bücher der gegenwart - Christ in der Gegenwart

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BÜCHER DER GEGENWART
HERBST 2009
Von Magnus Striet
A
ls apologetische Disziplin wurde die
Fundamentaltheologie nicht zuletzt
durch die konfessionellen Auseinandersetzungen des 16. Jahrhunderts geprägt. Die Wahrheit des Glaubens, wie sie
das römische, katholische Lehramt verkündete, sollte gegen die abweichlerische Provokation der Reformation verteidigt werden.
Inzwischen hat sich der Horizont der Fundamentaltheologie völlig verändert. Sie
musste und muss sich den Verunsicherungen stellen, die der Glaube durch die
Wissensrevolutionen seit mindestens dreihundert Jahren durchlebt. Im Gespräch mit
den jeweiligen „Wissensproduzenten“ und
den gesellschaftlich-kulturellen Erfahrungen
erschließt die Fundamentaltheologie stets
neu die Bedeutung und die Möglichkeit des
Glaubens an den Gott Jesu Christi.
Das klingt leicht, ist es aber nicht. Denn
angesichts der rasant sich verkürzenden
Halbwertszeit von Wissen und angesichts
der enormen Geschwindigkeit, mit der sich
moderne Erfahrungswelten entwickeln, ist
immer schwieriger zu bestimmen, was der
Glaube bedeutet und wie er auch heute
noch begründet gelebt werden kann. Man
kann auch sagen: Fundamentaltheologisches Arbeiten unterliegt selbst einer
enormen Dynamik. Angesichts der Brüchigkeit vermeintlich fester Traditionen
und dessen, was einmal für ewig gültig
betrachtet wurde, ist gesellschaftlich das
Bedürfnis nach Sicherheit wahrzunehmen.
Vielleicht lassen sich auch Fundamentaltheologien in Form von Handbüchern als
Indiz für dieses Bedürfnis lesen.
Tradition, Innovation und Brüche
Das vorliegende Lehrbuch des Eichstätter
Fundamentaltheologen Christoph Böttigheimer erschließt nicht nur den gegenwärtigen Stand dieser Disziplin; vielmehr
ergreift der Autor auch immer wieder
pointiert Position. Dies ist gut so. Denn
man kann sich in dem täuschen, was man
für vernunftkonform und deshalb im
Glauben für zustimmungsfähig hält.
Riskiert man dies allerdings erst gar nicht,
bleibt alles im Ungefähren. Böttigheimer
spitzt zu. Gegen die Tradition verstößt,
wer meint, diese einfach konservieren zu
können. „Die Aktualisierung kirchlicher
Definitionen“ berge „nicht nur konservative, sondern innovative Elemente in sich“,
betont der Verfasser. Und die Konsequenz:
„Immer wieder treten neue beziehungsweise vergessene Züge der christlichen
Heilsbotschaft in den Vordergrund, weshalb der Glaubensinhalt unbegrenzt offen
ist und damit zukunftsfähig bleibt (Joh
16,12 f)“. Dieses Handbuch zeigt sich damit insofern traditionsverpflichtet, als es
die Tradition als Reflexionsquelle ins Spiel
bringt und sie in ein lebendiges Gespräch
mit der Gegenwart verwickelt. Das heißt
dann auch, dass Brüche in der Glaubensüberlieferung markiert werden. In der Erlösungslehre etwa verortet sich Böttigheimer als klarer Verfechter einer Position,
der zufolge Gott kein Opfer am Kreuz
brauchte, um sich mit der Menschheit
versöhnen zu können. Jesu Tod sei nicht
Den Glauben denken
Was ist Fundamentaltheologie, worin besteht ihre
Aufgabe? Von seinen ersten Anfängen an hat der
Glaube sich seiner Gründe zu vergewissern versucht,
und nichts anderes unternimmt die Fundamentaltheologie als Disziplin bis heute.
das Ziel, sondern die Konsequenz seines
Lebens. In dieser Lebenshingabe gehe es
darum, „durch die Ohnmacht der Liebe
die Macht der Sünde zu brechen und die
Entfremdungswirklichkeit der Welt aufzuheben“.
Offenbarung – Autonomie
Der Grundsatz Karl Rahners, dass jede
theologische Aussage immer auch eine
Aussage über den Menschen zu sein habe
und umgekehrt, läuft wie selbstverständlich
in allen Gedankengängen dieser Fundamentaltheologie mit. Wenn auch durch
Gott selbst auf ihn hin eröffnet, wie Böttigheimer im Anschluss an Rahner argumentiert, bleibt der Mensch dennoch auf eine
geschichtliche Offenbarung verwiesen:
Gott „muss sich offenbaren, soll er vom
Menschen erkannt werden“. Zwar greift der
Mensch immer bereits auf Gott aus, aber
erst von der Geschichte her wird Gott bestimmbar. Von daher erschließt der Autor
den Kern christlichen Glaubens, die Aussagen über Gott und seinen auf den Menschen bezogenen Willen strikt geschichtlich. Deshalb ist Theologie auf die Kirche
als Überlieferungsgestalt dieses Glaubens
verwiesen. Denn zugänglich wird er nur
über seine geschichtlichen Vermittlungsgestalten.
Gleichzeitig betont Böttigheimer die
Freiheit des Glaubensakts. Allerdings nicht
nur als formale Zustimmung, sondern auch
als inhaltliche Aneignung. So erklärt sich,
warum der faktisch gelebte Glaube notwendig plural ist und es fast schon zwangsläufig zu Spannungen zwischen den Instanzen kommt, die den Glauben bezeugen.
Vor diesem Hintergrund plädiert Böttigheimer entschieden dafür, den ökumenischen Kurs beizubehalten und das in der
Westökumene so erfolgreich gewordene
Modell des zu suchenden „differenzierten
Konsenses“ auch weiterhin zu verfolgen.
Man muss demnach nicht in allem der gleichen Ansicht sein, um sich in Grundlegendem verständigen zu können. Auch
läuft dies noch lange nicht auf einen Relativismus hinaus, sondern es ist schlichtweg
der Geschichtlichkeit der menschlichen
Existenz wie des Glaubens geschuldet. Dass
solche Entschiedenheit nicht allen gefällt,
darf nicht verwundern.
EDITORIAL
Kultur nicht ohne Religion
M
ehr Bildung – das wurde schlagwortartig, jedoch inhaltsleer im
letzten Bundestagswahlkampf immer
wieder angemahnt. Als große republikanische Schicksalsfrage kam Kultur allerdings nicht vor. Die Kultusministerien
auf Bundesländerebene erwecken den
Eindruck, als handele es sich dabei vornehmlich um provinzielle Angelegenheiten. Doch die Zukunft der Bundesrepublik besteht keineswegs nur aus Geld,
Geld und nochmals Geld. Vielmehr geht
es darum, weite geistige Horizonte politisch wiederzugewinnen für eine echte
Bürgergesellschaft. Im aktuellen Pluralismus unzähliger Unterhaltungs-Subkulturen, die so tun, als seien sie Hauptkultur, ist dringend herauszufinden, was
unsere wirkliche Leitkultur sein kann
und soll.
Die jüngsten erschreckenden Zahlen
über Kirchenaustritte haben deutlich
gemacht, dass in diesem Staatswesen
bereits über ein Drittel der Bevölkerung
mit dem Christentum nichts mehr zu tun
haben will oder zu tun hat. Das sind
harte Fakten. Kultur also ohne den Kern
von Kultur – Religion? Das wird auf
Dauer nicht gutgehen, wie alle politischen Experimente zeigen, die den
Glauben aus dem öffentlichen Leben
verbannt haben und atheistisch in Despotie endeten. Zwanzig Jahre nach der
Wende kann nicht energisch genug an
die Perversionen der Regime mit verordneter Gottlosigkeit erinnert werden.
Wann also wird man in freien Gesellschaften endlich neu begreifen lernen,
was man am Gottesglauben ebenso als
humanistischen Mehrwert gewonnen
hat? Wann wird man auf breiter Ebene
politisch – parlamentarisch wie ministeriell – wieder wach für die kulturelle
Kern-Kraft der Religion, für das, was
nicht nur den einzelnen Glaubenden
privat, sondern ebenso einen ganzen
Staat öffentlich unbedingt angeht? Die
Bücher dieser CIG-Sonderseiten sind
Dokumente einer Geistesbewegung, die
Substanz bewegt.
rö.
Vermutlich wird Böttigheimers Fundamentaltheologie Diskussionsbedarf erzeugen. Um es im Bild zu sagen: Einer nochmaligen Anschärfung Rahners durch den
strikten Autonomieverfechter Kant begegnet Böttigheimer mit Skepsis. Damit grenzt
er sich von Optionen ab, die seit den neunziger Jahren zumindest den fundamentaltheologischen Diskurs des deutschsprachigen Raums geprägt haben. Seine Skepsis
richtet sich gegen einen allzu starken Begriff von menschlicher Autonomie. Meines
Erachtens sind diesbezüglich die Debatten
allerdings noch zu führen. Denn ob das
Plädoyer für eine starke Autonomie im
Blick auf den Glaubensakt tatsächlich die
Endlichkeit und radikale Begrenztheit
menschlicher Freiheit unterschätzt, ob es
die Dimension der Intersubjektivität als des
gegenseitigen Aufeinander-Bezogenseins
der Menschen und das Dunkel der Freiheit,
ihre abgründige Möglichkeit zur Bosheit,
vernachlässigt, ist anzuzweifeln. Zwar gibt
es diese gnadenlose Egozentrik des Ich. Wer
wollte dies ernsthaft bestreiten angesichts
der geschichtlichen Realitäten? Aber ließen
sich die Ziele Böttigheimers nicht mit einem
Begriff von Autonomie versöhnen, der die
Endlichkeit des Menschen, seine Unsicherheiten und Begrenzungen radikal anerkennt? Und der dennoch betont, dass der
Mensch sich in seiner Freiheit selbst Gesetz
ist und dass er um seiner Menschlichkeit
willen aus dieser Freiheit heraus die Würde
einer jeden menschlichen Person so entschieden achten soll und kann, wie er es
sich bezogen auf sich selbst wünscht?
Zum Studieren
Nur ein Bruchteil der von Christoph
Böttigheimer behandelten Themen der
Fundamentaltheologie kann hier angesprochen werden, und – so ist der Mensch –
dann auch nur in einer subjektiv eingefärbten Weise. Insgesamt ist dieses
Lehrbuch ausgesprochen lesefreundlich
gestaltet. Die einzelnen Teile lassen sich
auch separat studieren, zum Beispiel zum
Selbstverständnis des Faches und zu seinen wissenschaftstheoretischen Grundlagen, zu den Prinzipien fundamentaltheologischen Denkens, zum Phänomen
der Religion, zur Religionskritik und zum
Atheismus, zum Offenbarungsdenken,
zum Verhältnis von Christentum und
Weltreligionen, zum Kirchenverständnis usw. Als Handbuch eignet es sich deshalb in der Tat bestens.
Vor allem aber seien dem Buch deshalb
von Herzen viele theologisch interessierte
Leserinnen und Leser gewünscht, weil es
zum Selberdenken einlädt. Denn wie sollte
die berühmte Frage des Psalmisten „Was ist
der Mensch, dass du seiner gedenkst?“
noch faszinieren, wenn der Mensch nicht
mehr denkt, den Gedanken nicht mehr
ausschweifen lässt in die Abgründe des
Denkens und des Glaubens? Dazu regt
diese Fundamentaltheologie an.
Christoph Böttigheimer
Lehrbuch der Fundamentaltheologie
Die Rationalität der Gottes-, Offenbarungsund Kirchenfrage (Verlag Herder, Freiburg
2009, 736 S., 58 €).
466 Glaubensleben
Nr. 42 / 2009 BÜCHER CIG
Beten
Seelen-Werkstatt: Hans Küngs Trostbuch
Worüber man nicht reden kann,
darüber muss man keineswegs
schweigen. Hans Küngs anrührendes Zeugnis eines großen
Theologen- und Christenlebens.
N
icht nur als Gelehrter, sondern auch als
Priester, Mann Gottes und Freund Jesu
Christi gibt Hans Küng Rechenschaft von
dem, was nur schwer sagbar ist – von dem,
was er liebt, hofft, glaubt. Das geschieht
nicht losgelöst von dem, was er in jahrzehntelanger, den Glauben bereichernder wissenschaftlicher Kleinarbeit durchdacht,
durchkämpft, auch durchlitten hat.
Der Autor nimmt den Leser an der
Hand mit auf eine Reise, die zunächst in
einfacher Weise sich dem anzunähern versucht, was das Menschliche des Menschen
ausmacht. Hier schon wird die Stärke einer
„natürlichen“ Theologie sichtbar, die Antennen für Gott ausfahren kann, ohne Gott
herbeizwingen zu müssen, die zur transzendenten Erkenntnis befähigt, weil sie
das Immanente liebt. Nicht das Unsichtbare
ist für Küng das eigentliche und erste Wunder, sondern das Sichtbare. Entsprechend
spannt er einen weiten Bogen von den UrErfahrungen menschlichen Grundvertrauens über die Lebensfreude, kleine und
große Lebenssinngebungen bis hin zu einer
vernünftig begründeten letzten Wirklichkeit. Der Verfasser lässt nichts Wesentliches
aus, nicht die Wissenschaft und nicht die
Kunst, nicht die anderen Religionen und
nicht das Leid, nicht die Macht der Macht
und nicht die Macht der Liebe, der Sexualität, der innersten menschlichen Regungen.
So kann man in die seelische Werkstatt
von Küngs Schaffen blicken, in eine Weltund Gottesfrömmigkeit, die für andere
universale Tragkraft entfaltet, weil sie selber universal ausgerichtet ist. Was wahrhaft
katholisch ist, wird hier auch spirituell
deutlich in einer Weise, die uns ahnen lässt,
warum der Provinzialismus alter oder
neuer Konfessionalismen zum Untergang
verurteilt ist – und damit auch ein Traditionalismus, der nicht begreifen will, dass der
christliche Glaube zeit- und weltbewegend
ist, weil er sich selber von Zeit und Welt be-
wegen lässt, von der Geschichte Gottes in
der Geschichte jedweder Existenz.
Dieses Buch menschlichen Vertrauens
ist ein Trostbuch des Gottvertrauens. Vor
allem auch für jene, die gegen die Verzweiflung angesichts bleierner neo-restaurativer
Tendenzen in der Kirche weiter im Geist
jener Freiheit, Redlichkeit und Wahrhaftigkeit atmen möchten, die Christus vorgelebt
hat und in der das Christsein befreiend, das
Katholischsein hell wird: „Wir ver-enden
nicht, weder als Einzelwesen im Tod noch
als Menschengeschlecht in einem Weltuntergang, sondern werden voll-endet, so
hoffen wir, in der Vollendung … Denn
wenn der Gott, der existiert, wahrhaft Gott
ist, dann ist er nicht nur Gott für mich hier
und heute, sondern Gott auch am Ende, am
Ende meines Lebens und am Ende der
Welt. Wenn Alpha, dann auch Omega.
Oder wie es in der Liturgie heißt: Gott von
Ewigkeit zu Ewigkeit.“
Johannes Röser
Hans Küng
Was ich glaube
(Piper Verlag, München 2009, 319 S., 18,95 €).
Alter und neuer Modernismusstreit
I
m 19. Jahrhundert nahm das kirchliche
Lehramt unter den Päpsten Gregor XVI.
(1831–1846) und Pius IX. (1846–1878)
eine rigorose Abwehrhaltung gegenüber
neuzeitlichen Entwicklungen ein. Die
Wende zum Subjekt, die historisch-kritische Forschung, aber auch der politische
Liberalismus wurden unter Verdacht gestellt. Nicht wenige Theologen und Philosophen, welche die Selbst-Gettoisierung
des Katholizismus überwinden wollten und
eine behutsame Aussöhnung zwischen Kir-
che und Moderne anstrebten, wurden lehramtlich verurteilt, ihrer Ämter enthoben
und exkommuniziert. Unter Pius X. (1903–
1914) erreichten die antimodernistischen
Maßnahmen ihren Höhepunkt.
Peter Neuner hat die bis in die Mitte des
20. Jahrhunderts reichende Geschichte des
Streits um den katholischen Modernismus
kundig und gut lesbar nachgezeichnet. Er
liefert Hintergrundinformationen zur Kontroverse um die Piusbruderschaft. Wer den
Streit der traditionalistischen Nachhut bes-
ser verstehen will, wird Neuners Buch
dankbar zur Hand nehmen, dem im Übrigen eine instruktive Dokumentation ausgewählter Texte von „modernistischen“
Autoren, aber auch lehramtlicher Stellungnahmen beigegeben ist. Jan-Heiner Tück
Peter Neuner
Der Streit um den katholischen
Modernismus
(Verlag der Weltreligionen, Frankfurt am
Main 2009, 437 S., 19,80 €).
Art sacré – von Matisse bis Le Corbusier
D
as Buch „L’ Art Sacré – Liturgische
Räume“ ist aus einer Fotoausstellung
in Braunschweig und Hildesheim hervorgegangen. Behandelt werden in kenntnisreichen Texten und ausgezeichneten Farbaufnahmen sieben Kirchen: Plateau d’ Ássy
(1950), Les Bréseux, Audincourt, Vence,
Ronchamp, La Tourette in Eveux und Firminy Vert (vollendet 2006) und damit
Werke von Henri Matisse, Marc Chagall,
Georges Rouault, Alfred Manessier,
Fernand Leger, Germaine Richier, Jean Ba-
zaine und die drei Kirchen von Le Corbusier. Sie alle verdanken ihre Existenz der
Anregung der beiden Dominikaner MarieAlain Couturier und Pie Regamey.
Diese wollten nicht nur die kirchliche
Kunst erneuern, sondern die Kirche durch
die Kunst, den Geist der Gegenwart. Der
Nuntius in Paris, der dieses leidenschaftliche Ringen aus der Nähe erlebt hat, Angelo
Roncalli, hatte als Papst Johannes XXIII. im
Zweiten Vatikanischen Konzil die Kirche
für die Gegenwart geöffnet. Darum gehören
die hier vorgestellten Bauten und Werke
nicht nur in eine Geschichte der Kunst, sondern der Weltkirche. Den Herausgebern,
Autoren und dem Verlag ist für ein heute
wichtiges Buch zu danken.
Peter Steiner
Michael Brandt, Walter Zahner (Hg.)
L ’ Art Sacré – Liturgische Räume
Mit Beiträgen von Hartwig Bischof und
Johannes Zahlten. Fotografien von Manfred
Zimmermann (Verlag Schnell & Steiner,
Regensburg 2009, 111 S., 24,90 €).
Die Beschleunigungsfalle
W
eshalb entkommen wir trotz aller
Hilfsmittel zum Zeitsparen, zur besseren Organisation und Planung dennoch
nicht der „Beschleunigungsfalle“? Das
Grundproblem liegt nach Auffassung von
Martin Spaeth darin, „dass das Vertrauen
auf Gott und das von ihm geschenkte Heil
immer mehr schwindet. So versuchen wir,
unser Glück und unser Heil selbst zu schaffen – durch grenzenlosen Aktivismus.“
Der kleine Band bietet einen kurzen
Überblick über die geschichtliche Entwicklung von Zeitdarstellungen, Zeitmessung
und Zeitempfinden, immer auch im Hinblick auf die Zeitwahrnehmung innerhalb
der christlichen Religion. Über die Theorie,
dass gerade der christliche Mensch im
Spannungsfeld des „Schon, aber noch
nicht“ anfällig ist für Zeit-Krankheiten,
führt uns der Verfasser zu einem Plädoyer
für ein Leben zwischen Aktivismus und
Nichtstun, für ein „Leben in gelassener
Verantwortung“.
Christina Herzog
Martin Spaeth
Wie schnell müssen wir leben?
Plädoyer wider die gnadenlose Beschleunigung (Matthias-Grünewald-Verlag der
Schwabenverlag AG, Ostfildern 2009,
160 S., 16,90 €).
W
ortgewaltig hat Christine Eichel ihre
„Bekenntnisse“ zu Papier gebracht.
Die Autorin aus der Medienbranche erzählt
ihre Geschichte: vom Anfang in einem
evangelischen Pfarrhaus über beinahe zwei
Jahrzehnte der Abgrenzung zurück zur altvertrauten Glaubenspraxis des Betens. Der
journalistische Stil, in dem dieser Weg ins
Wort gebracht ist, erscheint wohltuend, da
eher die Ausnahme in dieser Literatursparte, und irritierend zugleich. Die
Sprachfertigkeit weckt Leselust, doch die
gleichbleibend enthusiastische Darstellung
sämtlicher Lebensetappen lässt die Umwege nicht leicht mitgehen.
Die späte – schwere – Geburt des
Wunschkindes und eine tiefe Ehekrise „helfen“ einen fast vergessenen Schatz zu heben:
das Gebet. Dankbarkeit, Demut, Gnade,
Nächstenliebe, Eigentlichkeit, Gelassenheit,
Wahrhaftigkeit werden zu Schlüsselerlebnissen. Dass das Gebet Gott ins Leben
bringt, erscheint in den sonst sehr ausführlichen Beschreibungen und Bewertungen
von Zeitgeistern, gesellschaftspolitischen
Epochen, Milieus, Lebenskulturen, von
Amtskirche und Theologie allerdings eher
als Randnotiz.
Vera Krause
Christine Eichel
Warum ich wieder bete
Das Ende des Zynismus (Gütersloher
Verlagshaus, Gütersloh 2009, 192 S., 17,95 €).
Glück
G
lück war in den meisten Zeiten und
Kulturen eine Luxusfrage für die „oberen Zehntausend“. Heute beschäftigt es fast
jeden Menschen. Der „Spiegel“-Autor
Mathias Schreiber sichtet die überbordende
Vielfalt von Büchern zum Thema und kommentiert sie. Gleichzeitig bietet er ein farbenfrohes, belesenes Kaleidoskop über das
Glück in verschiedenen Kulturen, Epochen,
weltanschaulichen Richtungen, Lebenslagen oder in Kunst und Literatur. Schreibers
Stil ist lebendig, oft geistvoll. Dazu schreibt
er – ungewöhnlich für einen „Spiegel“-Journalisten – erstaunlich warmherzig über die
so menschliche Suche nach Glück und bekennt sich auch selbst dazu. Dennoch neigt
er in seinem Buch immer wieder zu einer
etwas selbstgefällig wirkenden kritischen
Distanz. So manches Buch scheint er nicht
bis zum Ende gelesen zu haben, etwa wenn
er dem renommierten Klassiker „Flow“ von
Mihaly Csikszentmihaly unterstellt, nur
nach simplen Glücksmomenten unabhängig von Moral und Sinn zu suchen.
„Das Gold in der Seele“ ist kein Rezeptbuch. Dafür ist es ein bereicherndes, manchmal motivierendes Panorama. Ein grundsätzliches Problem allerdings kann auch
dieses Buch nicht aushebeln: Das Glücksareal im Gehirn wird nun einmal nur selten
durch Denken stimuliert, vielmehr durch
wirkliches inneres Einlassen und emotionales Erleben.
Elena A. Griepentrog
Mathias Schreiber
Das Gold in der Seele
Die Lehren vom Glück (Deutsche VerlagsAnstalt, München 2009, 256 S., 19,95 €).
CIG BÜCHER Nr. 42 / 2009
Gesellschaft 467
Säkular und religiös
D
er kanadische Philosoph Charles Taylor hat den amerikanischen Kommunitarismus mitbegründet. Dieser wendet
sich gegen den exzessiven Individualismus
unserer Gesellschaft. Der Trend zur Selbstverwirklichung sei eines der Hauptübel unserer Epoche. Die damit verbundene Gier
führe zur Schwächung der sozialen Verantwortung. So ist der Kommunitarismus eine
grundsätzliche Kritik am Kapitalismus und
am überbordenden Liberalismus – und das
lange vor den Krisen der Gegenwart. Dass
Taylor der katholischen Philosophie und
Theologie nahesteht, ist unverkennbar.
In seinem neuen Werk will Taylor „die
Geschichte dessen erzählen, was man normalerweise die Säkularisierung des Abendlandes nennt“. Er holt dazu weit aus, so dass
man zu seinem gründlichen Studium einen
langen Atem braucht. Aber die Mühe lohnt
sich, denn man erfährt innerhalb eines
grandiosen Konzepts viele Details über die
europäische Geschichte der Säkularisierung, die Taylor um 1500 im christlichen
Abendland beginnen lässt, als der christliche Gottesglaube noch eine Selbstverständlichkeit war, während er in der Gegenwart
zu einer Wahlmöglichkeit unter vielen geworden ist.
Dabei beschreibt Taylor nicht nur, sondern versucht als Philosoph zu verstehen,
wie es kam, dass sich große Bereiche der
Gesellschaft schrittweise von der Religion
lösten und sie selbst geradezu als „Opium
des Volkes“ erscheinen konnte. Dazu werden die verschiedenen Definitionen und
Entwicklungsstadien des Säkularisierungsprozesses analysiert und diskutiert.
Unübersehbar sind Auswirkungen besonders in den Naturwissenschaften, in
Philosophie, Kunst, Rechts- und Staatslehre. Taylor glaubt nicht, dass die modernen Wissenschaften den religiösen Glauben widerlegt und verdrängt haben. Er
betont, dass man Säkularisierung missverstehe, wenn man sie als Sieg der Wissenschaften und der Vernunft über den Glauben deute. So sei Darwins Lehre keine
Widerlegung der Religion. Nebenbei wird
der neue Atheismus (Dawkins und andere)
zu Recht als intellektuell anspruchslos und
fundamentalistisch kritisiert. Unhaltbar ist
für Taylor auch die Ansicht, die Säkularisierung habe einfach die Religion „subtrahiert“, um zum eigentlich Humanen zu
kommen. Stattdessen ist für ihn Religion
ein zentrales Element unserer Zeit und gerade mit ihrer Option für die Armen wichtiger denn je.
Wichtige Ergebnisse der Untersuchung
liegen – holzschnittartig vereinfacht – in
zwei Aussagen. Erstens: In unserer Gesellschaft, die zugleich säkular und religiös ist,
gibt es Glaube und Unglaube als unterschiedliche Optionen des Lebens. Zweitens:
Die Säkularisierung ist nicht einfach nur
gegen das Christentum entstanden, sondern aus ihm selbst erwachsen, weil es mit
seiner Bejahung von Diesseits, Vernunft
und Wissenschaft darauf zielt.
Wenn man einwendet, beide Einsichten
seien so ganz neu nicht, darf man nicht
übersehen, dass sie hier in einem großen
Wurf mit vielen erfahrungswissenschaftlichen Perspektiven, Argumenten, philosophischen Reflexionen und lebendigen, auch
religiösen Erfahrungen neu begründet werden. Darum hat Taylor hier ein epochales
Werk geschaffen, das zum Verständnis unserer Zeit unverzichtbar ist. Werner Trutwin
Charles Taylor
Ein säkulares Zeitalter
(Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009,
1298 S., 68 €).
Heines Kampf
auf der Matratzengruft
E
in beliebter Gemeinplatz der Religionskritik stellt den Glauben als eine Form
von Demenz hin – besonders dann, wenn
jemand, der schon einmal das angeblich
„fortgeschrittene Bewusstsein“ des Atheisten „erreicht“ hatte, wieder in den Gottesglauben „zurückfällt“. Heinrich Heines
Rückkehr zum Gottesglauben jüdischer
Tradition in seinen letzten Lebensjahren
hatte allerdings nichts von Ermattung oder
Demenz: Er vollzog sich in höchster geistiger Klarheit, ohne Verlust an Verstandesschärfe und Witz. Das ist umso erstaunlicher, als sich sein Ringen mit Gott auf dem
Kampfplatz eines achtjährigen, leidvollen
Krankenlagers abspielte, der von ihm selbst
so bezeichneten „Matratzengruft“.
Karl Josef Kuschel stellt Heines „Kampf
mit Gott“ im Zusammenhang mit der geistigen Entwicklung seines Lebens kundig
und detailreich dar. Das Buch ist die gestraffte und um einen Großteil des wissenschaftlichen Apparats gekürzte Fassung des
Werkes „Gottes grausamer Spaß. Heinrich
Heines Leben mit der Katastrophe“ (2002),
gewissermaßen eine „Volksausgabe“. Geblieben sind die zahlreichen biografischen
und poetischen Originaltexte Heines und
seiner Zeitgenossen. Sie werden vom Autor
sorgfältig erschlossen und spannungsvoll
gedeutet als Ausdruck eines bis heute eindrucksvollen und erhellenden Ringens mit
dem Gottesglauben, als Weise der Selbstbehauptung Heines in der Form von Auflehnung und Klage.
Josef Epping
Karl-Josef Kuschel
Der Kampf mit Gott: Heinrich Heine
(Patmos Verlag, Düsseldorf 2009, 192 S.,
16,90 €).
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Die Frage, ob unser Zeitalter eher
durch Säkularisation oder Rückkehr der Religion bestimmt ist, hat
in den letzten Jahren bei Philosophen und Soziologen, weniger
bei Theologen, große Aufmerksamkeit gefunden.
468 Kirche
Von Sabine Pemsel-Maier
W
ohin geht die Kirche? Wohin steuert
insbesondere die katholische Glaubensgemeinschaft? Diese Fragen stellen sich
vielen Christen angesichts massiv schwindender Mitgliederzahlen. Sparzwang, Priestermangel, Zusammenlegung von Pfarreien zu immer größeren organisatorischen
Einheiten, rückläufige Nachfrage nach Sakramenten, sinkender Einfluss der Kirche
in einer pluralistischen Gesellschaft, mangelnde Akzeptanz ihrer Wertvorstellungen,
interne Konflikte und Auseinandersetzungen mit traditionalistischen Gruppierungen sind Alarmzeichen. Aber es gibt
eben auch eine reiche theologische und
seelsorgliche Kompetenz von Männern
und Frauen, vielfältiges ehrenamtliches Engagement, religiös-geistliche Bewegung. In
dieser Umbruchphase sucht eine Reihe von
aktuellen Publikationen nach Antworten.
Am Anfang steht eine Inventur: Reichhaltiges Datenmaterial, fundierte Recherchen und eine brillante Zustandsanalyse
der Situation der katholischen Kirche in
Deutschland bietet Matthias Drobinski (1)
mit seinem „Versuch über das katholische
Deutschland“, nunmehr in dritter Auflage
aktualisiert. Der Autor macht aufmerksam
auf den Zusammenhang zwischen den Eigenheiten der deutschen Kirche und ihren
historischen Voraussetzungen – Reformation, Nationalsozialismus, Zweiter Weltkrieg sowie theologische Erneuerung im
Zweiten Vatikanischen Konzil – bis hin zu
ihrer sozialen und politischen Sonderstellung im Staat-Kirche-Verhältnis, etwa
durch die Kirchensteuer. Drobinski zeigt
Symptome und Ursachen der Kirchenkrise
auf, benennt Defizite und fragwürdige Problemlösungen. Er charakterisiert die deutsche Kirche als „reich, etabliert, staatsverbunden, romkritisch, schwachbrüstig im
Glauben“, kennt aber auch ihre Stärken.
Eine Steilvorlage in Sachen Reformfreudigkeit geben die zwölf Essays des Wiener
Weihbischofs Helmut Krätzl (2). Er plädiert
für eine Neuerung im Geist des Zweiten Vatikanums. Eine „Kirche, die Zukunft hat“,
müsse zum Beispiel die Zugangsbedingungen zum geistlichen Amt öffnen und
Viri probati, bewährte – auch verheiratete –
Männer zu Priestern weihen, nach Scheidung die Wiederheirat im Sinne der Praxis
der Ostkirchen zulassen, die Bußpraxis
seelsorglich ausgestalten, das gemeinsame
Abendmahl denen gestatten, die bereits teilweise Kirchengemeinschaft leben, eine stärker pastorale und weniger juridische Gestalt
des Papsttums, eine Wiederbelebung alter
synodaler Strukturen und eine Stärkung der
Bischofskonferenzen bedenken.
Manche seiner Ideen sind originell, wie
die Überlegung, im Sündenverständnis
zwischen den lässlichen Sünden und den
Todsünden die „schweren Sünden“ als eigene Kategorie einzuführen. Die meisten
Vorschläge freilich sind nicht neu, werden
aber stets differenziert vorgebracht.
Auch der Schweizer Pastoraltheologe
Leo Karrer (3) knüpft ans Konzil an, nennt
Defizite und Unerledigtes, vor allem im Bereich der Kirchenstruktur, unzureichende
Rezeption, besonders was das Kollegialitätsprinzip und das Verhältnis von Orts- und
Universalkirche betrifft, aber auch die ungeheuren Chancen, die erwachsen sind und
noch erwachsen können: das Engagement
Nr. 42 / 2009 BÜCHER CIG
Zukunft der Kirche –
Kirche der Zukunft
Die Sorge über einen restaurativen Kurs der
katholischen Glaubensgemeinschaft bedrängt Laien
und Theologen. – Ein Literaturüberblick.
der Laien, die kirchliche Frauenbewegung,
spirituelle Aufbrüche, zahlreiche Berufungen, die Ausdifferenzierung kirchlicher
Dienste, nicht zuletzt die Ehrenämter. Karrer gibt Anstöße zu Strukturveränderungen.
Er fordert vor allem mehr synodale Gremien, die nicht nur Beratungs-, sondern
echte Mitbestimmungskompetenz haben,
ein Ende der Identifizierung von Kirche mit
Pfarrei und der Ausgestaltung von Pfarrverbünden sowie eine andere Rollenbestimmung des geistlichen Amtes. Mindestens
genauso wichtig ist ihm aber eine „Lebensbetreffnis-Pastoral“: dass Einzelne in ihrer
Situation begleitet werden, auch wenn die
Menschen individuell nur einen sporadischen Kontakt zur Kirche praktizieren.
Nagelprobe „Volk Gottes“
Beklagt Karrer unter anderem, dass die
rechtliche Organisationsform der Kirche
vorkonziliar geblieben sei, ist genau diesem
Thema die Untersuchung der Regensburger Kirchenrechtlerin Sabine Demel (4) gewidmet. Fachwissenschaftlich ausgerichtet,
mit ausführlichen Anmerkungen, Literaturbelegen und akribischer Detailarbeit,
schlägt sie dringend eine Neuordnung des
Kirchenrechts im Hinblick auf die Stellung
der Laien vor. Das Eingangskapitel bietet
eine theologische und rechtliche Grundlegung anhand der Volk-Gottes- und Communio-Theologie, also einer Theologie der
Gemeinschaft der Glaubenden. Dazu gehört die Wiederentdeckung des gemeinsamen Priestertums und des Glaubenssinns. Sabine Demel kommt zu dem
Schluss, dass das kirchliche Gesetzbuch die
Konzilstheologie allenfalls zum Teil aufgenommen hat und dass die Aussagen über
die prinzipielle Gleichheit der Glieder des
Volkes Gottes nur „in höchst unzureichender Weise in den rechtlichen Alltag
der Kirche hinein konkretisiert worden“
sind. Als „Nagelproben“ für eine „laienorientierte“ Kirche sieht die Autorin die gegenwärtigen Diskussionen um das kirchliche Vereinswesen, die Stellung des
Zentralkomitees der deutschen Katholiken,
die Eigenständigkeit beziehungsweise Abhängigkeit der Diözesanräte vom Bischof
sowie die kirchenamtliche Nichtanerkennung der Schwangerenberatungsorganisation Donum Vitae. Dabei benennt sie klar
ihre eigenen Erfahrungen wie Konflikte. Im
Einzelnen weist sie teils rechtliche Diskrepanzen zum Kirchenverständnis des
Konzils, teils Rechtsfehler im konkreten
Vorgehen nach und zeigt zugleich Veränderungs- und Entwicklungsmöglichkeiten
auf. Höchst bedenkenswert sind ihre Überlegungen zum Verhältnis von Kirchenrecht
und Theologie und zum Umgang mit dem
Recht in der Kirche. Die Zukunftsvision
der engagierten Theologin und Kirchenrechtlerin ist eine rechtliche „kopernikanische Wende“ mit konkret formulierten
Mitsprache- und Gestaltungsrechten, mit
synodalen Prozessen, mit der Beauftragung
von Laien zur Auslegung der Heiligen
Schrift in der sonntäglichen Predigt und
mit einer Öffnung der Ämter.
In der gegenwärtigen Finanznot sieht
der Wiener Pastoraltheologe Paul Zulehner
(5) die Chance für einen Umbau der Kirche. Nicht nur ein Mangel an Geld, sondern
LITERATURANGABEN
(1) Matthias Drobinski
Oh Gott, die Kirche
Versuch über das katholische Deutschland (Patmos Verlag, Düsseldorf 2008,
180 S., 14,90 €).
(2) Helmut Krätzl
Eine Kirche, die Zukunft hat
Zwölf Essays zu scheinbar unlösbaren
Kirchenproblemen (Styria Verlag,
Wien 2007, 200 S., 24,90 €).
(3) Leo Karrer
Weil es um den Menschen geht
Die Wunden der Kirche und ihre Heilung
(Paulusverlag, Fribourg 2009, 168 S.,
19 €).
(4) Sabine Demel
Zur Verantwortung berufen
Nagelproben des Laienapostolats. Reihe:
Quaestiones Disputatae, Bd. 230 (Verlag
Herder, Freiburg 2009, 397 S., 38 €).
(5) Paul Michael Zulehner
Kirche umbauen, nicht totsparen
(Verlagsgemeinschaft topos plus, Kevelaer
2009, 117 S., 7,90 €).
(6) Christian Hennecke (Hg.)
Kleine Christliche Gemeinschaften
verstehen
Ein Weg, Kirche mit den Menschen zu sein
(Echter, Würzburg 2009, 287 S., 19,90 €).
(7) Michael N. Ebertz,
Hans-Georg Hunstig (Hg.)
Hinaus ins Weite
Gehversuche einer milieusensiblen Kirche
(Echter, Würzburg 2008, 312 S., 16,80 €).
(8) Peter Hünermann (Hg.)
Exkommunikation oder
Kommunikation?
Der Weg der Kirche nach dem II. Vatikanum.
Reihe: Quaestiones disputatae, Bd. 236
(Herder, Freiburg 2009, 208 S., 24 €).
auch ein Mangel an Priestern und Christen,
die das Evangelium leben, wirft die Frage
nach ihrer Zukunftsfähigkeit auf. In bekannter eloquenter, bisweilen scharfzüngiger Manier erteilt er den vielfach praktizierten Strategien – Kompensierung des
Priestermangels durch ungeweihte Laien,
Wortgottesdienste und größere Seelsorgsräume, Ökonomisierung der Kirche nach
betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten,
Konzentration auf die Verkündigung des
Evangeliums und die Sakramente – eine
strikte Absage und bezeichnet sie als „finanzierbare Sterbehilfe einer verglühenden
Kirchengestalt“. Ausgehend von der Gottesund Menschennähe als „Kerngeschäft“ plädiert er für den Rückzug der Kirche dort,
wo die Gesellschaft wichtige Aufgaben
übernimmt oder übernehmen könnte, umgekehrt aber für die Erschließung neuer
pastoraler Räume dort, wo sie ausgleichend
und ergänzend wirken muss. Zulehner fordert eine neue Sozialgestalt von Kirche, was
an bekannte Vorschläge anknüpft: ehrenoder nebenamtliche Arbeiterpriester, die
Unterscheidung von mobilen Bistumspriestern und gemeindegebundenen Leutepriestern, veränderte Zulassung für den
Diakonat, Laien als Gemeindeleiter, Neuevangelisierung. Dabei schreckt er nicht
davor zurück, die Kirche aus der „ökonomistischen Knechtschaft durch die Kirchensteuer“ befreien zu wollen. Vieles, was
Zulehner fordert, zeugt von seiner visionären Kraft. Vieles bleibt aber plakativ.
Nur noch konservative Milieus?
Aus der Dritten Welt erwachsen – vorgestellt werden Beispiele aus Afrika, Lateinamerika, Asien und den USA – haben sich
die kleinen christlichen Gemeinschaften
auch bei uns beheimatet. Der vom Hildesheimer Regens Christian Hennecke (6) herausgegebene Sammelband dokumentiert
ein Symposium zu ihrem Kirchenverständnis, Schriftverständnis und ihrer Pastoral.
Die Gemeinschaften gründen ihr Verständnis von Kirche in ihrer konziliaren Bestimmung als Mysterium, Communio und Sakrament für das Kommen des Reiches
Gottes. Als kirchlicher Mikrokosmos verwirklichen sie Kirche vor Ort. Dem drohenden Rückzug kirchlichen Lebens als
Folge immer größerer Pfarrgemeinschaften
setzen sie personale Beziehungen, gegenseitige Hilfeleistung, soziale Diakonie und
nicht zuletzt ein reiches Angebot an Spiritualität, die sich wesentlich aus dem BibelTeilen und der geistlichen Schriftlesung
nährt, entgegen. Ein solcher Ansatz fordert
heraus, denn er stellt die derzeitige Tendenz
zu Seelsorge-Großräumen ebenso in Frage
wie gängige priesterliche Rollenbilder.
Die soziologische Sinus-Studie bemängelt eine Fixierung der Kirche auf eher traditionsorientierte konservativ-bürgerliche
Milieus, durch die sie den Kontakt zu moderneren Lebensstilen zu verlieren droht.
Ging es der Milieu-Studie selber in erster
Linie um eine Bestandserhebung, sucht die
aus dem Kreis „Pastorale Grundfragen“ des
Zentralkomitees der deutschen Katholiken
erwachsene Sammlung „Hinaus ins Weite“
(7) nach möglichen Antworten und bietet
Beispiele, wie Milieugrenzen zu überschreiten sind. Der erste Teil stellt die Ergebnisse
der Studie vor, versucht eine historische
Einordnung, bündelt den Stand der Diskussion und reflektiert grundsätzliche
CIG BÜCHER Nr. 42 / 2009
Wer sind die Pius-Brüder?
D
er Pastoraltheologe Alois Schifferle,
ein Kenner des Konflikts um die traditionalistischen Lefebvre-Leute und die
Pius-Bruderschaft, hatte bereits 1983 dazu
Untersuchungen veröffentlicht. Mit dem
vorliegenden aufklärend-kritischen Band
schließt er daran an. Das Kompendium
nimmt die Person von Marcel Lefebvre in
den Blick und analysiert systematisch die
Facetten des Kirchenstreits: die Geschichte
der Bewegung und wie der Vatikan reagierte, Entstehung des Traditionalismus
insbesondere in Frankreich, die Dialogversuche des Vatikans, die jüngere Debatte
über Tradition und Glaube. Auf mehr als
hundert Seiten, ein Viertel des Gesamtumfangs, hat der Autor zudem kritische Stimmen aus Zeitungen und Zeitschriften sowie
weiterführende Literatur beigefügt.
Schifferle versteht Tradition dynamisch.
Sie schöpft aus biblischer Überlieferung,
würdigt die lehramtliche Entwicklung und
führt beides im Sinne des Aggiornamento,
der Verheutigung, „lebendig, glaubwürdig
und menschennah“ in die Zukunft, auch in
der Liturgie. Schifferle erinnert an eine Bemerkung des Jesuiten und Publizisten Mario von Galli: „Tradition ist begrifflich nie
ganz einzugrenzen. Es ist eine Aufgabe!
Eine gefährliche Aufgabe!“
Wolfgang Beinert wiederum sieht das
Zweite Vatikanische Konzil im Band „Vatikan und Pius-Brüder“ – unter Aufnahme
eines Zitats von Papst Johannes XXIII. – als
einen „Sprung nach vorn“. Er räumt ein,
dass derzeit diese Aufgabe kirchlich wohl
besser mit dem Begriff „gehemmter
Sprung“ (Helmut Krätzl) wiedergegeben
wird. Solchen Hemmungen begegnen die
zwölf versammelten Beiträge mit Sachlichkeit, damit verlorenes Vertrauen unter den
Christen zurückgewonnen wird. Texte von
Theologen verschiedener Schulen – unter
anderem Hermann Josef Pottmeyer, Magnus Striet, Peter Hünermann, Kurt Koch –
sowie zweier Journalisten und die wichtigsten kirchlichen Dokumente zum Konflikt
sind zusammengestellt, um der „Anatomie
einer Krise“ geistige Gestalt zu geben.
Wolfgang Beinert ist der Auffassung,
dass die Konzilsgeschichte einen komplexen Prozess darstellt. Wer über die Verbindlichkeit lehramtlicher Äußerungen spricht,
ist aber vom „interpretatorischen Geschäft“
nicht entbunden. Das Zweite Vatikanische
Konzil war „ein Konzil wie kein Konzil“, gerade weil die Konzilsväter sich der Moderne
geöffnet haben. Man komme nicht umhin
zu sagen, dass diese Kirchenversammlung,
„in der Kette der Ökumenischen Konzilien
stehend, durchaus eine einzig- und eigenartige Stellung besetzt“.
Jürgen Springer
Alois Schifferle
Die Pius-Bruderschaft
Informationen – Positionen – Perspektiven
(Verlag Butzon & Bercker, Kevelaer 2009,
399 S., 29,90 €).
Wolfgang Beinert (Hg.)
Vatikan und Pius-Brüder
Anatomie einer Krise (Verlag Herder,
Freiburg 2009, 258 S. , 14,95 €).
Autorität – nicht autoritär
I
mmer wieder sorgen einzelne kirchliche
Amtsinhaber für anstoßerregende Schlagzeilen, und nicht selten erscheinen sie sogar
vielen Christen mit ihren Urteilen, Weisungen und Entscheidungen eher als autoritär, als dass sie wie eine authentische Autorität wirkten. Wen wundert es, wenn dann
das Vertrauen in die Kirchenführer erschüttert ist? Es besteht inzwischen die Gefahr,
dass mehr und mehr Christen gerade aus
der Mitte der Glaubensgemeinschaft austreten, jene, die bisher die religiös Treuesten
waren. Das zeigte sich zuletzt etwa bei dem
voraussetzungslosen Entgegenkommen des
Papstes zugunsten der Lefebvre-Anhänger.
Der Tübinger Pastoraltheologe Ottmar
Fuchs hat solche wachsende Spannungen
zwischen Laien und Amtsinhabern zum
Thema seines Buches gemacht.
Ein kirchliches Amt ist keine Ermächtigung, anderen Gläubigen die eigenen subjektiven theologischen Überzeugungen oder
sonstige persönliche Ansichten aufzuzwingen, sondern es soll ein Dienst am ganzen
Gottesvolk sein, zu seiner Erbauung und
Heiligung. Personen im kirchlichen Amt
sind selbst mitten im Volk, aber sie tragen
eine besondere Verantwortung für das Volk.
Fuchs weist eindrücklich auf bestehende
Missstände hin, zum Beispiel auf ein hohes
Maß an Realitätsverlust unter Amtsträgern,
auf den gravierenden Priestermangel, das
antiquierte Frauenbild, aber auch auf die
Angst vor einem traditionalistischen De-
nunziantentum, das Laientheologen wie
Priester davon abhält, sich kirchenpolitisch
wie theologisch kritisch und innovativ zu
äußern. Der Autor mahnt zu einer „gesteigerten Sensibilität … für den Geist Gottes,
wie er in den Gemeinden … zum Ausdruck
kommt“. Auch plädiert er als notwendige
Horizonterweiterung der Kirche auf der
geistigen Höhe unserer Zeit dafür, verheiratete Männer zum Priesteramt und Frauen
zum Diakonat zuzulassen.
Fuchs geht bei seinen Überlegungen
von einer gnadentheologischen Sichtweise
aus. Das heißt: Er sieht die Beziehung
zwischen Mensch und Gott nicht in einem
leistungsorientierten Tun-Ergehen-Zusammenhang, wonach Gott mir gibt, wenn ich
ihm gebe, und er mir zuteilt gemäß dem,
was ich getan oder unterlassen habe. Vielmehr deutet der Autor den Dienst des
Amtes und die Beziehung zwischen Klerus und Laien entschieden sakramental:
dass Gott seine Liebe den Menschen bedingungslos schenkt. Auch die Gnade des
Leitungsauftrags in der Kirche wird geschenkt, womit nach Fuchs ein „wirklich
von Gott erlöster und darin erlösender
Dienst“ gemeint ist.
Dorothea Röser
Ottmar Fuchs
Im Innersten gefährdet
Für ein neues Verhältnis von Kirchenvolk
und Kirchenamt (Tyrolia-Verlag, Innsbruck
2009, 176 S. , 17,95 €).
www.tyrolia-verlag.at
Für ein neues Verhältnis
von Kirchenvolk
und Kirchenamt
Ottmar Fuchs
Im Innersten gefährdet
Das Buch durchdringt den verengten Blick auf
Kirchenstrukturen und plädiert für eine Neuentdeckung des kirchlichen Amtes als wirksamen
Dienst am Volk und als sakramental vermittelte
Ermöglichung von tragenden Gnadenerfahrungen.
Gebunden mit Schutzumschlag
Editio ecclesia semper reformanda 4
Tyrolia-Verlag
ISBN 978-3-7022-3030-2
176 Seiten, € 17.95 / SFr 31.50
Glaube,
Macht und
Mauerfälle
Was ist 1989 / 90 eigentlich
passiert? Welche Rolle spielte
Glaube für die Zeitenwende?
Zwanzig Jahre nach friedlicher
Revolution und Wiedervereinigung berichten namhafte
Akteure und Zeitgenossen.
Thomas Brose (Hg.) Glaube, Macht und Mauerfälle
Von der friedlichen Revolution ins Neuland
216 Seiten, Broschur, ISBN 978-3-429-03154-1
€ 10,00 (D) / CHF 18.50 / € 10,30 (A)
Fragen: Ist der Aufbruch zu allen Milieus realistisch? Lohnt er sich – und ist eine
solche Frage der Kirche überhaupt gestattet?
Was meint milieuspezifisches Arbeiten, und
wo sind seine Grenzen?
Der zweite Teil präsentiert praktische
„Gehversuche“ aus Gemeindearbeit und
Gemeindeberatung, aus Erwachsenen- und
Jugendbildung, aus der Arbeit mit Frauen
und mit Gefangenen, aus Orden und Gemeinschaften, in Bezug auf Gottesdienstgestaltung und Gebäudeplanung, Bistumszeitschriften und Jugendfürsorge. Teilweise
regen sie zur Übernahme und Weiterentwicklung an, teilweise sind sie zu speziell.
Immer aber wird deutlich, dass milieuspezifisches Arbeiten wesentlich mit dem Inkulturationsauftrag der Kirche zu tun hat.
In die Auseinandersetzung mit der traditionalistischen Pius-Bruderschaft ist eine
Reihe namhafter Theologen eingetreten.
Das Ergebnis ist ein von Peter Hünermann
(8) herausgegebenes theologisch brisantes,
höchst detailreiches und anspruchsvolles
Buch, dem man eine Leserschaft über den
engeren Kreis der Fachleute hinaus wünschen kann. Wilhelm Damberg stellt den
politischen und geistesgeschichtlichen Hintergrund der Pius-Brüder dar. Massimo
Faggioli zeigt auf, inwieweit ihr Denken
nicht nur gegen das Konzil, sondern auch
gegen den kulturellen und politischen Konsens in der Gesellschaft verstößt. Hünermann gelangt aufgrund kirchenrechtlicher
Klärungen, akribischer Auswertung der vorliegenden Schriftstücke und scharfsinniger
dogmatischer Argumentation zu der Erkenntnis, dass weder vonseiten der exkommunizierten Bischöfe die Voraussetzungen
für eine Aufhebung der kirchlichen Beugestrafe gegeben seien, da keinerlei Abkehr
von ihren Überzeugungen nachweisbar ist,
noch vonseiten des Papstes, da er den Status
der Bischöfe nach der Exkommunikation
nicht näher bestimmt habe. Von daher stelle
deren Aufhebung einen Amtsfehler dar. Benedikt Kranemann unterzieht die liturgischen Programmschriften der Pius-Bruderschaft einer eingehenden Analyse und
arbeitet ihren Widerspruch zur konziliaren
Theologie des Pascha-Mysteriums heraus,
die über die Liturgie hinaus das Sakramentenverständnis, das Gottes- und Menschenbild und das Kirchenverständnis betrifft.
Auf diese Weise wird deutlich, dass der Streit
um die Liturgie nicht vorrangig um ästhetische Fragen, sondern um die „wahre“
Theologie kreist. Magnus Striet untersucht
schließlich den Begriff und das Verhältnis
des Papstes zur Moderne, die dieser als eine
historische Epoche des Verfalls interpretiert,
wurzelnd im Verlust des Gottesglaubens.
Die einzelnen Beiträge geben zu erkennen,
dass die Kirche am Scheideweg steht.
Ausgangspunkt für das Nachdenken
über den Weg der Kirche in die Zukunft ist
in all den genannten Publikationen das
Zweite Vatikanische Konzil mit seinen Errungenschaften. Unumstritten sind unter
ihnen der vielbeschworene Geist des Konzils und die Richtung, die die Auslegung
der Konzilsaussagen einzuschlagen hat.
Zur Diskussion gestellt sind die anstehenden Strukturreformen, ihre konkrete Umsetzung und das Ausmaß an notwendigen
Veränderungen. Dass in jeder Krise auch
eine Chance steckt, ist eine Binsenweisheit.
Die Frage ist, ob und in welcher Weise die
Kirche sie ergreift.
Kirche 469
www.echter-verlag.de
470 Religion / Europa
Nr. 42 / 2009 BÜCHER CIG
Wie hast du’s
mit der Religion?
Das Reden über Religion ist
noch nicht Glaube. Es gibt einen
Mehrwert des Christseins.
F
ür Thomas Meurer ist das Konzept der
„Religion“ oft wenig konkret, ein neblig-wohliges Gebilde aus der Waschküche
der Begriffe. Der Autor erörtert seine These,
dass der (westliche) Bewohner der globalisierten Welt gern eine „Religion an sich“
pflegt, die konkrete, historisch geprägte
Gemeinschaft jedoch scheut. „Ich bin sehr
religiös, aber ohne jeden Glauben.“ Dieser
Satz des österreichischen Schriftstellers
Thomas Bernhard pointiert diese Haltung.
Meurer wendet sich eindrücklich gegen
eine solche „freundliche Übernahme“ des
Religionsbegriffs, die in der Folge „Religion“ zu einem der unzähligen „Übungssysteme“ (Sloterdijk) der Menschheit verunstaltet. Er verweist auf das subversive
Element der Religion, auf den Anspruch
Gottes, der nicht selten allen vordergründigen Sehnsüchten entgegentritt. Er verweist
auf das Kernstück jeder Theologie, auf den
schweren Gang der Gottesfrage. Das, was
Meurer letztlich vorschlägt, ist „konservativ“, baut auf Goethes Wort: „Was du ererbt
von deinen Vätern (und Müttern!), erwirb
es, um es zu besitzen!“ Ja, es ist auch die
stete Übung, die uns zu religiösen Menschen macht. Doch heißt Religion auch Unterbrechung, Gnade, Offenbarung. Es lohnt
sich, mit Meurer darüber nachzudenken.
Wenn Ulrich Lüke von Religion spricht,
meint er das konkrete Christentum, das
seine Botschaft und sein Geheimnis im
Lauf des Kirchenjahres entfaltet. Der Verfasser, ein wichtiger Teilnehmer am Dialog
zwischen Theologie und Naturwissenschaft, betont das Einladende am christlichen Glauben. Ist aber das Christentum
wirklich einladend, sind es die Christen?
Den Priester und Professor beschleichen
manche Zweifel. Gleichwohl ist er sicher:
„Christus ist einladend.“ Diese Einladung,
„das Lebenskonzept Jesu Christi“, veranschaulicht Lüke, wenn er die christlichen
Feste und geprägten Zeiten in seinem
höchst originellen, pointierten „LükeSound“ buchstabiert. „Die Fastenzeit ist
eine Art Trainingslager der Menschlichkeit“, kann es dann heißen, und mit den
nur scheinbar abstrakten Begriffen „Authentizität – Solidarität – Spiritualität“
empfiehlt uns der Autor diese Zeit, „um
uns selbst, den anderen und Gott in den
Blick zu bekommen“. In seiner Betrachtung
des „demonstrativen“ Festes Fronleichnam
verweist der Autor auf den „Brotgenossen“
Christus und bemerkt: „Christen machen
Christus nur durch das Brotteilen, nicht
durch das Brothorten erkennbar und werden selbst nur am Brotteilen, nicht am
Brothorten erkannt.“ Wer das Kirchenjahr
als Prediger oder Lebenskünstler neu erfahren möchte, dem seien Lükes Betrachtungen besonders ans Herz gelegt.
Zwei evangelische Autoren führen den
Suchenden und Fragenden auf je eigene
Weise an die Kunst des Glaubens heran.
Dabei geht Hans-Martin Lübking, Direktor
des Pädagogischen Instituts der Evangelischen Kirche von Westfalen, einen im guten Sinne des Wortes klassischen, apologetischen Weg. In acht Kapiteln entfaltet er
zentrale Motive des christlichen Glaubens.
„Was soll das alles? Auf der Suche nach dem
Sinn“ ist das erste Kapitel überschrieben,
„,Was kommt nach dem Tod?‘ Von der
christlichen Hoffnung“ das letzte. Dazwischen finden sich konzentrierte Stichworte
(„Religionskritik“, „Trinität“, „Kirche und
Staat“), die seriös und anregend informieren. Lübking bietet eine Hoffnungsperspektive: „Nach christlichem Verständnis sind
wir Empfänger, nicht Täter von Sinn.“
Nicht zuletzt für Religionslehrer ist dieses
„Kursbuch“ empfehlenswert.
Wesentlich von den Einsichten der Psychologie sind die Überlegungen von Dietrich Stollberg gefärbt, der zu den Pionieren
der Pastoralpsychologie in Deutschland gehört. Das hat große Vor- und große Nachteile. Seine Gedanken über die Hauptworte
des christlichen Glaubens (unter anderem
„Der Glaube – Der Zweifel oder ,Glauben
Sie das wirklich?‘ “ – „Die Auferstehung der
Toten“ – „Die Liebe“) sind redlich und erfahrungsgesättigt. Das Kapitel „Mein
Freund – der Teufel“ ist eine höchst originelle Komposition, die auf Zwischentöne
und Vorzeichenwechsel mindestens genauso viel Wert legt wie auf das Zentralmotiv, die bewusste Begegnung mit der eigenen „dunklen“ Seite. „Wer brav, das heißt
angepasst sein und das Böse beziehungsweise den Bösen meiden will, wird hinterrücks von ihm überfallen, ohne es rechtzeitig zu merken.“ Schwierig wird es freilich,
wenn Stollberg das geschichtliche Fundament und die handfesten Inhalte des christlichen Glaubens in den Hintergrund rückt,
wenn er sie im „Zweifelsfall“ gern und häufig in den Bereich der Psyche verschiebt.
Dann lebt Jesus – nur? – „in der Erinnerung der Christenheit weiter“, dann wird
die katholische Kirche mit ihren dogmatischen und liturgischen Traditionen schon
mal gern als „abergläubisch“ bezeichnet.
Ein gedankenreiches Buch, das mit viel
Diskretion, mit Unterscheidungsvermögen
also, zu lesen ist.
Christian Heidrich
Thomas Meurer
Freundliche Übernahme?
Zum Verschwinden des Religionsbegriffs
(Matthias-Grünewald-Verlag der
Schwabenverlag AG, Ostfildern 2009,
120 S., 14,90 €).
Ulrich Lüke
Einladung ins Christentum
Was das Kirchenjahr über den Glauben
verrät (Kösel-Verlag, München 2009, 219 S.,
16,95 €).
Hans-Martin Lübking
Kursbuch christlicher Glaube
Evangelische Perspektiven (Gütersloher
Verlagshaus, Gütersloh 2009, 256 S., 19,95 €).
Dietrich Stollberg
Soll man das glauben?
Vom Sinn der christlichen Religion
(Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2009,
424 S., 19,80 €).
Europa und der Glaube
A
us der amerikanischen Außenperspektive stellt der Soziologe José Casanova
eine „Angst Europas vor der Religion“ fest.
Er sieht sie in der gängigen europäischen
Geschichtsschreibung begründet, nach der
allein der säkulare Staat die Demokratie sichern kann. Die „empfundene Bedrohung
säkularer Identitäten“ müsse überwunden
werden durch einen pragmatischen und
sensiblen Umgang mit Religion, wie er außerhalb Europas anzutreffen sei, ohne dass
dadurch die Demokratie Schaden leidet.
Die umfangreiche Studie des Berliner
Politikwissenschaftlers Karsten Fischer
konzentriert sich auf die Ausgestaltung des
Verhältnisses von Staat und Religion. Als
Bedingung eines gedeihlichen Miteinanders sieht er „eine beidseitige Selbstbegrenzung“. Beide sind gefordert, „freiheitliche,
beiderseitige Autonomie garantierende Bedingungen“ zu schaffen. Dabei sollten sie
einander dennoch fremd bleiben.
Unter den Stichworten „Religionsfreiheit – Gastfreundschaft – Toleranz“ versammelt ein von Christoph Böttigheimer
und Florian Bruckmann herausgegebener
Band Perspektiven auf einen Beitrag der
Religionen zum europäischen Einigungsprozess. Dicht am Thema sind vor allem
Anja Middelbeck-Varwick, die die Bedeu-
tung des christlich-muslimischen Dialogs
für den Wertediskurs beschreibt, und Böttigheimer mit Blick auf die christlichen Kirchen: „Es macht die Verantwortung der
christlichen Kirchen für Europa aus, an den
offenen ökumenischen Fragen weiterzuarbeiten, da nur eine wiedergewonnene
christliche Einheit die religiösen Ursprünge
Europas auf Zukunft hin bewahren, die Bedeutung des christlichen Glaubens für die
europäische Geschichte und Identität
herausstreichen und glaubwürdig für das
Kulturgut der Gastfreundschaft eintreten
kann.“
Norbert Schwab
José Casanova
Europas Angst vor der Religion
(Berlin University Press, Berlin 2009, 134 S.,
19,90 €).
Karsten Fischer
Die Zukunft einer Provokation
Religion im liberalen Staat (Berlin University
Press, Berlin 2009, 272 S., 39,90 €).
Christoph Böttigheimer,
Florian Bruckmann (Hg.)
Religionsfreiheit – Gastfreundschaft –
Toleranz
Der Beitrag der Religionen zum europäischen Einigungsprozess (Verlag Friedrich
Pustet, Regensburg 2009, 268 S., 34,90 €).
Bassam Tibis Euro-Islam
S
teht der Islam in einem prinzipiellen
Widerspruch zu den Werten der europäischen Aufklärung, oder ist eine Synthese
im Sinne eines europäischen Islam möglich? Der Politikwissenschaftler syrischer
Herkunft Bassam Tibi vertritt eine streitbare Position, die er hier nochmals entfaltet.
Ausgangspunkt ist die dauerhafte Präsenz
nach Europa eingewanderter Muslime, wobei er auch die Versäumnisse aufseiten der
Aufnahme-Gesellschaften hervorhebt. Tibi
sieht einen offenen, europäisierten Islam –
Euro-Islam –, der Säkularität, Toleranz,
Pluralismus und Zivilgesellschaft vorbehaltlos anerkennt, als Lösung des Wertekonflikts. Pate stehen Anpassungsleistungen des Islam in Indonesien und Afrika.
Den Islam fasst der Autor als Ethik auf,
nicht wie Islamisten als politische Ordnung.
Er setzt sich damit kritisch von Denkern
wie Tariq Ramadan ab, bei dem er eine verdeckte Islamisierungsabsicht herausstellt.
Immer wieder stellt er Frankreich als Vorbild dar, wo ein auf das Individuum bezogenes Integrationsverständnis vorherrscht
und gegen integrationsfeindliche Strömungen vorgegangen wird.
An vielen Stellen argumentiert Tibi plakativ. Das teilweise sich wiederholende
Buch enthält biografische Bezüge, die auch
mit persönlichen Kränkungen des Autors
verbunden sind.
Hansjörg Schmid
Bassam Tibi
Euro-Islam
Die Lösung eines Zivilisationskonfliktes
(Wissenschaftliche Buchgesellschaft,
Darmstadt 2009, 208 S. , 24,90 €).
Europas „Geburt“ um 1000
Ü
ber die Entstehungsgeschichte Europas nachzudenken lohnt sich. Für Tom
Holland ist die Phase um 1000 eine Schlüsselzeit, da von da an die Päpste in Rom eigene Ansprüche auf die Weltherrschaft artikulierten und den politischen Herrschern
Kompetenzen für den Raum der Religion
bestritten. Der Autor meint, Gedanken
vom Ende der Welt hätten nicht unwesentlich dazu beigetragen.
Dieser Grundthese muss man nicht folgen und kann dennoch das Buch mit Gewinn lesen. Es ist angenehm geschrieben
und bietet, gewürzt mit Zitaten aus zeitgenössischen Quellen, eine Momentaufnahme Europas zur Zeit der ersten Jahrtausendwende von Gibraltar bis Thingvellir
und Kiew. Die beiden „Zwillingsfackeln am
himmlischen Firmament, das Reich der Sarazenen und das Reich der Römer in Byzanz“, wie es damals ein Patriarch von Konstantinopel schrieb, werden dabei nicht aus
den Augen gelassen. „Millenium“ ist in seinen Rückblenden zugleich eine Geschichte
des Zusammenhangs von Politik und
Christentum, weswegen der sachgemäßere
Untertitel des Originals „The forging of
Christendom“ (wörtlich: „das Schmieden
der Christenheit“) lautet. Barbara Henze
Tom Holland
Millennium
Die Geburt Europas aus dem Mittelalter
(Klett-Cotta, Stuttgart 2009, 502 S., 29,90 €).
CIG BÜCHER Nr. 42 / 2009
Ethik / Wissenschaft 471
Stammzellen
D
ie Würde des Menschen ist in allen
Phasen seiner Existenz zu schützen.
Was aber bedeutet dies für das Embryonalstadium? Zwar ist es hierzulande verboten,
Embryonen ausschließlich für die Medizin
zu erzeugen, doch dürfen ausländische
Stammzellen für hochrangige Forschungszwecke importiert werden. Ein sinnvoller
Kompromiss oder ein Dammbruch?
Konrad Hilpert versucht, die verhärteten Fronten aufzubrechen. Dabei geht es
dem Münchner Moraltheologen weniger
um abschließende Antworten als um eine
Sichtung ungeklärter Fragen. Vor allem ist
offen, welchen Stellenwert naturwissenschaftliche Erkenntnisse oder anthropologische Deutungen in der ethischen Argumentation jeweils beanspruchen können.
Der Band liefert über die zur Verhandlung
stehende Stammzellforschung hinaus wichtige Denkanstöße für das Selbstverständnis
theologischer Ethik.
Die moralischen Konflikte werden auch
für Außenstehende verständlich gemacht.
Die durchweg konzentriert-dichten Beiträge vermeiden ethischen Rigorismus und
zeigen auf, wo rechtliche Spielräume möglich sind. Zu Recht weist Hilpert aber auf
die Notwendigkeit von Gewissensschutzklauseln hin.
Axel Bernd Kunze
Konrad Hilpert (Hg.)
Forschung contra Lebensschutz?
Der Streit um die Stammzellforschung.
Reihe: Quaestiones Disputatae, Bd. 233
(Verlag Herder, Freiburg 2009, 408 S., 38 €).
Leben
D
er Erfurter Moraltheologe Josef Römelt
skizziert zunächst die Grundsituation
des Handelnden in der heutigen Gesellschaft: Der Zwang zur flexiblen Lebensgestaltung macht eine Bindung an moralische
Werte kaum möglich. Dadurch jedoch werden die damit verbundenen Sinngehalte
verkannt, was zur Vereinsamung beiträgt.
Verantwortliches Handeln ist gefordert, das
die handelnden Personen nicht zu schnell
mit ihrer Entscheidung alleine lässt, sondern auf die Bedeutung der Gemeinschaft
aufmerksam macht.
Das Anliegen der Solidarität ist in der
einfühlsamen und ausgewogenen Darstellung der Sachbereiche zu spüren: Liebe und
Familie, Gesundheit und Krankheit – darunter die Frage des Embryonenschutzes –,
Umweltethik und Friedensethik. Ethische
Konflikte und Sinnperspektiven werden
herausgeschält. In einem zusammenfassenden Kapitel macht der Autor Mut zu einer
realistischen Einschätzung von Chancen
und Grenzen menschlicher Freiheit sowie
zur Achtung der Würde der Person. Ein
letztes Kapitel ist der Bedeutung des Gebets
im Umgang mit den Herausforderungen
gewidmet. Literaturhinweise laden zur Vertiefung ein.
Sigrid Müller
Josef Römelt
Christliche Ethik in moderner
Gesellschaft
Lebensbereiche. Reihe: Grundlagen
Theologie, Bd. 2 (Verlag Herder, Freiburg
2009, 445 S., 22 €).
Natur
Evolution
D
ie Theologie ist angesichts des immer
mehr um sich greifenden ontologischen Naturalismus – „Es gibt nur das, was
empirisch zugänglich ist“ – ernsthaft herausgefordert. Folglich begibt sich der Autor
auf die Suche nach der Schnittstelle zwischen Naturwissenschaft und Theologie.
Das heißt, dass Gott oder mein Bewusstsein Spuren in der empirisch erfassbaren
Welt hinterlassen müssten. Ansonsten
würde es sich in der Religion um ein Luftschloss handeln.
Patrick Becker entwirft für den Dialog
von Theologie und Naturwissenschaften
Strategien. Er behandelt das Thema „Schöpfung und Evolution“, geht auf das Problem
des Wirkens Gottes in der Welt ein und
stellt dazu Positionen von Fachwissenschaftlern vor. Nicht ausgespart sind die
Diskussionen um die Willensfreiheit – bis
hin zur skurrilen „Neurotheologie“, also
zur Frage, ob und wie sich religiöse Erregung in biochemischen Erregungszuständen des Gehirns messen lässt. Das Werk
stellt einen wichtigen sachlichen Beitrag
zur längst nicht abgeschlossenen Debatte
über das Verhältnis von Naturwissenschaft
und Theologie dar, trotz zahlreicher thematisch ähnlicher Beiträge auf dem Buchmarkt.
Hans-Joachim Rennkamp
K
lar und einfühlsam stellt Hans Kessler
Missdeutungen des biblischen Schöpfungsgedankens dar und erläutert das
christliche Verständnis von Schöpfung und
Evolution – mit seiner durchaus begründbaren Vision einer endgültigen NeuSchöpfung als Überschuss über alle Evolution. Im Mittelpunkt steht die meisterliche
Erschließung der biblischen Schöpfungstexte und ihrer Wirkung im bisherigen
Christentum.
Jahrzehntelange eigene Forschungen im
Hintergrund, ist dieses Buch für diese Thematik das bei weitem beste, was derzeit auf
dem Markt ist. Ein glänzender Beleg dafür,
wie Glaube und Vernunft sich wechselseitig
bereichern und erschließen, um jeder Art
von Aberglauben, auch wenn er „wissenschaftlich“ daherkommt, zu wehren. Besonders hervorzuheben sind das sensible
Gespür des Verfassers für die Fragen der
Zeit und die gleichermaßen unaufgeregte
und entschiedene Art der Argumentationen.
Die differenzierte, dichte und zugleich
gut lesbare Darstellung macht dieses Buch
zur unentbehrlichen Pflichtlektüre für alle,
die sich mit Klischees nicht abspeisen lassen oder unter voraufgeklärter kirchlicher
Verkündigung leiden.
Gotthard Fuchs
Patrick Becker
Kein Platz für Gott?
Theologie im Zeitalter der Naturwissenschaften (Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 2009, 160 S., 14,90 €).
Hans Kessler
Evolution und Schöpfung in
neuer Sicht
(Butzon & Bercker, Kevelaer 2009, 221 S.,
17,90 €).
Spiritualität & Religion
„Woran glaubt die Welt?“
Was Mönche wissen ...
Die Fachpublikation zum Religionsmonitor
In der vorliegenden Publikation liefern
renommierte Experten – darunter
José Casanova, Hans Joas, Volkhard
Krech, Armin Nassehi, Paul M. Zulehner
u.v.a. – ausführliche Analysen der
Befunde des Religionsmonitors.
Eine beiliegende CD-ROM enthält die
vollständigen Ergebnisse der 21 erhobenen Länder.
Abt Johannes Eckert
WOHNE BEI DIR SELBST
Der Klosterplan als Lebensmodell
208 Seiten. Zahlr. Farbfotos. Gebunden
€ 17,95 [D]/€ 18,50 [A]/*CHF 31,90
ISBN 978-3-466-36840-2
Woran glaubt die Welt?
Bertelsmann Stiftung (Hrsg.)
Woran glaubt die Welt?
Analysen und Kommentare
zum Religionsmonitor 2008
2009, 790 Seiten mit CD-ROM
gebunden mit Schutzumschlag
€ 49,– [D] / sFr. 81,–
ISBN 978-3-89204-949-4
www.bertelsmann-stiftung.de/verlag
[email protected]
* Empf. Verkaufspreis
Das Thema Religion hat in den letzten
Jahren eine ungeahnte Renaissance
und mediale Aufmerksamkeit erlebt.
Dahinter bleibt jedoch das tatsächliche
Wissen über die persönliche Religiosität der Menschen weit zurück. Die
Bertelsmann Stiftung hat deshalb ein
interdisziplinär ausgerichtetes und
interreligiös einsetzbares Instrument
entwickelt, das die verschiedenen
Dimensionen von Religiosität in der
modernen Gesellschaft tiefergehend
als bisher untersucht: den Religionsmonitor.
Von der Pforte über die Kirche, die
Zelle, die Krankenabteilung bis hin
zum Friedhof erinnern die konkreten
Plätze eines Klosters an Lebensaufgaben und Lebensräume, die wir alle zu
verschiedenen Zeiten in unserer Biografie zu gestalten oder zu betreten
haben. Kloster-Erkundungen werden
so zur spirituellen Lebenshilfe für alle,
die für sich neue Klarheit suchen.
Gregor Baumhof
GESÄNGE DER STILLE
Mit dem Gregorianischen Choral meditieren
Ein Übungsbuch mit CD, Laufzeit 65 Min.
176 Seiten. Zahlr. farb. Abb. Gebunden.
€ 19,95 [D]/€ 20,60 [A]/*CHF 34,90
ISBN 978-3-466-36721-4
Dieses Buch mit beigelegter ChoralCD führt in die tiefe Schönheit der
Gregorianik ein. Es liefert nötige
Informationen, um die uralten Gesänge für unser heutiges Leben zu
entdecken; vor allem aber ist es ein
meditatives Einübungsbuch.
Es lädt ein, dem inneren Geheimnis
des Chorals näherzukommen.
SACHBÜCHER UND RATGEBER
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472 Bibel / Theologie
Nr. 42 / 2009 BÜCHER CIG
Archäologie und Bibel
I
n seiner kleinen Schrift erläutert Wolfgang Zwickel zunächst das Selbstverständnis der biblischen Archäologie in
ihrem Verhältnis zur Bibelwissenschaft
und gibt einen Überblick über die Entwicklung des Fachs sowie Einblick in die
Interessenskonflikte einiger seiner prominentesten Vertreter. Methodische Fragen
sind weitgehend ausgeklammert – vermutlich ein Grund dafür, dass die britische „Grand Dame“ der Archäologie,
Kathleen Kenyon, und ihre eindrucksvolle Grabung am Tell es-Sultan in Jericho
als bahnbrechender Beitrag zur Erforschung der Erd- und Siedlungsschichten
unerwähnt bleiben. Zwickel gibt aufgrund
archäologischer Befunde einen Überblick
über die Geschichte des Heiligen Landes
von der ersten Besiedlung vor etwa 10 000
Jahren bis hin zur neutestamentlichen
und islamischen Zeit.
Die aufschlussreiche Lektüre des Buches
setzt gewisse Grundkenntnisse der Materie
beim Leser voraus, da aufgrund der Kürze
viele Namen und Begriffe nicht weiter erklärt werden. Das Buch empfiehlt sich
nicht zuletzt für Theologen und Studierende der Theologie als alternativer Zugang zur Lebenswelt des biblischen Gottesvolkes, wohl wissend, dass biblische
Archäologie die Bibel weder beweisen
noch widerlegen will. Andrea Pichlmeier
Wolfgang Zwickel
Das Heilige Land
Geschichte und Archäologie (Verlag
C.H. Beck, München 2009, 128 S.,
7,90 €).
Das „Amt in der Nähe“
E
ine neue „Quaestio“ will die aktuelle
theologische Diskussion zum Ständigen Diakonat darstellen, fast ein halbes
Jahrhundert nach der bahnbrechenden
Arbeit von Karl Rahner und Herbert Vorgrimler „Diaconia in Christo“ (1962). Ralf
Miggelbrink arbeitet heraus, wie auf dem
Konzil das kirchliche Amt vom Begriff des
Dienstes – ministerium – her durchbuchstabiert worden ist. Deshalb habe der wieder als eigenständiges Amt profilierte Diakonat – das Wort bedeutet ja „Diener“ – die
prophetische Aufgabe gewonnen, in aller
Ausdrücklichkeit gerade dies deutlich zu
machen. Vom Diakonat falle auch Licht
auf das Amtsverständnis des Priesters und
Bischofs.
Der Bischofskonferenz-Vorsitzende Robert Zollitsch weist darauf hin, dass in der
Jesus und die Kirche
K
ontinuität mit dem Ursprung ist für die
Kirche nicht durch Bezug auf einen
„Stifterwillen“ Jesu zu haben. Gefordert ist
vielmehr eine historische Rekonstruktion
von Botschaft und Wirken Jesu. Der Autor
erschließt sie in Überblicks- und Einzelstudien und arbeitet ihre herrschaftskritische
Dimension heraus. Ein zweiter Teil widmet
sich dem Ursprung und inhaltlichen Profil
des Christus-Bekenntnisses, im Hinblick auf
die Botschaft Jesu selbst. Der dritte Teil hat
die Entwicklung der vielfältigen urchristli-
chen Gemeindeformen als Schwerpunkt.
Bestimmte Modelle lassen sich nicht einfach
auf heute übertragen. Aber Paul Hoffmann
zeigt, wie aus dem Blick auf die Ursprünge
kritische und orientierende Kraft für die Gegenwart erwachsen kann.
Gerd Häfner
Paul Hoffmann
Jesus von Nazaret und die Kirche
Spurensicherung im Neuen Testament
(Verlag Katholisches Bibelwerk, Stuttgart
2009, ca. 184 S. , ca. 18,90 €).
Praxis der Diakonat allerdings ein ausgesprochen „pluriformes Profil“ ausgebildet
hat. Das sei besonders wertvoll, weil so der
Diakonat teilhat an den neuen Suchbewegungen, die Nähe der Kirche zu den Menschen in ihrer Lebenswelt konkret werden
zu lassen. Zollitsch zitiert in diesem Zusammenhang den langjährigen Beauftragten seiner Diözese für den Ständigen Diakonat, Eugen Maier, der von einem „Amt
in der Nähe“ spricht. Das Buch sollte helfen, dieser Nähe zu dienen. Arno Zahlauer
Klemens Armbruster, Matthias Mühl (Hg.)
Bereit wozu? Geweiht für was?
Zur Diskussion um den Ständigen Diakonat.
Reihe: Quaestiones Disputatae, Bd. 232
(Verlag Herder, Freiburg 2009, 400 S.,
35 €).
Grundwissen Ökumene
D
er Direktor des Paderborner AdamMöhler-Instituts Johannes Oeldemann
legt mit seiner umfassenden, leicht verständlichen und damit in (Hoch-)Schule
und Gemeinde gut einsetzbaren Publikation einen Überblick über Geschichte, Probleme, Ergebnisse und Ziele der Ökumene
vor, wobei der Autor nicht verleugnet, dass
er aus dem Blickwinkel der katholischen
Kirche heraus auf die Ökumene schaut. Das
Buch, das aus einem Manuskript der Würzburger „Theologie im Fernkurs“ hervorge-
gangen ist, bietet solide und gut recherchierte Informationen; ein Grundwissen,
wobei man „neue“, kraftvoll und mutig in
die Zukunft weisende Vorschläge etwas
vermisst.
Thomas Meurer
Johannes Oeldemann
Einheit der Christen –
Wunsch oder Wirklichkeit?
Kleine Einführung in die Ökumene
(Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 2009,
198 S., 16,90 €).
Querdenker
und andere Heilige
Friedrich Weinreb
Die sieben Prophetinnen
Prophetie des Leibes
Herausgegeben von
Christian Schneider
272 Seiten. Halbleinen.
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isbn 978-3-905783-60-5
32 €
Das Buch von den großen unbekannten
starken Frauen in der Bibel
Immer ist es das Männliche, das die
Vorstellung biblischer Prophetie prägt.
In der jüdischen Überlieferung aber
wird ausführlich von der entscheidenden Bedeutung prophetischer Frauen
erzählt, die offenbaren, was Körper
und Leib im Leben des Menschen
bedeuten. Damit eröffnen sich überraschend neue Perspektiven biblischer
Glaubenswirklichkeit.
Im Buchhandel erhältlich
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Von den Tagen der Bibel bis
in unsere Gegenwart gibt
es Menschen, deren Leben
andere inspiriert und ermutigt.
In 366 Porträts erschließt
Christian Feldmann die
Botschaft ihres Lebens für
unsere Zeit. Bilder zu großen
Heiligen und Festen des
Jahres durchziehen das Buch,
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CIG BÜCHER Nr. 42 / 2009
Weltkulturen 473
Biografien
Ekstase und Erdung
T
rance, Ekstase, Visionen – die Religiosität des Hindu-Heiligen Rāmakrishna
(1836 –1886) hatte, wenn man den Berichten trauen darf, abenteuerliche Züge. Ansonsten war seine Persönlichkeit überaus
bodenständig. Die Herkunft aus bäuerlichem Milieu prägte ihn zeitlebens. Seine
Sprache war schlicht, manchmal derb und
auch dann handfest, wenn es um Aspekte
des inneren Wegs und der religiösen Erfahrung ging, die viel Feingefühl beanspruchen. In zahlreichen Gleichnissen zog er
Vorgänge aus elementaren Lebensbereichen zur Verdeutlichung heran. So vereinen die „Gespräche mit seinen Schülern“
Tiefe und Einfachheit.
Rāmakrishnas Meisterschüler war dagegen der Vertreter einer Moderne, wie es sie
im damaligen Indien gab. Vivekānanda
(1863–1902) stammte aus der städtischen
Elite, war vielseitig begabt und blickte einer
Karriere als Anwalt entgegen. Durch das
koloniale Bildungswesen von westlichem
Denken beeinflusst, suchte er nach einer
aufgeklärten Form von Religiosität. Die
emotionale Spiritualität Rāmakrishnas war
ihm zunächst fremd. Die Annäherung an
ihn blieb nicht die letzte Lehrzeit
Vivekānandas. Nachhaltige Wirkung hatten
die Erfahrungen dreier Jahre, in denen er
als Bettelmönch durch Indien zog. Die Be-
gegnung mit Armut und Lethargie führte
ihn zu dem Entschluss, sich für Verbesserungen einzusetzen. Man könne, davon war
er überzeugt, „einem leeren Bauch keine
Religion predigen“. Auf Reisen in die USA
und nach Europa sammelte er Geld für Indien. Die Vorträge, die er dabei hielt (einige
von ihnen sind neu erschienen), weisen ihn
als einen eindrucksvollen Redner aus. Mit
der Weitung des religiösen Horizonts zu gesellschaftlicher Verantwortung ging er nicht
nur über seinen Lehrer, sondern die indische Tradition überhaupt hinaus, nach der
ein Mönch sich ausschließlich um die eigene Erlösung müht – allenfalls noch um
die seiner Schüler. Trotz der Bedeutung der
beiden großen Gestalten des Hinduismus
klaffen in der wissenschaftlichen Forschung
noch große Lücken. Zu deren Füllung leisten die Ausgaben und Übersetzungen von
Martin Kämpchen einen verdienstvollen
Beitrag.
Klaus Werger
Shri Ramakrishna
Gespräche mit seinen Schülern
(Verlag der Weltreligionen, Frankfurt am
Main 2008, 413 S., 32 €).
- Vivekananda
Svami
Wege des Yoga
Reden und Schriften (Verlag der Weltreligionen, Frankfurt am Main 2009, 264 S., 26 €).
184 Seiten, kartoniert
ISBN 978-3-7917-2205-4, € (D) 16,90
Hansjürgen Verweyen
Frère Roger – Gründer von Taizé
Anselm von Canterbury
Eine Biografie
Denker, Beter, Erzbischof
Der einzigartige Werdegang Frère
Rogers wird in dieser, der bislang umfangreichsten Biografie geschildert.
900 Jahre nach seinem Tod stellt der
Autor das Wirken Anselms im historischen und biografischen Kontext dar.
Gott finden
160 Seiten, kartoniert
ISBN 978-3-7917-2207-8, € (D) 14,90
Hans-Peter Hasenfratz
Der Tod in der Welt der Religionen
(Wissenschaftliche Buchgesellschaft,
Darmstadt 2009, 144 S., 29,90 €).
Yves Chiron
Herwig Büchele
Patrick Becker
Gott finden
Kein Platz für Gott?
Christliche Positionen versus
atheistische Lebensentwürfe
Theologie im Zeitalter der
Naturwissenschaften
Wie lebe ich richtig? Woran kann ich
mich orientieren? Das Buch konfrontiert
die Dramatik des Lebens Jesu mit
atheistischen Lebensentwürfen.
Können die Naturwissenschaften die
Welt so erklären, dass für Gott kein
Platz mehr bleibt? Der Autor erläutert
die Brennpunkte des theologischnaturwissenschaftlichen Dialogs.
Aktuelle Fragen
272 Seiten, kartoniert
ISBN 978-3-7917-2180-4, € (D) 22,–
uch wer im Frieden mit seiner Gemeinschaft stirbt, bewirkt durch seinen Tod zunächst eine schwierige Situation:
Die Balance zwischen Lebenden und Toten
ist durch diesen Übergang empfindlich gestört. Erst dessen rituelle Inszenierung
kann sie wiederherstellen. Hans-Peter
Hasenfratz vergleicht solche Prozesse in sogenannten Elitereligionen wie in der Volksreligiosität. Im ersten Teil arbeitet er Typen
eines „seligen“ wie „unseligen“ Todes heraus, um schnell neben dem biologischen
Tod auch den sozialen in den Blick zu nehmen. Denn schon bevor jemand gestorben
ist, kann er für andere und von anderen
für – sozial – tot erklärt sein.
Auch nach dem Sterben tritt noch längst
nicht immer „Totenstille“ ein. Unselig gestorben, bleiben die Toten bei vielen Völkern
aktiv präsent als Wiedergänger, Gespenster
oder Vampire. Solche Tote können Lebensenergien binden. Der Tod erscheint nicht
nur biologisch, sondern vor allem soziokulturell, religiös als vielschichtiger Prozess.
Während die Elitereligionen tendenziell von
nur einer Seele ausgehen, kennen Volksreligionen einen Plural von Seelen, um die verschiedenen Aspekte dieses Vorgangs erfassen und bewältigen zu können.
Im zweiten Teil skizziert der Autor die
Jenseits-Vorstellungen der Elitereligionen.
Judentum, Christentum und Islam erschei-
128 Seiten, kartoniert
ISBN 978-3-7917-2203-0, € (D) 9,50
A
nen dabei in großer Nähe zueinander, ist
die jeweils jüngere doch bezogen auf die
vorausgegangene(n). Die Quelle elementarer Vorstellungen wie die einer leiblichen
Auferstehung macht Hasenfratz im Zoroastrismus aus. Etwas unproportional breit
und differenzierter als die monotheistischen Religionen kommt der Hinduismus
zur Sprache, was erlaubt, den Buddhismus
nur in seinen spezifischen Differenzen zu
diesem vorzustellen. Beide bieten ganz andere Vorstellungswelten als die monotheistischen Religionen, wenn sie etwa ein zyklisches Zeitverständnis zugrunde legen
oder Erlösung als Aufhebung, nicht Wiederherstellung des Personseins ersehnen.
Der schmale Band, als Überblick für
eine breitere Leserschaft geschrieben, liest
sich gut. In einer Kultur, die Sterben und
Tod verdrängt und pragmatisch-rationalistisch „erledigt“, hilft er, die eigenen Glaubensüberzeugungen zu sondieren und zu
reflektieren. Die Souveränität, mit der sich
der Autor durch die Welt der Religionen
bewegt, weckt den Wunsch nach einem
dritten Teil: der Tod in den Welten der Moderne. Welche Vorstellungen und Praktiken
der Todesbewältigung leben hier fort oder
treiben ihr Wesen und Unwesen als Wiedergänger?
Paul Petzel
200 Seiten, kartoniert
ISBN 978-3-7917-2206-1, € (D) 16,90
Der Blick auf fremde Kulturen
hilft, Eigenes wiederzuentdecken.
328 Seiten, Geb. mit Schutzumschlag
ISBN 978-3-7917-2200-9, € (D) 24,90
Der Tod und
die Weiterlebenden
Johannes Oeldemann
Konrad Hilpert
Einheit der Christen –
Wunsch oder Wirklichkeit?
Zentrale Fragen christlicher Ethik
Kleine Einführung in die Ökumene
Der Autor informiert über die christlichen
Konfessionen sowie den aktuellen Stand
der Ökumene und gibt Anregungen zur
ökumenischen Zusammenarbeit vor Ort.
Für Schule und Erwachsenenbildung
Das Buch möchte die Kompetenz derer
stärken, die mit ethischen Fragestellungen konfrontiert werden. Bioethik,
Dekalog, Menschenrechte und weitere
aktuelle Themen werden behandelt.
Verlag Friedrich Pustet
www.pustet.de
474 Philosophie / Gottesfrage
Nr. 42 / 2009 BÜCHER CIG
Auch wer einen absoluten
Wahrheitsanspruch des Christentums bestreitet, kann es als
sinnvoll empfinden.
S
ollten wir wirklich nur dann an Jesus
Christus glauben, so fragt der Turiner
Philosoph Gianni Vattimo (geboren 1936),
„wenn wir beweisen können, dass Gott die
Welt in sieben Tagen schuf oder dass Jesus
selbst tatsächlich am Ostersonntag auferstanden ist und dass … der Mensch von
Natur aus dies oder jenes, die Familie von
Natur aus monogam und heterosexuell, die
Ehe von Natur aus unauflöslich, die Frau
von Natur aus unfähig zum Priestertum ist
und so weiter?“ Der Philosoph verneint
diese Frage und richtet sich strikt gegen die
nicht nur im kirchlichen Kontext oft bekannte Begründungsformel „von Natur
aus“. Denn nach Vattimo befinden wir uns
im „Zeitalter der Interpretation“. Nicht metaphysische Begründungen oder Tatsachen
„an sich“ lassen uns etwas für wahr halten,
sondern allein unsere Deutungen und die
Übereinstimmung in Aussagen, der Konsens. Das Christentum spielt dabei für ihn
auch ohne metaphysische Wahrheitsansprüche, ohne Rückgriff auf naturrechtliche
Moralbegründungen eine wichtige gesellschaftliche Rolle. Doch worin liegt sie?
Darüber kommt Vattimo ins Gespräch
mit dem amerikanischen Philosophen und
Vertreter des Neo-Pragmatismus Richard
Rorty (1931–2007). Der Band enthält außerdem jeweils einen Essay der bekannten
Newmans moderne Theologie
Metaphysikkritiker. Rorty, der sich als antiklerikalen Laizisten bezeichnet, plädiert
nicht etwa für die Abschaffung des Glaubens, sondern allenfalls für die Abschaffung
der Kirchen, sofern sie öffentlich Macht beanspruchen. Vattimo greift diesen Gedanken auf, wenn er sagt, dass das Christentum
die Aufgabe habe, radikal die biblische Botschaft der Nächstenliebe zu leben, machtlos
und autoritätslos. Insofern ist es für ihn ein
„schwaches“ Christentum, das nach dem
Ende der Metaphysik überlebt, aber zu seiner eigentlichen Aufgabe gelangt. Der Aufruf zur Nächstenliebe erinnert stark daran,
dem „rechten Handeln“ (Orthopraxie) gegenüber der „rechten Lehre“ (Orthodoxie)
den Vorzug zu geben. Die katholische Kirche könne auf die Unfehlbarkeit des Papstes
verzichten, sie brauche ausschließlich eine
spirituelle Führung.
Begründet sieht der „Katholik“ Vattimo,
der nach eigenem Bekunden nicht an Gott
glaubt, seinen Appell gegen jegliche äußere
Macht der Religion im Wesen des Christentums, in der Menschwerdung Gottes. Gott
hat seine Macht preisgegeben und alles in
Menschenhand gelegt. Hat diese Art einer
für Mitleid und Nächstenliebe funktionalisierten Religion jedoch Zukunft? Entgegen
dem Titel bleibt das Buch da eine Antwort
schuldig. Ist Religion nicht mehr als das, gut
zu sein für …?
Andreas Bernheim
Richard Rorty, Gianni Vattimo
Die Zukunft der Religion
(Verlag der Weltreligionen, Frankfurt 2009,
114 S., 10 €).
Philosophie der Zeit
W
as ist die Zeit? Wenn ihn niemand
danach fragt, wisse er es, so der Kirchenvater Augustinus. Wenn ihn aber jemand fragt, wisse er es nicht mehr. Das
„Wesen“ der Zeit ist nicht zu bestimmen. Ist
Zeit einfach etwas Objektives, das sich messen lässt? Oder finden wir sie im Subjekt
oder Bewusstsein verankert? Und wie ist
das Verhältnis von Zeit und Ewigkeit?
Von Platon und Aristoteles über Plotin
und Augustinus bis hin zu Newton, Kant,
Husserl und Heidegger wurde über die Zeit
nachgedacht. Karen Gloy führt übersicht-
lich in diese verschiedenen Theorien ein,
vergleicht sie miteinander und schreibt eine
interessante Geschichte der westlichen Philosophie – mit großem Sachverstand und
Blick für die feinen Unterschiede. Obwohl
ihr Buch höchsten wissenschaftlichen Ansprüchen genügt, bleibt es doch dem Nichtfachmann verständlich. Holger Zaborowski
Karen Gloy
Philosophiegeschichte der Zeit
(Wilhelm Fink Verlag, München 2008,
204 S., 29,90 €).
Wolfgang Bader
MIT EINEM MAL WAR ALLES
GANZ ANDERS
NEU
Bekannte Menschen erzählen von ihrer Trauer
Ein Buch von Trauernden. Für die Zeit der Trauer.
Wolfgang Bader, Hospizhelfer und Moderator eines „Trauercafés“, lässt 50 Persönlichkeiten aus über zwei Jahrtausenden zu Wort kommen: Ergreifende, oft überraschende
und auf tiefe Weise tröstliche Zeugnisse; denn es tut gut,
von anderen zu hören, die Ähnliches erlebt haben.
140 Seiten, gebunden, 14 Farbbilder, ISBN 978-3-87996-764-3, EUR 14,90
VERLAG NEUE STADT
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E-Mail: [email protected]
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R
eligionspädagogen, Kirchengeschichtler und Theologen stellen John Henry
Newman (1801–1890) als „Kirchenlehrer
der Moderne“ vor. Dessen Glaubensweg
führte vom evangelikalen Milieu der anglikanischen Kirche über die „Oxford-Bewegung“, eine konservativ-katholische Strömung in der Kirche von England, bis zum
Übertritt in die katholische Kirche. Diese
war damals anti-modernistisch geprägt.
Doch gerade seine Konversion als personale Glaubensentscheidung und seine Betonung des Subjekts machen Newman zum
Autor einer „modernen Theologie“, einer
„Theologie der Moderne“, wie Knut Wenzel
herausarbeitet. Mit dem absoluten Vorrang
des Gewissens geht Newman auf die Moderne zu, betont Magnus Striet. Newman
erkennt damit auch die Würde des irrenden
Gewissens an. Der Liturgiewissenschaftler
Alexander Nawar zeigt, dass für Newman
die Liturgie den Menschen lehren und formen will. Dieses Verständnis kann als Widerspruch zu der Tendenz gelesen werden,
mit der tridentinischen Messe und deren
„gemurmeltem Latein“ eine rein ästhetisierende Liturgie wieder aufleben zu lassen.
Ebenso kann der Blick auf Newmans Auseinandersetzung mit dem Bildungssystem anregend sein für unsere Debatten eines konfessionell-gebundenen Religionsunterrichts
oder die Frage, warum Theologie notwendig
Teil einer Universität sein muss.
Newman hatte den einfachen Glaubenden im Blick, wertete die Laien auf und
kritisierte eine Theologie, welche „die gedachten und nicht die realen Fragen der
Menschen beantwortet“. Warum wurde
aber die Chance verspielt, eine auch dem
Glaubenden ohne Theologiestudium verständliche Sprache zu wählen, um ihn in
eine Theologie mitzunehmen, die – wie von
Newman gefordert – der Lebenswelt den
Vorrang einräumt?
Stephan Neumann
Claus Arnold, Bernd Trocholepczy,
Knut Wenzel
John Henry Newman
Kirchenlehrer der Moderne (Verlag Herder,
Freiburg 2009, 179 S. , 16,95 €).
Die Gottesfrage für Zweifler
D
as Buch besticht durch die Kombination aus Leichtigkeit und Tiefsinn.
Fast plaudernd führt es an die christlichen
Glaubensgeheimnisse heran: kurze Sätze,
witzige Wendungen, zahllose Vergleiche,
Klarheit der Gedankengänge auch für jene,
die sich bislang nicht mit religiösen Fragen
auseinandergesetzt haben, Verzicht auf
dogmatische Fachbegriffe. Im Unterschied
zu mancher Bekenntnisliteratur, die sich
am eigenen Wortwitz berauscht, sich mit
dem persönlichen Zeugnis begnügt oder
religiöse Problemfelder ausspart oder glättet, bleibt dieses Buch argumentativ. Es ist
theologisch dicht, religionsphilosophisch
gesättigt und im Hinblick auf die religiösen
Fragen auf der Höhe der Zeit.
Fördert der Ein-Gott-Glaube Gewalt?
Lassen sich Evolution und Schöpfungsgedanke verbinden? Wer war Jesus? Keinen
Geringeren als den Evolutionsbiologen
Richard Dawkins und seine atheistischen
Weggefährten haben sich die Autoren als
Gegenspieler ausgesucht. Dabei machen sie
atheistische Positionen nicht lächerlich,
sondern verfahren strikt nach dem Motto:
These – Gegenthese. Auch Denkmodelle
anderer Religionen werden kurz vorgestellt.
Das Leben Jesu wird über weite Passagen
paraphrasierend nacherzählt. Durch die
gegenseitigen Kurzinterviews erfährt der
Leser vom Glaubensweg der Autoren.
Andreas Knapp ist Priester, der sich nach
Tätigkeiten als Studentenpfarrer und Direktor des Freiburger Priesterseminars den
„Kleinen Brüdern vom Evangelium“ anschloss, längere Zeit in Bolivien arbeitete und
heute mit zwei Mitbrüdern in einer Plattenbausiedlung in Leipzig lebt. Melanie Wolfers
ist als Salvatorianerin in Wien unter anderem
in der Bildungsarbeit tätig. Man merkt dem
Buch an, dass es im Kontext atheistischen
Denkens entstanden ist und dass es sich besonders auch an nachdenkliche Nichtglaubende richtet.
Michael Schrom
Andreas Knapp, Melanie Wolfers
Glaube, der nach Freiheit schmeckt
Eine Einladung an Zweifler und Skeptiker
(Pattloch, München 2009, 336 S., 16,95 €).
Ein Märchen
über das Leben
André Léonard
WINTERREISE
Christliche Hoffnung ist kein Märchen
Ein außergewöhnliches Buch gegen
Krisenstimmung, Depression und
Hoffnungslosigkeit!
Geb., 256 Seiten
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Religion ist gut für …
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476 Geschichte
Nr. 42 / 2009 BÜCHER CIG
Katholisch im Dritten Reich
D
er zweite Resümee-Band der Kommission für Zeitgeschichte beschäftigt
sich ausschließlich mit der Forschung zur
NS-Zeit. Dargestellt werden teils schon
Jahrzehnte zurückliegende, teils nach wie
vor aktuelle Kontroversen und Debatten
über rassistische Ideologie und völkische
Religiosität, über die Frage, ob die Kirche
mit dem NS-Staat kollaboriert habe, über
die von den deutschen Bischöfen auszuhaltende Spannung zwischen Seelsorge und
Politik, die kirchliche Haltung zur Judenvernichtung, die Resistenzfähigkeit des katholischen Milieus, den Widerstandsbegriff,
die Haltung Pius’ XII. und der deutschen
Katholiken im Zweiten Weltkrieg sowie das
Problem der Vergangenheitsbewältigung.
Eingeleitet wird der Band durch eine historische sowie eine forschungsgeschichtliche Einführung, abgerundet durch einen
Beitrag über den Missbrauch historischer
Fotos. Besonders dankbar ist man für das
ausführliche Literaturverzeichnis. Befremdend, dass wichtige neuere Forschungsarbeiten nicht aufgenommen wurden. Auch
hätte es nicht geschadet, den engen Autorenkreis weiter zu ziehen. Dominik Burkard
Karl-Joseph Hummel, Michael Kißener
Die Katholiken und das Dritte Reich
Kontroversen und Debatten (Ferdinand
Schöningh, Paderborn 2009, 317 S., 32,90 €).
Lateinamerikanisch katholisch
F
ast die Hälfte der 1,2 Milliarden Katholiken lebt in Lateinamerika. Nicht
zuletzt diese Zahl erklärt die besondere Bedeutung dieser Region für den Weltkatholizismus. Jene Gegend verbinden wir mit einem Wechselbad von Diktaturen und
Demokratisierungsversuchen, mit einer
Riesenkluft zwischen Reichen und Armen,
mit der Theologie der Befreiung … Schließlich gibt es in der südlichen „Neuen Welt“
auch eine ambivalente Volksreligiosität und
ein sprunghaftes Wachstum freikirchlicher
und charismatischer Gruppen.
Nach zwei einführenden Beiträgen über
Entwicklungslinien im 20. Jahrhundert und
zur Theologiegeschichte Lateinamerikas
Gott im Krieg
W
ie verhalten sich Krieg und Christentum zueinander? Diesem Themenfeld geht der Sammelband nach, dessen
Aufsätze bei den biblischen Grundlagen
beginnen und mit dem amerikanischen
Anti-Terror-Krieg enden. Nicht die Vorstellung vom Heiligen Krieg, sondern die
vom „gerechten“ bestimmte weitgehend
das christliche Denken. Krieg wurde vor
allem als Strafe Gottes verstanden. Diese
Deutung konnte Krieg rechtfertigen, zugleich aber auch auf seine Einhegung zielen. Die Idee eines apokalyptischen Endkampfes, in dem sich das Gute gegen das
Böse durchsetzt, führte zur Eskalation von
Gewalt, wo sie ins Säkulare, auf Rasse, Nation oder Kultur, übertragen wurde.
Der gründliche Blick in die westliche
Kriegsgeschichte belegt, dass die Behauptung, dem Ein-Gott-Glauben wohne Gewalt
inne, nicht stichhaltig ist. Gleichwohl gibt zu
denken, wie ambivalent Theologie, Verkündigung und Frömmigkeit sich zu Gewalt
und Krieg verhalten haben.
Irene Leicht
Andreas Holzem (Hg.)
Krieg und Christentum
Religiöse Gewalttheorien in der Kriegserfahrung des Westens (Ferdinand Schöningh,
Paderborn 2009, 844 S., 88 €).
seit 1945 folgen 21 Länderbeiträge. Der rote
Faden ist die kirchliche Zeitgeschichte
Lateinamerikas und der Karibik aus befreiungstheologischer Sicht vor dem Hintergrund der sich wandelnden kirchlichen,
theologischen, politischen und sozialen
Rahmenbedingungen. Darin liegen die
Stärken und zugleich die Grenzen dieses
Bandes. Die Berücksichtigung anderer geschichtswissenschaftlicher Ansätze hätte
ihm gutgetan.
Mariano Delgado
Johannes Meier, Veit Straßner (Hg.)
Kirche und Katholizismus seit 1945
Lateinamerika und Karibik, Bd. 6 (Ferdinand
Schöningh, Paderborn 2009, 559 S., 78 €).
Herzensbildung
H
erzens-Bildung versteht der frühere
Benediktiner Anselm Bilgri, der eine
Unternehmensberatung gegründet hat, als
ein Ideal, bei dem neben Fachkompetenz
soziale, emotionale, kommunikative, religiöse und künstlerische Fähigkeiten im Vordergrund stehen.
Das Buch beginnt mit dem Hinweis auf
den Denkfehler unserer Gesellschaft, die
eine „überbordende Fülle an Information
mit der Zunahme von Wissen gleichsetzt“.
Wichtige Kapitel befassen sich mit: „Liebe
für die Ego-Gesellschaft“, „Lebensfreude
für die Angstgesellschaft“, „Vertrauen für
die kontrollierte Gesellschaft“. Zum Thema
Werte bekommt der Leser nicht das oft bemühte Moralisieren vorgesetzt. Der Autor
wendet sich auch an Führungskräfte der
Wirtschaft. „Es bleibt eine beständige Aufgabe, zu lernen, dass Führen, Leiten vor
allem Dienen heißt.“ Ein paar maßvolle
Spitzen gegen die Amtskirche sind nicht zu
überlesen. Aber: „Herzens-Bildung“ ist
auch ganz deutlich das Buch eines gläubigen Christen.
Volker Wörl
Anselm Bilgri
Herzens-Bildung
Ein Plädoyer für das Kapital in uns (Piper
Verlag, München 2009, 270 S., 16,95 €).
Die Würde des Menschen
Es kann nicht sein, dass als
vorbildhaft gilt, wer selbstgewiss andere schädigt:
Konsum, Arbeitswelt,
Erziehung, Beziehung, Politik,
Medien, Wissenschaft – die
Versuchungen sind groß, für
jeden. Das eigene Gewissen
ist der beste Ratgeber und
der sicherste Katastrophenschutz: Lebensnah und mit
vielen konkreten Beispielen
aus dem Alltag.
Das Buch erörtert Grundfragen der Lebensethik.
In einem praxisbezogenen
Anwendungsteil werden
aktuelle Einzelfragen erörtert.
Das Schlusskapitel legt christliche Grundhaltungen dar, die
der Lebensethik einen durch
das biblische Menschenbild
geprägten besonderen Charakter
verleihen: Ehrfurcht vor dem
Leben, Mitleid, Maß, Verzicht,
Dankbarkeit.
192 Seiten | Gebunden
mit Schutzumschlag
€ 16,95 /SFr 29.50 /€[A] 17,50
ISBN 978-3-451-30118-6
640 Seiten | Gebunden
mit Schutzumschlag
€ 39,90 /SFr 64.90 /€[A] 41,10
ISBN 978-3-451-30217-6
Neu in allen Buchhandlungen
oder unter www.herder.de
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