Fall 23 ▶ Diagnostik. Die Diagnose wird anhand von Anamnese und klinischer Untersuchung gestellt. Dabei ist anfangs das Ausmaß der Schädigung noch nicht eindeutig zu bestimmen, da das Gewebe die gespeicherte Wärme langsam wieder abgibt („Nachbrennen“), was im Verlauf zu einer weiteren Schädigung führen kann. ▶ Therapie. Die wichtigsten Erstmaßnahmen sind die Entfernung der Kleidung, um die Hitzeeinwirkung auf das Gewebe zu unterbrechen, und nur bei kleiner Fläche verbrannten Körpergewebes (!) die Kühlung. Übermäßiges Kühlen schadet dem Patienten („nach der Hitze kommt die Kälte“, s. Antwort zu Frage 22.1). Weiterhin ist aufgrund der akuten Hypovolämie und des potenziellen Verbrennungsschocks bei brandverletzten Patienten eine Volumensubstitution sehr wichtig. Hier eignen sich besonders kristalline Infusionslösungen. Kolloidale Volumenersatzmittel bergen das Risiko der Extravasation (gesteigerte Kapillarpermeabilität → Ablagerung der Makromoleküle im Interstitium) und fördern möglicherweise die Bildung eines Verbrennungsödems. Für die Abschätzung des Flüssigkeitsbedarfs zur Volumensubstitution bei Brandverletzten eignet sich die Parkland-Formel (s. Antwort zu Frage 22.4). Mit dieser Volumentherapie sollte eine Urinausscheidung von 1 ml/ kg KG/h erreicht werden. Eine Analgosedierung, z. B. mit Fentanyl oder Ketamin/Esketamin und Midazolam, ist bei mittelschweren, großflächigen Verbrennungen erforderlich, da diese stärkste Schmerzen verursachen (ggf. Narkoseeinleitung und Intubation notwendig). Bei großflächigen Verbrennungen besteht immer ein erhöhtes Infektionsrisiko, sodass hier nach Möglichkeit gut gewebegängige, Erreger-spezifische Antibiotika eingesetzt werden sollten (schon prophylaktisch!). Bei jedem Verbrennungspatienten muss an eine Tetanusprophylaxe gedacht werden. Bei Patienten mit manifestem Schock ist eine standardisierte Schocktherapie mit Sicherung der Atemwege, Sauerstoffgabe, ggf. Intubation und Beatmung so- wie Kreislaufstabilisierung (Volumensubstitution, Katecholamingabe) erforderlich. Auch ein Monitoring (Blutdruckmessung, EKG, Pulsoxymetrie, Blutgasanalyse) ist obligat. Verbrennungen I. Grades können meist ambulant versorgt werden. Oftmals genügt nach einer adäquaten Kühlung das Aufbringen eines Salbenverbandes (z. B. Bepanthen®, Betaisodona®, Flammazine®). Oberflächliche Verbrennungen II. Grades (= IIa) werden in identischer Art und Weise versorgt. Zusätzlich ist ggf. eine Blasenabtragung erforderlich. Tiefe Verbrennungen II. Grades (= IIb) werden operativ durch Nekrosektomie und Spalthautdeckung versorgt. Schwere Verbrennungen müssen in einer Spezialklinik für Brandverletzte versorgt werden. Als Indikationen für die Aufnahme gelten: Verbrennung > 30 % der KOF (Kinder: > 10– 15 %) II. und III. Grades, Verbrennungen des Gesichts, Inhalationstrauma mit Hautverbrennungen, schwere elektrische oder chemische Verletzungen. Zusatzthemen für Lerngruppen ● ● ● Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. auch in die tieferen Atemwege. Nach einem meist symptomfreien Intervall treten Reizerscheinungen auf. Schon die Anamnese (Exposition) sollte Anlass zur Therapie geben. Glukokortikoid- (z. B. Beclometason) oder β2-Sympathomimetika-haltige Sprays (z. B. Fenoterol) können appliziert werden, obwohl ihre Wirkung in dieser Situation nicht eindeutig belegt ist. X Sofortmaßnahmen bei Verbrennungen Unterkühlung/Erfrierung Formeln zur Abschätzung des Substitutionsvolumens 23 Innerklinischer Transport von Intensivpatienten Können Sie die Patientin für die Zeit der Verlegung von der Intensivstation in den OP mit einem Beatmungsbeutel beatmen? 23.1 ● ● ● Jede Unterbrechung der differenzierten Beatmung sollte bei Intensivpatienten vermieden werden: ○ idealerweise Intensivrespirator mit in den OP nehmen ○ falls Gerätewechsel notwendig: Tubus in Inspirationsphase abklemmen („Inspiratory Hold“), um einen PEEP-Verlust zu vermeiden Ein Beatmungsbeutel muss bei Transporten intubierter und beatmeter Patienten immer mitgeführt werden, falls das Beatmungsgerät ausfällt (Akku, Gasversorgung). Beatmungsbeutel nur zur Beatmung im Notfall geeignet, Oxygenierung mit Intensivrespirator erheblich besser Fall 23 Seite 38 173 Fall 23 Stimmen Sie zu? Nein. ● Ein Unterbrechen des (invasiven) Monitorings bei einem katecholaminpflichtigen, intubierten und beatmeten Patienten ist in keiner Weise gerechtfertigt, da jederzeit hämodynamische und respiratorische Komplikationen (z. B. Hypo-/Hypertension, Arrhythmien, Hypoxämie) möglich sind. Diese müssen sofort erkannt und therapiert werden. Ein entsprechendes Transportmonitoring muss daher unbedingt mitgeführt werden. Dazu gehört bei beatmeten Patienten auch die Kapnografie. ● Paralleles Monitoring mehrerer Parameter (EKG, Pulsoxymetrie, arterielle Blutdruckmessung) erhöht die Sicherheit für den Patienten durch ein früheres Erkennen von Veränderungen und Störungen auch bei Ausfall eines Messparameters. 23.3 ● ● sorgfältige Überprüfung der Tubuslage: Ausschluss einer zu tiefen Lage des Endotrachealtubus: ○ Abschätzung der Tubuslage anhand der Markierung am Tubus ○ ggf. Zurückziehen des Tubus nach Entblocken, erneute Kontrolle durch Auskultation Beurteilung des letzten Röntgen oder CT des Thorax: Ausschluss einer Atelektase eines Teils der linken Lunge → ggf. Rekrutierungsmanöver durchführen (Blähen der Lunge) → erneute Auskultation 23.4 ● ● 174 Was unternehmen Sie? Schätzen Sie den Transport von Intensivpatienten als gefährlich ein? Transporte während des Aufenthalts auf der Intensivstation sind eine der fehlerträchtigsten Phasen in Krankenhäusern. Häufigkeit von „Missgeschicken“ (versehentliche Unterbrechung von Monitoring und Therapie) bei innerklinischen Transporten: bis zu 35 %, z. B.: ○ Diskonnektionen, Abknicken von Leitungen oder Beatmungsschläuchen ○ versehentliches Abschalten oder Nicht-Einschalten von Geräten ○ akzidentelle Dislokation von Zuleitungen, Endotrachealtubus oder Trachealkanüle Fall 23 Seite 38 Entfernen von venösen Zugängen oder Thoraxdrainagen Einzelereignisse sind häufig ohne unmittelbaren Einfluss auf den Patientenzustand, da sie – zufällig oder aufgrund etablierter Kontrollmechanismen – rechtzeitig bemerkt und behoben werden. Die Kombination oder Summation mehrerer „Missgeschicke“ kann aber zu gravierenden Zwischenfällen führen, die den Zustand des Patienten beeinträchtigen (Morbidität und Mortalität). sorgfältige Vorbereitung und hohe Aufmerksamkeit bei innerklinischer Verlegung von Intensivpatienten (ebenso wie beim Interhospitaltransfer) notwendig ○ ● ● Kommentar Zahlreiche Faktoren können den Patientenzustand durch den oder während des Transports verschlechtern. Dabei wird unterschieden zwischen Beeinträchtigungen, die direkt aus Transportmaßnahmen oder der Unterlassung von entsprechenden Maßnahmen oder organisatorischen Versäumnissen resultieren, und solchen, die aus der Erkrankung des Patienten erklärbar sind. ▶ Monitoring während des Transports. Zur Transportbegleitung sollten immer mindestens 2 Personen – ein sachkundiger Arzt und eine Pflegekraft – eingesetzt werden. Dies erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Probleme frühzeitig erkannt werden, und ermöglicht zudem bei Zwischenfällen eine Betreuung des Patienten, während eine Person Hilfe holt. Das Monitoring hämodynamischer Parameter ist bei Intensivpatienten in der Regel kontinuierlich notwendig. Lagerungsmaßnahmen führen häufig zu ausgeprägten Stressreaktionen mit Schwankungen von Herzfrequenz und Blutdruck. Daher können jederzeit Interventionen (z. B. Vertiefung der Analgosedierung, Anpassung der Katecholamindosis) erforderlich sein, die nur rechtzeitig erfolgen können, wenn Kreislaufveränderungen auch erkannt werden. Neben dem Standardmonitoring mit EKG und Pulsoxymetrie sollte auch der Blutdruck überwacht werden. Die Unterbrechung der arteriellen Blutdruckmessung für den Transport ist nicht sinnvoll, da sie eine wesentlich genauere Überwachung der hämodynamischen Situation als die intermittierende nichtinvasive Messung unter Transportbedingungen bietet und als sicherste Methode der Überwachung eingestuft Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 23.2 Fall 23 ▶ Medikamentöse Therapie während des Transports. Bei vielen Intensivpatienten ist eine Katecholamintherapie notwendig, die auch während des Transports ohne Unterbrechungen fortgeführt werden muss. Eine ausreichende Anzahl von Perfusoren, die so fixiert sind, dass die Katecholamindosis nicht durch ständige Höhenwechsel verändert wird, sollte mitgeführt werden. Zusätzlich müssen Perfusoren für die Fortführung der Analgosedierung vorhanden sein. Um bei Notfallsituationen sofort reagieren zu können, hat es sich bewährt, einen komplett ausgestatteten Notfallkoffer bzw. -rucksack bei jedem Transport von Intensivpatienten mitzuführen. ▶ Beatmungstherapie auf dem Transport. Auch moderne Transportbeatmungsgeräte (z. B. Medumat® transport, Oxylog® 3 000) erlauben eine differenzierte Beatmung von Intensivpatienten, doch sollten Gerätewechsel wann immer möglich vermieden werden. Vor der Übernahme des Patienten sollten die eingestellten Beatmungsparameter genau überprüft und nach Möglichkeit beibehalten werden, wenn keine medizinischen Gründe für Änderungen sprechen. Die Alarmgrenzen des Beatmungsgeräts sollten entsprechend eng eingestellt werden, um Veränderungen frühzeitig zu erkennen. Die Beatmung des Intensivpatienten mit einem Handbeatmungsbeutel auf dem Weg von der Station zum OP und umgekehrt muss abge- lehnt werden: Die Oxygenierung ist schlechter und die mechanische Beanspruchung der Lunge höher. Ein Beatmungsbeutel muss dennoch immer mitgeführt werden, wenn beatmete Patienten verlegt werden, um beim Ausfall des Beatmungsgeräts eine – wenn auch einfache – Beatmungsmöglichkeit zu haben. Ein entsprechender Gasvorrat (Sauerstoff, abhängig vom Beatmungsgerät ggf. Druckluft) muss verfügbar sein. Wo immer möglich, sollte die zentrale Gas- und Stromversorgung genutzt werden, um für unvorhergesehene Verzögerungen (z. B. Warten auf Fahrstuhl) Reserven zu haben. Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. wird. Auch weitere Bestandteile des invasiven Monitorings, z. B. die Messung des intrakraniellen Drucks (ICP), sollten während des Transports fortgesetzt werden. Daher müssen entsprechende Monitore für die Verlegung von Intensivpatienten vorgehalten werden. Der Transportmonitor (falls das Monitoring nicht komplett von der Intensivstation übernommen werden kann) sollte parallel zum laufenden Monitoring angeschlossen werden. Der Vergleich der Werte nach dem Wechsel des Monitors erlaubt eine Einschätzung, ob diese plausibel sind. Ausnahme: Der pulmonalarterielle Druck (PAP) sollte unter Transportbedingungen nicht gemessen werden. Der Pulmonaliskatheter sollte für Transporte unbedingt in den rechten Vorhof des Herzens zurückgezogen werden („ZVK-Position“), um eine Arretierung des Ballons in WedgePosition (→ Blockade einer Lungenarterie) und damit eine Minderdurchblutung eines Teils der Lunge zu vermeiden. ▶ Medizinproduktegesetz. Jede apparative Ausstattung ist nutzlos, wenn das eingesetzte Personal nicht ausreichend in die Bedienung eingewiesen ist. Die rein formelle Einweisung nach dem Medizinproduktegesetz (MPG) ist zwar unabdingbar, letztlich aber nicht ausreichend, sondern muss durch aktiven Gebrauch der Medizingeräte ergänzt werden, um eine vernünftige Bediensicherheit zu erzielen. Nur so kann bei Problemen und Zwischenfällen adäquat reagiert werden. ▶ Faktor „Mensch“. Die komplexe intensivmedizinische Versorgung kritisch kranker Patienten gilt als einer der fehlerträchtigsten Bereiche der stationären Krankenversorgung. „Missgeschicke“ und Zwischenfälle sind dabei – wie in anderen hochtechnisierten Bereichen – in einem hohen Anteil auf „menschliches Versagen“ zurückzuführen. Um diese zu vermeiden, ist neben einem Problembewusstsein aller Beteiligten das Befolgen einfacher Grundsätze hilfreich: Ein wichtiges Grundprinzip beim Transport von Intensivpatienten ist die „Rückfallebene“ („Plan B“) für den Fall, dass z. B. Geräte ausfallen. Dies betrifft z. B. die Versorgungssysteme wie Gas- und Energievorrat, das Mitführen eines Beatmungsbeutels und die Anzahl der verfügbaren Perfusoren (Mindestzahl: aktueller Bedarf + 1). X Zusatzthemen für Lerngruppen ● ● ● Medizinproduktegesetz (MPG) Interhospitaltransfer Übergabe des Intensivpatienten am Zielort Fall 23 Seite 38 175