FRANKFURTER INST Argumente zur Wirtschaftspolitik Nr 28/Dezember 1989 Wirtschaftsreformen in der DDRDer Weg vom Plan zum Markt "Die Arbeitsproduktivität ist in letzter Instanz das Allerwichtigste, das Ausschlaggebende für den Sieg der neuen Gesellschaftsordnung. Der Kapitalismus ... kann und wird dadurch endgültig besiegt werden, daß der Sozialismus eine neue, weit höhere Arbeitsproduktivität schafft." So Lenin 1919. Der real existierende Mensch mit seinen Wünschen und Bedürfnissen hat diese Prophezeihung vom ersten Tag an widerlegt. Ineffizienz und extrem niedrige Arbeitsproduktivität sind geradezu zwingend als Grundübel im Sozialismus angelegt. Der daraus herrührende Druck zu Wirtschaftsreformen hat nun auch die DDR erreicht. Dies und die Breschen in der Mauer, die das Wohlstandsgefälle zwischen den beiden deutschen Staaten noch spürbarer werden lassen, erfordern den Aufbau einer Wirtschaftsordnung in der DDR, die jedem Bürger die verantwortliche Teilnahme am Wirtschaften und damit auch die Teilhabe an dessen Erfolgen öglich macht. mit kollektivem Eigentum an den Produktionsmitteln und einer von individuellen Leistungen abgekoppelten, vorrangig dem Gleichheitsziel verpflichteten Verteilung der Produktionsergebnisse läuft auf zwei miteinander verknüpfte deprimierende Resultate hinaus: Sie macht die Menschen unfrei und verhindert die Entfaltung der Kräfte, die technischen, wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt überhaupt erst ermöglichen. Erweiterte Freiräume und mehr Demokratie auf der einen und eine vom Staat zentral gesteuerte Wirtschaft auf der anderen Seite beides ist über kurz oder lang nicht miteinander vereinbar. Denn Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung bedingen einander. Nur eine dezentrale, auf freiem Austausch und Wettbewerb aufbauende Wirtschaft macht selbstverantwortete Freiheit möglich - im gesellschaft- lichen wie im Wirtschaftsbereich. Die Suche nach sozialistischen Mischformen führt nicht dorthin. Zwar kann niemand den Bürgern in der DDR Vorschriften über die zu wählende Gesellschaftsordnung machen. Entscheiden sie sich aber für ein weiteres sozialistisches Experiment, müssen sie von der Vorstellung ablassen, für sich und ihre Kinder den Wohlstand und die Freiheiten zu erlangen, für die auch heute noch viele von ihnen ihre Heimat verlassen. Gewiß, für Hilfen in der Not sollte und wird es an der notwendigen Solidarität mit dem anderen Teil Deutschlands nicht fehlen. Möglichkeiten dazu gibt es viele - nicht nur im humanitären Bereich, auch auf Gebieten wie Umweltschutz, Denkmalpflege und Infrastrukturverbesserungen. Doch nicht um Tropfen auf den heißen Stein geht es, wenn die DDR aus ihrer Misere Ausgabenstruktur privater 4-Personenhaushalte 1985 Bundesrepublik DDR • ' Kein dritter Weg begehbar 41% Eine sozialistische Zentralverwaltungswirtschaft kann das nicht. Sie hat auch schon deshalb in der DDR ausgedient. Auch wenn es noch nicht allenthalben ausgesprochen wird: Sie kann letztlich nur durch Marktwirtschaft ersetzt werden. Noch meinen selbst Teile der Oppositionsgruppen, dem Scheitern des real existierenden Sozialismus könne ein neuer, mit mehr bürgerlichen Freiräumen verbundener Sozialismus folgen. Auch wenn die Vorstellungen darüber sehr vage sind: Für manche klingt die Utopie des Sozialismus noch immer verführerisch - und das nicht nur in der DDR. Doch jede sozialistische Wirtschaftsordnung 35,4% 26,6% 5,2% \ ^ - - _ ^ V / 12% 41,8% ] Nahrungs- und Genußmittel ] Miete, Strom, Gas Wasser \fV^ \ y 15,5% 22,5% | | Industriewaren ] Sonstiges Quelle: Materialien zum Bericht zur Lage der Nation im geteilten Deutschland 1987 | Nr 28/Dezember 1989 Seite 2 Argumente zur Wirtschaftspolitik herauskommen will. Für diesen Fall geht es um den Aufbau neuer tragfähiger ordnungspolitischer Strukturen - um die institutionellen Voraussetzungen für einen produktiven Wandel. Schon deshalb kann es nicht, wie einige Politiker hierzulande meinen, Aufgabe unseres Staates sein, eine neue Variante des Sozialismus aus Steuermitteln zu finanzieren. Dies würde unsere eigene wirtschaftliche Kraft übersteigen und die Notlage der DDR-Bürger nur verlängern. Je schneller die Entscheidung für die marktwirtschaftliche Richtung fällt, um so leichter ist es auch, das für die Modernisierung der Wirtschaft unersetzliche private Kapital zu mobilisieren. Zügige Reformen tun not ... Über das Ziel einer freien, sozial und ökologisch verantwortlichen Gesellschaft wird es unter der Mehrzahl der DDR-Bürger kaum Zweifel geben. Und bei sachkundiger, unvoreingenommener Betrachtung wohl auch nicht über das dafür am besten geeignete Mittel: die Soziale Marktwirtschaft. Das eigentliche Problem liegt, wie so oft, in der Bewerkstelligung des Übergangs. Weder Ost noch West haben fertige Konzepte für die Systemtransformation von der Planzur Marktwirtschaft. Zwar wird in diesem Zusammenhang häufig die Währungs- und Wirtschaftsreform von 1948 angeführt. Damals begann der westdeutsche Weg von der Zwangsbewirtschaftung zur Marktwirtschaft mit der Beseitigung eines gewaltigen Kaufkraftüberhangs und der Freigabe vieler Preise. Doch die damaligen Rezepte lassen sich nicht ohne weiteres übertragen. 1948 bestand in Westdeutschland eine der angestrebten Marktwirtschaft korrespondierende Rechtsordnung mit Privateigentum an den Produktionsbetrieben. Die schlagartige Liberalisierung zahlreicher Märkte lockte die in Erwartung einer Währungsreform gehorteten Waren auf den Markt und kurbelte die Produktion rasch wieder an. Dafür aber fehlt es in einem Land mit staatlicher Lenkung schon an den elementaren Voraussetzungen. Die Wirtschaftserneuerung in der DDR muß daher in erster Linie bei einer Reform der Angebotsseite ansetzen. Dann allerdings könnten in der DDR ähnlich dynamische Entwicklungen ablaufen wie in der Bundesrepublik der 50er Jahre. Über Kooperationen mit westlichen Firmen könnte der DDR in großem Ausmaß Kapital zufließen, das ihr neues technisches Wissen zugängig macht, den Energieeinsatz wirtschaftlicher gestaltet, die Konsumgüterproduktion ausbauen hilft und eine wesentlich höhere Arbeitsproduktivität ermöglicht. Gleichzeitig würden ohne zeitraubende Lernprozesse zeitgemäße Management- und Marketingmethoden eingeführt. Überdies würde die DDR über Gemeinschaftsunternehmen mit westlichen Partnern über deren Vertriebssysteme sofort auf den Weltmärkten präsent sein. Schon heute ist die DDR über die Zusatzprotokolle zum EWG-Vertrag mit der EG indirekt verbunden, so daß DDR-Produkte ohne Zoll in deren Mitgliedsländer exportiert werden können. ... auch wegen der offenen Grenzen Freilich läßt sich der Weg zum wirtschaftlichen Durchbruch nur dann ebnen, wenn die Systemumstellung rasch und umfassend angegangen wird. Eine nur halbherzige Transformation könnte den gesuchten Erfolg geradezu vereiteln. Damit ist nicht gesagt, daß die Umstellung ohne Schwierigkeiten vollzogen werden kann. Im Gegen- teil: Die Unwägbarkeiten nehmen mit fortschreitender Zeit noch zu. Jede Veränderung in Stufen hat auf kurze Sicht nicht nur Gewinner, sondern auch Verlierer. Die Anpassungsschmerzen könnten zu Widerständen gegen den Reformprozeß führen und noch mehr der knappen Fachkräfte veranlassen, auf leistungsgerechter bezahlte Arbeitsplätze außerhalb der DDR zu wechseln. Ohnehin ist heute der materielle Anreiz, in den Westen überzuwechseln, ungleich stärker als in der Zeit vor dem Mauerbau. Zwar war auch schon damals der Lebensstandard bei uns höher als in der DDR. Die Unterschiede fielen aber nach allen Kriterien geringer aus als heute. Doch nicht nur der Wechsel des Arbeitsplatzes von Ost nach West, auch die neu gewonnene Reisefreiheit wird die wirtschaftlichen Probleme in der DDR verschärfen. Die D-Mark ist schon heute - wie der Dollar bei uns in der Nachkriegszeit - die heimliche Währung der DDR. Deren Bürger werden alle sich ihnen bietenden DMQuellen erschließen. Durch Verkauf von DDR-Waren, von neuen und von wertvollen alten Gegenständen sowie durch Arbeit im Westen wird eine die sozialen Spannungen verschärfende Schicht von DM-Besitzern entstehen. Tauschen sie ihre DM-Bestände zu Wechselkursen zurück, die weit geringer sind als die interne Kaufkraft der DDR-Mark, trifft diese Kaufkraft auf ein Preissystem, in dem die Preise für die Grundbedürfnisse seit 40 Jahren künstlich niedrig gehalten werden. Da die Ausgaben für Wohnungen im Gegensatz zu uns nur einen Bruchteil der Ausgaben eines Haushalts ausmachen (siehe Grafik S.l), wird es lohnend, im Osten zu schlafen und im Westen zu arbeiten. Sollen erneute Reiseeinschränkungen vermieden werden, sind baldi- Nr 28/Dezemberl989 Seite 3 Argumente zur Wirtschaftspolitik ge Lösungen auch im Interesse der Bundesrepublik unumgänglich. Die in der DDR verbotene Ausund Einfuhr von DDR-Mark stärker zu kontrollieren oder die legale Arbeit bei uns zu unterbinden, bleibt angesichts der kaum noch zu kontrollierenden Grenzübertritte, der vielfältigen Möglichkeiten zur Arbeitsaufnahme oder zu Verkäufen auf Märkten bei uns nahezu wirkungslos. Auch eine Subventionierung des Wechselkurses aus » M i t t e l n des Bundeshaushaltes ist angesichts der erforderlichen Summen nur über kurze Zeit möglich. Außerdem würde damit nicht der Wirtschaft in der DDR geholfen, sondern nur die Finanzierung des Konsums der in den Westen reisenden Ostdeutschen erleichtert. Die dringend gebotene Wirtschaftsreform in der DDR muß deshalb an einer anderen Stelle ansetzen: Bei der Reform des Preissystems. Dies wiederum wird andere Reformen nach sich ziehen. Stufen der Reform: Dezentrale Lenkung ... Das entscheidende Problem jeder Volkswirtschaft ist die Lenkung • Bes Wirtschaftsprozesses selbst: Wie ist es möglich, den arbeitsteiligen Wirtschaftsprozeß sachlich, zeitlich und räumlich so zu steuern, daß alle Produkte dahin gelangen, wo sie gebraucht werden, daß von dem einen Erzeugnis nicht zuviel, von dem anderen nicht zuwenig hergestellt wird? In einer Marktwirtschaft erfolgt die Lenkung dieses Prozesses dezentral über eine Vielzahl von Preisen. Sie spiegeln die aus Angebot und Nachfrage sich ergebenden Knappheitsverhältnisse wider. Das Preissystem erfüllt mit der Informationsfunktion zugleich die Sanktionsfunktion. Für jeden, der knappe Ressourcen in Anspruch nimmt, werden deren Preise zu Kosten. Steigt die Nachfrage nach einem Gut, so erhöhen sich mit dem Preis die gesamtwirtschaftlichen Opportunitätskosten seiner Nutzung. Verwendungen mit niedriger Dringlichkeit werden ausgeschlossen. Der Informationsund Sanktionsmechanismus des Marktes veranlaßt die in der Wirtschaft Handelnden zu Mengenund Substitutionsanpassungen. In der staatlichen Planwirtschaft der DDR hingegen werden die Preise nach politischen Vorgaben festgelegt. Die Koordination wird im wesentlichen zentral über behördlich festgelegte Pläne und mit der Vorgabe von Kennziffern für die Betriebe versucht. Der dazu unabdingbare Informationsfluß läßt sich aber nicht zentral organisieren. Keine Bürokratie der Welt könnte den arbeitsteiligen Wirtschaftsprozeß so steuern, daß die Interessen der Millionen von Konsumenten, Arbeitskräften und Betrieben ausgeglichen werden. Im Gegensatz zu selbständigen, nach Gewinn strebenden Unternehmen können die Planungsbehörden auf Änderungen der Konsumentenwünsche nur sehr schwerfällig reagieren. Ihre Planvorgaben entsprechen daher nur selten den echten Bedürfnislagen. Mehr noch: Da die Preise die wahren Knappheitsverhältnisse nicht widerspiegeln, vermögen die Behörden nicht einmal die Unwirtschaftlichkeit einer Produktion zu erkennen. So kann es zu der absurden Situation kommen, daß Brot billiger ist als Getreide und in der Folge Brot statt Getreide an Hühner verfüttert wird. Seit den sechziger Jahren hat die DDR mehrere Anläufe zur Effizienzsteigerung unternommen. Es wurde versucht, neue Kennziffern, Erfolgskriterien und Kontrollmechanismen in das starre Planverfahren einzubauen. Mal gab es mehr, mal weniger Eigenständigkeit für die Betriebe. Einmal konzentrierten sich die An- strengungen auf die Schwerindustrie, dann auf den Konsumgüterbereich, und schließlich wurden auf Kosten der anderen Sparten Schlüsselbranchen wie die Mikroelektronik gefördert. All dies war aber nur ein Kurieren an Symptomen. Die Ursachen der Koordinierungsprobleme konnten damit nicht beseitigt werden. Bei zentraler Festlegung der Preise sind die tatsächlichen Kosten der Produktion nicht bekannt. Das führt zwangsläufig zur Unwirtschaftlichkeit und damit zur Verschwendung wertvoller Ressourcen. Schon von daher leuchtet ein: Der Übergang zu einer dezentralen Steuerung des Wirtschaftsprozesses über Märkte erfordert freie Preisbildung. Die Preise müssen den tatsächlichen Knappheits Verhältnissen entsprechen, um den Wirtschaftssubjekten die für ihre Reaktionen notwendigen Signale zu geben. Das läuft auf die Abschaffung der bürokratischen Ze n t ral verwal tu ngs wirtsschaft hinaus. Wenn der Staat nicht mehr direkt in die Preisbildung eingreift, kann das freilich zu sozialen Härten führen. Dabei ist aber zu beachten, daß zur freien Preisbildung auch die Freigabe der Löhne und Gehälter sowie eine eventuelle Erhöhung der Renten gehören. Überdies müssen nicht alle Preise auf einmal freigegeben werden. Auch nach der Währungsreform von 1948 bestand der Preisstop für Grundnahrungsmittel, Mietwohnungen, Rohstoffe, Strom, Gas und Wasser zunächst noch fort. ...Eigenverantwortung der Betriebe... Um auf Preissignale reagieren zu können, muß den Betrieben allerdings die volle Eigenverantwortung für ihr wirtschaftliches Ergebnis zugestanden werden. Zur Intensivierung des Wettbewerbs müßten die oft als Quasi-Mono- Nr 28/Dezember 1989 Seite 4 Argumente zur Wirtschaftspolitik pole ausgestatteten unbeweglichen und zentral geleiteten Kombinate in kleinere selbständige Betriebe aufgeteilt werden. Und durch eine geeignete Gesetzgebung müßten Anreize für die Gründung von mittleren und kleineren Betrieben geschaffen werden. Die Eigenverantwortung der Betriebe muß sich sowohl auf die Auswahl der Produktpalette als auch auf den Einsatz der Produktionsfaktoren erstrecken. Damit würde insbesondere das Mißverhältnis zwischen produktiven und unproduktiven Kräften in der gesamten Wirtschaft beseitigt. Die heute sowohl innerhalb eines Betriebes als auch zwischen den Sektoren vorhandenen geringen Lohnunterschiede (siehe Tabelle) müßten leistungsgerecht ausgestaltet werden, um damit auch die Arbeitnehmer zur Erhöhung ihrer Arbeitsproduktivität anzureizen. Eigenverantwortung der Betriebe erstreckt sich schließlich auch auf den Aufbau von Beziehungen zu Kunden und Lieferanten. Informationsbeschaffung und Ausbau eines Vertriebsnetzes sind dafür ebenso Voraussetzung wie die Beseitigung des staatlichen Aussenhandelsmonopols. Die Unternehmen müssen in die Lage versetzt werden, direkt mit ausländischen Kunden und Zulieferern zu verhandeln. Dies setzt wiederum voraus, daß sich die Preise am Weltmarkt orientieren. Wäre das nicht der Fall, würden falsche Produktionsanreize gesetzt und die Vorteile aus der internationalen Arbeitsteilung wieder verspielt. ...und Konvertibilität der Währung Die Ausrichtung der Preise am Weltmarkt wird durch eine konvertible Währung wesentlich erleichtert. Nach außen, als Ausländerkonvertibilität, ist sie für den Import von privatem Kapital erforderlich. Im Innern, für die DDR-Unternehmen, ist sie notwendig, um mit importierten Zwischenprodukten effizient produzieren zu können. Und für Reisemöglichkeiten der DDR-Bürger ohne Devisenkontrolle ist eine Inländerkonvertibilität unabdingbar. Konvertibilität der Währung und "echte" Preise als Ausdruck von Knappheit setzen aber ein funktionierendes, vertrauenerweckendes Geldwesen voraus. Um die volle Konvertibilität der D-Mark zu erreichen, wurden zehn Jahre benötigt. Auch wenn dieser Prozeß in der DDR kürzer verlaufen könnte: Eine volle Konvertibilität ist nicht von heute auf morgen zu erreichen. Das für die Modernisierung der DDR-Wirtschaft notwendige westliche Kapital braucht aber nicht nur die Gewißheit eines freien Rücktransfers. Es benötigt auch die Sicherheit stabiler Austauschverhältnisse. Zu diesem Zweck könnte die DDR beispielsweise einen Wechselkurs zwischen D-Mark und DDR-Mark von 1 zu 5 garantieren. Im Gegensatz zu extrem schwankenden Wechselkursen würde dies sowohl den Kapitalverkehr als auch die Orientierung der Betriebe an den Weltmarktpreisen erleichtern. Aufgrund der derzeitigen wirtschaftlichen Situation der DDR kann eine solche Garantie aber nur mit Devisenbewirtschaftung und Devisenkontrollen in anderen Bereichen einhergehen. So wäre es unvermeidlich, DDR-Bürgern für Westreisen Devisen zunächst nur in beschränktem Umfang verfügbar zu machen. Rückgrat einer solchen Garantie ist das Vertrauen, daß durch Modernisierung der Wirtschaft in Zukunft ein solcher Wechselkurs auch eingehalten werden kann. Ein solcher Wechsel auf die Zukunft wird aber nur akzeptabel und einlösbar sein, wenn die gesamte Wirtschafts- und Geldpolitik auf dieses Austauschverhältnis ausgerichtet ist. Um der Währung Glaubwürdigkeit zu verleihen, ist eine von der Regierung unabhängige Notenbank sinnvoll. Sie darf nicht, wie heute, dazu benutzt werden, den Staatshaushalt zu finanzieren. Durchschnittliches monatliches B ruttoarbeitsein kommen der Arbeiter und Angestell ten in sozialistischen Betrieben der Industrie nach Industriebereichen (in DDR- Mark) Arbeiter und Angestellte Produktionsarbeiter bzw. gleichgestelltes Personal 1980 1987 1980 1987 Energie- u. Brennstoffind. Chemische Industrie Metallurgie Baumaterialienindustrie Wasserwirtschaft Maschinen- u. Fahrzeugbau Elektrotechnik, Elektronik Gerätebau Leichtindustrie (ohne Textilindustrie) Textilindustrie Lebensmittelindustrie 1.153 1.088 1.153 1.031 940 1.070 1.394 1.286 1.334 1.213 1.155 1.279 1.151 1.061 1.160 1.042 914 1.060 1.381 1.258 1.329 1.209 1.095 1.259 1.051 1.261 999 1.193 938 903 982 1.157 1.144 1.186 916 881 995 1.124 1.112 1.186 Insgesamt 1.038 1.251 1.018 1.222 Industriebereich Quelle: Statistisches Jahrbuch 1988 für die Bundesrepublik Deutschland, S. 627 Argumente zur Wirtschaftspolitik Überdies bedarf es einer Kontrolle hen ausgeben, Anteilscheine an der Geldmenge. Wie auch andere Staatsbetrieben verkaufen, Ackersozialistische Länder leidet die und Bauland an Privatpersonen DDR an dem Problem einer zu- veräußern oder importierte Konrückgestauten Inflation: Es gibt sumgüter verkaufen, soweit Devizuviel Geld und zu wenig Güter. sen vorhanden sind oder erworben Die zum Funktionieren des Geld- werden können. Notfalls könnte in wesens erforderliche Knappheit Zusammenhang mit der Preisfreides Geldes könnte auf zwei Wegen gabe ein Teil der Spareinlagen für herbeigeführt werden: Durch eine eine gewisse Zeit blockiert werden. Reduktion seiner Kaufkraft mit- Dieser Weg zur Währungskonvertitels Erhöhung von Preisen und bilität hätte den weiteren Vorteil, Löhnen oder aber durch eine den Lastenausgleich zwischen den Reduktion des Nennbetrages der verlierenden Besitzern von Geld• insgesamt vorhandenen Mengen vermögen und den gewinnenden von Bargeld und Bankeinlagen bei Inhabern von Sachwerten gering zu Aufrechterhaltung des alten Preis- halten. Allerdings wäre darauf zu und Lohnniveaus (Währungsre- achten, daß die Geldmenge nur form). Beide Methoden bergen noch kontrolliert ausgeweitet und erhebliche Risiken. Die Erhöhung das Staatsdefizit solide am Markt des Preis- und Lohnniveaus kann finanziert wird. leicht über das an sich notwendige Maß hinausschießen. Und für eine Materielle Interessiertheit Währungsreform nach dem Muster von 1948 fehlen wesentliche Vor- Die bisher genannten Umstelaussetzungen. Nach verlorenem lungsmaßnahmen skizzieren nicht Krieg ist die schlagartige Entwer- mehr als die technischen Voraustung aller Ersparnisse wesentlich setzungen für eine Dezentralisieleichter durchzusetzen. Auch war rung der Wirtschaft. Darüber hindie Währungsreform keine Ent- aus bliebe vor allem der Schlüsselscheidung der eigenen Regierung. begriff der Eigenverantwortung zu Sie wurde von den Besatzungs- klären. Verantwortung setzt nicht ächten durchgesetzt. Eine solche nur die Freiheit zur Entscheidung ntwertung könnte möglicherwei- voraus. Wesentlich sind Belohnung se erhebliche Widerstände der be- als Antrieb für die Übernahme von troffenen DDR-Bürger hervorru- Verantwortung und Sanktion für fen, würde ihnen doch damit herbeigeführte Schäden. Neue demonstriert, daß sie jahrzehnte- Produkte, Veränderungen des Prolang umsonst gearbeitet und ge- duktionsprozesses oder die Erspart haben. Überdies ist der in der schließung neuer Absatzgebiete DDR vorhandene Geldüberhang allesamt Kennzeichen einer dynanicht mit dem vor der Währungs- mischen Wirtschaft - sind mit reform zu vergleichen. Damals Risiken verbunden, die der einzelbelief sich der Kaufkraftüberhang ne oder ein Unternehmen in der auf das Zwei- bis Dreifache des Regel nur mit Aussicht auf eine Sozialprodukts. In der DDR ist der Belohnung eingeht. Kaufkraftüberhang und damit das Inflationspotential geringer. Treibende Kraft ist insoweit also die materielle Interessiertheit. Der Für die DDR bietet sich zur Besei- Versuch, das materielle Interesse tigung des Kaufkraftüberhanges der Menschen auf Dauer durch statt dessen eine dritte Möglichkeit Idealismus zu ersetzen oder durch an. Der Staat könnte, um Teile der staatliche Planung und Lenkung überschüssigen Geldmenge an sich auszuschalten, ist noch immer zu ziehen und stillzulegen, Anlei- fehlgeschlagen. Weder in Kuba f Nr 28/Dezember 1989 Seite 5 noch in den Kibbuzim hat der Idealismus der frühen Stunde ausgereicht, auf Dauer genügend Anreize für effizientes Wirtschaften zu liefern. Auch die Erfahrungen mit den selbstverwalteten Betrieben Jugoslawiens waren negativ. Deshalb tut man gut daran, auch in der DDR auf Privateigentum und private Verfügungsrechte zu setzen. Sie sind der stärkste Antrieb für den sparsamen Gebrauch von knappen Gütern und zur Ankurbelung der Kräfte, die technischen und sozialen Fortschritt ermöglichen. Mit der Zulassung von Privateigentum wäre die Systemtransformation in eine Marktwirtschaft vollendet. Privateigentum an den Produktionsmitteln würde es nicht nur DDR-Bürgern erlauben, Firmen zu gründen. Es würde auch Gemeinschaftsunternehmen mit westlichen Partnern wesentlich erleichtern. Privateigentum - in Verbindung mit Rahmenvereinbarungen zwischen der DDR und der Bundesrepublik über einen privaten Kapitalverkehr - könnte die wirtschaftliche Situation der DDR rasch verbessern. Auch die Staatsbetriebe der DDR müßten sich am Markt behaupten. Eine Privatisierung, etwa durch Ausgabe von Belegschaftsaktien, ist nicht zwingend erforderlich. Es ist durchaus denkbar, daß zunächst ein großer Teil der Betriebe noch in Staatshand verbleibt. Allerdings zeigen die Erfahrungen mit staatlichen Unternehmen im Westen, daß solche Firmen, auch wenn sie dem Markt ausgesetzt sind, in der Regel weniger effizient arbeiten. Ihre Flexibilität und der Zwang zu einer größeren Marktnähe könnten dadurch erhöht werden, daß ihnen ebenfalls die Gründung von Gemeinschaftsunternehmen mit westlichen Partnern gestattet wird. Bei einer solchen Umstellung der Wirtschaft ist zu erwarten, daß Argumente zur Wirtschaftspolitik insbesondere für bundesdeutsche Unternehmen Investitionen in der DDR interessant werden. Für sie dürfte es aus vielen Gründen näher liegen, in der DDR zu produzieren, statt Fabriken in anderen Ländern zu errichten. Dies würde nicht nur den Bürgern in der DDR, sondern auch dem Umweltschutz im Herzen Europas zugute kommen. Die DDR ist in Europa eines der Länder mit den höchsten Umweltschäden. Die DDR-Industrie verbraucht bei der Herstellung vergleichbarer Produkte 30 bis 40% mehr Energie als bundesdeutsche Unternehmen. Energiesparende Investitionen in der DDR dürften daher erheblich zur Verbesserung der Umwelt beitragen. Interdependenz der Ordnungen Für einen raschen und sozialverträglichen Übergang von der Planzur Marktwirtschaft gibt es keine Patentrezepte, wohl aber ordnungspolitische Markierungen, die den Weg weisen. Ihr Verständnis stößt freilich noch auf Schwierigkeiten. Das hohe Wohlstandsniveau und die Freiheiten der Menschen "im Westen" werden im anderen Teil Deutschlands zwar gesehen, doch die Funktionsweise dieses Systems ist dort nahezu unbekannt, vielen ist sie sogar suspekt. Mehr noch: Es fehlt schon am Verständnis für die Kultur des eigenverantwortlichen, arbeitsteiligen und hocheffizienten Wirtschaftens. Daraus ist den Menschen kein Vorwurf zu machen. Daß diese Kultur in vierzig Jahren zerstört und das eigenverantwortliche Individuum durch den Staatsfunktionär als dominierender Typus verdrängt worden Nr 28/Dezember 1989 Seite 6 Fazit: • Die Reisefreiheit und das damit noch spürbarer gewordene Wohlstandsgefälle fordern zu ernsthaften Reformen des Wirtschaftssystems der DDR heraus. • Je entschlossener eine marktwirtschaftliche Reform in Angriff genommen wird, desto eher läßt sich das für den Aufbau der DDR-Wirtschaft unerläßliche private Kapital mobilisieren. • Reform des Preissystems, Eigenverantwortung der Betriebe, Konvertibilität der Währung und die Nutzung der Möglichkeiten von Gemeinschaftsunternehmen sind entscheidende Schritte in diese Richtung. • Allerdings gibt es keine wirtschaftliche Eigenverantwortung ohne Freiheit im politischen Raum und umgekehrt. Auch ein modifizierter Sozialismus enthält seinen Menschen wesentliche Freiheiten vor. Er weist schon von daher keinen Weg aus der von ihm selbst genährten Systemkrise. ist, dürfte sich als das unrühmlichste Erbe des Sozialismus erweisen. Will die DDR-Regierung an einer Art geläutertem Sozialismus mit zentraler Planung der Wirtschaft festhalten, dann muß sie nicht nur auf private Investitionen aus dem Westen verzichten. Sie wird den Bürgern auch wesentliche politische Freiheitsrechte vorenthalten müssen, die mit der zentralen Pla- nung des Wirtschaftsprozesses unvereinbar sind. Politische Demokratie hat ihr Fundament in den Grund- und Freiheitsrechten. Dazu zählen freie Berufswahl, Freizügigkeit, freie Wahl des Arbeitsplatzes und freie Entfaltung der Persönlichkeit. Diese sichern den Bürgern die Möglichkeit, in dem von der Rechtsordnung gezogenen Rahmen ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Wer aber über die Art und Weise seiner Lebensgestaltung selbst entscheiden will, der muß die Macht und' die Möglichkeit haben, seine eigenen wirtschaftlichen Entscheidungen über die Verwendung der Güter oder den Einsatz seiner Arbeitskraft selbst zu treffen. Diese Selbstbestimmung ist aber mit einer zentralen Planung der Wirtschaftsprozesse unvereinbar. Die Umgestaltung vom Plan zum Markt - wenn sie denn gewollt wird - setzt allerdings voraus, daß die Menschen der DDR in großer Zahl und auf allen Ebenen praktischen Einblick in Funktion und Alltag einer freien, sozial und ökologisch verpflichteten Marktwirtschaft gewinnen können. U P ^ das zu ermöglichen, sind insbeson™ dere Wirtschaft, Wissenschaft und die gesellschaftlichen Kräfte in der Bundesrepublik gefordert, auch wenn die Verständigung im ökonomischen Bereich - anders als auf kulturellem und rein technischem Gebiet - wegen ganz unterschiedlicher Begriffswelten am Anfang schwierig ist. Doch dieser Dialog auf breitester Basis ist unverzichtbar. Er könnte im übrigen auch auf unserer Seite zum besseren Verständnis des eigenen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems beitragen. Herausgeber: FRANKFURTER INSTITUT für wirtschaftspolitische Forschung e. V., Kaiser-Friedrich-Promenade 157, 6380 Bad Homburg v. d. H.f Telefon (06172) 42074, Telefax (06172) 42355 Direktor des Instituts: Gert Dahlmanns Vorstandsvorsitzender: H. Joachim Krahnen Wissenschaftlicher Beirat: KRONBERGER KREIS