D-ERDW Departement Erdwissenschaften Erdwissenschaften in Zürich ETH Zürich Departement Erdwissenschaften Sonneggstrasse 5 8092 Zürich www.erdw.ethz.ch Inhaltsverzeichnis Geologisches Institut Strukturgeologie und Tektonik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Klimageologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Ingenieurgeologie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .10 Erdoberflächendynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 Paläontologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 Biogeowissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 Institut für Geophysik Erd- und Planetenmagnetismus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 Angewandte und Umweltgeophysik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .20 Geophysikalische Fluiddynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .22 Seismologie und Geodynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .24 Schweizerischer Erdbebendienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .26 Institut für Geochemie und Petrologie Petrologie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .30 Meeresgeologie und Geochemie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 Hochdruckgeologie und Vulkanologie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .32 Experimentelle Geochemie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .34 Fluidprozesse und mineralische Rohstoffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .36 Isotopengeochemie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .38 focusTerra. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .40 Impressum: Herausgeber: Departement Erdwissenschaften Konzept/Realisation: Gabrielle Attinger Gestaltung: Karin Frauenfelder Druck: Casanova Druck und Verlag AG, Chur 3000 Expl., März 2010 1 herzlich willkommen forschung Erdwissenschaften in Zürich Herzlich willkommen in unserer Broschüre – sie beschreibt unsere Aktivitäten, denen wir im wun- Um unsere Ziele zu erreichen, nutzen wir Laborexperimente, umfangreiche Feldkampagnen, Das Departement Erdwissenschaften D-ERDW an der Eidgenössischen Technischen Hochschule dient als Archiv, wir verwenden es, um globale Prozesse zu verstehen, die oft schwierig zu entzif- Inneren der Erde über die Kontinente, Ozeane und Biosphären bis hin zur Atmosphäre. Wir erfor- ist essentiell, um unsere aktuellen Probleme zu verstehen: «Die Vergangenheit ist der Schlüssel derschön restaurierten Gebäude an der Sonneggstrasse im Herzen von Zürich nachgehen. Computersimulationen und Fernerkundungsmethoden, zum Beispiel durch Satelliten. Die Erde ETH Zürich strebt nach einem tieferen Verständnis aller Bereiche unseres Heimatplaneten – vom fern sind. Die Erkundung dieses Archivs, das Felsen, Tiefsee-Sedimente und Eis-Platten umfasst, schen Erdmaterialien vom atomaren bis zum planetaren Massstab und versuchen die Evolution des zur Zukunft». Dieses Verständnis ist von zunehmender Bedeutung für die Menschheit und hat zunehmenden Ein- Einige aktuelle und drängende Fragen, die die Erdwissenschafter und Erdwissenschafterinnen lung der Erde, was die Verfügbarkeit von geologischen Ressourcen wie Erdöl und frisches Wasser suchen, sind: nach Lösungen verlangen. >Wie können die wesentlichen Bodenschätze tief unter der Erdoberfläche gefunden werden, der Wissenschaft, Technik, Politik und Administration auszubilden und auf die Herausforderungen >Warum sind Erdbeben in der Schweiz ein Thema, und warum ist es nicht möglich, den nächsten gung, Naturgefahren, Energie-Ressourcen, das Klima ebenso wie ökologische Herausforderungen, > Wo können wir unseren Müll ablagern, und wie können wir neue Bauvorhaben und Verkehrs- Unser Departement ist nach aussen gerichtet, Lehre und Forschung sind eng mit den Departemen- schaffen? rialwissenschaften verbunden. Um den vielfältigen Herausforderungen der Zukunft gerecht zu ersten DNA über Mikroben und Dinosaurier bis zu den ersten Menschen? legenden naturwissenschaftlichen Unterricht. Das Studium wird durch den engen Kontakt mit der und Vulkanausbrüchen einschätzen? täten in der ganzen Welt bereichert. Mondes und der Erde? Wir laden Sie ein, blättern Sie in der Broschüre und entdecken Sie mehr über die Arbeit unseres lung und Topographie? Planeten in der Vergangenheit ebenso zu verstehen wie die aktuellen und zukünftigen Prozesse. fluss auf das «System Erde» sowohl auf regionaler als auch auf globaler Ebene. Die künftige Entwickanbelangt, aber auch die Lagerung von radioaktiven Abfällen oder Kohlendioxid sind Themen, die der ETH Zürich zusammen mit den Forschenden an der Universität Zürich zu beantworten ver- Eine unserer wichtigsten Aufgaben ist es, die nächste Generation von Akteuren und Akteurinnen in und wie lässt sich geothermische Energie in grossen Mengen gewinnen? der Zukunft vorzubereiten. Dies umfasst die natürlichen Ressourcen, den Schutz der Wasserversor- Steinschlag oder Bergsturz im Alpenraum vorherzusagen? Altlasten und den Hoch- und Tiefbau vom Baugrund zum Tunnelbau. wege realisieren, ohne Risiken für unser Grundwasser und für kommende Generationen zu ten Agrar-, Umwelt-, Bauingenieurswissenschaften sowie der Physik, Chemie und auch den Mate- >Wie ist die Erde im Sonnensystem entstanden – und wie das Leben auf unserer Erde? Von der werden, bietet unserer Studiengang den Studierenden einen praktischen und gleichzeitig grund- > Was ist der Ursprung des Magnetfeldes der Erde, und wie können wir die Gefahr von Erdbeben Forschung, durch die Kooperation mit der Industrie, sowie dank der Beziehung zu anderen Universi- >Was erzählen uns Meteoriten über die Entstehung von Planeten, was ist die Geschichte des > Warum und wie entstanden die Alpen und andere Gebirge, und was bestimmt ihre Entwick- Departementes. >Wird der Golfstrom seine Intensität in tausend Jahren verlieren? Wird dies dazu führen, dass Bernard Bourdon eine weltweite Überflutung verursachen? Was können wir angesichts dieser Situation tun? Europa unter einer Eisdecke verschwindet, oder wird sich die Atmosphäre aufwärmen und (Departementsvorsteher) 2 3 lehre Doktoratsprogramm: Das Doktorat erlaubt eine aktive und weitgehend selbstständige Arbeit an der Forschungsfront globaler erdwissenschaftlicher Erkenntnisse. Sie ist die Vorbedingung einer akademischen Karriere, doch praktizieren auch zahlreiche AbsolventInnen mit Doktorat anschlies- send in der Industrie oder in öffentlichen Organisationen. In der Regel erhalten Doktorierende für drei bis vier Jahre eine Assistenzstelle in ihrer Forschungsgruppe auf einer 60-Prozent-Basis. Die Bachelor- und besonders die Masterstudiengänge und das Doktoratsprogramm lassen sich kombinieren mit einer wissenschaftlichen Ausbildung an anderen Universitäten wie der Universität Zürich, oder den Mitgliedern der europäischen IDEA League – RWTH Aachen, TU Delft, Imperial College London und Technische Universität Paris. Ferner besteht ein intensiver Austausch in Forschung und Lehre zwischen dem Departement Erdwissenschaften und führenden Forschungsuniversitäten in Nordamerika wie dem Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston und anderen Ivy League Institutionen sowie dem TIT in Tokyo und mit Singapur. Das Studium der Erdwissenschaften vermittelt ein grundlegendes Verständnis aller Bereiche unseres Planeten auf akademischem Niveau. Im Zentrum des Studienganges steht das System Erde, welches sowohl die Entstehung und langfristige Veränderung der Erde als auch die aktuellen Wechselwirkungen zwischen festen Gesteinen, Ozeanen, Klima und Atmosphäre einschliesst. Das Studium der Erdwissenschaften soll eine praxisnahe und gleichzeitig für die Schweiz einmalig breit abgestützte naturwissenschaftliche Grundausbildung vermitteln. Bachelor in Erdwissenschaften: Die ersten drei Jahre vermitteln etwa hälftig notwendige Grundlagen in Mathematik, Physik, Chemie und Biologie und hälftig ein abgerundetes erdwissenschaftliches Wissen, eine gute Naturbeobachtungsgabe sowie das Erlernen der Denkweise und Methodik der Erdwissenschaften. Exkursionen, Praktika und Geländearbeiten unterstützen von Beginn an die im Hörsaal vermittelten erdwissenschaftlichen Fächer. Dabei können drei Grundrichtungen gewählt werden: - Geologie - Geophysik - Klima und Wasser Master in Erdwissenschaften: Das Ziel des Masterstudiums ist, die Studenten zu selbstständigen ErdwissenschafterInnen auszubilden, die in der Wissenschaft oder Praxis den vielfältigen Aufgaben auf höchstem Niveau gerecht werden. Unser Departement Erdwissenschaften an der ETH Zürich ist eine der weltweit renommiertesten Forschungs- und Lehrinstitutionen in diesem Bereich, welche durch seine Breite einen sehr vielfältigen Lehrplan anbieten kann. Hierbei werden die Studierenden an modernste rechnergestützte numerische, analytische und experimentelle Methoden herangeführt und in ihr erstes Forschungsprojekt eingebunden. Das Masterstudium selbst besteht etwa zu je einem Drittel aus Wahlpflichtfächern, frei wählbaren Fächern und der Masterarbeit und ermöglicht die folgenden Spezialisierungen: - Ingenieurgeologie - Geologie - Mineralogie und Geochemie - allgemeine Geophysik - angewandte Geophysik (gemeinsam mit den Universitäten Aachen und Delft) - Atmosphäre und Klima (gemeinsam mit dem Departement Umweltwissenschaften) 4 Am International-Ocean-Drilling-Programm IODP zur Erforschung der Erdgeschichte – hier vor dem Fujijama – ist auch das Departement Erdwissenschaften der ETH Zürich beteiligt. 5 Strukturgeologie und Tektonik Die Plattentektonik führt zu Katastrophen wie Erdbeben, Vulkanausbrüchen und Erdrutschen, ist aber auch verantwortlich für natürliche Ressourcen wie Minerallagerstätten, Wasser und Geothermie. Die Plattentektonik und damit die Strukturgeologie spielt also für jeden Aspekt der Erdwissenschaften eine Rolle: Die Strukturgeologen erforschen, was man aus geologischen Beobachtungen über das Erdbeben- potential von Störungszonen lernen kann und suchen nach geologischen Hinweisen, wie sich vergangene Erdbeben ausgewirkt haben. Sie erkunden Lagerstätten von Rohstoffen wie Wasser und Erdöl in der Erdkruste. Die Gruppe von Jean-Pierre Burg arbeitet deshalb auch eng zusammen mit den Forschenden der Petrologie, der Geochemie und des Geophysikalischen Instituts, aber auch mit der Nagra und der NEAT. Jean-Pierre Burg Neil Mancktelow Abschiebung im Iran. Leukogranit im Süden Tibets im Himalaja. geologischen Prozessen, in denen einwirkende Kräfte die Gesteine verformen. Die Strukturgeologen analysieren die Deformationen, sie untersuchen Falten, Brüche und das Gefüge von Mineralen im Gestein. Diese geben Aufschluss über die Entstehung der Erdkruste und des oberen Erdmantels. Ihre Arbeit gliedert die Gruppe entsprechend den verschiedenen Themen in sechs Bereiche: Alpine Geologie, Analoge Modellierung, Gesteinsdeformation, Himalaja-Geologie, Numerische Modellierung und Strukturgeologie und Tektonik Die Strukturgeologie befasst sich mit den Gesteinen und den Überschiebung und Falten in Tunesien. das Fission Track oder «Spaltspuren-Datieren», eine radiometrische Methode zur Altersbestimmung von Mineralen im Gestein. Mit Methoden wie der experimentellen Gesteinsdeformation untersuchen die Strukturgeologen tektonische Prozesse, z. B. wie Kräfte in der Erde die Gesteine verformen und in welche Richtung die deformierten Gesteine bewegt wurden. Dies gibt Aufschluss über die Abläufe und Bewegungen der Erdkruste und des obersten Erdmantels und die Plattentektonik. Jean-Pierre Burg arbeitet mit seiner Gruppe oft im Feld, vor allem in den Alpen und im Himalaja, wo die Bildung der Gebirgsketten untersucht wird. Aber auch Laborforschung macht einen wichtigen Teil der Strukturgeologie aus. Im Labor wird das Gesteinsmaterial untersucht. Mit Grossrechnern werden numerische Model- lierungen und mit Plastilin analoge Modellierungen durchgeführt. Experte darin ist Neil Mancktelow. In einem Hochleistungs- Im Labor für Gesteinsdeformation. oder zusammengequetscht werden. Die Anlage ist einzigartig, Ein grosses Forschungsprojekt führt Jean-Pierre Burg öfters nach Pakistan, wo er mit seinen Mitarbei- apparat kann Gestein in seiner Form verändert, also gedehnt da sie auch Torsionen, Verdrehungen des Gesteins herbeiführen tenden die Gesteine am Sapat in der Nordwest-Provinz Kohistan untersucht. Der Kohistan-Bogen ist ein kann. Sie wird deshalb auch immer wieder von Forschenden aus dem Ausland benutzt, die selbst aus Übersee eigens nach Zürich reisen, um ihre Gesteinsproben verdrehen zu lassen. Falten in Makran. ehemaliger vulkanischer Insel-Bogen, der sich vor über 100 Millionen Jahren entwickelt hat. Er bildete «Schokoladentafel»-Struktur in Portugal. sich auf der ozeanischen Kruste der Thetys, des urzeitlichen Ozeans, der sich von Mitteleuropa bis nach Neuguinea erstreckte. Heute befindet sich der Bogen zwischen dem eurasischen Kontinent und der indischen Platte und gehört zum sogenannten Kollisionssystem des Nordwest-Himalajas. Ausserdem Spuren von einem Tsunami in Makran. sucht die Gruppe nach den Überresten der Inselkette an der Makranküste im Süden von Iran, wo die Konvergenz besonders stark ist: Im Meer von Oman ist eine Subduktionszone. Die Gruppe ist in nationalen und internationalen Forschungsprogrammen in Europa, Australien, im Iran, in Kanada und Kirgistan aktiv. 6 Die Indus-Schlucht in Pakistan. > 7 Klimageologie 8 Klimageologie Die Klimageologie befasst sich mit kurz- und langfristigen Klimaschwankungen in der erdge- Es bildeten sich im subarktischen Nord- on von Leben auf unterschiedlichsten geologischen Zeitskalen. Dank der Klimageologie wissen tis eine salzgesteuerte Sprungschicht, schichtlichen Vergangenheit und sie untersucht Zusammenhänge zwischen Klima und Evoluti- pazifik und im Südozean um die Antark- wir, dass es in der 4,6 Milliarden alten Geschichte unseres Planeten schon immer natürliche Kli- die man sich wie einen «Süsswasserde- mavariationen gegeben hat. Durch die Beschreibung und Quantifizierung der dafür zugrunde ckel» vorstellen kann, welche das Ausga- liegenden Prozesse wissen wir, dass die heutigen Klimaveränderungen wesentlich auf mensch- sen des Treibhausgases CO2 vom Ozean liches Einwirken zurückzuführen sind. Der Mensch ist zu einem global wirksamen Faktor im Gerald Haug in die Atmosphäre reduzierte. Dies führ- System Erde geworden, und die Erde wird sich wegen der schnell ansteigenden Konzentration te zu einer permanenten Abkühlung des der Treibhausgase in der Atmosphäre weiter erwärmen. Dies lässt sich mit den heutigen For- Planeten Erde und zog die Bildung einer schungsmethoden nachweisen. permanenten Eiskappe in den Nordpolarregionen, in Grönland, Skandinavien, Nordasien und Nordamerika nach sich. Alpine Gesteinsabfolgen archivieren Klima- und Erdgeschichte. Eine weitere Entdeckung machte Haug mit KollegInnen bei der Rekonstruktion der grossen Tempera- tur-Oszillationen zwischen Ozean und Atmosphäre in den letzten Jahrtausenden. Mit hochaufgelösten Zeitreihen konnten sie nachweisen, dass diese Schwingungen im Klimasystem direkten Einfluss auf den Helmut Weissert Lebensraum der Menschen haben – und damit erklären, wie Veränderungen im hydrologischen Kreis- lauf der Tropen zum Untergang des Maya-Reichs auf Yucatan beitrugen. Die Klimadaten zeigen, dass der gut dokumentierte Kollaps der Hochkultur zeitlich mit Trockenperioden von drei bis neun Jahren zusammenfällt. Ozeanische Wasseroberflächentemperatur in einem El-Nino-Jahr (März 1983) – erforscht werden Jahrtausende bis Jahrmillionen. Die Ergebnisse der Paläoklimaforschung haben das Verständnis des Klimasystems in den letzten Stefano Bernasconi drei Jahrzehnten revolutioniert. So wiesen etwa die Klimarekonstruktionen aus geologischen Archiven darauf hin, dass in den Polarregionen während der letzten Jahrtausende Temperaturschwankungen von bis zu zehn Grad innerhalb von zehn Jahren möglich waren, angetrieben von Veränderungen in der Ozeanzirkulation und der Windsysteme mit Schwellenwertcharakter – ein Phänomen mit Auswirkungen auf den hydrologischen Kreislauf der Tropen. Gerald Haug erforscht mit seiner Arbeitsgruppe die Entwicklung des Klimas während der letzten Jahrtausende bis Jahrmillionen. Anhand von Meeres- und Seesedimenten ist es ihnen gelungen, die klimatischen Veränderungen in zahlreichen Schlüsselregionen der Erde bis auf Jahre genau Chichén Itzá, Zentrum der Maya-Kultur. der Paläoklimatologie vor, nämlich die Entstehung der grossen Eiszeiten auf der Nordhemisphä- Helmut Weissert und seine Gruppe zu rekonstruieren. Dabei schlug Haug unter anderem eine Erklärung für eines der ältesten Rätsel re vor 2,7 Millionen Jahren: Die Meereszirkulation hat sich damals dramatisch verändert. Phasen des Zerfalls. nutzen alpine Gesteinsarchive für ihre Rekonstruktionen des Klimas und der Ozeanographie der letzten 250 Millionen Jahre. Sie studieren Wechselwirkungen zwischen globalem Kohlenstoff-Kreislauf, Leben und Klima. Stefano Bernasconi befasst sich mit der Biogeochemie terrestrischen und aquatischen Systemen und ihrer Erdgeschichte. Er leitet das Labor für leichte stabile Isotope und für organische Geochemie der Gruppe. Bohrschiff auf dem See. Geklärt: Die Entstehung der Eiszeiten. Messungen der Titan-Konzentration spiegeln klimatische Schwankungen. 9 Ingenieurgeologie 10 Ingenieurgeologie Die Ingenieurgeologie ist ein Zweig der Angewandten Geologie und der Geotechnik, also Binde- Im Zentrum der Forschungsarbeiten von Simon Löw stehen geomechanische und geohydraulische Pro- mit dem oberflächennahen Verhalten von Gesteinen und Formationen, ihrem geologischen Auf- massen in tiefen Untertagebauwerken wie Tunnels und geologischen Tiefenlagern und instabilen Tal- glied zwischen den klassischen Geowissenschaften und dem Ingenieurwesen. Sie befasst sich bau und ihren mechanischen und hydraulischen Eigenschaften. Die Ingenieurgeologie dient der Nutzung und auch dem Schutz der oberen Bereiche der Erdkruste. Sie befasst sich mit der Erstellung von Bauwerken – Tunnels, Brücken, Gebäude, Talsperren, Deponien –, mit der Erschliessung von oberflächennahen Rohstoffen – Grundwasser, Geothermie und mineralische Rohstoffe – zesse in geklüfteten Festgesteinen. Löw untersucht mit seiner Gruppe das Verhalten solcher Gesteinsflanken. Seine Gruppe widmet sich auch der Bildung und dem Transport von Grundwasservorkommen in Gebirgen und der Nutzung von tiefer geothermischer Energie, die beide durch das Fliessverhalten und die Struktur von geklüfteten Gesteinen kontrolliert werden. sowie mit dem Schutz vor Naturgefahren wie Felsstürzen, Rutschungen und Murgängen. Die Aktuelle Beispiele von Forschungsprojekten der Gruppe umfassen Setzungen über den tiefliegenden schaftlich gebaut werden können. von Bergstürzen und Steinschlag führen, die Deformationen im Nahbereich geologischer Tiefenlager Ingenieurgeologie trägt dazu bei, dass Bauwerke aller Art sicher, zweckmässig und auch wirt- Simon Löw Basistunnels am Gotthard und Lötschberg, die Untersuchungen von Prozessen, welche zur Auslösung radioaktiver Abfälle, Prozesse und Methoden zur Nutzung tiefliegender geothermischer Energie und die Grundwasserneubildung und -Nutzung in Gebirgen aus ariden und gemässigten Klimaregionen. Obwohl diese Themen ein weites Feld praxisrelevanter Fragen abdecken, lassen sie sich mit einem methodisch klar fokussierten Katalog von Grundlagen untersuchen. Dieser Katalog umfasst wiederum die geomechanischen und geohydraulischen Prozesse geklüfteter Festgesteine und die entsprechenden Untersuchungsmethoden im Feld, Labor und Modell. Die Projekte haben einen klaren Schwerpunkt in der Schweiz (Alpen). Es werden aber auch Projekte im gebirgigen Ausland durchgeführt – im JabalAkhdar-Gebirge in Oman, im Troodos-Gebirge in Zypern, in Iran, Türkei, Griechenland, Mallorca, Norwegen, Kanada und Chile. Durch Rutschung zerstörte Strasse in Edmonton. Plattendruckversuch im Felslabor Mont Terri. Dazu braucht es nicht nur fachübergreifendes Wissen im erdwissenschaftlichen Bereich, sondern auch Kenntnisse aus verschiedenen Ingenieurdisziplinen: Die Fels- und Bodenmechanik gehören ebenso zu den Grundlagen der Ingenieurgeologen wie die Grundwasserhydraulik, Fernerkundung und Geodäsie. Geologische Feldarbeit und spezialisierte in-situ-Messungen stellen bei den meisten Projekten die ersten wichtigen Schritte der Datenerfassung dar, welche anschliessend durch Laborversuche ergänzt und durch prozess- und problemgerechte Modellrechnungen interpretiert werden. Exkursion auf einer Baustelle des Gotthard-Basistunnels. Der Baustellengeologe von Sedrun in Diskussion mit den Ingenieuren. Die Gruppe von Simon Löw verfügt über ein umfassendes Instrumentarium von entsprechenden Feldgeräten und entwickelt zusammen mit Spezialisten eigene höchstpräzise Monitoringsysteme. Die Gruppe hat eigene Teststandorte (Randa, Mels, Furka) und nutzt zusammen mit Partnern das Felslabor Mont Terri in St. Ursanne für grosse Forschungsvorhaben. Simon Löw ist in den oben beschriebenen Bereichen zudem als wissenschaftlicher Berater tätig. Er wirkt seit bald 20 Jahren als Experte für die Basistunnels am Gotthard und Lötschberg. Seit 2008 präsidiert er die ausserparlamentarische Kommission Nukleare Endlagerung KNE, die als unabhängiges ExpertenBohrloch-Logging in Aquifer in Mallorca. Bohrloch-Logging in Felsrutschung in Norwegen. gremium die Aufgabe hat, die Bundesbehörden in geologischen und sicherheitstechnischen Fragen der nuklearen Entsorgung zu beraten. < Installation von Steinschlagnetzen oberhalb der A13. Murgangablagerungen in den Bündner Alpen. > 11 Erdoberflächendynamik Verformung der Lithosphäre, von Erosionsprozessen oder von verschiedenen klimatischen und tektonischen Steuerfaktoren auf die Landschaft im Detail nachzubilden und zu testen. Feldarbeit ist ebenfalls ein wichtiger Bestandteil der ESD-Forschung. Durch das Studium von Geomorphologie und Landschaft werden Fluss-, Wind- und Gletscherprozesse betrachtet und quantifiziert, die die Landschaft formen. Die abgelagerten Sedimente rund um die Berge sagen viel darüber aus, wie sich ein Relief durch Erosion gebildet hat und auch einiges darüber, wie die Becken entstanden sind, in denen die Sedimente liegen. Die Sedimentanalyse verlangt nach einer Reihe von analytischen Verfahren. Vor allem die Altersdatierung von Phasen, in denen sich die Erde abgekühlt hat, ist wichtig, um zu bestimmen, wann und wo die Sedimente während der Erosion entstanden sind. Diese Messungen werden mit verschiedenen geochemischen Methoden vorgenommen. Auf die Sedimentforschung hat sich Wilfried Winkler spezialisiert. Sean Willet Wilfried Winkler Marmorschlucht in Taiwan. stimmen. Mit Tieftemperaturmethoden wie der Spaltspurendatierung wird das Alter der Sedimente eruiert. Neue Methoden der Oberflächendatierung mit Isotopen, welche sich durch kosmische Strah- Sean Willett und die Gruppe Erdoberflächendynamik (Earth Prozessen, der kontinentalen Kollision, der tektonischen Gebirgs- die gemeinsam für die Form, Landschaftsentwicklung und Geo- dem Transport dieser Sedimente. logie der Erdoberfläche verantwortlich sind. Der Schwerpunkt bildung, der Erosion, der Sedimentproduktion ebenso wie mit der Gruppe liegt dabei auf dem Studium oberflächennaher Pro- Die Wissenschafter wenden eine Vielzahl von Techniken an, die Schichten der Erde deformieren oder Erosionsprozesse, durch sche Modellierung, Feldarbeit und geochemische Analysen. Die zesse sowie den Einflüssen von Tektonik und Klima, welche z. B. die die Landschaft geformt werden. Gebirge sind das beste Beispiel für dieses System: Sie entstehen, wo Kontinente kollidieren. Hohe Gebirge sind durch die raue Witterung starker Erosion und Abtragung ausgesetzt. Der Abtragungsschutt wird in den sie umrandenden Becken abgelagert. So entsteht ein Geschichtsar- chiv des Gebirges. Die ESD-Gruppe beschäftigt sich mit all diesen Studenten bei der Feldarbeit in Italien. Mit der geochemischen Analyse der Minerale in Sedimenten lässt sich die Herkunft der Sedimente be- Erdoberflächendynamik Surface Dynamics, ESD) erforschen die verschiedenen Prozesse, Junge Ablagerungen im Gebirge Taiwans. um diese Systeme zu studieren. Dazu gehören u. a. die numeriComputer-Modellierung von tektonischen und geomorphologischen Prozessen spielt eine besonders wichtige Rolle. Durch die Darstellung der tektonischen Prozesse, welche die Topographie schaffen und der Erosionsprozesse, die sie zerstören, können die Forschenden analysieren, wie die Landschaft entstanden ist. Komplexe Computer-Codes ermöglichen es, den Einfluss von der lung gebildet haben, sind ebenfalls nützlich für die Untersuchung von geomorphologischen Oberflächen. Die Gruppe arbeitet auf diesem Gebiet mit den Physikern der ETH Zürich zusammen, um diese Methoden in ihrer Forschung anzuwenden. Die jüngsten Feldprojekte haben sich auf junge Gebirgsgürtel konzentriert. Sean Willett und seine Kollegen haben viel auf der Insel Taiwan gearbeitet, wo eine der schnellsten Gebirgsbildungen der Erde zu beobachten ist. Dieser Ort ist auch deshalb interessant, weil die Prozesse der Erosion und des Sedimenttransports durch die häufigen Taifune, die die Region treffen, besonders aktiv sind. Zudem ist die Gegend seismisch sehr aktiv, was an der hohen Rate starker Erdbeben ersichtlich ist. Andere aktive oder in jüngerer Zeit aktive Gebirge, die die Gruppe erforscht hat, sind diejenigen in Neuseeland, im Himalaja, in Alaska, im Iran, die Pyrenäen, der Apennin und natürlich die Alpen. Zu den spezifischen Problemen der Forschung, in denen die ESD-Gruppe beteiligt ist, gehören seit kurzem auch die Modellierung von Eiskappen und der Gletschererosion im alpinen Massstab sowie die Rekonstruktion der Topographie der Alpen über die letzten 10 Numerisches Modell eines Sedimentbeckens. 12 Millionen Jahre. Eiskappenmodellierung der Alpen. 13 Paläontologie 14 Paläontologie Paläontologie befasst sich mit der Evolution des Lebens auf unserem Planeten und bildet die Die evolutionäre Veränderung von Organismen basiert im Wesentlichen auf Änderungen der Entwick- und Marcelo Sánchez. logischen Entwicklungen, also Struktur- und Formveränderungen bei Wirbeltieren, vor allem bei Säu- Schnittstelle zwischen Erd- und Biowissenschaften. Diesem Gebiet widmen sich Hugo Bucher lungsmechanismen. Das Team von Marcelo Sánchez beschäftigt sich mit den sogenannten morphogetieren, Reptilien und Amphibien. Die Forschenden konzentrieren sich dabei auf das Skelett, weil es für die Anatomie der Landtiere von grundlegender Bedeutung ist – und es ist der Teil, der in Fossilien am häufigsten erhalten ist. Der Knochen ist ein dynamisches und lebendes Gewebe. Es unterstützt Hugo Bucher und schützt die Weichteile und es speichert wichtige Mineralien. Die Struktur des Knochens hängt von der Physiologie ab und verrät viel über die Evolutionsgeschichte. In Sánchez’ Labor wird zum Beispiel Nachbildung der Fauna vom Nordwesten Venezuelas im späten Miozän. Die Auswirkungen der globalen Umweltveränderungen auf die Biosphäre während der erdge- schichtlichen Phasen von Massenaussterben bilden den Kern der Forschung von Hugo Bucher. Mit dem Wissen über den Verlauf solcher Ereignisse und den jeweils nachfolgenden Erholungs- die Entwicklung der Mikrostruktur des Knochens sowie die Zeitspanne der Knochenentwicklung bei verschiedenen ausgestorbenen Gruppen untersucht und mit lebenden Gruppen verglichen. Ziel ist es, paläontologische und embryologische Kenntnisse zu integrieren. phasen lassen sich die Mechanismen der aktuellen, von Menschen verursachten Biodiversitäts- In den Studien werden alle Techniken genutzt, die dazu beitragen, die anatomischen Eigenschaften zu verbunden mit dem Ansteigen des Meeresspiegels, waren wichtige Faktoren in den vergange- wenden Techniken der Immunchemie und der Molekularbiologie an. Das Labor ist ausserdem bestens krise besser verstehen. Klimatische und chemische Veränderungen von Meer und Atmosphäre, nen Biodiversitätskrisen. Vor allem über die grösste biotische Katastrophe der Erdgeschichte, das Massenaussterben am Ende des Perm vor ca. 250 Millionen Jahren, werden sowohl im Feld wie Marcelo Sánchez dokumentieren und zu vergleichen. Die Forschenden sezieren, sie machen Computertomographien, sie ausgerüstet für morphometrische Studien von kleinen Objekten wie fossile Zähne und Embryos. im Labor neue, hoch aufgelöste und zuverlässige Daten aus den Bereichen Paläontologie und Paläoumwelt gesammelt. Damals verschwanden mindestens 90 Prozent aller Organismen von der Erdoberfläche. Katastrophenformen: Basaler mikrobischer Kalkstein aus dem frühen Trias in Südchina. Entnahme von grossen Sedimentstücken mit Fossilien aus Gestein aus dem Pliozän in Venezuela. Basale Ophiceratid aus dem frühen Trias im Nordosten Grönlands. Ammonoideen aus dem frühen Trias in Südchina. Die Feldforschung wird in verschiedenen Teilen der Welt durchgeführt. Dabei arbeiten Bucher und sein Team mit Expertinnen und Experten der Geochronologie und der Geochemie zusam- men. Weiter setzen sie numerische Simulationen ein, um die Auswirkungen der abiotischen Faktoren auf die Biodiversität der Tiere und Pflanzen in Raum und Zeit zu testen. Die Reaktionen von marinen Organismen auf abiotischen Druck wie Klimaveränderungen lassen Basislager im Nordosten Grönlands. Experimente mit lebenden Muscheln und numerischer Modellierung geben Aufschluss über die Feldforschung ist auch ein wesentlicher Teil der Studien. Nur so können ausgestorbene Exemplare aus formationen sucht Bucher an lebenden Formen und setzt dabei die Computertomographie ein. tionsbiologischen Erkenntnissen. sich besonders gut an den zu den Weichtieren gehörenden Muscheln und Ammoniten studieren. Morphogenese, die Entstehung der Gestalt von Organismen. Nach stammesgeschichtlichen In- Probentransport im Nordosten Grönlands. vergangener biologischer Vielfalt entdeckt und beschrieben werden. Dies führt zu wichtigen evolu- 15 Biogeowissenschaft 16 tersbestimmung von Radiokohlenstoff auf molekularer Ebene entwickelt. Er nutzt diese Informationen als «Uhr», um den Zeitraum zu erforschen, in dem sich bestimmte Anteile von Kohlenstoff innerhalb und zwischen verschiedenen Reservoirs auf der Erdoberfläche hin- und herbewegen. Diese Informationen werden verwendet, um den Kohlenstoffkreislauf von heute und vom späten Quartär zu erforschen. Biogeowissenschaft Timothy Eglinton Timothy Eglinton leitet die neu gebildete Gruppe Biogeowissenschaft. Im Zentrum ihrer Forschung steht der globale organische Kohlenstoffkreislauf. Die Gruppe untersucht, wie er funktioniert und wie Klima und anthropogene Aktivitäten ihn beeinflussen – und von ihm beeinflusst werden. Ein Schwerpunkt liegt auf den Prozessen, die zur Akkumulation von organischer Substanz in den marinen Sedimenten führen. Und man versucht, die Aufzeichnungen über die ver- gangenen Veränderungen von Erde und Ökosystem zu entschlüsseln, die in diesen Sedimenten archiviert sind. In den Lebewesen der Erde kommen verschiedene Biomoleküle vor, von denen viele komple- xe und sehr kunstvolle chemische Strukturen haben. Diese Strukturen haben diverse Funktionen – sie codieren und verbreiten genetische Informationen, sie regeln zelluläre Prozesse und sie erhalten die Struktur des Organismus. Die meisten Biomoleküle zerfallen nach dem Tod des Organismus, in dem sie stecken, schnell zu Kohlendioxid. Einige bleiben jedoch in der Umwelt bestehen. Eglinton und seine Kollegen nutzen diese «Erb-Moleküle», um den Weg der organischen Substanzen, welche durch terrestrische und aquatische Organismen entstehen, von ih- rem Ursprung bis ins Sediment zu verfolgen. Dank der letzten Fortschritte in den Techniken, die zur Charakterisierung von molekularen Strukturen und der Zusammensetzung dieser Erbverbin- dungen verwendet werden, lassen sich nicht nur die biologischen Quellen bestimmen. Auch die Umweltbedingungen, unter denen die Vorläuferorganismen gelebt haben, können rekonstruiert werden. Planktonblüte vor der Küste Neufundlands. Schwankungen des Chlorophylls, der Oberflächentemperatur und der Tiefenströmungen im Nordwestatlantik. Die Gruppe untersucht die Prozesse, die zur Mobilisierung, zum Transport und zur Ablagerung von organischer Substanz über verschiedene räumliche und zeitliche Skalen führen. Aktuelle Schwerpunkte sind der Kohlenstoffkreislauf in grossen Flusssystemen, an der Schnittstelle zwischen Land und Meer sowie der Transport und die Ablagerung von organischen Substanzen an Kontinentalrändern. Ein besonderer Fokus wird auf den Kohlenstoffkreislauf in der Arktis gelegt, wo es durch den Klimawandel bereits zu dramatischen Veränderungen gekommen ist. Im Rahmen eines gemeinsamen Forschungsprogramms mehrerer Institute untersucht die Gruppe beispielsweise den Transport und die Ablagerung von Kohlenstoff im Flusssystem des Mackenzie in den Northwest Territories von Kanada. Ebenfalls erforscht wird, wie sich Veränderungen im Arktischen Ozean auf die sogenannte biologische Pumpe auswirken, dem Prozess, mit dem Kohlenstoff von der Oberfläche in die Tiefsee transportiert wird: Durch Strömungen kommt organisch reiches Material aus der Tiefe des Ozeans an die Oberfläche, bindet dort Kohlenstoff und sinkt mit ihm wieder ab. Obwohl man schon viele Informationen aus diesen molekularen Signaturen gewonnen hat, ist dieses reichhaltige Archiv erst teilweise entschlüsselt. Zudem weiss man nur wenig über die Mechanismen und Zeitskalen, die beim Kreislauf organischer Materie in der Umwelt eine Rolle spielen. Darüber mehr zu erfahren, ist das Hauptziel der Forschenden der Gruppe Biogeowissenschaft. Bei ihren Untersuchungen stützen sie sich auf eine Schlüsseleigenschaft der organischen Materie: das Radiokohlenstoffalter. Eglinton hat als Erster Wissenschafter Methoden für die Al- Probenentnahme vom See im Mackenzie-Delta. Der oberste Teil eines Sedimentkerns vom Schwarzen Meer. Die Gruppe Biogeowissenschaft widmet sich zudem Untersuchungen spezifischer Umweltsysteme und macht Erhebungen zu Umweltveränderungen verschiedenster Auswirkung, Stärke oder Intensität sowie Langzeitbeobachtungen wichtiger Prozesse. In diesen Bereichen arbeitet man eng mit anderen Gruppen des Departements und mit anderen Departementen innerhalb der ETH zusammen sowie mit Institutionen, die ergänzendes Fachwissen und zusätzliche Perspektiven einbringen. Eglinton und seine Kollegen arbeiten auf ein vermehrt quantitatives und mechanistisches Verständnis des Kohlenstoffkreislaufs hin. Ziel ist es, sein Verhältnis zu physikalischen, biologischen und umweltbedingten Veränderungen zu definieren und herauszufinden, wie der Kreislauf in der geologischen VerInfrarot-Sattelitenaufnahme vom Mackenzie-Delta gangenheit funktioniert hat. Der Sedimentfänger wird eingeholt. > 17 erd- und planetenmagnetismus Die Gruppe wird mit von der Partie sein, wenn 2011 die SWARM Mission der europäischen Weltraumorganisation ESA startet und drei Satelliten gemeinsam von einer Rakete ins Weltall befördert werden. Die drei identischen Objekte werden das Erdmagnetfeld mit einer noch nie dagewesenen Präzision messen. Sie umkreisen die Erde auf einer polaren Umlaufbahn, zwei nebeneinander in einer Höhe von 450 Kilometer und ein weiterer in 530 Andrew Jackson Kilometer Höhe. Gemeinsam werden sie die Stärke, Orientierung und die zeitliche Veränderung des Erdmagnetfeldes aufzeichnen. Die Hochpräzissionsmessungen sollen auch kleine elektrische Ströme im Erdmantel, welcher den Kern umgibt, entdecken, welche Aufschlüsse über die elektrische Leitfähigkeit des Mantels geben. Diese elektrischen Ströme werden durch schnelle Änderungen im äusseren Magnetfeld verursacht, welches vom Sonnenwind aufgebaut wird. Mögliche Schwankungen in der Leitfähigkeit, welche man ebenfalls zu entdecken hofft, könnten Fragen über die Temperatur sowie Wasservorkommen im Der Magnetkompass bestimmt anhand des Erdmagnetfelds die Himmelsrichtungen. Erdmantel beantworten. Gesteinsbohrungen im Feld. Erd- und Planetenmagnetismus (EPM) Die Erde ist von einem internen Magnetfeld umgeben, das uns vor kosmischer Strahlung schützt. Es entsteht im Innern der Erde: Über dem soliden inneren Kern aus Eisen liegt der äussere Kern aus geschmolzenem Eisen und leichteren Elementen wie z. B. Sauerstoff, Silikon und Schwefel. Die Temperaturunterschiede im äusseren Kern bewirken, dass die Flüssigkeit in steter Bewegung Neben dem Magnetfeld der Erde und der Planeten erforscht die EPM-Gruppe auch die magnetischen Eigenschaften von na- man auch besser zu verstehen, weshalb sich das Magnetfeld türlichen Materialien. So misst von Zeit zu Zeit umkehrt – das letzte Mal vor 750 000 Jahren. Die sie z. B. den Magnetismus von Simulationen könnten auch für die Astronomie nützlich sein und Mineralien, und aus Bohrkernen Erkenntnisse über die magnetische Aktivität der anderen Plane- gewonnene Seesedimente die- ten in unserem Sonnensystem liefern. ist und Konvektionsströme entstehen. Diese sind die Ursache für nen dazu, Erkenntnisse über die Darstellung des Erdmagnetfeld-Flusses an der Oberfläche des Erdkerns im Jahr 1980. elektrische Ströme, welche wiederum die Entstehung von Mag- Umwelt zu gewinnen. Auch netfeldern bewirken. Die Entstehung des Magnetfeldes durch menschliches Hirngewebe ist Konvektionsströmungen wird als Dynamoeffekt bezeichnet. An- Gegenstand der Magnetismus- drew Jackson arbeitet mit seiner EPM-Gruppe daran, diese un- forschung: Die magnetische Be- sichtbaren Vorgänge durch Modelle sichtbar zu machen und so schaffenheit soll Hinweise auf die Mechanismen zu verstehen, die zu den Konvektionsströmun- bestimmte Erkrankungen wie gen und dem Dynamoeffekt führen. z. B. Alzheimer geben können. Anhand von Messungen des Magnetfeldes an der Oberfläche Ausserdem entwickelt die Grup- und im Orbit mit Hilfe von Satelliten lässt sich herleiten, wie das pe von Andrew Jackson neue, Magnetfeld an der Oberfläche des flüssigen äusseren Kerns auf Magnetismus basierende aussieht. Um die physikalischen Gesetze zu simulieren, welche Techniken, um die Verformung den Konvektionsströmen zugrunde liegen, müssen aufwendige Berechnungen durchgeführt werden. Um diese zu ermöglichen, nutzt die Forschungsgruppe das Schweizerische Hochleistungs- von Gestein zu studieren. Die meisten Experimente werden im Der geomagnetische Sturm vom 5./6. November 2001, dargestellt mit einem dreidimensionalen Modell, das auch die Flussdichte im Meer berücksichtigt. Labor für natürlichen Magnetis- rechenzentrum (CSCS) in Manno im Tessin. Die Ergebnisse sollen mus durchgeführt, einem fast helfen, dem Ursprung des Erdmagnetfeldes näher zu kommen, das seit Milliarden von Jahren existiert. Möglicherweise lernt 18 magnetische Beschaffenheit der komplett magnetfeldfrei erbauMagnetfeldfreies Labor. ten Haus ausserhalb der Stadt. 19 Angewandte und Umweltgeophysik 20 Angewandte und Umweltgeophysik Die Angewandte und Umweltgeophysik widmet sich der Entwicklung und Anwendung von geo- Die Anwendungen der geophysikalischen Messmethoden sind vielfältig. Hier ist eine kleine Auswahl resses stehen die ersten 100 bis 200 Meter des Erdbodens, diejenige Schicht also, die für die Zeit wesentliche Beiträge geleistet hat. physikalischen Techniken, um den untiefen Untergrund zu erkunden. Im Mittelpunkt des InteMenschen am wichtigsten ist. Die Forschenden der ETH Zürich, die Gruppe von Alan Green und Hansruedi Maurer, nutzen bei ihrer Arbeit eine Vielzahl von Methoden, um den Untergrund zu durchleuchten: Seismik, Georadar, elektrische Widerstandsmessungen, magnetische und elektromagnetische Messungen und nukleare Magnetresonanz (NMR). Diese Methoden werden entweder von der Oberfläche aus und/oder in Bohrlöchern angewandt. von Themenkreisen, bei denen die Angewandte und Umweltgeophysik-Gruppe der ETH Zürich in letzter Radioaktive Endlager – In Zusammenarbeit mit Fluss-Revitalisierung – In Zusammenarbeit mit NDA werden Möglichkeiten zur Überwachung EPFL Lausanne wurde an der Thur in den Kantonen der schweizerischen NAGRA und der britischen von radioaktiven Endlagern untersucht. Es wird geprüft, ob mit Hilfe von seismischer WellenformTomographie kleine Änderungen im Endlager detektiert werden können. Die seismischen Quellen und Empfänger befinden sich in Bohrlöchern, die in einer sicheren Distanz vom eigentlichen Endlager abgeteuft würden. Testmessungen werden zurzeit in den Felslabors Mont Terri und Grimsel durchgeführt. Durch die kombinierte Analyse verschiedener geophysikalischer Daten können diese Kenndaten bestimmt werden. Hinsicht mechanistisch zu verstehen, um die Auswirkungen von Revitalisierungsmassnahmen vorhersagen zu können. Die geophysikalischen Messungen geben unter anderem Aufschluss über die hydraulischen Leitfähigkeiten. Hansruedi Maurer nieurgeologie der ETH Zürich wurde in Randa im gehend untersucht. Ziel der Untersuchungen war ein besseres Verständnis der Prozesse, die zu Bergstürzen führen können. Mit Hilfe von seismischen Messungen und Georadar sowie mit Mikroerdbebenuntersuchungen konnten wertvolle Erkenntnisse gewonnen werden. Permafrost – Bedingt durch die globale Klimaer- Das Prinzip all dieser geophysikalischen Messmethoden lässt sich sehr gut mit modernen wärmung schmilzt der Permafrost in den alpinen medizinischen Techniken vergleichen – es wird versucht, das Innenleben des Patienten Erde Regionen. Dies kann fatale Auswirkungen auf die mit nichtinvasiven Verfahren zu charakterisieren, da ein direkter Zugang zum interessierenden Hangstabilitäten haben. In Zusammenarbeit mit Untergrundbereich oftmals nicht möglich, zu teuer oder nicht sinnvoll ist. den Instituten für Geotechnik und Glaziologie der ETH Zürich wurde auf zwei Blockgletschern (ty- Ein wichtiges Merkmal der Angewandten und Umweltgeophysik-Gruppe ist nicht nur die pische alpine Permafrost-Strukturen) im Engadin Methoden-Vielfalt, sondern es wird auch ein breites Forschungsspektrum abgedeckt, das von eine Vielzahl von Untersuchungen durchgeführt. theo-retischen Arbeiten, z. B. Entwicklung von neuen Modellierungs- und Inversions-Algo- Mit Hilfe von Seismik, Georadar und elektrischen rithmen, über technische Entwicklungen bis zu Anwendungen in multidisziplinären Projekten Widerstandsmessungen konnte die Internstruk- reicht. Die daraus resultierenden Interaktionen zwischen Theoretikern und Praktikern bilden ein tur der Blockgletscher bestimmt werden. Von be- gegenseitig stimulierendes Umfeld. sonderem Interesse war der verbliebene Eisgehalt in den Blockgletschern. Eine weitere Spezialität der AUG-Gruppe ist die Bestimmung der dreidimensionalen Charakte- Änderungen mit der Tiefe oder entlang von zweidimensionalen Schnitten durch den Untergrund wasserleiter in hydrologischer und ökologischer Kanton Wallis das Bergsturzgebiet von 1991 ein- horizontaler Ausdehnung, Tiefe und ihres Inhalts. ristik des Untergrunds – in vielen geophysikalische Untersuchungen werden zurzeit lediglich weise des Systems Fluss – Flusskorridor – Grund- deponien. Einige davon stellen eine Bedrohung für ren ungenügende Informationen bezüglich ihrer Bohrungen auf dem Muragl-Blockgletscher, Engadin. lanciert. Ziel des Vorhabens ist es, die Funktions- Bergstürze – Zusammen mit der Gruppe für Inge- die Umwelt dar, und über viele Deponien existie- Alan Green Thurgau und Zürich ein multidisziplinäres Projekt Industrie- und Hausmülldeponien – In der Schweiz existieren über 50‘000 Industrie- und Hausmüll- Georadaruntersuchungen auf dem Bergsturzgebiet bei Randa. dem Wasserforschungsinstitut EAWAG und der Seismische Untersuchungen im Felslabor Grimsel. (Bild: Dieter Enz / NAGRA) abgebildet. Dies erfordert die Entwicklung neuartiger Messgeräte, innovative Akquisitions- Abbildung aktiver Erdbeben-Bruchsysteme – Für die Abschätzung der seismischen Gefährdung ist eine genaue Kenntnis der aktiven Bruchsysteme Strategien und die Programmierung leistungsfähiger Auswertungsalgorithmen. nötig. Diese können mit geophysikalischen Methoden bestimmt werden. Mit Hilfe von Seismik- und Georadar-Messungen entlang aktiver Bruchsyste- < Seismische Messungen auf einem aktiven Erdbeben-Bruchsystem in Neuseeland. < Geoelektrische Tomographie über einer Mülldeponie bei Stetten, Kanton Aargau. Die blauen Punkte bezeichnen die Messpunkte, der grüne Körper ist eine Kieslinse und der blaue Körper ist die Mülldeponie. me in Neuseeland konnten derartige Strukturen mit hoher Genauigkeit abgebildet werden. Geophysikalische Untersuchungen an der Thur. > 21 Geophysikalische Fluiddynamik 22 Geophysikalische Fluiddynamik Die Dynamik von langfristigen geologischen und planetaren Prozessen ist in den meisten Fällen Ein anderes Team widmet sich der Dynamik des Erdmantels. Die Bewegung im Erdmantel wird durch erforschen die GeophysikerInnen der Fluiddynamik die verschiedenen Arten von Strömungs- schenden entwickeln numerische Experimente, um den Einfluss verschiedener Parameter auf das Muster zu langsam und zu tief unter der Oberfläche, um diese direkt beobachten zu können. Deswegen und Deformationsprozessen in der Erde und erdähnlichen Planeten mit Hilfe von numerischen Modellen. Diese Arbeit umfasst die Berechnung von zwei- und dreidimensionalen Simulationen sowie die Analyse der Resultate mit Hilfe von Messdaten, die bei der Feldarbeit oder im Labor gewonnen werden. Nicht nur die Deformation der Erde wird untersucht. Auch die geochemische und mineralogische Entwicklung des Planeten Erde kann über einen Zeitraum von Milliarden grosse, Wärme transportierende Strömungen, die sogenannten Konvektionszellen, bestimmt. Die Forder Konvektion zu untersuchen. Aktuelle Forschungsschwerpunkte sind der Einfluss der Kontinente auf das Fliessverhalten des Mantels, die Rolle der mineralogischen Phasenübergänge sowie der Einfluss von Temperatur und chemischer Gesteinszusammensetzung. Dabei werden auch geophysikalische Beobach- Paul Tackley tungen wie seismische Daten oder Schweremessungen in die geodynamischen Modelle mit einbezogen. von Jahren modelliert werden. Die Gruppe von Paul Tackley hat sich auf die Entwicklung von numerischen Modellen spezialisiert. Zu diesem Zweck ist sie Teilhaber am High Performance Cluster Brutus der ETH, einem aus Tausenden von Prozessoren bestehenden, leistungsfähigen Rechnernetzwerk. Der Zugang zu einem solchen Cluster ist Voraussetzung, um hochaufgelöste, dreidimensionale numerische Simulationen durchführen zu können. Taras Gerya Computersimulation von verschiedenen geodynamischen Prozessen. A) Subduktion, B) Gebirgsfaltung, C) Salztektonik, D) Konvektion Kalte Gasfahnen – sogenannte Plumes – oberhalb einer subduzierenden Platte. Die Vorgänge, die von einem Nebel kleinster Partikel zu den Planeten in unserem heutigen Sonnensystem geführt haben, können noch immer nicht gänzlich erklärt werden. Die meisten Spuren der Entstehung sind heute verwischt, deshalb muss man sich auf numerische Simulationen und Laborexperimente stützen. Ein weiteres Team widmet sich dieser Arbeit. Sie ist besonders spannend und herausfordernd, weil sich viele Prozesse bei der Entstehung der Planeten überlappen können. Zum Glück liefern die erdNumerische Simulation von Magmabewegung in partiell geschmolzenem Gestein. Die Gruppe arbeitet in verschiedenen Teams. Eines widmet sich vor allem der Dynamik der Erdkruste und des obersten Erdmantels. Diese Forscher untersuchen die Prozesse in dieser auch Lithosphäre genannten Erdregion. Sie entwickeln realistische zwei- und dreidimensionale Modelle der Gesteinsdeformation sowie der Temperaturentwicklung. Die Deformation, der Wärmetransport und die mineralogischen Phasenübergänge geben Auskunft darüber, wie die sogenannte ähnlichen Planeten Merkur, Venus und Mars sowie verschiedene Asteroiden wertvolle Daten, mit denen sich Rückschlüsse auf diese Prozesse ziehen lassen. Mit Modellen vom Inneren der Planeten lässt sich die frühe Entwicklung des Sonnensystems nachvollziehen. Simuliert werden vor allem die Entstehung des eisernen Planetenkerns sowie des Magma-Ozeans, der wahrscheinlich einmal die junge Erde bedeckt hatte. Für diese Untersuchungen arbeitet man mit Forschenden aus der Astronomie und Geochemie zusammen, die die Erkenntnisse der Geophysiker mit ihren Messungen wertvoll ergänzen können. Subduktion, das Absinken einer tektonischen Platte unter eine andere, die Gebirgsbildung beim Wie auf der Erde findet oder fand auf den Wie sind die Alpen oder der Himalaja entstanden? Wie entwickelt sich ein vulkanischer Insel- thermische Umwälzung, eine sogenannte Aufeinanderprallen von Kontinenten sowie die mittelozeanischen Spreizungszonen verlaufen. bogen? Was geschieht an einem mittelozeanischen Rücken? Solche Fragen beantworten die numerischen Modellierer mit Hilfe von realistischen Simulationen, die sich mit geologischen, geochemischen und geophysikalischen Messdaten verifizieren lassen. Planeten Venus und Mars auch eine innere Mantelkonvektion statt. Diese Vorgänge in erdähnlichen Planeten werden ebenfalls modelliert. Dabei wendet man ähnliche Techniken an wie zur Erforschung des Erdmantels. Unterschiedliche Konvektionsmuster erzeugen unterschiedliche Eigenheiten in der Tektonik, Topographie und dem Schwerefeld der Himmelskörper. Die Berechnungen dazu können mit direkNumerische Modellierung der Kollision zweier tektonischer Platten. < Numerische Simultationen des festen Inneren von Merkur, Venus, Erde und Mars (von oben) über Milliarden von Jahren. ten Messungen vergangener und aktueller Weltraummissionen verglichen und so verifiziert werden. Computersimulation der Entstehung des Erdkerns durch absinkende Eisendiapire. 23 Seismologie und Geodynamik 24 Die Gruppe SEG verbindet Messungen in Feldexperimenten mit methodisch-theoretischen Arbeiten. Einer der Schwerpunkte der Forschung stellt die Untersuchung von sogenannten Orogenen, den Knautschzonen zwischen zwei tektonischen Platten, und Subduktionszonen dar. Die dreidimensionale Tiefenstruktur des weiteren Alpenraumes ist vor allem dank der jahrzehntelangen Forschung des Instituts für Geophysik an der ETH Zürich weltweit die mit Abstand am besten bekannte «Wurzelzone» eines Gebirges. Sie erlaubt neben Einblicken in das unterschiedliche rheologische Verhalten von Oberkruste, Unterkruste und Mantellithosphäre auch das Studium der treibenden Kräfte bei der noch heute Seismologie und Geodynamik Die Seismologie befasst sich mit dem Aufbau, der Struktur und dem Zustand des Erdinnern sowie der Entstehung von Erdbeben und den Prozessen der Wellenausbreitung in der Erde. Die Lithosphäre, die feste Gesteinshülle, und deren oberste Schicht, die Erdkruste, auf welcher wir leben, bilden die nur 100 Kilometer dicke Haut unseres Planeten. Darunter besteht er aus zähflüs- sigem Material. Die Erde ist also eigentlich ein im Inneren heisser, rotierender Tropfen, der von anhaltenden Hebung der Alpen. Diese Forschung wird in enger Zusammenarbeit mit den Gruppen Geophysikalische Fluiddynamik sowie Strukturgeologie und Tektonik durchgeführt. Domenico Giardini Die Kombination von Primär- und Sekundär-Wellentomographie ist die beste Methode zur Erfassung und Abbildung der dreidimensionalen Strukturen von Subduktionszonen. Die Gruppe verbindet diese Methode mit fluiddynamischen und petrophysikalischen Modellierungen. Damit kann man zum Beispiel die Entstehung und Migration von Magmen und Fluiden studieren, welche für die Evolution der kontinentalen Kruste von grosser Bedeutung sind. seiner eigenen Gravitationskraft zusammengehalten wird und von einer dünnen Gesteinskruste umgeben ist. Die Strömungen im Erdinnern bewirken eine ständige Umformung und Bewegungen der in verschiedene Platten zerbrochenen Lithosphäre. Sie sind die Ursache für Erdbeben, Vulkane und Gebirgsbildung. All diese Prozesse an und in der Lithosphäre und im Erdinnern werden mit den Begriffen Geodynamik und Plattentektonik umschrieben. Eduard Kissling Profil der Lithosphäre auf der Achse Basel – Chiasso. Die Forschungsgruppe Seismologie und Geodynamik SEG von Domenico Giardini und Eduard Kissling benützt seismische Wellen aller Arten und Wellenlängen, um mit Hilfe der seismischen Tomographie die dreidimensionale Struktur des Erdinnern abzubilden. Diese noch junge Untersuchungsmethode ist bereits heute die mit Abstand wichtigste geophysikalische Methode zur Erfassung und Abbildung von Strukturen im Erdinnern. Ein wichtiger Schwerpunkt der Forschung der Gruppe bildet die Verbesserung und Erweiterung der Methode. Vor kurzem ist es gelungen, die Refraktions- und Reflexionsseismik mit der teleseismischen Tomographie zu kombinieren. Die Auflösungsgenauigkeit der Tomographie konnte dadurch signifikant gesteigert werden. So Die Geometrie des Lithosphären-Asthenosphären-Systems unter den Alpen. gelang es, die Topographie der Grenze zwischen Lithosphäre und der darunter liegenden zäh- Ein weiterer Forschungsschwerpunkt ist die Untersuchung und Modellierung der Erdbeben-Herd- Die Weiterentwicklung der Oberflächenwellen-Tomographie und deren Verbindung mit der Methoden werden Modellrechnungen mit gemessenen regionalen Krustendeformationen verglichen. flüssigen Asthenosphäre unter den Alpen abzubilden. Raumwellentomographie bilden einen weiteren Schwerpunkt. Damit wird die Geometrie der sogenannten sekundären oder S-Wellen untersucht, die bei Erdbeben auftreten. Sie sind von entscheidender Bedeutung für ein besseres Verständnis der Fliesseigenschaften, der sogenann- Peter Zweifel dynamik und von Wellenformen in komplexen Medien. Mit Hilfe von geodätischen und seismischen So lassen sich alle Deformationen in der Lithosphäre studieren, welche durch die plattentektonischen Spannungen ausgelöst werden und diese abbauen. ten Rheologie der Lithosphäre und des Erdmantels. Die Entwicklung von besseren und breitbandigen Seismometern bildet eine wesentliche Voraussetzung für die Erfolge der modernen Seismologie. Um den inneren Aufbau von Planeten und deren Monden zu erkunden, sind Seismometer unverzichtbare Instrumente. Allerdings stellt der Einsatz im Weltall extreme Anforderungen an die Geräte, sie müssen eine be- sonders robuste Mechanik haben und in grossen Temperaturbereichen einsetzbar sein. In internationaler Zusammenarbeit entwickelt ein Team der SEG die Elektronik solcher leichten und robusten Seismometer für den Einsatz in planetarischen Mis- sionen der ESA, der NASA und der Japan Aerospace Exploration Agency, der JAXA. Simuliertes Erdbeben bei Kreta: Die Ausbreitung der Erdbebenwellen über den Globus. 25 Schweizerischer Erdbebendienst In der Schweiz werden pro Jahr ca. 500 bis 800 Erdbeben registriert. Davon sind aber nur sehr wenige stark genug, um von Menschen verspürt zu werden oder gar Schäden anzurichten. Der SED zeichnet all diese Beben mit einem Netz von hochempfindlichen Messstationen auf, dem Swiss Digital Seismic Network SDSNet. Es umfasst heute 36 Stationen, sie liefern Daten in Echtzeit an die Computer des SED in Zürich. Die Gruppe Nationale Netzwerke und Alarmie- rung um John Clinton ist verantwortlich für die Auswertung der Daten. Das System, das stän- dig weiterentwickelt wird, ist mittlerweile in Domenico Giardini der Lage, Erdbeben innerhalb 30 Sekunden zu erkennen und zu lokalisieren. Je nach Stärke des Bebens werden dann sofort automatisch AlarmMeldungen an den 24-Stunden-Pikettdienst des SED und an die betroffenen Kantonspolizeistellen Erdbebengefährdungskarte der Schweiz. geschickt sowie Medienmitteilungen verbreitet. Der Pikettdienst des SED steht Behörden, Medien, und der Bevölkerung jederzeit für Informationen zu den Erdbeben zur Verfügung. John Clinton Neben dem SDSNet unterhält der SED auch ein landesweites Netz von Starkbeben-MessstaErdbeben in der Schweiz 1974 – 2008. Fachstelle des Bundes für Erdbeben. In dessen Auftrag überwacht er die seismische Aktivität in der Schweiz und im grenznahen Ausland und beurteilt die Erdbebengefährdung in der Schweiz. Schon 1878 wurde in der Schweiz die Erdbebenkommission gegründet, noch bevor in Ländern wie Japan oder Italien Institutionen dieser Art eingerichtet wurden. Im Degenried beim Dolder oberhalb von Zürich wurde 1911 die Erdbebenwarte in Betrieb genommen. 1957 wurde der Erdbebendienst dem Institut für Geophysik an der ETH angegliedert, seit Anfang 2009 ist der SED Network SSMNet. Die Seismometer an den momentan 93 Stationen können auch bei starken Schweizerischer Erdbebendienst Der Schweizerische Erdbebendienst an der ETH Zürich SED ist die tionen, das sogenannte Swiss Strong Motion Erdbeben die Signale ohne zu übersteuern auf- zeichnen. Das Netz wird ausgebaut, im Jahr 2016 sollen 100 Stationen Daten in Echtzeit liefern. eine eigenständige Einheit, aber weiterhin mit dem Departement Erdwissenschaften und dem Institut für Geophysik verbunden. < Szenario-Erschütterungskarte für ein Beben in Basel wie 1356 (M 6.9). Unter der Leitung von Domenico Giardini, Professor für Seismo- Die gewonnenen Daten dienen hauptsächlich zur Untersuchung des seismischen Verhaltens des Unter- Erdbebenüberwachung und -gefährdung. nahen Schichten des Erdbodens auf Erschütterung reagieren. Die Erkenntnisse bilden die Grundlage logie, arbeiten derzeit ca. 60 Personen auf dem weiten Feld der Der SED gliedert sich in die zwei Bereiche «Erdbebenüberwachung» und «Hazard Center», in denen die verschiedenen Arbeitsgruppen zusammengefasst sind. Daneben betreibt der SED ein aktives Programm zur Medien- und Öffentlichkeitsarbeit. Die Arbeit wird durch ein Elektroniklabor und eine IT-Support-Gruppe unterstützt. Donat Faeh grunds bei Erdbeben. Die Gruppe Ingenieurseismologie von Donat Fäh untersucht, wie die oberflächenfür sogenannte Mikrozonierungen, die in die Erdbeben-relevanten Baunormen einfliessen. Daneben erforscht die Gruppe historische Erdbeben in der Schweiz, um daraus das Potential für zukünftige Schadensbeben abzuleiten und die Erdbebengefährdungskarte der Schweiz zu erstellen. Ausserdem werden die makroseismischen Daten heutiger Beben, also die Art, wie ein Beben verspürt wurde und welche Schäden es verursacht hat, von der Gruppe erfasst. Diese Daten dienen der Optimierung von Bodenerschütterungskarten, den ShakeMaps. ShakeMaps werden sehr schnell nach einem Erdbeben von Georgia Cua hergestellt. Dazu verwendet sie sowohl die schnelle automatische Lokalisierung des Bebens als Georgia Cua auch die an den Stationen gemessenen maximalen Bodenbewegungen. Ausserdem widmet sie sich mit ihrer Gruppe Echtzeitseismologie der Erdbebenfrühwarnung. In enger Zusammenarbeit mit Part- nern in den USA entwickelt sie ein Alarmsystem, das eine Vorwarnzeit von zumindest einigen Sekunden bis einigen dutzend Sekunden vor starken Erschütterungen erlaubt. Damit können zum Beispiel Züge rechtzeitig angehalten oder Kraftwerke abgeschaltet werden. Inwieweit sich aus der statistischen Verteilung von Erdbeben in Raum und Zeit Vorhersagen über zukünftige Ereignisse ableiten lassen, erforscht Stefan Wiemer mit seiner Gruppe Statistische Seismologie. Er betreibt eines der globalen Testzentren, an denen verschiedene Modelle der Erdbebenvorhersage unter kontrollierten Bedingungen überprüft werden. Ausserdem ermitteln die Erdbebenstatistiker mittels Erdbebenkatalogen die Parameter für die verschiedenen Aspekte seismischer Aktivität – Magnituden-Häufigkeit, Nachbebenraten etc. Damit werden z. B. Erdbeben-Wetter-Karten erstellt, welche Das hochempfindliche seismologische Messnetz in der Schweiz. 26 Bestimmung der Resonanzfrequenz des Rhonetals aus der natürlichen Bodenunruhe. kurzfristige Prognosen über die Wahrscheinlichkeit von Beben liefern. Erdbebenwarte Degenried. > 27 Die Bestimmung von Ort, Zeit, Magnitude und Bruchmechanismus der Beben in der Schweiz und der Zusammenhang der Beben mit dem Spannungsfeld der Erdkruste ist das Forschungsgebiet der Gruppe Erdbebenherd um Nicolas Deichmann. Die Genauigkeit dieser Parameter ist entscheidend für die statistische Auswertung der Erdbebenkataloge. Die Mechanismen der Beben und deren räumliche Verteilung werden benutzt, um die vorherrschenden Spannungsrichtungen im Erdinneren zu bestimmen und Signal des N-Koreanischen Atomtests (ca M 4.5), 2009/05/25, aufgezeichnet an der SED Station DAVOX, Signallänge 60 Sekunden. die geologischen Störungen zu identifizieren, auf denen Erdbeben auftreten. Mit denselben Methoden untersucht man die vom Menschen verursachte Seismizität, wie die Beben, die durch das GeothermieProjekt in Basel ausgelöst wurden. Beben bei Vallorcine (Frankreich), M 4.8, aufgezeichnet an der SED Station ZUR, Signallänge 60 Sekunden. Stefan Wiemer Luis Dalguer Ein weiterer Auftrag des SED ist die wissen- schaftliche Mitarbeit am AtomteststoppVertrag. 1996 verabschiedete die UN-Vollversammlung einen Atomteststoppvertrag, der aber erst in Kraft tritt, wenn alle 44 damaligen Staaten mit nuklearer Kapazität ihn ratifiziert haben und das eigens dafür errichtete Inter- nationale Überwachungssystem in der Lage Nicolas Deichmann ist, die Einhaltung des Verbots zu überprüfen. Die Gruppe Verifikations-Seismologie von Urs Seismotektonische Karte des Rhonetals. Kradolfer liefert den Behörden als Nationales Nicht nur in Basel, auch an vielen anderen Orten der Schweiz will man die Geothermie zur Energiege- Datenzentrum der Schweiz Analysen und Be- winnung nutzen, und zwar mit sogenannten passiven Anlagen, wo man heisses Tiefenwasser zur Wärmegewinnung entnimmt. Zwar ist die Wahrscheinlichkeit von Erdbeben für solche Anlagen viel kleiner als im sogenannten Enhanced-Geothermal-System-Projekt von Basel, wo trockenes Gestein in der Tiefe zuerst durch Einpressen von Wasser zerklüftet wird, um es dann zur Energiegewinnung zu nutzen. Trotzdem ist die seismische Überwachung aller Anlagen empfehlenswert. Stephan Husens Gruppe Spezielle Seismische Netzwerke entwickelt und betreibt im Auftrag der BeStephan Husen richte vom Internationalen ÜberwachungsErschütterungs-Simulation für ein Magnitude -7.8 - Erdbeben in Südkalifornien. system. Zudem vertritt sie die Schweiz in den wissenschaftlichen Gremien, die sich der Entwicklung des Überwachungssystems widmen. Naturgefahren wie Fluten, Stürme und eher selten Erdbeben sind einer der grossen Risikofaktoren für Menschen und Infrastruktur in der Schweiz. Zur Koordination und Optimierung der Vorsorge arbei- treiber von Geothermieanlagen solche Überwachungsnetze. Ausserdem überwacht sie potentielle End- ten die Ämter in der Schweiz in verschiedenen Gremien zusammen. Florian Haslinger vertritt in diesen Aktivität beim Bau des Gotthard-Basistunnels. keitsarbeit dafür, dass die Informationen über Erdbeben und den SED in guter Qualität an die Öffent- lager für radioaktive Abfälle und heutige geplante Standorte der Kernkraftwerke sowie die seismische Urs Kradolfer Gruppen den Erdbebendienst. Daneben sorgt er mit seinem Team im Bereich Bildung und Öffentlich- Florian Haslinger lichkeit gelangt. Beben in L’Aquila (Italien), M 6.3, aufgezeichnet an der SED Station ZUR, Signallänge 8 Minuten. Beben in Sumatra, M 7.9, 2009/09/30, aufgezeichnet an der SED Station ZUR (Zürich), Signallänge 50 Minuten. Der SED arbeitet also an der Schnittstelle von Forschung und Anwendung und in den meisten Projekten gruppenübergreifend. Eine enge Verbindung besteht auch zu den Forschern der Gruppe Seismologie und Geodynamik. Und: Der SED ist international eingebunden. Domenico Giardini und seine KollegInAufbau eines Seismometers im Gotthard-Basistunnel. Auch Staumauern wie Grande Dixence und andere kritische Infrastrukturen im Energiesektor werden vom SED überwacht. Wie breitet sich ein Bruch im Erdinneren tatsächlich aus? Und wie verhalten sich die seismischen Wellen im Nahbereich der Bruchfläche? Zur Untersuchung dieser Fragen erstellen Seismologen hochaufgelöste dreidimensionale Modelle des Untergrunds und rechnen auf Hochleistungs-Computern die verschiedensten Szenarien durch. Dies ist die Arbeit von Luis Dalguer und seiner Gruppe Computergestützte nen sind in verschiedenen Grossprojekten als Leiter oder in führenden Rollen tätig, so bei der schweizerischen Beurteilung der seismischen Gefährdung von Kernanlagen (PEGASOS/PEGASOS Refinement), beim europäischen Network of Research Infrastructures for European Seismology NERIES, im Projekt GEISER, der Erarbeitung international anwendbarer Richtlinien zur Beurteilung des Erdbebenrisikos bei der Nutzung von tiefer Geothermie, oder auch im Global Earthquake Model GEM, das von der OECD finanziert wird. Seismologie. Die Modelle dienen zur Überprüfung verschiedener Theorien über Bruchbildungen. 28 < Installation Bohrlochseismometer. Materialtransport bei Randa. > 29 Petrologie Meeresgeologie und Geochemie Petrologie Alan Thompson Petrologie, wörtlich die Lehre von den Steinen, widmet sich der Akkumulation von Erdöl verantwortlich. In der Erdkruste und im Sie gliedert sich in zwei Bereiche: Die Petrographie beschreibt die die dann als Magmenkörper genügend Auftrieb haben, um auf- Meeresgeologie und Geochemie teile der Steine. Die Petrologie im engeren Sinne rekonstruiert die dichter metallischer Schmelze aus dem weniger dichten, darüber Die längste Bergkette der Welt liegt unter Wasser in den Tiefen des Ozeans. Sie beherbergt Entstehung, den Eigenschaften und der Nutzung der Gesteine. Erdmantel werden durch Kompaktion Teilschmelzen gesammelt, Struktur und Textur, d. h. die räumliche Anordnung der Bestand- zusteigen. Der Erdkern selber wurde durch die Ausscheidung von Bedingungen, die zur Bildung der Gesteine geführt haben. Die liegenden Silikatmantel gebildet. Unterwasservulkane, spektakuläre heisse Geysire und ein reiches Ökosystem, das von der chemischen Energie aus der Tiefe gespeist wird. Die fortlaufende Entdeckung von verschiedenen Forschenden nutzen dafür die Erkenntnisse aus der Petrographie, hydrothermischen Schloten auf dem Meeresboden und die Bestätigung, dass das ozeanische Strukturgeologie und Geochemie. Die Petrologie ist also ein inter- Gebirge eine immense mikrobielle Biosphäre birgt, hat die Theorien über die Entwicklung der disziplinäres Arbeitsfeld. Die Gruppe für Petrologie wird von Alan Planeten und des Lebens grundsätzlich verändert. Thompson geleitet. Die Untersuchungsmethoden der Petrologen sind breit gefächert. Mit der Geothermobarometrie werden aus James Connolly der Mineralzusammensetzung heraus Bildungsdruck und -tem- Die Gruppe von Gretchen Bernasconi-Green engagiert sich in der internationalen, interdiszip- berechnet. Zusammen mit der Simulationen geologischer und hydrothermischen Systeme auf dem Meeresboden und die Bedingungen, unter denen sie ent- linären Erforschung der ozeanischen Lithosphäre am Meeresgrund und an Land. Ziel ist es, die peratur sowie die Abkühlungsgeschwindigkeit von Gesteinen stehen und sie sich entwickeln, besser zu verstehen. Dank internationaler Zusammenarbeit hat mineralogischer Prozesse in Laborexperimenten wird dann die die Gruppe an zahlreichen ozeanographischen Expeditionen teilgenommen. Im Zentrum der Temperatur und Tiefe bei der Gesteinsentstehung und die He- Forschung stehen die Interaktion zwischen Fluiden und der ozeanischen Lithosphäre, die geolo- bungsgeschichte einer Gesteinseinheit bestimmt. Ziel ist es, die gischen, geochemischen und biologischen Folgen der Umwandlung von Mantelgestein im Meer Prozesse, welche komplexe Gebirge wie die Alpen und den Himalaja über viele Millionen Jahre gebildet haben, zu rekonstruieren. Durch Schmelzexperiment entstehende Risse im Quarzstein. sowie Massen- und Energieflüsse hydrothermaler Systeme. Alan Thompson untersucht auch die Wechselwirkungen zwi- Mit mathematischen und Computermodellen erforscht James Auf den Expeditionen werden hochauflösende bathymetrische Karten des Meeresbodens er- onsprozesse. Dies erlaubt, die Flüssigkeitsströmungen etwa an Forschung im Labor besteht vor allem aus petrologischen und geochemischen Untersuchungen und -geschwindigkeiten der Fluide und Magmen in Subduktions- mente und der Fluide. schen dem flüssigen und festen Gestein im Erdmantel und wie die Geochemie durch den Transport der Gesteine verändert wird. Weitere Forschungsgebiete sind die Evolution und Deformation der Erdkruste und des Mantels, die Interpretation tektonischer Prozesse sowie das Zusammenspiel von Gesteinsdeformation und Mineralwachstum vom Makrobereich bis hin zum mikroskopischen Massstab. Geodynamische Prozesse erzeugen Hit- ze. Festes Erdmaterial wird dadurch geschmolzen und entgast, es entstehen Porenflüssigkeiten. Der Druck im Erdinnern zer- quetscht das Gestein, die Porenflüssigkeit wird herausgepresst. Dieser Vorgang, Kompaktion genannt, prägt die gesamte geologische Umgebung. In Sedimentbecken zum Beispiel ist sie für die Connolly die Mechanik und die Auswirkungen dieser Kompakti- stellt und mit Hilfe von unbemannten oder bemannten Tauchbooten Proben entnommen. Die mittelozeanischen Rücken zu verstehen, und die Aufstiegspfade und der Analyse von stabilen Isotopen und der organischen Geochemie des Gesteins, der Sedi- Gretchen Bernasconi-Green zonen, wo sich eine tektonische Platte unter die andere schiebt, zu bestimmen. Ein zweiter Forschungsbereich von James Connolly ist die Analyse der petrologischen Phasenstabilität: Gestein enthält eine Menge Informationen über die Geschichte und die chemische Umgebung, in der es entstanden ist. Mit analytischen Methoden lässt sich jedoch nur die Mineralchemie bestimmen. Connolly hat deshalb theoretische und numerische Hilfsmittel entwickelt, die aus der Zusammensetzung der Mineralien und Fluids die chemische Umgebung und die physikalischen Bedingungen quantifizieren. Mit solchen Programmen lassen sich aus- serdem die physikalischen Bedingungen ermitteln, unter denen Erdmaterialien schmelzen und entgast werden; diese Vorhersagen können mit den effektiven und mit experimentellen Beobachtungen verglichen werden. Direkte Anwendung finden solche Resultate im globalen (tiefen) Kohlenstoffzyklus, der durch die Wanderung von Fluiden und Schmelzen in Subduktionszonen dominiert wird, und auch für das Verständnis von tiefen Erdbeben, welche durch MineralreakDer Kreislauf von H2O und CO2 in Gigatonnen pro Jahr (Gt/y). 30 Das U-Boot Alwin wird zu Wasser gelassen. Die weissen «Türme» von Lost City, im Jahr 2000 im Atlantik entdeckt. tionen, welche Fluids bilden, ausgelöst werden. 31 Hochdruckgeologie und Vulkanologie Über dem Mantel liegt die untere Erdkruste (15 bis 40 Kilometer Tiefe), in der die chemische Entwicklung der Magmen und das Wachstum der Kruste selbst, die über Milliarden von Jahren erfolgte, erforscht werden. In der Oberkruste (3 bis 15 Kilometer Tiefe) wird die Platznahme von Magmen, deren chemische und thermische Interaktion mit der Umgebung sowie deren Entwicklung mit der Zeit betrachtet. Diese Forschung wird experimentell und im Feld durchgeführt, letzteres zum Beispiel in der Adamello-Gruppe in Oberitalien, in Pakistan oder der Mongolei. Max Schmidt Mikroskopieaufnahme einer Lava, die Kristalle, Gasblasen und Glas (schwarz) enthält. Mischen von drei verschiedenen Magmen in einer Intrusion aus 25 Kilometer Tiefe. Peter Ulmer Neben der Entstehung der Magmen werden auch das Fliessverhalten und die physikalischen ParameDurch Gasdruck zerrissene Magmafragmente neben einer Aschenwolke. Hochdruckgeologie und Vulkanologie Lavaflüssen bis Aschen werden von Hannes Mattsson auf Island, den Azoren und den Kap Verden untersucht, um zu verstehen, wann und wie es zu verheerenden Ausbrüchen kommt. Im ostafrikanischen Grabensystem kommen Karbonatschmelzen an die Oberfläche, deren Entstehung sowohl durch direkte Die Bildung der Kontinente auf denen wir leben, erfolgt an den- simuliert. Ziel ist es, deren Entstehung und Entwicklung zu ver- sich untereinanderschieben – sogenannte Subduktionszonen. stehen. Mit Experimenten und Felduntersuchungen erforscht die Gruppe um Max Schmidt und Peter Ulmer alle Tiefenbereiche, von der Bildung des Erdkerns bis zum Vulkanismus an der Erdoberfläche. Dem Forschungsteam stehen extrem leistungsfähige Hochdruckapparaturen zur Verfügung, deren Kapazität bis 1200 Kilometer Tiefe und 2500 °C reichen, und die oft für spe- zielle Problemstellungen in den eigenen Werkstätten entwickelt und gebaut werden. Mit einer an der ETH entwickelten Spezial-Hochdruckzentrifuge wird z. B. die Geschwindigkeit der Abtrennung von Metall- und Silikat-Schmelzen während der Akkretion der Erde bestimmt, die Verteilung der Elemente zwischen Schmelzen und Kristallen gibt dabei Aufschluss über die Tiefe und Temperatur und damit über die Entstehungsbedingungen des Erdkerns und des Erdmantels. Nur gerade 1,5 Prozent der Erdmasse sind uns direkt zugänglich. von Schmelze, Kristallen und Gas(blas)en, die je nach ihrer Aufstiegs- und Abkühlungsgeschichte langsam aus dem Vulkan ausfliessen oder ihn explosiv auseinanderreissen. Vulkanische Ablagerungen von In der Hochdruckgeologie werden physikalische und chemische Bedingungen im Innern der Erde, des Mondes und der Planeten ter, die zu Vulkanismus führen, experimentell untersucht. Natürliche Magmen sind komplexe Gemische jenigen Stellen, an denen Erdplatten aufeinanderstossen und Beprobung der flüssigen Laven, durch die mineralogische Untersuchung der Aschen, durch experimentelle Simulation der Magmenkammer, als auch durch das direkte Aufschmelzen Karbonat-haltiger Sedimente in 100 bis 700 Kilometer Tiefe im Labor erforscht werden. Durch das Absinken der Platten werden H2O und CO2 von der Um die natürlichen des Erdmantels in Tiefen von 40 bis 660 Kilometer führen. Diese erzeugten Gesteine und experimentell Oberfläche in die Tiefe verfrachtet, wo sie zur Aufschmelzung mineralogisch und Magmen steigen dann an die Oberfläche auf und schliessen so chemisch zu charak- den tiefen Erdkreislauf. Mit Hochdruckexperimenten sowie mit terisieren, unterhält thermodynamischen Modellierungen quantifiziert die Gruppe die Gruppe einen Bausteine der H2O- und CO2-Kreisläufe im Erdinneren. Beispiels- umfangreichen Pool weise lässt sich damit die Verteilung von explosiven Vulkanen auf der Erdkruste erklären: Sie wird durch die thermische Struktur des Erdmantels unter den Vulkangürteln bestimmt. Kristallisationsmodell des heute flüssigen Kernes des Mars. räten, welche auch wandte für ange- Fragestel- lungen aus Industrie und Praxis eingesetzt werden. Glas, Zement und Keramik sind letztend- Dynamik und das Aussehen des Planeten verantwortlich: Der An- lich das syntheti- teil an Landmasse und Ozean auf der Erde wird durch Prozesse im sche Äquivalent von Erdmantel bestimmt, die zu sogenannten magmatische Zyklen natürlichen Schmel- führen, die meist in einer Tiefe von 20 bis 200 Kilometer und über 32 an analytischen Gehäufig Weltweit einmalige Zentrifuge, die 3000fache Erdbeschleunigung auf geschmolzene Gesteinsproben bei Drücken bis zu 100 Kilometer Tiefe wirken lässt. Die restlichen 98,5 Prozent sind ausser Reichweite, jedoch für die Zeitspannen von Hunderten bis Millionen von Jahren ablaufen. Hannes Mattsson zen und HochdruckExkursion zum Ätna. gesteinen. 33 Experimentelle Geochemie 34 Experimentelle Geochemie Oberflächen-Phänomene wie Erdbeben und Vulkane sind Manifestationen der turbulenten Vor- seismischer Aktivität. Mit Experimenten untersucht man die thermodynamischen Eigenschaften von Dynamik der Erde zu verstehen, muss man die physikalischen und chemischen Eigenschaften in wässrigen Flüssigkeiten unter hohen Druck- und Temperaturbedingungen. Darüber hinaus werden gänge im Innern des Planeten Erde. Um diese Prozesse und ihre Folgen für die Entwicklung und der Materialien – Flüssigkeiten, Schmelzen und Mineralien – und den Aufbau der Innenräume kennen. Da diese Prozesse in grosser Tiefe auftreten, können diese Materialien aber nicht direkt untersucht werden. Tatsächlich stammen nur sehr wenige Gesteine und Flüssigkeiten an der Oberfläche der Erde aus unterhalb der Kruste von 12 bis 30 Kilometer Tiefe. Die Gruppe von Carmen Sanchez-Valle simuliert daher im Labor die physikalischen und chemischen Bedingungen der Prozesse in und unter der Erdkruste. wässrigen Flüssigkeiten und Silikatschmelzen und die Auflösung sowie Rekristallisation von Mineralien mit der Diamant-Amboss-Zelle die Druck- und Temperaturbedingungen der Magmakammern reproduziert und die chemischen Wechselwirkungen zwischen Flüssigkeit und Silikatschmelzen untersucht, wie sie am Fuss der Vulkane vor dem Aufstieg des Magmas an die Oberfläche auftreten. Während dieser Carmen Sanchez-Valle Vorgänge werden die chemischen Elemente zwischen den verschiedenen beteiligten Phasen, den Mineralien, Schmelzen und Flüssigkeiten, und den Vorratskammern der Erde, der Kruste und dem Mantel, neu verteilt. Dadurch entstehen Fingerabdrücke der Vorgänge in der Tiefe. Das Forschungsinteresse umfasst das Verhalten von Flüssigkeiten in der Erdkruste, in weniger als 30 Kilometer Tiefe, im oberen Erdmantel, also in bis zu rund 400 Kilometer Tiefe, sowie die Struktur und die mineralogische Zusammensetzung der tiefsten Stelle des Mantels und ihre Auswirkungen auf die Entwicklung der Erde. Experiment mit grünem Laserlicht und der DiamantAmboss-Zelle zum Messen der Seismologie im Innern der Erde. Querschnitt durch das Erdinnere mit den Druckverhältnissen in GPa. 1 GPa = 10 000 atm Die Diamant-Ambos-Zelle – ein Fenster ins Innere der Erde. Im Labor benutzt die Gruppe ein Gerät namens Diamant-Amboss-Zelle, um die Druck- und Temperaturbedingungen tief im Innern der Erde nachzuahmen. Die Diamant-Amboss-Zelle besteht aus zwei Edelsteinen in der Qualität von Diamanten mit 0,25 Karat (~ 50 Milligramm je nach Ge- wicht). Ihre Spitzen sind flach poliert, so dass sie die Proben zusammenhalten können. Diese sehr einfache Vorrichtung, die in der Handfläche Platz hat, kann die Druckbedingungen simulieren, die in der Nähe des Erdkerns herrschen. Hohe Temperaturen erreicht man mit druckempfindli- chen Heizelementen oder indem man die Probe mit Infrarot-Laser beleuchtet. Da Edelsteine in Diamantenqualität extrem hart sind und durchlässig auf ein breites Spektrum elektromagne- Experiment mit der Diamant-Ambos-Zelle an der Synchrotron-Lichtquelle des Paul Scherrer Instituts. tischer Strahlung wie etwa Röntgenstrahlen und sichtbares Licht, wirken sie sowohl als Druck- erzeuger wie auch als Fenster: Die Untersuchung der Eigenschaften von Werkstoffen kann direkt vorgenommen werden, während sie den hohen Drucken und Temperaturen ausgesetzt sind. Die Proben werden dann charakterisiert. Dabei verwendet man die laserspektroskopischen Techniken der neusten Generation im Labor des Departements oder die Röntgenstrahlen von Die Experimente werden mit thermodynamischer Modellierung kombiniert. Damit lassen sich die che- gen sind als Synchrotron-Quellen bekannt. Die Schweizer Synchrotron-Quelle, die Synchrotron im oberen Erdmantel zirkulieren, und ihre Rolle bei der Magmaproduktion in Subduktionszonen kann besonders hoher Strahlstärke in nationalen und internationalen Grossanlagen. Diese Einrichtun- mische Zusammensetzung und das Volumen der Flüssigkeiten bestimmen, die in der Erdkruste und Lichtquelle Schweiz SLS, befindet sich am Paul Scherrer Institut in Villigen. definiert werden. Mit den oben beschriebenen Techniken erforscht die Gruppe die magmatischen und hydro- Tiefer in der Erde untersucht die Gruppe die physikalischen Eigenschaften von Mineralien, einschliesslich Zirkulation von tiefen Flüssigkeiten und Schmelzen in Verbindung steht mit vulkanischer und peratur verändern. Vor allem wird untersucht, wie sich seismische Wellen unter hohem Druck und bei thermalen Vorgänge in bestimmten geologischen Umgebungen wie Subduktionszonen, wo die < Ansicht einer Probe von Strontiumkarbonat Sr CO2 in der Druckkammer der Diamant-Amboss-Zelle bei 300 °C. Mit steigendem Druck verflüssigt sich der Kristall, bei nachlassendem Druck verfestigt er sich wieder. der internen Strukturen, der Phasenstabilität und des Volumens, und wie sie sich mit Druck und Temhohen Temperaturen durch die Materialien verbreiten. Vergleicht man diese Messungen mit den Beobachtungen, wie seismische Wellen nach einem Erdbeben durch den ganzen Planeten wandern, so lässt sich ein Modell entwickeln, das ein kohärentes Bild der inneren Struktur und der Dynamik der Erde zeigt. 35 Fluidprozesse und Mineralische Rohstoffe werden kann. So können die chemischen Bildungsbedingungen der Mineralien und die Temperaturund Druckverhältnisse beim Kristallisieren aus einer hyrdothermalen Lösung rekonstruiert werden, die schliesslich zur Bildung eines Minerallagers führen. Die Entstehung grosser Erzvorkommen erfordert neben chemischen Prozessen der Mineralbildung auch einen physischen Transport der metallreichen Fluide im Untergrund. Ehemalige Fliesswege sind heute als Adern im Gestein nachgezeichnet, doch der eigentliche Prozess des Fliessens kann nur durch numerische Computersimulationen sichtbar gemacht werden. Einem Team von Wissenschaftern unter der Leitung von Thomas Driesner ist es gelungen, die Bewegungen von mehreren, gleichzeitig durch Gesteine fliessenden Fluiden physikalisch korrekt zu modellieren – zum Beispiel die Abtrennung einer Christoph A. Heinrich Dampfphase von einer salzigen Flüssigkeit oder einer Silikatschmelze. Damit können sie die chemische und physikalische Entwicklung von Minerallagerstätten auf einem geologisch realistischen Niveau simulieren. Thomas Driesner Salzreicher Fluid-Einschluss (~ 0.05 mm lang). Fluidprozesse und mineralische Rohstoffe Die Arbeitsgruppe von Christoph A. Heinrich studiert die geologi- Geologische Feldstudien konzentrieren sich derzeit auf magma- in der Erdkruste führen. Im Zentrum stehen Erzvorkommen von Argentinien sowie auf Erzvorkommen im Südwesten der USA Kilometerhohe Fluid-Aufstiegszonen organisieren sich unter mittelozeanischen Rücken durch spontane thermische Konvektion. Das heisse Fluid tritt als «Black Smokers» am Meeresboden aus (Oberseite des Modells; vgl. S. 31 [Meeresgeologie]), kann aber auch riesige Erzlagerstätten unter dem Meeresgrund bilden (Momentaufnahme einer dynamischen Computersimulation in einem 1 x 3 x 4 Kilometer grossem Gesteinsquader). nen verschiedene Stadien des Mineraltransports sichtbar sind, Der genaue Zeitraum, in dem die Prozesse im Erd- Explorationsbohrungen und Minen-Abbau ihnen ein dreidimen- von Erzlagerstätten im Zusammenhang mit Sedi- schen Vorgänge, die zur Entstehung von nutzbaren Ressourcen Metallen wie Kupfer, Gold und Molybdän, die sich im Untergrund von Vulkanen, an Land oder auch am Meeresboden anreichern. Neben der Bildung von technisch wichtigen Rohstoffen sind Fluide aber auch eng mit gefährlichen Vulkaneruptionen verbunden und liegen zudem der Nutzung geothermaler Energie zugrunde. tische Gebiete in Südosteuropa und in den Anden von Chile und und in Australien. Die Wissenschafter sammeln Gesteine, in deoft in Zusammenarbeit mit aktiven Minengesellschaften, deren sionales Archiv der längst erloschenen hydrothermalen Prozesse erschliesst. Umgekehrt hilft das Verstehen der grundlegenden Prozesse der Rohstoffbildung dabei, neue Vorkommen zu entdecken und globale Vorräte an essentiellen Ressourcen abzuschät- zen. Aus diesen geologischen Archiven lässt sich die chemische und physikalische Geschichte der vormals heissen, erzbildenden Fluide rekonstruieren. Die Untersuchungen geben Hinweise auf die Ausdehnung und die mineralogische, chemische und geologische Struktur des Erzvorkommens und erlauben eine Entschlüsselung der zeitlichen Abfolge von geologischen Prozessen. In mikroskopischen Fluid-Einschlüssen lassen sich die Konzentration der einzelnen Elemente in erzbildenden Fluiden bestimmen. Die Gruppe hat dazu ein eigenes Analyse-Verfahren entwickelt: Ein Mineral, in dem ein kleines Tröpfchen eines Fluids vom Durch- 36 314 Ma innern ablaufen, gibt Hinweise auf die Entstehung mentation, Magmatismus, Gebirgsbildung und 77 Ma anschliessender Freilegung nutzbarer Rohstoffvor-kommen durch Erosion. Um den Zeitpunkt und die Dauer der Erzbildung zu erkunden, verwenden Albrecht von Quadt und seine Mitarbeiterinnen verschiedene Methoden der Geochronologie. Massenspektrometer liefern präzise Altersdaten, wel- che die grossräumige Geodynamik von Erzprovinzen, aber auch kurzzeitige Fluidprozesse datieren. Zirkon-Kristall mit einem inneren Kern, der sich vor 314 Millionen Jahren bildete, dann zu einem ovalen Korn abgerollt und in einem Sandstein abgelagert wurde. Dieses Sediment wurde vor 77 Millionen Jahren in einem Magma aufgelöst, in dem der Zirkon zu einem neuen Kristall (~ 0.3 mm lang) weiterwuchs, und welches zur wichtigen Kupferprovinz von Südosteuropa beitrug. Fliessmodelle sowie Kenntnisse über den chemischen Transport von Elementen durch heisse Lösun- gen bilden die Grundlage für die Nutzung der geothermischen Energie. Die Gruppe von Christoph A. Heinrich arbeitet deshalb eng mit Geophysikern und Ingenieurgeologen zusammen (S. 10, 11), um tiefe Erdwärme-Reservoire zu erkunden und besser zu verstehen. messer eines Haares vor Jahrmillionen eingeschlossen wurde Christoph A. Heinrich hat die Planung und Realisierung von «focusTerra» geleitet, des erdwissenschaftli- aufgebohrt ist und in einem Massenspektrometer analysiert Exponaten und aktiven Experimenten sowohl Laien wie Fachleute begeistert (S. 40). (Bild oben), wird mit einem Laser abgetragen, bis der Fluid-Inhalt Geologische Kartierung in einem Kupfer-Tagebau in Bulgarien. Albrecht von Quadt chen Forschungs- und Informationszentrums, das im April 2009 eröffnet wurde und mit spektakulären Blei-Zink-Kupfer-Erzader. > 37 Isotopengeochemie 38 Isotopengeochemie Die Isotopengeochemie erforscht eine Vielzahl von Prozessen auf der Erde und im Planetensys- In ihren Untersuchungen an Meteoriten und Proben vom Mond befasst sich die Gruppe von Bernard tope sind Atome eines bestimmten Elements mit unterschiedlicher Zahl Neutronen im Atom- ner Scheibe aus Gas und Staub um die junge Sonne. Mit Isotopen des Elements Wolfram konnte die tem, indem sie die Häufigkeit von Isotopen in verschiedenen Proben miteinander vergleicht. Isokern, also unterschiedlicher Masse. Einige Isotope sind radioaktiv und zerfallen mit der Zeit in Isotope eines anderen Elements. Damit lassen sich zum Beispiel das Alter eines heutigen Gesteins oder die Geschichte seiner Vorgängergesteine bestimmen. Viele chemische und physika- lische Prozesse führen auch zu leichten Änderungen in der Häufigkeit der stabilen Isotope eines Elements. Damit lassen sich zum Beispiel die Verwitterung von Gesteinen, Schadstofftransport, Klimaschwankungen in der Vergangenheit und vieles mehr erforschen. Die Gruppe von Bernard Bourdon befasst sich sowohl mit Prozessen auf der Erdoberfläche und im Erdinnern wie auch mit Vorgängen im heutigen und frühen Sonnensystem. Das Labor für Isotopengeochemie an der ETH Zürich ist eines der am besten ausgerüsteten Labors der Welt für stabile und radioaktive Isotopen sowie Edelgase. Das Labor besitzt verschiedene Typen von Massenspektrometern: Multikollektor-Plasma-Massenspektrometer, Thermionen-Massenspek- trometer und Edelgas-Massenspektrometer. Neue Methoden für Isotopenanalysen und neue Gerätetypen werden hier entwickelt. Bourdon und Rainer Wieler mit der Entstehung der Planeten aus dem sogenannten solaren Nebel, eiGruppe zeigen, dass der Mond nicht früher als etwa 60 Millionen Jahre nach den ersten Meteoriten gebildet wurde, vermutlich als Resultat einer Kollision eines Planetenbausteins mit der jungen Erde. Mit ultra-präzisen Messungen von Isotopen des Elements Neodymium, einem Metall der Seltenen Erden, Bernard Bourdon kann man die Bildung der ersten Kruste der Erde oder des Mondes datieren. Die Bedingungen während der Entstehung des Erdkerns konnte mit Isotopen des Elements Silizium erhellt werden. Die stabilen und radioaktiven Isotope können auch das Verständnis des Aufbaus und der Entwicklung von Planeten verbessern. Vulkanische Gesteine ergeben ein Bild der Konvektionsbewegungen des Mantels und der Wechselwirkungen zwischen der Kruste und dem Mantel. Die Produktion von Magma aus dem Erd- mantel oder die Geschwindigkeit der Verwitterung kann mit kurzlebigen Isotopen erforscht werden. Edelgase in Meteoriten erlauben Rückschlüsse über die Bildungsgeschichte der ersten festen Materie im solaren Nebel und sogar über die Herkunft von Staubkörnern, welche bereits in den Hüllen früherer sterbender Sterne entstanden. Staub von der Mondoberfläche und Proben der Raumsonde Genesis erlauben es, die Zusammensetzung der Edelgase in der Sonne zu bestimmen. Dies hilft wiederum, die Edelgaszusammensetzung in den Meteoriten besser zu verstehen. An der Arbeit im Edelgaslabor. Rainer Wieler Wasserproben vom Damma-Gletscher. Die Geschwindigkeit, mit der sich Gebirge bil- den oder abgetragen werden, kann mit Helium gemessen werden, welches aus dem Zerfall von Uran- und Thoriumisotopen entsteht. Das Alter von Vergletscherungen während der Eiszeit und Verwitterungsraten von Landschaften werden mit Isotopen bestimmt, welche in Gletschermoränen oder anderen Gesteinen nahe der Erdoberfläche durch die kosmische Strahlung gebildet wurden. Edelgase im Grundwasser und anderen sogenannten Klimaarchiven ermöglichen die Rekonstruktion der mittleren Temperatur auf der Erdoberfläche in den letzten Zehntausenden von Jahren. Isotope aus dem radioaktiven Zerfall von Uran in Staubteilchen im Eis ermöglichen die Bestimmung des Alters des Eises und damit ein besseres Verständnis der im Eis gespeicherten Klimainformationen. Feldarbeit im Süden Chiles Proben von Vulkangestein in Island. Wasserprobennehmerin in Grönland. > 39 focusTerra – das erdwissenschaftliche Forschungs- und Informationszentrum der ETH Zürich focusTerra, das Informationszentrum des Departements Erdwissenschaften, wurde im Frühjahr 2009 eröffnet. Das Zentrum bietet eine breite Auswahl erdwissenschaftlicher Themen, aber auch vertiefte Informationen für Studierende, interessierte Laien und Spezialisten und schlägt so eine Brücke zwischen Forschung und Öffentlichkeit. Ulrike Kastrup Grosse Platten aus den schönsten Alpengesteinen Die oberste Ebene zum Thema «Archive der Erde» Das Herzstück der Ausstellung steht im Lichthof: miert über die Aufzeichnung der Erdgeschichte empfangen den Besucher im Eingangsbereich. Ein markanter, hoher Turm, der auf drei Ebenen zu einer Reise vom Erdkern zu den Gipfeln der Alpen einlädt. Unter dem Thema «Dynamik der Erde» bietet die unterste Ebene Einblick in die Entstehung des Planeten, seinen Aufbau, die Prozesse im Erdinnern und wie diese das Erscheinungsbild der Erdoberfläche prägen: Magnetismus, Plattentektonik, Vulkanismus, Erdbeben und Gebirgsbildung. Erschütterungen des Erdkörpers lassen sich mit- zeigt die Entwicklung der Pflanzenwelt und inforin Ablagerungsgesteinen. Hier lässt es sich auch in die Tiefen der Meere tauchen und die skurrilen Landschaften um heisse Quellen am Ozeanboden bewundern. Die Entwicklung der Landschaft um die Stadt Zürich ist in dreidimensionalen Modellen dargestellt und die letzten 150 Jahre lokaler Erdgeschichte lassen sich an den jüngsten Ablagerun- tels Direktschaltungen zu seismischen Stationen Rund um den Turm bieten Medienstationen ver- Reliefstreifen und Schnitt durch die Erdkruste zu Gesellschaft relevanten erdwissenschaftlichen verfolgen. Der Bau der Alpen ist an einem langen sehen. Peter Brack gen aus dem Zürichsee ablesen. tiefte Informationen zu aktuellen und für die Themen wie die langfristige Klimaentwicklung, Naturgefahren, die Bewirtschaftung des Untergrunds und die Nutzung von Energie- und anderen Rohstoffen. Und ein grosser, rotierender Glo- bus lässt sich dank modernster Computertechnik wahlweise als Erde, einen der anderen Planeten Milena Pika-Biolzi und mit geologischen oder Klimakarten im Zeitraffer darstellen. focusTerra soll vor allem Schulklassen ansprechen. Es bietet daher regelmässig Sonderausstellungen, und auf Vereinbarung kann man sich in einen Erdbebensimulator setzen. Die grosse Kristallgruppe vom Tiefengletscher im Kanton Uri, geborgen 1946 von Peter Indergand sen. (Bild: Susanna Bruell). Auf der mittleren Ebene mit dem Titel «Schätze der Erde» erfährt man, wie Kristalle entstehen, wie sich mineralische Rohstoffe bilden und für die Nutzung erschlossen werden. Ästhetische Highlights sind die Edelsteine und eine der schönsten Rauchquarzgruppen aus den Zentralalpen sowie weitere wunderschöne alpine Kristalle aus der berühmten ETH-Sammlung. 40 Ausstellungsbesucher verfolgen die Öffnung eines Bohrkerns. Der Ausstellungsturm von focusTerra im Innenhof des naturwissenschaftlichen Gebäudes der ETH Zürich. (Bild: Susana Bruell) > focus terra Detailinfos: www.focusterra.ethz.ch