kompletten Länderbericht zu den Neuwahlen in Nordirland

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LÄNDERBERICHT
Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.
GROßBRITANNIEN UND
IRLAND
HANS- HARTWIG BLOMEIER
JANA SCHUBERT
März 2017
www.kas.de/london
Neuwahlen unter dem BrexitDamoklesschwert
Regionalwahlen in Nordirland
Nach lediglich einem knappen Jahr im Amt
abgelehnt hatte, zum anderen wurden Neu-
ist die nordirische Regierungskoalition an
wahlen ausgelöst.
einem Subventionsskandal zerbrochen.
Die Neuwahlen lassen zwar keinen Regie-
Nach den Neuwahlen am 02. März 2017
rungswechsel erwarten, könnten jedoch
müssen die Parteien binnen drei Wochen ein
den fragilen Frieden der weiterhin von
Parlament und eine Regierung bilden. Sollte
Konfessions- und Identitätskonflikten ge-
dies nicht gelingen, könnte Nordirland im
prägten Insel massiv gefährden. Die riva-
Extremfall vorübergehend seine Legislativ-
lisierenden Regierungsparteien spielten
befugnisse verlieren und wieder der direk-
im Wahlkampf die Brexit-Karte: Durch
ten Regierung aus London unterliegen. Eine
diesen drohen Nordirland massive negati-
rasche Neubildung der nordirischen Regie-
ve Auswirkungen.
rung erscheint gefährdet, da Sinn Féin im
Wahlkampf eine Regierungskoalition mit
Regierungskrise und Neuwahlen
Arlene Foster ausgeschlossen hat, solange
die juristischen Untersuchungen zum Sub-
Ausgelöst wurden die Neuwahlen durch eine
ventionsskandal nicht abgeschlossen sind.
Regierungskrise, im Zuge derer der stellver-
Eine Unterstellung Nordirlands unter die bri-
tretende Regierungschef Nordirlands, De-
tische Zentralregierung könnte im
puty First Minister Martin McGuiness von der
schlimmsten Falle den gewaltbereiten Un-
katholisch-republikanischen Partei Sinn
mut der Republikaner auslösen und somit
Féin, zurückgetreten ist. Zwar war nicht
das nicht immer friedliche Zusammenleben
McGuiness über den £ 490 Mio. teuren Sub-
in Nordirland gefährden.
ventionsskandal im Rahmen eines Programms zur Förderung erneuerbarer Ener-
Parteien und Positionen
gien („Renewable Heat Incentive“) gestolpert, sondern seine gleichberechtigte Amts-
Die Parteien Nordirlands unterscheiden sich
kollegin First Minister Arlene Foster von der
anhand ihrer grundsätzlichen Zuordnung
protestantisch-unionistischen Democratic
zum pro-britischen, meist protestantischen
Unionist Party (DUP). Jedoch sieht das Kar-
„Unionist“-Lager auf der einen oder zum ka-
freitagsabkommen, das den nordirischen
tholischen, für eine Vereinigung mit der iri-
Friedensprozess nach jahrzehntelangen blu-
schen Republik kämpfenden „Nationalist“-
tigen Auseinandersetzungen („troubles“)
Lager auf der anderen Seite. Die DUP der
einleitete und das politische System Nordir-
jüngst zum Rücktritt gezwungenen Arlene
lands definiert, eine gemeinsame Wahl der
Foster ist auch nach den Neuwahlen die
konfessions- und identitätsübergreifenden
stärkste „Unionist“-Partei in der nordiri-
Regierungsdoppelspitze vor. Durch die Wei-
schen Volksversammlung. Demgegenüber
gerung der Sinn Féin, das vakante Amt neu
ist Sinn Féin die stärkste republikanische
zu besetzen, konnte die Partei Foster zum
Partei und auch in der Republik Irland aktiv.
einen zum Rücktritt zwingen, eine Forde-
Sinn Féin hält außerdem gegenwärtig vier
rung, welche die Regierungschefin zuvor
Sitze im britischen Unterhaus, welche die
Partei jedoch aus Protest nicht wahrnimmt.
2
Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.
Neben diesen beiden Lagern existieren mit
diesjährige Wahlbeteiligung fiel mit 65 Pro-
der liberalen Alliance Party und der Green
zent ungewöhnlich hoch aus.1
GROßBRITANNIEN
Party auch konfessionslose und gruppen-
UND IRLAND
übergreifende Parteien. Nichtsdestotrotz ist
HANS- HARTWIG BLOMEIER
die Zuordnung zu Lagern im politischen
JANA SCHUBERT
System Nordirlands omnipräsent und vom
Wie in den anderen Landesteilen des Verei-
Karfreitagsabkommen vorgeschrieben. So
nigten Königreichs ist der bevorstehende
werden der nordirische First Minister und
Brexit in Politik und Gesellschaft präsent,
dessen Stellvertreter gemäß einer Konsens-
jedoch verstärkt er die in Nordirland ohne-
regelung gewählt, die eine Unterstützung
hin existierende Konfliktlinie zwischen Re-
beider ehemaliger Konfliktparteien vorsieht.
publikanern und „Unionisten“. Eine deutliche
Obwohl die beiden Ämter eine unterschiedli-
Mehrheit von 56 Prozent hatte in Nordirland
che Bezeichnung haben, agieren beide
für den Verbleib in der EU gestimmt.2 Die
Amtsträger gleichberechtigt.
meisten Remain-Wähler fanden sich im
März 2017
www.kas.de/london
Brexit: Auswirkungen auf Nordirland
Westen Nordirlands, während die meisten
Der Wahlkampf drehte sich vor allem um
Stimmen für den Brexit im Osten abgege-
den Subventionsskandal, die Positionierung
ben wurden. Die Umfrageergebnisse reflek-
im Brexit-Prozess – Sinn Féin war für
tieren die traditionellen Parteipräferenzen
Remain, die DUP für den Brexit -, die Lega-
der nordirischen Wähler: der Osten wählt
lisierung gleichgeschlechtlicher Ehen und
traditionell mehrheitlich pro-britisch, d.h.
die Anerkennung des irischen Gällisch als
unionistisch, während der Westen republi-
offizielle Amtssprache. Die DUP warnte vor
kanisch wählt.3 Diese Spaltung erklärt sich
einem von der Sinn Féin ausgelösten Refe-
insbesondere durch die drohenden Auswir-
rendum über die Vereinigung mit der Re-
kungen des Brexit auf ein friedliches Zu-
publik Irland („border poll“). Aus diesem
sammenleben sowie die wirtschaftlichen Be-
Grund warb die DUP für eine geschlossene
ziehungen mit der benachbarten Republik.
Stimmenabgabe des „Unionist“-Lagers für
die eigene Partei, um einen von Sinn Féin
Der Brexit und die nordirische Wirtschaft
gestellten First Minister zu verhindern. Die
republikanische Partei brüstete sich im
Das in Nordirland pro Kopf erwirtschaftete
Wahlkampf hingegen mit einer diplomati-
Bruttoinlandsprodukt fällt mit US$ 26,921
schen Offensive gegenüber den anderen EU-
wesentlich geringer aus als im restlichen
Mitgliedstaaten, im Rahmen derer sie für
Vereinigten Königreich (US$ 40,879).4 Auf-
einen Sonderstatus Nordirlands in der EU
grund der wirtschaftlichen Gesamtleistung
nach dem Brexit warb.
ist Nordirland auf Transferleistungen aus
London und Brüssel angewiesen. Letztere
Wahlergebnisse
kommen vor allem dem großen landwirtschaftlichen Sektor in Nordirland zu Gute:
Aufgrund des stets von Gruppenzugehörigkeit und Konfession geprägten Wahlverhaltens der nordirischen Bevölkerung war der
Ausgang der Wahlen absehbar: Zwar bleiben die DUP mit 28,06 Prozent und Sinn
Féin mit 27,91 Prozent der Stimmen auch
nach den Wahlen insgesamt die stärksten
Parteien in Nordirland, jedoch fehlt der DUP
nach den Neuwahlen mit den erzielten 28
Sitzen erstmals die erforderliche Mehrheit
von 30 Sitzen, um ein Veto gegen Gesetzesvorhaben („petition of concern“) einzulegen. Als Wahlsiegerin gilt Sinn Féin, die den
Abstand zur DUP auf nur einen Sitz reduzieren konnte. Die SDLP gewann 12 Sitze, die
UUP 10 und die Alliance-Partei 8 Sitze. Die
1
Vgl. The Irish Times vom 03.03.2017: NI Assembly election: DUP finish just one seat ahead of
Sinn Féin,
http://www.irishtimes.com/news/politics/niassembly-election-dup-finish-just-one-seat-aheadof-sinn-f%C3%A9in-1.2996479 (06.03.2017).
2
Vgl. BBC News (2016): EU referendum: results
in maps and charts,
http://www.bbc.co.uk/news/uk-politics-36616028
(06.03.2017).
3
Vgl. Russell, Raymond (2016): Election Report:
Northern Ireland Assembly Election, 5 May 2016,
Northern Ireland Assembly, Research and Information Service Research paper.
4
Vgl. Kainer, Friedemann (2016): Das unterschätzte Problem: Auswirkungen des Brexit auf
Nordirland, in: Malte Kramme/ Christian Baldus/
Martin Schmidt-Kessel (Hrsg.): Brexit und die juristischen Folgen. Privat- und Wirtschaftsrecht der
Europäischen Union, Baden-Baden: Nomos, S. 339
– 354, hier S. 340f.
3
Als Netto-Empfänger von EU-Fördermitteln
die britische und die irische Regierung ihren
müsste Nordirland auf die im Zuge des
Willen, die CTA auch nach dem Brexit auf-
GROßBRITANNIEN
mehrjährigen europäischen Finanzrahmens
rechtzuerhalten, gebetsmühlenartig wieder-
UND IRLAND
geleisteten ca. € 2,3 Mrd. EU-
holen, stehen diesem Wunsch de iure einige
HANS- HARTWIG BLOMEIER
Agrarsubventionen sowie € 228 Mio. Struk-
Stolperfallen entgegen: die Nennung der
JANA SCHUBERT
turfonds zur Förderung ländlicher Gebiete
CTA im Protokoll 20 der Europäischen Ver-
verzichten.5 Es gilt als unsicher, dass Lon-
träge impliziert, dass alle EU-
don die nach dem Brexit wegfallenden EU-
Mitgliedsstaaten der Aufrechterhaltung der
Subventionen ausgleichen wird.
CTA zustimmen müssen. Im Rahmen der
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März 2017
Brexit-Verhandlungen müssten die britische
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Die Common Travel Area mit Irland: Soft or
und die nordirische Regierung die anderen
hard border?
Mitgliedsstaaten von der (offensichtlichen)
Notwendigkeit einer soft border auf der iri-
Das gemeinsame Reisegebiet (Common
schen Insel überzeugen. Die gegenwärtige
Travel Area, CTA) zwischen dem Vereinigten
Nicht-Mitgliedschaft Irlands im Schengen-
Königreich und der Republik Irland besteht
raum erleichtert das Fortbestehen der CTA
bereits seit der irischen Staatsgründung im
jedoch.7
Jahr 1921. Selbst in den Hochzeiten der
troubles fanden an der irischen Landgrenze
Die Möglichkeit eines Referendums über ei-
nur sporadische Personenkontrollen statt,
ne Vereinigung mit der Republik Irland, mit
da sich die Londoner Regierung um das
der die DUP im jüngsten Wahlkampf auf
Konfliktpotential solcher Kontrollen bewusst
Stimmenfang ging, ist zwar im Rahmen des
war. Nichtsdestotrotz erfolgten Zollkontrol-
Karfreitagsabkommens gegeben, jedoch
len bis zur Etablierung des EU-
müssen gemäß dem geforderten Konsens
Binnenmarktes im Jahr 1993. Der seit dem
zwischen allen (ehemaligen) Konfliktpartei-
Karfreitagsabkommen intensivierte Abbau
en ebendiese einem Referendum zustim-
von Grenzkontrollen zwischen der Republik
men.8 Eine Zustimmung seitens der unionis-
und Nordirland hat zu einem regen grenz-
tischen Parteien ist unwahrscheinlich und
überschreitenden wirtschaftlichen Austausch
die Drohung mithin als bloße Wahlkampf-
geführt: 36 Prozent der nordirischen Expor-
taktik zu werten.
te erfolgen in die Republik, während lediglich 20 Prozent an andere EU-Staaten ge-
Das Karfreitagsabkommen sieht allerdings
hen. Schätzungsweise 35.000 Grenzgänger
die Möglichkeit für jeden Nordiren vor, seine
passieren tagtäglich die Grenze und
Staatsbürgerschaft frei zu wählen. Jedem
500.000 Menschen leben und arbeiten im
nordirischen Bürger steht somit die Möglich-
6
jeweils anderen Teil der Insel. Die Tren-
keit zu, einen irischen Pass und folglich die
nung der beiden Inselteile wurde folglich
Unionsbürgerschaft zu beantragen. Für die-
durch die Common Travel Area, deren Auf-
ses Spezifikum muss im Rahmen der Brexit-
rechterhaltung seit dem Brexit-Referendum
Verhandlungen eine Lösung gefunden wer-
in Gefahr ist, nahezu unsichtbar, ein friedli-
den. Dass seit dem Brexit ein deutliches In-
ches Zusammenleben der Iren mit ihren
teresse seitens der nordirischen Bevölke-
nordirischen Nachbarn, beispielsweise in
rung an einem irischen und somit EU-Pass
grenzüberschreitenden Siedlungsgebieten
besteht, zeigt ein Anstieg der Passanträge
wie der zweitgrößten nordirischen Stadt
im Jahr 2016.9
Londonderry, praktisch ermöglicht. Obwohl
5
Vgl. Vertretung der Europäischen Kommission im
Vereinigten Königreich (2016): EU Funding in
Northern Ireland (July 2016),
https://ec.europa.eu/unitedkingdom/news/eufunding-northern-ireland-0_en (06.03.2017).
6
Vgl. Kainer 2016: 340f. sowie House of Lords
(2016): Brexit: UK-Irish Relations, 6th report of
Session 2016-17, European Union Committee,
http://www.parliament.uk/brexit-uk-irish-relations
(06.03.2017).
7
Vgl. House of Lords 2016: 27-30.
Vgl. Good Friday Agreement, Annex Agreement
between the Government of the UK of Great Britain and Northern Ireland and the Government of
Ireland, Article 1.
9
Vgl. The Irish Times vom 27.12.2016: Demands
for Irish passports reaches record high in 2016,
http://www.irishtimes.com/news/socialaffairs/demand-for-irish-passports-reachesrecord-high-in-2016-1.2918537 (06.03.2017).
8
4
Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.
Die EU als neutrale Friedensmaklerin
GROßBRITANNIEN
Das friedliche Zusammenwachsen Nordir-
UND IRLAND
lands mit der benachbarten Republik, aber
HANS- HARTWIG BLOMEIER
auch der rivalisierenden Identitätsgruppen
JANA SCHUBERT
nach dem Ende der troubles wurde massiv
könnte, macht eine Interessensvertretung
und somit eine baldige Wiedereinsetzung
von der „EU in ihrer Rolle als ehrlicher MakMärz 2017
ler der Friedensbewegung“10 gefördert. Naturgemäß wird London die „als unabhängig
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empfundene Maklerrolle“11 zwischen den in
Nordirland präsenten Konfliktparteien nicht
einnehmen können und somit nicht nur finanziell eine schmerzliche Lücke hinterlassen. Seit 1995 hat die EU den Friedensprozess mit dem nordirlandspezifischen PEACEProgramm und 1,3 Mrd. EUR unterstützt,
mit weiteren 230 Mio. EUR finanziert das
Brüsseler PEACE-IV-Programm die regionale
Entwicklung in Nordirland im Zeitraum von
2014-2020. Diese Zahlungen entfielen nach
dem Austritt Großbritanniens aus der EU
und würden nach momentanem Kenntnisstand nicht durch Zahlungen aus London
ersetzt.
Ausblick
Erwartungsgemäß haben die Neuwahlen in
Nordirland keinen Regierungswechsel hervorgerufen: So müssen die DUP und Sinn
Féin erneut eine Koalitionsregierung bilden.
In den kommenden drei Wochen, binnen
derer die Regierungsbildung abgeschlossen
sein muss, stehen Nordirland zähe Verhandlungen bevor, da Sinn Féin eine Beteiligung
Arlene Fosters an der Exekutive ablehnt,
Impressum
solange die andauernde Untersuchung Fosters Beteiligung an dem Subventionsskandal
Konrad Adenauer Stiftung e.V.
nicht abschließend klären konnte. Sollte
Hauptabteilung
nach dem Ablauf der Verhandlungsfrist kei-
Internationale Zusammenarbeit
ne Einigung zwischen den beiden Parteien
erzielt werden können, drohten Neuwahlen
Auslandsbüro Grossbritannien
oder die direkte Regierung durch London.
und Irland
Deutlich negativ wöge in diesem Falle, dass
63 Eccleston Square
London SW1V 1PH
Grossbritannien
die Interessen Nordirlands ohne eigene Regierung bei der Erarbeitung der britischen
Brexit-Verhandlungsseite nicht vertreten
würden. Die massiven negativen Auswir-
Telefon
kungen, die das Austreten des Vereinigten
+44-20 78344119
Königreichs jedoch für Nordirland haben
Mail
[email protected]
10
11
Kainer 2016: 345.
Ebd.
der nordirischen Regierung umso wichtiger.
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