Jan Dringenberg Grammatik und Design - Linguistik

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Jan Dringenberg
Grammatik und Design -
Seminarbericht über eine Umfrage im WS 2010/11
„Kennen sie dash?“
Grammatik bezeichnet in der Linguistik eine systematische Beschreibung formaler
Regeln von Sprache. Sie setzt sich mit der Regelmäßigkeit von Sprache auseinander
und gibt auf diesem Wege Auskunft über den gebräuchlichen Umgang mit ihr. Die
Realität des gesprochenen Wortes zeigt jedoch, dass nicht jede Regel immer und
überall eingehalten werden muss. Vor allem Dialekte, Soziolekte oder andere
Varietäten führen nicht selten zu einem besonderen Umgang mit Sprache. Vor
diesem Hintergrund sind Abweichungen also zunächst nicht als „falsch“ zu
bezeichnen, sofern sie denn vom Sprachpartner verstanden werden. In der
gesprochenen Sprache gehören diese „Unregelmäßigkeiten“ folglich dazu. Doch wie
verhält es sich mit dem geschriebenen Wort? Dürfen grammatische Regeln
umgangen oder für bestimmte Zwecke kreativ „umgestaltet“ werden? Kann man
einen Text nur auf Grund seines Inhalts oder seiner äußeren Erscheinungsform einer
Gattung zuordnen? Empfindet man „Falsches“ sogar als „richtig“?
Mit solchen Fragen sah sich im WS 2010/11 eine Gruppe von Studierenden an der
Universität Duisburg-Essen im Seminar „Grammatik und Design“ unter der Leitung
von Linguistik-Professor Dr. Ulrich Schmitz konfrontiert. Die Lehrveranstaltung
untersuchte, welchen Einfluss Design auf Grammatik ausübt. Dabei bemühte man
sich zunächst um die Sichtung und Ortung von Grundlagentheorien. Seitens der
Linguistik standen sie in großer Fülle bereit. In Bezug auf eine grundlegende
Designtheorie blieb die Suche dagegen ohne Erfolg. Auch vertiefende Texte, die sich
mit dem Zusammenspiel von Grammatik und Design beschäftigen, ließen sich kaum
finden. Dennoch wurde eine Fülle von Informationen erarbeitet, die zu einer eigenen
These führte: Design beeinflusst Grammatik!
Um diese These empirisch zu prüfen, wurden Fragebögen erstellt und von Menschen
unterschiedlicher Gesellschaftsschichten bearbeitet. Das Material für die Bögen
lieferte vor allem der Bereich des Produktmarketings. Gerade hier werden Texte oft
auf sprachspielerische Weise in grafisch gestaltete Umgebungen eingebunden, um ein
bestimmtes Produkt zu bewerben. In dem Versuch ging es zum einen darum, wie
ungewöhnliche Sprachvarianten in der Umgebung von Design aufgenommen und
bewertet werden. Zum anderen wurde der grafische Umgang mit Sprache untersucht.
Hierzu wurde beispielsweise das allseits bekannte „I love NY“ so umgestaltet:
Durch diese Umgestaltung wollten wir herausfinden, ob es bereits so etwas wie
Konventionen im Umgang mit Grafiken gibt (ähnlich einer Grammatik).
Aber nicht nur im Grafikdesign und in der Werbung spielt man mit neuen
Sprachmöglichkeiten. Auch traditionelle Konventionen bedienen sich des Designs.
So wird zum Beispiel schnell deutlich, dass ein Text in Vers- und Strophenform
gewöhnlich der Gattung Lyrik zugeordnet bzw. als Gedicht verstanden wird. Ob ein
Gedicht bzw. ein anderer Text nach einer grafischen Umgestaltung dennoch der
richtigen Gattung zugeordnet wird, galt es ebenfalls herauszufinden.
Der Fragebogen wurde zum großen Teil von Studentinnen und Studenten der
Germanistik bearbeitet, aber auch Schüler eines Gymnasiums, Arbeitnehmer und eine
Mitglieder einer Sportgruppe wurden befragt. Hierbei ist es wichtig zu erwähnen,
dass die Befragten in zwei Gruppen mit jeweils zwei unterschiedlichen Fragebögen
konfrontiert wurden. Damit sollte getestet werden, ob sich die Probanden durch
visuelle Gestaltungen beeinflussen lassen, ob also Design direkt Einfluss auf die
Textrezeption nimmt. Außerdem wurden bei der Auswertung die Ergebnisse der
männlichen von denen der weiblichen Befragten unterschieden. Hier gab es zwar
keine gravierenden Unterschiede, aber doch einige Besonderheiten. Zum einen fiel
auf, dass mehr Männer als Frauen die Slogans „11880. Da werden Sie geholfen.“ und
„KIK. Besser als wie man denkt.“ für „eher richtig“ gehalten haben. Ob dies an der
Werbefigur Verona Pooth liegt, sei dahingestellt. 40 % der Herren erachten „König
Pilsener. Das König der Biere.“ als „eher richtig“ oder „richtig“. Im Gegensatz dazu
hält ein hoher Prozentsatz den Werbespruch „Nichts ist unmöglich. Toyota.“ für
„eher falsch“.
In Bezug auf die Umgestaltung der „I love New York“-Grafik (s.o.) fällt auf, dass die
meisten Getesteten hier tatsächlich mit „Ich liebe Bier“ antworteten. Auf Rang zwei
liegt die Ausformulierung „Ich trinke Bier“. In Bezug auf die zweite Umgestaltung:
antworteten die meisten „Ich trinke gern“. Somit wird deutlich, dass durch die
ursprüngliche Grafik bereits eine Konvention entstand, die auch durch andere
Designs erweitert werden kann, von der Sprechgemeinschaft aber dennoch in den
meisten Fällen gleichartig encodiert wird. Außerdem entstand auch in einigen Fällen
der Neologismus „Ich biere gern“. Der Einfluss von Design führt somit sogar zur
Weiterentwicklung der Sprache und ist damit nicht zu unterschätzen.
Bei der Entschlüsselung der Grafik „2in1“
lagen die Antworten „Zwei in Eins“, „Zwei in Einem“ oder eine ausführliche
Umschreibung vorne. Auch hier wird deutlich, dass durch die Verwendung des
Slogans in der Werbung (meist „Zwei in Eins“) diese eigentlich falsche
Umschreibung zur Konvention und Regel wird.
Am deutlichsten wird die These jedoch durch die Frage nach der Korrektheit von
Werbeslogans bestätigt. Wenn nur der reine Wortlaut ohne die grafische Umgebung
präsentiert wird, beurteilt die befragte Gruppe die grammatische Richtigkeit eindeutig
strenger als in der Originalumgebung. Der Großteil erkennt die fehlerhaften Sätze.
Bemerkenswerterweise halten nicht wenige Befragte aber auch grammatisch richtige
Sätze („Nichts ist unmöglich. Toyota“ bzw. „Edeka. Wir lieben Lebensmittel.“) für
grammatisch „falsch“.
Aber auch die visuelle Umgestaltung einer Betriebsanleitung und eines Gedichtes
bestätigte die Vermutung. Man beschloss, ein Gedicht in einen Fließtext
umzuwandeln und umgekehrt eine Betriebsanleitung in Versform umzutexten. Das
Gedicht wurde von mehr als 45 % der Befragten in beiden Gruppen einer anderen
Textsorte zugeordnet. In Gruppe B tat dies sogar über die Hälfte. Auch die
„lyrisierte“ Betriebsanleitung wurde in beiden Fällen von über 35% der Befragten
einer anderen Textsorte zugeordnet.
Diese Ergebnisse bestätigen also die Ausgangsthese. Grafische Gestaltung nimmt
zunehmend Einfluss auf unsere geschriebene Sprache. Das lässt sich auch an
Smileys, anderen Emoticons und graphostilistischen Mitteln in Chats oder bei der
Kommunikation über SMS erkennen. Durch diese Entwicklung eröffnet sich der
Linguistik ein neues Feld, das noch wenig untersucht ist und somit viel Raum zum
Forschen bietet. Es fiel weiter auf (wie oben erwähnt), dass keine grundlegende
Designtheorie existiert. Zwar gibt es einschlägige Werke zu theoretischen Aspekten
von Design, aber hier werden lediglich große Themenfelder angeschnitten und eher
noch oberflächlich betrachtet. Eine allgemein anerkannte Definition, was Design
genau ist und wie es funktioniert, gibt es nicht. Es wäre zu wünschen, dass Projekte
wie dieses einen Einfluss auf beide Bereiche ausüben dergestalt, dass Grammatiker
die Designer zu einer grundlegenden Definition motivieren und somit Grammatik
auch einmal Design beeinflusst.
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