Georg-August-Univiersität Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät Hausarbeit im Volkswirtschaftlichen Hauptseminar I Zusammenfassung: „Institutions, the rise of commerce and the persistence of Laws: Interest Restrictions in Islam and Christinity“ Dozent: Herr Prof. Dr. H. Strulik Sommersemester 2017 B.WIWI-VWL.0044 Von: Christian Willerding-Möllmann Martrikelnummer: 21562400 4. Fachsemester [email protected] 2-Fächer-Bachelor Volkswirtschaftslehre und Politikwissenschaft Abgabe: 29.05.2017 Inhaltsverzeichnis: 1. Einleitung ......................................................................................................................................... 1 2. Historischer Überblick: wirtschaftliche Entwicklung und religiöse Restriktionen im Laufe der Zeit ......................................................................................................................................................... 2 2.1. wirtschaftliche Restriktionen im Christentum ........................................................................ 2 2.2. Wirtschaftliche Restriktionen im Islam ........................................................................................ 3 3. Die Rolle von Institutionen und religiöser Legitimierung ................................................................ 4 4. Rubins Modell: Legitimicy, Institutions and Regulations ................................................................ 5 5. 6. 7. 4.1. Eine zeitliche Periode .............................................................................................................. 5 4.2. Zwei-Perioden Modell mit endogener religiöser Legitimation ............................................... 8 Die Erkenntnisse des Models .......................................................................................................... 9 5.1. Wie stark verändern sich wirtschaftliche Restriktionen?........................................................ 9 5.2. Wann kommt es zum Abbau wirtschaftlicher Restriktionen?............................................... 10 5.3. Der Umkehreffekt.................................................................................................................. 11 Modell und Wirklichkeit ................................................................................................................ 12 6.1. Ausmaß des Wirtschaftlichen Wandel in Abhängigkeit von Säkularisierung ........................ 12 6.2. Der Zeitpunkt wirtschaftlicher Veränderung ........................................................................ 13 6.3. Der Umkehreffekt.................................................................................................................. 14 Fazit ............................................................................................................................................... 15 1. Einleitung Die folgende Seminararbeit beschäftigt sich mit den Ursachen für die unterschiedlichen wirtschaftlichen Entwicklungen in islamisch und christlich geprägten Nationen. Besondere Beachtung finden die Zeitpunkte signifikanter wirtschaftlicher Veränderungen, sowie deren Ursachen. Auch wird nach Gründen gesucht, weshalb christlich geprägte Länder die lange Zeit wirtschaftlich fortschrittlicheren muslimisch geprägten Ländern wirtschaftlich überholt haben. Als Grundlage hierfür dient der 2011 von Jared Rubin in The Economic Journal veröffentlichte Artikel „Institutions, the rise of commerce and the persistence of Laws: Interest Restrictions in Islam and Christinity“. Historisch gesehen ist der Muslimisch geprägte Mittlere Osten dem christlichen Westen bis zum 13. Jahrhundert sowohl in gesellschaftlichen und technologischen als auch in wirtschaftlichen Belangen weit voraus gewesen. Ab dem 13. Jahrhundert kam es jedoch im christlichen Westen zu einer Reihe wirtschaftlicher Veränderungen und Innovationen, welche unter dem Namen Commercial Revolution zusammengefasst werden können. Dies hatte zur Folge, dass von nun an der Westen den mittleren Osten wirtschaftlich überholt hatte. Diese Überlegenheit besteht bis heute und verdeutlichte sich Ende des 18. Jahrhunderts mit dem Einsetzen der Industriellen Revolution. Für diese Divergenz bezüglich der wirtschaftlichen Entwicklung gibt es zahlreiche Erklärungsansätze, deren Mehrzahl ökonomische Fehlentwicklungen in muslimischen Ländern als Ausgangspunkt nehmen. So führt beispielsweise Max Weber den „konservativen“ und „mystischen“ Charakter des Islam als Ausgangspunkt ausbleibender wirtschaftlicher Neuerungen an. Dieser Charakter spiegelt sich im Desinteressen gegenüber nicht muslimischen Ländern, sowie deren wirtschaftlichen Innovationen wieder. Rubin legt den Fokus jedoch nicht auf inhaltliche und religiöse Aspekte einer Religion, sondern sucht Zugang, welcher auf äußeren Einflüssen und rationalen, Nutzen 1 maximierendem Verhalten basiert. Dies stellt eine alternative und neuartige Herangehensweise dar. 2. Historischer Überblick: wirtschaftliche Entwicklung und religiöse Restriktionen im Laufe der Zeit 2.1. Wirtschaftliche Restriktionen im Christentum Den ersten Eingriff in die wirtschaftliche Ordnung des Abendlands durch die Kirche stellte das 325 n. Chr. auf dem Konzil von Nizza beschlossene Zinsverbot dar, welches auf allen weiteren Konzilen bis zum Jahr 1215 erneuert wurde. Es sollte „Wucherei“ verhindern und verbot die Vergabe von Krediten. Verstöße gegen dieses Verbot hatten weitreichende Folgen, wie den Ausschluss aus Kirche und Gesellschaft. Da der europäische Handel zu diesem Zeitpunkt stagnierte und Zinsen meist zu der Finanzierung von privatem Konsum genutzt wurden, war die Bedeutung des Kreditwesens gering. Aus diesem Grund formierte sich kein nennenswerter Widerstand gegen das Verbot und der Kirche war somit kein Grund gegeben dieses zu überdenken. Erst nachdem das Zinsverbot für fast tausend Jahre Bestand hatte, führten der durch die Commercial Revolution aufstrebende Handel und Geldsorgen säkularer Herrscher zu ersten Regelbrüchen. Auf das nun nicht mehr vollständig durchzusetzende Zinsverbot und neue finanzielle Instrumente reagierte die Kirche, indem die Gesetze explizierter ausformuliert wurden. Fortan wurden Kredite zu moderaten Zinsen geduldet und neu erfundene finanzielle Instrumente wie Annuitäten Renten oder der Handel mit Wechseln waren nicht von der kirchlichen Regulierung betroffen. Exorbitante Zinsen oder Pfand-Leiher ließen sich jedoch weiterhin nicht mit den Gesetzen der Kirche vereinbaren. Die finale Abkehr der Kirche von der „Anti-Wucherei Kampagne“ begann auf dem fünften Laterankonzil (1512-1517) als die Kirche anfing die Bank Monte di pieta (italienisch für „Berg der Barmherzigkeit“) zu subventionieren, welche bedürftigen Menschen Notkredite zu 2 geringen Zinssätzen gewährte. Offiziell wurden die zinsverbietenden Gesetze erst 1917 vollständig im Codex iuris canonici abgeschafft. 2.2.Wirtschaftliche Restriktionen im Islam Im islamisch geprägten Raum gab es seit der Gründung des Islam ein Verbot des riba, welches sich explizit ausformuliert im Koran wiederfinden lässt. Hierbei handelt es sich um ein Geldverleihverfahren, das mit hohen Kosten für den Kredit verbunden war, welche oft der geliehenen Summe entsprachen oder diese sogar überstiegen. Anders als im Christentum duldeten und entwickelten muslimische Autoritäten sogenannte hiyals (deutsch: „Trick“, „Winkelzug“) um das Verbot des riba zu umgehen. Weit verbreitet war seit dem achten Jahrhundert der sogenannte mukhatare (deutsch: „Doppelter-Verkauf“), bei dem ein Wertgegenstand zwischen zwei Vertragspartnern zweimal verkauft wurde. Hierbei war eine Differenz zwischen den beiden Kaufpreisen vorhanden, welche die Kosten des Kredits darstellt. Jedoch war trotz florierendem Handel und einer im Vergleich zum Christentum weniger strickten wirtschaftlichen Regulierung die Vergabe von Krediten nicht von großer Bedeutung, da wirtschaftliche Projekte meist durch alternative finanzielle Instrumente wie die Sharika (deutsch: „Zusammenschlüsse“) finanziert wurden. Mit dem Aufstieg des Osmanischen Reichs änderten sich die Zinsrestriktionen und ab Mitte des fünfzehnten Jahrhundert waren Kredite mit einem Zinssatz von bis zu 15% legal, welcher im siebzehnten Jahrhundert in Abstimmung mit der Scharia von einem Zusammenschluss aus religiösen Führern und dem Sultan auf 20% angehoben wurde. Diese Restriktionen haben im Islam bis heute Bestand und ein Verstoß wird weiterhin als Todsünde betrachtet, auch wenn seit geraumer Zeit Verstöße nicht mehr geahndet sondern toleriert werden. 3 3. Die Rolle von Institutionen und religiöser Legitimierung In der bereits beschriebenen historischen Entwicklung religiöser Zinsrestriktionen sieht Rubin zahlreiche Widersprüche, die herkömmliche Theorien nicht beschreiben können. In seinem Artikel wirft er deshalb folgende Fragen auf: „Wieso erneuerte die Kirche zurzeit der commercial revolution das Zinsverbot und schaffte es dann zu einem späteren Zeitpunkt wieder ab? Wieso wurde im Osmanischen Reich das in der Scharia verankerte Zinsverbot nicht beachtet? Wie ist es zu erklären, dass die Restriktionen im frühen Christentum strikter waren als im Islam, aber über einen kürzeren Zeitraum bestanden? Wieso bestehen die Restriktionen im Islam noch aber nicht im Christentum?“ (vgl. Rubin, 2011, Seite 1316) Diese Fragen führen Rubin zu der Annahme, dass der Grad, indem politische Akteure von einer Legitimierung durch Religiöse Autoritäten abhängig sind von zentraler Bedeutung ist. Diese Legitimation war lange Zeit, sowohl im christlichen Abendland als auch im muslimischen Morgenland von zentraler Bedeutung für die Herrschenden, da so die Bevölkerung von der Berechtigung von Gesetzen und Herrschaftsansprüchen überzeugt werden und Umstürze verhindert werden konnten. Diese Abhängigkeit unterlag über Jahrhunderte einem ständigen Wandel und wurde durch verschiedene Einflussfaktoren geformt, weshalb Rubin hier eine endogene Größe sieht. Die anfängliche Abhängigkeit, die zum Zeitpunkt der Religionsstiftung vorherrschte, ist für ihn hingegen die eigentliche exogene Größe. Betrachtet man die Umstände in denen Christentum und Islam entstanden, erkennt man, dass diese kaum unterschiedlicher hätten sein können. So wurde das Christentum zur Zeit des römischen Reichs gegründet und hatte als unbedeutende Religion weder politischen Einfluss, noch den Anspruch über diesen zu Verfügen. In der Bibel wird ebenfalls eindeutig für eine/n Trennung von Staat und Kirche plädiert. (Mt. 22:21) Der Islam hingegen wurde in einem schwachen und politisch ungeeinten System gegründet und stellte bald erste Machtansprüche. Die weltlichen Herrscher reagierten auf die Machtkonkurrenz indem sie 4 versuchten ihre Macht in Verbindung mit dem Islam zu bringen. Dadurch mussten sie dem Islam zwar eine legitimierende Rolle zugestehen, konnten sich aber durch die religiöse Unterstützung gegen ihre weltlichen Machtkonkurrenten durchsetzen. Ein weiteres Argument, welches die Bedeutung der politischen Umstände zur Zeit einer Religionsstiftung unterstreicht übernimmt Rubin von dem amerikanischen Publizisten Brian Tierny. Dieser argumentiert, dass der spätere Einfluss einer Religion damit zusammenhängt, wie stark eine Religion in die Bildung einer Gesellschaft involviert ist. Hier zeigen sich wieder Unterschiede zwischen Islam und Christentum. Während das Christentum in dem bereits geordneten, politisch stabilen römischen Reich gegründet wurde, war der Islam in die Entwicklung von einem Stämme Verbund in ein geordnetes politisches System involviert und konnte sich so Macht und Einfluss sichern. An dieser Stelle räumt Rubin ein, dass die anfänglichen Unterscheide zwar viele, aber nicht alle Differenzen in der Entwicklung der Religionen erklären können. Auch legt diese Argumentation die Vermutung nahe, dass der Einfluss der Kirche auch weiterhin gering blieb, was einer näheren historischen Betrachtung nicht standhält. Trotzdem dienen diese Annahmen als Grundlage für das von Rubin entwickelte Modell und stellen exogene Einflussfaktoren dar. 4. Rubins Modell: Legitimicy, Institutions and Regulations 4.1. Eine zeitliche Periode Auf Grundlage der bereits beschriebenen Umstände entwickelte Rubin zunächst ein Model mit einer zeitlichen Periode. Hiermit möchte er erklären, wie unterschiedliche politische und religiöse Interessen, sowie verschiedene Grade der Abhängigkeit der weltlichen Herrscher von religiöser Legitimierung die politische und religiöse Entscheidungsfindung beeinflussen. 5 Mit seinem Modell liefert er Antworten auf die bereits an früherer Stelle aufgeworfenen Fragen. Im Wesentlichen besteht das Modell aus zwei Akteuren, zum einem die politische Autorität P und zum anderen die religiöse Autorität R. Sie agieren in einem Ein-Perioden-Spiel und verfügen über vollständige Informationen. Jeder Spieler wählt nun seine Aktionen, wobei die politische Gesetzgebung als p und die Interpretation von religiösen Gesetzen durch Kirche und Muftis, als r bezeichnet wird. Zudem besteht jeweils ein bekanntes optimales Verhalten. Dies ist für politische Führer ̅ und stellt das die Wohlfahrt maximierende Verhalten da. In Bezug auf religiöse Autoritäten hingegen, bezeichnet der Parameter ̅ die ursprüngliche Interpretation religiöser Texte. Das Ausmaß des Nutzenverlustes für den Staat, sollten seine Aktionen von der religiösen Doktrin abweichen wird als γ bezeichnet. Das Ausmaß des religiösen Reformwiderstandes wird als α bezeichnet. Für den Staat ergibt sich dadurch folgende Nutzenfunktion: ̅ – – (1) Hieraus lassen sich folgende Erkenntnisse ableiten: Zum einem entspricht der maximale erreichbare Nutzen der Politik 0. Dieser ist erreicht, wenn p = ̅ = r = ̅ gegeben ist, also die politischen und religiösen Interessen übereinstimmen. Doch welche Aussagen lassen sich nun über das Verhalten der politischen Autoritäten treffen? Sie werden daran interessiert sein, die beiden Terme möglichst gering zu halten um ihren Nutzen zu maximieren. Stehen sich jedoch nun die religiösen und politischen Interessen diametral gegenüber, wird die Minimierung des einen Terms zwangsläufig die Differenz des anderen Terms vergrößern. Ob nun eine Handlung gewählt wird, die von der optimalen Politik oder von der religiösen Doktrin abweicht, hängt entscheidend vom Faktor γ ab. Dieser entscheidet ob das Ausmaß des 6 Nutzenverlustes durch ein Abweichen von der optimalen Politik (γ hoch) oder der religiösen Gesetze (γ gering) größer ist. Analog hierzu ist die Nutzenfunktion der Religiösen Autorität aufgebaut: – – ̅ (2) Es gelten dieselben Annahmen, jedoch bestimmt hier der Faktor α ob sich eher an den politischen Gesetzen oder an der religiösen Interpretation orientiert wird. Die im Nash-Gleichgewicht optimalen Verhaltensfunktionen lauten: ̅ ̅ ̅ ̅ ̅ ̅ (3) und ̅ ̅ ̅ ̅ (4) Es lässt sich also erkennen, dass sowohl die optimalen Reaktionen der Religiösen als auch der politischen Autoritäten abhängig von dem religiösen Widerstand gegen Reformen, der politischen Abhängigkeit von religiöser Legitimation, sowie der die Wohlfahrt maximierenden Politik sind. Sollten nun exogene Einflüsse die maximal erreichbare Wohlfahrt steigern, wird der Anreiz der Politik steigen, von der religiösen, restriktiven Doktrin abzuweichen. Um im optimalen Gleichgewicht zu bleiben, sollten die Religiösen Autoritäten nachziehen und sich selbst weniger restriktiv verhalten. Der Einfluss des religiösen Reformwiderstandes und hoher politischer Abhängigkeit von religiöser Legitimierung lässt sich anhand folgender Ableitungen ablesen: ̅ [ ̅ ] (5) ̅ , [ ̅ ] (6) Es zeigt sich, dass hoher religiöser Reformwiderstand und hohe politische Abhängigkeit sich negativ auf die Abschaffung restriktiver Gesetze auswirken, da dadurch entweder die Macht der weltlichen Herrscher beschränkt wird oder ein höherer Widerstand gegen Reformen überwunden werden muss. Diese Erkenntnisse unterstützen die Vermutung, dass die stärkere 7 Verknüpfung γ von Politik und Religion in muslimisch geprägten Ländern Auslöser für den wirtschaftlichen Rückstand dieser ist. Jedoch kann hierdurch die eingangs beschrieben/e Hypothese, dass der konservative Charakter des Islams α Auslöser dieses Rückstandes sei, nicht endgültig verworfen werden. 4.2. Zwei-Perioden Modell mit endogener religiöser Legitimation Um seine Hypothese endgültig zu beweisen, erweitert Rubin sein Modell um eine zweite zeitliche Periode. In dem Ausgangsmodell war nicht klar erkennbar, welche Faktoren die Beziehung zwischen Politik und Religion beeinflussen, da die religiöse Legitimierung als exogene Größe betrachtet wurde. Nun wird hingegen auch der Umstand berücksichtigt, dass die Legitimierende Rolle der Religion durch Interaktionen beeinflusst werden kann. Durch das neu konzipierte Modell erhofft Rubin nun historische Veränderungen und Paradigmenwechsel der Religionen besser erklären zu können. Als Grundlage dienen dieselben Nutzenfunktionen wie im bereits erläuterten Modell, auch bleibt in Periode 1 der Abhängigkeitsgrad exogen und wird erst in Periode 2 als endogen betrachtet. Der Legitimierungsgrad in Periode 2 wird als Funktion des Legitimierungsgrad in Periode 1 sowie der inhaltlichen Differenz zwischen den Handlungen von Politik und Religion im Nash Gleichgewicht sowie zwischen der optimalen religiösen Interpretation und der im Nash Gleichgewicht tatsächlich durchgeführten dargestellt. Die Variablen sind Gewichtungsfaktoren der beiden Einflussgrößen. Es ergibt sich folgende Formel: ̅ (7) Es lässt sich erkennen, dass durch ein Abweichen sowohl von der ursprünglichen Interpretation ̅ als auch von den politischen Regulierungen zu einem sinkenden religiösen Einfluss führt. Aufgrund der großen zeitlichen Distanz ist anzunehmen, dass die Akteure in den beiden Perioden nicht identisch sind und so nicht den Nutzen in 8 Periode 2 antizipieren werden. Weiterhin unterscheiden sich die Faktoren α und als dass α im Gegensatz zu wird, wohingegen insofern, bei Entscheidungen der religiösen Autoritäten berücksichtig erst Auswirkung auf die weit entfernte Zukunft hat. Dies führt dazu, dass y2 als quasi Parameter betrachtet werden kann, also ein Parameter der zwar insgesamt als endogen betrachtet werden kann, für die Akteure in jeder Periode jedoch exogen vorgegeben ist. Es ergeben sich folgende optimale Handlungen im Nash Gleichgewicht: ̅ ̅ { [ ̅ ̅ ̅ ̅ (8) ; ] } ̅ { [ ̅ ̅ ̅ (9) ] } Hieraus lässt sich ableiten, dass eine höhere erreichbare staatliche Wohlfahrt die optimalen Handlungen auf zwei Arten beeinflusst. Zum einen werden politische Akteure ihre Restriktionen abbauen, da so direkt ihr Nutzen steigt, zum anderen steigt so die inhaltliche Distanz zwischen Staat und Religion und der Legitimierende Einfluss der Religion sinkt. Weiterhin können nun substantielle Aussagen über den Grad der Veränderung von religiösen Regulierungen sowie dessen Geschwindigkeit und Zeitpunkt getroffen werden. Auch kann erklärt werden wieso Religionen sich in ihrer wirtschaftlichen Fortschrittlichkeit überholen können. 5. Die Erkenntnisse des Models 5.1. Wie stark verändern sich wirtschaftliche Restriktionen? Wie bereits beschrieben sind der religiöse Widerstand gegen Reformen und das Abhängigkeitsniveau der Politik die wesentlichen Faktoren, welche das Ausmaß wirtschaftlicher Restriktionen bestimmen. Sollen nun die genauen Auswirkungen dieser Parameter untersucht werden, müssen die im Nash Gleichgewicht optimalen Reaktionsfunktionen p2* und r2* nach α und y1 abgeleitet werden. Hierdurch lässt sich zeigen, 9 dass das Ausmaß, indem Restriktionen abgebaut werden, dem Ausmaß der anfänglichen Abhängigkeit y1 entspricht. Ferner zeigt sich, dass Restriktionen in dem Umfang des religiösen Reformwiderstandes α weniger abgebaut werden, wenn die Gewichtung in (7) auf dem religiösen Einfluss liegt (großes einfach erklären, oder kleines ). Dieser Umstand lässt sich relativ wenn man die Bedeutung der Parameter interpretiert. So zeigt ein anfänglich hohes Abhängigkeitslevel y1 eine Machtverteilung zu Gunsten der Religion an. Diese wird viele ihrer Interessen durchsetzen können, sodass das Gleichgewicht nahe bei der ursprünglichen Interpretation ̅ liegt. Derselbe Effekt entsteht durch einen hohen Wert des Parameters α, da der hohe religiöse Reform Widerstand ebenfalls zu einem Gleichgewicht nahe bei ̅ führt. Jedoch wird die schwache Position des Staates diesen dazu verleiten durch bestimmte Handlungen die Legitimierende Position der Religion zu schwächen. Hierdurch oder durch einen exogenen Shock der die maximal erreichbare Wohlfahrt erhöht, verschiebt sich der Fokus des Staates auf die eigenen Interessen ( steigt) und der durch ein hohes α initiierte Effekt wird teilweise aufgehoben. Es lässt sich feststellen, dass der Umfang in dem Restriktionen abgebaut werden von dem Ausmaß der Säkularisierung und negativ von dem religiösen Reformwiderstand α abhängig ist. Auch ist bei einer hohen Abhängigkeit ein großer Shock notwendig um das bestehende Gleichgewicht zu beeinträchtigen. 5.2. Wann kommt es zum Abbau wirtschaftlicher Restriktionen? Um die Frage zu beantworten, zu welchen Zeitpunkten Staaten ihre wirtschaftlichen Restriktionen abbauen, vergleicht Rubin den Einfluss eines gestiegenen Wohlfahrtsmaximum ̅ auf Periode 1 und Periode 2. Da ̅ > ̅ und ̅ > ̅ , zeigt sich, dass der Einfluss in Periode 2 sowohl auf die optimalen staatlichen als auch die religiös optimalen Handlungen größer als in Periode 1 ist. Dies erklärt Rubin damit, dass durch den Anstieg von ̅ der maximal erreichbare Nutzen des Staates steigt und im Gegensatz zu Periode 1 der religiöse 10 Einfluss durch Legitimierung bereits gesunken ist. Hieran lässt sich erkennen, dass Shocks erst auf lange Sicht Einfluss auf wirtschaftliche Restriktionen haben. Jedoch können Faktoren wie hoher Reform Widerstand der Religion α oder eine extreme Abhängigkeit y1 den Abbau von Restriktionen negativ beeinflussen. Positiven Einfluss hat der Parameter , da so den staatlichen Interessen mehr Gewicht verliehen wird. Auch ein hohes Ausmaß der erreichbaren Wohlfahrt ̅ stellt einen Anreiz zur politischen Deregulierung dar, sodass staatliche und politische Handlungen sich voneinander entfernen ( Einfluss in Periode 2 steigt) und den Religiöse abnimmt. Es zeigt sich also, dass der Abbau von Restriktionen durch einen wirtschaftlichen Shock Zeit benötigt und erst geschieht, nachdem die Legitimierende Autorität der Religion ebenfalls untergraben wurde. (vgl. Rubin 2011, Seite 1327) 5.3. Der Umkehreffekt Historisch betrachtet, waren die wirtschaftlichen Restriktionen im christlichen Abendland lange Zeit ausgeprägter als im muslimischen Morgenland, wohingegen in der heutigen Zeit das Gegenteil der Fall ist. Dieser Umstand lässt sich mit Hilfe des 2 Perioden Modells erklären und lässt sich als ̅ > ̅ notieren. Da die Religion im Christentum zum Ausgangspunkt eine größere legitimierende Rolle als der Islam innehatte, gilt weiterhin y1 Islam > y1 Christentum. Die Umkehrung in Periode 2 zeigt sich darin, dass nun ̅ ̅ > gilt, also die wirtschaftlichen Restriktionen im Christentum weniger ausgeprägt als im Islam sind. Wie bereits beschrieben kann ein Abbau von Restriktionen nur dann stattfinden, nachdem die Legitimierende Rolle einer Religion geschwächt worden ist. Im Vergleich zum Islam muss im Christentum also ein relativ größerer religiöser Machtverlust stattgefunden haben. Da sowohl y1 Christentum als auch ̅ relativ gering waren, muss die Kirche in Periode 1 Handlungen durchgeführt haben die entweder deutlich von der eigenen ursprünglichen Doktrin oder den staatlichen Handlungen abgewichen sind und so die eigene Legitimierende Autorität geschwächt und untergraben haben. Religionen können sich also nur 11 durch einen veränderten Religiösen Einfluss in ihrer wirtschaftlichen Fortschrittlichkeit überholen. ( vgl. Rubin, 2011, Seite 1328) 6. Modell und Wirklichkeit 6.1. Ausmaß des wirtschaftlichen Wandel in Abhängigkeit von Säkularisierung Im folgenden Kapitel sollen nun die durch das Modell hergeleiteten Annahmen mit der Historie kontrastiert werden. Rubins erste Annahme besagt, dass die Abhängigkeit von religiösen Institutionen der wesentliche Auslöser für wirtschaftlichen Rückstand sei. Um diese Annahme zu beweisen, erklärt Rubin zwei historischen Entwicklungen mit ihr. Dies wäre zum einen das bis zum fünfzehnten Jahrhundert bestehende christliche Zinsverbot, zum anderen der Umstand, dass die Kirche erst strengere Regulierungen als der Islam erließ, diese jedoch im Gegensatz zum Islam vollständig abgeschafft hat. Laut Modell, wäre ein exogen bedingter Anstieg der maximal erreichbaren Wohlfahrt ̅ und ein damit einhergehender höherer Anreiz zur Deregulierung der Wirtschaft und zu einer tiefergehenden Säkularisierung (kleineres y) als Ausgangspunkt dieser Entwicklung zu betrachten. Tatsächlich lässt sich in der Europäischen Geschichte mit der Commercial Revolution ein zutreffendes Ereignis erkennen, welches die Bedeutung von Krediten deutlich steigerte. Durch den hierdurch bedingten, exogen gestiegenen Anreiz zum Abbau von wirtschaftlichen Restriktionen kam es zu einer höheren Divergenz von religiösen und weltlichen Gesetzen, sodass der kirchliche Einfluss sukzessiv sank. Dies zeigt sich unteranderem daran, dass der Sitz des Papstes von 1309 bis 1377 aus politischen Interessen nach Avignon verlegt wurde. Aufgrund des anfänglichen, wirtschaftlichen Vorsprunges des Islams hält Rubin es für nicht zielführend die historischen Entwicklungen von Islam und Christentum zu bestimmten Zeitpunkten zu vergleichen, sondern eher die Konsequenzen äquivalenter Ereignisse zu untersuchen. Im Gegensatz zu der westlichen Welt gab es im mittleren Osten zu keinem Zeitpunkt ein 12 vollständiges Zinsverbot. Außerdem waren durch religiös legitimierte hiyals Alternativen zu herkömmlichen Krediten gegeben, sodass der Anreiz die Regeln der Muftis zu brechen nie so hoch war wie im Abendland. Des Weiteren war ein solcher Regelbruch mit höheren Kosten verbunden, da die institutionelle Abhängigkeit größer war. Auch waren kleinere, im zweiten Kapitel beschriebene Deregulierungen für den Islam nicht mit einem hohen Nutzenverlust verbunden, da sie keine vollständige Neuinterpretation des Korans darstellte – ̅ . Folgerichtig kam es zwischen politischen und religiösen Autoritäten nie zu deutlich divergierenden Handlungen, welches das Abhängigkeitsniveau y senken würde. Auch da im Gegensatz zum Christentum kein exogener Shock dieses Gleichgewicht beeinträchtigte. Diese unterschiedlichen Entwicklungen unterstützen die Annahmen des Models. Es lässt sich erkennen, dass die relativ höhere Abhängigkeit vom Islam, welche seit je her bestand maßgeblich den Abbau von Restriktionen verhinderte, da es politischen Autoritäten die Möglichkeit nahm entweder das Abhängigkeitsniveau zu senken oder einen Abbau von Restriktionen voranzutreiben. Noch heutzutage werden im muslimischen Bankenwesen keine offiziellen Zinserträge erzielt. 6.2. Der Zeitpunkt wirtschaftlicher Veränderung Wie bereits in Kapitel 5.2. erläutert, leitet Rubin aus seinem Modell die Annahme ab, das Religiöse Autoritäten auch nach einem exogenen Shock ihre wirtschaftlichen Restriktionen so lange aufrechterhalten bis durch staatliches Handeln ihre legitimierende Position untergraben wurde. Im christlichen Abendland lässt sich der umgekehrte Effekt, nämlich der Aufbau von restriktiven Gesetzen nach einem, durch die gregorianischen Reformen (im 11. und 12.Jahrhundert) induzierten Machtzuwachs erkennen. Diese Restriktiven Gesetze wurden auch nach Aufkommen der Commercial Revolution erneuert, da eine Neuinterpretation der christlichen Doktrin mit erheblichen Kosten verbunden wäre – ̅ . Jedoch führte der aufkommende Handel zu einer endogenen Kontaminierung der kirchlichen Autorität. 13 Grund hierfür war ein Anstieg der maximal erreichbaren Wohlfahrt ̅, wodurch Händler und Unternehmer dazu verleitet wurden christliche Gesetze zu brechen und bei weltlichen Herrschern Schutz vor religiöser Verfolgung zu suchen. Weiterhin verschafften weltliche Herrscher den Händlern Schutz und Rechtsstaatlichkeit da sie an Steuern und Abgaben der Händler interessiert waren steigt). Auf Grund dieser Umstände sah die Kirche sich ab dem 14. Jahrhundert gezwungen Zinsrestriktionen sukzessiv abzubauen. In der islamischen Welt lässt sich aufgrund der Institutionellen Abhängigkeit kein Wandel feststellen, welcher mit dem umfangreichen Abbau von Restriktionen in der christlichen Welt vergleichbar ist. Einzig der Aufstieg des Osmanischen Reiches stellte eine geringe Abnahme muslimischer Autoritäten dar und führte, ganz im Sinne des Modells zum geringfügigen Abbau von Restriktionen. Jedoch blieb ein Lippenbekenntnis zur Scharia Voraussetzung für den Abschluss eines Handels. Rubin nimmt an, dass die allgemeine Zustimmung zu den Gesetzen der Scharia, auch unter Herrschern weiter verbreitet war, sodass diese weder die Möglichkeit noch den Anspruch hatten die Religion vollständig aus wirtschaftlichen Belangen rauszuhalten. Diese Entwicklungen zeigen wiederum, dass lediglich die Abhängigkeit von Religiöser Legitimierung y und nicht der sowohl im Christentum als auch Islam vorhandene Widerstand gegen Reformen α entscheidend für den Abbau wirtschaftlicher Restriktionen ist. 6.3. Der Umkehreffekt Laut Rubin ist es nur möglich, dass eine Religion wirtschaftlich fortschrittlicher als eine andere wird, wenn die institutionelle Abhängigkeit y bereits vorher gesunken ist. In Bezug auf Islam und Christentum lässt sich eine wirtschaftliche Deregulierung zuerst im Islam erkennen. Aufgrund des früheren Aufkommens von Handel und einem damit einhergehenden höheren wirtschaftlichen Anreiz ̅ wurden in muslimischen Ländern bereits früher hiyals etabliert. Diese frühzeitige Deregulierung stellt im Kontext des Models den Grund für einen niedrigeren zukünftigen Deregulierungsgrad dar. Aufgrund dieses Umstandes konnten 14 religiöse Autoritäten ohne großen Nutzenverlust Aktionen wählen, die sowohl nahe an der religiösen Doktrin als auch an den politisch Optimalen Handlungen lagen und so nicht zu einem sinkendem Abhängigkeitsniveau führten. Hier lässt sich also zu keinem Zeitpunkt eine Kontaminierung des ohnehin schon hohen religiösen Einfluss feststellen. Im Gegensatz hierzu steht die Historie des Christentums, in der eine strenge Regulierung der Wirtschaft aufrechterhalten wurde, selbst als mit der Commercial Revolution ein großer Anreiz zur Deregulierung bestand ). Zu diesem Zeitpunkt kam es nun zu den bereits in 6.2. beschriebenen Entwicklungen, welche das Abhängigkeitsniveau endogen senkten. Hier kann der Beginn des christlichen Restriktionsabbaus gesehen werden, welche auf lange Sicht zu dem wirtschaftlichen Fortschritt in christlich geprägten Ländern führte. Natürlich muss angemerkt werden, dass eine ähnliche Entwicklung auch im Islam hätte einsetzen können, jedoch wäre auf Grund des größeren Religiösen Einflusses y ein stärkerer exogener Shock notwendig um diese zu initiieren. Diese Entwicklung zeigt, welchen Einfluss selbst kleine Ereignisse auf langfristige ökonomische Entwicklungen haben, auch wenn die eingeschlagenen Entwicklungen selbstverständlich auch durch andere Einflüsse wie Institutionelle Pfadabhängigkeit gefestigt werden. 7. Fazit Nachdem Rubin in seinem Artikel eine von soziologischen Aspekten losgelöste Argumentation verfolgt hat, stellt er gegen Ende des Artikels den Zusammenhang zwischen seiner Argumentation und dem Konservativen Charakter des Islams da, welchen unter anderem Max Weber als Grundlage seines Erklärungsansatzes genommen hatte. Dies zeigt er anhand des Ijtihad (arabisch für „Anstrengung“), welcher einen Argumentationsvorgang beschreibt auf dessen Grundlage im Morgenland neue Gesetze entwickelt werden. Historiker 15 haben jedoch entdeckt, dass diese Technik seit 11. Jahrhundert kaum noch Anwendung findet, sondern neue Gesetze hauptsächlich auf Grundlage der Scharia erlassen werden und dem entsprechend konservativ ausfallen. Die (wenn auch äußerst geringe) Anzahl an durch den Ijtihad zustande gekommenen Gesetzen zeigt jedoch, dass ein Loslösen von der Islamischen Doktrin nie unmöglich gewesen ist, sondern nur mit hohen Kosten verbunden war. Grund für die hohen Kosten ist die nicht vorhandene Unterstützung durch politische Autoritäten, da diese stark abhängig von religiöser Legitimierung sind. Eine Veränderung dieser Beziehung ist jedoch nicht unmöglich, wurde jedoch noch durch keinen exogenen Shock initiiert. Dies zeigt das Rubins Theorie tiefer geht als herkömmliche Theorien, da er auch erklären kann, wieso der Konservative Charakter des Islam im Wandel der Zeit konservativ blieb und auch heutzutage großen Einfluss hat. Zusammenfassend hat Rubin es mit seinem Artikel zu zeigen geschafft, dass der Konservative Charakter des Islam Ergebnis und nicht Ursache der Institutionellen Beschaffenheit und der damit einhergehenden wirtschaftlichen Stagnation ist. (Rubin, 2011, 1336) 16 Literaturverzeichnis: Rubin, J. (2011). Institutions, the rise of commerce and the persistence of laws: Interest restrictions in Islam and Christianity. Economic Journal, 121 (557). 1310-1339