100 Jahre Orchesterverein – Reutlinger Kammerorchester RKO Klassisch-symphonische Orchestermusik in der Stadt Reutlingen zu Anfang des letzten Jahrhunderts ist außerordentlich spärlich dokumentiert, sei es weil es noch kein Berufsorchester gab, das die Aufmerksamkeit einer breiteren Öffentlichkeit für klassische Musik hätte wecken können, sei es – wie in einschlägigen Studien vermutet wird – weil weder dem kaufmännischen Großbürgertum noch den Industriearbeitern und Handwerkern besondere musische Interessen nachgesagt wurden. Obschon der Orchesterverein Reutlingen bereits 1904 gegründet wurde, gibt es über die ersten Jahre bis zum 1. Weltkrieg keine schriftlichen Zeugnisse; später wird angenommen, dass sie dem Rathausbrand zum Opfer fielen. Somit beginnt die Berichtszeit der sehr sorgfältig geführten Protokollbücher des Orchestervereins – seit 1969 Reutlinger Kammerorchester – erst mit dem Jahr 1927, als man sich nach dem verlorenen Krieg wirtschaftlich mühsam wieder aufgerappelt hatte und einige ehemalige Orchestermitglieder mutig den Neuanfang wagen. Es gabt zu jener Zeit durchaus einige Instrumentalensembles in Zweckgemeinschaft mit diversen Singkreisen, wie dem REUTLINGER LIEDERKRANZ, der CONCORDIA und dem ORATORIENVEREIN, und bereits seit 1902 den MUSIKVEREIN REUTLINGEN (heute STADTKAPELLE MUSIKVEREIN REUTLINGEN e.V. 1902) sowie ab 1903 das REUTLINGER ORCHESTER, Vorgänger der heutigen WÜRTTEMBERGISCHEN PHILHARMONIE REUTLINGEN, doch noch wird offenbar kein symphonisches Programm geboten. Nach recht unbefriedigendem Anfang, der von vielen Schwierigkeiten begleitet wird – u.a. einer lange Zeit vergeblichen Suche nach einem festen Probenraum, der Notenbeschaffung und der Finanzierung - kommt es unter Leitung von HEINRICH JETTER, Organist an der Marienkirche, zu einem künstlerischen Aufschwung, der auch in vielen lobenden oder zumindest wohlwollenden Kritiken Niederschlag findet. Neben den gemeinsamen musikalischen Bemühungen ist von Anfang an das gesellschaftliche Miteinander in Form vielfach protokollierter Abendspaziergänge, Familienfeiern mit Konzert und Tanz, Ausflügen, Besichtigungen u.ä. von großer Bedeutung für den Zusammenhalt im Verein – heute sorgen die zweimal jährlich abgehaltenen Probenwochenenden in diversen Klöstern, die Sommerfeste und Jahresabschlussfeiern für ein freundschaftliches Miteinander aller Orchestermitglieder. Gesa Götz / Oktober 2004 S. 1 von 3 Seiten Schon in den frühen dreißiger Jahren beginnen sich jedoch die politischen Umwälzungen auch auf das gesamte Reutlinger Musikleben auszuwirken, die allgemeine Unsicherheit wächst, Fusionen werden geplant, die musikalischen Aktivitäten des Orchestervereins bewegen sich nur noch in kleinem Rahmen. 1943 kommt die Probenarbeit zum Erliegen, doch dank der Umsicht des langjährigen Vorsitzenden, WILHELM WUCHERER, und des Geigenbaumeisters EUGEN WIECH kann das Vereinsvermögen über den Krieg gerettet werden und den Grundstock für den Neuanfang 1947 bilden. Die Bedenken des neuen Dirigenten, WILHELM PFISTER, ob neben Grischkats STÄDTISCHEM SYMPHONIE-ORCHESTER, dem MALL-ORCHESTER in der Christus-Kirche und dem Orchester der Volkshochschule noch Platz für den Or- chesterverein sei, werden mit einem energischen Hinweis auf die vierzigjährige Geschichte des Vereins zerstreut. Gemeinsam mit Schülern Reutlinger Musiklehrer gibt man – nun unter der Leitung von HERMANN EISELE - 1953 das erste öffentliche Konzert. In den folgenden Jahren bleiben vor allem die finanziellen Schwierigkeiten dem Orchester treu; ohne Hilfe der Stadt und einiger Mäzene wäre das Überleben gefährdet gewesen. Zum Dank spielt das Orchester regelmäßig in Altersheimen und Behinderten-Einrichtungen. Das 50jährige Jubiläum wird mit einem Stiftungsfest auf der Uhlandhöhe und dem ersten großen Konzert im Matthäus-Alber-Haus gefeiert, bei dem, unter Beisein des Komponisten, ein Werk von Hugo Herrmann zur Aufführung kommt. Der sich zwischenzeitlich einstellende allgemeine wirtschaftliche Aufschwung findet dann zehn Jahre später in einem Pressekommentar über das Jubiläumskonzert zum 60. Geburtstag deutlichen Niederschlag in der stolzen Überschrift „Zum Wohlstand gehört auch das Kulturelle“, nachdem zuvor schon schwarz auf weiß zugestanden wurde „Auch der Laienmusiker ist heute notwendig“. Positives Echo findet zudem Dirigent Eiseles Bemühen, in machbarem Rahmen zeitgenössische Werke aufzuführen; so beim vielbeachteten Kammerkonzert zu Ehren von Hugo Hermann. Gesa Götz / Oktober 2004 S. 2 von 3 Seiten Mit dem Beitritt zum BUND DEUTSCHER LIEBHABERORCHESTER E.V. festigt sich die Existenz des Orchestervereins, der 1969, also vor 35 Jahren, den seiner Besetzung angemesseneren Namen REUTLINGER KAMMERORCHESTER annimmt. Unter Leitung von RICHARD MARTIN WURSTER kommt man weit herum. Zu den Konzert-Highlights gehören zweifellos die Uraufführung von Franz Hirtlers Suite für Streichorchester und die Konzerte mit dem aufgehenden Stern am Oboenhimmel, Lajos Lencses. Mit Bernd Sunten übernimmt noch einmal ein Pianist die Leitung, doch den – selbst in wohlwollenden immer wieder mehr oder weniger diskret angedeuteten – Mängeln in der Intonation kann erst der Violinpädagoge und Ebinger Musikschulleiter ARNO WITZENBACHER wirksam abhelfen. Unter seinem nun fast 25 Jahre währenden Dirigat hat sich das RKO einen festen Platz im Reutlinger Kulturleben erworben; die Adventskonzerte in der Volksbank sind Tradition und auch als Begleiter von Chören ist es gefragt. Unvergessliche Höhepunkte in der RKO-Geschichte bleiben, neben den Konzertreisen nach Innsbruck und Paris, die Orchestertreffen mit LA PHILHARMONIE DE ROANNE, deren Organisation von der Deutsch-Französischen Gesellschaft und ihrem Roanner Partner tatkräftig unterstützt wurde. Nach Jahren relativ geringer finanzieller Sorgen sind die Aussichten angesichts deutlich sinkender Zuschüsse vom Land weit weniger rosig; um so wichtiger ist die Unterstützung durch die Stadt und die Gesellschaft der Musikfreunde, der das RKO seit 1983 angehört. Herzlichen Dank allen, die unsere Freude am Musizieren unterstützen, durch finanzielle Zuwendungen und, ganz besonders, durch die Bereitschaft zuzuhören, auch wenn den Bemühungen eines Liebhaberensembles zwangläufig Grenzen gesetzt sind. Dank aber auch an dieser Stelle jenen, die durch ihr ehrenamtliches Engagement dazu beitrugen, dass das Reutlinger Kammerorchester auch nach 100 Jahren noch eine Zukunft hat. Neue Mitspieler sind jederzeit herzlich willkommen! Wer uns finanziell unterstützen möchte, möge dies durch eine Spende direkt an das Reutlinger Kammerorchester oder durch die Mitgliedschaft in der Gesellschaft der Musikfreunde e.V. (GdM) bekräftigen. Eine Spendenbescheinigung wird gerne ausgestellt. Gesa Götz / Oktober 2004 S. 3 von 3 Seiten