Sexualstraftäter behandeln - ReadingSample - Beck-Shop

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Sexualstraftäter behandeln
mit Psychotherapie und Medikamenten
Bearbeitet von
W. Berner, A. Hill, P. Briken
1. Auflage 2007. Taschenbuch. 14, 159 S. Paperback
ISBN 978 3 7691 1235 1
Format (B x L): 16,5 x 23,8 cm
Gewicht: 335 g
Weitere Fachgebiete > Medizin > Sonstige Medizinische Fachgebiete > Psychiatrie,
Sozialpsychiatrie, Suchttherapie
Zu Inhaltsverzeichnis
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Kapitel 7
7 SOTP im Maßregelvollzug – Erste Erfahrungen
Markus G. Feil, Guntram Knecht
7.1 Überblick
Das SOTP wurde für Sexualstraftäter im englischen Strafvollzug entwickelt und evaluiert
(vgl. Kap. 5). Nach Ansicht der Autoren ist es
zu modifizieren, wenn man es bei im Maßregelvollzug untergebrachten Patienten anwenden will, die Sexualdelikte im Zusammenhang mit psychischen Störungen begangen haben. Die psychischen Störungen
wurden von juristischer Seite als so schwerwiegend gewürdigt, dass den Patienten eine
zumindest verminderte Schuldfähigkeit zugestanden wurde. Auch wenn es eine Überschneidung der Populationen im Maßregelund sozialtherapeutischen Strafvollzug hinsichtlich ihrer psychopathologischen Merkmale gibt, muss zunächst eine sorgfältige
Indikationsstellung klären, ob bei der vorliegenden Störung SOTP überhaupt zur Anwendung kommen kann.
Bei psychotisch Erkrankten liegt während der Erkrankung meist und im Intervall
zwischen Erkrankungsphasen oft zu wenig
Frustrationstoleranz und Beziehungsfähigkeit vor, um die kognitiven und emotionalen
Anforderungen des Programms im therapeutischen Sinne bewältigen zu können. Massiv
antisozial oder sadistisch strukturierte Täter
können das Programm dazu benutzen, um
sich am Leiden anderer Gruppenmitglieder
zu befriedigen.
Damit das SOTP einen Ansatzpunkt in
der Behandlung von Tätern, die neben der
sexuellen Devianz meist schwerwiegende
Persönlichkeitsstörungen aufweisen, finden
und bei ihnen wirksam werden kann, sind
technische Veränderungen am ursprüngli-
chen Programm notwendig, die im folgenden Artikel dargestellt werden. Erste Erfahrungen mit einer SOTP-Gruppe im Maßregelvollzug sind die Grundlage dieser Annahmen. Sie werden im folgenden Kapitel
dargestellt.
7.2 Zu den Grundlagen der Behandlung im Maßregelvollzug
Eine allgemeine Erfahrung der forensischen
Psychiatrie und Psychotherapie der letzten
beiden Jahrzehnte, insbesondere vor dem
Hintergrund der Evaluation der bisherigen
Behandlungsansätze, kann dahingehend
zusammengefasst werden, dass in anderen
psychiatrischen oder psychotherapeutischen
Einsatzbereichen angewandte und erfolgreiche Behandlungsansätze kaum gänzlich für
die Behandlung forensischer Patienten übernommen werden können – sie müssen in der
Regel modifiziert werden [vgl. Müller-Isberner 2004, Nedopil 2000]. Das kann auf die
spezifischen Gegebenheiten des Maßregelvollzugs zurückgeführt werden. Zu nennen
wären hier ganz allgemein zunächst Sicherheitsaspekte, aber auch der Störungsgrad
und – mit diesem zusammenhängend – die
meist gravierende Verhaltensauffälligkeit der
Patienten nicht zuletzt in ihren Straftaten.
Aber auch das Behandlungsziel unterscheidet sich in den jeweiligen Bereichen.
„Während die Ziele klinisch-psychiatrischer Behandlungsmaßnahmen die Reduzierung psychopathologischer Symptome, die
möglichst weitgehende Wiederherstellung
psychischer Gesundheit und die Verminde-
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7 SOTP im Maßregelvollzug – Erste Erfahrungen
rung eines subjektiven Leidenszustandes
sind, liegt bei der forensisch-psychiatrischen
Therapie das gesetzlich festgelegte Behandlungsziel in einer Minimierung des Risikos
zukünftiger erheblicher rechtswidriger Handlungen“ [Nedopil 2000, S. 253]. Nedopil
differenziert anhand von Ergebnissen der
Prognoseforschung krankheitsabhängige und
krankheitsunabhängige Determinanten für das
zukünftige Risiko. Während beispielsweise
bei schizophrenen Straftätern, bei denen keine dissoziale Persönlichkeitsproblematik
„vor“ der schizophrenen Erkrankung vorgelegen habe, durch eine suffiziente psychiatrische und psychopharmakologische Behandlung auch das zukünftige Risiko von Straftaten erheblich reduziert werden könne,
bestünden insbesondere bei persönlichkeitsgestörten Patienten die Persönlichkeitsstörung und eventuelle sexuelle Devianzen als
voneinander unabhängige Risikodeterminanten nebeneinander. Aber auch ganz praktische Aspekte wie die in der Regel mehrjährige Aufenthaltsdauer von Patienten im
Maßregelvollzug erforderten eine weitaus
stärkere Adaption der Behandlung an das
institutionelle Setting als bei allgemeinpsychiatrischen Behandlungsformen. Nedopil
[2000] weist weiter darauf hin, dass die Diagnosenverteilung in Maßregelvollzugskliniken „ganz erheblich“ von der Diagnosenverteilung in psychiatrischen Kliniken abweiche. „Die Patienten leiden weitaus häufiger
nicht nur an einer Krankheit, sondern weisen eine Vielzahl von Sozialisations- und
Ausbildungsdefiziten auf, die den therapeutischen Umgang mit ihnen erschweren“
(S. 254). Zahlreiche behandlungsrelevante
Syndrome und Defizite – insbesondere die
Komorbidität, mit den Störungen einhergehende Einschränkungen der Selbst- und
Fremdwahrnehmung sowie der Selbstkontrolle – erschwerten die Behandlung von
Maßregelvollzugspatienten. Nedopil zufolge
sei die Behandlung insbesondere dann wirksam, wenn sie „nicht nur auf Verhaltens-,
sondern vor allem auf Einstellungsänderungen (S. 258) abziele. Dies sei insbesondere bei
kognitiv-verhaltenstherapeutischen Therapieformen der Fall. Nedopil plädiert allerdings auch für auf den Einzelnen abgestimmte, hypothesengeleitete Therapiekonzepte,
die Elemente verschiedener therapeutischer
Ansätze integrieren [Nedopil 2000].
Auch Müller-Isberner [2004] hat sich mit
der Übertragbarkeit der Ergebnisse der allgemeinen Psychotherapieforschung auf die
Behandlung der Maßregelvollzugspatienten
beschäftigt. Er weist darauf hin, dass es sich
bei der Ersteren um „eher leicht gestörte“
Patienten handele, die sich in vielfältiger
Weise und deutlich von den Patienten des
Maßregelvollzugs hinsichtlich intrapsychischer und psychosozialer Merkmale unterscheiden würden. In speziellen Evaluationsstudien der Straftäterbehandlung hätten sich
die „störungsspezifischen, also ‚maßgeschneiderten‘ multimodalen, integrativen
Ansätze“ (S. 421) als wirksam erwiesen. Es sei
grundsätzlich belegt, dass Straftäterbehandlung Rückfallkriminalität vermindern könne. Meta-Analysen der Straftäterbehandlung
hätten gezeigt, „dass erfolgreiche Programme multimodal, hochstrukturiert, behavioristisch oder kognitiv-behavioristisch und
intern valide“ (S. 422) seien. Bezogen auf die
anzuwendenden Methoden müsse man
„dem handlungsorientierten Lernstil von
Straftätern gerecht werden“, es müssten also
„Modell-Lernen, Rollenspiele, … Verstärkung, konkrete Hilfestellungen, RessourcenBereitstellung und kognitive Umstrukturierung“ (S. 422) eingesetzt werden. Insbesondere nach dem aktuellen empirischen
Kenntnisstand müssten kriminogene Faktoren, vor allem antisoziale kriminogene Faktoren, das Ziel der Interventionen sein.
Hinsichtlich „der Übertragbarkeit des
vorhandenen Wissens aus den Evaluationen
der Straftäterbehandlung auf die Klientel des
Maßregelvollzuges“ könne Müller-Isberner
[2004] zufolge „kein Zweifel bestehen“ (S.
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7.2 Zu den Grundlagen der Behandlung im Maßregelvollzug
422), da in beiden Tätergruppen über weite
Bereiche die gleichen Risikomerkmale für
Delinquenz vorlägen. „Wenn die bisherige
und zukünftige Delinquenz bei gesunden,
gestörten und kranken Straftätern mit den
gleichen Merkmalen einhergeht, so sind kriminologische und kriminaltherapeutische
Erkenntnisse aus dem Bereich des Strafvollzuges auf dem psychiatrischen Maßregelvollzug übertragbar“ (S. 422). Ein Unterschied
zwischen Maßregelvollzugspatienten und
Häftlingen sei „die in vielen Fällen bestehende Notwendigkeit, diese Patienten erst einmal ‚therapiefähig‘ zu machen“ (ebd.).
Gleichzeitig weist Müller-Isberner auf die
Heterogenität der Gruppe psychisch gestörter Rechtsbrecher hin, „ebenso auf deren
Belastung mit einer Vielzahl kriminogener
Merkmale“ [Müller-Isberner 2004, S. 423]
Die Rechtsprechung erfolgt letztlich auf
dem Boden rechtsphilosophischer Theorien,
wenn sie auch gutachterlichen Rat für Einweisung und Unterbringung heranzieht [vgl.
Nedopil 2000]. In diesen Theorien werden
Unterscheidungen der mit den deliktischen
Verhaltensweisen in ursächlichem Zusammenhang stehenden Psychopathologien
bzw. Psychodynamiken vorgenommen, die
sich in den so genannten Eingangskriterien
der anzuwendenden Paragraphen (§§ 20 und
21 StGB) des Strafrechts [Schönke 2001] wiederfinden.
Die Spruchpraxis der Gerichte müsste zur
Folge haben, dass sich die Populationen in
Strafanstalten und Krankenhäusern des
Maßregelvollzugs gerade in den psychopathologischen Bedingungen unterscheiden.
Die wenigen vergleichenden Untersuchungen zu Unterschieden in den psychopathologischen Auffälligkeiten von in Einrichtungen des Strafvollzugs Inhaftierten und
Patienten des Maßregelvollzugs ergeben empirische Hinweise hierauf. Harsch et al.
[2006] fanden beispielsweise bei im Maßregelvollzug untergebrachten, persönlichkeitsgestörten Sexualstraftätern eine gegenüber
Kapitel 7
inhaftierten Sexualstraftätern gestörtere Sozialisation und ein niedrigeres aktuelles psychosoziales Funktionsniveau. Ihre kriminelle
Entwicklung hatte in einem früheren Alter
als bei den Inhaftierten eingesetzt. Die
Patienten des Maßregelvollzugs waren darüber hinaus häufiger einschlägig vorbestraft.
Es fanden sich bei ihnen eine deutlich höhere Prävalenz und Komorbidität von Persönlichkeitsstörungen (davon meist Cluster B
des DSM-IV-TR), signifikant häufiger waren
auch Paraphilien festzustellen.
Ähnliche Unterschiede wurden auch von
Ujeyl et al. (in Vorbereitung) für Täter von
sexuell konnotierten Tötungen beschrieben,
bei denen im Fall der Maßregelunterbringung vor allem die sadistische Paraphilie,
hirnorganische Beeinträchtigungen und Persönlichkeitsstörungen insgesamt häufiger
gefunden wurden, während bei Inhaftierten
Substanzmissbrauch als Diagnose überwog.
Auch in dieser Untersuchung waren die
Untergebrachten häufiger vorbestraft. In den
Ergebnissen der angewandten Prognoseinstrumente waren sie mit einem höheren
Rückfalls-Risiko behaftet. Man kann also
davon ausgehen, dass im Maßregelvollzug
Untergebrachte schwerer gestört sind als solche in der Sozialtherapie.
Für die Behandlung relevant ist auch,
dass sich die Art der Sexualdelikte der Inhaftierten im Normalvollzug von denen der
Maßregelvollzugspatienten unterscheidet.
Inzesttäter bzw. Täter mit Opfern im familiären Nahbereich sind im Maßregelvollzug
deutlich unterrepräsentiert.
Abschließend sei angemerkt, dass „Behandelbarkeit“, auch wenn diese sehr
schwierig festzustellen ist, weder ein Kriterium für die Art der Verurteilung noch für die
Entscheidung zur Unterbringung nach § 63
StGB ist. Nur bei der Unterbringung nach
§ 64 StGB spielt eine angenommene Aussichtslosigkeit der Behandlung eine Rolle.
Geht man davon aus, dass sich das SOTP
besonders bei den mittelgradig gestörten
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7 SOTP im Maßregelvollzug – Erste Erfahrungen
Tätern bewährt hat (vgl. Kap. 2), dann wird
deutlich, dass bei der Anwendung des SOTP
im Maßregelvollzug ergänzende Behandlungselemente etabliert werden müssen.
7.3 Grundsätzliches zur
Anwendbarkeit von SOTP im
Maßregelvollzug
Wie in den vorigen Kapiteln dieses Bandes
ausführlich und detailliert ausgeführt, wurde
das SOTP ursprünglich für die Population
von Sexualstraftätern im englischen Strafvollzug erstellt, wo es seit den 1990er-Jahren
flächendeckend eingesetzt wurde. Die Überarbeitung der ersten Version beruht auf einer
Evaluation der inzwischen über 10-jährigen
Anwendung des SOTP bei über 10000 Sexualstraftätern in englischen Haftanstalten. Derzeit angewendet wird zunächst die Core2000-Version, die sich von der ersten deutlich unterscheidet: Es wurden ca. 40% der
bisherigen Programm-Bestandteile verändert.
Nachdem das Programm anfangs stark auf
die Thematik der begangenen Sexualdelikte
und diesen vorausgehende Lebensereignisse,
kognitive Prozesse und Stimmungslagen
fokussierte, wurden inzwischen die Programmbestandteile verbreitert und ausgebaut, die auf eine Veränderung allgemeiner
Persönlichkeitseigenschaften und diesbezüglicher intrapsychischer Prozesse abzielen.
Folgt man der oben referierten Argumentation von Müller-Isberner [2004] zu den Bedingungsfaktoren krimineller Verhaltensäußerungen, müsste das SOTP als kognitiv-verhaltenstherapeutisches Programm, das spezifisch auf
die Reduzierung des Rückfallrisikos abzielt,
auch bei im Maßregelvollzug untergebrachten
Delinquenten eingesetzt und wirksam werden
können. Das SOTP als Behandlungsprogramm
weist eine hohe Übereinstimmung mit den
von Müller-Isberner [2004] skizzierten und im
Maßregelvollzug angezeigten, kriminal- und
psychotherapeutischen Verfahren und Rück-
fall-Vermeidungs-Modellen auf: die „didaktischen Einführungen über die Bedeutung von
dysfunktionalen Denkmustern, Vorstellen
von Beispielen für diese Denkmuster, Selbstbeobachtung dieser Denkmuster mit Tagebüchern, … Gruppendiskussionen, … Techniken
zur Modifikation von Verleugnungs- und
Bagatellisierungsprozessen und Delikt fördernden Einstellungen“ und Ähnliches (S. 428).
Auch die Erstellung eines so genannten
„Deliktzyklus, Deliktzirkel[s] oder Deliktszenario[s]“, in dem „jedes Stadium der zum Delikt
führenden Verhaltenskette … explizit erarbeitet, als Risikosituation beschrieben und als
Warnzeichen benannt“ (S. 429) wird und für
das alternative Bewältigungsstrategien entwickelt und erlernt werden, findet sich prominent im SOTP. Das SOTP erfüllt somit auch die
Betonung und Initiierung von relevanten Verhaltens- und Einstellungsänderungen, wie das
Nedopil [2000] für wirksame Behandlungsverfahren gefordert hat.
Allerdings muss bei Maßregelvollzugspatienten ein höherer Störungsgrad der kognitiven und affektiven Abläufe, also des intrapsychischen Funktionsniveaus, erwartet
werden. Das wiederum limitiert die inneren,
psychischen Möglichkeiten dieser Gruppe
von Patienten für den Umgang mit der eigenen Psychopathologie und den mit dieser
eng verwobenen deliktischen Auffälligkeit
und stellt die Behandlung vor besondere
Herausforderungen.
Prüft man die Indikationskriterien für die
Anwendung des SOTP genau, enthalten sie
zwar recht knappe, aber klare Aussagen zu
Ein- und Ausschlusskriterien. Zu Beginn des
Manuals der aktuellen SOTP-Version „Core
2000“ werden die Zielgruppe und die Zielrichtung des Behandlungsprogramms so definiert: Das Programm sei darauf ausgelegt,
„den Behandlungsbedarf von mittelmäßig
bis stark verleugnenden Straftätern mit geringgradiger Devianz zu decken und einen
Ansatzpunkt in der Behandlung von Straftätern mit mittelmäßiger bis starker Verleug-
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7.4 Maßregelvollzug in Hamburg
nung und hoher Devianz bereitzustellen“.
Die Population der Sexualstraftäter im Maßregelvollzug zeichnet sich durch einen besonders hohen Anteil schwerer Paraphilien
und Persönlichkeitsstörungen aus – gemäß
der Definition der Zielgruppe des SOTP kann
dieses hier demnach lediglich einen Ansatzpunkt bieten.
Unserer Einschätzung nach stellen die
Verleugnungstendenzen der persönlichkeitsgestörten Sexualstraftäter des Maßregelvollzugs zu dem Zeitpunkt, da über ihre Teilnahme am SOTP nachgedacht werden kann,
kein statisches Problem dar. Es handelt sich
vielmehr um ein für den klinischen Verlauf
des Einzelnen und den Verlauf der Gruppe
ernst zu nehmendes dynamisches Problem.
Die Aufnahme in eine deliktzentrierte Gruppe erscheint erst dann sinnvoll, wenn der
Patient dazu in der Lage ist, zumindest einen
großen Teil des Deliktverlaufs in Details vor
sich selbst einzugestehen und im sozialen
Kontext einer deliktspezifischen Gruppe
offen darzustellen – wenn er seine Delikte
also nicht mehr generell verleugnet. Da die
persönlichkeitsgestörten Sexualstraftäter des
Maßregelvollzugs meist sehr schwerwiegende bzw. oft besonders grausame Taten begangen haben – und dies meist nicht nur einmal
–, sind besonders bei der detaillierten Darstellung dieser Delikte vor anderen heftige
Affekte zu erwarten, z.B. der Scham und der
Schuld. Sie wiederum müssen adäquat bewältigt werden, was ein gewisses Niveau psychischen Funktionierens voraussetzt. Es sind
bei einem systematischen und konfrontativen Vorgehen in der Auseinandersetzung
mit den eigenen Delikten und der in diesen
zum Ausdruck gekommenen eigenen Gefährlichkeit, wie es das SOTP vorsieht, demnach heftige Erschütterungen im psychischen Gefüge der Teilnehmer zu erwarten.
In diesem Zusammenhang erwähnt werden muss auch das generelle Behandlungsproblem des Sadismus, sei es in Gestalt eines Persönlichkeitszugs oder des sexuellen Sadis-
Kapitel 7
mus. Liegt bei einem Sexualstraftäter ein
sexueller Sadismus vor, gilt dies gängigerweise als ein Ausschlusskriterium für die Teilnahme am SOTP. Sadistische Persönlichkeitszüge können insofern als Komplikation für
die Behandlung angesehen werden, als die
im SOTP geforderte offene Darstellung des
Delikts für solche Patienten meist kein größeres intrapsychisches Problem darstellt.
Vielmehr stellen sie ihre Delikte gerne offen
dar, um diese Darstellung für einen sadistischen Lustgewinn zu nutzen, indem sie
einen Übergriff durch eine die anderen vor
den Kopf stoßende Inszenierung begehen,
was die Behandlung „pervertieren“ kann. Ihr
Verhalten zielt dann keinesfalls auf selbstkritische Reflexion.
Vor diesem Hintergrund wurde bei der
Implementierung des SOTP [HM Prison Service (2000)] im Maßregelvollzug der zuständigen Klinik in Hamburg zunächst überprüft, bei welchen Patienten es als geeignete
Behandlungsmaßnahme indiziert wäre, inwieweit es als Behandlungsprogramm für
Sexualstraftäter übernommen werden könnte bzw. welche Modifikationen des Programms notwendig erschienen.
7.4 Maßregelvollzug in Hamburg
Die im Bundesland Hamburg für den Maßregelvollzug zuständige Einrichtung ist die VI.
Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie – Forensische Psychiatrie – der Asklepios
Klinik Nord/Campus Ochsenzoll. Die Behandlung der Patienten erfolgt auf speziellen, zentral nach den beiden Kriterien der
(Haupt-)Diagnose und des notwendigen Sicherungsniveaus differenzierten Stationen.
Entsprechend den oben skizzierten, empirisch gefundenen Wirkfaktoren einer forensisch-psychiatrischen und -psychotherapeutischen Behandlung erfolgt diese in Form
eines gestuften Behandlungsablaufs von der
Aufnahme- bis zur offenen Reha-Station auf
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7 SOTP im Maßregelvollzug – Erste Erfahrungen
Basis zunächst stationsbezogener Behandlungskonzepte. Sie strukturieren den organisatorischen Tagesablauf, die Beziehungsgestaltung auf der Station, aber auch die Freizeitgestaltung nach therapeutischen Gesichtspunkten. Konkret ausgestaltet sind
verschiedene, organisierte Formen des sozialen Miteinanders (beispielsweise Morgenrunden, Vollversammlungen, sozialtherapeutische
Angebote etc.), die Arbeits- und Ergotherapie
sowie verschiedene therapeutische Beziehungsangebote im engeren Sinn. Zu ihnen
zählen die Bezugspflege wie Einzel- und Gruppenpsychotherapien. Letztere sind je nach dem
Schwerpunkt der Behandlungsinhalte stationsbezogen oder modulartig, stationsübergreifend zusammengesetzt. Diese Wirkelemente werden vor dem Hintergrund einer
durch eine umfassende Falldarstellung erarbeiteten individuellen Gefährlichkeitshypothese für den einzelnen Patienten in Form
eines fortlaufenden Therapieplans halbjährlich evaluiert und aktualisiert.
In der Abteilung für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie wurden zum Zeitpunkt der Implementierung des SOTP im
April 2005 insgesamt 189 Patienten behandelt. Bei 47 Patienten wurde als Hauptdiagnose eine Persönlichkeitsstörung gestellt, 25
davon waren Sexualdelinquenten mit einem
IQ über 90. Diese 25 persönlichkeitsgestörten Sexualdelinquenten waren alle nach § 63
StGB untergebracht (nur einer der 38 nach §
64 StGB in einer Entziehungsanstalt Untergebrachten war zum damaligen Zeitpunkt
Sexualstraftäter und gleichzeitig auch nach §
63 StGb untergebracht). Sie waren im Schnitt
7,1 Jahre untergebracht (Range von 1,0–20,1
Jahren).
7.5 Zusammenstellung der Gruppe
Wir entschieden uns grundsätzlich gegen
eine Beteiligung von Patienten mit der
Hauptdiagnose einer psychotischen Erkran-
kung, da bei ihnen auch im Hinblick auf das
Risikomanagement die individuelle psychiatrische Behandlung und weniger die systematisch konfrontierende Auseinandersetzung mit den eigenen Delikten im Vordergrund steht. Die Auseinandersetzung mit
dem Delikt erfolgt hier vorwiegend stützend.
Wenn konfrontativ interveniert wird, dann
situativ in der einzelnen therapeutischen Sitzung (oder in einer begrenzten Anzahl von
Sitzungen), aber nicht systematisch durch
ein Programm, über einen lang anhaltenden
Zeitraum und selten in der Gruppe.
Die teilnehmenden Patienten sollten
zudem über einen mit gängigen psychometrischen Verfahren ermittelten IQ von über
90 verfügen, um von der Teilnahme am
SOTP Core 2000 grundsätzlich kognitiv profitieren zu können und nicht überfordert zu
sein. Nach den bisher referierten Kriterien
kamen 25 persönlichkeitsgestörte Sexualstraftäter in die engere Auswahl einer Indikationsprüfung für das SOTP.
Als ein weiteres Ausschlusskriterium, das
auch für andere Therapieverfahren gilt, werteten wir das Vorliegen einer schweren antisozialen Persönlichkeitsproblematik im Sinne der psychopathy nach Hare [2003, 1998];
vgl. Kap. 5) oder des malignen Narzissmus
sensu Kernberg [1998]. Das gilt zumindest
dann, wenn das psychopathische bzw. maligne narzisstische Agieren der betreffenden
Patienten aktuell und seit längerer Zeit im
Vordergrund stand. Auf diese Weise mussten
5 Fälle aus der weiteren Rekrutierungsphase
ausgeschlossen werden.
3 Sexualdelinquenten wurden wegen
ihrer seit Beginn der Unterbringung, in 2 Fällen seit über 10 Jahren gleichbleibenden
Verleugnung der von ihnen begangenen
Sexualdelikte nicht in die engere Auswahl
genommen. Ausgeschlossen wurde auch ein
weiterer Patient, der – von uns zwar grundsätzlich als geeigneter Teilnehmer betrachtet
– sich aber im Rahmen eines aktuell offenen
Verfahrens in seinem Aussageverhalten
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Kapitel 7
7.6 Beschreibung der Therapiegruppe
höchst widersprüchlich zeigte. Aus diesem
Grund erwarteten wir von ihm ein größeres
Störmoment in der Gruppe. Bei ihm wie bei
2 weiteren Patienten konnte nicht mit der
Aufgabe der paraphilen Neigungen aus Krankheitsgründen gerechnet werden. Dazu schienen die Störung der Persönlichkeit und die
sexuelle Devianz psychopathologisch zu eng
miteinander verwoben, um nicht zu sagen,
weitgehend identisch.
Als weitere Voraussetzung für die Teilnahme sahen wir die aktuelle und seit längerem
anhaltende klinische Stabilität und psychische Belastbarkeit der Teilnehmer an. Diese maßen wir daran, ob die Patienten von
einem therapeutischen Setting profitieren
konnten und dadurch hinreichende intrapsychische Möglichkeiten aufgebaut hatten,
sodass sie einem über längere Zeit und in
einem Gruppenzusammenhang konfrontierenden Vorgehen mit einiger Wahrscheinlichkeit innerlich gewachsen bleiben würden, ohne in grobes Agieren zu verfallen.
Bereits vorhandene Erfahrung in einem therapeutischen Gruppensetting erschien hierzu
von Vorteil. Grundsätzlich forderten wir eine
schon eingetretene Einsicht in die eigene
Gefährlichkeit. Weiterhin prüften wir in
einem nächsten Schritt die Motivation zur
Teilnahme und die Bereitschaft, offen in der
Gruppe über die eigenen Delikte zu reden.
Bei manchen Patienten sahen wir zudem eine
begleitende medikamentöse Behandlung
indiziert, die in einigen Fällen bereits längere
Zeit suffizient vorhanden war (s. unten).
In die engere Auswahl kamen nach diesen Kriterien 14 Patienten der Abteilung, die
zunächst gefragt wurden, ob sie sich vorstellen könnten, am demnächst zu etablierenden SOTP-Angebot teilzunehmen. 5 dieser
Patienten äußerten, nicht zur Teilnahme an
dieser Gruppe bereit zu sein. 2 von ihnen
wollten ein externes, seit mehreren Jahren
bestehendes, paralleles therapeutisches Gruppenangebot nicht aufgeben, die 3 anderen
Patienten waren aus unterschiedlichen Grün-
den nicht motiviert. Aus den 25 persönlichkeitsgestörten Sexualstraftätern konnte so
eine Gruppe von 9 Sexualstraftätern zusammengestellt werden.
7.6 Beschreibung der
Therapiegruppe
Die 9 männlichen Patienten (siehe Tab. 7.1
und 7.2) waren im Durchschnitt 42,4 Jahre
(Range von 34–48 Jahren) alt und im Schnitt
seit 6,7 Jahren (Range von 1,7–13,1 Jahren)
im Maßregelvollzug nach §63 StGB untergebracht. 5 der Patienten waren wegen Vergewaltigungen, 2 wegen sexuellen Missbrauchs
von Kindern und 2 wegen beider Deliktarten
eingewiesen worden. In keinem einzigen Fall
hatte es sich um eine einzelne Straftat gehandelt. Nur 1 Patient hatte ein und dasselbe Opfer – er hatte wiederholt intrafamiliären sexuellen Missbrauch begangen. Sonst
waren jeweils verschiedene Opfer (die durchschnittliche Opferzahl der Gesamtgruppe
betrug 4,6 Personen) in zahlreicheren Tathandlungen geschädigt worden. 2 Täter waren zum Teil über Jahre mit ihren Opfern
bekannt, sonst waren jeweils fremde Zufallsopfer betroffen. In einem der beiden Fälle, in
denen der Täter mit den kindlichen Opfern
„befreundet“ war, war es während der Straftaten kaum zu manifester körperlicher Gewalt gekommen. Bei allen anderen Straftaten
hatten die Patienten erhebliche Gewalt in
Form von verbalen Todesdrohungen, Gebrauch von Waffen zur Bedrohung, Fesselungen, Schlagen und Treten der Opfer und von
Betäubungen mit dem Resultat von zum Teil
schweren, über die sexuellen Straftaten
hinaus gehenden Körperverletzungen eingesetzt.
Im Einweisungsurteil waren trotz Berücksichtigung einer störungsbedingt zumindest
erheblich verminderten Schuldfähigkeit
(§ 21 StGB, in einem Fall konnte eine Schuldunfähigkeit gem. § 20 StGB nicht ausge-
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Tab. 7.1: Rechtliche Charakteristika der Gruppenteilnehmer
Patient
Alter
Dauer
I
46
7,4
Vergew. und KV
3
2a
6
II
36
8,3
Vergew. und KV
5
7,5
4
III
38
3,1
sex. Missbr. und Vergew. und KV
8
5
0
Herr A.
34
12,8
Vergew. und KV
6
6
3
Herr B.
45
1,0
sex. Missbr. und KV
1
0
12
VI
47
1,8
sex. Missbrauch
5
5
0
VII
44
9,5
Vergew.
2
14
2
VIII
48
13,1
Vergew. und sex. Missbr.
3
0
10
43
3,1
Vergew.
42,4
6,7
IX
Mittelwert
Legende:
Vergew.
KV
Sex. Missbr.
FS
=
=
=
=
Delikte
Opferzahl
Urteil FS Vorstrafen
8
13
2
4,6
7,5
5,6
Vergewaltigung
Körperverletzung
sexueller Missbrauch
Freiheitsstrafe (in Jahren)
schlossen werden) schuldbezogen erhebliche
begleitende Freiheitsstrafen (durchschnittlich 7,5 Jahre) ausgesprochen worden.
Nur 2 Patienten waren nicht vorbestraft.
Die restlichen Mitglieder der Therapiegruppe
wiesen eine deliktische Vorbelastung mit
durchschnittlich 5,6 Vorstrafen auf.
Neben zusätzlicher dissozialer Auffälligkeiten war der Großteil der Vorbestraften
(71,4%) bereits wegen mehrfacher und erheblicher sexueller Gewaltdelikte einschlägig vorbestraft.
2 Vergewaltigungstäter hatten in ihrer
Vorgeschichte jeweils ein Tötungsdelikt an
einer Frau begangen.
Ein Patient hatte sich bereits einmal
wegen Vergewaltigungsdelikten in einem
anderen Bundesland im Maßregelvollzug
(§ 63 StGB) befunden. Er und ein weiterer
Vergewaltigungstäter aus der Gruppe waren
durch neuerliche und zeitlich getrennt erfolgende einschlägige Verurteilungen 2-mal
nach § 63 StGB in den Maßregelvollzug eingewiesen worden, bei einem Patienten
erfolgte die gleichzeitige Unterbringung
nach den §§ 63 und 64 StGB.
Diagnostisch handelt es sich bei fast
allen Patienten um schwerwiegende Persönlichkeitsstörungen auf so genanntem Borderline-Strukturniveau, meist in Form kombinierter Persönlichkeitsstörungen nach
ICD-10 (4. Auflage 2000). Bei diesen kombinierten Persönlichkeitsstörungen bestehen
mehrere und ausgeprägte spezifische Störungen aus dem Cluster B nach DSM-IV-TR (vor
allem Kombinationsformen von Borderline-,
narzisstische und antisoziale Persönlichkeitsstörung). Bei einem Patienten besteht als
Hauptdiagnose eine schizotype Störung.
Bis auf 1 Täter muss bei allen Patienten
das Vorliegen einer Paraphilie (DSM-IV-TR
2003) angenommen werden. Die charakteristische Thematik liegt vor allem in der
Vergewaltigergruppe bei einer mehr oder
weniger ausgeprägten sadistischen Persönlichkeitsproblematik bzw. einem sexuellen
Sadismus. Beim Vorliegen einer Pädophilie
innerhalb der Missbrauchsgruppe besteht
überwiegend eine sexuelle Orientierung auf
Jungen.
Fast alle Gruppenteilnehmer (88,9%)
weisen als weiteren Risikofaktor einen Sub-
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Kapitel 7
7.7 Erwartete und notwendige Modifikationen des SOTP
Tab. 7.2: Diagnostik und Medikation der Gruppenteilnehmer
Patient
PST
Paraphilie
ICD-10
Medikation
I
komb. PST
multipel
F 61.0, F 65.6, F 10.2
SSRI, aNL
II
komb. PST
sadistisch
F 61.0, F 65.5, F 10.1, F 12.1
SSRI, AH
III
komb. PST
pädophil
F 61.0, F 65.4, F 10.2, F 13.1
aNL
Herr A.
komb. PST
sadistisch
F 61.0, F 65.5, F 10.2
AH
Herr B.
komb. PST
pädophil
F 60.3, F 60.2, F 65.4, F 10.2, F 12.1
SSRI
VI
schizotype PST
pädophil
F 21, F 65.4, F 10.2
SSRI, aNL
VII
komb. PST
sadistisch
F 60.8, F 60.31, F 65.5, F 10.1
SSRI, aNL
VIII
komb. PST
–
F 61.0, F 10.21
SSRI
IX
narzisstisch
sadistisch
F 60.8, F 65.5
–
Legende:
PST = Persönlichkeitsstörung
F 10.1 = Alkoholmissbrauch
F 10.2 = Alkoholabhängigkeit
F 12.1 = Cannabinoidmissbrauch
F 13.1 = Benzodiazepinmissbrauch
F 21 = schizotype Störung
F 60.2
F 60.3
F 60.8
F 61.0
F 65.4
F 65.5
F 65.6
=
=
=
=
=
=
=
dissoziale PST
emotional instabile PST
sonstige spez. PST
kombinierte PST
Pädophilie
Sadomasochismus
multiple Störung der Sexualpräferenz
SSRI = selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer
aNL = atypische Neuroleptika
AH = antihormonelle Behandlung
stanzmissbrauch oder eine Substanzabhängigkeit von Alkohol auf, vereinzelt in Kombination mit Cannabis oder selten Benzodiazepinen.
Zur Verbesserung der Impulskontrolle
und Verminderung der zwanghaften Beschäftigung mit paraphilen Fantasien wurden 2 Drittel der Straftäter lange vor Beginn
des SOTP medikamentös mit Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmern (SSRI) behandelt. 2
Patienten, darunter der schizotype Patient,
waren wegen paranoider Reaktionsbereitschaft auf ein atypisches Neuroleptikum
(aNL) eingestellt. Zur Verbesserung der
Affektregulation entschlossen sich 2 weitere
Teilnehmer während der Durchführung der
Gruppe zur niedrig dosierten Einnahme von
atypischen Neuroleptika.
1 Patient wurde wurde schon vor Beginn
der Gruppentherapie antihormonell (AH)
mit Androcur behandelt, ein weiterer (Herr
A.) entschied sich im Verlauf der Teilnahme
an der Gruppe (in der Anfangsphase) zu
einer antiandrogenen (antihormonellen) Behandlung.
Einige der langjährig (mehr als 8 Jahre)
Untergebrachten hatten im Lauf ihrer bisherigen oder früherer Unterbringungen therapeutische Erfahrungen im Einzel- und Gruppensetting sammeln können. Dabei hatte es
sich um nicht direkt deliktzentrierte Behandlungsansätze gehandelt.
7.7 Erwartete und notwendige
Modifikationen des SOTP
Von vornherein bestand seitens der Behandler die Erwartung, dass bei der Durchführung
des SOTP mehr als die im Manual veranschlagten Sitzungszahlen pro Behandlungsblock notwendig sein würden. Sowohl aus
den Einzelbehandlungen (die Patienten hatten sich in der Regel seit mehreren Jahren im
engen, therapeutischen Kontakt mit den
jetzt das SOTP leitenden Therapeuten befun-
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den) als auch aus anderen Gruppenbehandlungen war bekannt, wie schwer den Patienten eine vollständige Offenbarung ihrer
Delikte und eine sich über einen längeren
Zeitraum erstreckende, sich selbst konfrontierende Auseinandersetzung mit ihrer Gefährlichkeit fällt. Wir gingen deshalb von
einem geringeren „Tempo“ der Gruppe aus
als Ausdruck des Widerstands im Sinne einer
Maßnahme zur Aufrechterhaltung des eigenen psychischen Gleichgewichts. Aus ähnlichen Gründen rechneten wir mit der Notwendigkeit von auf die Gruppendynamik
zentrierenden, supportiven und konfrontierenden Interventionen. Sie sind im Manual
des SOTP nicht und im kognitiv-behavioralen Ansatz nur in geringem Umfang vorgesehen, um die Arbeitsfähigkeit der Gruppe wie
auch einzelner Teilnehmer zu erhalten. Seitens der Gruppentherapeuten bestand die
Erwartung einer gruppendynamisch schwierig zu bewältigenden Aufgabe.
Der Gruppe sollte gerade am Anfang vermehrt Zeit gegeben werden, um das Kennenlernen und den Aufbau von wechselseitigem
Vertrauen zu ermöglichen und um die Gruppe auch als ein Halt gebendes Element zu
etablieren.
Ganz generell wurde erwartet, dass sich
der Gruppenwiderstand und die psychische
Labilisierung des Einzelnen in dem Maße
erhöhen würden, wie sich die Auseinandersetzung dem deliktischen Bereich nähern
und in ihm stattfinden würde.
Zur optimalen institutionellen Implementierung waren sämtliche Behandler der
Einrichtung und alle Mitarbeiter der Stationen, die die Patienten rekrutieren sollten,
mehrfach und ausführlich über das Programm informiert worden. Auch der Rekrutierungs- und Umsetzungsprozess wurde berufsgruppen- und stationsübergreifend jeweils offen dargelegt.
7.8 Zum Verlauf der Gruppe
Im Mai 2005 wurde der erste Durchgang
einer SOTP-Gruppe nach dem „Core 2000“Manual in unserer Abteilung begonnen. Er
wird von 3 Psychologen und 1 Krankenschwester einer Station, auf der ein Teil der
Teilnehmer lebt, geleitet. Es findet pro
Woche eine Sitzung von 90 Minuten Dauer
statt. Die Behandlung wird etwa 1-mal im
Monat extern supervidiert, an der Supervision nehmen auch Teamer teil, die das SOTP
in Haftanstalten durchführen.
Zur Ausgangssituation kann gesagt werden, dass der Beginn der SOTP-Gruppe von
den Patienten mit großer Spannung erwartet
wurde. Manche von ihnen hatten von
befreundeten Patienten aus dem Strafvollzug
von SOTP gehört. Es hatte sich herumgesprochen, dass es sich dabei um ein sehr gutes,
aber auch sehr anstrengendes Programm
handelt. Zu 5 der teilnehmenden Patienten
kann gesagt werden, dass sie dem Beginn der
Gruppe sehr motiviert und zuversichtlich
entgegenblickten – darunter 3 Patienten mit
langjährigen Erfahrungen in einem psychoanalytisch-interaktionellen Gruppensetting.
Ein weiterer, sehr motivierter Patient war seit
mehreren Jahren in kognitiv-behavioraler
Einzelbehandlung. Besonders die beiden
kurz im Maßregelvollzug befindlichen (weniger als 3 Jahre) und bisher nicht in solchen
Institutionen untergebrachten Patienten, die
dementsprechend wenig Therapieerfahrung
aufwiesen, standen der Gruppe eher ängstlich gegenüber. Als besonders ambivalent
erwies sich 1 Patient, der im Maßregelvollzug bisher zwar intensive einzeltherapeutische Behandlung erfahren hatte, aber im
Rahmen von Lockerungen schwer einschlägig rückfällig und erneut verurteilt worden
war (Herr A.). Ein weiterer Patient (Herr B.)
war trotz Motivation von Anfang an skeptisch, ob er die Teilnahme an der SOTPGruppe aufgrund der zu erwartenden starken
Belastung durch die konfrontative Auseinan-
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7.8 Zum Verlauf der Gruppe
dersetzung mit dem eigenen Sexualdelikt
werde durchhalten können.
Um dem Vorhaben der soliden Etablierung der Gruppe Rechnung zu tragen, wurde
der Themenblock Establishing the group ausführlich und intensiv durchgeführt, was die
Teilnehmer dankbar aufnahmen und inhaltlich sinnvoll nutzen konnten. Allein die Ausarbeitung des Gruppenvertrags benötigte 4
Sitzungen. Es wurde zum Beispiel sehr sorgfältig über die Regel debattiert, nach außen
hin zu schweigen. In welchem Maß sollte es
den Teilnehmern gestattet sein, mit Außenstehenden, zu denen sie eine enge Beziehung
unterhielten, über die eigenen inneren
Bewegungen im Rahmen des SOTP zu reden?
Welche Regel sollte diesbezüglich für die
Therapeuten gelten, mussten sie über therapeutische Fortschritte bzw. Probleme doch
im Behandlungsteam der Station oder gegenüber den Strafvollstreckungskammern berichten (vgl. Abb. 7.1)? Für den Themenkreis
„Gründe für die Teilnahme am SOTP und
diesbezügliche Ängste“ nahmen wir uns weitere 5 Sitzungen Zeit. Im Manual werden für
beide Aufgaben zusammen 2 Sitzungen veranschlagt.
Abb 7.1: Aus dem Gruppenvertrag: Regelungen die
Schweigepflicht betreffend
§ 2 Schweigepflicht
a) Das SOTP-Team darf behandlungsrelevante Informationen vertraulich weitergeben, analog zur Einzeltherapie.
b) Gruppenmitglieder dürfen außerhalb
der Gruppe vertraulich über die Gruppe
reden.
c) Mitglieder dürfen mit anderen Personen nur über eigene Themen und nicht
über die anderer reden.
Es ergab sich dann eine unerwartete Komplikation. Der oben als besonders ambivalent
beschriebene Patient, Herr A., hatte sich
durch ein Fenster der Station einer Krankenschwester des Hauses exhibitionistisch ona-
Kapitel 7
nierend gezeigt, was wir als einen einschlägigen Rückfall werteten. Abweichend vom Programm wurde das Verhalten von Herrn A.
bzw. seine Motivation hierzu in der SOTPGruppe zentral thematisiert, um ihm wie
auch der Gruppe die Chance der Aufarbeitung des Geschehens zu geben. Trotz erheblichen, konfrontierenden wie werbenden
Einsatzes der gesamten Gruppe konnte Herr
A. jedoch auch im Verlauf mehrerer Sitzungen seine den exhibitionistischen Handlungen vorausgehenden Fantasien oder Gedanken vorwiegend unter Zuhilfenahme rationalisierender Begründungen nicht offenlegen (etwa in der Art: „Vor dem Hintergrund
eines möglicherweise anstehenden gerichtlichen Verfahrens kann ich hier keine Aussagen vorwegnehmen.“). Deshalb musste er
schließlich aus der Gruppe ausgeschlossen
werden. Allein zur Aufarbeitung dieses Vorfalls nahmen wir uns mehrere Sitzungen
Zeit.
Ebenfalls in Abweichung vom originalen
Programm ließen wir die Patienten nun ihre
Biografien erzählen, was pro Patient bis zu 3
Sitzungen in Anspruch nahm. Es stellte sich
dabei heraus, dass die Patienten untereinander über ihre Leben sehr wenig wussten, obwohl sie sich zum Teil mehrere Jahre kannten und teilweise engere Beziehungen pflegten. 2 Drittel der Teilnehmer offenbarten im
Rahmen ihrer biographischen Erzählungen
eigene, z.T. wiederholte und schwere sexuelle Missbrauchserfahrungen im Kindes- und
Jugendlichenalter, die bis dahin nicht aktenkundig und oft auch den Behandlern nicht
bekannt waren. 1 Teilnehmer, der oben als
sehr zögerlich beschriebene Herr B., zeichnete im Rahmen seiner Biographie von sich ein
sehr dissoziales Bild, gepaart mit hoher Gewaltbereitschaft bei alltäglichen Interaktionen. Bezüglich einer Reihe von Übergriffen,
die er gegen eine Stieftochter gerichtet hatte
und die Ausnahmen in einem ansonsten
generell nur als dissozial zu bezeichnenden
Verhaltensspektrum bildeten, verhielt er sich
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7 SOTP im Maßregelvollzug – Erste Erfahrungen
ähnlich: Sobald ein Gruppenmitglied eine
auch nur milde konfrontierende Frage stellte, geriet er in starke Anspannung, brach den
Dialog ab, und seine Gewaltbereitschaft
stand unmittelbar im Raum. Nachdem deutlich geworden war, dass das ihn selbst und
die Funktion der Gruppe schädigende Verhalten mit Herrn B. nicht besprochen werden konnte und er hartnäckig an der einfachen Feststellung festhielt, sich mit den
sexuellen Übergriffen gegen seine Stieftochter nicht identifizieren zu können, wurde
letztlich im gegenseitigen Einvernehmen
entschieden, ihn aus der Gruppe herauszunehmen.
Zum eigentlichen Programm kehrten wir
erst nach gut 30 Sitzungen zurück. Im von
uns verwendeten Manual soll das Verstehen
kognitiver Verzerrungen in der 4. Sitzung
beginnen – wir kamen in der 37. Sitzung zu
dieser Aufgabenstellung. Die in der Gruppe
verbliebenen 6 Teilnehmer (ein weiterer Patient war ausgeschieden, da er in eine andere
Maßregelvollzugseinrichtung verlegt worden war) waren spürbar erleichtert und erhielten einen deutlichen Motivationsschub
dadurch, dass sie sich nun mit konkreten,
zunächst mit der nicht in direktem Zusammenhang mit deliktischen Verhaltensweisen
stehenden Aufgabe des Erkennens eigener
kognitiver Verzerrungen beschäftigen konnten.
7.9 Diskussion
Die systematische und detaillierte Konfrontation mit den eigenen Delikten und den
diesen vorausgehenden Fantasien, Gefühlen
und Gedanken, wie sie im SOTP zentral vorgenommen wird, stellt einen heftigen Angriff auf das Persönlichkeitsgefüge und das
inneres Gleichgewicht der Teilnehmer eines
solchen Programms dar. Zwar sind das Handeln der Straftäter und die diesem vorausgehenden inneren Vorgänge prinzipiell be-
wusstseinsfähig, die Täter setzen sich jedoch
in der Regel nicht freiwillig damit auseinander. Dafür spricht, dass in der Regel vor jeder
Art von Behandlung die eigenen Straftaten
bzw. die jeweiligen Motivationen verleugnet
oder erheblich bagatellisiert werden müssen.
Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den
eigenen Delikten und der von einem selbst
ausgehenden Gefährlichkeit wird von Tätern
aus Gründen der Selbsterhaltung, zur Aufrechterhaltung des eigenen narzisstischen
Gleichgewichts und zur Abwehr der bei den
Betreffenden in erheblichem Maße vorliegenden Scham- und Schuldproblematik
meist vermieden.
Dies gilt in besonderem Maß für die
Klientel des Maßregelvollzugs, bei der meist
eine in biografisch frühe Zeit zurückreichende bzw. früh ihren Ausgangspunkt nehmende und somit das gesamte bisherige Leben
durchziehende und kennzeichnende, schwere Persönlichkeitsproblematik vorliegt, wie
sie in den oben skizzierten Diagnosen und
Untersuchungen in knappen Worten zusammengefasst worden ist. Die so genannten
Ich-Leistungen dieser Patienten wie die Selbstund Fremdwahrnehmung, die Selbststeuerung, die Introspektionsfähigkeit, die Abwehr, die Kommunikation und das Eingehen
von Bindungen sind vor dem Hintergrund
ihrer erheblichen ich-strukturellen Defizite
gering ausgebildet bzw. operieren auf einem
wenig differenzierten Niveau.
Dass das SOTP für diese Patienten eine
erhebliche Labilisierung des psychischen
Gleichgewichts nach sich zieht, kann letztlich daran abgelesen werden, dass 2 Patienten unserer Gruppe dieser Konfrontation
nicht standgehalten haben. Herr B. war ausgeschieden, weil er sich auch durch den
Besuch von in parallel zur Gruppe stattfindenden Einzelsitzungen nicht dazu in der
Lage sah, sich zu den eigenen sexuellen
Übergriffen zu bekennen, weil er „die Perversionen der anderen nicht aushalte“, wie er
sagte. Ein weiterer Grund für sein Ausschei-
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