Argument 28 Wirtschaftsreformen in der DDR

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FRANKFURTER INST
Argumente zur Wirtschaftspolitik
Nr 28/Dezember 1989
Wirtschaftsreformen in der DDRDer Weg vom Plan zum Markt
"Die Arbeitsproduktivität ist in
letzter Instanz das Allerwichtigste,
das Ausschlaggebende für den Sieg
der neuen Gesellschaftsordnung.
Der Kapitalismus ... kann und wird
dadurch endgültig besiegt werden,
daß der Sozialismus eine neue, weit
höhere
Arbeitsproduktivität
schafft." So Lenin 1919. Der real
existierende Mensch mit seinen
Wünschen und Bedürfnissen hat
diese Prophezeihung vom ersten
Tag an widerlegt. Ineffizienz und
extrem niedrige Arbeitsproduktivität sind geradezu zwingend als
Grundübel im Sozialismus angelegt. Der daraus herrührende
Druck zu Wirtschaftsreformen hat
nun auch die DDR erreicht. Dies
und die Breschen in der Mauer, die
das Wohlstandsgefälle zwischen
den beiden deutschen Staaten noch
spürbarer werden lassen, erfordern
den Aufbau einer Wirtschaftsordnung in der DDR, die jedem Bürger die verantwortliche Teilnahme
am Wirtschaften und damit auch
die Teilhabe an dessen Erfolgen
öglich macht.
mit kollektivem Eigentum an den
Produktionsmitteln und einer von
individuellen Leistungen abgekoppelten, vorrangig dem Gleichheitsziel verpflichteten Verteilung
der Produktionsergebnisse läuft
auf zwei miteinander verknüpfte
deprimierende Resultate hinaus:
Sie macht die Menschen unfrei und
verhindert die Entfaltung der
Kräfte, die technischen, wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt überhaupt erst ermöglichen.
Erweiterte Freiräume und mehr
Demokratie auf der einen und eine
vom Staat zentral gesteuerte Wirtschaft auf der anderen Seite beides ist über kurz oder lang nicht
miteinander vereinbar. Denn Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung
bedingen einander. Nur eine dezentrale, auf freiem Austausch und
Wettbewerb aufbauende Wirtschaft macht selbstverantwortete
Freiheit möglich - im gesellschaft-
lichen wie im Wirtschaftsbereich.
Die Suche nach sozialistischen
Mischformen führt nicht dorthin.
Zwar kann niemand den Bürgern
in der DDR Vorschriften über die
zu wählende Gesellschaftsordnung
machen. Entscheiden sie sich aber
für ein weiteres sozialistisches
Experiment, müssen sie von der
Vorstellung ablassen, für sich und
ihre Kinder den Wohlstand und die
Freiheiten zu erlangen, für die
auch heute noch viele von ihnen
ihre Heimat verlassen.
Gewiß, für Hilfen in der Not sollte
und wird es an der notwendigen
Solidarität mit dem anderen Teil
Deutschlands nicht fehlen. Möglichkeiten dazu gibt es viele - nicht
nur im humanitären Bereich, auch
auf Gebieten wie Umweltschutz,
Denkmalpflege und Infrastrukturverbesserungen. Doch nicht um
Tropfen auf den heißen Stein geht
es, wenn die DDR aus ihrer Misere
Ausgabenstruktur privater 4-Personenhaushalte 1985
Bundesrepublik
DDR
• '
Kein dritter Weg begehbar
41%
Eine sozialistische Zentralverwaltungswirtschaft kann das nicht. Sie
hat auch schon deshalb in der DDR
ausgedient. Auch wenn es noch
nicht allenthalben ausgesprochen
wird: Sie kann letztlich nur durch
Marktwirtschaft ersetzt werden.
Noch meinen selbst Teile der
Oppositionsgruppen, dem Scheitern des real existierenden Sozialismus könne ein neuer, mit mehr
bürgerlichen Freiräumen verbundener Sozialismus folgen. Auch
wenn die Vorstellungen darüber
sehr vage sind: Für manche klingt
die Utopie des Sozialismus noch
immer verführerisch - und das
nicht nur in der DDR. Doch jede
sozialistische Wirtschaftsordnung
35,4%
26,6%
5,2%
\ ^ - - _ ^ V / 12%
41,8%
] Nahrungs- und Genußmittel
] Miete, Strom, Gas Wasser
\fV^
\ y
15,5%
22,5%
| | Industriewaren
] Sonstiges
Quelle: Materialien zum Bericht zur Lage der Nation im geteilten Deutschland
1987
|
Nr 28/Dezember 1989
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Argumente
zur Wirtschaftspolitik
herauskommen will. Für diesen
Fall geht es um den Aufbau neuer
tragfähiger
ordnungspolitischer
Strukturen - um die institutionellen Voraussetzungen für einen
produktiven Wandel. Schon deshalb kann es nicht, wie einige
Politiker hierzulande
meinen,
Aufgabe unseres Staates sein, eine
neue Variante des Sozialismus aus
Steuermitteln zu finanzieren. Dies
würde unsere eigene wirtschaftliche Kraft übersteigen und die
Notlage der DDR-Bürger nur verlängern. Je schneller die Entscheidung für die marktwirtschaftliche
Richtung fällt, um so leichter ist es
auch, das für die Modernisierung
der Wirtschaft unersetzliche private Kapital zu mobilisieren.
Zügige Reformen tun not ...
Über das Ziel einer freien, sozial
und ökologisch verantwortlichen
Gesellschaft wird es unter der
Mehrzahl der DDR-Bürger kaum
Zweifel geben. Und bei sachkundiger, unvoreingenommener Betrachtung wohl auch nicht über das
dafür am besten geeignete Mittel:
die Soziale Marktwirtschaft. Das
eigentliche Problem liegt, wie so
oft, in der Bewerkstelligung des
Übergangs. Weder Ost noch West
haben fertige Konzepte für die Systemtransformation von der Planzur Marktwirtschaft. Zwar wird in
diesem Zusammenhang häufig die
Währungs- und Wirtschaftsreform
von 1948 angeführt. Damals begann der westdeutsche Weg von
der Zwangsbewirtschaftung zur
Marktwirtschaft mit der Beseitigung eines gewaltigen Kaufkraftüberhangs und der Freigabe vieler
Preise. Doch die damaligen Rezepte lassen sich nicht ohne weiteres
übertragen. 1948 bestand in Westdeutschland eine der angestrebten
Marktwirtschaft korrespondierende Rechtsordnung mit Privateigentum an den Produktionsbetrieben. Die schlagartige Liberalisierung zahlreicher Märkte lockte die
in Erwartung einer Währungsreform gehorteten Waren auf den
Markt und kurbelte die Produktion
rasch wieder an. Dafür aber fehlt
es in einem Land mit staatlicher
Lenkung schon an den elementaren
Voraussetzungen. Die Wirtschaftserneuerung in der DDR muß daher
in erster Linie bei einer Reform
der Angebotsseite ansetzen.
Dann allerdings könnten in der
DDR ähnlich dynamische Entwicklungen ablaufen wie in der
Bundesrepublik der 50er Jahre.
Über Kooperationen mit westlichen Firmen könnte der DDR in
großem Ausmaß Kapital zufließen, das ihr neues technisches
Wissen zugängig macht, den Energieeinsatz wirtschaftlicher gestaltet, die Konsumgüterproduktion
ausbauen hilft und eine wesentlich
höhere Arbeitsproduktivität ermöglicht. Gleichzeitig würden
ohne zeitraubende Lernprozesse
zeitgemäße Management- und
Marketingmethoden
eingeführt.
Überdies würde die DDR über Gemeinschaftsunternehmen
mit
westlichen Partnern über deren
Vertriebssysteme sofort auf den
Weltmärkten präsent sein. Schon
heute ist die DDR über die Zusatzprotokolle zum EWG-Vertrag mit
der EG indirekt verbunden, so daß
DDR-Produkte ohne Zoll in deren
Mitgliedsländer exportiert werden
können.
... auch wegen der offenen
Grenzen
Freilich läßt sich der Weg zum
wirtschaftlichen Durchbruch nur
dann ebnen, wenn die Systemumstellung rasch und umfassend angegangen wird. Eine nur halbherzige Transformation könnte den
gesuchten Erfolg geradezu vereiteln.
Damit ist nicht gesagt, daß die
Umstellung ohne Schwierigkeiten
vollzogen werden kann. Im Gegen-
teil: Die Unwägbarkeiten nehmen
mit fortschreitender Zeit noch zu.
Jede Veränderung in Stufen hat
auf kurze Sicht nicht nur Gewinner, sondern auch Verlierer. Die
Anpassungsschmerzen könnten zu
Widerständen gegen den Reformprozeß führen und noch mehr der
knappen Fachkräfte veranlassen,
auf leistungsgerechter bezahlte
Arbeitsplätze außerhalb der DDR
zu wechseln. Ohnehin ist heute der
materielle Anreiz, in den Westen
überzuwechseln, ungleich stärker
als in der Zeit vor dem Mauerbau.
Zwar war auch schon damals der
Lebensstandard bei uns höher als
in der DDR. Die Unterschiede
fielen aber nach allen Kriterien
geringer aus als heute.
Doch nicht nur der Wechsel des
Arbeitsplatzes von Ost nach West,
auch die neu gewonnene Reisefreiheit wird die wirtschaftlichen
Probleme in der DDR verschärfen.
Die D-Mark ist schon heute - wie
der Dollar bei uns in der Nachkriegszeit - die heimliche Währung
der DDR. Deren Bürger werden
alle sich ihnen bietenden DMQuellen erschließen. Durch Verkauf von DDR-Waren, von neuen
und von wertvollen alten Gegenständen sowie durch Arbeit im
Westen wird eine die sozialen
Spannungen verschärfende Schicht
von DM-Besitzern entstehen. Tauschen sie ihre DM-Bestände zu
Wechselkursen zurück, die weit
geringer sind als die interne Kaufkraft der DDR-Mark, trifft diese
Kaufkraft auf ein Preissystem, in
dem die Preise für die Grundbedürfnisse seit 40 Jahren künstlich
niedrig gehalten werden. Da die
Ausgaben für Wohnungen im
Gegensatz zu uns nur einen Bruchteil der Ausgaben eines Haushalts
ausmachen (siehe Grafik S.l), wird
es lohnend, im Osten zu schlafen
und im Westen zu arbeiten.
Sollen erneute Reiseeinschränkungen vermieden werden, sind baldi-
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ge Lösungen auch im Interesse der
Bundesrepublik
unumgänglich.
Die in der DDR verbotene Ausund Einfuhr von DDR-Mark stärker zu kontrollieren oder die legale
Arbeit bei uns zu unterbinden,
bleibt angesichts der kaum noch zu
kontrollierenden Grenzübertritte,
der vielfältigen Möglichkeiten zur
Arbeitsaufnahme oder zu Verkäufen auf Märkten bei uns nahezu
wirkungslos. Auch eine Subventionierung des Wechselkurses aus
» M i t t e l n des Bundeshaushaltes ist
angesichts der erforderlichen
Summen nur über kurze Zeit
möglich. Außerdem würde damit
nicht der Wirtschaft in der DDR
geholfen, sondern nur die Finanzierung des Konsums der in den
Westen reisenden Ostdeutschen
erleichtert. Die dringend gebotene
Wirtschaftsreform in der DDR
muß deshalb an einer anderen
Stelle ansetzen: Bei der Reform des
Preissystems. Dies wiederum wird
andere Reformen nach sich ziehen.
Stufen der Reform: Dezentrale
Lenkung ...
Das entscheidende Problem jeder
Volkswirtschaft ist die Lenkung
• Bes Wirtschaftsprozesses selbst:
Wie ist es möglich, den arbeitsteiligen Wirtschaftsprozeß sachlich,
zeitlich und räumlich so zu steuern, daß alle Produkte dahin gelangen, wo sie gebraucht werden, daß
von dem einen Erzeugnis nicht
zuviel, von dem anderen nicht
zuwenig hergestellt wird? In einer
Marktwirtschaft erfolgt die Lenkung dieses Prozesses dezentral
über eine Vielzahl von Preisen. Sie
spiegeln die aus Angebot und
Nachfrage
sich
ergebenden
Knappheitsverhältnisse wider. Das
Preissystem erfüllt mit der Informationsfunktion zugleich die
Sanktionsfunktion. Für jeden, der
knappe Ressourcen in Anspruch
nimmt, werden deren Preise zu
Kosten. Steigt die Nachfrage nach
einem Gut, so erhöhen sich mit
dem Preis die gesamtwirtschaftlichen Opportunitätskosten seiner
Nutzung. Verwendungen mit
niedriger Dringlichkeit werden
ausgeschlossen. Der Informationsund Sanktionsmechanismus des
Marktes veranlaßt die in der Wirtschaft Handelnden zu Mengenund Substitutionsanpassungen.
In der staatlichen Planwirtschaft
der DDR hingegen werden die
Preise nach politischen Vorgaben
festgelegt. Die Koordination wird
im wesentlichen zentral über behördlich festgelegte Pläne und mit
der Vorgabe von Kennziffern für
die Betriebe versucht. Der dazu
unabdingbare
Informationsfluß
läßt sich aber nicht zentral organisieren. Keine Bürokratie der Welt
könnte den arbeitsteiligen Wirtschaftsprozeß so steuern, daß die
Interessen der Millionen von Konsumenten, Arbeitskräften
und
Betrieben ausgeglichen werden. Im
Gegensatz zu selbständigen, nach
Gewinn strebenden Unternehmen
können die Planungsbehörden auf
Änderungen der Konsumentenwünsche nur sehr schwerfällig
reagieren. Ihre Planvorgaben entsprechen daher nur selten den
echten Bedürfnislagen. Mehr noch:
Da die Preise die wahren Knappheitsverhältnisse nicht widerspiegeln, vermögen die Behörden nicht
einmal die Unwirtschaftlichkeit
einer Produktion zu erkennen. So
kann es zu der absurden Situation
kommen, daß Brot billiger ist als
Getreide und in der Folge Brot
statt Getreide an Hühner verfüttert
wird.
Seit den sechziger Jahren hat die
DDR mehrere Anläufe zur Effizienzsteigerung unternommen. Es
wurde versucht, neue Kennziffern, Erfolgskriterien und Kontrollmechanismen in das starre
Planverfahren einzubauen. Mal
gab es mehr, mal weniger Eigenständigkeit für die Betriebe. Einmal konzentrierten sich die An-
strengungen auf die Schwerindustrie, dann auf den Konsumgüterbereich, und schließlich wurden auf Kosten der anderen Sparten Schlüsselbranchen wie die Mikroelektronik gefördert. All dies war
aber nur ein Kurieren an Symptomen. Die Ursachen der Koordinierungsprobleme konnten damit
nicht beseitigt werden. Bei zentraler Festlegung der Preise sind die
tatsächlichen Kosten der Produktion nicht bekannt. Das führt
zwangsläufig zur Unwirtschaftlichkeit und damit zur Verschwendung wertvoller Ressourcen.
Schon von daher leuchtet ein: Der
Übergang zu einer dezentralen
Steuerung des Wirtschaftsprozesses
über Märkte erfordert freie Preisbildung. Die Preise müssen den
tatsächlichen Knappheits Verhältnissen entsprechen, um den Wirtschaftssubjekten die für ihre
Reaktionen notwendigen Signale
zu geben. Das läuft auf die Abschaffung
der
bürokratischen
Ze n t ral verwal tu ngs wirtsschaft
hinaus. Wenn der Staat nicht mehr
direkt in die Preisbildung eingreift, kann das freilich zu sozialen
Härten führen. Dabei ist aber zu
beachten, daß zur freien Preisbildung auch die Freigabe der Löhne
und Gehälter sowie eine eventuelle
Erhöhung der Renten gehören.
Überdies müssen nicht alle Preise
auf einmal freigegeben werden.
Auch nach der Währungsreform
von 1948 bestand der Preisstop für
Grundnahrungsmittel, Mietwohnungen, Rohstoffe, Strom, Gas
und Wasser zunächst noch fort.
...Eigenverantwortung der
Betriebe...
Um auf Preissignale reagieren zu
können, muß den Betrieben allerdings die volle Eigenverantwortung für ihr wirtschaftliches Ergebnis zugestanden werden. Zur
Intensivierung des Wettbewerbs
müßten die oft als Quasi-Mono-
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Argumente
zur Wirtschaftspolitik
pole ausgestatteten unbeweglichen
und zentral geleiteten Kombinate
in kleinere selbständige Betriebe
aufgeteilt werden. Und durch eine
geeignete Gesetzgebung müßten
Anreize für die Gründung von
mittleren und kleineren Betrieben
geschaffen werden.
Die Eigenverantwortung der Betriebe muß sich sowohl auf die
Auswahl der Produktpalette als
auch auf den Einsatz der Produktionsfaktoren erstrecken. Damit
würde insbesondere das Mißverhältnis zwischen produktiven und
unproduktiven Kräften in der
gesamten Wirtschaft beseitigt. Die
heute sowohl innerhalb eines Betriebes als auch zwischen den Sektoren vorhandenen geringen
Lohnunterschiede (siehe Tabelle)
müßten leistungsgerecht ausgestaltet werden, um damit auch die
Arbeitnehmer zur Erhöhung ihrer
Arbeitsproduktivität anzureizen.
Eigenverantwortung der Betriebe
erstreckt sich schließlich auch auf
den Aufbau von Beziehungen zu
Kunden und Lieferanten. Informationsbeschaffung und Ausbau
eines Vertriebsnetzes sind dafür
ebenso Voraussetzung wie die
Beseitigung des staatlichen Aussenhandelsmonopols. Die Unternehmen müssen in die Lage versetzt werden, direkt mit ausländischen Kunden und Zulieferern zu
verhandeln. Dies setzt wiederum
voraus, daß sich die Preise am
Weltmarkt orientieren. Wäre das
nicht der Fall, würden falsche
Produktionsanreize gesetzt und die
Vorteile aus der internationalen
Arbeitsteilung wieder verspielt.
...und Konvertibilität der
Währung
Die Ausrichtung der Preise am
Weltmarkt wird durch eine konvertible Währung wesentlich erleichtert. Nach außen, als Ausländerkonvertibilität, ist sie für den
Import von privatem Kapital erforderlich. Im Innern, für die
DDR-Unternehmen, ist sie notwendig, um mit importierten Zwischenprodukten effizient produzieren zu können. Und für Reisemöglichkeiten der DDR-Bürger
ohne Devisenkontrolle ist eine Inländerkonvertibilität unabdingbar.
Konvertibilität der Währung und
"echte" Preise als Ausdruck von
Knappheit setzen aber ein funktionierendes, vertrauenerweckendes Geldwesen voraus.
Um die volle Konvertibilität der
D-Mark zu erreichen, wurden
zehn Jahre benötigt. Auch wenn
dieser Prozeß in der DDR kürzer
verlaufen könnte: Eine volle Konvertibilität ist nicht von heute auf
morgen zu erreichen. Das für die
Modernisierung der DDR-Wirtschaft notwendige westliche Kapital braucht aber nicht nur die
Gewißheit eines freien Rücktransfers. Es benötigt auch die Sicherheit stabiler Austauschverhältnisse. Zu diesem Zweck könnte die
DDR beispielsweise einen Wechselkurs zwischen D-Mark und
DDR-Mark von 1 zu 5 garantieren.
Im Gegensatz zu extrem schwankenden Wechselkursen würde dies
sowohl den Kapitalverkehr als
auch die Orientierung der Betriebe
an den Weltmarktpreisen erleichtern. Aufgrund der derzeitigen
wirtschaftlichen
Situation der
DDR kann eine solche Garantie
aber nur mit Devisenbewirtschaftung und Devisenkontrollen in
anderen Bereichen einhergehen. So
wäre es unvermeidlich, DDR-Bürgern für Westreisen Devisen zunächst nur in beschränktem Umfang verfügbar zu machen.
Rückgrat einer solchen Garantie
ist das Vertrauen, daß durch Modernisierung der Wirtschaft in Zukunft ein solcher Wechselkurs auch
eingehalten werden kann. Ein solcher Wechsel auf die Zukunft wird
aber nur akzeptabel und einlösbar
sein, wenn die gesamte Wirtschafts- und Geldpolitik auf dieses
Austauschverhältnis ausgerichtet
ist. Um der Währung Glaubwürdigkeit zu verleihen, ist eine von
der Regierung unabhängige Notenbank sinnvoll. Sie darf nicht,
wie heute, dazu benutzt werden,
den Staatshaushalt zu finanzieren.
Durchschnittliches monatliches B ruttoarbeitsein kommen der
Arbeiter und Angestell ten in sozialistischen Betrieben der
Industrie nach Industriebereichen (in DDR- Mark)
Arbeiter und Angestellte
Produktionsarbeiter bzw.
gleichgestelltes Personal
1980
1987
1980
1987
Energie- u. Brennstoffind.
Chemische Industrie
Metallurgie
Baumaterialienindustrie
Wasserwirtschaft
Maschinen- u. Fahrzeugbau
Elektrotechnik, Elektronik
Gerätebau
Leichtindustrie
(ohne Textilindustrie)
Textilindustrie
Lebensmittelindustrie
1.153
1.088
1.153
1.031
940
1.070
1.394
1.286
1.334
1.213
1.155
1.279
1.151
1.061
1.160
1.042
914
1.060
1.381
1.258
1.329
1.209
1.095
1.259
1.051
1.261
999
1.193
938
903
982
1.157
1.144
1.186
916
881
995
1.124
1.112
1.186
Insgesamt
1.038
1.251
1.018
1.222
Industriebereich
Quelle: Statistisches Jahrbuch 1988 für die Bundesrepublik Deutschland, S. 627
Argumente
zur Wirtschaftspolitik
Überdies bedarf es einer Kontrolle hen ausgeben, Anteilscheine an
der Geldmenge. Wie auch andere Staatsbetrieben verkaufen, Ackersozialistische Länder leidet die und Bauland an Privatpersonen
DDR an dem Problem einer zu- veräußern oder importierte Konrückgestauten Inflation: Es gibt sumgüter verkaufen, soweit Devizuviel Geld und zu wenig Güter. sen vorhanden sind oder erworben
Die zum Funktionieren des Geld- werden können. Notfalls könnte in
wesens erforderliche Knappheit Zusammenhang mit der Preisfreides Geldes könnte auf zwei Wegen gabe ein Teil der Spareinlagen für
herbeigeführt werden: Durch eine eine gewisse Zeit blockiert werden.
Reduktion seiner Kaufkraft mit- Dieser Weg zur Währungskonvertitels Erhöhung von Preisen und bilität hätte den weiteren Vorteil,
Löhnen oder aber durch eine den Lastenausgleich zwischen den
Reduktion des Nennbetrages der verlierenden Besitzern von Geld• insgesamt vorhandenen Mengen vermögen und den gewinnenden
von Bargeld und Bankeinlagen bei Inhabern von Sachwerten gering zu
Aufrechterhaltung des alten Preis- halten. Allerdings wäre darauf zu
und Lohnniveaus (Währungsre- achten, daß die Geldmenge nur
form). Beide Methoden bergen noch kontrolliert ausgeweitet und
erhebliche Risiken. Die Erhöhung das Staatsdefizit solide am Markt
des Preis- und Lohnniveaus kann finanziert wird.
leicht über das an sich notwendige
Maß hinausschießen. Und für eine Materielle Interessiertheit
Währungsreform nach dem Muster
von 1948 fehlen wesentliche Vor- Die bisher genannten Umstelaussetzungen. Nach verlorenem lungsmaßnahmen skizzieren nicht
Krieg ist die schlagartige Entwer- mehr als die technischen Voraustung aller Ersparnisse wesentlich setzungen für eine Dezentralisieleichter durchzusetzen. Auch war rung der Wirtschaft. Darüber hindie Währungsreform keine Ent- aus bliebe vor allem der Schlüsselscheidung der eigenen Regierung. begriff der Eigenverantwortung zu
Sie wurde von den Besatzungs- klären. Verantwortung setzt nicht
ächten durchgesetzt. Eine solche nur die Freiheit zur Entscheidung
ntwertung könnte möglicherwei- voraus. Wesentlich sind Belohnung
se erhebliche Widerstände der be- als Antrieb für die Übernahme von
troffenen DDR-Bürger hervorru- Verantwortung und Sanktion für
fen, würde ihnen doch damit herbeigeführte Schäden. Neue
demonstriert, daß sie jahrzehnte- Produkte, Veränderungen des Prolang umsonst gearbeitet und ge- duktionsprozesses oder die Erspart haben. Überdies ist der in der schließung neuer Absatzgebiete DDR vorhandene Geldüberhang allesamt Kennzeichen einer dynanicht mit dem vor der Währungs- mischen Wirtschaft - sind mit
reform zu vergleichen. Damals Risiken verbunden, die der einzelbelief sich der Kaufkraftüberhang ne oder ein Unternehmen in der
auf das Zwei- bis Dreifache des Regel nur mit Aussicht auf eine
Sozialprodukts. In der DDR ist der Belohnung eingeht.
Kaufkraftüberhang und damit das
Inflationspotential geringer.
Treibende Kraft ist insoweit also
die materielle Interessiertheit. Der
Für die DDR bietet sich zur Besei- Versuch, das materielle Interesse
tigung des Kaufkraftüberhanges der Menschen auf Dauer durch
statt dessen eine dritte Möglichkeit Idealismus zu ersetzen oder durch
an. Der Staat könnte, um Teile der staatliche Planung und Lenkung
überschüssigen Geldmenge an sich auszuschalten, ist noch immer
zu ziehen und stillzulegen, Anlei- fehlgeschlagen. Weder in Kuba
f
Nr 28/Dezember 1989
Seite 5
noch in den Kibbuzim hat der
Idealismus der frühen Stunde ausgereicht, auf Dauer genügend
Anreize für effizientes Wirtschaften zu liefern. Auch die Erfahrungen mit den selbstverwalteten Betrieben Jugoslawiens waren negativ. Deshalb tut man gut daran,
auch in der DDR auf Privateigentum und private Verfügungsrechte zu setzen. Sie sind der stärkste
Antrieb für den sparsamen Gebrauch von knappen Gütern und
zur Ankurbelung der Kräfte, die
technischen und sozialen Fortschritt ermöglichen. Mit der Zulassung von Privateigentum wäre
die Systemtransformation in eine
Marktwirtschaft vollendet.
Privateigentum an den Produktionsmitteln würde es nicht nur
DDR-Bürgern erlauben, Firmen
zu gründen. Es würde auch Gemeinschaftsunternehmen
mit
westlichen Partnern wesentlich
erleichtern. Privateigentum - in
Verbindung mit Rahmenvereinbarungen zwischen der DDR und der
Bundesrepublik über einen privaten Kapitalverkehr - könnte die
wirtschaftliche Situation der DDR
rasch verbessern.
Auch die Staatsbetriebe der DDR
müßten sich am Markt behaupten.
Eine Privatisierung, etwa durch
Ausgabe von Belegschaftsaktien,
ist nicht zwingend erforderlich. Es
ist durchaus denkbar, daß zunächst
ein großer Teil der Betriebe noch
in Staatshand verbleibt. Allerdings
zeigen die Erfahrungen mit staatlichen Unternehmen im Westen,
daß solche Firmen, auch wenn sie
dem Markt ausgesetzt sind, in der
Regel weniger effizient arbeiten.
Ihre Flexibilität und der Zwang zu
einer größeren Marktnähe könnten
dadurch erhöht werden, daß ihnen
ebenfalls die Gründung von Gemeinschaftsunternehmen
mit
westlichen Partnern gestattet wird.
Bei einer solchen Umstellung der
Wirtschaft ist zu erwarten, daß
Argumente
zur Wirtschaftspolitik
insbesondere für bundesdeutsche
Unternehmen Investitionen in der
DDR interessant werden. Für sie
dürfte es aus vielen Gründen näher
liegen, in der DDR zu produzieren,
statt Fabriken in anderen Ländern
zu errichten. Dies würde nicht nur
den Bürgern in der DDR, sondern
auch dem Umweltschutz im Herzen Europas zugute kommen. Die
DDR ist in Europa eines der Länder mit den höchsten Umweltschäden. Die DDR-Industrie verbraucht bei der Herstellung vergleichbarer Produkte 30 bis 40%
mehr Energie als bundesdeutsche
Unternehmen.
Energiesparende
Investitionen in der DDR dürften
daher erheblich zur Verbesserung
der Umwelt beitragen.
Interdependenz der Ordnungen
Für einen raschen und sozialverträglichen Übergang von der Planzur Marktwirtschaft gibt es keine
Patentrezepte, wohl aber ordnungspolitische Markierungen, die
den Weg weisen. Ihr Verständnis
stößt freilich noch auf Schwierigkeiten.
Das hohe Wohlstandsniveau und
die Freiheiten der Menschen "im
Westen" werden im anderen Teil
Deutschlands zwar gesehen, doch
die Funktionsweise dieses Systems
ist dort nahezu unbekannt, vielen
ist sie sogar suspekt. Mehr noch: Es
fehlt schon am Verständnis für die
Kultur des eigenverantwortlichen,
arbeitsteiligen und hocheffizienten Wirtschaftens. Daraus ist den
Menschen kein Vorwurf zu machen. Daß diese Kultur in vierzig
Jahren zerstört und das eigenverantwortliche Individuum durch
den Staatsfunktionär als dominierender Typus verdrängt worden
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Fazit:
• Die Reisefreiheit und das damit
noch spürbarer
gewordene
Wohlstandsgefälle fordern zu
ernsthaften Reformen des Wirtschaftssystems der DDR heraus.
• Je entschlossener eine marktwirtschaftliche Reform in Angriff genommen wird, desto
eher läßt sich das für den Aufbau der DDR-Wirtschaft unerläßliche private Kapital mobilisieren.
• Reform des Preissystems, Eigenverantwortung der Betriebe,
Konvertibilität der Währung
und die Nutzung der Möglichkeiten von Gemeinschaftsunternehmen sind entscheidende
Schritte in diese Richtung.
• Allerdings gibt es keine wirtschaftliche Eigenverantwortung
ohne Freiheit im politischen
Raum und umgekehrt. Auch ein
modifizierter Sozialismus enthält seinen Menschen wesentliche Freiheiten vor. Er weist
schon von daher keinen Weg aus
der von ihm selbst genährten Systemkrise.
ist, dürfte sich als das unrühmlichste Erbe des Sozialismus erweisen.
Will die DDR-Regierung an einer
Art geläutertem Sozialismus mit
zentraler Planung der Wirtschaft
festhalten, dann muß sie nicht nur
auf private Investitionen aus dem
Westen verzichten. Sie wird den
Bürgern auch wesentliche politische Freiheitsrechte vorenthalten
müssen, die mit der zentralen Pla-
nung des
Wirtschaftsprozesses
unvereinbar sind. Politische Demokratie hat ihr Fundament in den
Grund- und
Freiheitsrechten.
Dazu zählen freie Berufswahl,
Freizügigkeit, freie Wahl des Arbeitsplatzes und freie Entfaltung
der Persönlichkeit. Diese sichern
den Bürgern die Möglichkeit, in
dem von der Rechtsordnung gezogenen Rahmen ihr Leben selbst in
die Hand zu nehmen. Wer aber
über die Art und Weise seiner
Lebensgestaltung selbst entscheiden will, der muß die Macht und'
die Möglichkeit haben, seine eigenen wirtschaftlichen Entscheidungen über die Verwendung der
Güter oder den Einsatz seiner
Arbeitskraft selbst zu treffen.
Diese Selbstbestimmung ist aber
mit einer zentralen Planung der
Wirtschaftsprozesse unvereinbar.
Die Umgestaltung vom Plan zum
Markt - wenn sie denn gewollt
wird - setzt allerdings voraus, daß
die Menschen der DDR in großer
Zahl und auf allen Ebenen praktischen Einblick in Funktion und
Alltag einer freien, sozial und
ökologisch verpflichteten Marktwirtschaft gewinnen können. U P ^
das zu ermöglichen, sind insbeson™
dere Wirtschaft, Wissenschaft und
die gesellschaftlichen Kräfte in
der Bundesrepublik gefordert,
auch wenn die Verständigung im
ökonomischen Bereich - anders als
auf kulturellem und rein technischem Gebiet - wegen ganz unterschiedlicher Begriffswelten am
Anfang schwierig ist. Doch dieser
Dialog auf breitester Basis ist unverzichtbar. Er könnte im übrigen
auch auf unserer Seite zum besseren Verständnis des eigenen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems
beitragen.
Herausgeber: FRANKFURTER INSTITUT für wirtschaftspolitische Forschung e. V., Kaiser-Friedrich-Promenade 157,
6380 Bad Homburg v. d. H.f Telefon (06172) 42074, Telefax (06172) 42355
Direktor des Instituts: Gert Dahlmanns
Vorstandsvorsitzender: H. Joachim Krahnen
Wissenschaftlicher Beirat: KRONBERGER KREIS
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