Aus den Mittheilungen des Wiener Alterthumsvereines Jg. IX (Wien 1865) Die Stadtpfarrkirche zu Steyer in Oberösterreich Von Hermann Riewel Am westlichen Ende der alten Stadt Steyer, wo die Ufer der Steyer und Enns zu einem hohen Plateau ansteigen, erbebt sich das imposante Bauwerk der in der ersten Hälfte des XV. Jahrhunderts gegründeten Pfarrkirche, dem heiligen Aegydius und Colomanus geweiht1). Aus der vom Chorherrn F. X. Pritz verfassten Geschichte der Stadt Steyer 2) erfahren wir, dass auf derselben Stelle, wo jetzt die Pfarrkirche steht, schon früher eine alte Kirche bestanden habe, deren Gründung somit in die romanische Epoche fallen müsste. Die Zeit von Mitte des XIV. bis Mitte des XV. Jahrhunderts kann als die Blütezeit der Wiener Bauhütte bei St. Stephan angesehen werden3); diese übte selbstverständlich einen großen Einfluss auf die meisten Kirchenbauten der mittleren Donauländer jener Zeit. Einen hierfür neuen und auffallenden Beweis liefert uns wieder die Kirche in Steyer. Beim ersten Blick auf den Grundriss (Fig. 1) fällt die Analogie mit dem des St. Stephansdomes4) auf (s. Tafel I. Fig. 1). Wir finden bei beiden Grundrissen, die Orgelbühne der letzteren ausgenommen, die gleiche Anzahl Gewölbfelder des Schiffes und einen ziemlich gleichen Chorschluss. Nur ist bei St. Stephan der Hauptchor um ein Gewölbfeld mehr hinausgerückt, während die Seitenchöre nach außen um eine Achteckseite vermehrt erscheinen. Weitere Ähnlichkeiten mit St. Stephan finden sich auch in der Detailbildung des Inneren, worauf wir später zurückkommen. Die Angabe von Pritz, dass Hanns Puchsbaum den Bau der Kirche 1443 begonnen, kann wohl als richtig angenommen werden, da derselbe5) damals schon am Bau der St. Stephanskirche in Wien beschäftigt war, und 1446 auch als Baumeister derselben Kirche erscheint. Dass Puchsbaum wahrscheinlich auch den Plan zur Kirche in Steyer gemacht hat, lässt sich aus dem glücklichen Zufall schließen, dass der Originalgrundplan des Chorteils der Kirche auf Pergament gezeichnet, wovon auf (Tafel II) ein Faksimile folgt, noch existiert. Dieser Originalplan, welcher jetzt Eigentum der Akademie bildender Künste zu Wien ist, war nebst einigen anderen dort befindlichen alten auf Pergament gezeichneten Plänen früher Eigentum des Domarchives zu St. Stephan. Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass das Project für die Kirche in Steyer aus der alten Wiener Bauhütte hervorging, und wohl auch Meister Puchsbaum Verfasser desselben gewesen sein konnte. Betrachten wir nun die von Westen nach Osten gerichtete Kirche und ihre Anlage selbst, so finden wir, wie im Grundriss und Querdurchschnitt (Fig. 2) ersichtlich ist, das System einer dreischiffigen Hallenkirche mit gleich hohen Schiffen durchgeführt. Die Verhältnisse sind schlank und edel, und geben ein schönes Beispiel der Blütezeit gotischer Kirchenbaukunst des XV. Jahrhunderts. Die ganze innere Länge der Kirche beträgt 174 Fuß bei einer Breite von 72 Fuß, welches letztere Maß der Höhe der Seitenschiffe entspricht, nur ist das Mittelschiff in Folge der Wölbung um 3 Fuß höher. Das Größenverhältnis zur St. Stephanskirche in Wien stellt sich daher wie 2 zu 3 heraus. Die volle Breite des Mittelschiffes beträgt 29 Fuß, die Breite jedes Seitenschiffes 20 Fuß. Von den 12 Pfeilern, welche das reiche Netzgewölbe des Innern tragen, sind jene zwei, welche das Schiff vom Chor der Kirche trennen, von besonderer Stärke und durchbreite Quergurten verbunden. Es erscheint zwar beim ersten Einblick ins Innere der Kirche, der Chor von den starken Pfeilern an gerechnet, auffallend lang; betrachten wir aber den Originalgrundriss, so finden wir bei den starken Pfeilern die Anlage eines Lettners, welcher aber nicht zur Ausführung gekommen zu sein scheint. Diese Lettneranlage, welche überall, wo dieselbe vorkommt, den Chor vom Schiff der Kirche trennt, und unmittelbar unter dem Triumphbogen durchgeführt ist, weist darauf hin, dass der ganze östliche Teil von den starken Pfeilern an schon ursprünglich für den Chor bestimmt war. Das an der Südseite angebrachte Stiegenhaus, welches auf den Dachboden führt, hatte jedenfalls als weitere Bestimmung, den 1 Aufgang auf den Lettner zu vermitteln, was auch in dem alten Plane durch den Übergang angedeutet ist. Die neben der Stiege befindliche Eingangstür mit der kleinen Vorhalle war wohl hauptsächlich für die Geistlichkeit bestimmt, da das Pfarrhaus neben der Kirche auf der Südseite gelegen ist. Der Haupt- sowie die beiden Seitenchöre schließen, wie schon bemerkt, mit dem Achteck ab, und zwar der Hauptchor mit fünf Seiten des Achtecks, wovon die mittleren drei Seiten je mit einem 7 Fuß breiten, dreiteiligen Fenster geschmückt sind, deren jedes die ganze Mauerfläche zwischen den Strebepfeilern einnimmt; die reich profilierten Gewände der Fenster verbinden sich derart mit den schlanken Gewölbdiensten, dass die Mauerfläche verschwindet, und dafür nur ein reich profilierter Halbpfeiler erscheint. Die zwei in der Längenachse der Kirche liegenden Achteckseiten des Hauptchores bilden durch das Zusammenschneiden mit den Nebenchören Mauermassen, die nur als Mauerblenden behandelt wurden. Die nördliche Blende wird ihrer ganzen Breite und Höhe nach durch ein reiches Sakramentshäuschen ausgefüllt. Die südliche ist mit einer in der Höhe von 12 Fuß beginnenden reichen Baldachingruppe bedeckt. Die Seitenchöre schließen mit drei Seiten des Achtecks ab, wovon zwei Seiten durch 3 Fuß 9 Zoll weite zweiteilige Fenster belebt sind, die dritte Seite bedeckt Blendmaßwerk. Sämtliche Chorfenster wurden in der Zopfzeit wegen Aufstellung riesiger Altäre vermauert. Diese Vermauerungen wurden aber im Jahre 1857, als der Chor der Kirche teilweise einer Restauration unterzogen wurde, wieder beseitigt, und die beschädigten Teile der Maßwerke durch neue ersetzt. Ein besonderer Reichtum ist dem Chor noch dadurch gegeben, dass die ganze reiche Profilierung der Fenstergewände, sowie die halben Maßwerkpfosten bis in die Höhe des unteren Halb-Pfeilersockels herunterlaufen. Hier hat jeder Rundstab seinen eigenen Sockel, und steht auf dem den Chor umlaufenden Sockel auf. Die Fenster an den Seitenmauern der Nebenchöre, sowie die des Schiffes nehmen ebenfalls die ganze Breite zwischen den Strebepfeilern in Anspruch, so dass dieselben eine lichte Weite von 12 Fuß 6 Zoll haben; sie sind vierteilig, das Maßwerk zeigt größtenteils verschiedene, aber teilweise schon unorganische Formen. Die Schiffspfeiler sind sogenannte Bündelpfeiler (Fig. 3 und 4), deren Profil genau dem von St. Stephan entspricht. Gegen das Mittel und Seitenschiff hin haben dieselben auf jeder Seite drei vorgelegte Halbsäulen als Gewölbträger, welche unter dem Gewölbanfang durch ornamentlose Kapitäle abschließen. Die Profilierung gegen die Längenachse des Schiffes, welche in ihrer Hauptform aus je drei Birnstäben mit Hohlkehlen besteht, geht ohne Unterbrechung, den Hängebogen bildend, von einem Pfeiler zum andern. Nur im Bogen selbst ändert sich das Profil ein wenig, was aus Figur 3 ersichtlich wird; hier tritt nämlich in Übereinstimmung mit dem Netzgewölbe noch das halbe Rippenprofil als Schildbogen zur Verstärkung hinzu. Der Abstand der Pfeiler voneinander beträgt 20 Fuß. Der Sockel der Pfeiler ist reich gegliedert, auf ihm stehen die besonderen Sockel der Dienste und Birnstäbe auf. Die Dienstkapitäle, welche unten einen laublosen runden Kelch zeigen, sind mit einer aus dem Zehneck entwickelten, reich profilierten Deckplatte gedeckt, deren jede Seite nach Innen geschweift ist. Die Wandpfeiler der Seitenschiffe haben dieselbe dreiteilige Dienstvorlage, zu welcher noch die zwei kleinen Rundstäbe vom Arkadenbogenprofil hinzukommen, welche als Träger der Schildbogen dienen. Die zwei Hauptpfeiler sind aus vier Arkadenbogenprofilen zusammengesetzt, zu welchen noch vier vorgelegte Dienste als Träger der Diagonalrippen kommen (Fig. 5). Ein besonderer Reichtum, welcher das Ansehen der schlanken Pfeiler im Chore noch erhöht, ist die Anlage von Figurennischen mit reichen Baldachinen. Es sind zu diesem Zweck die vier kleinen Dienste jedes Pfeilers in der Höhe von 14 Fuß durch Kapitäle, welche im Profil den oberen gleichen, abgeschlossen. Hier wird durch die Verbindung der zwei kleinen Hohlkehlen in eine große die Figurennische gebildet, über welcher sich nun der reiche Baldachin entwickelt (Fig. 6). Dieselben haben größtenteils eine siebeneckige Grundform, im Innern ein Sterngewölbe. Der Ausläufer der oberen Fiale, deren Leib sogar mit Blumen an den Kanten geschmückt ist, verwächst mit dem sich von neuem entwickelnden Dienste. 2 Diese Figurennischen, welche sich auch an jedem einzelnen Dienst im Chor wiederholen, finden wir auch in St. Stephan, nur dass hier dieselben noch reicher sind, und dass auch der Hauptdienst der Pfeiler nur etwas höher als bei den Nebendiensten durch diese Anlage bereichert erscheint. Die reichen zusammengesetzten Kreuz- oder sogenannten Netzgewölbe des Chores sind ganz nach dem ursprünglichen Plane zur Ausführung gekommen, nur in den Seitenschiffen zeigen sich kleine Abweichungen. Das ursprüngliche Gewölbe des Schiffes, welches, soweit es bereits fertig war, am 18. März des Jahres 1522 durch die Feuersbrunst zerstört wurde, ist später durch einfache Tonnengewölbe ersetzt worden, über deren Erbauung Pritz eine lateinische Aufschrift über dem Haupttor anführt, welche aber nicht mehr zu finden ist 6). Dass das Haupt- und die Nebenschiffe ebenfalls wie der Chor mit reichen Netzgewölben bedeckt waren, welche aber einer späteren Zeit angehörten, wird durch deren vorhandene Spuren bewiesen. Bei der neuen Einwölbung wurden die Widerlager mit schweren Kämpfergesimsen versehen, welche aber erst über den alten Dienstkapitälen beginnen, von welchen letzteren sich noch zwei in dem ersten Travée des Mittelschiffes erhalten haben, siehe Tafel III. Dass diese Dienstkapitäle an allen Pfeilern des Schiffes vorhanden waren, ist wahrscheinlich; ob dieselben aber an den Wandpfeilern der Seitenschiffe bestanden haben, ist eine Frage. Hier sehen wir an einem Feld der Südseite, wie eine alte Gewölbrippe durch die rohe Masse des neuen Gewölbes durchdringt, und an die Mauerfläche anschneidet. Ein Beweis, dass hier ein Gewölbe späterer Form bestanden hat, wo sich die Rippen durchdringen, wie sie auch in der nördlichen und südlichen Vorhalle noch vorhanden sind, woselbst die Rippen sich über dem kapitällosen Dienst kreuzen. Eine besonders eigentümliche Anlage ist die unter dem letzten, westlichen Travée in der ganzen Breite der Kirche sich hinziehende Vorhalle, über welcher sich im Innern die Orgelbühne befindet. Von dieser Vorhalle führt eine Doppeltüre in das Innere der Kirche, deren Gewände-Gliederung sich im Türsturz fortsetzt, welcher letztere aus drei Kreissegmenten nach unten geschweift ist. Außerdem läuft ein schweres Stabwerk über der Tür im Rundbogen zusammen. Ähnliches, aus einem starken Rundstab mit Hohlkehlen und zwei halben Birnstäben bestehend, umrahmt auch die fünf Mauerblenden der Halle, welche ebenfalls im Rundbogen geschlossen sind. Die Halle ist mit einem einfachen Tonnengewölbe überspannt, welches nur durch die über den Mauerblenden befindlichen Schilder unterbrochen wird. Von besonderem Reichtum ist die kleinere nördliche Vorhalle, aus welcher man wieder durch eine Doppeltür in die Kirche gelangt. Diese Halle, welche zwischen zwei Strebepfeilern die Breite eines Travées in Anspruch nimmt, bildet durch die unter einem stumpfen Winkel nach außen gelegten Mauern ein unregelmäßiges Fünfeck. Das reiche Türgewände zieht sich im Spitzbogen über dem gleich jenem in der westlichen Halle geschweiften Türsturz zusammen. Die Rundstäbe nehmen im Bogen die Spätform des Astwerkes an und durchkreuzen sich. In den vier Figurennischen der Gewände, welche mit reichen Baldachinen bedeckt sind, befinden sich noch drei alte Figuren, die auf schön gebildeten Kapitälen stehen. Diese Figuren, der einzige noch ursprüngliche figuralische Schmuck der Kirche, sind von Stein, bemalt, und stellen den heil. Jacobus major, die h. Elisabeth und Agnes dar. In dem einen Bogenfeld der Tür ist ein Relief, die Himmelfahrt der heil. Maria darstellend, mit der Jahreszahl 1525, an welchem man schon Renaissanceformen in der Architektur bemerkt, überhaupt eine schwächere Arbeit. Das reiche Netzgewölbe dieser Halle ist schon maßwerkähnlich behandelt, indem die Rippen mit Nasen versehen sind. Erstere kreuzen sich mannigfaltig. Von dieser Vorhalle und auch von der Kirche aus zugänglich führt eine geräumige Treppe zwischen zwei Strebepfeilern in die Höhe der Orgelbühne, und mündet auf einer Galerie aus, welche auf gegliederten Tragsteinen ruht, siehe Taf. III. Diese Galerie geht über zwei Travées und führt außer zur Orgelbühne noch zu dem über der Vorhalle aufgebauten Oratorium, welches sich nach dem Schiff durch einen gegliederten Bogen öffnet. Das Gewölbe des Oratoriums scheint auch beim Brand mit zerstört worden zu sein, da es jetzt durch ein neues ersetzt ist; doch treten auch hier, wie im Schiff 3 deutlich die alten, sich kreuzenden Rippen am Widerlager zu Tage. Von besagter Galerie aus führt zugleich ein im Innern rundes, nach außen achteckiges Treppentürmchen auf den Dachboden, dessen durchbrochene gegliederte Spindel auf einem kleinen Netzgewölbe, welches die untere gerade Treppe teilweise überspannt, ruht. Auf der Südseite befindet sich eine zweite kleine Vorhalle von derselben Breite, wie die nördliche, aber sie hat bloß die Strebepfeilerausladung zu ihrer Tiefe. Außen sind drei kleine StrebepfeilerVorlagen angebracht, welche als Gewölbwiderlager dienen, an denen auch die Dienste emporwachsen; über diesen kreuzen sich die Rippen des maßwerkartigen Gewölbes. Es führt von dieser Halle nur eine einfache Türe in die Kirche, während die andern drei Wandflächen mit im Bogen geschlossenen Nischen versehen sind, in welchen sich Sitzbänke befinden. An der Nordseite des Chores erhebt sich der sechseckige Turm, an welchem sich die Sakristei anschließt, über welcher zugleich noch ein Geschoss als Paramentenkammer aufgebaut ist. Um in diese Paramentenkammer zu gelangen, ist ein kleiner Treppenturm im Innern der Kirche aufgeführt; man gelangt durch ihn auf eine kleine, reich mit Blendmaßwerk geschmückte Galerie, welche von einem Rundbogen, der sich an den Treppenturm und auf einen Tragstein stützt, getragen wird. Von dieser Galerie aus betritt man erst das Innere der Paramentenkammer, deren Gewölbe dem der Sakristei gleich ist; hier ruhen die Diagonalrippen auf Konsolen, die Mittelrippen einerseits auf einem Dienst, anderseits sind sie über der Eingangstür in ihrem Profil abgekragt. Neben der nördlichen Vorhalle ist noch eine kleine Kapelle angebaut, welche sich nach dem Innern der Kirche durch einen gegliederten Stichbogen öffnet, und durch ein doppeltes Fenster beleuchtet wird. Der Schluss dieses Fensters trägt schon die späte Form des gebrochenen Spitzbogens, dessen Profil auch über dem Bogen das Fenster viereckig einrahmt; eine Form, welche mehr der Profanarchitektur angehört. Die Einwölbung dieser Kapelle ist auch neu, und besteht in einem flachen Tonnengewölbe. In dem sechseckigen Turm, welcher mit zwei Seiten in das Seitenschiff einschneidet, befindet sich die Taufkapelle, welche mit einem schönen Sterngewölbe versehen ist, dessen Rippen auf Konsolen ruhen. Hier steht der 8 Fuß hohe, mit einem hohen Deckel geschlossene Taufstein aus dem Jahre 1569; derselbe ist aus Holz mit Bleiplatten überzogen, welche Reliefdarstellungen aus der h. Schrift tragen. Diese Platten sind durch Wülste und breite Bänder gehalten, welche letztere reich mit verschieden bemalten Ornamenten, Sternen und weit hervortretenden Engelsköpfen verziert sind. Das Ganze ruht auf einer Marmorbasis. Zum Äußeren der Kirche übergehend (Taf. IV.) finden wir die Strebepfeiler in drei Absätzen bis unter das Hauptgesims der Kirche ansteigen, und hier mit einem Giebel abschließen. Auf den Chorpfeilern sind gegen den Pfeiler über Ecke gestellte Ansätze sichtbar, welche auf einen Fialenaufbau schließen lassen, der aber nicht zur Ausführung gekommen ist. Der sechseckige Turm steigt monoton und durch horizontale Gesimse in acht Stockwerke geteilt in die Höhe. Bis zur Höhe des Kirchendaches gehört der Turm dem alten Bau an, von da beginnt ein zopfiger Aufbau. Ein nach Osten angebautes Treppenhaus führt in das Innere des Turmes. Das Äußere der nördlichen Vorhalle entspricht an Reichtum dem Inneren. Der Mittelpfeiler ist unten mit Blendmaßwerk versehen, während die oberen Absätze mit Fialen geschmückt sind. Die zwei Seitenpfeiler sind nur durch Giebel abgesetzt und schließen sich mit einer einfachen Schräge der oberen Mauerfläche an. Zwischen den Pfeilern sind 8 Fuß breite im Spitzbogen geschlossene Eingänge, welche durch geschweifte Giebel, die mit Knorren und Kreuzblumen geschmückt sind, den Reichtum des Baues erhöhen. Von den beiden dreiteiligen Fenstern, welche das obere Oratorium erleuchten, zeigt das östliche die spätesten Formen der Gotik, da sich hier die Maßwerkstäbe durchschneiden und dann abgeschnitten erscheinen. Das achteckige Treppentürmchen, welches aus dem unteren einarmigen Treppenhaus wächst, wird oben von Giebeln gekrönt, welche auf einem horizontal herumlaufenden Gesims aufsitzen. Hinter den Giebeln erbebt sich der Helm, der mit einer Kreuzblume abschließt. Unmittelbar unter dem Kreuzblumengesims windet sich ein Spruchband um die Helmspitze herum, das die Jahreszahl 1509 trägt; es ist dies die einzige Jahreszahl, welche am ganzen Bau zu finden ist. 4 Der Eingang der großen westlichen Vorhalle ist wieder, wie das Doppelfenster der Kapelle, mit einem gebrochenen Spitzbogen überspannt, dessen Profilierung sich sowohl im Scheitel des Bogens, wie im Bruche mit dem senkrechten Profil durchkreuzt. Die Gewände des Eingangs sind durch Figurennischen mit Baldachinen und Postamenten unterbrochen, auf welchen letzteren zwei Figuren neuerer Zeit stehen. Der südliche Eingang zur Halle ist einfacher profiliert und ohne Figurennischen. Die ganze westliche Fassade erscheint nur als kahle Wand, welche bloß durch die vier Strebepfeiler unterbrochen wird; die Pfeiler zeigen im oberen Teil eine andere Entwickelung als die Chor- und Schiffspfeiler. Einen besonderen Schmuck der Kirche bildet das schon erwähnte Sakramentshäuschen im Chor (Fig. 7 und 8). Dasselbe wächst gleichsam aus der Mauer heraus, hat zu beiden Seiten des Türchens kleine Figurennischen, welche durch Baldachine bedeckt sind, und worüber sich der weitere Aufbau aus vier Seiten des Zwölfeckes entwickelt (s. Fig. 8). Die eiserne Tür7) ist eine schöne Schlosserarbeit, welche, durch Rahmen geteilt, sechs Felder bildet, wovon jedes von einem besonderen reichen Maßwerk bedeckt wird. Auch die Rahmen sind ähnlich verziert, und von geflochtenen Rundstäben eingefasst. Die Maßwerke sind sämtlich vergoldet, und haben die Felder blauen, die Rahmen roten Grund. Als eine andere interessante Schlosserarbeit verdient die Sakristeitür Erwähnung. Dieselbe ist mittelst eiserner Schienen in rautenförmige Felder geteilt, welche letztere die Wappen von Oberösterreich, Tirol und Kärnten, sowie den Habsburger Löwen als getriebene Arbeit tragen. Diese Wappen sind abwechselnd in die Felder verteilt. In der Paramentenkammer hat sich auch noch ein alter Schrank erhalten (s. Fig. 3), dessen Rahmen und Friese teils mit maßwerkähnlichem, teils mit fortlaufendem Laubornament geziert sind. Diese Ornamente sind flach mit vertieftem Grund, welcher rot und schwarz bemalt ist, die Rippen der Blätter sind von grüner Farbe. In denselben Farben ist das Maßwerkornament behandelt, nur kommen da noch weiße Rosetten hinzu. Die Türchen, von welchen nur noch einige vorhanden, sind mit reichem Eisenbeschlag versehen. Von den vorhandenen Glasmalereien existieren nur mehr wenige Überreste aus der Bauzeit der Kirche8). In einem südlichen Fenster sind noch drei Felder mit Bildern aus dem Leben der heil. Katharina zu sehen. Ober dieser Gruppe sind drei Heiligengestalten unter gotischen Baldachinen angeordnet. Dieses Gemälde ist bloß grau in grau ausgeführt. Aus derselben Zeit mag wohl auch das Feld eines nördlichen Fensters sein, welches Christus am Kreuz nebst Maria und Johannes darstellt. Schön in der Zeichnung und Farbe ist ein Glasgemälde des XVI. Jahrhunderts, welches die ganze Breite und vier Felder der Höhe eines südlichen Schiffsfensters einnimmt. Die Hauptdarstellung in großen Figuren ist der Tod der heiligen Maria, umgeben von den Aposteln. Ein Engel kniet zur Seite Mariens, über welcher Gott Vater mit der Weltkugel in Wolken schwebt. Oberhalb dieser Gruppe erscheint die Krönung Mariens. Knieend empfängt die h. Maria von Gott Vater und Sohn die Krone des Himmels, über welcher der h. Geist in Gestalt der Taube schwebt. Die Architektur, welche des ganze Gemälde umgibt, trägt bereits den Charakter der Renaissance an sich. Im Nebenfenster sind noch vier Felder von Glasgemälden erhalten, welche auch der späteren Zeit angehören. Links erblicken wir die heil. Katharina, rechts Johannes den Täufer mit dem Lamm. In den unteren Feldern kniet einerseits eine männliche Figur mit vier Knaben, anderseits eine Frau mit drei Mädchen, welche jedenfalls den Donator mit seiner Familie darstellen. Endlich ist in einem nördlichen Schiffsfenster die heil. Maria mit dem Christuskinde von einer Strahlenglorie umgeben, als ein späteres Glasgemälde erhalten. Von den verschiedenen Baumeistern, welche nach Pritz’ Angabe bei diesem Kirchenbau tätig waren, ist von Meister Tenk ein steinernes Wahrzeichen am Bau selbst noch vorhanden. An der Treppenmauer der Nordseite finden wir einen marmornen Grabstein eingemauert (Fig. 9), auf welchem Meister Tenk vor dem gekreuzigten Christus knieet. Von der Figur des Meisters ausgehend schließt sich ein Band um das Kreuz mit einer nicht mehr vollständig lesbaren Inschrift. Das Kreuz wächst aus dem Felsen, dessen Fuß ein Wappenschild mit dem Steinmetzzeichen des Meisters trägt. Zur Rechten hält die Figur eines Lehrlings einen großen Wappenschild, auf welchem ein gepanzerter Arm aus den Wolken kommend einen sogenannten Flächenhammer hält. Oberhalb treten vier gekrönte Halbfiguren 5 aus den Ornamenten hervor, welche verschiedene Funktionen des Steinmetzhandwerks repräsentieren. Aus der unteren Inschrift ersehen wir, dass Meister Tenk auch Baumeister der Kirche gewesen, und 1513 gestorben ist9). Sehr interessant ist die Darstellung der sogenannten vier Gekrönten (von den Kronen, die über ihrem Grabe erschienen) mit Emblemen des Steinmetz-Handwerks (h. Serinus, h. Severianus, h. Carpoforus und h. Victorinus) als der Patrone der Bauhütten, welche Darstellung überhaupt sehr selten vorkommt10). Unmittelbar neben der Pfarrkirche finden wir auf der Südseite noch ein zweites gotisches Bauwerk, welches auch der Bauzeit der Kirche angehört, oder sogar etwas älter sein mag, nämlich die Margarethen-Kapelle11). Dieselbe ist einschiffig (Fig. 10) mit drei Gewölbfeldern, hat einen kleinen Chor mit einem Gewölbfeld und schließt mit fünf Seiten des Achtecks ab. Die ganze innere Länge beträgt 74 Fuß bei einer Schiffsbreite von 22 Fuß 6 Zoll, während der Chor nur 16 Fuß breit ist, die Höhe der Kapelle bis zum Hauptgesims misst 30 Fuß. Die vier kleinen Wandpfeiler im Schiff sind aus dem Achteck konstruiert (Fig. 11), welches sich am Gewölbwiderlager durch eine Gliederung erweitert, wo die Diagonal- und Schildbogenrippen herauswachsen, während die Diagonalrippen in den vier Ecken auf Konsolen ruhen. Die einfachen Kreuzgewölbe sind mit Schlusssteinen versehen, von welchen der östlichste im Chor eine Lilie, der zweite ein M trägt. Im Schiff erscheint auf den drei Schlusssteinen ein K, dann eine fünfteilige Rosette und endlich ein S. Die Fenster der Kapelle sind meistens vermauert, und gegen Süden ist das Pfarrhaus an dieselbe angebaut. Das schönste an der Kapelle ist das sechseckige Türmchen (Fig. 12 und 13) welches auf der Giebelmauer des Schiffes oberhalb des Triumphbogens sich schlank in die Lüfte erhebt. Von den zwei reichen Etagen ist die obere durch sechs Fenster durchbrochen, neben denen Säulchen kleine Fialen tragen, an die sich die geschweiften Giebel, welche die Fenster überspannen, anschließen. Diese Giebel schweifen sich auch nach den großen Eckfialen, wo sie ganz unorganisch in die großen Fialenriesen hineinwachsen, was sich auch bei der unteren Etage an den übers Eck gestellten Fialen wiederholt. Das Ganze wird durch einen schlanken mit Krabben und Kreuzblumen geschmückten Helm gekrönt. Im Inneren der Kapelle ist jetzt das Schiff vom Chor durch eine unter dem Triumphbogen angebrachte Vermauerung getrennt; dieser Mauer sind noch zwei Pfeiler vorgelegt (siehe Grundriss Fig. 10), welche wohl in einer späteren Zeit als eine weitere Stütze des Turmes aufgeführt wurden; denn da die Profilierung des Triumphbogens größtenteils sichtbar ist, ist wohl mit Gewissheit anzunehmen, dass der Bogen offen war, und der Turm früher außer auf dem Bogen, noch auf Tragsteinen ruhte. Außerdem befindet sich über dem westlichen Travée des Schiffes ein kleiner Musikchor eingebaut, welcher auch einer späteren Zeit angehört. 1) Über dieselbe s. Mittheilungen der k. k. Centr. Coon. I. 43. Bericht des Dr. Freiherrn von Sacken, und ebendaselbst III. 195. Bericht des Conservators A. Stifter. 2) F. X. Pritz: Beschreibung und Geschichte der Stadt Steyer und ihrer nächsten Umgebungen. 8. Linz, 1837. pag. 20. „Zu welcher Zeit die alte Pfarrkirche erbaut wurde, ist unbekannt; in einem Ablassbriefe vom Jahre 1287, im zweiten Jahre des Papstes Honorius IV., wird dieser Kirche St. Aegydi und Kolomani gedacht. Sie war eine Filiale von Garsten, wurde 1305 mit allen PfarrRechten vom Magistrate und von der Bürgerschaft, dem Abte Ulrich von Garsten und dem Convente alldort für immerwährende Zeiten förmlich übergeben, und 1437 zu einer selbstständigen Pfarre erhoben. Da aber damals die Zahl der Bewohner sich immer vermehrte, so ward die Kirche zu klein; die Bürger ließen sie niederreißen, und begannen auf demselben Platze den Bau einer neuern 1443. Hanns Puxbaum war der Baumeister, starb aber 1454; ihm folgte Martin Kronschach, dann Wolfgang Denk, Steinmetz, welcher 1515 starb (?) und dessen Monument noch im Pfarrfriedhof zu sehen ist. Hanns Schwedchorer vollendete endlich fast ganz den Bau 1522, also nach 79 Jahren. Aber eben in diesem Jahre entstand eine große Feuersbrunst, welche auch die Kirche ergriff. Sie wurde wohl wieder hergestellt, aber nicht vollendet. Denn die Baumeister erklärten, die Säulen seien zu verdorben, als dass sie die Gewölbe tragen könnten, deren Bau daher auch unterblieb. 3) S. „Die Bauhütte des Mittelalters in Deutschland“ v. Karl Heideloff. Nürnberg 1845. 6 4) Auch die St. Stephanskirche zu Eggenburg in Nieder-Österreich hat in vielen Beziehungen große Ähnlichkeit mit dem Wiener Dome. (S. hierüber „Quellen und Forschungen“ s. 305 u. f. und den Grundriss der Kirche auf Tafel I. Fig 2.) Freilich besteht diese Ähnlichkeit nur in dem aus dem XV. Jahrhundert stammenden Langhaus, da der Chor einer etwas späteren Periode angehört und auf dessen Formation die seit dem XII. Jahrhundert bestehenden beiden Türme wesentlichen Einfluss nahmen. Das Mittelschiff ist nur wenig höher und breiter, als die Seitenschiffe, von denen es durch sechs schlanke Pfeiler getrennt wird, die Rippen des zusammengesetzten Kreuzgewölbes werden von Halbsäulen getragen, welche in Bündeln zu dreien an den Pfeilern hinauflaufen und ganz schmucklose Kapitäle haben, auf denen zehneckig geformte, nach Innen geschweifte Decksimse ruhen. Die Hängebogen, die je zwei in der Flucht stehende Pfeiler miteinander verbinden, sind mehrfach gegliedert und werden der Hauptsache nach durch drei starke, nach vom zu gratige Rundstäbe getragen, welche sich ohne Unterbrechung durch Kapitäl oder Sims von einem Pfeiler zum andern ziehen. Besonders ist hervorzuheben, dass die Profilierung der Pfeiler, ihre Kapitäle und Sockelbildungen, so wie die Construction der Hängebogen in den Kirchen zu Steyer und Eggenburg vollständig gleich und denen von St. Stephan sehr ähnlich sind. 5) Meister Hanns Puchsbaum soll seiner besonderen Fähigkeiten wegen schon frühzeitig am Bau des St. Stephansdomes in Wien beschäftiget gewesen sein; bald wurde er Hensel der Junge, bald Hennslein der Wurmitzer genannt. Seit 1420 war er Parlier beim Münsterbau, bis er endlich einem Meister Hanns, dessen Familienname bisher noch nicht ermittelt wurde und der von 1439 bis 1445 an der Kirche als Baumeister wirkte, in gleicher Eigenschaft nachfolgte. Seine Haupttätigkeit am Wiener Münster war die Einsetzung der Gewölbe, und es hat sich der Inhalt eines zwischen ihm, dem Stadtrat und dem Kirchenmeister abgeschlossenen Vertrages (ddo. Mathäus-Abend 1446) erhalten, ferner der Unterbau für den nördlichen unfertigen Turm (1450). Doch geriet dieser Bau in Folge der politischen Stürme unter Friedrichs Regierung bald wieder ins Stocken, und Meister Hanns Puchsbaum, dez gepaw rechter pawmeister, sah den Turm nicht weiter gedeihen. Ein anderes Werk Puchsbaums ist die schöne gotische Denksäule am Wiener Berg: die Spinnerin am Kreuz, welche derselbe auf Kosten des Wiener Stadtrats an der Stelle einer älterer, die im Jahre 1446 durch Hunyady's Schaaren zerstört worden war, in den Jahren 1451 u. 1452 erbaute. Puchsbaums Todesjahr ist unbekannt, doch dürfte dafür das Jahr 1454 oder eines der nächstfolgenden angenommen werden, da sein in den Wiener Geschichtsbüchern eingetragenes Testament, von diesem Jahr datiert ist. 6) Da man meinte, dass die Mauern und Pfeiler das Gewölbe nicht mehr tragen würden, wurde der Weiterbau eingestellt und blieb die Kirche über 100 Jahre leer. Der Chorherr F. X. Pritz (l. c. 21) erzählt über die Fortsetzung des Baues: „Endlich 1628 begann der Abt Anton II. von Garsten die Vollendung der Kirche. Er ließ viele Epitaphien der Protestanten hinausbringen, legte ein neues Pflaster, und 1630 wurde das Gewölbe vollendet, wie eine lateinische Aufschrift über dem Haupttor anzeigt, welche folgendermaßen lautet: Dei ter Optimi Auspicio, D. D. Aegydii, Colomanni Patrocinio, Augustissimi Caeasris Ferdinandi pietate et munificentia, Venerabilis P. ac Dni. Dni. Antonii Abbatis Garstensis cura et industria, Senatus Populique Styrensis Auxilio, Basilica praesens fornice hoc donata et tota renovata est. Anno Verbi incarnati MDCXXX.“ Nicht lange darauf erfolgte die Einweihung der Kirche. 7) Bis noch vor wenig Jahren fehlte die Türe an dem Sakramentshäuschen, welche, wie Spuren angaben, einst gewaltsam entfernt worden war. Ein Schlossermeister zu Steyer erinnerte sich, einmal eine altertümliche Türe gekauft zu haben, und bot sich an, dieselbe für das Sakramentarium herrichten zu lassen. Sie war aber die echte und passte vollkommen in den Steinfalz und in die Angeln. 8) Eine nicht unbedeutende Anzahl von schönen gemalten Gläsern dieser Kirche schmücken gegenwärtig die Kapelle der Franzensburg und die s. g. Rittergruft zu Laxenburg. 9) Sehr viel ist für die stilgemäße Restaurierung der Kirche geschehen. Es wurden aus dem Chore drei Zopfaltäre entfernt, sieben vermauerte Fenster im Chore wieder ausgebrochen, und mit 7 bemalten Gläsern verziert, ein gotischer Hochaltar aufgestellt und noch manches soll die Zukunft zur passenden Verschönerung dieses Gotteshauses beitragen. 10) Die Legende dieser vier Heiligen (passio Sanctorum quatuor Coronatorum) wurde, vereint mit einer weit ausführlicher behandelten Legende von fünf anderen Heiligen (Castorius, Symphronianus, Nicostratus, Claudius und Simplicius) zum ersten Mal durch die verdienstliche Entdeckung Wattenbachs aus einer Gothaer Handschrift in den Sitzungsberichten der phil.-hist. Klasse der k. Akad. der Wissensch. zu Wien X. 115. mit einem Nachwort von Dr. G. Th. v. Karajan veröffentlicht. Diese Legende gehört sowohl durch die Zeit ihrer Handlung (Ende des III.), sowie durch das hohe Alter ihrer Aufzeichnung (Mitte des IV. Jahrhunderts) zu den anziehendsten und wichtigsten, die auf uns gekommen sind. In ihr ist kein leeres Wortgepränge, kein abschreckendes Ausmalen gräulicher Martern, es ist ein Stück wirklichen Lebens wiedergegeben, es tritt uns überall Wahrheit und Natürlichkeit entgegen, während lebhaftes Gespräch das anziehende Gemälde belebt. Zur Zeit, als Kaiser Diocletian nach Pannonien kam, um in den Gebirgen verschiedene Steine in seiner Gegenwart brechen zu sehen, geschah es, dass sich unter den dortigen Steinarbeitern als die geschicktesten jene vier ersteren der obbenannten Männer hervortaten, die insgeheim Christen waren. An der Ausführung eines auszumeißelnden Sonnengottes und der zu dessen Verzierung bestimmten Victorien und Amoretten nahmen die christlichen Arbeiter keinen Anstoß, allein das Tempelbild eines Äskulaps weigerten sie sich entschieden zu verfertigen. Dies benützten die Aufseher, die ihnen längst neidisch waren um die Gunst des Kaisers, zu ihrem Verderben. Sie zeigten die Weigerung der vier Arbeiter dem Kaiser an, der erklärte, dass, wenn sich andere Arbeiter für die Äskulapstatue finden würden, diese wegen ihrer frevelhaften Äußerung zu bestrafen wären. Der Tribun Lampadius lässt auf Befehl des Kaisers diese vier christlichen Arbeiter, denen sich ein fünfter, Simplicius, als ihr Schüler im Christentum zugesellte, peitschen, wird aber unmittelbar darnach vom bösen Dämon zerfleischt und stirbt auf seinem Richterstuhle. Diocletian über die Standhaftigkeit der fünf Christen erbittert, lässt sie lebendig in fünf bleierne Särge legen und in den Fluss (wahrscheinlich Save) werfen. Ein gewisser Nicodemus, ein Christ, erhob nach 42 Tagen die Särge mit den Leichnamen und verwahrte sie in seinem Hause. Als Kaiser Diocletian von Sirmium nach Rom zurückkehrte, befahl er bei den Bädern des Trajan einen Tempel des Äskulap zu erbauen. Namentlich wurde dem Militär befohlen, den Tempel zu besuchen, und dem Äskulap zu opfern. Unter diesem weigerten sich vier Flügelmänner Namens Serinus, Severianus, Carpoforus und Victorinus entschieden zu opfern. Der Kaiser ließ sie deshalb vor dem Standbilde zu Tode peitschen, und ihre Leichname den Hunden vorwerfen. So blieben sie durch fünf Tage liegen, bis man sie zur Nachtzeit in der via Iucana beerdigte. Bischof Melciades befahl, ihre Gedächtnisfeier mit jener des Claudius und seiner Genossen zu feiern. Auch auf jenen Tafeln, welche sich am Genossenschaftshause der Wiener Bau- und Steinmetzmeister befinden, und die Monogramme und Namen der Baumeister von St. Stephan etc. vom Jahre 713 bis 1844 enthalten, ist dieser vier Patrone des Bauwesens in einem Verse Erwähnung getan und sind deren Bilder, die heil. Maria umgebend, angebracht. Sonderbarer Weise sind jedoch als die vier Coronati nicht die vier eingangs erwähnten Heiligen (s. Serinus und Genossen), sondern der heil. Claudius und seine drei Freunde mit Ausschluss des heil. Simplicius dargestellt, auch zeigt sich in der Inschrift eine Vermischung beider Legenden. Sie erscheinen im langen Kleide oder in der Tunica, mit einem Mantel darüber, zwei sind bärtig, zwei ohne Bart, alle gekrönt und nimbirt, woselbst ihr Name steht. Jeder ist mit einem Emblem des Steinmetzhandwerks (Zirkel, Zollstab etc.) versehen. Dabei steht folgender Vers: „In der Zeit als Diocletiauo der abgöttische Kayser Regiert, da lebten auch diese kinstler Als Claudius Nicostratus Sindhorianus (sic) und Castorius diese waren geschickte Stainhauer von Mancherley Arbeit, desswegen waren sie hoch jn Ehren weilen sie aber Christen waren und hleiden das heilige Chreutz hoch in Ehren, machtens auch alzeit über ihr Arbeit zu Morgenz, wan sie des wolden anfangen, als aber 8 die Philosophus solches vormerkten hielten sie starck bei dem Kayser Diocletiano an das man sie solde darzu zwingen das sie auch ihren Gott der Sonnen Solden anpetten welches sie durchaus nicht wolden sondern bliben bestendig an dem Gekreutzigten dahero der Kayser erzürnt und liess sie hart peinigen und letzlich liese er sie alle vier lebendig jn pleien druchen jn das wasscr versenken Als man zelt Anno zweihundert und Neine den achten Nowember Nacher über Etliche 40 Dag wurden sie wieder Sampt den pleien druhen gefunden und erhebt durch Einen Christen und jn Via Lamana (sic) zu Rom begraben.“ 11) Erscheint urkundlich bereits 1437. 9