher keine Neuauflage erlebte. Eduard Fuchs – der bedeutende Kulturhistoriker, der durch seine „Illustrierte Sittengeschichte“ bekannt bleibt – hat eine
reiche Zahl von Wagner-Karikaturen zusammengetragen, die mehr als repräsentativ
ist. Ernst Kreowski schrieb dazu einen Text, der den chronologischen Lebensdaten
Wagners folgt, dabei aber ständig auf die Karikaturen Bezug nimmt.
„Der Band ist sehr viel mehr als nur ein amüsantes Bilderbuch zum Durchblättern.
Der Text von Kreowski, der häufig auch Zitate aus Parodien einfließen läßt, ist eine
gründliche und ernsthafte, dabei unterhaltsam-amüsante Studie über einen bemerkenswerten Aspekt der Wagner-Rezeption. Er beleuchtet alle erdenklichen Facetten
des Themas und bezieht auch Darstellungen ein, auf denen Mitstreiter und Freunde,
Interpreten und Gegner, Wagnerianer oder Wagnerpublikum charakterisiert oder karikiert werden. Der Entschluß des Synästhesie Verlags, diesen Band neu aufzulegen, ist
eine jener hochwillkommenen Ideen, bei denen man sich fragt, warum nicht schon
längst jemand darauf gekommen ist.“
Hans-Jürgen C. Fliedner. Geboren am 5.2.1952 in Amberg/Oberpfalz. Aufgewachsen
in Düsseldorf. Nach anfänglichem Physikstudium, Studium der Kunstwissenschaft,
Architekturtheorie, Philosophie, Pädagogik und Kunst & Gestaltung an der
RWTH Aachen. War als Lehrer (Wuppertal) und ausgebildeter Buchhändler (Coburg)
tätig. Lebt seit 1983 in Coburg. Umfangreiche Vortragstätigkeit zu diversen
kunstwissenschaftlichen, architekturtheoretischen und philosophischen Themen.
Gründete 1994 den „Synästhesie Verlag“. Publizierte u.a. „Die Immanenz der Transzendenz in der perspektivischen Darstellung“, Wien 1996.
Herunterladen