Die Drei-Bracket-Beziehung

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"008", 3.4.03/dk köthen GmbH
Die Drei-Bracket-Beziehung
Eine theoretische und mechanische Analyse bei der Anwendung
selbstligierender Brackets
Zusammenfassung
Summary
Die mechanische Analyse der Drei-Bracket-Beziehung zeigt neben bekannten Drehmomenten und vertikalen Kräften auch
deutliche horizontale Kräfte, welche aufgrund der Verformung
des Drahtes im Sinne eines Klemmens (binding) auftreten.
Diese horizontalen Kräfte treten sowohl bei selbstligierenden als
auch bei konventionellen Straight-Wire-Brackets auf. Bei den
selbstligierenden Brackets sind die horizontalen Kräfte jedoch
um ca. fünfzig Prozent geringer als bei konventionellen Straightwire-Brackets. Der praktische Nutzen dieser horizontalen Kräfte
liegt in der Lückenöffnung während der Nivellierungsphase. Erst
nach dem Überwinden des Klemmens (Binding), können vertikale Nivellierungsprozesse stattfinden.
The mechanical analysis of a three-bracket-relation reveals not
only already known moments of forces in the vertical dimension
but also in the horizontal dimension. These horizontal forces are
reduced by more than fifty percent in self-ligating systems compared to conventional straight-wire systems. The horizontal
forces are useful to open space during leveling.
Changes in the vertical dimension during leveling can only be expected if binding has been overcome.
Key words
Self-ligating systems ´ moments of forces ´ binding ´ notching
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Schlüsselwörter
Selbstligierende Systeme ´ Drehmomente ´ Kräfte ´ Klemmen ´
Verkanten
In der festsitzenden kieferorthopädischen Technik bewegen sich
Zähne in den meisten Fällen nicht kontinuierlich entlang des
Führungsdrahtes. Die Zahnbewegung findet in Abhängigkeit
von der Haft- bzw. Gleitreibung zwischen Draht und Bracket
statt. Dazu werden Haftreibungs- und Gleitreibungskoeffizent
nach Gerthsen et al. [1] folgendermaûen definiert:
Haftreibung
Um einen Körper, der auf einer ebenen Unterlage liegt, in Bewegung zu setzen, muss die an ihm angreifende Zugkraft Fz einen
Schwellenwert überschreiten. Das gröûte Gewicht, das den Körper gerade noch nicht bewegt, bestimmt den Haftreibungswiderstand (FH).
Originalarbeit
Three-bracket-relation ± A theoretical and mechanical analysis
of self-ligating systems
Es ist wichtig zu wissen, dass der Haftreibungswiderstand (FH)
unabhängig von der Auflagefläche ist, und nur von der Normalkraft (FN) und dem Reibungskoeffizienten H abhängt:
FH = H ´ FN
d. h. FH ist von der Gröûe der Berührungsfläche unabhängig,
wächst aber proportional zur Normalkraft (FN), mit der die beiden Berührungsflächen gegeneinander gedrückt werden, und ist
der möglichen Bewegung entgegengerichtet. H (Materialpaarung) ist eine Materialkonstante, die von der Art und Oberflächenbeschaffenheit beider sich berührenden Materialien abhängt.
Institutsangaben
Abteilung für Kieferorthopädie ´ Wien ´ Österreich
Korrespondenzadresse
Dr. Martina Scheriau ´ Universitätszahnklinik Wien ´ Abteilung für Kieferorthopädie ´
Währinger Str. 25 a ´ A-1090 Wien ´ Tel.: +43/1/42 77/6 7110 ´ Fax: +43/1/42 77/6 7119
Bibliografie
Inf Orthod Kieferorthop 2003; 35: 9±12 Georg Thieme Verlag KG ´ ISSN 0022-0336
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M. Scheriau
G. Enislidis
H.-P. Bantleon
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Gleitende Reibung
Um den Körper mit gleichförmiger Geschwindigkeit über die horizontale Ebene zu bewegen, muss eine konstante Kraft FG (Gleitreibungskraft) wirken, die der Reibungskraft gleich und entgegengesetzt gerichtet ist.
± die Dimension des Drahtes,
± die Slotbreite,
± der Kontaktwinkel h zwischen Draht und Bracket.
Material und Methode
FG = G ´ FN
Dabei zeigen Experimente, die im Lehrbuch von Tipler [2] beschrieben werden, folgende Verhältnisse:
Originalarbeit
G ist kleiner als H
G hängt (wie H) von der Struktur ab, nicht aber von der Gröûe
der makroskopischen Berührungsfläche.
Bei der Zahnbewegung spielen sowohl Haftreibungskoeffizient
als auch Gleitreibungskoeffizient eine Rolle. Für eine vorgegebene Normalkraft FN baut sich die Zugkraft (P) bis zu einem Maximum (Pmax) auf, bis es wieder zu einem plötzlichen Abfall
kommt. Dieses Maximum charakterisiert den Haftreibungskoeffizienten, bei dem noch kein Gleiten auftritt. Danach fällt die
Kraft ab, die Reibung besteht nun aus Gleitreibung (Abb. 1).
Solange ein Spielraum zwischen Bracketslot und Draht besteht,
gilt die klassische Friktion. Verschwindet dieser Spielraum, wird
das Gleiten behindert und Klemmen (Binding) beherrscht die
Szene. Zuletzt kerbt sich nach Kusy [3] der Draht ein (Notching)
und jede Bewegung kommt zum Stillstand. Dabei spielen nach
Kusy [3] folgende Parameter eine Rolle:
10
Im Laborversuch an der Wiener Klinik wurde eine Dreibracketbeziehung simuliert und mittels einer elektronischen Messapparatur vermessen.
Vier verschiedene Typen von selbstligierenden Brackets und ein
konventionelles Straight-Wire-Bracket (Mini-Diamond) wurden
untersucht. Von den selbstligierenden Brackets schlieût eines
mit Schieber (Damon 2) und drei mit Clip (In-Ovation, Speed
und Time). Verwendet wurden ausschlieûlich linke obere Eckzahnbrackets mit einer Slotdimension von 0,022 inch.
Fünf Dreierkombinationen jedes Bracketdesigns wurden für diese Untersuchung jeweils mit einem 0,014 inch superelastischen
Draht (SentalloyTM medium) vermessen.
Dazu wurde zwischen den beiden seitlichen und dem mittlerem
Bracket eine Stufe von 4 mm eingestellt. Das mittlere Bracket
wurde mit einer Schrittmotorsteuerung in 0,2 mm Schritten von
4 mm auf 0 mm heruntergefahren (Abb. 2), die jeweiligen Momente und Kräfte ermittelt und statistisch ausgewertet.
Ergebnisse
Die im Laborversuch simulierte Dreibracketbeziehung weist bei
einer Stufe von 4 mm, der Verwendung eines 0,014 inch Sentalloy medium Drahtes und Damonbrackets bei einer Einzelmessung folgende Drehmomente und Kräfte auf:
Die Drehmomente an den seitlichen Brackets betragen bei einer
Stufe von 4 mm 446 cNmm (D2) bzw. ±529 cNmm (D3), die vertikalen Kräften weisen 166 cN extrusiver Kraft (fy1) am mittleren
Bracket, 75 cN (fy2) bzw. 85 cN intrusive Kraft (fy3) an den beiden seitlichen Brackets auf. Wichtig sind die horizontalen Kräfte,
die an den beiden seitlichen Brackets initial 87 cN (fX2) und
± 92 cN (fx3) betragen. Die Differenz zwischen diesen beiden
Werten (Fx1) wirkt am mittleren Bracket (Tab. 1; Abb. 2).
Tab. 1 Momente, vertikale und horizontale Kräfte von einem
0,014 inch Sentalloy medium Draht in einer Damonbracketreihe
Abb. 1 Abhängigkeit der Reibungskraft FR von der eingesetzten
Kraft F.
AuslenD1
kung (mm)
D2
D3
4
29
446
±529
4
±166
87
75
±92
85
3
29
341
±409
9
±115
105
53
±116
58
2
24
330
±378
±5
±137
86
62
±81
71
1
±4
260
±266
3
±140
43
66
±42
69
0
±14
1
±1
±4
0
1
±1
3
0
Scheriau M et al. Die Drei-Bracket-Beziehung ¼ Inf Orthod Kieferorthop 2003; 35: 9 ± 12
Fx1
Fy1
Fx2
Fy2
Fx3
Fy3
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Als G wird der Koeffizient der gleitenden Reibung bezeichnet.
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2 mm auf 90 cN. Bei 0,6 mm vertikaler Stufe liegen keine horizontalen Kräfte mehr vor.
In der Tab. 3 werden die vertikalen Kräfte des mittleren Brackets
dargestellt. Im Mittel betragen die vertikalen Kräfte bei 4 mm Stufe 155 cN. Im weiteren Verlauf nimmt die vertikale Kraft entsprechend der Zunahme der horizontalen Kräfte auf 100 cN ab, um gegen 1 mm Stufe wieder auf 140 cN zu steigen. Die ausschlieûlich
vertikale Nivellierung findet ab einer Stufe von 0,8 mm statt.
Originalarbeit
Abb. 2 Elektronische Messapparatur zur Ermittlung der Dreibracketbeziehung am 0,014 inch superelastischen Draht
Die nur in der Versuchsanordnung messbaren horizontalen Kräfte Fx2 und Fx3 der beiden seitlichen Brackets sind Klemmkräfte
von annähernd gleicher Gröûe, aber entgegengesetzter Richtung.
Die Tab. 2 listet die Mittelwerte der horizontalen Kräfte der unterschiedlichen selbstligierenden Brackets im Vergleich zum
Straight-Wire-Bracket (Mini-Diamond) auf. Bei einer Stufe von
4 mm liegen die Werte bei 100 cN, steigen im weiteren Verlauf
auf 130 cN an und reduzieren sich nach einer Entlastung von
Tab. 4 Positive und negative Drehmomente in Abhängigkeit der Auslenkung Damon, In-Ovation, Mini-Diamond, Speed, Time
Diskussion und klinische Relevanz
Tab. 2 Mittelwerte der horizontalen Kräfte verschiedener selbstligierender Brackets im Vergleich zum Straight-wire-bracket
Theoretisch kann jede Drei-Bracket-Beziehung in zwei Zwei-Bracket-Beziehungen nach Burstone zerlegt werden. Durch das Einfügen des Drahtes nur in ein Bracket (einseitig eingespannter
Balken) und Aktivierung des Drahtes zum zweiten Bracket (ohne
den Draht in das Bracket einzuführen) wird das System statisch
bestimmbar. Die vertikalen Kräfte und Momente lassen sich nun
folgendermaûen berechnen:
Die Gröûe der beiden seitlichen Momente errechnet sich aus
dem Produkt der halben extrusiven Kraft des mittleren Brackets
oder der intrusiven Kraft des seitlichen Brackets mal dem Abstand zwischen mittlerem und seitlichem Bracket [4]. Nicht errechenbar sind die horizontalen Kräfte, die aufgrund der Verformung des Drahtes in den seitlichen Brackets zu einem Klemmen
führt. Dabei wird dieser Klemmvorgang (Binding) als Kraft beschrieben, die der vertikalen Bewegung des Zahnes am mittleren
Bracket entgegenwirkt. Dass dieser Klemmvorgang in der Praxis
auch eine sehr nützliche Begleiterscheinung sein kann, zeigt sich
in der Nivellierungsphase zum Beispiel bei der Einreihung eines
hochstehenden Eckzahnes im Oberkiefer (Abb. 3 a, b, c).
Tab. 3 Darstellung der vertikalen Kräfte des mittleren Brackets
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Tabelle 4 zeigt die Mittelwerte der Drehmomente, die an den
seitlichen Brackets wirken. Dabei werden konstante Drehmomente im Mittel von 400 cN gefunden.
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b am Tag der Bracketapplikation
Originalarbeit
Die anfangs hohen Klemmkräfte (messbar als horizontale Kräfte)
öffnen die Lücke für die Einreihung des Zahnes. Je geringer die
Klemmkräfte jedoch im Verlauf der Nivellierung ausfallen, desto
rascher kann sich der Zahn vertikal einreihen.
Thorstenson und Kusy [5] ermittelten den kritischen Kontaktwinkel h für einen NiTi-Draht der Dimension 0,014 in Kombination mit den oben beschriebenen selbstligierenden Brackets.
c 11 Wochen nach Behandlungsbeginn
± Bei der Entlastung von 1 mm auf 0,8 mm ist bei allen selbstligierenden Brackets eine deutliche Verminderung der Klemmkräfte zu beobachten. Dies lässt sich wohl mit dem Erreichen
des kritischen Kontaktwinkels h interpretieren.
± Nach Erreichen des kritischen Kontaktwinkels sind bei den
selbstligierenden Brackets die verbleibenden horizontalen
Kräfte praktisch Null. Das Mini-Diamond-Bracket zeigt auch
bei Erreichen der Nullinie noch horizontale Kräfte.
Experimentell fanden sie folgende Werte:
Literatur
Damon 2
In-Ovation
Speed
Time
12
7,08
5,68
6,08
6,78
Bei der durchgeführten Untersuchung entsprechen diese Werte
einer Höhendifferenz des mittleren Brackets von ca. 0,8 mm bis
1 mm, d. h. innerhalb dieses Bereiches ¹funktionierenª die selbstligierenden Brackets praktisch nahezu friktionslos. Zusammenfassend lässt sich Folgendes feststellen:
± Bereits der erste Schritt (von 4 mm auf 3,8 mm) zeigt bei dem
Mini-Diamond-Bracket einen ca. 50 % höheren Wert als bei
den selbstligierenden Brackets.
1
Gerthsen C, Kneser HO, Vogel H. Reibung zwischen festen Körpern. In:
Physik, 13. Auflage, Springer Verlag Berlin, Heidelberg, New York 1977;
66±67
2
Tipler PA. Anwendung der Newtonschen Axiome. In: Spektrum Lehrbuch Physik, 3. Auflage, Spektrum Akademischer Verlag Heidelberg,
Berlin, Oxford 1994; 99±103
3
Kusy RP, Whitley JQ. Influence of archwire and bracket dimensions on
sliding mechanics. Eur J Orthod 1999; 21: 199 ± 208
4
Burstone CJ, Koenig HA. Force systems from an ideal arch. Am J Orthod
1974; 270 ± 282
5
Thorstenson GA, Kusy RP. Comparison of resistance to sliding between
different self-ligating brackets with second-order angulation in the
dry and saliva states. Am J Orthod 2002; 121: 472 ± 482
Scheriau M et al. Die Drei-Bracket-Beziehung ¼ Inf Orthod Kieferorthop 2003; 35: 9 ± 12
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Abb. 3 a Ausgangssituation
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