Zusammenfassung Für die Risikoabschätzung und das Monitoring von GVO (Gentechnisch veränderte Organismen) werden Fachgrundlagen benötigt, um die Anforderungen der Gentechnikrichtlinie 2001/18/EG und der betreffenden Leitlinien zu erfüllen. Als Grundlage dafür wurde diese Thematik für das gesamte österreichische Bundesgebiet anhand der Vegetation und der Tagfalter für das Zielökosystem der Agrarlandschaften mittels einer Biodiversitäts-Studie aufbereitet. In dieser Studie wurden Verbreitungs-, Gefährdungs- und ökologische Daten von Pflanzen, Biotoptypen und Tagfaltern für die Agrarlandschaft Österreichs in einer GIS-gestützten Datenbank anwendungsorientiert strukturiert. Anhand der vier Parameter Gefährdungsgrad, relative Häufigkeit, Artenreichtum und Habitatbindung von Arten wurden Biodiversitäts-Indizes für die Agrarbereiche (im geografischen 3x5 Minuten-Raster) getrennt für die Ackerbegleitflora (Segetalflora) und die Tagfalter berechnet. Jene Bereiche mit den höchsten Diversitätsindizes wurden als Biodiversitäts-Hotspots der Agrarlandschaft (Diversitätszentren) ausgewiesen. Die gegenständliche Expertise ist eine Diversitätsstudie, welche für die speziellen Fragestellungen bei der Risikobewertung von GVO für das Zielökosystem Ackerland konzipiert wurde. Den zuständigen Behörden steht damit ein potentes und flexibles Instrumentarium zur Verfügung, um • • • anhand der Fachgrundlage zu beurteilen, ob sich Hotspot-Bereiche für Freisetzung oder Inverkehrbringen von GVO eignen, fallspezifische Risikoanalysen anhand der österreichischen, regionalen Verhältnisse durchzuführen, bei Bedarf geeignete Monitoringgebiete festzulegen. Ein Biodiversitäts-Hotspot ist eine Fläche, die für die Erhaltung der nationalen Diversität der Segetalvegetation bzw. der agrarassoziierten Tagfalter einen entscheidenden Beitrag leistet. Ein Biodiversitäts-Hotspot ist weiters eine Fläche mit hohem Wert für den nationalen Naturschutz und ist durch eine hohe Anzahl von naturschutzfachlichen Schutzobjekten charakterisiert. Diese Flächen besitzen weiters ein hohes generelles Grundrisiko bei Eingriffen, da mögliche Effekte aufgrund der hohen naturschutzfachlichen Wertigkeit leichter die Schadensschwelle erreichen können (Konzept der Erheblichkeit). Biodiversitäts-Hotspots stellen daher aufgrund der Eingriffssensibilität generelle Risikobereiche in einer ökologischen Risikobewertung dar. Die Biodiversitäts-Hotspots sind aufgrund der Unsicherheiten („uncertainty“) bei der Risikoabschätzung von GVO im Sinne des Vorsorgeprinzips bedeutend. Diese Unsicherheiten werden insbesondere in der Leitlinie zu Annex II der Richtlinie 2001/18/EG mehrfach betont (EUROPÄISCHE KOMMISSION 2002). Zitat: Bei der UVP sind die Unsicherheiten auf verschiedenen Ebenen zu berücksichtigen. Insbesondere indirekte und verspätete Effekte können in der Risikoabschätzung nicht vorhergesehen werden. In diesem Sinne sind Biodiversitäts-Hotspots hinsichtlich des Vorsorgeprinzips auf generelle „Gentechnikfreiheit“ zu prüfen. Gebiete in Österreich mit gehäuftem Auftreten von Hotspots der Flora und Vegetation sind: 1. Südliches Wiener Becken a) Die Umgebung von Wiener Neustadt zwischen Hoher Wand und Rosaliengebirge zeigt die höchste Konzentration an Hotspot-Quadranten im gesamten Bundesgebiet. Vorrangig verantwortlich sind hierbei die flachgründigen und schotterreichen Äcker des Steinfeldes. b) Die Thermenzone am Alpenostrand zwischen Wien und Bad Vöslau c) Die Feuchte Ebene südlich von Wien zwischen Schwechat und Ebreichsdorf 2. Die Abhänge des Leithagebirges 3. Die Umgebung des Neusiedlersees 4. Das Gebiet um Neckenmarkt-Ritzing (Mittelburgenland) 5. Das Gebiet zwischen Güssing und Günser-Gebirge (Südburgenland) 6. Das untere Marchtal südlich von Angern (Marchfeld) 7. Das Gebiet der Leiser Berge und der Falkensteiner Berge 8. Das Gebiet rund um den Manhartsberg nördlich bis Retz 9. Das Gebiet um Gmünd (Waldviertel) 10. Das Gebiet um Gars am Kamp (Waldviertel) 11. Das nördliche Alpenvorland zwischen Linz bis zur Wachau 12. Die Gegend um Braunau im westlichen Innviertel 13. Das Gebiet um Knittelfeld im mittleren Murtal (Aichfeld-Murboden) 14. Das Klagenfurter Becken (östlich von Klagenfurt und Krappfeld) 15. Das Inntal Bei den Tagfaltern wurden folgende Hotspot-Regionen in der Agrarlandschaft ausgewiesen: • • • • • Vorarberg: Rheintal; Tirol: Einzelne Quadranten im oberen Inntal und bei Innsbruck Salzburg: mit Schwerpunkten im Raum Salzburg, Flachgau, Tennengau; Pinzgau, Lungau; Oberösterreich: Bereich Attersee; Völkermarkt, Gmunden; Raum Linz; Raum Aigen; Niederösterreich: Raum Gmünd; westliches Donautal, Wachau, südliches Waldviertel und Dunkelsteiner Wald, unteres Kamptal und Tullnerfeld; Raum Retz; verstreute Quadranten im nordöstlichen Weinviertel; östliches Marchfeld; Raum Wien; Feuchte Ebene, Steinfeld; Ybbstal; -2- • • • Burgenland: Leithagebirge, Teile von Mittelburgenland und Südburgenland; Steiermark: Schwerpunkt im Murtal bei Judenburg, verstreute Quadranten im Oststeirischen Hügelland und bei Admont Kärnten: Klagenfurter Becken; Gailtal Raum Hermagor und Villach; Mölltal; Die Diversitäts-Hotspots der Tagfalter und der Vegetation stimmen großteils überein. Kleinere Unterschiede ergeben sich dadurch, dass die Diversität der Tagfalter stärker von der Lebensraumvielfalt außerhalb der Äcker (Habitatinseln in der Agrarlandschaft) abhängt, während die Segetalflora stärker von abiotischen Faktoren der Äcker (Böden, Feuchte usw.) und den agrarischen Bewirtschaftungsfaktoren geprägt wird. Einzelne Unterschiede sind auch auf Datenlücken bei den Tagfaltern zurückzuführen. Flora und Vegetation Die als Hotspots (Diversitätsklassen 7-9) definierten Quadranten umfassen 14,1% aller Quadranten von Österreich; die beiden obersten Diversitätsklassen („HottestHotspots“) umfassen 6,0%. Es ist insbesondere auffällig, dass die Biodiversitäts-Hotspots schwerpunktmäßig in der pannonischen Region Ostösterreichs auftreten, während in Westösterreich nur vereinzelt Hotspots vorhanden sind. Dies liegt in einem allgemeinen Biodiversitätsgefälle von Osten nach Westen begründet. Das pannonische Ostösterreich ist so artenreich, dass der Westen in einer Gesamtanalyse vergleichsweise unterbewertet wird. Österreich besitzt in der Europäischen Union daher auch eine besondere Verantwortung für den Erhalt der pannonischen Arten und Lebensräume. Ingesamt unterstreicht dieses Ergebnis die konsequente Anwendung des oft formulierten Regionalitätsaspekts bei der Risikoabschätzung von GVO (TRAXLER et al. 2000, 2001, TRAXLER 2002). Die Risikobewertung eines GVO hängt stark von der biogeografischen Region ab, da auch die Tier- und Pflanzengemeinschaften unterschiedlich regional verbreitet sind. Nach naturschutzfachlichen Bewertungskriterien besitzt die pannonische Region in Ostösterreich hinsichtlich der Segetalarten das höchste „regionale Grundrisiko“. Eine lediglich übersichtsartige Risikoabschätzung eines GVO über das Gesamtgebiet aller Mitgliedstaaten der EU wird dem Regionalitätsprinzip nicht gerecht. Das Regionalitätsprinzip ist auch in der Leitlinie zu Annex II der Richtlinie 2001/18/EG (Europäische Kommission 2002) verankert: „Die UVP erfasst im Einzelfall den/die jeweiligen GVO (Bewertung jedes vorkommenden GVO) sowie die Umwelt(en), in die der GVO freigesetzt werden soll (beispielsweise Bewertung der einzelnen Freisetzungsorte und gegebenenfalls der einzelnen Freisetzungsregionen)“. Den Berechnungen der Biodiversitätsindizes liegen 72.189 Artdatensätze (aus 3.423 pflanzensoziologische Vegetationsaufnahmen) und ca. 1.950.000 Fundortseinträge (insg. 4.600 Arten) aus der „Floristischen Kartierung Österreichs“ zugrunde. Es handelt sich daher um eine sehr solide Datengrundlage, welche das ganze Bundesgebiet von Österreich abdeckt. Nach Expertenüberprüfung der -3- Projektsdatenbank wurden keine nennenswerten Datenlücken festgestellt. Die standardisiert berechneten Biodiversitäts-Hotspots wurden ebenfalls mittels Expertenüberprüfung auf etwaige datenbedingte Fehlerquellen evaluiert. Dabei konnten lediglich an 2 Punkten datenbedingte Artefakte identifiziert werden. Anhand einer Reihe von ergänzenden Detailanalysen konnte die Plausibilität der HotspotVerteilung mehrfach schlüssig nachgewiesen werden. Die Berechnung der Diversitätsindizes war nur eine von vielen möglichen Analysen, welche anhand der vorhandenen Daten durchgeführt wurde. Die Studie umfasst jedoch nicht nur die Datenbankerstellung und die Ausweisung von Biodiversitäts-Hotspots, sondern stellt zugleich eine umfangreiche naturschutzfachliche Expertise zur Verbreitung und Gefährdung der Segetalflora und -vegetation dar. Diese Themenbereiche wurden anhand der verfügbaren Daten abgehandelt. In der Studie wurde eine Analyse des Artenrückgangs der Segetalvegetation für einzelne Bundesländer durchgeführt. Auch innerhalb der letzten Jahrzehnte kam es zu einem stetigen Rückgang der Artendiversität und der Rote-Liste-Arten. Diese Analysen zeigen die dramatische Gefährdungssituation und den Artenrückgang der Segetalvegetation auf. Vergleicht man in der Roten Liste der gefährdeten Biotoptypen Österreichs (TRAXLER et al. 2005; siehe S170 & S 179) die Biotoptypengruppe „Äcker, Ackerraine, Weingärten und Ruderalfluren“ mit der Gruppe der „Moore, Sümpfe und Quellfluren“, so ergibt sich für beide Hauptgruppen eine fast idente Gefährdungsbilanzierung. Während die besorgniserregende Gefährdungssituation von Moorlebensräumen allgemein bekannt ist, führen die Agrarbiotope ein stiefmütterliches Dasein. Ein Großteil der Moorlebensräume wird durch den landesweiten Naturschutz z.B. in Schutzgebieten oder mittels freiwilligem Vertragsnaturschutz erfasst. Agrarlebensräume sind bisher nur in sehr geringem Ausmaß naturschutzrechtlich geschützt. Weitere Analysen wurden mittels ökologischer Zeigerwertgruppen zur Segetalflora durchgeführt. Es konnte nachgewiesen werden, dass in der österreichischen Segetalflora die Artenzahl von Wärme- und Magerkeitszeigern gute Indikatoreigenschaften für artenreiche Segetalfuren (Biodiversitäts-Hotspots) besitzt. In der Bearbeitung wurde sowohl die Rote Liste Biotoptypen (TRAXLER et al. 2005) berücksichtigt, als auch eine pflanzensoziologische Analyse des gesamten Aufnahmematerials durchgeführt. Tagfalter Für die Bearbeitung der Tagfalter standen 24.300 Datensätze auf Basis der 3x5 Minuten-Quadranten zur Verfügung. Von den insgesamt in Österreich nachgewiesenen 215 Tagfalterarten kommen in der Agrarlandschaft 152 Tagschmetterlingsarten vor. Diese Arten kommen somit im Wirkbereich von GVO der Agrarlandschaft vor (z.B. von Pollen des transgenen Bt-4- Mais) und sind potenziell betroffen. Die Risikohypothesen der Effekte von GVO auf Tagfalter anhand der aktuellen wissenschaftlichen Literatur sind in der Studie in Kapitel 5.6 aufgearbeitet. Zusätzlich zur Analyse der Biodiversitäts-Hotspots wurde für das hypothetische Fallbeispiel von Bt-Mais eine Risikoabschätzung aufgrund der Parameter „Pollenflugzeit von Mais“ und „Larvenstadien der Tagfalter“ berechnet. Als Ergebnis liegt für Österreich eine Risikokarte vor, die aufzeigt, in welchen Quadranten das Risiko für erhebliche negative Effekte am höchsten ist (Abbildung 28). -5-