Hans-Jürgen Fliedner Architektur und Erlebnis Das Festspielhaus Bayreuth Hans-Jürgen Fliedner Architektur und Erlebnis Das Festspielhaus Bayreuth (Die architektonische Schematisierung des Erlebnisses der Ideen) Mit 40 Skizzen und Abbildungen Synästhesie Verlag Hans-Jürgen Fliedner Hans-Jürgen Fliedner Synästhesie Verlag Shaker Media GmbH, Aachen Während einer Pause, 1892 Wegen der kleinen Auflage wurde die vorliegende Publikation in dem noch relativ neuen Digitaldruckverfahren erstellt. Zumal die Bildqualität erreicht bei diesem Verfahren nicht die Qualität eines konventionellen Drucks. Da die Abbildungen aber nur als Interpretationshilfe des im Text vorgetragenen Gedankengangs zu sehen sind, ist diese kleine Qualitätsminderung vertretbar. Impressum: Gestaltung der Buchdecke: Satz und Layout: S/W-Repros: Gesamtherstellung: Titelbild: © Bayreuther Festspiele © 1999 Synästhesie Verlag – Inh.: H.-J. C. Fliedner, Coburg Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und sonstiger Reproduktionsverfahren, vorbehalten. ISBN 3-931248-05-4 Inhaltsverzeichnis Einleitung .............................................................................. 7 I. Methode als Erlebnis – Erlebnis als Methode ........................... 11 Das Absolute als Realgrund des Wahren und Schönen 12 – das platonische Verhältnis von Wahrheit und Schönheit, Auflösungsmetapher I (Benjamin) 12 – die Methode der idealischen Auflösung, Auflösungsmetapher II (Hölderlin) 14 – die Auflösung der kanonischen Reflexionsform in das Absoluten (Benjamin) 20 – die „unverständliche“ Formwerdung des Absoluten (Schlegel) 24 – der deduzierte „neue Leser“ (Schlegel) und der universale Anspruch des Gesamtkunstwerkgedankens 25 – ‚Invention als Expansion‘ (Schelling), erste Schematisierung des Werkgestaltungsprozesses als Umkehrung des Erlebnisprozesses 26 – die Methode der romantischen Ironie (Kierkegaard) und das Fichtesche Ich als adäquate Erscheinungsform des Absoluten 27 – das absolute Ich als Apriori einer sakralen Kunst und Kunsttheorie (Novalis) 30 – die Konstruktion apriorischer Gedichte (Schlegel) 32 – zur dialektischen Struktur des Ideenerlebnisses: die emotionale Durchdringung formauflösender Reflexionsakte (Benjamin, Schlegel) 33 – die Konkretisierung der Idee im Extrem: das Festspielhaus Bayreuth 35 – die erlebnisspezifische Identität von theatralischer Kirche und sakralem Theater 36 II. Die neue Mythologie und die mythologische Architektur ........... 38 Idealistische (negative) und realistische (positive) Philosophie (Schelling) 38 – die neue Mythologie als Erscheinungsform des Idealismus (Schlegel, Schelling) 40 – die Umformung der neuen Mythologie in die Hülle der mythologischen Architektur (Schlegel, Schelling, Schinkel) 44 – Magie und Mitteilbarkeit der neuen Mythologie (Nietzsche) 48 – die ästhetische Kirche (Hölderlin) 48 – die Rettung der Religion durch die Kunst (Wagner) 51 – Nietzsches These von der dämonischen Mitteilbarkeit der Wagnerschen Mythologie 52 – der isolierte Künstler und sein Werk (Wagner) 52 – Metaphysik der Musik (Nietzsche, Schopenhauer) 53 – der Zusammenhang von: Denken – Musik/Architektur – Mythos – Religion 54 – der musikalische Mythos als Katalysator eines einheitsstiftenden Erlebens (Gadamer) 55 – die mythologische Architektur als Hülle des sakralen (Kunst-)Erlebens (Solger) 56 III. Die Deduktion des konkreten architektonischen Werks – das Festspielhaus Bayreuth .................................................. 57 Parallelität intellektueller und phantasiemäßiger Anschauung (Schelling) 57 – der Traumzustand und die mythische Ausdeutung der intellektuellen Anschauung in/ Zeit und Raum (Kierkegaard, Nietzsche, Wagner) 59 – die expandierende 6 Entwicklungsreihe der Kunst 60 – die Musik: Darstellung der reinen Denkakte in der Zeit (Solger) 60 – die Architektur: Darstellung der reinen Denkakte im Raum (Solger) 64 – Problem: die gestalterisch-schöpferische Vermittlung der ZeitKunst Musik und der Raum-Kunst Architektur (Fichte) 66 – Problemlösung: die musikalisch deduzierte Gebärde (Wagner) als anthropomorphe Architekturminiatur 68 – Richard Wagners Deutung der Festspielhausarchitektur 75 – die Architektonisierung des Erlebnisschemas in Theater- und Kirchenarchitektur (Solger) 81 IV. Die theatralische Kirche und das sakrale Theater – zur architekturgeschichtlichen Genese des Bayreuther Festspielhauses ................................................................. 84 Die Verwirklichung der Idee im Extrem: das Festspielhaus Bayreuth 84 – Zwischenspiel: ‚revolutionär‘-romantisches Philosophieren und ‚konservativ‘-klassizistische Formensprache in der Architektur 85 – Frederik Hansens Frauenkirche als zentalperspektivisch strukturierte Erlebnisarchitektur (Zeitler) 88 – Parallele: anthropomorpher und architektonischer Chor (Nietzsche) 90 – die „Wölbung“ als Grenze des Raumerlebens (Moritz) 92 – die theatralische Funktion des Triumphbogens 94 – der Triumphbogen als Proszeniumsbogen: Friedrich Gillys Berliner Schauspielhausentwurf 96 – Gillys Entwurf zu einem Denkmal Friedrich des Großen und die Proszeniumsreform Schinkels 101 – die theatralisch relevante Säulenstellung 103 – die Entwürfe zu einem provisorischen Festtheater (Semper) 107 – Sempers doppeltes Proszenium 110 – das doppelte Proszenium in einer theatralischen Kirchenarchitektur: Carlo Rainaldis S. Maria in Campitelli 111 – die Synthese: Otto Brückwalds Bayreuther Festspielhaus 113 – Wagners „Parsifal“ und das Festspielhaus Bayreuth: die Identität von sakralem Theater und theatralischer Kirche 114 V.1 Das Proszenium als spekulativer Indifferenzpunkt der Theaterarchitektur ..................................................................... 115 V.2 Der christliche Longitudinalbau als „geradlinige“ Präformation des Bayreuther Festspielhauses ................................................ 117 Anmerkungen zu Kapitel I ....................................................... 119 Anmerkungen zu Kapitel II ...................................................... 123 Anmerkungen zu Kapitel III ..................................................... 126 Anmerkungen zu Kapitel IV ..................................................... 130 Die zitierte Literatur ............................................................... 132 Bildquellennachweis ............................................................... 133 Einleitung Die vorliegende Abhandlung basiert auf dem Text der Examensarbeit, die der Verfasser im Jahr 1979 an der RWTH Aachen vorlegte. Auch noch nach zwanzig Jahren bewahrt diese Untersuchung ihre Gültigkeit. Sie liegt nunmehr in dieser kleinen Publikation vor und wurde zu diesem Zweck einer behutsamen Überarbeitung unterzogen. Es wird sinnvoll sein, dem Leser eine kurze Zusammenfassung des diese Arbeit bestimmenden Gedankengangs zu geben: Die Auseinandersetzung mit Wagners Werk macht deutlich, daß dieses dem geistigen Erbe des Idealismus und der romantischen Geisteswelt entschieden verpflichtet ist. Richard Wagner begreift sein Schaffen als Ausdruck einer ihn impulsierenden Idee und Ideenwelt. Der erste Abschnitt der Abhandlung beschäftigt sich folglich mit der Vermittlung dieser Ideensphäre. Mittels geeigneter Quellen – Hölderlins poetische Theorien sind hier besonders gewichtig – läßt sich ein methodisches Schema aufzeigen, das der Überschreitung der endlichen Wirklichkeitserfahrung auf die Unendlichkeit der Idee eignet. Dieses Schema hat eine ‚zentralperspektivische‘ Struktur, die letztlich auf die Konzeption des Bayreuther Festspielhauses übertragbar ist. Der zweite Teil des Textes widmet sich der Forderung der Romantiker nach einer neuen Mythologie, die den idealistischen Ansprüchen genügt und in der die Gesamtkunstwerkidee beschlossen ist. Es zeigt sich, daß die neue Mythologie wesentlich auf der Musik basiert und eine architektonische Hülle mitmeint, die den Mythos vollendend beschließt. Im dritten Abschnitt wird das Bayreuther Festspielhaus gleichsam aus dem Absoluten deduziert. Neben den Gedankengängen Schellings, Schopenhauers, Solgers, Fichtes und Nietzsches nehmen die Erwägungen Wagners eine zentrale Stelle ein, da er die 7 8 körperliche Gebärde (als anthropomorphe Architekturminiatur) aus der Musik ableitet. In einer Schritt für Schritt vorgehenden Ableitung wird letztlich die gesamte Gestaltung des Festspielhaus-Innenraums erklärbar. Der abschließende Teil der Abhandlung betrachtet die architekturgeschichtlichen Aspekte des Festspielhauses, ohne jedoch die einleitenden theoretischen Erwägungen aus dem Auge zu verlieren. Dieser Text kann durchaus isoliert gelesen werden, falls sich der Leser nicht mit den spekulativen Überlegungen und Ableitungen der ersten drei Abschnitte auseinandersetzen will. Vielleicht noch eine Bemerkung zu den Eigentümlichkeiten der Formulierung dieses Textes: Immer wieder kann man feststellen, daß an einer ‚geballten‘ Häufung der Partizipialkonstruktion Anstoß genommen wird. Aber gerade diese vermag das Wesentliche einer deduktiv-spekulativen Methode zu vermitteln. Ein Beispiel: „Die Musik steigt aus dem mystischen Abgrund hervor. Sie gebiert eine ihr adäquate Architektur“ meint etwas völlig anderes als die Wendung: „Die aus dem mystischen Abrund aufsteigende Musik gebiert eine ihr adäquate Architektur“. Die erste Formulierung reiht separate Elemente – also hier: Musik und Architektur – additiv aneinander, während letztere einen organischen Zusammenhang weist, der die Architektur schon immer als ‚in nuce‘, als in der Musik gegeben mitmeint. Wichtig ist noch zu erwähnen, daß im Text zwischen Fußnoten und Anmerkungen unterschieden ist. Die Fußnoten geben Bemerkungen und Zitate, die den Gedankengang des Haupttextes ganz wesentlich lancieren und daher unbedingt ‚mit‘gelesen werden sollten. Die an das Buchende gestellten Anmerkungen enthalten neben den üblichen bibliographischen Angaben weitere Kommentare und Zitate, auf deren Lektüre gegebenenfalls verzichtet werden kann. Kursive Hervorhebungen im Text und innerhalb der Zitate stammen ausschließlich vom Verfasser. Hans-Jürgen Fliedner Der Verfasser ist sich darüber im Klaren, daß das Bändchen wohl nur einen kleineren Leserkreis ansprechen wird. Daher erscheint das Buch in einer Kleinstauflage, die nur per Digitaldruck ökonomisch realisierbar und damit auch gegenüber dem Buchkunden preislich vertretbar ist. Über die leichten qualitativen Mängel des noch jungen Druckverfahrens möge man daher generös hinwegsehen. Coburg, im März 1999 Hans-Jürgen Fliedner Die Kapitel V.1 (Das Proszenium als spekulativer Indifferenzpunkt der Theaterarchitektur) und V.2 (Der christliche Longitudinalbau als „geradlinige“ Präformation des Bayreuther Festspielhauses) sind Ergänzungen für diese „Online-Ausgabe“ Coburg, im Februar 2012 9 10 I. Methode als Erlebnis – Erlebnis als Methode Das Ziel dieser kleinen Abhandlung, die sich maßgeblich auf Quellenmaterial des 19. Jahrhunderts stützen wird, ist es, Erlebnisse, die im Folgenden näher als Erlebnisse der Ewigkeit (der Ideen) bestimmt werden sollen, mit einer diesen Erlebnissen adäquaten, diesen Raum und Rahmen gebenden Architektur zu korrelieren; einer Architektur also, die – das meint ihre Adäquatheit – eine in einer Theorienbildung dieser Ideenerlebnisse reflektierte bzw. präformierte ist. Die Artung der dieser Zielsetzung beschlossenen Eingangsthesen verlangt eine methodische Besinnung, die zunächst im Bereich abstrakter Allgemeinheit verbleiben darf, da sie die Deutung und Ableitung der vorab genannten Erlebnisse zum Gegenstand hat. Eine erste, grobe Analyse der historischen Tatsachen, in denen der Geist des 19. Jahrhunderts sich dachte und verwirklichte – ein Geist, der hier schon immer ein in seiner phänomenalen Universalität gebrochener ist – liefert die Grundstruktur der hier in Frage stehenden Erlebnisse als eine den Philosophemen der romantischen Transzendentalphilosophie immanente; ja – diese können ohne jene gar nicht gedacht, gar nicht gewußt werden. Es ist die Macht meditativer Versenkung, die in der philosophischen Einstellung, in einem inneren Erleben, in der transzendentalen Anschauung ein absolutes, ursprüngliches Wissen ‚zeitigt‘, in deren formaler Universalität alles Wissen vom Sein in potentia beschlossen liegt. So gesehen – „Es kann nicht von einem Seyn … sondern es muß von einem Sehen ausgegangen werden.“1 – befinden wir uns im Zentrum frühromantischen Wissens, und dort meint das Personalpronomen „wir“ nicht länger eine verbindliche Wahrheit heischende wissenschaftliche Konvention, vielmehr ist in der ekstatischen Vernichtung individuellen Dafürhaltens und Meinens die Differenz von Ich und Du, von Subjekt und Objekt aufgehoben: das 11 12 Absolute, als eine erste, vom Bewußtsein transzendental innegehabte Tatsache, ist der Real-Grund alles Wahren, ist intersubjektive Wahrheit, deren Gestaltwerdung zu deuten, deren alle Form transzendierendes Geheimnis zu lüften als „ein Anliegen jedes kunstphilosophischen Versuchs“2 bezeichnet werden muß. Es ist das die Stufenfolgen liebenden Begehrens beschreibende Symposion, das „die platonische Auffassung vom Verhältnis der Wahrheit zur Schönheit“3 begreifen macht: „Eros – so muß verstanden werden – wird seinem ursprünglichen Bestreben nicht untreu, wenn er sein Sehnen auf die Wahrheit richtet, denn auch die Wahrheit ist schön … In der Wahrheit ist das Refugium der Schönheit überhaupt. Solange nämlich bleibt das Schöne scheinhaft, antastbar, als es sich frank und frei als solches einbekennt. Sein Scheinen, das verführt, solange es nichts will als scheinen, zieht die Verfolgung des Verstandes nach und läßt seine Unschuld einzig da erkennen, wo es an den Altar der Wahrheit flüchtet. Dieser Flucht folgt Eros, nicht Verfolger, sondern als Liebender; dergestalt, daß die Schönheit … immer beide flieht: den Verstand aus Furcht und aus Angst den Liebenden. Und nur dieser kann es bezeugen, daß Wahrheit nicht Enthüllung ist, die das Geheimnis vernichtet, sondern Offenbarung, die ihm gerecht wird. Ob Wahrheit dem Schönen gerecht zu werden vermag? Diese Frage ist die innerste im ‚Symposion‘. Platon beantwortet sie, indem er der Wahrheit es zuweist, dem Schönen das Sein zu verbürgen. In diesem Sinne also entwickelt er die Wahrheit als den Gehalt des Schönen. Nicht aber tritt er zutage in der Enthüllung, vielmehr erweist er sich in einem Vorgang, den man Gleichnisweise bezeichnen dürfte als das Aufflammen der in den Kreis der Ideen eintretenden Hülle, als ein Verbrennen des Werkes, in welcher seine Form zum Höhepunkt ihrer Leuchtkraft kommt.“4 Dieses: die Läuterung des schönen Scheins in der Lohe der Wahrheit, beschwört eine dem Kontext dieser Abhandlung eignende Metapher – es ist der feurige Opfertod Brünhildes, durch den sie sich „in mächtigster Minne“ mit dem „seligen Helden“ – Siegfried – auf ewig vereint; eine Vereinigung, die das ‚Erlösungsmotiv‘ der Schlußmusik der Götterdämmerung nachhaltig und nachhallend unterstreicht. Dem Schlußbild, dem Abgesang, der Auflösung Brünhildes läßt sich eine Abhandlung Hölderlins unterlegen, die den Titel „Das Werden im Vergehen“ trägt und die allererst als eine Würdigung historischer Besinnung gedeutet sein will, da der in ihrem Werden, in ihrem Vergehen idealisch innegehabten Wirklichkeit – diesen Vorgang bezeichnet Hölderlin mit dem terminus technicus der „idealischen Auflösung“ – eine Totalität eignet, der die Wahrheit immanent ist. Aber diese Wahrheit findet sich auch immer da – und das ist für unsere Betrachtung von Wichtigkeit – wo die Totalität eine Beschränkte, eine hermetische ist: so im Kunstwerk, so im Mythos. Es ist eben die als begrenzt, abgeschlossen, vollendet gefundene ‚historische‘ Wirklichkeit des einigen und einzigen Werkes, die der Überschau, der „idealischen Auflösung“, der Kontemplation ihre spezifische, Brünhildes finaler Haltung gleichermaßen eigene Charakteristik verbürgt: die „idealische Auflösung ist furchtlos“5; furchtlos, weil die in der Hülle des Mythos mit absoluter Notwendigkeit agierenden Personen und Personifikationen durch diese Hülle vor den dem Mythos transzendenten, in diesen niemals eindringen könnenden Furchtphänomenen geschützt sind.*) *) Die dem Mythos spezifische, auf eine mythologische Architektur übertragbare Hermetik (vgl. den 2. Teil dieser Abhandlung, S. 38ff) findet sich u.a. in Schellings „Philosophie der Kunst“ akzentuiert: „Einzig, indem die Götter unter sich eine Welt bilden, erlangen sie eine unabhängige Existenz für die Phantasie oder eine unabhängige poetische Existenz … dadurch werden sie Wesen einer eigenen Welt, die ganz für sich besteht und von der insgemein sogenannten wirklichen ganz getrennt ist“6. 13 14 So versteht sich auch das den Kunstfreund etwa ergreifende Entsetzen, wenn er ein Museum, ein Theater, allgemein: den architektonischen Rahmen seiner ästhetischen Kontemplation verlassend, erneut in die ‚gemeine‘ Wirklichkeit eintritt, weil diese ihn in seiner noch aus dem aktuellen Erleben resultierenden Selbstverlorenheit befremdet, zumal jetzt andere Ordnungsprinzipien vorzuwalten scheinen, die dem Unvorhersehbaren, damit Latent-Bedrohlichen breiten Rahmen geben. Eine solch’ einseitige Darstellung eines Erlebnisverlaufes provoziert die vor einem Glotzt-nicht-so-romantisch Warnenden und gibt dem vulgären Argument der Realitätsflucht reichlich Nahrung. Doch der Perspektivismus dieser Darstellung rechtfertigt sich im Sinne einer hier rigoros vorzunehmenden Abgrenzung, der nämlich, daß es so zu nennende ästhetische Erlebnisse7 – innere Erlebnisse in einem geschlossenen Innenraum – von sogenannten Alltagserlebnissen – äußere Erlebnisse in einem allseitig offenen Raum – streng zu unterscheiden gilt, wobei sich die membranlose Massivität der Grenze – eine Osmose der Alltagswelt in den ästhetischen Erlebnisraum (und umgekehrt) hat nicht statt – sinnfällig in der Architektur artikuliert. Diese vorab umrissene Hermetik von (Geschichte,) Mythos, Kunst, Erlebnisraum als Korrelat eines Erlebens, das sich innerhalb abgegrenzter ‚Gegenstandsbereiche‘ entfaltet, leitet hin zu Hölderlin, der in seiner Definition der „idealischen Auflösung“ die synthetisierende Dynamik eines inneren Erlebnisprozesses liefert [wir ergänzen und verdeutlichen seinen Gedankengang durch einige parenthetische Einschübe]: Hölderlin begreift die „idealischen Auflösung“ als einen gedanklichen „Rückblick auf den Weg, der zurückgelegt werden mußte, vom Anfang der Auflösung [den wir als den Beginn eines (musikalischen Gesamt-)Kunstwerks deuten können] bis dahin, wo aus dem neuen Leben [das ist die durch das Werk affizierte Stimmungslage Bild 1 Die gedanklich in den ‚Raum‘ projizierten ‚Motive‘; in Hölderlins Terminologie: „episch-real“. Bild 2 Die synthetisierende Bewegung des innerlichen Auflösungsprozesses; „lyrisch-idealisch“. des Rezipienten am Ende des Werkes] eine Erinnerung des Aufgelösten [das sind die gedanklich in den ‚Raum‘ projizierten Bausteine des Kunstwerkes; seine ‚Leitmotive‘ etwa, Bild 1] und daraus, als Ergänzung und Vereinigung der Lücken und des Kontrastes der zwischen dem Neuen [also hier: der neuen Befindlichkeit des Rezipienten] und dem Vergangenen [das ist die Situation des Zuhörers bzw. Zuschauers etwa zu Beginn des Werkes] die Erinnerung der Auflösung [also die ‚innere‘ Reproduktion der erinnerten Motive in ihrem zeitlich-organischen Zusammenhang] erfolgen kann. Diese idealische Auflösung“, so fährt Hölderlin fort, „ist furchtlos. Anfangs- und Endpunkt [des Werkes] ist schon gesetzt, gefunden, gesichert, deswegen ist diese Auflösung auch sicherer, unaufhaltsamer, kühner, und sie stellt sich hiermit, als das was sie eigentlich ist, als einen reproduktiven Akt dar, wodurch das Leben [das hier den ‚Lebensabschnitt‘ der lebendigen Begegnung mit dem Werk bedeutet] alle seine Punkte [Motive, s.o.] durchläuft, auf keinem verweilt, auf jedem sich auflöst, um in dem nächsten sich herzustellen [Bild 2]; nur das in dem Grade die Auflösung idealer wird, in 15 ○ ○ Bild 4 „Objekt im vollendetsten Zustand“; Evidenz des Ideenerlebnisses = „Totalgefühl“. TOTAL-GEFÜHL welchem sie sich von ihrem Anfangspunkte [s.o.] entfernt [Bild 3], hingegen in eben dem Grade die Herstellung [hier ist also die ganzheitliche Reproduktion des Werkes gemeint] realer, bis endlich aus der Summe dieser in einem Moment unendlich durchlaufenen Empfindungen des Vergehens und Entstehens ein ganzes Lebensgefühl, und hieraus das … Aufgelöste in der Erinnerung (durch die Notwendigkeit eines Objektes im vollendetsten Zustand [das ist die Idee des Werkes, Bild 4]) hervorgeht … „Aber diese idealische Auflösung unterscheidet sich auch dadurch von der wirklichen [bloß zerstörenden Auflösung], weil sie aus dem Unendlichgegenwärtigen zum Endlichvergangenen [also von der abgeschlossenen Erfahrung des komplexen Werkes zu dessen einzelnen ‚Motiven‘] geht, daß 1) auf jedem Punkte derselben Auflösung und Herstellung, 2) ein Punkt in seiner Auflösung und Herstellung mit jedem anderen, 3) jeder Punkt in seiner Auflösung und Herstellung mit dem [punktuell-unendlichen] Totalgefühl der Auflösung und Herstellung unendlich verflochten ist [Bild 4], und alles sich in Schmerz und Freude, in Streit und Frieden, in Bewegung und Ruhe, Bild 3 Die synthetisierende Bewegung des innerlichen Auflösungsprozesses; vgl. Bild 2 ○ ○ 16 hermetisch-„furchtlos“ und Gestalt und Ungestalt unendlich durchdringet, berühret, und angehet und so ein himmlisches Feuer statt irdischem wirkt.“8 Diese von Hölderlin im Begriff der idealischen Auflösung intendierte, letztgültige Synthese, in der sich die Antinomien der reproduzierten Wirklichkeit erschöpfen, hat hier, im Bild des himmlischen Feuers (Hölderlin), wie dort: in dem des Verbrennens des schönen Scheins in der Flamme der Wahrheit (Benjamin), einen bildlichen Ausdruck gefunden. Diese Metaphern, mit ihrer sakralen Dimension – ohne welche die Wahrheit nicht gedacht werden kann –, verweisen einerseits auf die der Romantik wichtig werdenden Bilder buddhistischer Geisteswelt, auf die sich etwa Arthur Schopenhauer und Richard Wagner gleichermaßen berufen, andererseits auf eine aus bloßer Beliebigkeit hervorzuhebende literarische Quelle bedeutenden Ranges: Lord Byrons – Goethe gewidmetes9 – Trauerspiel „Sardanapal“, dessen Schlußbild: die Vereinigung Sardanapals mit seiner Lieblingssklavin Myrrha in den Flammen des Scheiterhaufens: „S. Leb’ wohl! Zum letztenmal noch ein Umarmen „M. Ja, doch das letzte nicht; es gibt noch eines „S. Wahr; unser Staub wird sich im Feuer mischen „M. Er soll sich rein, wie meine Liebe war Und frei von irdischen Schlacken, irdischen Trieben Mit deinem mischen …“10 Richard Wagner bei der Gestaltung des Götterdämmerungsfinales inspiriert haben könnte.11 Allen vorab zitierten Bildern ist eine die Erscheinung an der Wahrheit nichtende Relation charakteristisch. Diese Beziehung läßt die Darstellung einer aller Darstellung entspringenden Wahrheit und der ihr immanenten Ordnung der Ideen als ein methodisches Problem evident werden. Einzig eine Entkonturierung der empirischen Welt, die sich im Medium wirklichkeitsabstrahierender 17 18 Reflexions-Akte vollzieht, macht es, daß die Erscheinungswelt in die der Ideen eingeht und in dieser sich auflöst. Der von Hölderlin definierte Prozeß der „idealischen Auflösung“ ist es demnach, den es in seiner methodischen Relevanz zu betonen gilt: Der idealischen Auflösung – die als ein Reflexions-, als ein Denkprozeß von der wirklichen, d.h. bloß zerstörenden Auflösung zu unterscheidenden ist – ist eine Unendlichkeit immanent, die nicht als eine leere Unendlichkeit eines unabschließbaren Fortganges, vielmehr als ‚total‘-erfüllte, weil wahre Unendlichkeit eines reflexiven Zusammenhangs gedeutet werden muß. Dieser Modus der Existenz des Unendlichen im Endlichen kann einerseits ein Sich-selbst-Denken, ein autonomes Handeln des ‚Gegenstandes‘*) (also den ‚objektiven‘ Aspekt des „TOTAL-Gefühls“) bedeuten, andererseits muß er als ein dem Aufzulösenden zwecks zusammenfassender Auflösung unabdingbares, die Abstraktion von aller Gegenstandsreflexion vollziehendes Subjekt („Total-GEFÜHL“) verstanden werden. Diese gedoppelte Bindung der synthetisierenden Reflexion – eine innere Handlung eines sich selbst denkendes Objekt bzw. eines individuell-unendliches Subjekt – erlaubt eine im Begriff der Handlung entschärfte Unterscheidung symbolischer und kontemplativer Handlungen: erstere konstituieren die kultischen Rituale, in denen ein spezifisch theatralischer Gestus wirksam wird und die sich, *) Dieser „Gegenstand“ – Hölderlins „vollendetstes Objekt“ – kann als Mythos, als (Gesamt-) Kunstwerk komplexer Natur sein; die diesem ‚Gegenstand‘ charakteristische (Bild-) Magie (vgl. den zweiten Teil dieser Abhandlung, bes. S. 48ff) wäre das Zeichen einer der Idee spezifischen absoluten Handlungsautonomie; in diesem Sinne formuliert K.W.F. Solger. „Das künstlerische Handeln selbst ist nichts anderes als die Tätigkeit der Idee, wodurch diese sich selbst bewirkt, das Leben der Idee selbst“12 und bei K.Fr. Schinkel heißt es mit Bezug auf die Baukunst: „… in der Baukunst muß wie in jeder Kunst Leben sichtbar gemacht werden, man muß die Handlung des Gestaltens der Idee sehen.“13 einen Verweis auf das Unendliche im Endlichen bedeutend, der romantischen Definition der Idee, so sie sich im Christlich-Symbolischen zeigt, verbinden lassen*), letztere charakterisieren eine rezeptive, eine Andachts-Haltung, die, da das Subjekt den Zusammenhang von Erscheinung und Wahrheit, von Form und Gehalt, von Endlichem und Unendlichem erstellt, eine mystische genannt werden kann.**) Somit wäre in der an das (absolute) Subjekt geknüpften, soeben als Andachtshaltung näher spezifizierten idealischen Auflösung, die – das wäre ihre Formel – als ein auf einen unendlich erfüllten Zusammenhang zielendes, Gegenstandsreflexionen transzendierendes Denken gedeutet werden mußte, ein methodisches, ein erkenntnistheoretisches Schema aufgezeigt, das neben dieser Unendlichkeit des Zusammenhangs eine Unmittelbarkeit der Erkenntnis, die in der Erfahrung des Gegenstandes ihren „Sinn“16 in dem Erlebnis der Idee ihre ekstatische, im Leuchten der Wahrheit erfüllte Beruhigung findet, verbürgt. Die durch die oben zitierten Auflösungsmetaphern *) Zum Zusammenhang von christlichem Kultus und Theatralik schreibt Schelling: „… die Kirche, der „sichtbare[n] Leib Gottes … constituirt … sich selbst durch Handlung. Das öffentliche Leben der Kirche konnte also allein symbolisch, ihr Cultus ein lebendiges Kunstwerk, gleichsam ein geistliches Drama seyn …“14 **) Zum vorausgegangenen Abschnitt folgende Stelle aus Schellings „Philosophie der Kunst“: „Es ist … Prinzip des Christentums … daß es keine vollendeten Symbole, sondern nur symbolische Handlungen hat. Der ganze Geist des Christentums ist der des Handelns. Das Unendliche ist nicht mehr im Endlichen, das Endliche kann nur ins Unendliche übergehen; nur in diesem können beide eins werden. Die Einheit des Endlichen und Unendlichen ist also im Christentum Handlung. Die erste symbolische Handlung Christi ist die Taufe … die andere sein Tod … Inwiefern die Handlung, wodurch das Endliche hier zugleich das Unendliche wird, als Andacht in das empfangende Subjekt fällt, insofern ist sie nicht symbolisch, sondern mystisch; inwiefern sie aber eine äußere Handlung ist, ist sie symbolisch.“15 19 20 illustrierten Begriffe eines punktuell-unendlichen, eines „ganzen Lebensgefühls“, das aus der Summe endlich durchlaufener Empfindungen des Vergehens und Entstehens in einem Moment (Hölderlin, s.o.) hervorgeht, sind es demnach, die das ‚blitzartige‘ Aufgehen eines ganzen Erkenntniszusammenhanges (der bei formaler Differenzierung in Reflexionsstufen verschiedenen Deutlichkeitsgrades*) zerfällt) in einer höheren, in einer absoluten Erkenntnis anzeigen. Walter Benjamin hat, bei Berufung auf die frühromantischen Schriften Friedrich Schlegels und Friedrich von Hardenbergs, ein an Hölderlins „Werden im Vergehen“ gemahnendes „Schema der romantischen Erkenntnistheorie“17 geliefert, in dem die in den „Reflexionsstufen“ gegebene Unmittelbarkeit der Erkenntnis, als auch „die Auflösung der … Reflexionsform gegen das Absolute“18 entwickelt ist. Er muß daher hier ausführlich zitiert werden, da sein Gedankengang der klärenden Vertiefung der vorab charakterisierten Auflösungsmethode Hölderlinscher Prägung eignet (vgl. Bild 5): „Das bloße Denken, mit seinem Korrelat eines Gedachten ist für die Reflexion Stoff. Es ist zwar dem Gedachten gegenüber Form, es ist ein Denken von etwas, und darum soll es aus terminologischen Gründen erlaubt sein, es die erste Reflexionsstufe zu nennen; bei *) Deutlichkeitsstufen: a) bei Benjamin (s.u., vgl. „Kunstkritik“ S.27): Reflexionspole und Deutlichkeitsstufen bis hin zur höchsten Klarheit im Absoluten (End-/Zielpunkt) Realtotal Unendlichneu Unendlichgegenwärtig (Besonderes/Wirkliches) (Anfangs-/Ausgangspunkt) Idealpartikular Endlichalt Endlichvergangen b) bei Hölderlin (s.o., vgl. „Werke“ S.644) angedeutet in den polaren Begriffspaaren: (Absolutes/Idee) Schlegel heißt sie der „Sinn“. Die eigentliche Reflexion in ihrer vollen Bedeutung entsteht jedoch erst auf der zweiten Stufe, in dem Denken jenes ersten Denkens … Im zweiten Denken oder, mit Friedrich Schlegels Wort, der „Vernunft“ kehrt in der Tat das erste Denken verwandt auf höherer Stufe wieder: es ist zur „Form der Form als ihres Gehaltes“ geworden, die zweite ist aus der ersten Stufe, somit unmittelbar durch eine echte Reflexion hervorgegangen*). Es ist mit anderen Worten das Denken der zweiten Stufe aus dem ersten von selbst als dessen Selbsterkenntnis entsprungen20. „Sinn, der sich selbst sieht, wird Geist“ heißt es [bei *) Diese im Denken des Denkens behauptete Unmittelbarkeit der Erkenntnis rechtfertigt die Deutung der Methode als Erlebnis. Benjamins Darstellung nimmt anverwandelnden Bezug auf die folgenden Ausführungen J.G. Fichtes, die das Verhältnis der „allgemeinen Wissenschaftslehre zur Logik“ diskutieren: „In der Wissenschaftslehre ist die Form vom Gehalt, oder der Gehalt von der Form nie getrennt … Soll in den Sätzen der Logik die blosse Form … nicht aber der Gehalt liegen, so sind sie nicht zugleich Sätze der Wissenschaftslehre, sondern sie sind von ihnen verschieden … „… Die Logik soll die blosse Form, vom Gehalt abgesondert, aufstellen; diese Absonderung kann, da sie keine ursprüngliche ist, nur durch Freiheit geschehen. Die freie Absonderung der blossen Form vom Gehalte wäre es sonach, durch welche eine Logik zu Stande käme. Man nennt eine solche Absonderung Abstraction; und demnach besteht das Wesen der Logik in der Abstraction von allem Gehalt der Wissenschaftslehre. „Auf diese Art wären die Sätze der Logik blosse Form, welches unmöglich ist, denn es liegt im Begriffe des Satzes überhaupt, dass er beides, Gehalt sowohl als Form habe. Mithin müsste das, was in der Wissenschaftslehre blosse Form ist, in der Logik Gehalt seyn, und dieser Gehalt bekäme wieder die allgemeine Form der Wissenschaftslehre, die aber hier bestimmt als Form eines logischen Satzes gedacht würde. Diese zweite Handlung der Freiheit, durch welche die Form zur Form der Form als ihres Gehaltes wird, und in sich selbst zurückkehrt, heisst Reflexion. Keine Abstraction ist ohne Reflexion; und keine Reflexion ohne Abstraction möglich.“19 21 22 Friedrich Schlegel] … Fraglos ist vom Standpunkt der zweiten Stufe das bloße Denken Stoff, das Denken des Denkens seine Form. Die erkenntnistheoretisch maßgebende Form des Denkens ist also das Denken des Denkens. Auf Grund der Unmittelbarkeit seines Ursprungs aus dem Denken ersten Grades wird dieses Denken mit dem Erkennen des Denkens identifiziert. Es bildet für die Frühromantiker die Grundform alles intuitiven Erkennens und erhält so seine Dignität als Methode; es befaßt als Erkennen des Denkens jede andere, niedere Erkenntnis unter sich, und so bildet es das System“21 denn „jenes „Form der Form als ihres Gehaltes“ werden findet nach der romantischen Anschauung unaufhörlich statt und konstituiert vorerst nicht den Gegenstand, sondern die Form, den unendlichen methodischen Charakter des wahren Denkens.“22 „Es wird demgemäß“, so setzt Benjamin seine Betrachtung fort, „das Denken des Denkens zum Denken des Denkens des Denkens (und so fort), und es ist damit die dritte Reflexionsstufe erreicht … Die dritte Reflexionsstufe bedeutet mit der zweiten verglichen, etwas prinzipiell Neues. Die zweite, das Denken des Denkens, ist die Urform, die kanonische Form der Reflexion … Auf der dritten und jeder folgenden höheren Reflexionsstufe geht jedoch in dieser Urform eine Zersetzung vor sich, die in einer eigentümlichen Doppeldeutigkeit sich bekundet … Das Denken des Denkens des Denkens kann auf zweifache Art aufgefaßt und vollzogen werden. Wenn man von dem Ausdruck „Denken des Denkens“ ausgeht, so ist dieser auf der dritten Stufe entweder das gedachte Objekt: Denken (des Denkens des Denkens), oder aber das denkende Subjekt (Denken des Denkens) des Denkens. Die strenge Urform der Reflexion des zweiten Grades ist durch die Doppeldeutigkeit im dritten erschüttert und angegriffen. Diese aber würde in einer immer vielfacheren Mehrdeutigkeit auf jeder folgenden Stufe sich entfalten. In diesem Sachverhalt beruht das Eigentümliche der von den Romantikern in Anspruch genommenen 1 2 3 4 5 Unendlichkeit der Reflexion: die Auflösung der eigentlichen Reflexionsform gegen das Absolute … das in der Reflexion geformte Denken wird zum formlosen Denken, welches sich auf das Absolutum richtet.“23 In der Auflösung der strengen Reflexionsform eine Aufhebung ihrer unmittelbaren Verweisungsdienlichkeit zu vermuten, hieße Benjamins Gedankengang – die Vermittlung der unmittelbaren Formlosigkeit des Absoluten vermittels unmittelbarer, sprich: kanonischer Reflexionsformen – mißverstehen. Friedrich Wilhelm Joseph Schelling etwa hat die Identität von (Reflexions-) Form und (absoluter) Formlosigkeit in der Anschauung des „Chaos“ als unmittelbar gegeben gesehen und damit den Zielpunkt des Auflösungsprozesses, den Benjamin vorab charakterisiert, markiert: „Jenes Chaos im Absoluten ist nicht bloße Negation der Form, sondern Formlosigkeit in der höchsten und absoluten Form, sowie umgekehrt höchste und absolute Form in der Formlosigkeit: absolute Form, weil in jeder Form alle und in alle jede gebildet ist, Bild 5 Während Hölderlin von einer komplexen Wahrnehmunsgegebenheit („Vaterland“) ausgeht und diese auf das Absolute hin auflöst, so geht Benjamin von einem Sinnesdatum (1) aus, das in der Methode des potenzierten Denkens eine Auflösung im Absoluten erfährt. [2 = „Sinn“ (Schlegel), 3 = „Vernunft“ = „kanonische Reflexionsform“ (Benjamin), 4 = Denken des Denkens des Denkens, 5 usw.] TOTAL-GEFÜHL 23 24 Formlosigkeit, weil eben in dieser Einheit aller Formen keine als besondere unterschieden wird.“24/*) Damit ist der unmittelbare Zusammenhang im Absoluten, den es als einen solchen im romantisch-methodisierenden Subjekt einerseits, als absolute (Un-)Ordnung der Ideen andererseits zu fassen gilt, gesichert und der Übergang von Extremen, die Vermittlung von Unmittelbarkeiten dadurch gewährleistet, „daß eben die höchste Form (wo die Form in der Formlosigkeit nicht mehr erkannt wird) zur Formlosigkeit, wie in anderen Fällen die Formlosigkeit selbst zur Form wird.“25 Der unverständlichen Tiefe dieses Gedankens einer Formung aus der Formlosigkeit der absoluten Form, der Auflösung der geformten Form in deren ursprüngliche Formlosigkeit hat Friedrich Schlegel in seinem letzten, die frühromantischen Bemühungen quasi beschließenden Athenaeumsbeitrag einen provokanten Ausdruck verliehen: „Wahrlich, es würde euch bange werden, wenn die ganze Welt, wie ihr es fordert, einmal durchaus verständlich würde. Und ist sie selbst, diese Welt, nicht durch den Verstand aus der Unverständlichkeit oder dem Chaos gebildet.“26 Diese Wendung, die gleichsam auf obiges Schelling-Zitat Bezug nimmt, erfährt eine auf die wissenschaftliche Methodik und die Kunst zielende Präzisierung; so wollte Friedrich Schlegel zeigen, „daß man die reinste und gediegenste Unverständlichkeit gerade aus der Wissenschaft und der Kunst erhält“27, denn es sind gerade die Äußerungen der Kunst und einer als Philosophie näher zu spezifizierenden Wissenschaft, die, als durch die Verstandesleistung der ausübenden Künstler-Philosophen geformte, der notwendigen Bin*) Zur Verdeutlichung eine variierende Formulierung: Jede Form ist, weil in der absoluten Form und an dieser partizipierend, selbst wieder absolut und damit unmittelbar mit jeder anderen zusammenhängend. dung an das Chaos, an das Absolute, an das Formlose der ewig geformten Ideen, an das Unverständliche, bedürfen, um als Werke der Kunst, um als Philosopheme eines inspirierten Philosophierens vor der romantischen (Kunst-)Kritik bestehen zu können. Mit diesem Hinweis auf eine (Kunst-)Kritik, die den Ursprung und das unverständliche Werden eines Werkes authentisch deutet, ist ein hermeneutisches Problem angesprochen, dem Friedrich Schlegel – dabei ironisch mit dem „Unverstand“ spielend – eine radikale Lösungsmöglichkeit gewiesen hat, die sich jenseits jeglichen Zugeständnisses an den Rezipienten – in Friedrich Schlegels Terminologie: den Leser – bewegt: „Der gesunde Menschenverstand dürfte leicht auf die Vermuthung gerathen können, der Grund des Unverständlichen liege im Unverstand. Nun ist es ganz eigen an mir, daß ich den Unverstand durchaus nicht leiden kann, auch den Unverstand der Unverständigen, noch weniger aber den Unverstand der Verständigen. Daher hatte ich … den Entschluß gefaßt, mich mit dem Leser in ein Gespräch über diese Materie zu versetzen, und vor seinen eigenen Augen, gleichsam ihm ins Gesicht, einen anderen neuen Leser nach meinem Sinn zu construiren, ja, wenn ich es nöthig finden sollte, denselben sogar zu deduciren. Ich meyne es ernstlich genug und nicht ohne den alten Hang zum Mystizismus.“28 Friedrich Schlegels mystisches Ansinnen, einen dem unverständlichen, dem chaotischen, dem absoluten Ursprungsort des Werkes adäquaten, weil aus nämlichem Quellpunkt hervorgehenden „neuen Leser … zu deduciren“ bezeugt die Intention einer allumgreifenden Kunstauffassung, die das ‚romantische‘ Gesamtkunstwerk anstrebt: Kunstwerk, „neuer Leser“, der unabdingbare architektonische Rahmen, der diese beiden ‚polaren Komponenten‘ integrativ umschließt, nehmen ihren Ursprung im Quellpunkt des Absoluten und in den diesem immanenten, zunächst noch unentfalteten Ideen, die im kreativen Akt zur Darstellung gelangen. 25 26 Die hier sich abzeichnende expansive Dimension, die innere Richtungsbestimmtheit*) des kreativen Prozesses, ist von Friedrich Wilhelm Joseph Schelling in seiner „Construktion des Besonderen oder der Form der Kunst“ angedeutet worden: „Die reale Seite des Genies … welche Einbildung des Unendlichen ins Endliche ist“, formuliert Schelling im §64 seiner Philosophie der Kunst „kann im engeren Sinne die … Poesie heißen. „Erläuterung: Unter Poesie im engeren Sinne wird, wenn wir uns auch bloß an die Sprachbedeutung halten, das unmittelbare Hervorbringen oder Schaffen eines Realen verstanden, die Invention an und für sich selbst. Alles unmittelbare Hervorbringen oder Schaffen ist aber immer und nothwendig Darstellung eines Unendlichen oder Realen … In der Invention expandirt oder ergießt sich das Genie in das Besondere … So gibt das Absolute [durch das Genie des individuellen Künstlers, wie zu ergänzen ist] den Ideen der Dinge, die in ihm sind, ein unabhängiges Leben, indem es sie in die Endlichkeit auf ewige Weise einbildet …“29/**) *) Diese meint eine sukzessive Ausformung der Teilformen des Gesamtkunstwerkes in Zeit und Raum; der hieratische Zusammenhang dieses Ausformungsprozesses, in dem sich die Idee, die man sich als Indifferenzpunkt vorzustellen hat, verbreitert, konkretisiert und materialisiert, läßt sich wie folgt charakterisieren: Absolutes – Idee – Künstler (kreativer Akt) und Kunstwerk: Musik – Sprache (in Dichtung und Gesang) – Malerei (Bühnenbild) – (theatralische) Plastik (Darsteller) – „deducirter Leser“ (Rezipient) – der diese Teilformen umschließende architektonische Rahmen – (vgl. den 3. Teil dieser Abhandlung) **) Wenige Zeilen später definiert Schelling diese expansive „Einbildung des Unendlichen ins Endliche“ als „Erhabenheit,“30, die sich im Kunstwerk als solche artikuliert. Damit ist in Schellings deduktiver Genealogie des Kunstwerkes – das als Gesamtkunstwerk zu deuten die Weite des Schellingschen Poesie- und des mit diesem verquickten Geniebegriffes nahelegt – eine Metaphysik des kreativen Aktes gegeben, die Arthur Schopenhauers idealistische Theorie des Traumes, des Hellsehens und des Somnambulismus Schellings Definition der poetischen Invention propagiert das Apriori eines absoluten Wissens, das als ‚einfaches‘ Wissen – Hölderlins „Totalgefühl“ – auf einen schlechthin neuen Ursprung und absoluten Anfang geht. Das ist unstreitig ein ‚revolutionäres‘ Ansinnen, das von den Romantikern als geistige Folge der französischen Revolution gedeutet worden ist. So jedenfalls hat es Friedrich Schlegel in seinem berühmten Athenaeumsfragment getan: „Die Französische Revolution, Fichte’s Wissenschaftslehre, und Goethe’s Meister sind die größten Tendenzen des Zeitalters. Wer an dieser Zusammenstellung Anstoß nimmt, wem keine Revoluzion wichtig scheinen kann, die nicht laut und materiell ist, der hat sich noch nicht auf den hohen weiten Standpunkt der Geschichte der Menschheit erhoben.“32 Mit der Nennung Fichtes ist auf die ‚revolutionäre‘ philosophische Quelle, die das Absolute, das Fichtesche ICH, die absolute Subjektivität zum spekulativen Ausgangspunkt erhebt, verwiesen. Um diesen spekulativen Ausgangspunkt zu gewinnen, ist die Methode der romantische Ironie*) – zumal von ästhe- antizipiert31. Letztere hat Richard Wagner seiner, sein eigenes musikdramatisches Werk legitimierenden Beethoven-Abhandlung fruchtbar gemacht und damit das theoretische Fundament für seine Festspielhauspläne und die diese erläuternden Schriften gelegt. Wir werden auf diese an gegebener Stelle zu sprechen kommen. An dieser Stelle sei zusammenfassend wie vorwegnehmend bemerkt, daß allen zitierten und im folgenden zu zitierenden, die Wirklichkeit eines Kunstwerkes in Allgemeinheit, die der Architektur in Besonderheit deduzierenden Verfahren eine Richtungsbestimmtheit, ein zentralperspektivisches Schema immanent ist, das sich in der Schellingschen Definition der ‚Invention als einer Expansion‘ abzuzeichnen beginnt und das in der Beispielanalyse wird verifiziert werden können. *) Kierkegaard in einer Anmerkung: „Ich benütze in dieser Darstellung die Ausdrücke ‚die Ironie und die Ironiker‘; ebensogut könnte ich ‚die Romantik und die Romantiker‘ sagen. Beide Ausdrucksweisen bezeichnen wesentlich das Gleiche …“33 27 28 tischer Relevanz – paradigmatisch. Der frühe, maßgeblich dem späten Fichte verpflichtete Kierkegaard hat ihre Bedeutung in seiner Dissertationsschrift „Über den Begriff der Ironien“ dargestellt. Man erinnere sich des Schlegelschen Fragments, so Kierkegaard formuliert: „Die Ironie im strengen Sinne richtet sich nicht wider das eine oder andere einzelne Daseiende, sie richtet sich wider die ganze zu einer gewissen Zeit und unter gewissen Verhältnissen gegebene Wirklichkeit [Kierkegaard nennt dieses auch die „Weltgültigkeit“ der Ironie]. Sie trägt daher in sich eine Apriorität, und sie gelangt zu ihrer Gesamtansicht nicht dadurch, daß sie allmählich ein Stück der Wirklichkeit nach dem anderen vernichtet, sondern Kraft ihrer Gesamtansicht richtet sie Zerstörung an im einzelnen.“34 Das Resultat der ironischen Auflösung, die ihr innewohnende Apriorität, charakterisiert Kierkegaard im vorausgehenden Abschnitt seiner Abhandlung: „… was … das an der Ironie zum Vorschein kommende ist, das ist die subjektive Freiheit, welche in jedem Augenblick die Möglichkeit zu neuem Anfang in der Gewalt hat und nicht durch vorhergehende Verhältnisse beengt wird.“35 Dieses vorhergehende, die Freiheit der Subjektivität beengende Verhältnis hat die romantische Kunsttheorie in einer die individuelle künstlerische Bestrebung fesselnden ästhetischen Dogmatik gesehen. Diese zu ‚ironisieren‘ hat Fichte in seiner Kritik des dogmatisch-realistischen Relikts: des ‚Dinges an sich‘ den romantischen Kunstheroen den Weg geebnet. Seine Bedeutung für die Kunsttheorie der Folgezeit darf daher nicht unterschätzt werden. Kierkegaard umreißt Fichtes Leistungen wie folgt: „Fichte beseitigt die Schwierigkeit mit diesem „An-sich“, indem er es in das Denken hineinversetzte, er verunendlichte das Ich im Ich. Das hervorbringende Ich ist das gleiche wie das hervorgebrachte Ich. Das Ich=Ich ist die abstrakte Identität. Hierdurch machte Fichte das Denken unendlich frei*). Aber diese Unendlichkeit des Denkens bei Fichte ist wie alle Unendlichkeit Fichtes eine negative Unendlichkeit … d.h. sie ist eine Unendlichkeit, in der keine Endlichkeit ist, eine Unendlichkeit ohne allen Inhalt … die Subjektivität wurde die unendliche, absolute Negativität, die unendliche Spannung, der unendliche Trieb. Dadurch hat Fichte seine Bedeutung in der Wissenschaft. Seine Wissenschaftslehre verunendlichte das Wissen. Aber er verunendlichte es negativ, und dergestalt erhielt er statt der Wahrheit die Gewißheit, erhielt er nicht positive sondern negative Unendlichkeit in der unendlichen Identität des Ich mit sich selbst … Doch eben weil Fichte das Negative hatte, war seinem Standpunkt ein unendlicher Enthusiasmus eigen, eine unendliche Spannkraft … indem Fichte dergestalt im Ich=Ich die abstrakte Identität festhielt … hatte er den absoluten Anfang erworben, und unter Ausgehen von diesem wollte er … die Welt konstruieren. Das Ich wurde das Allbegründende.“36/**) Kierkegaard beschließt seine Charakteristik des Fichteschen Systems mit der Feststellung, daß dieses „die Frage des Anfangspunktes der Philosophie … zum Bewußtsein gebracht“38 habe. Doch in Prädikaten wie: „die unendliche Spannung“, „der unendliche Trieb“, „Gewißheit“, „unendlicher Enthusiasmus“, den Definitionen der Ironie als einer „Andacht“, oder als eines „subjektiven Genuss[es], sofern das Subjekt in der Ironie sich aus der Gebundenheit losmacht, in der es von der fortlaufenden Kette der Lebensverhältnisse gehalten wird“39, weiterhin in der Hervorhebung der Ironie in ihrer Absichtslosigkeit: „ihr Zweck ist *) d.h. also: losgelöst vom Ding an sich **) Entsprechend heißt es im „Systemprogramm des deutschen Idealismus“: „Die erste Idee ist natürlich die Vorstellung von mir selbst, als einem absolut freien Wesen. Mit dem freien, selbstbewußten Wesen tritt zugleich eine ganze Welt – aus dem Nichts hervor – die einzig wahre und gedenkbare Schöpfung aus Nichts.“37 29 30 ihr innerlich einwohnend, es ist ein metaphysischer Zweck“40, sind nicht nur die erlebnisrelevanten Begriffe genannt, die unabdingbarer Bestand eines methodischen, auf einen absoluten Ursprung gehenden Denkens und Fühlens sind41 – vielmehr liegt in ihnen ein gutes Stück der dem Fichteschen Denken verpflichteten ästhetischen Terminologie Arthur Schopenhauers beschlossen, das die philosophische Standortbestimmung und kunsttheoretische Selbstbegründung eines Richard Wagner erst möglich werden läßt. Fichtes ‚ursprüngliches Erleben‘ und sein aus diesem resultierendes System ist demnach der legitime Ausgangspunkt eines neuen, romantisierenden Kunsttheoretisierens und Kunstschaffens. Die ästhetische Relevanz Fichtes bekräftigt etwa die Äußerung Arthur Schopenhauers, der Fichte immerhin ein rhetorisches Talent42 zuerkennt; entsprechendes intendiert Hölderlin, wenn er von einem dem Philosophen notwendigen ästhetischen Sinn spricht*); am tiefsten und deutlichsten zugleich sind jedoch des Novalis folgende Worte: „Der Anfang des Ich ist bloß idealisch, denn der Anfang entsteht später als das Ich; darum kann das Ich nicht angefangen haben. Wir sehen daraus, daß wir hier im Gebiete der Kunst sind.“44 Diese noch ganz unter dem Banne Fichtes gesprochenen Sätze rechtfertigen die These, der gemäß die in einer revolutionären Tat – Fichtes „Tathandlung“ – gewonnene absolute voranfängliche Subjektivität dem Ursprungsort der Kunst als absoluter Kunst identisch zu setzen ist. Damit ist die bloß negative Bestimmung, wie Kierkegaard sie dem Fichteschen Ich einzig zugesprochen, durchbrochen und der Ausblick auf eine positive (d.i. wirkliche), den „alles überschau*) „Der Philosoph muß eben so viel ästhetische Kraft besitzen, als der Dichter … Die Philosophie des Geistes ist eine ästhetische Philosophie. Man kann in nichts geistreich sein … ohne ästhetischen Sinn.“43 enden … und … alles vernichtenden Blick*) auf den idealischen Anfang richtende Sphäre gegeben – das ist eben die Sphäre der Kunst – deren innerlicher ‚Zweck‘ sich in ihrer Verweisungsdienlichkeit, nämlich das vor allem Anfang liegende, das dem „principium individuationis“ entbundene Absolute zu einer realen Anschauung zu bringen, erschöpft. Wenn Novalis das Fichtesche Ich dem Gottesbegriff identifiziert46, so ist nicht nur der der Kunst eigene Ewigkeitsanspruch unterstrichen, den ihr bereits die Synthetisierung mit dem absoluten Ich verbürgte, vielmehr ist die Kunst einer bloß auf das Sinnliche gehenden, das Werk lediglich nach dem „schönen Schein“ bemessenden Beurteilung, ihre Profanisierung also, entbunden47, um nunmehr als sakrale Kunst, als religiöse Kunst in ihre ureigensten Rechte zu treten. Mit diesem Hinweis auf die sakrale Dimension der Kunst sind unsere den absoluten Ursprung derselben umkreisenden Erwägungen nahezu erschöpft. Wie sehr der Gedanke eines deduktiv sich entfaltenden, in der Absolutheit der Idee präformierten Werkes – *) Die in diesem Teil dieser Abhandlung mehr disjunktiv dargestellte Doppelbewegung erlebnismäßig-methodischer Auflösung („vernichten“, „überschauen“) und deduktiver Werkgestaltung („schaffen“) ist in K.W.F. Solgers ästhetischem Ironiebegriff synthetisch verdichtet: „Geht also die Idee durch den künstlerischen Verstand in die Besonderheit über, so drückt sie sich nicht allein darin ab, erscheint auch nicht bloß als zeitlich und vergänglich, sondern sie wird das gegenwärtige Wirkliche, und … die Nichtigkeit und das Vergehen selbst, und unermeßliche Trauer muß uns ergreifen, wenn wir das Herrlichste, durch sein notwendiges irdisches Dasein in das Nichts zerstieben sehen … Dieser Augenblick des Überganges nun, in welchem die Idee selbst notwendig zunichte wird, muß der wahre Sitz der Kunst, und darin Witz und Betrachtung, wovon jedes zugleich mit entgegengesetztem Bestreben schafft und vernichtet, eins und dasselbe sein. Hier also muß der Geist des Künstlers alle Richtungen in einen, alles überschauenden Blick zusammenfassen, und diesen über allem schwebenden, alles vernichtenden Blick nennen wir die Ironie.“45 31 32 das zu konkretisieren, zu schaffen selbstverständlich einen historischen Prozeß impliziert – die Idee ist außer aller Zeit, der kreative Akt vollzieht sich in der Zeit – der Romantik anliegen war, dürfte folgendes Bruchstück aus Friedrich Schlegels „Gespräch über die Poesie“48 erhellen: „ANTONIO. Wir dürfen also nun nichts mehr wünschen, als das wir Ideen zu Gedichten in uns finden mögen, und dann das gerühmte Vermögen nach Ideen zu dichten. „LUDOVIKO. Halten Sie es etwa für unmöglich, zukünftig Gedichte a priori zu construiren? „ANTONIO. Geben Sie mir Ideen zu Gedichten, und ich getraue mir, Ihnen jenes Vermögen zu geben.“49 Ludovikos Frage, Antonios Antwort wollen es besagen: Die Idee ist ein Vorgegebenes. Dieses Diktum darf jedoch nicht zu einem naiven Mißverständnis, sprich: zu einer Hypostasierung der Ideen führen; die Ideen bilden eine eigene, apriorische Ordnung: die, der Ideenwelt und „entgehen jeder wie immer gearteten Projektion in den Erkenntnisbereich.“50 Um diese exzentrische Seinssphäre der Ideen, die sich einem analytisch-induktiven Erkenntnisprozeß entzieht, anzuzeigen, ist Friedrich Schlegels Satz vom „Übergang, der immer ein Sprung sein muß“51 paradigmatisch. Doch, so wird man fragen, ist hiermit nicht der in obigem methodischen Diskurs behaupteten Unmittelbarkeit in der Erkenntnis der Ideen (resp. des Absoluten) widersprochen? Das führt auf die zentrale Wesensbestimmung des von uns so benannten „Erlebnisses der Ewigkeit der Ideen“: Unmittelbar ist zunächst das aller Anschauung und Begrifflichkeit enteilende Gefühl; das Gefühl definiert den sich im Inneren des Erlebenden vollziehenden Progressus, es ist die dynamische Erlebnisqualität, die einer sich in dem Kulminationspunkt des Erlebens bewährenden Klärung durch die sprunghaft-dialektische Denkbewegung bedarf.52 Es sind demnach die die Hölderlinsche bzw. Benjaminsche Auflösungsmethode bestimmenden Aspekten sythetisierende Bewegung im Medium der Reflexion, des Begriffes: Auflösung der Form – als welche es das durch des Künstlers Verstandesleistung geformte individuelle Werk zu erkennen galt – in die absolute Formlosigkeit der Idee, die es mit der emotionalen Unmittelbarkeit des Erlebens zu vermitteln gilt. Walter Benjamin hat der Tiefe dieses Problems einzig in einer an das Paradoxe rührenden Lösung Ausdruck zu geben vermocht und von einer „Vermittlung durch Unmittelbarkeit“53 gesprochen. Dabei verweist er nicht nur auf den von uns in einer Fußnote54 erwähnten Fichteschen Gedanken einer in Selbstreflexion sich selbst unmittelbar zum Gehalt werdenden Form, vielmehr zitiert er Schlegels versöhnliche These: „Das eigentlich Unmittelbare ist zwar das Gefühl, es gibt aber doch auch ein unmittelbares Denken“55. Dieses auf die Idee zielende, sich mit der Unmittelbarkeit des Gefühls synthetisierende „unmittelbare Denken“ hat Friedrich Schlegel in einem seiner Athenaeumsfragmente zu erfassen versucht: „Eine Idee, ist ein bis zur Ironie vollendeter Begriff, eine absolute Synthesis absoluter Antithesen, der stets sich selbst erzeugende Wechsel zwey streitender Gedanken.“56 In diesem winzigen Sätzchen ist die Quintessenz der romantischen Methode und der Kern der Erlebnisse der Ideen gegeben: Der „stets sich selbst erzeugende Wechsel“ kann nur als ein subjektives, als ein die Idee ahnendes Korrektiv gedeutet werden, das die die dialektischen Sprünge vollführenden, die die Anschauung auflösenden Begriffe auf die den Erlebnisprozeß absolut vollendende Idee treibt. Daß die Idee als ein aller Empirie entkleidetes Negativum (Kierkegaard, s.o.) auch außer allem Begriff ist, will die Wendung: „ein bis zur Ironie vollendeter Begriff“ besagen. Mit dieser ironischen Aufhebung aller Begrifflichkeit ist der Durchbruch in die Sphäre unmittelbaren Denkens und damit die Synthese von Gefühl 33 34 und Denken in der Evidenz des Ideenerlebnisses vollzogen. Den also erreichten Kulminationspunkt des Erlebnisprozesses hat Friedrich Hölderlin durch die dem erlebenden Subjekt spezifische Haltung der Furchtlosigkeit und das diese finale Haltung bestimmende „Totalgefühl“ charakterisiert.57 Zum Abschluß der soeben geleisteten Erlebnisdefinition soll nicht unbetont bleiben, daß dem Begriff als einem Mittleren im Medium, d.h. als zwischen Idee und Phänomen schwebendem, eine ausgezeichnete Rolle zukommt, denn „Ideen … bleiben dunkel [‚negativ‘], wo die Phänomene sich zu ihnen nicht bekennen und um sie scharen. Die Einsammlung der Phänomene ist die Sache der Begriffe und die Zerteilung, die sich kraft des unterscheidenden Verstandes in ihnen vollzieht, ist um so bedeutungsvoller, als in einem und demselben Vollzuge sie ein Doppeltes vollendet: die Rettung der Phänomene und die Darstellung der Ideen.“58 In den also geretteten, weil die Idee darstellenden Phänomenen ist der Übergang von der Negativität bloßer Methode zur phänomenalen Sinnerfülltheit des Erlebens vollzogen – die Idee paart sich mit dem Faktum – „Ein Ideal ist zugleich Idee und Faktum“, fährt Friedrich Schlegel in unmittelbarem Anschluß an den oben zitierten Satz fort. „Haben die Ideale für den Denker nicht so viel Individualität wie die Götter des Altertums für den Künstler, so ist alle Beschäftigung mit Ideen nichts als ein langweiliges und mühsames Würfelspiel mit hohlen Formeln, oder ein nach Art der Chinesischen Bonzen, hinbrütendes Anschauen seiner eigenen Nase.“59 Es ist demnach an der Zeit, sich an die eigene Nase zu greifen, um diese auf ein „Faktum“ zu stoßen, in dem sich die Struktur der ‚romantischen‘, auf die Idee zielenden Erlebnismethode in der dem deduktiven Gestaltungsprozeß spezifischen Umkehrung der Erlebnisrichtung ausformt. Ein solches, den Gestaltungs- wie Erlebnisprozeß schematisierendes, die Idee faktisierendes „Ideal“ läßt sich tatsächlich als im Kult- sprich: Theaterbau des 19. Jahrhunderts gegeben nachweisen. Da die Idee einer induktiven, mehr auf die Anhäufung von Fakten bedachten Betrachtung verschlossen bleibt, kann der Verweis auf nur ein zentrales Beispiel der Architekturgeschichte des 19. Jahrhunderts nicht wundernehmen: nur im Extrem ist eine Repräsentation der Idee zu erwarten. Dieses weiß die von der Idee ihren Ausgangspunkt nehmende Betrachtung ohne Umschweife ausfindig zu machen: Ein solches Extrem ist das Wagnersche Festspielhaus zu Bayreuth, mit dem unsere Betrachtung – quasi als absolutem Indifferenzpunkt – anhebt, um letztlich wieder zu diesem zurückzugehen. Doch einen solchen Indifferenzpunkt lediglich in einem vorgefundenen komplexen Ganzen zu konstatieren kann nicht befriedigen, so der Gedanke einer sukzessiven, den deduktiven Gestaltungsprozeß referierenden Ausformung erwiesen und damit die Schematisierung der vorab charakterisierten Erlebnisstruktur in Architektur nachvollzogen werden soll. Auf der Suche nach einem diesem deduktiven Gestaltungsprozeß genügenden Indifferenzpunkt werden wir an das Zentrum des Theaterbaus: das Proszenium verwiesen. Es ist durchaus evident, das Proszenium als den in der Architektur materialisierten Indifferenzpunkt zu bezeichnen, da es das ‚negative‘ Faktum in der Theaterarchitektur bedeutet; d.h.: es bildet die Stelle im architektonischen Komplex, die die geringste architektonische Wirklichkeit einnimmt, da sie zunächst nicht maßgeblich in die äußere, „historisch geadelte“60 Bauform eingreift und diese bestimmt(vgl.: ANHANG V.1.). Nur vom Proszenium her konnte sich daher ein neues, architektonisches Ganzes antinomisch entfalten: Wie der an der absoluten Vernunft rührende Verstand die Antinomien eines Ich und Nicht-Ich und die beide trennende und vereinigende Grenze (des Begriffs) entbindet, so konkretisiert sich der architektonische Indifferenzpunkt in zwei diametral entgegenstehenden Raumsphären: der ‚realen Welt‘ des Auditoriums auf der einen, der ‚idealen Welt‘ des Bühnenraumes auf 35 36 der anderen Seite. Doch die Bestimmung des Proszeniums erschöpft sich nicht nur in der (Grenz-)Setzung eines zu architektonischer Wirklichkeit gelangenden Dualismus; vielmehr zeichnet sich in der Proszeniumsreform – deren detaillierte Darstellung dem Beispielteil vorbehalten bleibt – eine letztlich auf den ganzen Innenraum übergreifende, ‚Geisterwelt‘ und ‚reale Welt‘ synthetisierende Zentralperspektivik ab, die das adäquate Schema des vorab in abstracto gewonnenen Erlebnisses liefert. Das Proszenium meint da das Mittlere im Medium, als welches wir in unseren theoretischen Ausführungen den Begriff erkannten: Vollzieht sich das Erleben als ein sprunghaft-kontinuierlicher Auflösungsprozeß des Konkreten bis hin zur ironischen Vollendung, in der der Erlebende der Idee inne wird, so artikuliert sich im Proszenium bzw. in der in und aus diesem sich entwickelnden, Auditorium und Bühnenraum einigenden, den Grundriß durchdringenden, zentralperspektivischen Linienschar ein eine architektonische Wirklichkeit einnehmendes Schema des erlebnismäßigen Abstraktionsprozesses, welches in einem dem Proszenium, dem ‚Begriff‘ exzentrischen Raumpunkt: dem Fluchtpunkt der perspektivischen Linienschar, der erlebnisimmanenten Idee ein architektonisches (im Grundriß nachweisbares) Synonym zuweist [Abb. 1]. Die vorgetragene Verquickung von: Methode, Erlebnis, Proszenium, der damit ausschließlich auf den Theaterbau, sprich: das Festspielhaus Bayreuth gegebene Verweis, ließe die behauptete Formwerdung der deduzierten Erlebnisstruktur in Architektur allemal evident werden. Aber es dürfte einsichtig sein, daß eine Architektur als architektonisiertes Schema dieses die Ganzheitlichkeit des Absoluten intendierenden Erlebens nicht in disparate Gattungen zerfallen kann. Gemessen an der Andachts-Natur dieses Erlebens, in hinweisender Vorwegnahme der Hölderlinschen Idee einer „sinnliche Religion“ resp. „ästhetischen Kirche“61 scheint es tautologisch, von einer Architekturgattung: Theaterbau einerseits, Abb. 1 Otto Brückwald, Bühnenfestspielhaus zu Bayreuth, Grundriß; zeichnerische Ergänzung vom Verfasser von einer Bauaufgabe Kirchenarchitektur andererseits zu sprechen.62 Der der Theater- und Kirchenarchitektur gemeinsamen, in ihrer ‚ästhetischen Hausordnung‘, dem ‚ästhetischen Erleben‘ manifest werdenden Idee ließe sich durch eine die gemeinte Identität akzentuierende Wendung Ausdruck geben, die wir der weiteren Untersuchung thesenartig voranstellen wollen: Es gibt die theatralische Kirche – es gibt das sakrale Theater. 37 38 II. Die neue Mythologie und die mythologische Architektur Die bisherigen Ausführungen haben erkennen lassen, daß die Architektur den Beschluß, die ‚Vollendung‘ einer der romantischen Ideenwelt erwachsenden Kunstauffassung ist; die Architektur bedeutet demnach die ‚gemauerte Kontur‘ eines ‚inneren‘, kulturellen Prozesses, der, reduziert auf seine philosophisch-ästhetischen Konzeptionen, an seinem Fundament erfaßt ist. Dieser Bewegung: von ‚innen‘ nach ‚außen‘ versuchten und versuchen wir in unserem methodischen Vorgehen Rechnung zu tragen. Im Sinne dieser Bewegungsrichtung scheint es konsequent, das konkrete Beispiel: das ‚Außen‘ , weiterhin an das Ende der Betrachtung zu stellen, um sich erneut dem ‚Innen‘, dem von der Architektur beschlossenen Erlebnis-Korrelat zuzuwenden, das es nunmehr zu präzisieren gilt. Gemessen an der ‚Sinn‘-Erfülltheit eines konkreten Erlebens, dem das erlebende Subjekt in einer inneren Synthese (einer inneren Handlung, einer mystischen Andachtshaltung – s.o.) seinen sakralen Gehalt zuzuweisen vermag, könnten die das Erlebnis in abstracto deduzierenden Versuche eingedenk der alsdann gewonnenen Bestimmtheit und Anschaulichkeit als überflüssige Propädeutik abgetan werden. So ist denn auch durch einen unbändig auftretenden Positivismus geschehen, der da glaubte mit dem romantischen Verdikt, daß „das Ideale das Wirkliche und viel wirklicher als das sogenannte Wirkliche selbst“63 sei, ob dessen Leere, ob dessen Negativität brechen zu müssen. Die Romantiker und ihre Epigonen haben der anfänglichen Negativität ihrer einem ‚idealischen‘ Absoluten verpflichteten Spekulation nie entraten, dabei eine ‚positive‘ Ergänzung und Vollendung als der negativen Sphäre unabdingbar empfunden. Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, als einer der uns in diesem Zusammenhang zentral interessierenden Denker, konzipiert erst in seinem Alterswerk, der „Offenbarungsphilo- sophie“, den gleichermaßen versöhnenden als trennenden Entwurf einer „positiven Philosophie“, die der „negativen“ ergänzend an die Seite zu stellen ist: „Die negative Philosophie hat das in der Erfahrung Seiende nur als Objekt einer möglichen Erkenntnis. Ihr Zusammenstimmen mit der Wirklichkeit ist zufällig. Sie würde wahr sein, auch wenn überall nichts existierte. Sie ist die Logik, der Apriorismus des Empirischen. Die positive Philosophie aber konkresziert mit der Erfahrung“.64 Diese mit der Erfahrung konkreszierende Philosophie erst vierzig Jahre65 nach ihrem (negativ-)idealistischen Pendant entstanden zu wissen, liefert eine unserem Problemkreis wichtige Konsequenz: es scheint jetzt nur allzu einsichtig, daß eine ein ‚negatives‘, entmaterialisiertes Denken in positivem Sinne beschließende architektonische Kontur – das Festspielhaus Bayreuth – mit mehr denn 50jähriger Verzögerung ausgebildet werden konnte – das macht die quasi kolloidale Natur der romantischen Geisteswelt, deren nahezu entmaterialisierte Gedanken-Partikel in einem langen Schwebezustand verblieben, bis sie sich feste architektonische Formen bildend auf dem Grunde*) absetzten. Der Verweis auf Schellings denkerische Entwicklung vermochte den sich in einer größeren Zeitspanne entfaltenden geistesgeschichtlichen Progressus mit seinen negativen und positiven, d.h. *) In diesem Sinne formuliert Richard Wagner angesichts seiner sich verwirklichenden Bayreuthpläne: „Was nämlich unsere nicht immer sehr geisvollen Witzlinge bisher unter dem unsinnigen Begriffe einer „Zukunftsmusik“ zu ihrer Belustigung sich auftischten, das hat jetzt seine nebelhafte Gestalt verändert, und ist auf festem Grund und Boden zu einem wirklich gemauerten „Bayreuth“ geworden, in welchem er eine ganz reale Form annimmt.66 Entsprechend heißt es vom Festspielhaus Bayreuth: „… dieser Bau … in dessen charakteristischen Eigenschaften Sie sofort die Geschichte des Gedankens lesen werden, der in ihm sich verkörpert.“67 39 40 mit seinen idealistischen und realistischen Polen anzuzeigen. Eine solche, dem historischen Tatbestand aposteriorisch entnommene Entwicklung darf jedoch nicht glauben machen, daß die divinatorische Kraft der Frühromantiker der antizipierenden Erkenntnis einer derartigen Entwicklung entbehrt habe. Gerade der auf das Praktische gehende, schöpferische Romantiker wußte im Sinne seines Poetisierungsbestrebens auf das den Ideen Wirklichkeit gebende, realistische Komplement zu drängen: „Der Idealismus in jeder Form“, so Friedrich Schlegel, „muß auf eine oder die andere Art aus sich herausgeben, um in sich zurückkehren zu können und zu bleiben was er ist. Deswegen muß und wird sich aus seinem Schooß ein neuer und ebenso grenzenloser Realismus erheben; und der Idealismus also nicht bloß in seiner Entstehungsart ein Beyspiel für die neue Mythologie, sondern selbst auf indirekte Art Quelle derselben werden.“68 Mit Schlegels Fingerzeig auf eine dem Idealismus latente „neue Mythologie“ ist der Übergang zu einer „Sinn“-Erfüllung unseres Erlebnisschemas angekündigt. Den Zusammenhang resümiert, den Übergang präsentiert Friedrich Schlegel an gleicher Stelle: „Kann eine neue Mythologie sich nur aus der innersten Tiefe des Geistes wie durch sich selbst herausarbeiten, so finden wir einen sehr bedeutenden Wink und eine merkwürdige Bestätigung für das was wir suchen in dem großen Phänomen des Zeitalters, im Idealismus! Dieser ist auf eben die Weise gleichsam wie aus Nichts entstanden, und es ist nun auch in der Geisterwelt ein fester Punkt konstituirt, von wo aus die Kraft des Menschen sich nach allen Seiten mit steigender Entwicklung ausbreiten kann, sicher sich selbst und die Rückkehr nie zu verlieren.“69 Den Ursprung einer neuen Mythologie, den „festen Punkt der Geisterwelt“ dem Fichteschen Ich identisch zu setzen, das entspricht der Intention Schlegels. Die dem Idealismus, dem absoluten Ich eigene Dynamik – die „Diastole“ und „Systole“, um zwei Termini zu nennen, die Friedrich von Hardenberg mit Vorliebe diesem ‚inneren Leben‘ des Idealismus zugeordnet hat – findet sich gleichfalls bei Friedrich Schlegel entschieden charakterisiert und unterstreicht die oben angeklungene Unterscheidung kreativer Akte einerseits, rezeptiv-erlebnismäßiger Akte andererseits, deren absolute, weil in einem Indifferenzpunkt als identisch zu begreifende Ausgangs- und Zielpunkte beiden Bewegungsrichtungen gemeinsam sind. Mit deutlicher Affinität zu der von uns bereits charakterisierten romantischen Methode variiert Schlegel das vorab Vorgetragene wie folgt: „Wie es das Wesen des Geistes ist, sich selbst zu bestimmen und in ewigem Wechsel aus sich heraus zu gehen und in sich zurückzukehren [hier formuliert Schlegel die Dialektik zweier Bewegungsrichtungen, deren absolute These resp. Synthese, die eines beiden Richtungen zugrunde liegenden Selbstgesetzes: Selbstbestimmung des Ich, ist]; wie jeder Gedanke [und hier zielt Friedrich Schlegel auf die Methode] nichts anderes ist als das Resultat einer solchen Tätigkeit; so ist derselbe Proceß auch im Ganzen und Großen in jeder Form des Idealismus sichtbar, der ja selbst nur die Anerkennung jenes Selbstgesetzes ist, und das neue durch die Anerkennung verdoppelte Leben, welches die geheime Kraft desselben durch die unbeschränkte Fülle neuer Erfindungen, durch die allgemeine Mittheilbarkeit und durch die lebendige Wirksamkeit aufs herrlichste offenbart.“70 In diesem dritten Abschnitt des zitierten Satzes ist der Übergang zum ‚idealistischen‘ Phänomen vollzogen: die ‚positive‘ Setzung eines Konkreten gibt die äußere „Anerkennung“ eines ‚negativen‘, das Wesen des Idealismus wahrenden ‚inneren‘ Lebens, das sich mit dem Vorzug „allgemeine[r] Mittheilbarkeit“ nunmehr in der „Form“ eines „sichtbar[en]“ Werkes „verdoppelt“.71 Allgemein mitteilbar zu sein, diesen „… Vorzug hat die Mythologie. Was sonst das Bewußtseyn ewig flieht, ist hier dennoch 41 42 sinnlich geistig zu schauen, und festgehalten, wie die Seele in dem umgebenden Leibe, durch den sie in unser Auge schimmert, zu unserm Ohr spricht.“72 Denn „das ist der eigentlich Punkt“, so fährt Friedrich Schlegel fort, „daß wir uns wegen des Höchsten nicht so ganz allein auf unser Gemüth verlassen. Freylich, wem es da trocken ist, dem wird es nirgends quillen; und das ist eine bekannte Wahrheit, gegen die ich am wenigsten gesonnen bin mich aufzulehnen. Aber wir sollen uns überall an das Gebildete [Geformte] anschließen und das Höchste durch die Berührung des Gleichartigen, Aehnlichen, oder bey gleicher Würde Feindlichen entwikkeln, entzünden, nähren, mit einem Worte bilden [das könnte man eine Dialektik im Konkreten nennen]. Ist das Höchste aber wirklich keiner absichtlichen Bildung fähig; so laßt uns nur gleich jeden Anspruch auf irgend eine freye Ideenkunst aufgeben, die alsdann ein leerer Name seyn würde. „Die Mythologie ist ein solches Kunstwerk … In ihrem Gewebe ist das Höchste wirklich gebildet; alles ist Beziehung und Verwandlung, angebildet und umgebildet, und dieses Anbilden und Umbilden eben ihr eigenthümliches Verfahren, ihr inneres Leben, ihre Methode wenn ich so sagen darf.“73 Friedrich Schlegels Ausführungen kann man einen Passus aus Schellings „Philosophie der Kunst“ synoptisch an die Seite stellen, zumal besondere hier die sakrale Dimension einer dem Idealismus ‚entspringenden‘ Mythologie deutlich wird. Schelling schreibt: „… Wir werden „1) auch in der Philosophie der Kunst von keinem anderen Princip als dem des Unendlichen ausgehen können; wir werden das Unendliche als das unbedingte Princip der Kunst darthun müssen. Wie für die Philosophie das Absolute das Urbild der Wahrheit – so für die Kunst das Urbild der Schönheit74. Wir werden daher zeigen müssen, daß Wahrheit und Schönheit nur zwei verschiedene Betrachtungsweisen des Einen Absoluten sind. „2) Die zweite Frage, wie in Ansehung der Philosophie überhaupt, so auch in Ansehung der Philosophie der Kunst, wird seyn: wie jenes an sich schlechthin Eine und Einfache in eine Vielheit und Unterscheidbarkeit übergehe, wie also aus dem allgemeinen und absoluten Schönen besondere schöne Dinge hervorgehen können. Die Philosophie beantwortet diese Frage durch die Lehre von den Ideen oder Urbildern. Das Absolute ist schlechthin Eines, aber dieses Eine absolut angeschaut in den besonderen Formen, so daß das Absolute dadurch nicht aufgehoben wird, ist = Idee. Ebenso die Kunst. Auch die Kunst schaut das Urschöne nur in Ideen als besonderen Formen an, deren jede aber für sich göttlich und absolut ist, und anstatt daß die Philosophie die Ideen wie sie an sich sind, anschaut, schaut sie die Kunst real an. Die Ideen also, sofern sie als real angeschaut werden, sind der Stoff und gleichsam die allgemeine und absolute Materie der Kunst, aus welcher alle besonderen Kunstwerke als vollendete Gewächse erst hervorgehen. Diese realen, lebendigen und existirenden Ideen sind die Götter; die allgemeine Symbolik oder die allgemeine Darstellung der Ideen als realer ist demnach in der Mythologie gegeben, und die Auflösung der zweiten obigen Aufgabe besteht in der Construktion der Mythologie …“75 Die „Construktion der Mythologie“ macht es also, daß die dem Absoluten immanenten Idee zu realer, anschaulicher Gegebenheit gebracht werden können. – Hier erinnere man sich des Schlegelschen Bestrebens den „neuen Leser“, d.h. den dem Absolutheitsanspruch der Kunst adäquaten Rezipienten „zu construiren, ja … denselben sogar [aus dem Absoluten] zu deduciren“76, so wird der ‚hermetische‘77 Charakter der neuen Mythologie deutlich. Friedrich Schlegel hat den absoluten, der gemeinen Wirklichkeit entbundenen Zusammenhang von Künstler, Kunstwerk, Erlebendem in der – unbedingt richtig zu verstehenden – Terminologie des 19. Jahrhunderts als ‚künstlich‘ charakterisiert: Die neue „aus der tiefsten Tiefe des Geistes“78 herauszubildende Mythologie „… muß das 43 44 künstlichste aller Kunstwerke seyn, denn es soll alle anderen umfassen, ein neues Bette und Gefäß für den alten ewigen Urquell der Poesie und selbst das unendliche Gedicht, welches die Keime aller anderen Gedichte verhüllt.“79 Die Mythologie als „Gefäß“, als ‚Kontur‘ aller ihr einwohnenden Künste und als den Keim dieser Künste selbst begreifen zu machen – „Mythologie ist die nothwendige Bedingung und der erste Stoff aller Kunst“80 – impliziert den Gedanken einer ‚mythologischen‘ Architektur, die dem mythologischen (Gesamt-)Kunstwerk Raum gibt und dieses vollendend-umhüllt. Als „Gefäß“ ist die Architektur die formal-rational erfahrbare, nach außen tretende Wirklichkeit eines in ihr geborgenen irrationalen, d.h. auf Ideen bezogenen Lebens, das nunmehr architektonisch manifest wird. Es gilt also – ob des spekulativ-deduktiven Ursprungs einer an die neue Mythologie gebundenen Architektur – sich mit dem Gedanken und der effektiven Gegebenheit einer Mythologie des Kultbaues – hier vorrangig: einer Mythologie des Theaterbaues – vertraut zu machen*); ein Gedanke, der der komplexen, dabei hermetischen Einheit und Durchdringung von ‚architektonischer *) In diesem Sinne (wobei es die noch aufzuzeigende wesentlich musikalische Dimension der neuen Mythologie zu bedenken gilt) schreibt Richard Wagner in seinem Bayreuth-Aufsatz: „Wer mich … richtig verstanden hat, wird sich der Einsicht nicht erwehren können, daß selbst die Architektur durch den Geist der Musik, aus welchem ich mein Kunstwerk, wie die Stätte seiner Verwirklichung entwarf, zu einer neuen Bedeutung geführt werden durfte, und daß somit der Mythos des Städtebaues durch Amphions Lyra einen noch nicht verlorenen Sinn habe.“81 Es sei die in diesem Zusammenhang bedeutsame Feststellung erlaubt, daß Wagner ‚mythologischstes‘ Werk: „Das Rheingold“, zugleich auch sein (musikalisch) architektonischstes ist. So scheint es nur allzu konsequent, daß im Zeitraum (Zürich) der Konzeption des „Ringes“ Wagners Festspielhauspläne deutliche Gestalt annehmen. Leiblichkeit‘ und ihrer inneren, ‚ästhetischen Beseeltheit‘ Ausdruck zu geben vermag. Den Kultbau als unabdingbaren Teil eines geschlossenen Organismus zu bezeichnen, das ist das Resultat einer konsequenten Ausdeutung der romantischen Kunsttheorie; ‚Innen‘ und ‚Außen‘ des Gebäudes werden zum beständigen, vom Geist der Idee durchdrungenen Relikt eines künstlerischen Handelns, in dem sich die Universalität heischende Idee eines mythologischen Gesamtkunstwerkes vollendet. Der neue Mythos hat also eine periphere architektonische Qualität; das eine Formulierung, die der bislang praktizierten deduktiven Methode und ihrer Bewegungsrichtung ‚von innen nach außen‘*) Rechnung zu tragen vermag. An dieser Stelle gilt es Friedrich Schlegels „Gefäß“-Metapher keinesfalls mißzuverstehen. Sie bedeutet nicht den Anstoß zu einer Betrachtungsweise, die nunmehr das Außen, den Baukörper – das „Gefäß“ – zum Ausgangspunkt nimmt, um von dort analytisch auf das Innen, den ‚Gehalt‘ zu schließen; vielmehr liefert die Schlegelsche Formulierung ein brauchbares Bild der eine anfängliche Totalität setzenden Spekulation, denn etwa auch das Fichtesche Ich ist in seiner Absolutheit Keim und Hülle zugleich83. Es ist die – auch von Fichte akzentuierte – Crux der Spekulation, in einem Zirkelschluß das zu Entwickelnde als der Beweisführung bereits gegeben vorwegnehmen zu müssen. Ganz in diesem Sinne hat die romantische Hermeneutik zwischen „divinatorischer“ und „analytischer“ Interpretation unterschieden. Die Analyse – als alle Einheit trennende Re- *) Diese kreative Bewegungsrichtung: von innen nach außen – die in einer mythologisch-sakralen Architektur ihren Abschluß findet – beschreibt Richard Wagner wie folgt: „Dies aber ist das Wesen des deutschen Geistes, daß er von innen baut: der ewige Gott lebt in ihm wahrhaftig, ehe er sich auch den Tempel seiner Ehre baut. Und dieser Tempel wird dann gerade so den inneren Geist auch nach außen kundgeben …“82 45 46 flexion – trägt der historischen Dimension, also der sich in der Zeit entfaltenden Verwirklichung des Werkes Rechnung; aber im vollendeten (architektonischen) Werk ist die von der Projektion bis hin zur Realisation umspannte Zeit zum inneren Bestand des Werkes selbst geworden: das vollendete Werk und die ihm immanente Historie ist außer allem Werden, ist außer aller Zeit*) – die architektonische Hülle birgt die „Keime aller anderen Gedichte“85, die als im Gesamtkunstwerk, im neuen Mythos konkrete Formen annehmende, die als den Innenraum füllende Rituale mit jener Hülle als ihrer architektonischen Reproduktion zu ästhetischer Einheit verschmelzen: Identität von Mythos und mythologischer Architektur.86 Unter diesem Blickwinkel gesehen scheint die von Friedrich Wilhelm Joseph Schelling im Rahmen der „Construktion der Architektur“ aufgeworfene Frage: „inwiefern eine Kunst, die dem Bedürfniß untergeordnet einem Zweck außer ihr dient, unter die schönen Künste gezählt werden könne“87 hinfällig und steht in deutlichem Kontrast zu den Maximen Friedrich Schinkels: „Da Zweckmäßigkeit**) das Grundprinzip alles Bauens ist, so bestimmt die mög*) Zu dieser der Kunst eigenen Dialektik von zeitlichem Werden und (ideen- / erlebnisspezifischer) Zeitlosigkeit sei folgende Stelle aus K.W.F. Solgers Ästhetik zitiert: „Betrachten wir … das Resultat der [künstlerischen] Thätigkeit, so muß sich in der Entwicklung selbst das Ganze wieder zur vollkommenen Einheit der Idee schließen. Die Idee schließt sich gleichsam wieder zusammen, da sie sich vom Künstler aus öffnet [das ‚betrachtende‘ Erlebnis ist die Reversion des kreativen Aktes]; aber sie schließt sich in einem Momente der Wirklichkeit [unterscheide: den kontinuierlich sich in der Zeit entfaltenden schöpferischen Prozeß einerseits, die Unmittelbarkeit das Erlebens andererseits]. Dadurch entsteht eine wirkliche Erfahrung von dieser Vereinigung in der Form einer besonderen Thatsache. Diese nennen wir das Kunstwerk, welches mithin der Moment ist, worin sich die Idee vermittelst gegebener Stoffe in ihre Einheit wieder verknüpft.“84 **) Schinkel verwendet den Zweckbegriff in einer philosophisch-metaphysischen Bedeutung, die er maßgeblich dem absoluten Zweckbegriff Fichtes lichste Darstellung des Ideals der Zweckmäßigkeit, das ist der Charakter oder die Physiognomie eines Bauwerkes, seinen Kunstwert.“88 Wenn Schinkel dieses Ideal der Baukunst wenige Zeilen später „eine eigentümliche Schöpfung des Geistes im Grundprinzip“ nennt, „dahingegen bei den übrigen [Künsten] das Ideal aus den, außer dem Geiste schon vorhandenen, Gegenständen konstruiert werden kann“89, so definiert er die Architektur als die Manifestation der Prinzipien des Idealismus schlechthin.*) Dennoch ist Schellings die Architektur belangende Frage und sein dieser folgender ästhetischer Rettungsversuch bedeutsam, weil er die erneute Anknüpfung an einige Aspekte unserer methodischen Erwägungen ermöglicht: er fordert: „… daß die Architektur als schöne Kunst von sich selbst als Kunst des Bedürfnisses die Potenz seyn, oder sich selbst als solche zur Form, zum Leib nehmen muß, um eine unabhängige Kunst zu seyn.“91 Das heißt doch wohl nichts anderes, denn daß die Architektur den ihr vorgegebenen Zweck in architektonischer Manier, d.h. in der ihr eigenen, architektonischen Formensprache zu reflektieren habe. (Lektüre der Schriften Fichtes währen seiner Italienreise) entlehnt haben dürfte, und die des Dreiklang der architektonischen Konkretisierungsbewegung: Idee – Zweck – Ideal ( – Bauwerk) bedeutet. Auch K.W.F. Solger unterscheidet eine ideenbezogene, „wahre Zweckmäßigkeit“ von (bloßem) „Zweck“, s. Anm. 86. *) Hierzu eine Tagebuchnotiz Schinkels: „Es kann nicht die Frage sein bei einer Aufgabe für die Baukunst: was gehört von den bekannten nützlichen Dingen in der Welt zur Ausführung dieser Aufgabe, sondern es steht eine reine Idee von der allein möglichen Art eines Werkes in der Seele des Baukünstlers, diese Idee ganz unabhängig von der bestehenden Welt rein aus ihm selber erschaffen, indem er die tiefste Bestimmung des Gebäudes unmittelbar in ihm selbst fühlte, und nun erst entsteht die Frage, was sind die notwendigen Mittel zur Realisierung dieser neuen, in ganzer Freiheit erzeugten Idee. (Es ist wohl klar, daß … auch die Mittel ganz neu zu erschaffen wären.)“90 47 48 Als vorgegebener Zweck, als wesensbestimmender Gehalt der Architektur konnte der neue Mythos bestimmt werden, der als theatralisch-sakrales Ritual, als Gesamtkunstwerk seine konkrete Form erhält; eine Form, die durch den in der architektonischen Hülle vollzogenen Reflexions-, also auf geometrische Formen gehenden Abstraktionsprozeß (erinnere: „Keine Abstraction ist ohne Reflexion; und keine Reflexion ohne Abstraction möglich.“92) zur „Form der Form als ihres Gehaltes“93 wird: die innere, absolute, weil vom Absolutheitsanspruch des Mythos diktierte ‚ästhetische Hausordnung‘ metamorphosiert in einem diese ‚potenzierenden‘, dabei in Unmittelbarkeit auf sie zurückverweisenden ‚Sprung‘ in den äußeren, architektonischen Rahmen, in dem sich der Konkretisierungsprozeß der Idee vollendet. Genau diesen, der Idee niemals entratenden Umbildungsvorgang intendiert Friedrich Schinkel in seiner Forderung, daß „jeder Bau die Idee seiner Gattung zu symbolisieren habe.“94 Wie nachhaltig eine Methode zu wirken vermochte, die die Kunst als das Resultat eines immanenten, selbsttätigen Denkens, als das anschauliche Ergebnis eines das innere Leben des Gegenstandes bedeutenden Reflexionsprozesses begreifen macht, bekunden folgende Worte Friedrich Nietzsches: „Dem Mythus liegt nicht ein Gedanke zugrunde, wie die Kinder einer verkünstelten Kultur meinen, sondern er selbst ist ein Denken.“95 – Das ‚magische‘ Moment des Mythos, die ihm eigene Lebendigkeit ist es demnach, die diesem neben dem Vorzug „allgemeiner Mittheilbarkeit“ (Schlegel) den seiner eindringlichen Wirksamkeit garantiert. Ob dieser den Mythos auszeichnenden Qualitäten wird Friedrich Hölderlins Einforderung einer „sinnliche[n] Religion“96 – das ist der neue Mythos – als ein alle Lebensäußerungen bindendes „Ideal aller menschlichen Gesellschaft“97 verständlich. In diesem ideal(ist)ischen Sinne – gepaart mit dem Bewußtsein, eine revolutio- näre Idee zu vertreten: „Umsturz alles Afterglaubens“98, Gründung „der ästhetischen Kirche99, ist Hölderlins100 Entwurf „Das älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus“ zu lesen: „Zuerst werde ich hier“, so Hölderlin, „von einer Idee sprechen, die, soviel ich weiß, noch in keines Menschen Sinn gekommen ist – wir müssen eine neue Mythologie haben, diese Mythologie aber muß im Dienste der Ideen stehen, sie muß eine Mythologie der Vernunft werden.“101 Weil die (reine) Vernunft einzig, einen intellektuellen Anschauung – das der romantische terminus technicus – zugängig ist, kann Hölderlin die Überzeugung vertreten, „daß der höchste Akt der Vernunft, der, indem sie alle Ideen umfaßt, ein ästhetischer Akt ist, und daß Wahrheit und Güte, nur in der Schönheit verschwistert sind.“102 Dieser „höchste Akt der Vernunft“ bedeutet das Apriori einer aus der Gestaltlosigkeit der absoluten Anschauung zu gestaltenden neuen Mythologie, die als vernünftige dem „große[n] Haufen“ und dem „Philosophen“ gleichermaßen eignet und die ob ihres im Dienste der Harmonie und Einheit des Absoluten stehenden Verweisungscharakters einen ihr spezifischen, religiös-moralischen Impuls zu setzen vermag: „Ehe wir die Ideen ästhetisch d.h. mythologisch machen, haben sie für das Volk kein Interesse, und umgekehrt: ehe die Mythologie vernünftig ist, muß sich der Philosoph ihrer schämen. So müssen endlich Aufgeklärte und Unaufgeklärte sich die Hand reichen, die Mythologie muß philosophisch werden, um das Volk vernünftig, und die Philosophie muß mythologisch werden, um die Philosophen sinnlich zu machen. Dann herrscht ewige Einheit unter uns … dann herrscht allgemeine Freiheit und Gleichheit der Geister! – Ein höherer Geist vom Himmel gesandt, muß diese neue Religion unter uns stiften, sie wird das letzte, größte Werk der Menschheit sein.“103 Hölderlins Einforderung einer platonisch-klassizistischen MythosFormel scheint evident. Doch sein Wunsch nach einer durch einen 49 50 höheren, vom Himmel gesandten Geist sich offenbarenden neuen Mythologie deckt sich mit der von Schelling gegebenen Bestimmung christlicher Religion und christlichen Kultes: „Unter einem Volk, in dessen Poesie die Begrenzung, das Endliche, herrschend ist [so im Griechentum], ist die Mythologie und die Religion Sache … des Geschlechts, sofern es selbst Individuum und einem einzelnen Menschen gleich ist … wo dagegen das Unendliche, das Allgemeine herrschend ist [so im Christentum], kann das Individuum nie zugleich zur Gattung werden, es ist Negation der Gattung. Hier kann also die Religion nur durch den Einfluß einzelner von überlegener Weisheit sich verbreiten, die nur persönlich vom Allgemeinen und Unendlichen erfüllt, demnach Propheten, Seher, gottbegeisterte Menschen sind. Die Religion nimmt hier nothwendig den Charakter einer geoffenbarten Religion an, und ist darum schon in ihrem Fundament historisch. Die griechische Religion, als poetische, durch die Gattung lebende Religion, bedurfte keiner historischen Grundlage, so wenig als es die immer offene Natur bedarf. Die Erscheinungen und Gestaltungen der Götter waren hier ewig; dort, im Christentum, war das Göttliche nur flüchtige Erscheinung und mußte in dieser festgehalten werden … „Von dem Begriff der Offenbarung ist der des Wunders unzertrennlich … Der Begriff des Wunders ist in der griechischen Mythologie unmöglich, denn die Götter sind da selbst nicht außer- und übernatürlich, es sind da nicht zwei Welten, eine sinnliche und übersinnliche, sondern Eine Welt. Das Christentum, welches nur in der absoluten Entzweiung möglich ist, ist in seinem Ursprung schon auf Wunder gegründet. Wunder ist eine vom empirischen Standpunkt aus angesehene Absolutheit, die in die Endlichkeit fällt, ohne deßwegen ein Verhältniß zu der Zeit zu haben. „Das wunderbare … ist nun der einzige mythologische Stoff des Christenthums.“104 Diesen mythologischen Stoff einer bloße Formen tradierenden und fixierenden dogmatisch-religiösen Konvention zu entreißen und anverwandelnd neu zu beleben, ist dem romantischen Künstler als Schöpfer einer Kunstreligion – damit Hölderlins Forderung nach einer die moralisch-ästhetische Einheit stiftenden „ästhetischen Kirche“ einlösend – vorbehalten. „Die Religion“, schreibt Richard Wagner in seiner späten, im Geiste des Parsifal konzipierten Abhandlung „Religion und Kunst“, „die Religion lebt … nur noch künstlich, wann sie zu immer weiterem Ausbau ihrer dogmatischen Symbole sich genötigt findet, und somit das Eine, Wahre und Göttliche in ihr durch wachsende Anhäufung von, dem Glauben empfohlenen, Unglaublichkeiten verdeckt … Man könnte sagen, daß da, wo die Religion künstlich wird, der Kunst es vorbehalten sei, den Kern der Religion zu retten …“105 Eine den Kern der Religion in der neuen mythologischen Hülle konservierende Kunstreligion bleibt an die Schellingsche Definition des Christlichen und des christlichen Kultes gebunden. Die damit bedeutete Einformung eines schlechthin Ungeformten durch den die neue mythische Form formenden Künstler entspricht den Prinzipien der in obigem methodischem Diskurs gegebenen Deduktion der Kunst und ihrer sie reflektierend beschließenden architektonischen Hülle als das Paradigma des romantisch Wunderbaren. Die dem Wunderbaren spezifische Isolation – „Wunder ist eine vom empirischen Standpunkt aus angesehene Absolutheit, die in die Endlichkeit fällt, ohne deßwegen ein Verhältniß zu der Zeit zu haben“, definierte Schelling – artikuliert sich denn auch in einer dem architektonisch ‚Wunderbaren‘ spezifischen Monumentalität des Baukörpers einerseits, in einer geographisch-städtebaulichen Isolation des Kultbaues andererseits.106 Aber nicht nur das sich ‚petrifizierende‘ Kunstwerk, auch der das ‚Wunder‘-Werk als Mittler wirkende Künstler ist Repräsentant der 51 52 dem Offenbarungscharakter der Kunst typischen (zeitlich-räumlichen) Entrücktheit. In diesem Sinne schreibt Richard Wagner in seiner Abhandlung „Das Publikum in Zeit und Raum: „Wenn wir in der Betrachtung des Verlaufes der Geschichte nichts anderem nachgehen als den in ihm vorwaltenden Gesetzen der … Oberfläche der Erde … so müssen wir uns bei dem fast plötzlichen Auftauchen überragender geistiger Größen oft fragen, nach welchen Gesetzen wohl diese gebildet sein möchten. Wir können dann nichts anderes als ein, von jenen ganz verschiedenartiges Gesetz annehmen, welches, vor dem geschichtlichen Ausblicke verborgen, in geheimnisvollen Sukzessionen ein Geistesleben ordnet, dessen Wirksamkeit die Verneinung der Welt und ihrer Geschichte anleitet und vorbereitet. Hierbei bemerken wir nun, daß gerade diejenigen Punkte, in welchen diese Geister mit ihrer Zeit und Umgebung sich berühren, die Ausgänge von Irrtümern und Befangenheiten für ihre eigenen Kundgebungen werden, so daß eben die Einwirkungen der Zeit … das Schicksal der großen geistigen Individuen dahin entscheiden, daß ihr Wirken, dort, wo es ihrer Zeit verständlich zu sein scheint, für das höhere Geistesleben sich als nichtig erweist, und erst eine spätere … zu richtiger Erkenntnis gelangte Nachwelt den wahren Sinn ihrer Offenbarungen erfaßt.“107 Wagners Diktum, daß der Wesensgehalt eines, sprich: seines Werkes erst einer späteren Generation verständlich werde, scheint vorrangig vor dem Hintergrund der intellektualistisch-formalistischen Rezeption und Rezension seines Werkes gesehen werden zu müssen. Im Gegensatz dazu hat Friedrich Nietzsche im Werke Wagners das ‚magische‘ Moment, also die von Hölderlin und Schlegel propagierte allgemeine Mitteilbarkeit und Verständlichkeit der neuen Mythologie, unmittelbar gegeben gesehen: „… die Größe Wagners [besteht] … gerade in jener dämonischen Mitteilbarkeit, welche gleichsam in allen Sprachen … redet und das innere … Erlebnis mit der höchsten Deutlichkeit erkennen läßt; sein Auftreten in der Geschichte der Künste gleicht einem vulkanischen Ausbruch des gesamten ungeteilten Kunstvermögens der Natur … „Das Dichterische in Wagner zeigt sich darin, daß er in sichtbaren und fühlbaren Vorgängen, nicht in Begriffen denkt, das heißt, daß er mythisch denkt, so wie immer das Volk gedacht hat. Dem Mythus liegt nicht ein Gedanke zugrunde … sondern er selbst ist ein Denken; er teilt eine Vorstellung von der Welt mit, aber in der Abfolge von Vorgängen, Handlungen und Leiden. Der Ring des Nibelungen ist ein ungeheures Gedankensystem ohne die begriffliche Form des Gedankens. Vielleicht könnte ein Philosoph etwas ganz Entsprechendes ihm zur Seite stellen, das ganz ohne Bild und Handlung wäre und bloß in Begriffen zu uns spräche: dann hätte man das gleiche in zwei disparaten Sphären dargestellt, einmal für das Volk und einmal für den Gegensatz des Volkes, den theoretischen Menschen.“108 Nietzsches Hölderlins systemprogammatische Ideen perpetuierende Interpretation des Wagnerschen Werkes als magisch-sinnliche Philosophie legt es nahe, die dem „Volk“ „fühlbaren“, vom „theoretischen Menschen“ zu reflektierenden „Vorgänge“ der Musik gleichzusetzen. Damit wäre der Übergang zu der die theoretischen Äußerungen Nietzsches und Wagners gleichermaßen begründenden Ästhetik Arthur Schopenhauers vollzogen. Angesprochen ist die in Schopenhauers Metaphysik der Musik formulierte Affinität von Musik und Philosophie; dort heißt es: „Wenn ich nun in dieser ganzen Darstellung der Musik bemüht gewesen bin, deutlich zu machen, daß sie in einer höchst allgemeinen Sprache das innere Wesen, das Ansich der Welt, welches wir … unter dem Begriff Willen denken, ausspricht, in einem einartigen Stoff, nämlich bloßen Tönen, und mit der größten Bestimmtheit und Wahrheit; wenn ferner … die Philosophie nichts Anderes ist, als eine vollständige und richtige Wiederholung und 53 54 Aussprechung des Wesens der Welt, in sehr allgemeinen Begriffen … so wird wer mir gefolgt und in meine Denkungsart eingegangen ist, es nicht so sehr paradox finden, wenn ich sage, daß … eine vollkommen richtige, vollständige und in das Einzelne gehende Erklärung der Musik … sofort auch eine genügende Wiederholung und Erklärung der Welt in Begriffen … also die wahre Philosophie seyn würde, und daß wir folglich den … Ausspruch Leibnitzens … parodieren können: Musica est exercitium metaphysices occultum nescientis se philosophari animi (Die Musik ist eine unbewußte Übung in der Metaphysik, bei der der Geist nicht weiß, daß er philosophirt).“109 (Man erinnere sich: Nietzsche hatte die Parodie parodiert, indem er sinngemäß formulierte: Der „Mythus“ ist eine unbewußte Übung im Denken, bei dem das Volk nicht weiß, daß es denkt.) Bindet man diese Kernstelle in Schopenhauers Ästhetik an die vorab vorgetragenen, den neuen Mythos umkreisenden Aspekte, so ergibt sieh die Reihung: (christliche) Religion = (neuer) Mythos = Musik (mit ihrem architektonischen Pendant 110) = Gedankensystem = Philosophie = ( vernünftige) Religion. Diese sich gleichsam zu einem ‚heiligen‘ Kreis schließende, zyklisch reproduzierbare Reihung hat ihren den absoluten Zusammenhang begründenden ‚Nord‘-Pol im Negativum des ungestalteten Absoluten einerseits, ihren ‚südlichen‘ Pol im sinnlichen Medium der unmittelbar das Absolute vermittelnden Musik andererseits. Damit ist die Musik als die zentrale, weil die sakrale Intention repräsentierende Komponente der neuen Mythologie ausgewiesen: „Wo ist auch wohl“, schreibt Karl Wilhelm Ferdinand Solger, „irgend eine Anstalt der neueren Welt, die so die Macht der Künste zu einem Zauber vereinigte, wie der vollständige musikalische Gottesdienst im Gesange heiliger Hymnen vor den Gemälden göttlicher Handlungen, und umgeben von dem kühnen und die Seelen zum Höchsten emporhebenden Bau des Gotteshauses? Hier zieht in der That die Seele alle diese verschiedenen Elemente in den Abgrund ihres Innersten, und erbaut, wie der Ausdruck mit Recht lautet, durch die Kunst, sich selbst zur Wohnung der gegenwärtigen Gottheit. Wenn also die vollständigste Verbindung der Künste bei den Alten die größte Wirklichkeit derselben, das Drama, war, so ist sie bei den Neueren, wie wir deutlich sehen, im reinsten Inneren der Idee, der Gottesdienst.“111 Hier ist die der neuen Mythologie spezifische Identität von theatralischem und kirchlichem Kultus auf das deutlichste ausgesprochen. Es ist eine Identität, die auf der Basis einer beiden Ritualen gemeinsamen Intentionalität begriffen werden muß und die präzise in dem deduzierten „Erlebnis der Ewigkeit der Idee“ erfaßt sein dürfte. Wenn die frühromantisch-philosophische Methode dem „theoretischen Menschen“ den Wesenskern dieses Erlebnisses: Auflösung des Endlichen in das Unendliche der Idee hat nahe bringen können, so ist es das religiös-theatralische Ritual, das ob seiner konkreten Bestimmtheit, ob seines Vorzuges allgemeiner Mitteilbarkeit und Verständlichkeit dem „Volk“, der Gemeinde dieses Erlebnis aufzuschließen vermag. – Von religiöser Kunst und Kunstanschauung zu sprechen, heißt demnach nichts anderes, als eine dem ‚inneren Leben‘ des Gegenstandes adäquate Rezeptionshaltung als allgemein verbindlich mitzumeinen: Der einzelne Erlebende erfährt sich vermittels des Erlebnisses des Absoluten als mit den (neben, hinter, vor,) mit ihm im Gemeinde/Zuschauerraum plazierten Miterlebenden identisch – und erst hier entfaltet das sakrale Kunsterleben die von Hölderlin gewünschte moralische Komponente: Es ist die „Intentionale Tätigkeit“112 des Feierns, des sich gemeinsam auf etwas Versammelns, die diesem Erlebnis spezifisch ist: „Es ist nicht einfach das Beisammensein als solches, sondern die Intention, die alle eint und die sie hindert, in Einzelgespräche zu zerfallen oder sich in Einzelerlebnisse zu zersplittern.“113 55 56 Dieses in einem universalen Gefühl kulminierende, eine überindividuell-religiöse Vereinigung intendierende, von allen individuellen Wünschen und Zwecken gereinigt zu denkende, weil die Reduktion, die Auflösung auf das Absolute der Ideen vollziehende Erleben, findet in der die Erlebenden ausrichtenden und einigenden, den neuen Mythos beschließenden architektonischen Hülle seinen der anschaulichen Empirie zugängigen Ausdruck. Diesen bedeutet Karl Wilhelm Ferdinand Solger, wenn er „die Verbindung der Baukunst mit der Religion“114 betont: „Der Begriff, mit der Materie verbunden, muß die Idee darstellen, wie sie alle Besonderheit aufhebt. Diese Aufhebung der Besonderheit durch die Offenbarung der Idee ist etwas Religiöses; daher die Baukunst, die ein Universum in bestimmten Grenzen darstellt, als die äußere Gestaltung der Religion erscheint.“115 III. Die Deduktion des konkreten architektonischen Werks – das Festspielhaus Bayreuth Wiewohl sich am Leitfaden der Deduktion der Zusammenhang, sprich: die höhere Identität von mythologischer Architektur, neuem Mythos, mythologischem Denken, romantischer Methode, letzterer Affinität mit dem Erleben abgezeichnet hat, bleibt die Frage zu beantworten, wie sich ein sich anfänglich in der Abstraktheit des Denkens bewegendes Spekulieren ein individuelles „Faktum“116, wie in der neuen Mythologie gegeben und von der mythologischen Architektur beschlossen, zu schaffen vermag – ursprünglicher formuliert: die Frage geht auf die Deutung und Beschreibung einer sukzessiven Entfaltung des konkreten Werkes aus dem ‚Nichts‘, aus dem Apriori der Ideen. Den Bereich unserer methodischen Erwägungen einbeziehend, heißt es bei Friedrich Wilhelm Joseph Schelling: „Das Absolute an und für sich bietet keine Mannichfaltigkeit dar, es ist insofern für den Verstand eine absolute, bodenlose Leere. Nur im Besonderen ist Leben. Aber Leben und Mannichfaltigkeit … ist ursprünglich und an sich nur durch das Princip der göttlichen Imagination, oder, in der abgeleiteten Welt, nur durch die Phantasie möglich, die das Absolute mit der Begrenzung zusammenbringt und in das Besondere die ganze Göttlichkeit des Allgemeinen bildet.“117 „… Im Verhältniß zur Phantasie bestimme ich Einbildungskraft als das, worin die Produktionen der Kunst empfangen und ausgebildet werden, Phantasie, was sie äußerlich anschaut, sie aus sich hinauswirft gleichsam, insofern auch darstellt. Es ist dasselbe Verhältniß zwischen Vernunft und intellektueller Anschauung. In der Vernunft und gleichsam vom Stoffe der Vernunft werden die Ideen innerlich gebildet, die intellektuelle Anschauung ist das innerlich Darstellende. Phantasie also ist die intellektuelle Anschauung in der Kunst.“118 57 58 Schelling, so wird man richtig verstehen, beschreibt eine Parallelität von ‚innerer‘, intellektueller und ‚äußerer‘, phantasiemäßiger Anschauung, deren Zusammenhang man sich nur in einem von einer Expansion nach außen begleiteten Übergang im künstlerischschöpferischen Prozeß einerseits (Einbildungskraft-Phantasie), in einem plötzlich zur Idee sich kontrahierenden Übergang in dem ästhetischen Erleben andererseits wird vorstellen können. Ganz in diesem Sinne formuliert der an Schellings Ästhetik orientierte Arthur Schopenhauer: „Den Uebergang von der gemeinen Erkenntniß der Dinge zur Erkenntniß der Ideen geschieht plötzlich, indem … das Subjekt aufhört ein bloß individuelles zu sein und jetzt reines, willenloses Subjekt der Erkenntniß ist, welches nicht mehr den … Relationen nachgeht; sondern in fester Kontemplation des dargebotenen Objektes … ruht und darin aufgeht.“119 Hat diese, die Exzentrik der Idee betonende Beschreibung einer sprunghaft-plötzlich „zur Erkenntniß der Ideen“ gelangenden Anschauungsweise ihre weil die Dynamik des Erlebnisvorganges charakterisierende Gültigkeit, so denkt man sich den vehementen Wechsel von der äußeren zur inneren Anschauung in seiner Umkehrung: im schöpferischen Prozeß, durch eine kontinuierliche Expansionsbewegung – bis hin zur finalen Gestaltung des architektonischen Werkes – ersetzt Diese Bewegung, die die negative Zielrichtung abstrahierender Dialektik mit dem konkreten, mythologischen Werk verbindet, scheint nur durch eine allen Sprung vermeintlich vermittelnde Poetisierung120 – also die einbildende Phantasie – gelöst werden zu können. So hat Kierkegaard getan, wenn er formuliert: „... während die Dialektik ein gänzlich abstraktes und zuweilen ein negatives Ergebnis liefert, [will] das Mythische weit mehr geben … das Mythische … ist die Fremdlingschaft der Idee, ihre Äußerlichkeit, d.h. ihre Zeit- und Raumbestimmtheit unmittelbar als solche … Das Dialektische rodet alles Ungehörige aus und versucht nun zur Idee empor zu klimmen;“121 (genau das ist die Intention der auf das Absolute zielenden romantischen Methode.) Ob der Beschwerlichkeit, das Ziel des dialektischen Kraftaktes: den spitzen Gipfel, den Kulminationspunkt der Idee zu erreichen – „da dies jedoch mißlingt“122, schreibt Kierkegaard, „rührt sich die Phantasie. Der dialektischen Mühen müde, legt sich die Phantasie hin und träumt, und hieraus erzeugt sich das Mythische. Während dieses Träumens schwebt die Idee eilend vorüber in einem unendlichen Nacheinander [Zeit, Musik, (Gebärde, theatralische Handlung)], oder sie bleibt stehen und weitet sich aus mit unendlicher Gegenwärtigkeit im Raume [Plastik, Malerei, Architektur]. Das Mythische ist somit der Enthusiasmus der Phantasie im Dienste der Spekulation …“123 Kierkegaards Worte machen deutlich: der nach dem ‚Nichts‘ des Absoluten begehrende, demzufolge sich an die Macht der Spekulation verlierende Künstler, empfängt (im Traume) als eine seine unendliche Sehnsucht, als eine sein Streben nach dem Nichts intermittierende Metapher den Mythos: „Das … Negative aber, welches des Denkens ewige Unruhe ist, trennend und verbindend, das da also vom Gedanken nicht festgehalten werden kann, weil es das den Gedanken Vorantreibende ist, es steht allhier für die Phantasie stille und verweilt sich, es dehnt sich für die Anschauung aus. Darin liegt das Mythische … Was somit die mythische Darstellung über die dialektische Bewegung hinaus gibt, ist, daß sie das Negative sichtbar macht.“124 Kierkegaard – man beachte den von ihm gegebenen Einsatzpunkt des Mythischen – interpretiert das Mythische als eine die Reinheit der transzendentalen Anschauung phantastisch approximierende, die methodisch-dialektische Auflösungsbewegung interrupierende Größe. Damit scheint der revolutionär-romantische Anspruch einer der Negativität der absoluten Anschauung allererst entspringenden, diese positiv ausdeutenden und ausgestaltenden „neuen Mytho- 59 60 logie“ preisgegeben. Doch ein Vergleich mit den ‚spätromantisch-epigonalen‘ Mythostheorien erhellt die von Kierkegaard in Anspruch genommene Befindlichkeit des Träumens als zureichende Metapher der intellektuellen Anschauung, in der sich die Phantasietätigkeit unmittelbar begründet. Die Traummetapher findet sich bei Richard Wagner, dessen aus fatidiken Träumen erwachender Künstler ein dem absoluten Willen adäquates ‚Bild‘ in zeitlich-räumlicher Bestimmtheit zu formen vermag125, sie findet sich auch bei Friedrich Nietzsche, dessen „… Rausch- und Traumkünstler … wir uns etwa zu denken haben, wie er, in der dionysischen Trunkenheit und mystischen Selbstentäußerung, einsam und abseits von den schwärmenden Chören niedersinkt und wie sich ihm nun, durch apollinische Traumeinwirkung, sein eigener Zustand, d.h. seine Einheit mit dem innersten Grunde der Welt in einem gleichnisartigen Traumbilde offenbart.“126 Die von Nietzsche, Wagner (s.u.), Kierkegaard gleichermaßen geltend gemachte Hierarchie musikalisch-dionysischen Vorübereilens der Idee in der Zeit einerseits, ihr apollinisches sich Ausweiten und Stehenbleiben, „mit unendlicher Gegenwärtigkeit im Raume“ andererseits, intendiert das, was sich eine kontinuierlich expandierende Entwicklungsreihe der Kunst nennen ließe. Durchaus bedacht ist die Zeitkunst „Musik“, die die bewußtseinsimmanente Anschauungsform „Zeit“ konkretisiert, an den Anfang dieser Entwicklungsreihe gesetzt, denn die Musik ist zureichender Ausdruck der ursprünglichen, also die Reinheit der intellektuellen Anschauung differenzierenden Denkbewegung. „In der Musik“, definiert Karl Wilhelm Ferdinand Solger – und hier ist eine Musik der reinen Innerlichkeit gemeint – „in der Musik wird der reine Gedanke Thätigkeit und Bewegung, und zwar als bloße Form des Erkennens unter dem Gesetze des Zeitmaßes und der Bewegung, nicht als substantieller [d.h.: von der äußeren Erfahrung abgezogener] Begriff, sondern als Identität seiner eigenen Thätigkeit.“127 Diese ‚musikalische‘, abstrakte Begriffe setzende wie reflektierende, die Gesetze des Geistes repräsentierende Bewußtseinstätigkeit fällt also allererst nicht in die Sphäre des Empfind- und damit Mitteilbaren. Erst der „Laut“, erst der ‚magisch‘ ausgegebene „Ton“*) verwandelt die apriorische Bestimmtheit immanent-musikalischer Denkakte in diese unmittelbar vermittelnde Empfindungsdata, die, weil musikalisch, d.h. harmonisch geordnet**), in nämlicher Unmittelbarkeit an ihren absoluten Ursprungsort verweisen, denn *) Zum Zusammenhang/Übergang: Idee – (Denken) Begriff – Laut – Ton folgende Textstellen aus Solgers Ästhetik: „Die Musik drückt das Bewußtsein aus, wie es sein eigener Stoff in der Wirklichkeit ist. [Die Musik ist also nicht entäußernd, sondern sich gleichsam in sich selbst äußernd: das Medium der Musik ist das Bewußtsein selbst.] Diese Aeußerung des Bewußtseins geschieht durch den Laut … Es ist die Objectivität der bewußten Seele, die sich im Laut ausdrückt, welcher mithin kein Mittel der Mittheilung ist … sondern einzig und allein Mittel der Selbsobjectivierung, wodurch die Idee Wirklichkeit wird … Im Laute selbst an sich ist keine Mannichfaltigkeit, die äußerlich als Object betrachtet werden könnte.128 „Der Laut muß, wenn er existiren soll, sich nothwendig als Ton von sich selbst unterscheiden; sonst währe er bloßer Gedanke oder bloße Zeit [Quantität], nicht Erfüllung derselben.“129 So hat „der Laut als Ausdruck einer bestimmten Affection des Bewußtseins auch eine Qualität. Qualität und Quantität des Lautes müssen sich beide mit dem Begriff verbinden durch das Verhältniß oder ein mathematisches Mittelglied, worin der reine Begriff in der Zeit auf bestimmte Weise modificiert wird. Durch die Beziehung auf dies Verhältniß wird der Laut zum Ton, worin Begriff und Stoff ineinander übergehen. Der Ton ist der durch das Verhältniß qualitativ und quantitativ bestimmte Laut.“130 **) Zur Deutung von Harmonie und Rhythmus folgende weitere Textstelle aus Solgers Ästhetik: „Die Quantität äußert sich in der Musik dadurch, daß der allgemeine Begriff sich im Gleichartigen wiederholt, dessen periodische Eintheilung den Rhythmus ausmacht … Der Rhythmus ist an sich bloß Quantität, d.i. Zeiteintheilung ohne Stoff. Die Wiederkehr der Einheit in der quantitativen Zeitreihe … ist der Tact … Aber auch die Mannichfaltigkeit der Töne der Qualität nach ist durch den Contrast in eine Einheit zu verbinden, welche die Harmonie ausmacht.“131 61 62 *) Der hier angesprochene musikalisch-erlebnismäßige Reduktions- bzw. Kontraktionsprozeß mit seiner auflösend-ironischen Durchbrechung der Form des (ästhetischen) Gegenstandes kann Allegorisierungsprozeß genannt werden; genau das tut Schelling, wenn er formuliert: „Was nun die Allegorie betrifft, so ist sie das Umgekehrte des Schema … so, daß Besonderes hier das Allgemeine bedeutet oder als Allgemeines angeschaut wird.“143 ierenden Bild der Linie weniger ein Wink auf die die Musik supplierende Raumkunst: Architektur gegeben, vielmehr ist die Musik in ihrer alle zeitlich-räumliche Kontur antizipierenden schematischen Struktur ausgewiesen. Diesen in der allgemeinen ‚Sprache‘ der Musik gegründeten Schematismus charakterisiert Schelling wie folgt: „Diejenige Darstellung, in welcher das Allgemeine das Besondere bedeutet, oder in welcher das Besondere durch das Allgemeine angeschaut wird, ist Schematismus.“139 Das Schema „steht insofern … zwischen dem Begriff und dem Gegenstand in der Mitte …“140 Es ist die „Regel“, welche die Hervorbringung des Gegenstandes leitet, „bis … das Schema allmählich zum völlig concreten Bild wird.“141 Diese Definition eines sich in musikalischer Begrifflichkeit schematisierenden Bildes erlaubt es, den Bezug zu unseren methodischen Erwägungen herzustellen: der im schöpferischen Akt eine musikalisch-schematische Kontur ausbildende Künstler bewegt sich im Bereich einer das spekulative ‚Nichts‘ formierenden, vor-bildlichen ‚Methode‘ bei Umkehrung der methodischen Bewegungsrichtung: nicht die sprunghaft-kontraktive Auflösung eines vorgegebenen, durch den (künstlerischen) Verstand142 geformten Werkes in den Urgrund einer allen Werkbegriff ironisierenden Idee*) ist hier zur Aufgabe gemacht, vielmehr die gedankliche Ausbildung eines der absoluten Idee immanenten, diese spatiierenden, damit alle *) In diesem Sinne schreibt Wagner in seinem im folgenden noch zu zitierenden Beethovenaufsatz: Die allegorische, sich mit dem Begriff des „Erhabenen“ deckende Deutung der Musik findet sich auch immer wieder in den theoretischen Schriften Richard Wagners betont. „… nicht bloß zum Ausdruck der besonderen [zerstreuten] Empfindungen ist die Musik da; diese sind nichts als momentane Zustände, welche für die Kunst nur durch die Verbindung in eine Einheit etwas werden können. Die momentane Empfindung muß daher mit der Einfachheit des menschlichen Gemüthes sich durchdringen. Der allgemeine menschliche Geist als reine Abstraction ist in jedem Moment der Musik gegenwärtig zu denken. Indem so mit der Musik immer die allgemeine Form der einfachen geistigen Thätigkeit verbunden ist, ist die Musik einerseits inneres Fühlen der Seele überhaupt, andrerseits Ausdruck der besonderen Empfindung. Beides muß sich innig durchdringen und eben dadurch die Idee darstellen, indem die Musik immer als das Allgemeine und dieses selbst zugleich als momentaner Zustand empfunden wird, also nicht die Empfindung allein, sondern die einfache Form des Denkens in ihr verwirklicht erscheint.“132 Diese von Karl Wilhelm Ferdinand Solger konstatierte, in Musikalisch-Empfindbarem sich unmittelbar formierende „allgemeine Form der einfachen geistigen Thätigkeit“ ist es, die bereits Arthur Schopenhauer und Friedrich Nietzsche in ihrer dämonisch133metaphysischen134 Deutung der Musik hervorgehoben, und als Apriori einer neuen Mythologie*) betont haben. Wenn Solger den sich in Tönen qualifizierenden, das reine Denken ‚mythisierenden‘ „Laut … die erste Dimension der geistigen … Natur“ 136 nennt und diesen als dem musikalischen Denken allererst eine bestimmte Richtung137 gebende „zeitliche Linie“138 bezeichnet, so ist in dem eine Raumvorstellung assozi- „Wir dürften somit nicht irren, wenn wir in der Musik die apriorische Befähigung des Menschen zur Gestaltung des Dramas überhaupt erkennen wollten.“135 63 64 Werkgestalt präformierenden Konkreten. Der musikalische Gedanke nun, in seiner zeitlich-linearen Struktur, bedeutet den Beginn aller zeitlich-räumlichen Besonderung; in dieser potentiellen Bestimmung des Raumes liegt seine schematische Kraft. Die in der Reinheit einer sie begründenden Begrifflichkeit eine räumliche Verwandtschaft zu allem musikalischen schematisieren verratende, wiewohl dieser dialektisch entgegenstehende Kunstäußerung ist nun die Architektur: „Die Bestandtheile der Kunst sondern sich in Architectur und Musik völlig voneinander ab … In der Musik tritt der Begriff als bloße Form, als freie einfache Thätigkeit auf, daher als Laut, welcher [in einem apriorischen Linienziehen] die Zeit erfüllt144, resümiert Solger die Definition der Musik. „In der Architectur … ist der Gegenstand bloßer Stoff ...“145 Dieser „… Stoff [gemeint ist die ansich ungestaltete ‚Materie‘, das Nicht-Ich (im Fichteschen Sinne)] wird die Darstellung der unmittelbaren Gegenwart des Begriffes ...“, denn „… in der Architectur reißt sich der Gedanke [in einem diesen konkretisierenden „Sprung“146] von dem denkenden Vermögen los und wird einheimisch im Raume, durch das Mittelglied, welches den Gedanken und sein Gesetz mit dem unorganischen Stoff verbindet. Dieses ist das Verhältniß, das Schema der Einbildungskraft, welches den bloßen Stoff auf den Begriff des Raumes zurückführt.“147/*) So ist die in der Architektur *) Hier eine ergänzende Textstelle zur schematischen bzw. mathematischen Deutung der Kunst: „Wird nun [– wie in der Architektur – das] Selbstbewußtsein des Künstlers, wie es das Wirken der Idee in ihm ist, auf den bloß äußeren Stoff angewendet, so kann dieser unter keine andern Begriffe gebracht werden, als unter solche, die auf das bloße nicht individualisierte Material vollständig anwendbar sind. Solche Begriffe aber sind mathematische, und das Bindungsmittel zwischen dem Stoffe und dem allgemeinen Begriffe, in welchem beides zusammenfällt, nennen wir das Verhältniß. Bloß mathematische Begriffe dürfen hier nicht gestaltete Materie für uns nichts, „… außer wenn wir [sie wieder] in die Beziehung [der reinen Begriffe] auflösen.“149 In der hier geforderten, den terminus technicus des deduzierten Ewigkeitserlebnisses aktualisierenden Auflösung der architektonischen Erscheinungsform in eine diese transzendierende wie sie begründende Begrifflichkeit ist die Affinität des erlebnismäßigen Zugangs zu Architektur und Musik betont*). Solger unterstreicht in seiner den Kosmos der Künste differenzierenden Analyse die diesen beiden Künsten gemeinsame Erlebnisdimension: „Musik und Architectur“, schreibt er, „wirken wesentlich verschieden von den andren Künsten, weil sie … die Modification des Selbstbewußtseins im Allgemeinen ausdrücken. (Bei der Plastik und Malerei muß sich der Beschauer ganz in das Kunstwerk verlieren.) In der Architectur und Musik muß er sich selbst zum Kunstwerk machen; sich hingeben, damit das Kunstwerk in sein empfängliches Gemüth aufgenommen werde und dieses mit dem Kunstwerke in Eins aufgeht.“151 Trotz dieser erlebnismäßigen wie im Bilde des Schematisierens übereinstimmenden Qualität von Musik und Architektur bleibt das verstanden werden, da es bei diesen durchaus nicht auf den Stoff, sondern nur auf die Form ankommt. Es muß hier immer ein besonderer, bestimmter Begriff sein, zwischen welchem und dem Stoffe ein mathematischer Mittelpunkt sich findet, worin beide aufgehen; und dieser ist das Verhältniß. Zu dem Verhältniß gehört also 1) ein Stoff, der an sich nicht Begriff ist; 2) ein Begriff, der nicht bloße Form ist, und 3) die Durchdringung beider, welche eben das Verhältniß ausmacht. Die Kunst, welche den äußeren Stoff durch das Verhältniß dem Begriffe unterwirft, nennen wir die Architectur.148 *) vgl. auch folgende Textstelle: „So vermag die Musik uns selbst durch den Moment der Erscheinung in die Gegenwart des Ewigen zu versetzen, indem sie unsere Empfindung in die Einheit der lebendigen Idee auflöst. Die Baukunst macht das göttliche Wesen objectiv im Raume; die Musik löst unser Bewußtsein in die Wahrnehmung des Ewigen auf.“150 65 66 Problem einer Vermittlung ihrer disparaten Erscheinungsweisen in Zeit und Raum. Eine die Polarität zeitlich-räumlicher Empfindungsdata betonende Textstelle aus Johann Gottlieb Fichtes populärphilosophischer Schrift „Die Bestimmung des Menschen“ vermag das in der Frage stehende Übergangsproblem zu akzentuieren und einer der behaupteten „expansiven Entwicklungsreihe der Kunst“ genügenden Lösung zuzuführen: „Empfindungen … sind schlechthin nichts Ausgedehntes, sondern ein Einfaches; und verschiedene sind nicht neben einander im Raume, sondern sie folgen nach einander in der Zeit“152, bemerkt Fichtes mit dem „Geist“ dialogisierendes „Ich“ in Übereinstimmung mit der gegebenen Wesensbestimmung der Musik. „Nun aber“, so fährt das über die Verfahrensweise des Geistes meditierende „Ich“ fort, „verbreite ich dieselben [Empfindungen] durch einen Raum … Ich entdecke, dass ich in der That ebenso verfahre, wie der Geometer mich seine Figuren construiren lässt, und den Punct zur Linie, die Linie zur Fläche ausdehne. Es nimmt mich Wunder, wie ich dazu komme.“153 Dieses Wunder einer sprunghaft-räumlich-geometrischen Verbreiterung, in der sich „… das, was eigentlich nur [zeitlich-musikalische] Empfindung ist, … in ein [räumlich-architektonisch] Empfindbares verwandelt …“154 vermag einzig eine die disparaten Sphären des Erscheinens poetisch vermittelnde Kunsttheorie155 zu deuten. Verlangt ist demnach eine mythische Entstehungstheorie der neuen Mythologie. Diese gibt Richard Wagner in seinem sein eigenes musikdramatisches Schaffen reflektierenden Beethovenaufsatz. In diesem Aufsatz wird der das reine ‚Ist‘ der transzendentalen Anschauung allegorisierende Traumzustand als Werk und Werktheorie gleichermaßen begründend in Anspruch genommen. Es sei erlaubt, das Nietzschesche Bild eines in Abgeschiedenheit und Einsamkeit entrückten Traumkünstlers ‚unwissenschaftlich‘ zu adaptieren, um den Autoren Richard Wagner an einem isolierten, der romantischen Offenbarungsidee Ausdruck gebenden Ort träumend zu postieren – auf dem „Grünen Hügel“ in Bayreuth etwa; hier hinterläßt der Träumer Wagner die Senke seiner Schlafstelle: den „mystischen Abgrund“ – also den das erste „Faktum“ seines Festspielhauses bildenden, aller (äußeren) Wahrnehmung entzogenen Orchestergraben – als Indifferenzpunkt einer den traumgeborenen Mythos ummantelnden Architektur. Der ‚Träumer‘ Wagner entwickelt die zeitlich-räumlichen Komponenten eines Beethoven-Shakespeareschen – sprich: seines Musikdramas wie folgt: Der aus beängstigenden, fatidiken Träumen erwachende Künstler, so formuliert Wagner sinngemäß, artikuliert sein traumatisches Unbehagen durch einen Schrei, „in welchem sich ganz unmittelbar der geängstigte Wille ausdrückt … Wollen wir nun“, so fährt Wagner fort, „den Schrei, in allen Abschwächungen seiner Heftigkeit bis zur zarten Klage des Verlangens, uns als das Grundelement jeder menschlichen Kundgebung an das Gehör denken, und müssen wir finden, daß er die allerunmittelbarste Äußerung des Willens ist, durch welche er sich am schnellsten und sichersten nach außen wendet, so dürfen wir uns [weder] über dessen unmittelbare Verständlichkeit, [noch] über die Entstehung einer Kunst aus diesem Elemente verwundern.“156 Diese Kunst nun ist die den neuen Mythos fundierende Musik. Das von Wagner zwecks Darstellung ihrer Entstehung „analogisch in Betracht genommene Sprachvermögen erstreckt sich für den Musiker vom Schrei des Entsetzens bis zur Übung des tröstlichen Spieles der Wohllaute. Da er in der Verwendung der hier zwischenliegenden überreichen Abstufungen gleichsam von dem Drange nach einer verständlichen Mitteilung des innersten Traumbildes bestimmt wird, nähert er sich, wie der zweite, allegorische Traum, der Vorstellungen des wachen Gehirnes, durch welche dieses endlich das Traumbild zunächst für sich festzuhalten vermag. In dieser Annäherung berührt er aber, als äußerstes Moment seiner Mitteilung, nur die Vorstellungen 67 68 der Zeit … [vgl. Kierkegaard, Nietzsche, Solger, Fichte]. Während die, weder dem Raume noch der Zeit angehörige Harmonie der Töne das eigentlichste Element der Musik verbleibt, reicht der nun bildende Musiker der wachenden Erscheinungswelt durch die rhythmische Zeitfolge seiner Kundgebungen gleichsam die Hand zur Verständigung.“157 Dieses Bild, das deutlich in den räumlichen Vorstellungsbereich spielt, ist von Wagner durchaus bedacht gewählt; das zeigt sich bereits im folgenden Abschnitt seiner Deduktion: „Durch die rhythmische Anordnung seiner Töne tritt … der Musiker in eine Berührung mit der anschaulichen plastischen Welt, nämlich vermöge der Ähnlichkeit der Gesetze, nach welchen die Bewegung sichtbarer Körper unsrer Anschauung verständlich sich kundgibt. Die menschliche Gebärde …“158 ist es, in der Wagner diese erste Berührung mit der plastisch-räumlichen Welt gegeben sieht.*) Wagners ‚Deduktion‘ läßt sich wie folgt zusammenfassen: Wie die absolut gegründeten, der Erscheinung, damit aller Erfahrung trans- *) In der Umkehrung der von Wagner formulierten Lehre einer erlebnismäßigen Depotenzierung (Schopenhauer) der Gebärde auf ihr musikalisch Wesentliches wäre der Gedanke ihrer originär-musikalischen Deduktion gegeben; Wagner schreibt in Fortsetzung der vorab zitierten Textstellen: „Eben hier, auf dem Punkte des Zusammentreffens der Plastik mit der Harmonie, zeigt sich aber das … Wesen der Musik sehr deutlich als ein von dem Wesen namentlich der bildenden Kunst gänzlich verschiedenes; wie diese von der Gebärde, welche sie im Raume fixiert, die Bewegung der reflektierenden Anschauung zu supplieren überlassen muß, spricht die Musik das innerste Wesen der Gebärde mit solch unmittelbarer Verständlichkeit aus, daß sie, sobald wir ganz von der Musik erfüllt sind, sogar unser Gesicht für die intensive Wahrnehmung der Gebärde depotenziert, so daß wir sie endlich verstehen, ohne sie selbst zu sehen. Zieht somit die Musik selbst die ihr verwandtesten Momente der Erscheinungswelt in ihr, von uns so bezeichnetes Traumbereich, so geschieht dies doch nur, um die anschauende Erkenntnis durch eine mit ihr vorgehende Umwandlung gleichsam nach innen zu wenden, wo sie nun befähigt wird, das Wesen der Dinge … zu erfassen.159 zendenten Harmonien erst durch ihre zeitlich-rhythmische Strukturierung akustisch wahrnehmbar werden, so wird die Musik allererst durch einen den musikalischen Rhythmus in die raumplastische Gebärdensprache transponierenden ‚Reflexionsprozeß‘ der gesichtsmäßigen Wahrnehmung zugängig. Der soeben vorgetragene Zusammenhang von absoluter Harmonie, Rhythmus und Musik, Rhythmus und Gebärde*) ist uns bereits in der reflexiven Einheit von neuem Mythos und mythologischer Architektur begegnet. In der von Richard Wagner deduzierten und musikalisch legitimierten Gebärde scheint nunmehr ein die „expansive Entwicklungsreihe der Kunst“ füllendes Faktum gefunden, das zwischen mythisch-musikalischem Denken und mythologischer Architektur zu vermitteln vermag [vgl. auch zu den folgenden Abschnitten Bild 6]: Die Musik ist ein Denken, das Denken ist ein Linienziehen, das musikalische Denken ist ein in der ‚theatralischen‘ Gebärde reflektiertes Linienziehen; damit wird evident: die theatralische Geste entfaltet die zuvor unentfaltete räumliche Komponente der Musik, sie skizziert die schematische Kontur einer mythologischen, d.h. einer auf ihren metaphysisch-musikalischen Ursprung zurückverweisenden Architektur. Wie wird man sich diese gestische Andeutung von Raum vorzustellen haben? Die Musik ist die Kunst – das haben die Solgerschen Definitionen deutlich werden lassen – die das Absolute in der Form besonderer Empfindungen zu vermitteln vermag. Diese ein „Einfaches“**) seienden, nicht raumdeterminierenden Empfindungsmo- *) Assoziiert man hier Schellings Potenzenlehre, so ließe sich von einem Rhythmus in der ersten und zweiten Potenz sprechen. **) „Empfindungen … sind schlechthin nichts ausgedehntes, sondern ein Einfaches; und verschiedene sind nicht neben einander im Raume, sondern sie folgen nach einander in der Zeit“, bemerkte Fichtes mit dem „Geist“ dialogisierendes „Ich“. Entsprechend heißt es an einer anderen Stelle: 69 70 mente hat man als solche in das die Musik realisierende Subjekt zu setzen. Dieses musikalisch affizierte Subjekt läßt sich zunächst auf das ‚Bild‘ eines mathematischen Punktes reduzieren.*) Der diesen punktuell-subjektiven Empfindungen Ausdruck gebende Sänger-Darsteller tritt [Abb. 2]**) vermittels seiner musikalisch-physischen Tätigkeit an die den ursprünglichen Indifferenzund Anschauungszustand bezeichnende Stelle des Künstlers, und jetzt, durch die von der Musik getragene wie konstituierte Gebärde weitet sich der Punkt zum Raume: Es ist dies eine mit der musikalischen Empfindung anhebende, auf diese und ihren ideellen Ursprung zurückverweisende Geste [Abb. 3 und 4], die man sich in ihrem Sich-Öffnen, in ihrer die punktuelle Empfindung expan„D.G. Kannst du in demselben ungeteilten Moment auf entgegengesetzte Art empfinden – auf eine sich gegenseitig aufhebende Weise afficirt seyn ? „Ich. Keinesweges. „D.G. Jene verschiedenen Grade der Glätte, die du annehmen willst … sind doch wohl, inwiefern sie verschieden sind, entgegengesetzte Empfindungen, die in dir aufeinander folgen? „Ich. Ich kann dies nicht leugnen. „D.G. Du solltest sie sonach, wie du sie wirklich empfindest als nacheinander folgende Veränderungen desselben mathematischen Punctes setzen … keinesweges aber nebeneinander, als gleichzeitige Eigenschaften mehrerer Puncte in einer Fläche.“160 *) vgl. hierzu die folgende Textstelle aus J.G. Fichtes „Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre (1794): „Das Ich setzt sich selbst schlechthin, und insofern ist seine Thätigkeit in sich selbst zurückgehend. Die Richtung derselben ist … lediglich centripetal … Nach der äussersten Strenge genommen ist in der gegenwärtigen Vorstellungsart das Bild des Ich ein mathematischer, sich selbst durch sich selbst constituirender Punct, in welchem keine Richtung, und überhaupt nichts zu unterscheiden ist …“161 **) Die Abb. 2 bis 5 mögen als Illustrationen der hier vorgetragenen Deduktion dienen; man beachte besonders die erläuternde Skizze [Bild 6]. PR KT IO N DE N BÜHNENRAUM OJ E IN RA UM OZ PR EN IU E MS BE NE SÄNGER-DARSTELLER URSPRUNGSGEBÄRDE IK AUDITORIUM MYSTISCHER ABGRUND / „TOTALGEFÜHL“ MUS *) Die durch Bertel Thorvaldsens „Christus“ („KOMMER TIL MIG“) verbildlichte passiv-integrative Geste [Abb. 4], die in Gilbert Austins „Declamation“ zitierte162 aktiv-präsentative Geste [Abb. 3] bilden die ‚dialektischen‘ Pole der hier deduzierten Gebärde. dierenden Bewegung als ein Dreieck beschreibend, als die zentralperspektivische Struktur des Erlebnisses und des Erlebnisraumes prägend vorzustellen hat.*) So gerät der Darsteller und des Darstellers Gebärde zu einer anthropomorphen Architekturminiatur, die als eine über dem sog. „mystischen Abgrund“ (Wagner) schwebende, d.h. metaphysischmusikalisch begründete, in ihrer ihre Autonomie relativierenden Vermittlerrolle durch ein erstes architektonisches Element: den Proszeniumsbogen [Abb. 5] umfangen wird. Durch diesen eine vertikale Bewegungsebene aufrichtenden Proszeniumsbogen ist der Bild 6 Schaubild zur deduktiven Ableitung des Bayreuther Festspielhauses GEISTIGE ACHSE 71 72 absolute Ursprungsort der neuen, musikalischen Mythologie architektonisch definiert(vgl.: ANHANG V.1.). Zwecks weiterer Ausgestaltung der hier in deduktiven Schritten zu entfaltenden mythologischen Architektur hat man zu dem musikalisch affizierten Sänger-Darsteller zurückzukehren. Dessen die Proszeniumsebene horizontal durchbrechende Gebärde präformiert die Dimensionen eines sich aus dieser Ebenen antinomisch entfaltenden Innenraumes, der die anthropomorphe Vorformung im Erscheinungsbild gebauter Architektur monumentalisierend vollendet. Vergegenwärtigen wir uns diese im Detail anstehende Ausformung auf der Basis einer modifizierten Darstellung des bisher Vorgetragenen: Die den neuen Mythos weisende, in der ‚unendlichen‘ Tiefe des „mystischen Abgrundes“ lokalisiert zu denkende, ausdehnungslose, Abb. 2 u. 3 Gilbert Austin, Die Kunst der rednerischen und der theatralischen Declamation, Leipzig 1808, Illustrationen weil außer Raum und Zeit seiende Idee setzt die sie faktisch repräsentierende Empfindung in den diese Empfindung als ein Erfahrbares artikulierenden Sänger-Darsteller – die absolute Einheit der Idee wird hier zu einer durch die ‚plastisch‘-individuelle Einheit des Sänger-Darstellers vermittelten. Ausdruck dieser die Idee materialisierenden Vermittlung ist eine sich in der Geste des Darstellers vollziehende Drehung der vertikalen, der musikalisch-proszenischen in eine horizontale, in eine anschaulich-räumliche Expansionsbewegung. Folglich gilt es diese Geste nicht nur als von der Proszeniumsebene umschlossen, vielmehr als von dieser durchschnitten weil diese progressiv durchbrechend zu interpretieren. So ergibt sich das Bild eines parallel zu seiner fiktiven Grundseite geteilten Dreiecks, das in zwei disparate, durch die Grundrißlinie der Proszeniumsebene getrennte, sich Abb. 4 Bertel Thorvaldsen, Christus, Modell 1821 (vgl. Abb. 10) 73 74 Abb. 5 Friedrich Gilly, Studie aus Templin antinomisch entgegenstehende Teile zerfällt. Die Idee, Ursprung des mythologischen Werkkomplexes einerseits, Kulminationspunkt des die Idee erstrebenden Erlebens andererseits, hat man sich als in die Spitze des abgetrennten Dreiecks projiziert vorzustellen. Damit ist das ‚Kopf‘-System im Sinne einer Guckkastenbühne schematisiert und die mythologische Architektur auf ihre zureichende Erscheinungsform: Theaterarchitektur ‚reduziert‘.163 Die im Kontext architektonischer Gestaltwerdung noch ungedeuteten, sich jenseits der Proszeniumsgrundrißlinie fortsetzenden, von den sich öffnenden Armen des Sänger-Darstellers bedeuteten Dreiecks-Strahlen verbildlichen nicht nur die expansive Dimension des optischen Konkretisierungsprozesses [Idee – Bühnenbild („Symbolischer Hintergrund“ (Schinkel)164 – räumlich-plastische Requisiten – Darsteller], vielmehr weisen sie das Grundrißschema eines der Guckkastenbühne entgegenstehenden, sich kontinuierlich weitenden Zuschauerraumes, in den die auf das Bühnengeschehen ausgerichteten Zuhörer wie Zuschauer erlebnismäßig eingebunden werden. Die Endlichkeit der musikalischen Dynamik macht es, daß die gedanklich in das Unendliche fortsetzbaren Schenkel des anthropomorph-architektonischen Dreieckschemas ein Begrenzung erfahren – damit ist der in Gänze zentralperspektivisch strukturierte, den Erlebenden integrierende theatralische Innenraum ‚musikalisch‘ begrenzt und beschlossen. In dieser musikalisch gesetzten Raumgrenze bewährt sich der metaphysisch-musikalische Ursprung einer mythologischen Architektur, die sich in deduktiven Schritten entfaltet. Die also gewonnene Theaterarchitektur bedeutet das Paradigma eines die romantische Gesamtkunstwerkidee in der architektonischen Hülle vollendend-konkretisierenden Reflexionsprozesses.165 Richard Wagner nun, hat die Formwerdung einer erlebnisadäquaten Theaterarchitektur in seinem die Ableitungen des Beethovenaufsatzes ergänzenden166 Bayreuth-Vortrag deutlich gemacht. Vor allem die in der Proszeniumskeimzelle anhebende Ausformung des Auditoriums ist Gegenstand der Wagnerschen Ausführungen. Diese gilt es daher hier ausführlich zu zitieren und damit die vorab geleistete Ableitung einer mythologischen Theaterarchitektur zu verifizieren. Man beachte jedoch, daß Wagner in diesem Vortrag von den in seiner Beethovenschrift formulierten musikalisch-gestischen Voraussetzungen abstrahiert und die Deduktion auf die die Gesamtkunstwerkidee in der optisch-horizontalen Dimension materialisierende Konkretisierungs- bzw. Architektonisierungsbewegung reduziert. „Wenn ich jetzt … den Plan des im Aufbau begriffenen Festtheaters in Bayreuth erläutern will,“ beginnt Wagner seine die Wirkung und Funktion dieses Theaters antizipierenden Ausführungen, „glaube ich hierzu nicht zweckmäßiger vorgehen zu können, als indem ich auf die zuerst von mir gefühlte Nötigung, den 75 76 technischen Herd der Musik, das Orchester, unsichtbar zu machen, zurückgreife; denn aus dieser einen Nötigung ging allmählich die gänzliche Umgestaltung des Zuschauerraumes unseres neueuropäischen Theaters hervor.“167 Ist auch, so formuliert Wagner sinngemäß, das Wahrnehmungsvermögen des Erlebenden bei einer rein musikalischen Darbietung optisch depotenziert168 und auf das musikalisch Wesentliche konzentriert, „… so handelt es sich dagegen bei einer dramatischen Darstellung eben darum, das Sehen selbst zur genauen Wahrnehmung eines Bildes zu bestimmen, welches nur durch die gänzliche Ablenkung des Gesichtes von der Wahrnehmung jeder dazwischenliegenden Realität, wie sie dem technischen Apparate zur Hervorbringung der Musik eigen ist, geschehen kann. „Das Orchester war demnach, ohne es zu verdecken, in eine solche Tiefe zu verlegen, daß der Zuschauer über dasselbe hinweg unmittelbar auf die Bühne blickte; hiermit war sofort entschieden, daß die Plätze der Zuschauer nur in einer gleichmäßig aufsteigenden Reihe von Sitzen bestehen konnten, deren schließliche Höhe einzig durch die Möglichkeit, von hier aus das szenische Bild noch deutlich wahrnehmen zu können, seine Bestimmung erhalten mußte … Somit gewann die Aufstellung unserer Sitzreihen den Charakter der Anordnung des antiken Amphitheaters; nur konnte von einer wirklichen Ausführung der nach beiden Seiten weit sich vorstreckenden Form des Amphitheaters, wodurch es zu einem, sogar überschrittenen Halbkreise ward, nicht die Rede sein, weil nicht mehr der von ihm großenteils umschlossene Chor der Orchestra, sondern die … von uns aber in ihrer vollen Tiefe benutzte Szene das zur deutlichen Übersicht darzubietende Objekt ausmacht. „Demnach waren wir gänzlich den Gesetzen der Perspektive unterworfen, welchen gemäß die Reihen der Sitze sich mit dem Aufsteigen erweitern konnten, stets aber die gerade Richtung nach der Szene gewähren mußten. Von dieser aus hatte nun das Proszenium alle weitere Anordnung zu bestimmen: der eigentliche Rahmen des Bühnenbildes wurde notwendig zum maßgebenden Ausgangspunkt dieser Anordnung. Meine Forderung der Unsichtbarmachung des Orchesters gab dem Genie des berühmten Architekten [G. Semper], mit dem es mir vergönnt war, zuerst hierüber zu verhandeln, sofort die Bestimmung des hieraus, zwischen dem Proszenium und den Sitzreihen des Publikums entstehenden, leeren Zwischenraumes ein: wir nannten ihn den „mystischen Abgrund“, weil er die Realität von der Idealität zu trennen habe, und der Meister schloß ihn nach vorn durch ein zweites erweitertes Proszenium ab, aus dessen Wirkung in seinen Verhältnissen zu dem dahinterliegenden engeren Proszenium er sich alsbald die wundervolle Täuschung eines scheinbaren Fernerrückens der eigentlichen Szene zu versprechen hatte … „Der Erfolg dieser Anordnung dürfte wohl allein genügen, um von der unvergleichlichen Wirkung des nun eingetretenen Verhältnisses der Zuschauer zu dem szenischen Bilde eine Vorstellung zu geben.“169 Doch, so formuliert Wagner einige Zeilen später, „eine Schwierigkeit entstand in betreff der den Seitenwänden des Zuschauerraumes zu gebenden Bedeutung: da sie durch keine Logenräume mehr unterbrochen waren, boten sie kahle Flächen, welche mit den aufsteigenden Reihen der Sitzplätze in keine sinnige Übereinstimmung zu bringen war … Da wir für das provisorische Festtheater im Bayreuth jedem Gedanken an … Schmuck entsagen mußten, drang sich uns überhaupt die Frage [auf], was mit diesen, dem eigentlichen Zuschauerraume unentsprechenden Seitenwänden anzufangen sei … Ein Blick auf den ersten der im Anhange mitgeteilten Pläne [vgl. Abb. 1 und Abb. 6], zeigt uns ein der Bühne zu sich verengendes Oblong des wirklich benutzten Raumes für die Zuschauer, begrenzt von zwei Seitenwänden, welche mit ihrem, dem Gebäude als solchem unerläßlichen, geraden Laufe dem Proszenium sich in der Weise zuwenden, daß dadurch eine sich 77 78 Abb. 6 Richard Wagner, Sämtliche Schriften und Dichtungen, Bd. 9, Grundrisse des Bayreuther Festspielhauses erweiternde unschöne Winkelecke entsteht, deren Raum andererseits für die Bequemlichkeit der auf Stufen zu ihren Sitzen sich wendenden Zuschauer durchaus zweckmäßig zu verwenden war. Um die hierdurch zugleich vor dem Proszenium zu beiden Seiten sich bildende, störende und die Wirkung des Ganzen belästigende Fläche möglichst unschädlich zu machen*), war mein jetziger erfindungsreicher Berater [Otto Brückwald] bereits auf den Gedanken gekommen, ein nochmals vorgerücktes und erweitertes drittes Proszenium einzuschalten. Von der Vortrefflichkeit dieses Gedankens erfaßt, gingen wir aber bald noch weiter, und mußten finden, daß wir der *) Man beachte – erst dann kann von einer erlebnisadäquaten Architektur gesprochen werden, wenn diese selbst nicht konkreter Bestand des Erlebens ist – die Architektur soll hinlenken und nicht ablenken. Damit wird deutlich, daß Wagners Festspielhaus nur in einem von allen autonom-architektonischen Erlebniswerten befreiten ‚Provisorium‘ seine ‚Vollendung‘ finden konnte. Abb. 7 Otto Brückwald, Bühnenfestspielhaus zu Bayreuth ganzen Idee der perspektivisch nach der Bühne zu sich verkürzenden Breite des Zuschauerraumes nur dann vollkommen entsprechen würden, wenn wir die Wiederholung des von der Bühne aus sich erweiternden Proszeniums auf dessen ganzen Raum, bis zu seinem Abschlusse durch die ihn krönende Galerie, ausdehnten, und somit das Publikum, auf dem von ihm eingenommenen Platze, in die proszenische Perspektive selbst einfügten. Es ward hierzu eine dem Ausgangsproszenium entsprechende, nach oben sich weitende Säulenordnung als Begrenzung der Sitzreihen entworfen, welche über die dahinter liegenden geraden Seitenwände tauschte, und zwischen welcher die nötigen Stufentreppen und Zugänge sich zweckmäßig verbargen.“170 Soweit Wagners Beschreibung des Bayreuther Festspielhausbaues, die die vorab geleisteten Deduktionen bestätigt: Das sich kontinuierlich weitende, den gesamten Innenraum zentralperspektivisch 79 80 Abb. 8 Bühnenfestspielhaus zu Bayreuth während einer Tannhäuser-Probe (1954) strukturierende Proszenium (doppeltes Proszenium – dreifaches Proszenium – usw.) ist zureichender Ausdruck einer die romantische Gesamtkunstwerkidee konkretisierenden, schöpferisch-expansiven Tat, deren Umkehrung einen alle mythisch-theatralischen Erscheinungsformen transzendierenden Modus des Erlebens bedeutet. Dieses Erleben nun, ist zunächst durch das das „Publikum … in die proszenische Perspektive“ einfügende Auditorium determiniert: „… der Zuschauer … befindet sich jetzt, sobald er seinen Sitz eingenommen hat, recht eigentlich in einem „Theatron“, d.h. einem Raume, der für nichts anderes berechnet ist, darin zu schauen, und zwar dorthin, wohin seine Stelle ihn weist. Zwischen ihm und dem zu erschauenden Bilde befindet sich nichts deutlich Wahrnehmbares, sondern nur eine, zwischen den beiden Proszenien durch architektonische Vermittlung gleichsam im Schweben erhaltene Entfernung, welche das durch sie ihm entrückte Bild in der Unnahbarkeit einer Traumerscheinung zeigt, während die aus dem „mystischen Abgrunde“ geisterhaft erklingende Musik … ihn in jenen begeisterten Zustand des Hellsehens versetzt, in welchem das erschaute szenische Bild ihm jetzt zum wahrhaftigen Abbilde des Lebens selbst wird.“171 Mit dieser authentischen, den erlebnismäßigen Kulminationspunkt („Zustand des Hellsehens“) definierenden Beschreibung des Bayreuther Festspielhauses sind die von uns gelieferten Ableitungen bekräftigt; der Zusammenhang von Methode, Erlebnis, Architektur auf der Basis einer der romantischen Kunstkritik erwachsenden, sich architektonisch formierenden Erlebnisstruktur ist in diesem Beispiel zu genüge bewiesen. Doch man erinnere sich der behaupteten Identität von Theaterund Sakralbau. Um diese an geeigneten Beispielen aufzeigen zu können, wird man von dem zentralen Beispiel: dem Festspielhaus Bayreuth, das den Zusammenhang von Erlebnis und Architektur weisende Charakteristikum abzulösen haben. Dieses dürfte am prägnantesten durch ein das sogenannte Ewigkeitserleben selbst bestimmendes Wesensmerkmal beschrieben sein: es ist dies die zentralperspektivische Konzentration des Erlebenden, die sich in der architektonischen Hülle reflektiert und die der Innenraum architektonisch reglementiert. Dieser sich bei Einbeziehung einiger Gedanken Karl Wilhelm Ferdinand Solgers konsolidierende ‚perspektivische Parallelismus‘ ist um so merkwürdiger, als er die allen zu zitierenden Architekturbeispielen gemeinsame Idee eines Verschwebens der (realen) mythischen Erscheinungsformen in eine diese begründende wie transzendierende (ideale) Sphäre formuliert und damit eine im Bereich des Anschaulichen verbleibende Verbindung zu den methodischen Erwägungen und der Theorie des 81 82 Ewigkeitserlebnisses garantiert. So heißt es bei Karl Wilhelm Ferdinand Solger: „Die Perspective ist keine bloß mechanische, allein auf der Mathematik beruhende Wissenschaft. Sie wäre nicht möglich, wenn sich nicht in unsere Auffassung der Gegenstände der Begriff, das Urtheil mischte. Die perspectivische Erscheinung ist nicht bloß sinnlich, sondern ruht auf einem Denken*), und so wird durch … die Perspective die ganze Beziehung der sinnlichen Gegenstände in einem [punktuellen] Begriff vereinigt.“172 Solger expliziert diesen perspektivischen Reflexionsprozeß an dem Beispiel einer „altdeutschen Kirche“: Diese, so behautet er, „… darf nicht als gleichvollendet von allen Seiten betrachtet, sie muß perspectivisch gedacht werden. Die Hauptfront ist die Einleitung zum Ganzen, der Thurm die Andeutung des Strebens nach Vereinigung im Aeußeren; und was von außen versprochen wird, leistet das Innere. Das Schiff muß in Beziehung auf das eigentliche Heiligthum ganz perspectivisch sein; das Allerheiligste oder der Chor macht die Vollendung des Ganzen, schließt die Perspective und muß auf das vollständigste ausgeschmückt sein. „Die Architectur ist in der neueren Welt die umfassende Kunst für alle übrigen Künste. Die Plastik … ist immer Schmuck oder Ausfüllung der Architectur, und das einzelne Bild durch die Beziehung auf den Begriff des Ganzen mit demselben verbunden … „Auch die Malerei schließt sich … der Architectur an und muß als ein Bestandtheil in dieselbe aufgenommen werden. Ihre Bestimmung ist, in der perspectivischen Anordnung den Hintergrund zu bilden. Was die Architectur uns ahnen ließ, das tritt in der Malerei lebendig hervor.“173 *) Man erinnere sich des ‚methodischen‘ Zusammenhangs von: Denken – Musik – mythologischer Architektur – neuem Mythos Die hier in der Kirchenarchitektur gesehene, in einem ‚punktuellen‘ Begriff als vereinigt gedachte Abfolge: Hauptfront, Kirchenschiff, (Vierung), Allerheiligstes/Chor und die diese abschließende Malerei evoziert die theatralische Parallele und ihre Reihung: Exedranische174, Zuschauerraum, Proszenium, Bühnenraum und das diese vollendende Bühnenprospekt. Da Solgers Ausführungen gemäß die Perspektive, das perspektivische ‚Sehen‘ ein die sinnliche Wahrnehmung transzendierendes Denken ist, wird das Ewigkeitserlebnis ein aus der formal-architektonischen Ordnung erklärbares: in der durch den architektonischen Grundriß gelenkten Betrachtungsweise des Erlebenden vollzieht sich eine die Sphären der Sinnlichkeit übersteigende Abstraktion auf einen, auf Überzeitlichkeit weisenden, ironischvollendeten (Schlegel) Begriff hin: die Dynamik des SinnlichWirklichen verbindet sich mit der Statik des Begrifflich-Überwirklichen; diese einem „Standpunkt höherer Erkenntniß“175 sich erschließende Verbindung ist der Anschauung der Idee gleichbedeutend. Mit dieser Einkehr in die Sphäre der Ideen nehmen wir die theoretischen Erwägungen als abgeschlossen, um nunmehr zu einer den architekturgeschichtlichen Voraussetzungen des Wagner-Theaters Rechnung tragenden Beispielanalyse überzugehen. 83 84 IV. Die theatralische Kirche und das sakrale Theater – zur architekturgeschichtlichen Genese des Bayreuther Festspielhauses Die vorausgegangenen Betrachtungen haben bei Berufung auf die romantische Kunsttheorie die Ableitung so zu nennender „Erlebnisse der Ewigkeit der Ideen“ leisten und als deren Korrelat eine von Musik getragene, kirchliche und theatralische Rituale gleichermaßen umgreifende „neue Mythologie“ bestimmen können. Wichtigstes Resultat jedoch war die Gewinnung eines diesen Erlebnissen adäquaten (zentralperspektivischen) Schemas, das sich im Kultbau des 19. Jahrhunderts architektonisiert, sprich: das im Festspielhaus Bayreuth in deutlichster architektonischer Kontur ausgebildet ist. Damit dürfte deutlich geworden sein, daß eine hinreichende, der historischen Faktizität Rechnung tragende Verifikation unserer theoretischen Erwägungen durch Bindung an ein Beispiel möglich ist – so, in der ausschließlichen Berufung auf das Extrem, bewährt sich die Effizienz eines die Wahrheit und die Erscheinung der Idee konstatierenden, ‚ahistorischen‘ und damit werkimmanenten Interpretationsverfahrens. Wenn im folgenden dennoch, am Leitfaden der Historie fortschreitend, das Spektrum der zu zitierenden Architekturbeispiele erweitert werden soll, so hat das folgende Gründe: Erstens wird nur so ein in gebauter bzw. geplanter Architektur sich manifestierender Beweis der behaupteten Identität von Theater– und Sakralbau gegeben werden können. Diese Identität ist Ausdruck der den beiden Gattungen gemeinsamen ‚ästhetischen Hausordnung‘, die in den die Entsprechung kündenden Wendungen eines „sakralen Theaters“ einerseits, einer „ästhetischen Kirche“ andererseits angezeigt wurde. Zweitens gilt es dem Tatbestand Rechnung zu tragen, daß den unten gedachten Baumeistern der Bruch mit der Tradition im revolutionären Sinne (absoluter, weil aus dem ‚Nichts‘ schöpfender Anfang) nicht schlechthin möglich war. Die gängige Sortierung der hier interessierenden Bauunternehmungen unter den Stilbegriff des Klassizismus impliziert den historischen Rekurs auf ein vorgegebenes Repertoir ausgebildeter architektonischer Formenelemente und verweist auf die für die Architekten der Jahrhundertwende relative Verbindlichkeit in der Anwendung derselben. Klassische Gesinnung in der Architektur – und nicht nur in der Architektur – spricht denn schon immer für jene Berufung auf eine reduzierte, d.h. reine Formensprache, die ob dieser Reduktion einen auf die Architektur bezogenen Ursprung und damit den ‚absoluten‘ Anfang architektonischen Bildens meinen kann. Das Minimum klassischer, geläuterter, dem architektonischen Gestalten notwendiger Elementarformen genügt dem Ideal einer aus dem Geiste der Arithmetik, der Geometrie zu schöpfenden Baukunst. Die formal-logische Apriorität romantisch-idealistischer Systeme des Wissens und des Handelns einerseits, die als apriorisch gegeben zu nehmenden (weil dem Geist immanenten) Formen einer mathematisch-geometrischen, klassisch-klassizistischen Architektur andererseits verraten eine innige Verwandtschaft, die die Grenze zwischen (Revolutionär-)Romantischem und (Konservativ-)Klassischem verschwinden macht. So darf z.B. ein Entwurf der Revolutionsarchitektur, gedacht ist an Etienne-Louis Boulleés „Kenotaph für Newton“, als eine zeitgenössische, den Zeitgeist referierende Illustration frühromantischer, sprich: Fichtescher Philosopheme (die sich u.a. an der Möglichkeit und effektiven Gegebenheit apriorischer Erkenntnis in der Naturwissenschaft entzünden), als eine Metapher des absoluten Ich verstanden werden; das eine Interpretation, die eine Formulierung Fichtes nahe legt: „Der ursprüngliche Raum oder der R[aum] als Anschauung [gemeint ist die das unendliche Bildungsvermögen umgreifende transzendentale Anschauung] hat 85 86 Abb. 9 Etienne Louis Boulée, Kenotaph für Newton, Nachtansicht gar keine Dimension. Er ist überall, klein oder groß, Kugel; und alles Verfahren der Einbildungskraft mit ihm ist bloß diese Kugel, auszudehnen oder zu contrahiren.“176 – Fichtes absolutes Ich, Boulleés „Kenotaph“ [Abb. 9] sind Kosmos, Kugel, Punkt zugleich, ihre Parallelität liegt in der von beiden bedeuteten Universalität. Doch zurück zur bemerkten Diskrepanz von Tradition und einem im ‚Geiste der Revolution‘ begründeten ‚neuen‘ Anfang künstlerischer Produktion: Richard Wagners Gesinnung und Gesinnungswechsel ist hier beispielhaft: glaubte der ‚revolutionäre‘ Wagner noch an die künstlerische Revolution, durch die die Tradierung einer neuen, sprich: seiner Kunst allererst möglich wird, so wird der seinem jugendlichen Temperament entwachsene Wagner behaupten, daß der Deutsche nicht revolutionär, sondern reformatorisch ist.177 Ist also, so wird man fragen, da scheinbar nie Neubildung, vielmehr immer nur Umbildung ist, der idealistische Ansatz dieser Abhandlung zu verwerfen? Die Antwort lautet auf ein entschiedenes „Nein“. Idealismus ist den Frühromantikern und ihren Sympathisanten das Synonym für Wissenschaft und Wissenschaftlichkeit schlechthin, ist ihnen der Keim einer von allen zufälligen Bedeutungshorizonten befreiten mythologischen Kunst und Architektur, der, konzentriert in der Idee des Wagnerschen Musiktheaters, als ein außer aller Zeit seiender, zunächst von der historischen Frage nach dem Zeitpunkt seiner Realisierung unberührt bleibt. Doch die Realisation vollzieht sich in der Zeit: alle unten genannten Beispiele wollen dann als auf ihr Zentrum: das Ideal178 des sakralen Theaters orientierte Propyläen verstanden werden, als ‚Experimente‘ – auch das ein romantischer terminus technicus179 – die, im Bewußtsein des zu Erstrebenden vollzogen, sich diesem schrittweise annähern. Daß eine erlebnisbezogene, ihren sakral-theatralischen Gehalt reflektierende Architektur nicht ‚blitzartig‘, als das spontane, unmittelbare Gegenbild des ihr zugrunde liegenden Gedankens entstehen konnte, hat neben den genannten die folgenden, hier kurz zu umreißenden Gründe, die an den Werken der unten einzeln befragten Architekten ablesbar werden: Friedrich Gillys Entwürfe entbehren des plastisch-anschaulichen Korrektivs, denn sie blieben unausgeführt. Friedrich Schinkel fand sich an die Vorstellungen seines königlichen Auftraggebers gebunden; er hatte bei seinem Berliner Schauspielhausbau die Rudimente des abgebrannten Langhansschen Baues: Grundmauern und Säulenstellung, zu übernehmen. Gottfried Semper endlich hat – wiewohl die Vorstellungen Richard Wagners verbal reproduzierend – nicht in den Geist, in den ‚Zweck‘ der ihm gestellten Aufgabe einzudringen vermocht. Diese kritischen Bemerkungen sind selbstverständlich in keiner Weise geeignet, das Werk und die geschlossenen Einzelleistungen dieser bedeutenden Baumeister zu schmälern, sie zeigen nur, daß einer auf einen extremen Einzelfall gehenden theoretischen Propädeutik eine architektonische Propädeutik, eine Phase des zielbewußten Experimentierens an die Seite zu stellen ist. 87 88 Ein erstes solches, die hier zu berührende Architekturgeschichte eröffnendes ‚Experiment‘ ist in der „Frauenkirche“ Christian Frederik Hansens [Abb. 10] gegeben. (Ich beziehe mich hier auf die Beschreibung Rudolf Zeitlers, der die von ihm analysierten Kunstwerke in solche „monistischer“ und „dualistischer Struktur“180 unterscheidet und mit diesem Interpretationsmodell die Initialzündung zu dieser Arbeit geliefert hat.) Rudolf Zeitler befragt die Frauenkirche auf eine „duale“, sich in der Längsachse entfaltende Struktur und kommt zu folgendem Ergebnis: „… das Innere der Frauenkirche zu Kopenhagen … ist ein ganz einfaches Raumgeviert mit einer Tonne darüber; die Raumgrenzen sind eindeutig. An das Hauptschiff schließt sich eine ebenfalls ganz einfache große Apsis im Halbrund an. Trotz der geometrischen und leicht zu überschauenden Formen, und obwohl in Langhaus und Apsis nur wenige und unter sich gleiche Bauelemente verwendet worden sind, zeigt die Chornische einen ganz anderen Charakter … nicht durch irgend welche auffälligen Zutaten, sondern durch zwei Weglassungen: die Einteilung des Langhauses in zwei Geschosse setzt sich nicht in der Apsis fort; der Ansatz der eingeschossigen Apsis am Langhaus ist nicht sichtbar. Ihre riesige, gebogene Wandfläche, ein halber stehender Zylinder, ist bis auf den Figurenfries an ihrem oberen Abschluß ungegliedert; sie schwebt irgendwo als unbestimmbarer Abschluß hinter dem meßbaren Raum. Den Wandel vom Meßbaren ins Unfaßbare und damit die überraschende Wirkung erreicht der Architekt Christian Frederik Hansen einfach dadurch, daß er das uralte Motiv des sogenannten Triumphbogens benutzt und vor die Apsis setzt. Er zog die beiden Pfeiler, die den rahmenden Bogen tragen, ein wenig vor die Wandflucht des Langhauses, so daß der Betrachter, der im Langhaus steht, die Grenze zwischen Kirchenschiff und Langhaus nicht sieht und folglich die Distanz zischen seinem Standort und der Apsiswand nicht abschätzen kann. Vor dieser Abb. 10 Christian Frederik Hansen, Frauenkirche in Kopenhagen, Innenraum mit Skulpturenschmuck von Bertel Thorvaldsen (vgl. Abb. 4), 1811-1829 unbestimmbaren Wandfläche steht ein großer Altar, eine klare, mit wenigen antikisierenden Formen aufgebaute Architektur. Da wir die Distanz nicht erfassen können, wird es uns auch unmöglich gemacht, die Größe dieses Aufbaus abzuschätzen … Der Effekt ist das Unfaßbar- und Unwirklichwerden [nicht nur] der Apsis-Raumgrenze“181, sondern auch des in diese einbezogenen Altars. Die Beschreibung einer derart erlebten kirchlichen Innenarchitektur liefert – man erinnere sich an die vorab bei Karl Wilhelm Ferdinand Solger aufgezeigte Abfolge182 – alle zentralen Charakteristika des Erlebnisschemas und die von diesem evozierten Elemente: einer differenzierten Wirklichkeit: dem Kirchenschiff, steht, geschie- 89 90 Abb. 11 „Parzifal“, 1. Akt, Inszenierung von Wieland Wagner, Bayreuth 1964 den durch das die Grenze setzende Element des Triumphbogens, eine ideale Sphäre: die Rundung der Apsis, gegenüber, durch deren optische Vermittlung die auf Überwirklichkeit christlichen Ideenguts zielende Wirkung des Altars und der verhalten theatralisch gestikulierenden Christusfigur Thorvaldsens möglich wird. Dieses sich durch die Vermittlung von Langhaus, Triumphbogen, Halbrund der Apsis, Rundung des Chores entfaltende Erlebnis mit seinem Zentrum: dem Altar und der Christusfigur, kann durch einen Abschnitt aus Friedrich Nietzsches „Geburt der Tragödie“ unterlegt werden, der die gesuchte theatralische Parallele offenkundig werden läßt: Dionysos, der als mystisch-musikalische Gottheit (i.S. Nietzsches) Träger der dem Christentum zugesprochenen Wesensmerkmale ist, wird in Nietzsches Darlegung der Entwicklung der Tragödie in den Mittelpunkt eines anthropomorphen Chores gestellt, der durch seine räumlich-(halb-)kreisförmige Anordnung [Abb. 11, vgl. Abb. 34], durch seine dramatische, seine erlebnisrelevante Funktion: „die Stimmung des Zuhörers [und Zuschauers] … dionysisch anzuregen“183 eine Verklärung der Gottheit bewirkt, die das architektonische Pendant – hier: der architektonische Chor der Frauenkirche Hansens, in Bezug auf die christliche Inkarnation des Göttlichen – hier: Thorvaldsens Christusfigur, gleichfalls zu leisten vermag. Wir geben hier die entsprechende Stelle aus Nietzsches Frühschrift, die man der ‚aktuellen‘ Anwendung gemäß zu modifizieren hat: „Dionysus … ist … zuerst, in der allerältesten Periode der Tragödie, nicht wahrhaft vorhanden, sondern nur als vorhanden vorgestellt … Später wird nun der Versuch gemacht, den Gott als einen realen zu zeigen und die Visionsgestalt samt der verklärenden Umrahmung [= anthropomorpher/architektonischer Chor] als jedem Auge sichtbar darzustellen … Jetzt bekommt der dithyrambische [= der architektonische] Chor die Aufgabe, die Stimmung der Zuhörer bis zu dem Grade dionysisch anzuregen, daß sie … nicht etwa den unförmig maskierten Menschen [= den marmornen Christus] sehen, sondern eine gleichsam aus ihrer eigenen Verzückung geborene Visionsgestalt.“[Abb. 11 und 12]184/*) Der dionysisch erregte Zuschauer überträgt „… das ganze magisch vor seiner Seele zitternde Bild des Gottes auf jene maskierte Gestalt und löst ihre *) Diese hier gegebene Parallele von anthropomorphem und architektonischem Chor, gepaart mit einer die „Perspektive beschließenden“ (Solger) bzw. die Architektur im Sinne eines „romantischen Fensterbildes“ (vgl. auch die Bühnenansicht Schinkels zu dessen Berliner Schauspielhaus: Abb. 25) ‚durchbrechenden‘ , ‚auflösenden‘ Apsismalerei, kann durch Schinkels Ansicht und Grundriß der projektierten „Berliner Singakademie“ illustriert werden [Abb. 12 u. 13]. Schinkels Singakademie stellt ein Mittelglied zwischen ‚reiner‘ Kirchenarchitektur und ‚reiner‘ Theaterarchitektur dar. 91 92 Abb. 12 Friedrich Schinkel, Singakademie zu Berlin, Ansicht (unausgeführter Entwurf) Realität gleichsam in eine geisterhafte Unwirklichkeit auf, in dem die Welt des Tages [= die Alltagswelt] sich verschleiert und eine neue Welt deutlicher, verständlicher, ergreifender als jene … sich unserem Auge neu gebiert.“185 Dieser Textstelle aus Friedrich Nietzsches „Geburt der Tragödie“ kann ein gleichermaßen unserem Erlebnisschema eignender Passus aus Karl Philipp Moritz „Schriften zur Ästhetik und Poetik“ an die Seite gestellt werden: Die den Kulminationspunkt des Moritzschen Raumerlebens bedeutende „Wölbung“ assoziiert das einen kirchlich– theatralischen Erlebnisraum vollendende Formelement: die Apsis des Kirchenbaus (bzw. den dieser gleichzusetzenden Rundhorizont neuerer theatralischer Inszenierungspraxis); Moritz schreibt, man halte sich dabei unser erstes Beispiel, den Innenraum der Frauenkirche, vor Augen: Abb. 13 Friedrich Schinkel, Singakademie zu Berlin, Grundriß (unausgeführter Entwurf) „Wir sehen gerade durch [den Mittelgang, die Mittelachse des Kirchenschiffs] und die Gegenstände reihen und ordnen sich von selber. „Wir sehen das Entferntere [Apsis und Altar] nicht unmittelbar, sondern durch das Nähere [Kirchenschiff/Langhaus]. „Das Entferntere erscheint uns nur klein, in Vergleichung mit dem Näheren – oder, insofern wir es uns, wie auf der Fläche eines Gemäldes, ebenso wie das Nähere denken [Solger: Architektur als Bild; Bild, in der sich die gedachte Perspektive der Architektur schließt; s.o.]; oder es mit dem Näheren gleichsam in eine Reihe stellen. 93 94 „Daher kommt es, daß die Ferne zusammendrängt. „Die Gegenstände nähern sich in der Entfernung immer mehr der bloßen Idee von den Gegenständen; das Gesicht nähert sich immer mehr der Einbildungskraft … „Wo das Auge durch nichts gehindert wird, da sehen wir Wölbung und Fläche. „Das Höchste, was uns erscheinen kann, ist die Wölbung – über dieser kann uns nichts erscheinen; denn die Wölbung ist über allem. –“186 Unverhohlen weist Moritz „Wölbung“ in kosmische Dimensionen: Die Wahrnehmung der Wölbung – des Himmelsgewölbes etwa – gibt die elementare, nicht differenzierbare Grenze jedweder Erfahrung, die dem Höhepunkt eines sakralen, eines ‚numinosen‘ Erlebens identisch zu setzen ist. Rudolf Zeitlers Interpretation der Frauenkirche Hansens liefert eine Übertragung auf den beschränkten, den begrenzten Raum der Architektur: Die erlebnismäßig-irrationale Durchbrechung einer final im Bild der Wölbung erfahrbaren Raumgrenze ist durch das architektonisch-gewölbte Formelement des Chores und durch die das ‚Verschweben‘ bewirkende Funktion des Triumphbogens in eine konkrete, sich in deren Grenzen vollziehende Form gekleidet. Diese der endlichen architektonischen Form immanente, erlebnisbezogene Unendlichkeit hatten wir als Charakteristikum der romantischen Kunsttheorie mit ihren Definitionen von Kunstwerk und Mythos, hatten wir als Spezifikum der romantischen Methode und des mit dieser zusammenfallenden Erlebnisschemas betonen können. Die im Frauenkirchenbeispiel gesehene, architektonisch wie erlebnisbezogen zentrale Stelle des Triumphbogens veranlaßt die mehr historisierende Frage nach den Inspirationsquellen Hansens. Die dem Klassizisten obligatorische Italienreise ließe entsprechende Anregungen vermuten. Für unseren Zweck genügt es, anhebend mit den autonomen Triumphbögen der römischen Kaiserzeit (man bedenke das ‚theatralische‘ Ereignis eines triumphalen Einzugs durch Abb. 14 Friedrich Gilly, Außenansicht des Berliner Schauspielhauses (unausgeführter Entwurf) den Bogen), auf die formalen Übereinstimmungen mit S. Maria Maggiore und S. Sabina zu verweisen, des weiteren willkürliche Vergleichsbeispiele, so die Palastaula (Trier), oder die ottonischen Gotteshäuser St. Michael (Hildesheim) und den Dom zu Speyer mit dem für die Mittelalterliche Bauweise typischen Transversalbogen anzubieten, um die im historischen Wandel gleichermaßen beständige Funktion des Triumphbogenelementes: Trennung idealer und realer Sphären, bestätigt zu finden. Folglich kann es nicht wundernehmen, daß der Triumphbogen, so dem Zusammenhang der kirchlichen Architektur entbunden, seine ‚Funktion‘ auf ein dem ersten Anschein nach anders geartetes Architekturkonzept überträgt: das des Theaterbaus. Mit Friedrich Gilly setzen die Reformbemühungen des modernen Theaterbaus ein [Abb. 14]. 95 96 Obwohl der Triumphbogen in Gillys reduziertem Formenvokabular dominiert, wird er in dessen Berliner Schauspielhausentwurf aus dem Jahre 1800 zu ‚neuer‘ Bedeutsamkeit gesteigert, indem er, unmittelbar vergleichbar dem sich in der Frauenkirche Hansens verwirklichenden Gedanken, den ‚idealen‘ Bühnenraum von dem ‚realen‘ Auditorium scheidet [Abb. 15]. Ein Blick auf den Grundriß des Berliner Schauspielhauses belehrt [Abb. 16], daß Gilly sehr wohl um die erlebnisspezifische Einheit dieser beiden Sphären gewußt hat. Gilly zeichnet eine dem Indifferenzpunkt des Proszeniums entbundene, exzentrisch zu diesem Punkte in der Tiefe des Bühnenraums sich perspektivisch einigende Linienschar, die auf das Auditorium übergreift. Ist auch Abb. 15 Friedrich Gilly, Zuschauerraum des Berliner Schauspielhauses (unausgeführter Entwurf) eine konsequente, diesem Erlebnisschema angemessene architektonische Reflexion in der formalen Ausbildung des Zuschauerraumes nicht vollzogen, so zeigt doch Gillys Skizzierung der Sitzreihen den möglichst ‚zweckmäßig‘ realisierten Gedanken eines in die „proszenische Perspektive“187 sich einfügenden Publikums. Wenn auch die den Theaterbau belangende Tradition in der Andeutung einer ‚neuen‘ Sitzordnung durchbrochen ist, so bleibt doch Friedrich Gillys Entwurf der ‚kulinarischen‘ Struktur des barocken Logentheaters verhaftet. Einzig in einem innenarchitektonischen Detail ist die dem Ideenerlebnis spezifische Richtungsbestimmtheit betont: Die Front der Ränge wird von einer großen, zwischen vier ionischen Säulen sich öffnenden Mittelloge durch- Abb. 16 Friedrich Gilly, Grundriß zum Berliner Schauspielhaus (Bayreuth 1798) 97 98 *) Monumentalität und Isolation des Baukörpers sind Charakteristika, die sich aus dem elementaren Formenvokabular des Gillyschen Entwerfens ergeben; Beispielhaft: Gillys „Nächtliche Skizze des Gendarmenmarkts in Berlin“ [Abb. 17] – diese präsentiert nicht nur ein in romantischem Sinne sich offenbarendes ‚Wunderwerk‘, vielmehr veranschaulicht sie das deduzierte Erlebnisschema in einer bühnenbildähnlichen Ansicht: der lichte, ideenkündende Theaterbau verbildlicht den Kulminationspunkt des Erlebens, auf den die den Erlebnisprozeß schematisierenden Kolonadenfluchten in zentralperspektivischer Verkürzung hinweisen. Die tief verschatteten Türme der Gondardschen Kirchen fungieren als Rahmen der Szene. – Monumentalität und Isolation, Richtungsbestimmtheit und Theatralik zeigen sich in allen stoßen. Dieses Heraustreten der Mittelloge aus dem Gefüge der einen Halbzylinder bildenden Ränge bestimmt das Richtungnehmen auf die Bühne hin. Friedrich Gilly unterstreicht dieses Richtungnehmen lediglich in einer den ästhetischen Selbstzweck des Innenraumes bekräftigenden, weniger in einer diesen negierenden, das hieße: theatralisch-zweckmäßigen Weise: der geschlossen liegende Halbkreis des Auditoriums kehrt sein Gesicht gegen den aufrechten, den Bühnenraum aufreißenden Proszeniumsbogen; damit ist „ein Raumbild geschaffen … das in seiner formalen Erscheinung … der Idee einer auf die Bühne bezogenen Zuschauerund Zuhörerschaft entspricht.“188/*) Abb. 17 Friedrich Gilly, Nächtliche Skizze des Gendarmenmarktes zu Berlin Plänen und Skizzen Gillys: so in dem frühen, 1794 entstandenen „Entwurf zu einem Badehaus“ [Abb. 19], dessen kompakte, geschlossene Formgebung eine Entsprechung in dem 1794 während Gillys Frankreichreise notierten „Fort sur l’Isle Pelée“ [Abb. 18], der Fassade des „Theatre Feydeau“ und dem Konzept eines kreisförmig gedachten Theaterbaues (Boullée) hat. Diese Formgebung kehrt in dem 1800 datierten Schauspielhausentwurf als eine auch dem Theaterbau angemessene wieder. Ob dieser ‚universalen‘ Übertragbarkeit einer Bauform auf diverse Funktions- bzw. Zweckbereiche wird deutlich, daß Gillys Entwerfen noch nicht von dem Anspruch einer „Zweckmäßigkeit“ (das ist die dem Bau zugrunde liegende Idee) bestimmt ist, die sich in der architektonischen Hülle zu reflektieren habe. Über die 1802 von dem Architekten Louis Catel (Berlin) veröffentlichten „Vorschläge zur Verbesserung der Schauspielhäuser“189, die an den Publikationen J.A. Breysigs190 orientiert gewesen sein dürften, führt der Weg der Theaterreformbestrebungen zu dem GillySchüler Friedrich Schinkel. Catel, der die bei einem Bühnenraum geringer Tiefe unvermeidliche Diskrepanz zwischen der plastisch hervortretenden Körperlichkeit der Darsteller, den Gebrauchsrequisiten im Vordergrund und der Scheindekorationen eines zu nahen Hintergrundes im Sinne illusionistischer Wirkung aufgehoben wissen will, fordert ein zu diesem Zwecke nach vorn erweitertes, in die Orchestra des Audi- Abb. 18 Friedrich Gilly, Fort Hommel und Fort sur l’Isle Pelée 99 100 Abb. 19 Friedrich Gilly, Entwurf zu einem Badehaus, Grundriß und Ansicht toriums hineingreifendes Proszenium, auf dem sich die von plastischen Dekorationen umgebene dramatische Handlung abspielt, wobei das den Ort der Handlung bestimmende Prospekt in dem die intendierte Wirkung ermöglichenden Abstand die Szene beschließt. Catel gelangt so zu dem seine Bestrebungen charakterisierenden Begriff des „unbegrenzten Szenenbildes“.191 Friedrich Schinkel, dessen besonders in Bezug auf die WagnerBühne gewichtigen theoretischen Abhandlungen einen breiten Raum einnehmen könnten, schließt sich weitestgehend den Vorstellungen Catels an. In seiner Würdigung des griechischen Theaters deutet er dessen Szene ganz im Sinne des deduzierten Ideenerlebnisses als ein „… Sammelglas, welches das Bild der Handlung auf einen Punkt zusammenzog und dadurch der physisch umgebenden Welt entrückte, damit der ungestörte und frei gewordene Geist in den reinen Äther der Kunst eintauchen und jener höheren Freude teilhaftig werden konnte. Hieraus geht hervor, nicht allein, wie wenig es darauf ankommen konnte, sondern, wie sogar absichtlich vermieden werden mußte, eine gemeine physische Täuschung der Szene zu bewirken … Eine symbolische Andeutung des Ortes, in welchem die Handlung gedacht war, welche Andeutung beinahe unbedeutend aus der mit einer immer stehenden eigentümlichen Architektur versehenen Szene hervorblickte, war vollkommen hinreichend, der produktiven Phantasie des Zuschauers, auf die bei jedem Genuß gerechnet werden muß … eine Anregung zu geben, durch welche er imstande war, … ganz ideal den angedeuteten Ort … auszubilden, und dann die wahre und ideale Illusion erwuchs.“192 Diesen Überlegungen zufolge verlangt Schinkel einen dem Auge durch architektonische Vermittlung weit entrückt erscheinenden, die „produktive(n) Phantasie des Zuschauers“ aktivierenden „symbolischen Hintergrund“193. Das den festen Rahmen der Szene bildende, diese in gesteigerter Wirkung hervortreten lassende Proszenium gewinnt folglich bei Schinkel eine zentrale Bedeutung. Dieses Schinkelsche Proszenium aus dem Detail eines Gillyschen Entwurfes abzuleiten, soll nunmehr versucht werden: Vergegenwärtigen wir uns Gillys Entwurf zu einem Denkmal Friedrich des Großen [Abb. 20]. Die von ihm zu illusionistischer Abb. 20 Friedrich Gilly, Entwurf zu einem Denkmal für Friedrich II. 101 102 Abb. 21 Friedrich Schinkel, Entwurf einer fürstlichen Residenz, E i n f a h r t Wirksamkeit gesteigerte Ansicht erlaubt es, das Denkmal als ausgeführt vorzustellen: der sich dieser Stätte nähernde Betrachter blickt – nachdem sich das ihm in großer Distanz gegebene Panorama einer zweigestuften dorischen Säulenarchitektur, gebildet aus den den Torbau flankierenden Säulenhallen und dem dem Torbau ‚auflastenden‘*) dorischen Peripteros durch die Masse des Torbaus verschlossen hat – blickt durch den Torbogen auf die nun mächtig vor ihm aufragende, sich gegen den Himmel abzeichnende Tempelanlage, die wenig später – nun ist der Torbogen des schweren Tempelunterbaues durchschritten – in eben jener Aufwärtsbewegung erstiegen wird. Im Innersten der Cella wird das Auge durch die den Innenraum gliedernde Säulenordnung auf den in einer apsiden Nische jupitergleich thronenden Friedrich II. gelenkt [Abb. 22]. Die oben aufreißende Bedachung des Tempels bindet die ‚Unendlichkeit‘ des *) Die ‚optische Täuschung‘ einer in den Raum gestuften, aber als flächiges Bild gesehenen Architektur mag durch eine Ansichtszeichnung Schinkels (Entwurf zu einer fürstlichen Residenz, Einfahrt, 1835) verdeutlicht werden [Abb. 21]. Abb. 22 Friedrich Gilly, Entwurf zu einem Denkmal für Friedrich II., Innenansicht der Cella gestirnten Weltenraums in die endliche Wirklichkeit der Gillyschen Architektur, um so die hier verewigte weltliche Macht mit einer ätherischen Aura zu ummanteln und überwölbend194 zu verklären. Doch kehren wir zu dem sich vor dem Torbau [Abb. 23] befindenden Betrachter zurück. Die Säulenreihen der Säulenhallen, die sich dem Torbau symmetrisch anschließen, haben den optischen Mittelpunkt der Anlage betont und den noch in der Distanz unstet schweifenden Blick auf diesen konzentriert. Indem Gilly diese Säulenfluchten die seitlichen Wandungen des Torbaus durchdringen und sich einreihig im Inneren des Bogens fortsetzen läßt, reproduziert er deren optische Vermittlungsfunktion: Konstituierten sie dem Erlebenden zunächst die zentrale Stelle einer flächigen Ansicht, so lenken sie nun die Aufmerksamkeit des nahegetretenen Betrachters durch eine gemessen an der Ausgangssituation orthogonale Wendung in die Tiefe des (architektonischen) Raumes, um jetzt vor dem Betrachter ein neues Szenarium: das Prospekt des zentralen Tempelbaues entstehen zu lassen. Diese Abfolge erlaubt es, von einer theatralischen Relevanz der Säulenstellung zu sprechen und 103 104 Abb. 23 Friedrich Gilly, Entwurf zu einem Denkmal für Friedrich II., Torbau damit die behauptete Parallele von Erlebnis und Architektur bestätigt zu finden. Schinkels Proszeniumsreform läßt sich jetzt unmittelbar als eine den Gillyschen Vorlagen entstammende Variante deuten: Der dem Torbau des Friedrichdenkmals subtrahierte Bogen isoliert die Schinkels „symbolischen Hintergrund“ rahmende, diesen zu größtem optischen Effekt steigernde Säulenkonstellation: Schinkels tiefes Proszenium. Bemerkenswert ist, daß die in dem „Entwurf zu einer Veränderung des im Jahre 1817 abgebrannten Schauspielhauses zu Berlin“ [Abb. 24] vorgeschlagenen Neuerungen, soweit sie die Proszeniumsgestaltung betreffen, den von Gilly vorgegebenen Vierer-Rhythmus der Säulenreihung unverändert übernehmen. Neben der vorzüglich der Visualisierung des Bühnenprospektes dienenden Funktion des Proszeniums betont Schinkel dessen Abb. 24 Friedrich Schinkel, Entwurf zu einer Veränderung des Inneren des im Jahre 1817 abgebrannten Schauspielhauses zu Berlin, Grundriß Abb. 25 Friedrich Schinkel, Zuschauerraum des Schauspielhauses in Berlin, 1818-21 105 106 Abb. 26 August von Voit, Glaspalast, München, 1854 akustische, weil als Resonator wirkende Qualität [Abb. 25]. Wenn er darüber hinaus Pläne zu einem versenkten Orchester unterbreitet, so sind bereits sämtliche von Richard Wagner formulierten Zielsetzungen in kongenialer Weise vorgeprägt, so daß die sich in einem engen historischen Zeitraum vollziehende Entwicklung durch die Reihe der ‚Reformatoren‘: Friedrich Gilly – Friedrich Schinkel – Richard Wagner – Gottfried Semper – Otto Brückwald charakterisiert werden könnte. Haben die Bestrebungen Schinkels eine kontinuierlich-strahlengleich auf das Auditorium übergreifende Entwicklung missen lassen und sich auf die Reform der sich aus dem Indifferenzpunkt des Proszeniums entfaltenden Einheit: Proszenium, Bühnenraum, Bühnenprospekt, konzentriert, so ist es dem von den Vorstellungen Richard Wagners befruchteten Gottfried Semper vorbehalten, die Lösung der noch offenen Aufgabe einer Verzahnung von Bühne und Zuschauerraum voranzutreiben. Zentrale Lage der Orchestra, die, dem Auge unsichtbar gemacht, als sogenannter „mystischer Abgrund“ die ideale Bühnenwelt von der durch den Zuschauer repräsentierten realen Welt zu scheiden Abb. 27 Gottfried Semper, Entwurf zum provisorischen Festheater, Projekt A, hat; versteckter Bühnenrand, der dem Zuschauer jede real-maßstäbliche Korrektur, die das Überwirklichkeit meinende Bühnengeschehen verweltlichen könnte, unmöglich macht, amphitheatralisch ansteigendes Auditorium – diese von Wagner gestellten Aufgaben trachtet Semper durch Konstruktionsversuche und optische Studien zu lösen. Die infolge dieser Experimente entstehenden Entwürfe referieren den Konflikt eines zwischen den Richtlinien absolut-theatralischer Zweckbestimmung und rein architektonisch-formalen Gesetzen schwankenden Architekten. Sempers optische Versuche haben ihm gezeigt, daß das von Wagner gewünschte Verbergen des Bühnenrandes nur bei geraden, parallel zum Bühnenrand angeordneten Sitzreihen möglich wird, demnach die halbkreisförmig nach außen tretende – d.h. die äußere Bauform in ihrer Erscheinung bestimmende – „historisch geadelte“195, 107 108 Abb. 28 Gottfried Semper, Entwurf zum provisorischen Festheater, Projekt B, weil architektonische Formgebung der Cevea aufgeopfert werden müßte. Daß er dennoch in seinem als „Projekt A“ [Abb. 27 u. 29] bezeichneten Provisorium einer zweckmäßigen Lösung nahe gekommen ist, will weniger als geleistete Einfühlung in die Semper angetragene Aufgabe gedeutet werden, vielmehr sind die Gründe in dem Grundriß der unabänderlich vorgegebenen Außenhülle: dem Münchener Glaspalast zu suchen: dessen rechteckiger Mittelbau fordert quasi eine ‚theatralische‘ Innenarchitektur, enthob Semper seines Konfliktes und ließ ihn eine überzeugend zweckmäßige (d.h. in Sempers Sinne: nicht-architektonische) Lösung schaffen, die sich, dem deduzierten Erlebnisschema entsprechend, in ihren einzelnen Funktionsbereichen kontinuierlich entfaltet: eine auf das musikalisch-optische Erleben bezogene, die Elemente: Auditorium, Proszenium, Bühnenraum einigende perspektivische Linienschar hat ihren Ursprung an der dem Zuschauer diametral gegenüberstehenden, rückwärtigen Bühnenwand. Dieser in Bezug auf die Theaterpraxis optimale Grundriß: Kreisausschnitt im Rechteck, stellt ein einmaliges Resultat des Semperschen Entwerfens dar, von Abb. 29 Gottfried Semper, Modell zum provisorischen Festheater nach Projekt A dem er sich in seinen Alternativvorschlägen weit entfernt. Das zeigt schon der Plan zu dem als „Projekt B“ betitelten Provisorium [Abb. 28]. Hier schlägt Semper um einen beträchtlich vor dem Bühnenrand liegenden Punkt weite, die „proszenische Perspektive“ gänzlich ignorierende Halbkreise, die wohl einem auf reine Formensprache gerichteten Sinn genügen könnten, jedoch dem in „Projekt A“ entsprochenen „Ideal der Zweckmäßigkeit“196 völlig zuwider laufen. Auch die parallel entstehenden Pläne zu einem „Monumentalen Festtheater“ [Abb. 30] liefern eine gemessen an der Lösung des A-Projektes unbefriedigende Synthese, die die in den beiden Provisorien ausgebildeten Extreme zu verschmelzen strebt, wohl aber – das veranschaulicht der auf den Münchner Plänen fußende Dresdener Bau – ein Abbild des perspektivischen Erlebnisschemas in der frontalen Fassadengestalt des Baukörpers zu geben vermag [Abb. 31]. 109 110 Abb. 30 Gottfried Semper, Entwurf zum monumentalen Festtheater, Grundriß Jenseits seines formalistischen Ansinnens liefert Semper eine in Hinblick auf das Bayreuther Theater nachhaltige Proszeniumsreform. Diese läßt sich aus der Tatsache erklären, daß alle Reform des Proszeniums, weil das ‚Nichts‘, weil den architektonischen Indifferenzpunkt der theatralischen Architektur betreffend, zunächst keine die äußere Gestalt des Baukörpers bestimmende Konsequenzen haben muß. In Sempers sogenanntem „Doppelten Proszenium“ ist dem eigentlichen Proszenium ein zweites, in die Nähe des Auditoriums gerücktes vorgesetzt. Dieses, in Motiven und Ordonnanzen dem ersten völlig gleich, unterscheidet sich von jenem durch die überdehnten Größenverhältnisse (expansive Tendenz!). Die hieraus resultierende perspektivische Täuschung findet sich in den Schriften Wagners und Sempers197 beschrieben: Der Zuschauer, dessen Blick durch die Fluchtlinien geleitet wird, die das doppelte Proszenium markiert, wähnt den szenischen Vorgang weit entrückt, nimmt ihn jedoch mit der Deutlichkeit der wirklichen Nähe wahr, demzufolge Abb. 31 Gottfried Semper, Hoftheater zu Dresden, 2. Bau sich eine optische Täuschung einstellt: die auf der Szene auftretenden Darsteller erscheinen in vergrößerter, übermenschlicher Gestalt – das ist der ‚optische Kothurn‘ der mythologischen Gestalten und Gestaltung Richard Wagners. Die in Sempers doppeltes Proszenium integrierte „theatralisch relevante Säulenkonstellation“ erlaubt es, einerseits Schinkels Säulenproszenium als Semper inspirierende Vorlage zu deuten, andererseits auf eine die Grenzen des 19. Jahrhunderts durchbrechende, in jeder Hinsicht theatralische Kirchenarchitektur hinzuführen: Carlo Rainaldis „S. Maria in Campitelli“ [Abb. 32]. Das diesem Bau Charakteristische läßt sich dem Grundriß entnehmen [Abb. 33]: Zwei Zentralräume, der Gemeinderaum und die Vierung mit dem Sanktuarium, sind durch eine Säulenstellung miteinander verknüpft, die Sempers doppeltem Proszenium unmittelbar vergleichbar ist. 111 112 Lediglich die deutliche Übereinstimmung mit dem Proszenium Sempers konstatieren, hieße die behauptete, erlebnisbedingte Identität von Sakral- und Theaterbau willkürlich herbeiführen. Doch in S. Maria findet sich eine der neuen Theaterpraxis identische Lichtführung: der Gemeinderaum ist gleich dem Auditorium des Theaters in (nahezu) völligem Dunkel belassen; die mit diesem durch die theatralisch wirksame Säulenordnung verbundene Vierung wird in gleißendes, durch die Kuppel einfallende Licht getaucht, das den Altar, die ‚Szene‘ des kirchlichen Rituals, erhellend streift; der in die Tiefe führende Chor ist in einem verhaltenen Halbdunkel gehalten, was eine Schinkels symbolischem Hintergrund vergleichbare illusionistisch-ideale Wirkung des Hochaltars und der das Sanktuarium beschließenden Apsismalerei möglich werden läßt. Abb. 32 Carlo Rainaldi, S. Maria in Campitelli, Rom, Innenansicht, 1663-67 Dieses und Rainaldis umfangreiche Tätigkeit als Fest- und Bühnenausstatter198 läßt die erlebnisspezifische Identität von theatralischer Kirche und sakralem Theater zwingend erscheinen. Das Bayreuther Festspielhaus darf man nun als die Synthese der hier aufgezeigten Reformen begreifen. Das von Otto Brückwald zur Vollendung geführte, kontinuierlich auf das sich perspektivisch weitende, amphitheatralisch ansteigende Auditorium übergreifende und damit dieses mit dem Bühnenraum als erlebnismäßige Einheit verzahnende Proszenium bekundet die konsequente Entwicklung einer der romantischen Kunstkritik verpflichteten, mit dem kirchlichen Triumphbogenelement anhebenden Reform des Theaterbaus, die, gemessen an diesem Endresultat, als ‚revolutionär‘ bezeichnet werden darf. Abb. 33 Carlo Rainaldi, S. Maria in Campitelli, Rom, Grundriß 113 114 Die sakrale Weihe des Bayreuther Festspielhauses, die – wie zu zeigen war – von einem sogenannten Ewigkeitserlebnis unabtrennbare Genese des neuen, des mythologischen Theaterbaues dürfen wir in einem Kulminationspunkt des Wagnerschen Schaffens bestätigt sehen: in seinem die optischen wie akustischen Gegebenheiten des Festspielhauses berücksichtigenden Bühnenweihfestspiel „Parsifal“ sind Architektur und sakrales Theater zu einer untrennbaren, erlebnismäßigen Einheit verbunden und damit, eingedenk der gezogenen Parallelen, die Identität von sakralem Theater und theatralischer Kirche auf das nachhaltigste bestätigt. Abb. 34 „Parsifal“, Gralstempel, 1882-1933, Inszenierung: Richard Wagner V. Anhang • Das Proszenium als spekulativer Indifferenzpunkt der Theaterarchitektur • Der christliche Longitudinalbau als „geradlinige“ Präformation des Bayreuther Festspielhauses • Kulinarisches und kontemplatives Theater V.1. Das Proszenium als spekulativer Indifferenzpunkt der Theaterarchitektur Im ersten Kapitel dieser Abhandlung – „Methode als Erlebnis • Erlebnis als Methode – definierten wir das Proszenium als „spekulativen Indifferenzpunkt“ der Theaterarchitektur und formulierten wie folgt: „Es ist durchaus evident, das Proszenium als den in der Architektur materialisierten Indifferenzpunkt zu bezeichnen, da es das ‚negative‘ Faktum in der Theaterarchitektur bedeutet; d.h.: es bildet die Stelle im architektonischen Komplex, die die geringste architektonische Wirklichkeit einnimmt, da sie zunächst nicht maßgeblich in die äußere, „historisch geadelte“60 Bauform eingreift und diese bestimmt.“ Im dritten Kapitel – „Die Deduktion des konkreten architektonischen Werks • das Festspielhaus Bayreuth“ – deduzierten wir die „Ursprungsgebärde“ des „Sänger-Darstellers“ und den diesen allererst umfangenden „Proszeniumsbogen“ als adäquate Antizipation des Festspielhaus-Innenraums im Sinne einer „anthropomorphen Architekturminiatur“. Um dem Leser diese deduktiven Schritte zu verdeutlichen, erläutern wir den vorgetragenen Gedankengang durch die folgenden Skizzen: 115 V.2. Der christliche Longitudinalbau als „geradlinige“ Präformation des Bayreuther Festspielhauses B P A Z Z P B 654321 Es ist die zentrale „Crux“ der sich um eine Theaterreform bemühenden Architekten, daß diese die einhellige Position beziehen, eine derartige Reform – hin zum Wagner-Theater als Kulminationspunkt dieser Reformbestrebungen – könne sich nur „gattungsimmanent“, also auf die überkommene „höfische“ (s.u.) Theaterarchitektur rekrutierend, vollziehen. Hierbei wurde – zumal von dem Freund-als-Wagner-Berater Gottfried Semper – geflissentlich übersehen, daß eine „winzige“ Modifikation des tradierten chrislich-abendländischen Sakralraums – gleichsam „sprunghaft“ bzw. „geradlinig“ – zur Innenraumausformung des Festspielhauses Bayreuth geführt hätte; wir verdeutlichen an folgenden Skizzen: Z 7654321665544332211 7654321666555444333222111 7654321665544332211 7654321665544332211 7654321665544332211 7654321665544332211 7654321665544332211 7654321665544332211 7654321665544332211 7654321665544332211 „Auditorium“ 7 6554 3221 7 6 4 3 1 7 6 5 4 3 2 1 7 6 5 4 3 2 1 7 6 5 4 3 2 1 7 6 5 4 3 2 1 1 7 6 5 4 3 2 7 6 5 4 3 2 7654321 1 1 7 6 5 4 3 2 7 6 5 4 3 2 1 7 6 5 4 3 2 1 7 6 5 4 3 2 7654321 1 7 6 5 4 3 2 1 1 7 6 5 4 3 2 7 6 5 4 3 2 1 7 6 5 4 3 2 1 7 6 5 4 3 2 1 7 6 5 4 3 2 1 7 6 5 4 3 2 7654321 1 „Kopfsystem“ Bühnenraum K A K Z Bild 10 Lateransbasilika, Rom, Grundriß (A) Mittelschiff = Auditorium, (B) Apsis, Chor = Bühne, (P) Querschiff, Vierung = Proszenium/Orchestergraben, (Z) Seitenschiffe = Zugänge zum Auditorium, (K) Westwerk = Königsloge, Balkon, Galerie Bild 9 S. Maria in Campitelli, vgl. Abb. 33 87654321 44332211 87654321 444333222111 87654321 44332211 87654321 44332211 87654321 44332211 87654321 44332211 87654321 44332211 87654321 44332211 87654321 44332211 87654321 44332211 87654321 44332211 87654321 44332211 87654321 44332211 87654321 44332211 87654321 44332211 87654321 44332211 87654321 Das Proszenium kann man als „spekulativen Indifferenzpunkt“ der Theaterarchitektur definieren, da es zunächst keine raumdeterminierend Funktion hat: Bild 7 Nicht raumdeterminierender Proszeniumsbogen = beliebige Grundrißformen der angrenzenden Räume sind möglich > Das Proszenium bestimmt also nicht die angrenzenden Raum-Grundrisse (Bühnenraum – Auditorium); erst durch die „anthropomorphe Architektur-Miniatur“ des „Sängerdarstellers“ werden Bühnenraum und Auditorium architektonisch konkretisiert (= Festspielhaus Bayreuth): „Sänger-Darsteller“ Bild 8 „Sängerdarsteller“ und „Proszeniumsbogen“ präformieren eine kontemplativ-erlebnisspezifische Verzahnung von Bühne und Auditorium 5 4 3 2 1 5 4 3 2 1 5 4 3 2 1 5 4 3 2 1 5 4 3 2 1 5 4 3 2 1 1 5 4 3 2 5 4 3 2 54321 1 1 5 4 3 2 5 4 3 2 1 5 4 3 2 1 5 4 3 2 54321 1 5 4 3 2 1 1 5 4 3 2 5 4 3 2 1 5 4 3 2 1 5 4 3 2 1 5 4 3 2 1 5 4 3 2 1 1 5 4 3 2 5 4 3 2 54321 1 1 5 4 3 2 5 4 3 2 1 5 4 3 2 1 5 4 3 2 54321 1 5 4 3 2 54321 54321 54321 1 116 117 118 Anmerkungen zu Kapitel I 1 Fichte-Schelling, Briefwechsel, Einleitung von Walter Schulz, Frankfurt/M. 1968, S.126 2 Walter Benjamin, Ursprung des deutschen Trauerspiels, Frankfurt/M. 1972, S.11 3 Ebd. 4 Ebd., S.12 5 Friedrich Hölderlin, Werke und Briefe, Hrsg. Friedrich Beißner u. Jochen Schmidt, Frankfurt/M. 1969, S.643 6 Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Philosophie der Kunst (unveränderter reprographischer Nachdruck der aus dem handschriftlichen Nachlaß herausgegebenen Ausgabe von 1859), Darmstadt 1976, S.43 7 vgl. Roman Ingarden, Erlebnis, Kunstwerk und Wert, Tübingen 1969, s. bes.: „Das ästhetische Erlebnis“, S.3-9 8 Hölderlin, Werke, a.a.O., S.643f 9 Verweis auf die maßgeblich durch Goethe vermittelte Wirkung des Byronschen Werkes in Deutschland (vgl. Goethes Gespräche mit Eckermann) 10 Lord Byron, Sämtliche Werke in neun Bänden, Übersetzt von Ad. Böttger, Herausgegeben und aus anderen Übersetzungen ergänzt von Prof. Dr. Wilhelm Wetz, Leipzig o.J., Bd. VI, S.182f 11 Erwähnt sei, daß der die geistige Entwicklung des jungen Richard Wagner maßgeblich beeinflussende Oheim Adolf Wagner u.a. auch als Übersetzer Byronscher Werke hervorgetreten ist 12 Karl Wilhelm Ferdinand Solger, Vorlesungen über Ästhetik, Hrsg. von Karl Wilhelm Ludwig Heyse, Leipzig 1829 (Darmstadt 1973), S.442 13 Karl Friedrich Schinkel, Aus Tagebüchern und Briefen, Hrsg. Günther Meier, Berlin, München, Wien 1967, S.146 14 Schelling, Philosophie der Kunst, a.a.O., S.78 15 Ebd., S.77f 16 Der „Sinn“ bedeutet die erkenntnistheoretisch elementarste Denkform: das Setzen eines die Bewußtseinsbestimmung (re)produzierenden Gegenstandes ohne Bewußtsein dieses Setzens; vgl. zur Abgrenzung: Walter Benjamin, Der Begriff der Kunstkritik in der deutschen Romantik, Herausgegeben von Hermann Schweppenhäuser, Frankfurt/M. 1973, S.27: 119 120 „Das bloße Denken mit seinem Korrelat eines Gedachten ist für die Reflexion Stoff … bei Schlegel heißt sie der „Sinn“.“ 17 Ebd., S.22 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 Ebd., S.26 Johann Gottlieb Fichte, Sämtliche Werke, Herausgegeben von Immanuel Hermann Fichte, 8 Bände, Berlin 1845f (Berlin 1971), Bd. I, S.66f Hierzu: Walter Benjamin, Kunstkritik, a.a.O., S.17: „Das absolute Subjekt … ist Zentrum dieser Reflexion und daher unmittelbar zu erkennen. Nicht um die Erkenntnis eines Gegenstandes durch Anschauung, sondern um die Selbsterkenntnis einer Methode, eines Formalen – nichts anderes repräsentiert das absolute Subjekt – handelt es sich.“ Ebd., S.23f Ebd., S.25 Ebd., S.25f Schelling, Philosophie der Kunst, a.a.O., S.109 Ebd., S.114 Athenaeum, Eine Zeitschrift von August Wilhelm Schlegel und Friedrich Schlegel, Berlin 1798 (I.Bd.), 1799 (II.Bd.), 1800 (III.Bd.), (Darmstadt 1977) Athenaeum 1800, S.351 Ebd., S.339 Ebd., S.338 Friedrich Schlegels Gedanke: Gewinnung eines idealen Publikums – findet sich in Entsprechung auch bei Richard Wagner. „... der Theaterstückmacher [, der] … diese Maxime [„mundus vult Schundus“ (nach Franz Liszt)] dagegen verwirft … der dürfte daher wohl für so lange, als ihm die Muße dazu vergönnt ist, sich ganz selbst anzugehören, das Publikum einmal ganz aus den Augen lassen; je weniger er an dieses denkt, wird ihm, dem ganz seinem Werke Zugewendeten, dann ein ideales Publikum, wie aus seinem eigenen Inneren, entgegentreten: sollte dieses auch nicht viel von Kunst und Kunstform verstehen, so wird desto mehr ihm selbst die Kunst und ihre Form geläufig werden [d.h.: der Künstler fingiert sich im idealen Publikum als sein eigenes Werk erlebend], und zwar die rechte, wahre, die gar nichts von sich merken läßt, und deren Anwendung er nur bedarf, um klar und deutlich sein innerlich erschautes mannigfaltiges Gebilde dem mühelosen Empfängnisse der außer ihm atmenden Seele anzuvertrauen. „So entsteht … einzig das, was man das Gute in der Kunst nennen kann. Es ist ganz gleich dem moralisch Guten, da auch dies keiner Absicht, keinem Anliegen entspringen kann.“ Richard Wagner, Sämtliche Schriften und Dichtungen in 14 Bänden, Leipzig, o.J. (6. Aufl.), Bd. X, S.75 29 Schelling, Philosophie der Kunst, a.a.O., S. 105 30 Ebd. 31 vgl. Arthur Schopenhauer, Zürcher Ausgabe, Werke in zehn Bänden, (Historisch-kritische Ausgabe von Arthur Hübscher, Wiesbaden 31972), Zürich 1977, Bd. VII, S.247ff 32 Athenaeum 1798, a.a.O., S.232 Friedrich Schlegel zitiert und kommentiert sein Fragment im Rahmen seiner Abhandlung „Über die Unverständlichkeit“; dort heißt es: „Dieses Fragment schrieb ich in der redlichsten Absicht und fast ohne alle Ironie … Daß ich die Kunst für den Kern der Menschheit, und die französische Revoluzion für eine vortreffliche Allegorie auf das System des transcendentalen Idealismus halte, ist allerdings nur eine von meinen subjektiven Ansichten … Die Poesie [in Schlegels Fragment vertreten durch Goethes „Meister“] und der Idealismus sind die Centra der deutschen Kunst und Bildung; das weiß ja ein jeder. Aber wer es weiß, kann nicht oft genug daran erinnert werden, daß er es weiß. Alle höchsten Wahrheiten jeder Art sind durchaus trivial und eben darum ist nichts nothwendiger als sie immer neu, und wo möglich immer paradoxer auszudrücken, damit es nicht vergessen wird, daß sie noch da sind, und daß sie nie eigentlich ganz ausgesprochen werden können.“ Athenaeum 1800, a.a.O., S. 343 33 Sören Kierkegaard, Über den Begriff der Ironie, Mit ständiger Rücksicht auf Sokrates, Unter Mitarbeit von Rose Hirsch übersetzt von Emanuel Hirsch, (Düsseldorf/Köln 1961 ), Frankfurt/M. 1976, S.271 34 Ebd., S.250 35 Ebd., S.249 36 Ebd., S.268f 37 Hölderlin, Werke, a.a.O., S.647 38 Kierkegaard, Ironie, a.a.O., S.270 39 Ebd., S.252 40 Ebd. 121 122 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 Zur gefühlsmäßigen Antizipation („Fühlen“) des Denkens („Methode“) formuliert Fichte wie folgt: „Der menschliche Geist macht mancherlei Versuche; er kommt durch blindes Herumtappen zur Dämmerung, und geht erst aus dieser zum hellen Tag über. Er wird Anfangs durch dunkle Gefühle*) (deren Ursprung und Wirklichkeit die Wissenschaftslehre darzulegen hat) geleitet; und wir hätten noch heute keinen deutlichen Begriff, und wären noch immer der Erdkloss, der sich dem Boden entwand, wenn wir nicht angefangen hatten, dunkel zu fühlen, was wir erst später deutlich erkannten. *) „Es erhellt daraus, daß der Philosoph der dunklen Gefühle des Richtigen oder des Genies in keinem geringeren Grade bedürfe, als etwa der Dichter oder Künstler …“, Fichte, Werke, a.a.O., Bd. I, S.73 Schopenhauer, Werke, a.a.O., war dem Verfasser nicht mehr auffindbar Hölderlin, Werke, a.a.O., S.648 „Philosophie fordert Charakter, und zwar von bestimmter sittlicher Höhe und Energie. Ebenso ist ohne alle Kunst und Erkenntnis der Schönheit Philosophie undenkbar.“ Schelling, Philosophie der Kunst, a.a.O., S.27 zit. nach: Benjamin, Kunstkritik, a.a.O., S.59 Karl Wilhelm Ferdinand Solger, Erwin, Vier Gespräche über das Schöne und die Kunst, Nachdruck der Ausgabe Berlin 1907, Mit einem Nachw. und Anm. hrsg. von W. Henckmann, München 1971, S.387 auch bei Schelling und dem späten Fichte ist das absolute Ich die absolute Daseinsform des absoluten Seins Gottes (des Absoluten) vgl. S. 12 und S. 49ff Athenaeum 1800, a.a.O., S181ff Athenaeum 1800, a.a.O., S.185 Benjamin, Trauerspiel, a.a.O., S.29 zit. nach: Ebd. vgl. hierzu Anm. 41 und S.16ff Benjamin, Kunstkritik, a.a.O., S.22 vgl. S.19, s. Anm. 19 zit. nach: Benjamin, Kunstkritik, a.a.O., S.29 Athenaeum 1798, a.a.O., S.207 vgl. S.13 u. 16, s. Anm. 8 Benjamin, Trauerespiel, a.a.O., S.16f 59 Athenaeum, 1798, a.a.O., S.207 60 vgl. Max Semper, Das Münchner Festspielhaus, Hamburg 1906 61 vgl. S.49 und Anm. 99 62 Die ob der Gleichsetzung von Theater- und Sakralbau behauptete Identität künstlerisch-theatralischen und christlich-sakralen Erlebens referiert die Intention der romantischen Kunsttheorie, die zunächst nicht zwischen religiöser und ästhetischer Pathosform unterscheidet. Die Abstraktion von den das religiöse bzw. ästhetische Erleben unterscheidenden Stimmungen – auf die besonders Kierkegaard aufmerksam gemacht hat – ist daher hier statthaft. Anmerkungen zu Kapitel II 63 Schelling, Philosophie der Kunst, a.a.O., S.35 „Soll … der Schein, in welchem die Kunst ihre Konzeptionen zum Dasein erschaft, als Täuschung bestimmt werden, so erhält dieser Vorwurf zunächst seinen Sinn in Vergleichung mit der äußerlichen Welt der Erscheinungen und ihrer unmittelbaren Materialität sowie im Verhältnis zu unserer eigenen empfindenden, das ist der innerlich sinnlichen Welt; welchen beiden wir im empirischen Leben, im Leben unserer Erscheinungen selber den Wert und Namen von Wirklichkeit, Realität und Wahrheit im Gegensatz der Kunst zu geben gewohnt sind, der solche Realität und Wahrheit fehle. Aber gerade diese ganze Sphäre der empirischen inneren und äußeren Welt ist nicht die Welt der wahrhaften Wirklichkeit, sondern vielmehr in strengerem Sinne als die Kunst ein bloßer Schein und eine härtere Täuschung zu nennen. Erst jenseits der Unmittelbarkeit des Empfindens und der äußerlichen Gegenstände ist die echte Wirklichkeit zu finden … Den Schein und die Täuschung dieser schlechten, vergänglichen Welt nimmt die Kunst von jenem wahrhaften Gehalt der Erscheinung fort und gibt ihnen eine höhere, geistgeborene Wirklichkeit.“ Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über Ästhetik, Erster und zweiter Teil, Mit einer Einführung herausgegeben von Rüdiger Bubner, Stuttgart 1971, S.46f 64 Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Philosophie der Offenbarung, Herausgegeben und eingeleitet von Manfred Frank, Frankfurt/M. 1977, S.90 65 Ebd. (S.89): „Es sind jetzt vierzig Jahre, da gelang es mir, ein neues Blatt in der Geschichte aufzuschlagen; die eine Seite [gem.: die negative Philosophie] derselben ist jetzt vollgeschrieben …“ 123 124 69 Ebd., S.97 68 Athenaeum 1800, a.a.O., S.99 67 Ebd., S.326 66 Wagner, Werke, a.a.O., Bd. IX, S.331 84 Solger, Vorlesungen, a.a.O., S.115 83 vgl. S.85f 82 Ebd., S.329 81 Wagner, Werke, a.a.O., Bd. IX, S.342 80 Schelling, Philosophie der Kunst, a.a.O., S.49 96 Hölderlin, Werke, a.a.O., S.648 95 Friedrich Nietzsche, Werke, Herausgegeben von Karl Schlechte, (Nachdruck der 6. durchgesehenen Auflage, München 1969), München 1976, Bd. I, S.413 94 zit. nach: Oswald Herderer, Klassizismus, München 21977, S.19 93 vgl. S.21 und Anm. 19 92 vgl. S.21 (Fußnote) und Anm. 19 91 Schelling, Philosophie der Kunst, a.a.O., S.223 90 Ebd., S.146f 89 Ebd., S.146 88 Karl Friedrich Schinkel, Aus Tagebüchern und Briefen, Hrsg.: Günther Meier, München, Berlin, Wien 1967, S.138f 87 Schelling, Philosophie der Kunst, a.a.O., S.218 Solger, Vorlesungen, a.a.O., S.335 „Das Hauptziel der Architectur ist, ein in sich vollendetes harmonisches Ganze durch das Verhältniß zu bilden. Den Gegenstand dieser Kunst betreffend, so kann sie im Wesentlichen nur Beziehung auf die Gottheit haben. Daher geht sie einzig und allein von dem Bau der Tempel aus und ist an und für sich zu keinem anderen Zweck da. Der Tempel ist Darstellung der unmittelbaren Gegenwart Gottes in der wirklichen Welt … Alle anderen Gebäude müssen in Beziehung auf den Tempelbau betrachtet werden. Ist es nicht die Idee der Gottheit selbst, so muß doch immer eine allgemeine Idee, z.B. des Schauspiels, des Staates u.s.w. vorausgesetzt werden, die sich als unmittelbar gegenwärtig in dem Werke der Baukunst darstellt. Nur dann wird auch die wahre Zweckmäßigkeit erreicht.“ 86 Zum mythischen Gehalt mythologischer Architektur: Karl Wilhelm Ferdinand Solger: 85 s. Anm. 79 70 Ebd., S.98 71 Die im ersten Teil dieser Arbeit aufgewiesene Parallele von Methode (Denken) und Erlebnis („sinn“-erfüllte Methode) ist durch die auf eine „neue Mythologie“ zielenden Ausführungen Friedrich Schlegels bestätigt; eine Stelle aus Hegels „Einleitung in die Ästhetik“ mag den Zusammenhang von Denken und Erleben bekräftigen: „… das Denken … macht die innerste wesentliche Natur des Geistes aus … Die Kunst nun und ihre Werke, als aus dem Geiste entsprungen und erzeugt, sind selbst geistiger Art, wenn auch ihre Darstellung den Schein der Sinnlichkeit in sich aufnimmt und das Sinnliche mit Geist durchdringt … wenn auch die Kunstwerke nicht Gedanken und Begriffe, sondern eine Entwicklung des Begriffes aus sich selbst, eine Entfremdung zum Sinnlichen hin sind, so liegt die Macht des denkenden Geistes darin, nicht etwa nur sich selbst in seiner eigentümlichen Form als Denken zu fassen, sondern ebensosehr sich in seiner Entäußerung zur Empfindung und Sinnlichkeit wiederzuerkennen, sich in seinem Anderen zu begreifen, indem er das Entfremdete zu Gedanken verwandelt und so zu sich zurückführt … der Begriff ist das Allgemeine, das in seinen Besonderungen sich erhält, über sich und sein Anderes übergreift und so die Entfremdung, zu der er fortgeht, ebenso wieder aufzuheben die Macht und Tätigkeit ist. So gehört auch das Kunstwerk, in welchem der Gedanke sich selbst entäußert, zum Bereich des begreifenden Denkens …“ Hegel, Ästhetik, a.a.O., S.52 72 Athenaeum 1800, a.a.O., S.101 73 Ebd., S.101f 74 Schelling, Philosophie der Kunst, a.a.O., S.14 75 Ebd., S.60 76 s. Anm. 28 98 Ebd., S.648 97 Ebd., S.900 78 Athenaeum 1800, a.a.O., S.96 99 Ebd., S.900 77 vgl. S.25f 79 Ebd. 125 126 100 Die Autorschaft des „Systemprogramms“ ist bekanntlich nicht gesichert; dieses wissenschaftliche Scheinproblem läßt jedoch den Ideengehalt des „Systemprogramm“-Textes unberührt. Hölderlin mag daher hier als der die Text-Quelle (geschichtlich-räumlich) fixierender Urheber gelten 101 Hölderlin, Werke, a.a.O., S.648 102 Ebd. 103 Ebd., S.648f 104 Schelling, Philosophie der Kunst, a.a.O., S.82f 105 Wagner, Werke, a.a.O., S.211 106 Monumentalität ist das Charakteristikum jedes symmetrisch-zentrierten Baukörpers; (baugeschichtlich) kommunizierende Baukörper würden die intendierte ‚Zeitlosigkeit‘ eines monumentalen Bauwerkes relativieren; Platz, städtisches Vorfeld, („grüner“) Hügel, Bergkuppe u.ä. garantieren die der monumental-mythologischen Architektur unabdingbare Isolation; diese ist das Zeichen des absoluten Ursprungsortes des Werkes. 107 Wagner, Werke, a.a.O., Bd. X, S.93 108 Nietzsche, Werke, a.a.O., Bd. I, S.413 109 Schopenhauer, Zürcher Ausgabe, a.a.O., (Teil-)Bd. I, S.332 110 vgl. bes. S.64f 111 Solger, Vorlesungen, a.a.O., S.475 112 Hans-Georg Gadamer, Die Aktualität des Schönen, Kunst als Spiel, Symbol und Fest, Stuttgart 1977, S.54 113 Ebd. 114 Solger, Vorlesungen, a.a.O., S.264 115 Ebd. Anmerkungen zu Kapitel III 116 vgl. S.34 und Anm. 59 117 Schelling, Philosophie der Kunst, a.a.O., S.37 118 Ebd., S.39 119 Schopenhauer, Zürcher Ausgabe, a.a.O., (Teil-)Bd. I, S.231 120 Poetisierung: pseudokontinuierliche Vermittlung der transzendenten Idee durch den zeitlichen Gestaltungsprozeß einer ihrer möglichen Darstellungsformen; dieser sukzessive Materialisierungsprozeß ist das, was wir im folgenden eine „expansive Entwicklungsreihe der Kunst“ nennen werden (vgl. S.51, s. auch Schellings Def. der Poesie: S.26 und Anm. 29) 121 Kierkegaard, Ironie, a.a.O., S.103 122 Ebd. 123 Ebd., S.103f 124 Ebd., S.108f 125 Ebd., S.108f 126 Nietzsche, Werke, a.a.O., Bd. I, S.26 127 Solger, Vorlesungen, a.a.O., S.340 128 Ebd., S.265 129 Ebd., S.340 130 Ebd., S.265f 131 Ebd., S.342 132 Ebd., S.341 133 vgl. S.52f 134 vgl. S.53f 135 Wagner, Werke, a.a.O., Bd. X, S.106 136 Solger, Vorlesungen, a.a.O., S.340 137 vgl. u.a.: Fichte, Werke, a.a.O., Bd. II, S.227 „ICH. Mein geistiges Vermögen scheint sich innerlich hin und her zu bewegen, schnell von dem einen auf das andere zu fahren; kurz, es erscheint mir als ein Linienziehen. – Ein bestimmtes Denken macht einen Punct in dieser Linie.“ 138 Solger, Vorlesungen, a.a.O., S.340 139 Schelling, Philosophie der Kunst, a.a.O., S.129 140 Ebd., S.130 141 Ebd., S.131 142 Zur Deutung des „künstlerischen Verstandes“ vgl. Solger, Erwin, a.a.O., 4. Gespräch, S.370ff 143 Schelling, Philosophie der Kunst, a.a.O., S.53, vgl. Anm. 165 144 Solger, Vorlesungen, a.a.O., S.334 145 Ebd. 146 vgl. S.47f 127 128 147 Solger, Vorlesungen, a.a.O., S.334 148 Ebd., S.263f 149 Ebd., S.334 150 Ebd., S.341 151 Ebd., S.266 152 Fichte, Werke, a.a.O., Bd. II, S.211 153 Ebd., S.208 154 Ebd., S.211f 155 vgl. Anm. 120 156 Wagner, Werke, a.a.O., Bd. IX, S.69f 157 Ebd., S.76 158 Ebd. 159 Ebd., S.76f 160 Fichte, Werke, a.a.O., Bd. II, S.206f 161 Ebd., Bd. I, S.273 162 vgl. Gilbert Austin, Die Kunst der rednerischen und theatralischen Declamation, Leipzig 1818 (Hanau 1970), Abbildungsteil S.185ff 163 Jede Reduktion ist eine Konkretisierung von Möglichkeit 164 vgl. S.101 165 Ergänzung: die allegorische Struktur der neuen Mythologie; der daraus resultierende Zusammenhang von Erlebnis und Erlebnisraum: In der ‚theatralischen‘ Handlung der neuen, musikalischen Mythologie ist die Idee, die im klassischen Symbolträger der Plastik eine statische Wirklichkeit einnahm, ihres Da-Seins entbunden: in der theatralisch-kultischen Handlung wandelt sich die statische Plastik in die Dynamik der musikalischen Allegorie: hier sind die Idee und die der Idee Ausdruck gebende Darstellung unendlich getrennt*). Einzig vermittels einer abstrahierend-erlebenden Aufhebung der darstellerisch artikulierten allegorischen Spannung (Idee – Darstellung) vermag der Erlebende die den Kulminationspunkt des Erlebens bedeutende Idee in eine deren Transzendenz simulierend Tiefe des Erlebnis- sprich: Bühnenraumes zu projizieren und dieser damit einen ‚ekstatischen‘ Raumpunkt zuzuweisen. Genau diesen Vorgang repräsentiert das bereits im ersten Teil dieser Abhandlung deduzierte, im Festspielhaus Bayreuth sich architektonisierende Erlebnisschema mit den Polen einer in einen exzentrischen Raumpunkt gesetzt zu denkenden Idee einerseits, der diesem Raumpunkt diametral entgegenstehenden (psychischen) Einheit des Erlebenden andererseits; über dem „mystischen Abgrund“ ‚schwebt‘ die diese beiden Extrempole strahlengleich auseinandertreibende (erinnere Schlegels „deducirten Leser“) bzw. die den ‚perspektivischen‘ Synthetisierungshinweis gebende theatralische Allegorie, die wir im Sinne der hier zu leistenden Deduktion auf das Bild eines eine ‚Ursprungsgebärde‘ artikulierenden Sängerdarstellers (und den diesen ausrichtenden Proszeniumsbogen) reduzierten. *) Zumal im Sinne einer Bestätigung der christlich-religiösen Dimension der neuen Mythologie folgende Textstelle aus Schellings „Philosophie der Kunst“ (a.a.O., S.74): „Wenn also die in der griechischen Mythologie erfüllte Forderung Darstellung des Unendlichen als solchen im Endlichen, demnach Symbolik des Unendlichen war, so liegt dem Christenthum die entgegengesetzte zu Grunde, das Endliche ins Unendliche aufzunehmen, d.h. es zur Allegorie des Unendlichen zu machen. Im ersten Fall gilt das Endliche etwas für sich, denn es nimmt das Unendliche in sich selbst auf, im andern Fall ist das Endliche für sich selbst nichts, sondern nur, sofern es das Unendliche bedeutet. Unterordnung des Endlichen unter das Unendliche ist also Charakter einer solchen Religion.“ 166 Wagner verweist in seinem Bayreuth-Vortrag ausdrücklich auf seinen Beethovenaufsatz (vgl. Wagner, Werke, a.a.O., Bd. IX, S.336). 167 Wagner, Werke, a.a.O., Bd. IX, S.336 168 vgl. die Fußnote S.68 und Anm. 159 169 Wagner, Werke, a.a.O., Bd. IX, S.336f 170 Ebd., S.338f 171 Ebd., S.337f 172 Solger, Vorlesungen, a.a.O., S.328 173 Ebd., S.339 174 vgl. Gottfried Sempers Entwurf und Modell zu einem „Monumentalen Festtheater“, eine Exedranische bestimmt die Fassade des „Hoftheaters zu Dresden“ 175 vgl. Solger, Vorlesungen, a.a.Q., S.55f: „Die Idee ist der Standpunkt der Einheit des Begriffes und des Besonderen. Soll mithin eine Idee in unserer Erkenntniß werden, so kann dies nur durch Aufhebung der gemeinen Erkenntniß geschehen, in welcher Allgemeines 129 130 und Besonderes geschieden sind. Die Idee muß als die Form erscheinen, welche die unendlich relative gemeine Erkenntniß aufhebt, worin die Elemente derselben sich in die Einheit auflösen. Ideen können nie bloß durch sich selbst erscheinen, sondern nur erkannt werden in ihrem Gegensatze gegen die gemeine Erkenntniß. Mit jeder Offenbarung der Idee ist Aufhebung der gemeinen Erkenntniß verbunden, die eben dadurch in die Idee aufgenommen wird.“ 186 Karl Philipp Moritz, Schriften zur Ästhetik und Poetik, Hrsg. von HansJoachim Schrimpf, Tübingen 1962, S.124f 187 vgl. S.77ff dieser Arbeit 188 Hermann Beenken, Schöpferische Bauideen der deutschen Romantik, Mainz 1952, S.41 189 Louis Catel, Vorschläge zur Verbesserung der Schauspielhäuser, Berlin 1802 177 vgl. Wagner, Werke, a.a.O., Bd. IX, S.85 176 Fichte-Schelling, Briefwechsel, a.a.O., S.105 195 vgl. Anm. 60 194 vgl. S.92ff 192 zit. nach: Ebd., S.33 191 vgl. Franz Benedikt Biermann, Die Pläne für die Reform des Theaterbaues bei Karl Friedrich Schinkel und Gottfried Semper, Berlin 1928 190 J.A. Breysig, Über den Bau, die Maschinerie und Malerei des Theaters, Magdeburg 1800 178 Erinnere Friedrich Schlegels Definition: „Ein Ideal ist zugleich Idee und Faktum“, s. Anm. 59 Anmerkungen zu Kapitel IV 179 vgl. Benjamin, Kunstkritik, a.a.O., S.54 (S.48ff) 197 vgl. Wagner, Werke, a.a.O., Bd. IX, S.337 198 vgl. Erich Hubala, Die Kunst des 17. Jahrhunderts (Propyläen Kunstgeschichte Band IX), Berlin 1970, S.222 196 vgl. S.46f und Anm. 88 193 vgl. Ebd. 180 vgl. Rudolf Zeitler, Die Kunst des 19. Jahrhunderts (Propyläen Kunstgeschichte, Band XI), Berlin 1966, S.35ff 181 Ebd., S.37f hierzu aus: Paul Klopfer, Von Paladio bis Schinkel, Eßlingen a.N. 1911, S.56: „… Harmonisch stimmt auch das Innere zum Äußeren – es ist aber eben ein Tempelinneres, kein protestantisches Kircheninneres. Es besteht in einem kassettierten Tonnengewölbe, das mit breitem Sims sich auf eine Reihe dorischer Säulen stützt, die die hohe Emporenwand bilden. Der untere Teil dieser Säulenwand ist durch Rundbogenöffnungen in sechs Achsen geteilt. Die Kirche ist wie die Madeleine [Paris] im Halbkreis mit einer Halbkuppel geschlossen. Dieser Abschluß wirkt durch eine gewisse Askese feierlich. Die ganze Schmuckart steigert aber den Eindruck des segnenden Christus von Thorvaldsen, der in diesem Rahmen erst in ganzer Reinheit und lieblicher Schönheit die Hände breitet und damit dem hart-antik ansprechenden Bild einen Einschlag christlicher Wärme gibt, der den Beschauer den Klassizismus der Architektur über der wunderbar-innigen Gestalt des segnenden Erlösers vergessen läßt.“ 182 vgl. S.82f dieser Arbeit 183 Nietzsche, Werke, a.a.O., Bd. I, S.54 184 Ebd. 185 Ebd. 131 132 Die zitierte Literatur Athenaeum, Eine Zeitschrift von August Wilhelm Schlegel und Friedrich Schlegel, Berlin 1798 (I.Bd.), 1799 (II.Bd.), 1800 (III.Bd.), (Darmstadt 1977) Beenken, Hermann, Schöpferische Bauideen der deutschen Romantik, Mainz 1952 Benjamin, Walter, Der Begriff der Kunstkritik in der deutschen Romantik, Hrsg. von Hermann Schweppenhäuser, Frankfurt/M. 1973 ders., Ursprung des deutschen Trauerspiels, Frankfurt/M. 1972 Biermann, Franz Benedikt, Die Pläne für die Reform des Theaterbaues bei Karl Friedrich Schinkel und Gottfried Semper, Berlin 1928 Fichte, Johann Gottlieb, Sämtliche Werke, Hrsg. von Immanuel Hermann Fichte, Berlin 1845f (Berlin 1971) Fichte-Schelling, Briefwechsel, Einleitung von Walter Schulz, Frankfurt/M. 1968 Gadamer, Hans-Georg, Die Aktualität des Schönen, Kunst als Spiel, Symbol und Fest, Stuttgart 1977 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, Vorlesungen über Ästhetik, Erster und zweiter Teil, Mit einer Einführung herausgegeben von Rüdiger Bubner, Stuttgart 1971 Hölderlin, Friedrich, Werke und Briefe, Hrsg. von Friedrich Beißner und Jochen Schmidt, Frankfurt/M. 1969 Ingarden, Roman, Erlebnis, Kunstwerk und Wert, Tübingen 1969 Kierkegaard, Sören, Über den Begriff der Ironie, Mit ständiger Rücksicht auf Sokrates, Unter Mitarbeit von Rose Hirsch übersetzt von Emanuel Hirsch, (Düsseldorf/Köln 1961), Frankfurt/M. 1976 Klopfer, Paul, Von Palladio bis Schinkel, Eßlingen 1911 Moritz, Karl Philipp, Schriften zur Ästhetik und Poetik, Hrsg. von Hans-Joachim Schrimpf, Tübingen 1962 Nietzsche, Friedrich, Werke, Herausgegeben von Karl Schlechta, (Nachdruck der 6. durchgesehenen Auflage München 1969), München 1976 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph, Philosophie der Kunst (unveränderter reprographischer Nachdruck der aus dem handschriftlichen Nachlaß herausgegebenen Ausgabe von 1859), Darmstadt 1976 ders., Philosophie der Offenbarung, Herausgegeben und eingeleitet von Manfred Frank, Frankfurt/M. 1977 Schinkel, Karl Friedrich, Aus Tagebüchern und Briefen, Hrsg. von Günther Meier, Berlin 1967 Solger, Karl Wilhelm Ferdinand, Vorlesungen über Ästhetik, Hrsg. von Karl Wilhelm Ludwig Heyse, Leipzig 1829 (Darmstadt 1973) ders., Erwin, Vier Gespräche über das Schöne und die Kunst, Nachdruck der Ausgabe Berlin 1907, Mit einem Nachwort und Anmerkungen herausgegeben von W. Henckmann, München 1971 Schopenhauer, Artur, Zürcher Ausgabe, Werke in zehn Bänden, (Historischkritische Ausgabe von Arthur Hübscher, Wiesbaden 31972), Zürich 1977 Wagner, Richard, Sämtliche Schriften und Dichtungen in 14 Bänden, Leipzig o.J. Zeitler, Rudolf, Die Kunst des 19. Jahrhunderts (PKG Bd. XI), Berlin 1966 Bildquellennachweis Ausstellungskatalog, Karl Friedrich Schinkel, Berlin 1982 (21); Gilbert Austin, Die Kunst der rednerischen und theatralischen Declamation, Leipzig 1808 (2, 3); Franz Benedikt Biermann, Die Pläne für die Reform des Theaterbaues bei Karl Friedrich Schinkel und Gottfried Semper, Berlin 1928 (1, 7, 14, 15, 16, 20, 24, 25, 27, 28, 29, 30, 31); Hermann Beenken, Schöpferische Bauideen der deutschen Romantik, Mainz 1952 (5, 12, 13, 17, 18, 19, 22); Der Festspielhügel, Richard Wagners Werk in Bayreuth, München 1973 (Titelbild, 8, 11, 34); Erich Hubala, Die Kunst des 17. Jahrhunderts (PKG Bd. IX), Berlin 1970 (32, 33); Klaus Lankheit, Revolution und Restauration, Baden-Baden 1965 (9); Josef Ponten, Architektur die nicht gebaut wurde, Stuttgart 1925,21987 (23); Richard Wagner, Sämtliche Schriften und Dichtungen in 14 Bänden, Leipzig o.J. (6); Rudolf Zeitler, Die Kunst des 19. Jahrhunderts (PKG Bd. XI), Berlin 1966 (4, 10) 133 Hector Berlioz Hans-Jürgen Fliedner EUPHONIA DIE MUSIKALISCHE STADT THE MUSICAL TOWN LA VILLE MUSICALE Skizzen, Bilder und Pläne zu einem utopischen Architekturprojekt Sketches, Pictures and Plans for an Utopian Projekt on Architecture (Pulvermaar/Eifel) Esquisses, tableaux et plans pour un projet d’architekture utopique Synästhesie Verlag geb. Ladenpreis 36,- DM Hector Berlioz: Abendunterhaltungen im Orchester – Prolog, Vierundzwanzigster und Fünfundzwanzigster Abend, Euphonia, oder die musikalische Stadt (Zukunftsnovelle), der Neudruck folgt der Übersetzung von Elly Ellès, Leipzig 1907; Evenings with the Orchestra – Prologue, Twenty-forth and Twenty-fifth Evening, Translation by Jacques Barzun; Soirées de l’orchestre – Prologue, vingt-quatrième et vingt-cinquième soirées; Hans-Jürgen C. Fliedner: Euphonia – die musikalische Stadt / the Musical Town / la ville musicale (Pulvermaar/Eifel) – Skizzen, Bilder und Pläne zu einem utopischen Architekturprojekt / Sketches, Pictures and Plans for an Utopian Project on Architecture, Translation by Nicholas Barton / Esquisses, tableaux et plans pour un projet d’architecture utopique, Traduction d’André Teissier; 266 Seiten, 3 x 18 Skizzen im Text, Tafelteil mit 21 Farb- und S/W-Abbildungen, kartoniert, 21 x 14,8 cm. ISBN 3-931248-01-1 Euphonia – eine Stadt der Musik, der Kunst, des (Musik-) Theaters. Zentrum ist eine schwimmende Konzerthalle auf dem Pulvermaar. Alle Gebäude sind in ihrem architektonischen Erscheinungsbild aus den Formen der Notenschrift entwickelt und mit der gegebenen Landschaft organisch verschmolzen. „Euphonia, die musikalische Stadt. Eine Sensation. Dieser geht jedoch alles Laute, Schrille ab … Eigentlich ist Fliedners Griff in die Welt ungeheuerlich … er berücksichtigt und bezieht Landschaft ein und stellt neue, geistige Beziehungen her: als müsse dort eigentlich (und nur dort) vollendeter Harmonieklang von Natur und Kultur, von sinnhaft-sinnlicher Erfahrung, Architektur und Schaffenskraft bildlich werden.“ (W. Rüdell, FT Bamberg) E. KREOWSKI TEXT IN DER KARIKATUR RICHARD WAGNER ILLUSTRATION EDUARD FUCHS SYNÄSTHESIE VERLAG geb. Ladenpreis 58,– DM Eduard Fuchs, Ernst Kreowski: Richard Wagner in der Karikatur; Neudruck der Ausgabe von 1907, Vorwort zur Neuausgabe von Dr. Manfred Eger; 244 Seiten, 224 Abbildungen im Text, sechs doppelseitige „Beilagen“, Fadenheftung, Festeinband, Schutzumschlag. ISBN 3-931248-03-8 Aus dem Vorwort von Manfred Eger Die Karikatur scheint maßgeblich an die Lebens- und Wirkenszeit einer Persönlichkeit gebunden. Das mag der Grund sein, daß der schöne Band „Richard Wagner in der Karikatur“ bisher keine Neuauflage erlebte. Eduard Fuchs – der bedeutende Kulturhistoriker, der durch seine „Illustrierte Sittengeschichte“ bekannt bleibt – hat eine reiche Zahl von Wagner-Karikaturen zusammengetragen, die mehr als repräsentativ ist. Ernst Kreowski schrieb dazu einen Text, der den chronologischen Lebensdaten Wagners folgt, dabei aber ständig auf die Karikaturen Bezug nimmt. „Der Band ist sehr viel mehr als nur ein amüsantes Bilderbuch zum Durchblättern. Der Text von Kreowski, der häufig auch Zitate aus Parodien einfließen läßt, ist eine gründliche und ernsthafte, dabei unterhaltsam-amüsante Studie über einen bemerkenswerten Aspekt der Wagner-Rezeption. Er beleuchtet alle erdenklichen Facetten des Themas und bezieht auch Darstellungen ein, auf denen Mitstreiter und Freunde, Interpreten und Gegner, Wagnerianer oder Wagnerpublikum charakterisiert oder karikiert werden. Der Entschluß des Synästhesie Verlags, diesen Band neu aufzulegen, ist eine jener hochwillkommenen Ideen, bei denen man sich fragt, warum nicht schon längst jemand darauf gekommen ist.“ Hans-Jürgen C. Fliedner. Geboren am 5.2.1952 in Amberg/Oberpfalz. Aufgewachsen in Düsseldorf. Nach anfänglichem Physikstudium, Studium der Kunstwissenschaft, Architekturtheorie, Philosophie, Pädagogik und Kunst & Gestaltung an der RWTH Aachen. War als Lehrer (Wuppertal) und ausgebildeter Buchhändler (Coburg) tätig. Lebt seit 1983 in Coburg. Umfangreiche Vortragstätigkeit zu diversen kunstwissenschaftlichen, architekturtheoretischen und philosophischen Themen. Gründete 1994 den „Synästhesie Verlag“. Publizierte u.a. „Die Immanenz der Transzendenz in der perspektivischen Darstellung“, Wien 1996.