Grundlagenstudie Tiefengeothermie Espace Bern, Publiziert auf

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ARGE Geothermie Espace Bern
Grundlagenstudie Tiefengeothermie
Auftraggeber: Energie Wasser Bern Grundlagenstudie Tiefengeothermie Espace Bern Entscheidungsgrundlage zur Entwicklung der Tiefengeothermie in Bern erarbeitet durch die Arbeitsgemeinschaft Geothermie Espace Bern bestehend aus: Geothermal Explorers Int. Ltd., Pratteln Kellerhals + Haefeli AG, Bern Dr. Roland Wyss GmbH, Frauenfeld Eberhard & Partner AG, Aarau Pratteln, 29. Juni 2010 ewb5.doc
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1 Zusammenfassung Der vorliegende Bericht beleuchtet den Kenntnisstand zur Geologie in der Region der Stadt
Bern in Bezug auf das tiefengeothermische Potenzial zur Gewinnung von Wärme und Strom.
Erörtert werden neben technischen auch die rechtlichen Grundlagen zur Erkundung und Erschliessung der Tiefengeothermie.
Erläutert werden die beiden Erschliessungsmöglichkeiten (Hydrothermales System, Stimuliertes Geothermisches System) und deren Stand der Technik sowie die Prinzipien zur
Stromumwandlung. Im Gegensatz zu konventionellen geothermischen Kraftwerken, die in
vulkanischen Gebieten aus Hochtemperaturfeldern überhitzte Wässer nutzen und damit
Dampfturbinen betreiben, kommen im Raum Bern nur binäre Stromumwandlungszyklen (z.B.
Organic Rankine Zyklus, Kalina Zyklus) in Frage.
Hydrothermale Systeme würden in der Region Bern eine Wärmeproduktion mit Strom als
Nebenprodukt zulassen. Soll hingegen die Stromproduktion im Vordergrund stehen, kommt
nach dem heutigen Wissensstand nur ein Stimuliertes Geothermisches System in Frage. Die
Nutzung der Wärme würde auch in diesem Fall die Wirtschaftlichkeit substantiell verbessern.
Um den Kenntnisstand der Geologie zu verbessern, ist die weitere Erkundung des Untergrundes unumgänglich. Im Bericht werden die indirekten (geophysikalischen) Erkundungsmethoden aufgezeigt, mit welchen die Struktur des Untergrundes besser definiert werden
kann. Zum eigentlichen Nachweis eines hydrothermalen Systems, d.h. zum Nachweis, dass
heisses Wasser aus genügend durchlässigen Schichten gefördert werden kann, wie auch
zur Entwicklung eines stimulierten geothermischen Systems braucht es aber zwingend Erkundungsbohrungen bis auf Tiefen von 3'000 bis 5'000 Meter.
Der Bericht zeigt Wege auf, wie vorgegangen werden kann, um das inhärente Fündigkeitsrisiko finanziell tragbar zu machen: Operativ wird ein schrittweises Vorgehen mit klar definierten Meilensteinen empfohlen, organisatorisch wird das Eingehen von Partnerschaften empfohlen.
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2 Inhaltsverzeichnis 3 Zweck und Ziel dieser Studie............................................................................................. 5 3.1 Entscheidungsgrundlage................................................................................................ 5 4 Ausgangslage .................................................................................................................... 5 4.1 Kenntnisse des Untergrundes........................................................................................ 5 5 Rechtliche Grundlagen ...................................................................................................... 6 5.1 Allgemeine rechtliche Rahmenbedingungen.................................................................. 6 5.2 Rechtliche Rahmenbedingungen im Kanton Bern ......................................................... 6 5.2.1 Schürfbewilligung .................................................................................................... 7 5.2.2 Erschliessungsbewilligung....................................................................................... 7 5.2.3 Konzession .............................................................................................................. 7 6 Wirtschaftliche Rahmenbedingungen ................................................................................ 7 7 Geologie............................................................................................................................. 8 7.1 Geologische Grundlagen ............................................................................................... 8 7.2. Struktur.......................................................................................................................... 9 7.3. Schichtenfolge............................................................................................................. 11 7.3.1. Untere Süsswassermolasse (USM)...................................................................... 11 7.3.2. Kreide ................................................................................................................... 11 7.3.3. Malm ..................................................................................................................... 11 7.3.4. Dogger.................................................................................................................. 11 7.3.5. Lias ....................................................................................................................... 12 7.3.6. Trias...................................................................................................................... 12 7.3.7. Perm ..................................................................................................................... 12 7.3.8. Grundgebirge........................................................................................................ 12 7.4. Geothermische Verhältnisse ....................................................................................... 14 7.5. Geochemische Voraussetzungen ............................................................................... 15 7.5.1. Hohe Mineralisierung............................................................................................ 15 7.5.2. Niedrige Mineralisierung....................................................................................... 16 8 Stand der Technik............................................................................................................ 16 8.1. Geothermische Systeme............................................................................................. 16 8.1.1. Hydrothermale Systeme (HS)............................................................................... 16 8.1.2. Stimulierte Geothermische Systeme (SGS) ......................................................... 17 8.2. Konventionelle Geothermische Kraftwerke ................................................................. 19 8.3. Geothermische Nutzungsmöglichkeiten zur Stromproduktion .................................... 22 8.3.1. Stromerzeugung aus Heisswasserproduktion ...................................................... 22 8.3.2. Organic Rankine Cycle (ORC) ............................................................................. 23 8.3.3. Kalina Zyklus ........................................................................................................ 24 8.3.4. Spezialfall Niedertemperatur (< 95°C).................................................................. 25 8.4. Wärmeförderung – Wärmeverteilung .......................................................................... 26 8.5. Infrastrukturelle Voraussetzungen .............................................................................. 26 9 Potenziale ........................................................................................................................ 29 9.1. Einleitung .................................................................................................................... 29 9.2. Geothermisches Potenzial Bern (Hydrothermale Systeme)........................................ 30 9.3. Thermisches Potenzial und Wirkungsgrad.................................................................. 30 10 Erkundungsmethoden...................................................................................................... 32 10.1 Indirekte Methoden .................................................................................................... 33 ewb5.doc
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10.1.1. Seismik ............................................................................................................... 33 10.1.2. Gravimetrie ......................................................................................................... 33 10.1.3. Magnetotellurik ................................................................................................... 34 10.2. Direkte Methoden, Tiefbohrungen............................................................................. 34 11 Vorgehen ......................................................................................................................... 34 11.1. Projektphasen ........................................................................................................... 34 11.1.1. Grundsätzliche Überlegungen ............................................................................ 34 11.1.2. Vorstudien .......................................................................................................... 35 11.1.3. Indirekte Erkundung ........................................................................................... 35 11.1.4. Direkte Erkundung.............................................................................................. 36 11.1.5. Erschliessung – Anlagenbau .............................................................................. 36 11.2. Organisation / Finanzierung ...................................................................................... 36 11.3. Zeitbedarf .................................................................................................................. 37 12 Chancen und Risiken....................................................................................................... 40 12.1 Chancen..................................................................................................................... 40 12.2 Risiken ....................................................................................................................... 40 13 Schlussfolgerungen ......................................................................................................... 41 14 Empfehlungen.................................................................................................................. 41 14.1. Erarbeiten einer Strategie ......................................................................................... 41 14.2. Kommunikation ......................................................................................................... 41 14.3. Gangbare Strategie................................................................................................... 41 14.4. Vorstudie ................................................................................................................... 42 14.4.1 Strategische Planung .......................................................................................... 42 14.4.2. Technische Planung ........................................................................................... 42 15 Quellen, Literatur ............................................................................................................. 44 ewb5.doc
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3 Zweck und Ziel dieser Studie 3.1 Entscheidungsgrundlage Die Geschäftsleitung von Energie Wasser Bern (ewb) wünscht im Rahmen des Energieversorgungskonzepts der Stadt Bern eine „Machbarkeitsstudie Geothermie in der Stadt und
Region Bern“. Dabei sollen die Möglichkeiten der Tiefen-Geothermie – 500 bis 5000 m – in
der Stadt bzw. der Region Bern mit folgenden Zielen geprüft werden:

Steigerung der jährlichen Elektrizitätserzeugung aus erneuerbaren Quellen

Den Ausstieg aus der Atomenergie zu ermöglichen.

Die Möglichkeiten der Wärmenutzung aufzuzeigen.
ewb wünscht sich Know-how im Bereich von Technologien im Entwicklungs- und Wachstumstadium aufzubauen.
ewb ist bereit in die Entwicklung der Geothermie zur Stromproduktion zu investieren. Der
Fokus liegt bei der Stromproduktion. Wärme soll aber genutzt werden, falls damit die Wirtschaftlichkeit einer Anlage verbessert werden kann.
Die vorliegende Grundlagenstudie ist also nicht darauf ausgelegt ein „pfannenfertiges“ Geothermieprojekt vorzuschlagen, sondern den Weg zu skizzieren, wie ein solches Projekt entwickelt werden kann, und in welchen Leistungs- Zeit- und Kostendimensionen sich dies abspielen wird.
4 Ausgangslage 4.1 Kenntnisse des Untergrundes Die Kenntnisse über den tiefen Untergrund der Schweiz, welcher für die geothermische
Stromerzeugung von Interesse ist, sind vergleichsweise bescheiden.
Die Dichte der seismischen Linien ist klein, die meisten Daten wurden vor 20 oder mehr Jahren erhoben und der Fokus der damaligen Untersuchungen war nicht die Geothermie sondern die Erdöl- und Erdgasexploration.
Auch gibt es in der Schweiz insgesamt nur neun Bohrungen, die tiefer als 3 km sind und damit direkte Informationen aus dem interessierenden Tiefenbereich liefern. Mit Ausnahme der
Geothermiebohrung Basel stammen all diese Bohrungen aus den 60er- bis 90er-Jahren des
vergangenen Jahrhunderts und wurden im Rahmen der Erdöl- und Erdgasforschung in der
Schweiz erstellt.
Die mangelnden Kenntnisse des tiefen Untergrundes erschweren auch die bessere Abschätzung des Fündigkeitsrisikos bei hydrothermalen Systemen (vgl. Seite 15). Für Stimulierte
Geothermische Systeme (SGS) (vgl. Seite 16) braucht es vertieftes Wissen der gebirgsmechanischen Eigenschaften und der Spannungsverhältnisse im tiefen Untergrund.
Um zu mehr und besseren Informationen des schweizerischen Untergrundes zu kommen
müssen durch zusätzliche Seismik und Bohrungen neue Daten generiert und ausgewertet
werden. Dazu braucht es auch einen bestmöglichen Austausch der Daten zwischen verschiedenen Projekten und Analysen durch die angewandte und die wissenschaftliche Forschung.
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5 Rechtliche Grundlagen 5.1 Allgemeine rechtliche Rahmenbedingungen In der Schweiz liegt die hoheitliche Kompetenz über den Untergrund und die darin enthaltenen Ressourcen bei den Kantonen. Somit bestehen stark unterschiedliche Regelungen.
Auch sind die kantonalen Gesetzgebungen nicht oder nur ungenügend auf eine systematische Tiefenerkundung ausgerichtet. So wurden bisher einzelne geothermische Bohrprojekte
über die Grundwassergesetzgebung bewilligt, eigentliche Konzessionen für die geothermische Erkundung des tiefen Untergrundes wurden bisher in der Schweiz noch nicht vergeben.
Auch könnte in einzelnen Kantonen ein gewisser Konflikt zwischen bereits der Erdöl- und
Erdgasindustrie vergebenen Erkundungskonzessionen und Konzessionen für die geothermische Erkundung bestehen. Potenzielle Nutzungskonflikte mit anderen Untertagenutzungen,
wie z.B. CO2-Sequestrierung und Endlagerung radioaktiver Stoffe sind denkbar.
Grundsätzlich besteht im Bereich des Konzessionswesens für die Geothermie ein grosser
Nachhol- und Koordinationsbedarf. Gute und klare rechtliche Rahmenbedingungen könnten
für die Entwicklung der Geothermie in der Schweiz ein wichtiger Förderfaktor sein.
In den kantonalen Verwaltungen sind zudem die personellen und fachlichen Ressourcen
nicht oder nur ungenügend vorhanden, um Anliegen der Geothermiebranche effizient und
zielführend zu bearbeiten. So besteht zum Beispiel zurzeit eine relativ grosse Unsicherheit
bei der Bearbeitung der Fragen der induzierten Seismizität, oder vorhandene Datengrundlagen bei den Ämtern liegen noch nicht in einer Form vor, welche eine effiziente Bearbeitung
ermöglichen würden.
5.2 Rechtliche Rahmenbedingungen im Kanton Bern Die Nutzung geothermischer Energie aus tiefen Erdschichten (tiefer als 500 Meter) unterliegt
dem Bergregalgesetz (BRG) des Kantons Bern. Darin ist das Aufsuchen, Erschliessen und
Nutzen von Erdwärme aus tiefen Erdschichten geregelt. Es sieht ein zweistufiges Vorgehen
vor. Die erste Phase einer Schürfbewilligung ist im Kanton Bern nur für Kohlenwasserstoffe
erforderlich. Für die Erkundung geothermischer Ressourcen bedarf es einer Erschliessungsbewilligung und schliesslich zur Produktion einer Konzession. Damit ist die Nutzung geothermischer Energie ähnlich geregelt wie die Nutzung mineralischer Rohstoffe.
Ausschnitt aus dem Bergregalgesetz (BRG) des Kantons Bern
2.1. Schürfbewilligung
Art 10
Grundsätze
1. Wer oberflächengeologische oder geophysikalische Untersuchungen und damit in Zusammenhang
stehende Grabungen oder Bohrungen für das Auffinden von mineralischen Rohstoffen durchführen will,
bedarf einer Schürfbewilligung der Bau-, Verkehrs- und Energiedirektion.
2. Die Schürfbewilligung gibt das ausschliessliche Recht, innerhalb eines bestimmten Gebietes Arbeiten im
Sinn von Absatz 1 auszuführen.
2.2 Erschliessungsbewilligung
Art. 12
1. Eine Erschliessungsbewilligung der Bau-, Verkehrs- und Energiedirektion benötigt, wer
a. Bohrungen und damit im Zusammenhang stehende Arbeiten zum Auffinden von mineralischen Rohstoffen oder zum Abklären der Ausdehnung und der Ausbeutungsmöglichkeiten
eines solchen Vorkommens oder einer Lagerstätte durchführen oder
b. Vorbereitungsmassnahmen für die Nutzung der Erdwärme aus tiefen Erdschichten treffen
will.
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5.2.1 Schürfbewilligung Wer oberflächengeologische oder geophysikalische Untersuchungen für das Auffinden von
Erdwärme durchführen will, bedarf in einigen Kantonen einer Schürfbewilligung. Die Schürfbewilligung gibt das ausschliessliche Recht, innerhalb eines bestimmten Gebietes Arbeiten
auszuführen. Im Kanton Bern scheint dies nicht erforderlich zu sein.
5.2.2 Erschliessungsbewilligung Eine Erschliessungsbewilligung benötigt, wer Vorbereitungsmassnahmen für die Nutzung
der Erdwärme aus tiefen Erdschichten treffen will. Damit sind Tiefbohrungen gemeint. Die
Erschliessungsbewilligung gibt das ausschliessliche Recht, innerhalb eines bestimmten Gebietes diese Arbeiten auszuführen. Die Gesuchstellenden haben sich über die erforderlichen
Kenntnisse und die Finanzierung auszuweisen. Die Erschliessungsbewilligung wird in der
Regel der Organisation oder Person erteilt, die bereits über eine Schürfbewiligung in diesem
Gebiet verfügt.
5.2.3 Konzession Die Nutzung der Erdwärme aus tiefen Erdschichten bedarf im Kanton Bern einer Erdwärmekonzession. Vorrang zur Erteilung einer Konzession hat die Organisation oder Person, welche bereits im Besitz einer entsprechenden Schürfbewilligung respektive Erschliessungsbewilligung ist.
Der Antragsteller muss die geplante Anlagen einwandfrei betreiben, unterhalten und finanzieren können und über eine entsprechende Haftpflichtversicherung verfügen.
Eine Konzession wird höchstens für 80 Jahre erteilt.
6 Wirtschaftliche Rahmenbedingungen Für Geothermieprojekte welche die Stromgewinnung zum Ziel haben, gibt es von Bundesseite her die Möglichkeit einer Risikodeckung von Bohrungen. Erfolgreiche Projekte kommen
auch in den Genuss der kostendeckenden Einspeisevergütung (KEV). Davon sind jedoch
hybrid betriebene Anlagen derzeit ausgeschlossen. Es stellt sich die Frage, ob für eine Verbesserung der Entwicklungschancen der tiefen Geothermie nicht Anpassungen notwendig
sind.
Für reine Wärmeprojekte in mittleren Tiefen gibt es von Seiten der öffentlichen Hand keinerlei Unterstützung, obwohl diese Tiefenlagen eine Zwischenstufe für die Erschliessung grösserer Tiefen darstellt würde. Hier haben Kantone oder der Bund noch eine Lücke zu schliessen.
In Anbetracht des grossen Potenzials der Tiefengeothermie erscheint es angebracht, dass
der Bund die entsprechenden Budgets (Forschung & Entwicklung, Pilot- & Demonstrationsanlagen) erhöhen würde um damit eine wichtige Katalysatorwirkung für die Entwicklung der
Tiefengeothermie zu erzeugen.
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7 Geologie 7.1 Geologische Grundlagen Die Beurteilung des Untergrundes im Raum Bern erfolgt aufgrund folgender technischer Unterlagen:
Bohrung Thun 1: Die Bohrung Thun 1 wurde in den Jahren 1988-1989 bis in den Lias auf
eine Tiefe von 5'951 m abgeteuft. Die Bohrung liegt rund 30 km südöstlich von Bern.
Bohrung Linden 1: Die Bohrung Linden 1 wurde in den Jahren 1972-1973 bis in die Trias
auf 5'436 m abgeteuft. Sie liegt rund 20 km südöstlich von Bern.
Bohrung Hermrigen 1 d: Die Bohrung Hermrigen 1 d wurde im Jahr 1982 bis in die Trias in
2'425 m abgeteuft. Sie liegt rund 23 km nordwestlich von Bern.
Bohrung Tschugg 1: Die Bohrung Tschugg 1 wurde im Jahr 1976 bis in den Malm auf eine
Tiefe von 704 m abgeteuft. Sie liegt ca. 30 km nordwestlich von Bern.
Fischer H. und Luterbacher H., 1963, Das Mesozoikum der Bohrungen Courtion 1 und
Altishofen 1, Beiträge zur Geologischen Karte der Schweiz, Neue Folge, 115. Lieferung,
Schweizerische Geologische Kommission
Pfiffner, O. A., Lehner, P., Heitzmann, P., Mueller, S. & Steck, A., 1997, Deep Structure of
the Swiss Alps: Results of NRP 20, Birkhäuser Verlag Basel
Pfiffner O. A., 2009, Geologie der Alpen, Haupt Verlag Bern
Seismic Atlas of the Swiss Molasse Basin (in Vorbereitung)
Abbildung 1: Tiefbohrungen um Bern mit Endtiefen grösser 400 m unter Terrain
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Abbildung 2: Datengrundlage Seismik
7.2. Struktur Folgende geologische Prognose kann aufgrund der vorhandenen Unterlagen für den Raum
Bern angegeben werden:
Bern liegt geologisch im schweizerischen Molassebecken, im Bereich der mittelländischen,
vorwiegend flachliegenden Molasse. Das Molassebecken bildet den alpinen Vorlandtrog. Im
Raum Bern weist das Molassebecken eine Tiefe von rund 1'800 m auf und ist aus tertiären
Ablagerungen der Unteren Süsswassermolasse aufgebaut. Die Molasse wird meist von
quartären Lockergesteinsablagerungen überdeckt.
Die Molasse überlagert die rund 2'000 m mächtigen Sedimente des Mesozoikums (Jura und
Trias), welche nach Norden hin aufsteigen und im aufgefalteten Juragebirge aufgeschlossen
sind. Es ist zu vermuten, dass im Raum Bern zwischen den Molasseablagerungen und den
Jura-Sedimenten noch eine geringmächtige Abfolge (wahrscheinlich < 100 m) von Kreidesedimenten liegt.
Unter den mesozoischen Sedimenten befindet sich das Grundgebirge. Aufgrund der vorhandenen Unterlagen kann im jetzigen Moment (noch) nicht bestimmt werden, ob im Raum Bern
Trogfüllungen aus dem Permokarbon über dem Kristallin vorhanden sind oder nicht. In den
seismischen Profilen sind die Trogfüllungen nicht zuverlässig zu erkennen.
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Abbildung 3: Geologischer NW-SE Schnitt westlich von Bern, basierend auf Interpretation
Seismiklinie BEAG 750004. Molasse Basis, Version 2009 (Quelle: Seismic Atlas of the Molasse
Basin, Publikation in Vorbereitung)
Abbildung 4: Lage der Linie BEAG 750004
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7.3. Schichtenfolge Die Angaben über die geologischen Verhältnisse stammen aus den heute zur Verfügung
stehenden Unterlagen über die einzelnen Tiefbohrungen (vgl. oben) und aus Fischer und
Luterbacher (1963). Die grobe geologische Prognose (Abbildung 5) basiert in erster Linie auf
den Unterlagen zum neuen Atlas „Seismic Atals of the Molasse Basin“, der uns von Prof. E.
Kissling (ETH Zürich) in der Version 2009 zur Verfügung gestellt worden ist. Das entsprechende Seismikprofil auf der Abbildung 3 liegt wenig westlich der Stadt Bern (Situation vgl.
Abbildung 4). Die definitive Version des Atlas ist für 2010 vorgesehen. Weitere geophysikalische Angaben finden sich in Pfiffner et al. (1997) und Pfiffner (2009).
7.3.1. Untere Süsswassermolasse (USM) Die USM besteht aus weichen Fein- bis Grobsandsteinen, Knauersandsteinen und Siltsteinen mit Einschaltungen unterschiedlich mächtiger, oft rötlicher, mehr oder weniger toniger
Mergel. In der Bohrung Thun 1 wurde vor allem im oberen Bereich (bis in 1360 m Tiefe und
von 2280 bis 2390 m) Lagen von Nagelfluh angetroffen. Die Wasserführung dürfte generell
sehr minim sein.
In der Bohrung Tschugg 1 wurden in den Sandsteinzonen im Tiefenbereich von 357 bis 452
m Erdgas-Indikationen beobachtet, ebenso in jenen der Molassebasis in der Bohrung Hermrigen 1 (in ca. 300 bis 400 m Tiefe).
7.3.2. Kreide Ob im Raum Bern Kreideablagerungen vorhanden sind, ist fraglich. In den unter Kapitel 1
erwähnten Bohrungen wurde in den Bohrungen nordwestlich und west-südwestlich vom Projektstandort Sedimente aus der Kreide angetroffen. In der Bohrung Tschugg 1 erreichten die
Kreide-Sedimente eine Mächtigkeit von 128 m, in der Bohrung Courtion 1 112 m und in der
Bohrung Hermrigen 1 d wurden nur noch 7.5 m der Kreide zugeteilt.
Massenkalke und spätige Kalke (z. T. sandig-tonig), Kalkmergel-Mergelkalke, mikrokristalline
Kalke, Breccienkalke, Mikrokonglomerate mit z. T. kohliger Matrix bestimmen den Aufbau
der Kreidesedimente.
7.3.3. Malm Die massigen Kalke im Oberen Malm bestehen im Top aus mikritischem Kalk und gehen
über in bioklastische, zunehmend tonige Kalkschichten. Der Untere Malm wird von tonigen
Kalken und plastischen Mergeln dominiert. Die erwartete Malm-Mächtigkeit im Gebiet westlich von Bern beträgt aufgrund des seismischen Profils (Abbildung 3) rund 800 m. In den
umliegenden Bohrungen konnten für den gesamten Malm folgende Mächtigkeiten definiert
werden: Courtion 1: 604 m, Hermrigen 1 d: 847 m, Linden 1: 644 m, Thun 1: 675 m.
Bei Abwesenheit der Kreide kann der Obere Malm lokal verkarstet sein (Paläokarst). Diese
Verkarstung konzentriert sich auf die obersten Meter sowie auf Bruchzonen. Die Gesteinsmatrix ihrerseits weist kaum eine primäre Porosität, respektive Durchlässigkeit auf. Die verkarsteten Bereiche können zudem verfüllt und abgedichtet sein (z. B. Bolustone). Entsprechend ist die Durchlässigkeit sehr heterogen und schwer prognostizierbar.
7.3.4. Dogger Der obere Dogger wird von z. T. bioklastischen, oolithischen Kalken (Dalle Nacrée, Hauptrogenstein) und Mergelschichten aufgebaut. Im unteren Dogger trifft man auf Opalinuston und
Tonsteine. Die Mächtigkeit des Doggers beträgt in der Bohrung Courtion 1: 400 m, in der
Bohrung Hermrigen 1 d: 530 m, in der Bohrung Linden 1: 57 m und in der Bohrung Thun 1:
44 m. Im Raum westlich von Bern wird aufgrund des seismischen Profils mit einer Doggermächtigkeit von rund 280 m gerechnet.
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Die Kalke des Doggers stellen einen Aquifer mit beschränktem Potenzial dar. Die oolithischen Kalke der Hauptrogenstein-Formation keilen südlich von Bern aus und werden durch
dichte Kalke ersetzt. Wie in der Bohrung Hermrigen 1 aufgezeigt wurde, kann der Hauptrogenstein einen Kluftwasserleiter in Bereichen tektonischer Bruchzonen ausbilden. Da er jedoch, im Gegensatz zum Malm, zu Beginn des Tertiärs nicht an der Oberfläche freigelegt
wurde, ist kein Paläokarst zu erwarten. Er ist somit in erster Linie im Bereich von Bruchzonen
oder in stärker geklüfteten Scharnieren von Synklinal- und Antiklinalstrukturen von Interesse.
7.3.5. Lias Der Lias besteht aus mergeligen und sandigen Kalken mit Zwischenlagen von Sandsteinen.
In der Bohrung Courtion 1 sind 252 m dem Lias zugeteilt, in der Bohrung Hermrigen 1 d 156
m und in der Bohrung Linden 157 m. Im Raum westlich von Bern wird eine Lias-Mächtigkeit
von ca. 200 m erwartet.
Einzig in den Sandsteinschichten kann eine geringe Porosität erwartet werden. In der Bohrung Thun 1 wurde auf rund 4 m eine Porosität von ca. 3 % ermittelt.
7.3.6. Trias Die Zusammensetzung der Oberen Trias (Keuper) besteht aus dolomitischen Mergeln und
Tonen sowie mikrokristallinem Dolomit und Anhydrit. In der Bohrung Courtion 1 wurden
Sandsteinschichten mit geringer Mächtigkeit angetroffen (5 m Rhätsandstein und 11 m
Schilfsandstein). Es wird keine nutzbare Porosität des Gesteins erwartet.
Darunter folgt der Muschelkalk mit anhydritisierten Kalken und Dolomiten im oberen Teil sowie Salz und Anhydrit im untern Teil.
Der Obere Muschelkalk wird aus dem Trigonodus-Dolomit und dem Hauptmuschelkalk aufgebaut. Zur karbonatischen Fazies kann zusätzlich der Dolomit der Anhydrit-Gruppe des
Mittleren Muschelkalks im Liegenden gezählt werden. Insbesondere der TrigonodousDolomit besitzt zum Teil eine vergleichsweise hohe Porosität. Im Bereich des Mittellandes
liegen die bekannten Werte im Bereich von 3 bis 25 %. Im Gebiet Bern sind erhöhte Durchlässigkeiten jedoch nur dann zu erwarten, wenn die primäre Porosität durch eine Klüftung
erhöht und das Wasser in den Poren entsprechend besser erschlossen wurde. In der Bohrung Courtion 1 traf man auf 63 m Oberen Muschelkalk, in der Bohrung Hermrigen 1d auf
65 m (80 m inkl. dem Dolomit der Anhydrit-Gruppe). In der geologischen Prognose für die
Mächtigkeit des potenziellen Aquifers (Abbildung 5) gehen wir von einer Mächtigkeit von 65
m aus, wobei der Dolomit der Anhydrit-Gruppe nicht mit einbezogen wird.
Die Untergrenze der Trias wurde in keiner der diskutierten Bohrungen erreicht. Aufgrund des
seismischen Profils rechnet man für das Gebiet westlich von Bern mit einer Trias-Mächtigkeit
von rund 680 m (davon 160 m Keuper und 520 m Muschelkalk).
7.3.7. Perm Ob im Untergrund vom Raum Bern Permokarbon vorhanden ist oder nicht, ist unklar. Die
bestehenden Informationen lassen keine klare Prognose zu.
Die Zusammensetzung des Perms würde wahrscheinlich aus rötlichen, hartgelagerten Tonund Siltsteinen sowie Sandsteinen und Konglomeraten bestehen. Evtl. könnte mit einem
Kluft-Aquifer mit geringer Durchlässigkeit gerechnet werden. Erhöhte Durchlässigkeiten
könnten unter Umständen entlang von allenfalls vorhandenen Trogrändern erwartet werden.
7.3.8. Grundgebirge Das kristalline Grundgebirge besteht aus Gneisen und Graniten. Es war im Karbon und Perm
in weiten Teilen freigelegt worden und war daher entsprechend lang der Verwitterung ausgeewb5.doc
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setzt. Zusätzlich entstanden vor allem in den oberen 300 – 500 m durch die Freilegung Entlastungsklüfte. Dadurch wurde eine gewisse Durchlässigkeit geschaffen, welche in Verbindung mit Störungszonen eine hydrothermale Nutzung ermöglichen kann.
Im Grundgebirge können permokarbone Trogstrukturen vorkommen, deren randliche Begrenzung durchlässige Zonen darstellen könnten. Die Trogfüllungen selber bestehen aus
Breccien, Sand-, Silt- und Tonsteinen und dürften eine relativ geringe Durchlässigkeit aufweisen. In Permokarbontrögen können auch Kohlelagen vorkommen.
In der Nordostschweiz wurde das Grundgebirge in zahlreichen Bohrungen durch die Nagra
erbohrt. Dabei wurden sehr unterschiedliche hydraulische Durchlässigkeitsbeiwerte ermittelt.
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+HAEFELI AG
Abbildung 5: Grobe geologische Prognose Region für das Gebiet westlich von Bern
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7.4. Geothermische Verhältnisse Aus verschiedenen Bohrungen in der weiteren Umgebung von Bern sind mittlere geothermische Gradienten bekannt. Diese bewegen sich bis in einige Kilometer Tiefe zwischen 25 und
35°C/km (Abbildung 6 und Tabelle 1). Sie lassen für die Region Bern einen mittleren Temperaturgradienten von 30°/km erwarten. Dies entspricht einem auch für Mitteleuropa mittleren
bis leicht überdurchschnittlichen Wert.
Die geothermischen Gradienten sind in den obersten paar 100 m vergleichsweise hoch (35–
70°C), bevor sie deutlich abflachen. Weiter sind in den Molasse-Serien in der Regel höher
Werte als im darunterliegenden Mesozoikum zu verzeichnen (vgl. Tabelle 1). Die Entwicklung des geothermischen Gradienten mit der Tiefe ist im Schweizer Mittelland abhängig von
der Wärmeleitfähigkeit des Gesteins und kann in Gesteinen mit erhöhter Durchlässigkeit
durch den Wärmetransport von Tiefenwässern beeinflusst sein.
Bohrung
Basis Tertiär
Tertiär
Mesozoikum
Hermrigen
387 m u. T.
(?) 64°C/km
(?) 29°C/km
Tschugg
508 m u. T.
34°C/km
-
Pfaffnau 1
692 m u. T.
43°C/km
39°C/km
Ruppoldsried
889 m u. T.
41°C/km
-
Romanens
2857 m u. T.
30°C/km
45°C/km
Entlebuch
4224 m u. T.
29°C/km
37°C/km
Linden
4380 m u. T.
24°C/km
53°C/km
Tabelle 1:
Temperatur-Gradienten im Tertiär und im Mesozoikum aus Bohrungen im weiteren Umkreis von Bern (nach Vollmayr 1983).
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Abbildung 6: Temperatur-Gradienten aus Bohrungen im weiteren Umkreis von Bern (nach
Vollmayr 1983).
Die Wärmestromdichte, also die Wärmemenge, welche vom Untergrund in einem bestimmten Zeitabschnitt pro Fläche an die Atmosphäre abgegeben wird, entspricht dem auf lange
Zeit nachhaltig nutzbaren Anteil der Geothermie. Sie ist im Vergleich zur im Gestein gespeicherten Wärmemenge in der Regel relativ klein, ist jedoch genügend gross, dass die Geothermie auf einen längeren Zeitraum betrachtet eine regenerative Energiequelle ist.
Im Raum Bern bewegt sich die Wärmestromdichte im Bereich von 70–80 mW/m2 (Medici &
Rybach 1995). In der Schweiz bewegen sich die Werte allgemein zwischen den Extremwerten von 6 mW/m2 (Vorderrheintal) und 150 mW/m2 (Gebiet nördlich Baden-Brugg), im Mittelland meist zwischen 30 und 100 mW/m2. Der Untergrund in der Region Bern weist demnach
für Schweizer Verhältnisse eine mittlere Wärmestromdichte aus.
7.5. Geochemische Voraussetzungen 7.5.1. Hohe Mineralisierung Thermalwässer aus tiefen Aquiferen können einen hohen Gehalt an gelösten Mineralstoffen
und/oder Gasen haben. Diese Stoffe haben auf die Nutzung des Wassers einen direkten
Einfluss. Infolge von Druckentlastung (z. B. durch Förderung) oder Temperaturveränderung
(z. B. durch Wärmenutzung) können gelöste Komponenten ausfällen oder Gase freigesetzt
werden. Häufig beeinflussen sich die Vorgänge gegenseitig. Wird beispielsweise durch
Druckentlastung gelöstes Kohlendioxid frei gesetzt, so kann als unmittelbare Folge davon
Kalk auf Rohrinnenseiten oder im Wärmetauscher abgelagert werden. Damit wird der Rohrinnenwiderstand durch raue Beläge oder Verengungen erhöht bzw. die Wärmeübertragung
nimmt signifikant ab. Durch geeignete verfahrenstechnische Standardmassnahmen (z. B.
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höherer Betriebsdruck, Ansäuern des Thermalwassers) werden diese Effekte zuverlässig
vermieden.
Für eine langfristige Nutzung des geförderten Wassers ist die genaue Kenntnis des Chemismus notwendig. Darauf abgestimmt werden die verfahrenstechnischen Schritte für Förderung, Behandlung und Rückgabe des Tiefenwassers. Dadurch werden Störungen vermieden
und Betriebskosten gesenkt.
7.5.2. Niedrige Mineralisierung Eine niedrige Mineralisierung ist ein Glücksfall, da damit kostenintensive Massnahmen zur
Verhinderung von Verkrustungen in Leitungsrohren etc. von vorneherein vermieden werden
können. Meist sind solche Wässer deutlich weniger korrosiv, was sich positiv auf die Lebensdauer der Förderpumpen und anderer Anlagenteile auswirkt.
8 Stand der Technik 8.1. Geothermische Systeme 8.1.1. Hydrothermale Systeme (HS) Ein hydrothermales System (HS) nutzt warme bzw. heisse Wässer im Untergrund. Diese
sogenannten Thermalwässer sind besondere, in Schicht-, Kluft- oder Karst-Aquiferen vorkommende Grundwässer.
Aquifere sind Grundwasserleiter. Sie sind Teil einer Schichtfolge, die hydraulisch leitfähig
sind. Beispiele dafür sind: poröse Sandsteine, poröse, verkarstete oder geklüftete Kalksteine.
Die Erschliessung eines Aquifers erfolgt mit einer Bohrung. Diese ist in der Regel sowohl
Erkundungs- als auch Erschliessungsbohrung. Wird aus dieser Bohrung das warme Grundwasser genutzt und dann in ein Oberflächengewässer geleitet, so spricht man von einer
Singletten-Anlage.
Die in diesen Aquiferen enthaltenen Wässer weisen oft eine relativ hohe Mineralisation auf,
so dass das thermisch genutzte Wasser nicht in ein Oberflächengewässer abgeleitet werden
kann. In diesem Fall ist eine zweite Bohrung (Injektionsbohrung) notwendig, mit welcher das
abgekühlte Wasser in den Aquifer zurückgeführt wird. Es handelt sich dann um eine Doublettenanlage.
Beim hydrothermalen System ist eine Direktnutzung der Wärme (ohne Wärmepumpen) in
Abhängigkeit der Fördertemperaturen möglich. Bei Temperaturen über 100°C kann auch
Strom produziert werden.
Die Erkundung und Erschliessung hydrothermaler geothermischer Ressourcen ist mit heute
bekannten Methoden möglich. Entsprechende Erschliessungsprojekte sind jedoch mit einem
Fündigkeitsrisiko verbunden. Das heisst, erst mit einer Bohrung kann nachgewiesen werden,
welche Menge Wasser aus einem Aquifer tatsächlich gefördert werden kann.
Mehrere hydrothermale Anlagen wurden in der Schweiz realisiert: Es sind dies zum Beispiel
verschiedene Thermalquellen bzw. -Bohrungen für Balneologie und Wellness (Singletten:
Schinznach, Lavey-les-Bains, Yverdon-les-Bains, Vals etc.).
Singletten-Anlagen zum Heizen befinden sich in Kloten ZH, Bassersdorf ZH, Kreuzlingen
TG. Die Anlage in Riehen BS ist die einzige Doubletten-Anlage der Schweiz. Sie versorgt ein
Fernwärmenetz.
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Etliche Anlagen wurden auch in Deutschland, Frankreich, Österreich und Italien realisiert.
Nicht-fündige Thermalwasserbohrungen können zu tiefen Koaxial-Erdwärmesonden ausgebaut werden.
Im Bereich der hydrothermalen Geothermie stehen die Technologien für die Erschliessung
grundwasserführender Schichten weitgehend zur Verfügung. Wo mittelfristig für die hydrothermale Tiefengeothermie zusätzliche Technologien erforderlich sind, ist im Bereich der
Testverfahren bei grossen Tiefen und hohen Temperaturen und für leistungsfähige Pumpen
für die Wasserförderung bei hohen Temperaturen.
In der Schweiz sind Tiefbohrungen wegen der Ferne zur Bohrindustrie, die mit der Erdöl- und
Erdgasindustrie verknüpft ist, jedoch relativ teuer. Dies betrifft nicht nur den Bohrvorgang
selber sondern auch Bohrlochmessungen und Testarbeiten
8.1.2. Stimulierte Geothermische Systeme (SGS) Bei Stimulierten Geothermischen Systemen (SGS) wird im Untergrund ein künstlicher Wärmetauscher erstellt.
Das SGS-Konzept ist prinzipiell einfach (Abbildung 7): Im tiefen Gesteinsuntergrund wird
eine Stimulation durchgeführt. Dabei wird der Untergrund mit einer ersten Bohrung erschlossen. Durch die Injektion von Wasser werden dann geschlossene Risse geöffnet um so die
Wasserwegsamkeit zu erhöhen. Anschliessend wird der geklüftete Gebirgsbereich durch
eine zweite Bohrung erschlossen und es wird wiederum stimuliert, um die beiden Bohrungen
über die geschaffenen Kluftsysteme miteinander zu verbinden um so einen künstlichen unterirdischen Wärmetauscher zu erzeugen. In der einen Bohrung wird dann Wasser eingepresst (Injektionsbohrung) und in der anderen Bohrung wird das durch die Gesteinswärme
aufgeheizte Wasser wieder hochgepumpt. Der Wärmeinhalt des unterirdischen, geschlossenen Wasserkreislaufs wird an der Oberfläche durch einen Wärmetauscher an den Wasser/Dampfkreislauf des geothermischen Kraftwerks abgegeben. Grundsätzlich sind auch Anlagen mit mehreren Bohrungen möglich.
Die Entwicklung der SGS-Technologie steckt weltweit derzeit noch am Anfang. Insbesondere
muss die Frage beantwortet werden, wie, unter Berücksichtigung der lokalen und regionalen
Gebirgseigenschaften, ein solcher künstlicher Wärmetauscher erstellt werden kann. Dabei
sind insbesondere auch die komplexen Fragestellungen rund um die induzierte Seismizität
zu beantworten. Längerfristig gesehen sind auch die Effizienz und die Wirtschaftlichkeit solcher Systeme ausschlaggebend für die weitere Entwicklung dieser Systeme.
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Abbildung 7: Prinzip eines stimulierten geothermischen Systems (SGS)
Bis heute gibt es keine kommerziell funktionierenden Stimulierten Geothermischen Systeme
(SGS). Zurzeit gibt es weltweit eine funktionierende Demonstrationsanlage, welche auf wissenschaftlichen Grundlagen betrieben wird. Dabei handelt es sich um die Anlage in Soultzsous-Forêts, welche von einem trinationalen Konsortium (Frankreich, Deutschland, Schweiz)
öffentlich-rechtlicher Institutionen getragen wird. In Australien befinden sich zwei weitere
Projekte von SGS in der Ausführung. Das Deep Heat Mining Projekt in Basel war ein weiteres, welches aufgrund der induzierten Seismizität nicht weitergeführt werden wird.
In verschiedenen Ländern der Welt befinden sich Projekte in unterschiedlichen Phasen. Eine
erste Versuchsanlage wurde kürzlich im Rahmen des Europäischen Forschungsprojektes in
Soultz-sous-Forêts (F) in Betrieb genommen, wobei sich die Stromproduktion noch in relativ
bescheidenem Rahmen bewegt (ca. 1 MW). Von Anlagen mit 2–3 Bohrungen können Leistungen von 5 MWe und 10 MWth erwartet werden.
Weitere Begriffe für SGS (Stimuliertes Geothermisches System) sind auch: EGS (Enhanced
oder Engineered Geothermal System), HDR (Hot Dry Rock), HWR (Hot Wet Rock), HFR
(Hot Fractured Rock) und DHM (Deep Heat Mining).
Bei Stimulierten Geothermischen Systemen kommen grundsätzlich dieselbe Bohrtechnologie
zum Einsatz wir bei hydrothermalen Systemen. Die Stimulation des geothermischen Systems, das heisst die Erzeugung eines unterirdischen Wärmetauschers, steckt bezüglich den
anzuwendenden Verfahren und den zu erwartenden Ergebnissen im Untergrund somit noch
am Anfang.
Folgende Fragestellungen sind dabei von Bedeutung:
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
Wie ist die Beschaffenheit des Gebirges im tiefen Untergrund (vorkommende Gesteine,
Heterogenitäten, Anisotropie, Kluftsysteme etc.)?

Wie sind die Spannungsverhältnisse?

Welche Fliessraten, Drucke etc. müssen für eine erfolgreiche Stimulation angewendet
werden?

Welche Materialen müssen für eine Stimulation verwendet werden (Wasser, Zusatzstoffe
etc.)?

Wie ist die Reaktion des Gebirges auf die angewendete Stimulationsmethode (Verbesserung der Wasserdurchlässigkeit)?

Kann induzierte Seismizität während der Erstellung und der Nutzung des unterirdischen
Wärmetauschers so kontrolliert werden, dass keine störenden oder gar schädigenden
Erdbeben erzeugt werden?
Die Beantwortung dieser und weiterer Fragen wird auch darüber Aufschluss geben, wie effizient, physikalisch und zeitlich, ein unterirdischer Wärmetauscher erstellt werden kann und
somit auch, wie hoch die Kosten einer zukünftigen Stromproduktion sein werden.
Antworten dazu können nur durch entsprechende Forschungs- und Pilotprojekte bei unterschiedlichen geologischen Konfigurationen gewonnen werden. Was die Technologieentwicklung betrifft, ist möglichst eine weltweite Zusammenarbeit anzustreben, um auch Erfahrungen aus anderen Projekten in Schweizer Anlagen einfliessen zu lassen.
Die Entwicklung der SGS-Technologie für die Schweiz erfordert einen Zeithorizont von 20
Jahren oder mehr und den Einsatz signifikanter finanzieller Ressourcen.
8.2. Konventionelle Geothermische Kraftwerke Geothermische Kraftwerke gibt es in vulkanischen Regionen seit Jahrzehnten. In Gebieten,
in welchen der Temperaturgradient infolge vulkanischer Aktivität so hoch ist, dass stark
überhitzte Wässer bereits in Aquiferen von wenigen hundert Metern Tiefe vorkommen, wird
gezielt nach möglichst stark überhitzten Wasservorkommen (bis 270°C) gesucht. Das produzierte Heisswasser wird im einfachsten Falle zur Stromproduktion auf Dampfturbinen geleitet. Bei geringeren Temperaturen kommen binäre Systeme zum Einsatz (Organic Rankine
Zyklus, Kalinazyklus). Diese Umwandlungszyklen werden im folgenden Kapitel beschrieben.
Für Geothermiekraftwerke dieser Art wurden die Bohrtiefen mit der Entwicklung immer tiefer
und reichen heute vielfach bis auf rund 3'000 m. Allen diesen Systemen gemeinsam ist, dass
sie auf hochdurchlässige Aquifere angewiesen sind.
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Tabelle 2: Weltweit installierte Kapazität geothermischer Stromproduktion (Quelle: Bertani, R.:
Geothermal Power Generation in the World 2005 - 2010 Update Report.- Proceedings WGC
2010
In Westeuropa, ausser in Italien (Toskana) gibt es keine solch vulkanisch überhitzten Gebiete mit Temperaturgradienten, welche deutlich höher als 50°/km liegen. Die in Tabelle 2 aufgelisteten installierten geothemischen Kapazitäten beziehen sich ausschliesslich auf konventionelle Geothermie-Kraftwerke.
In der Schweiz sind keine solchen geothermischen Verhältnisse vorhanden. Eine direkte
Stromproduktion ist nur mittels eines binären Umwandlungszyklus möglich, da selbst bis zur
technisch und wirtschaftlich verantwortbaren Maximaltiefe kaum mit Fördertemperaturen
über 200°C gerechnet werden kann.
Zudem nimmt die Qualität (Durchlässigkeit, Permeabilität) von Aquiferen mit zunehmender
Tiefe ab, oder es wird das kristalline Grundgebirge erreicht, in welchem nicht mit grossräumig durchlässigem Gestein gerechnet werden kann (Abbildung 8). Somit ist man in der
Schweiz zur Produktion von sehr heissem Wasser auf Stimulierte Geothermische Systeme
(SGS) angewiesen.
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Tabelle 3: Beispiele geothermischer Werke in Frankreich, Deutschland und der Schweiz
Abbildung 8: Tiefenlage der Aquifere resp. des stimulierten Reservoirs im Vergleich zur geologischen Situation im Raum Bern
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8.3. Geothermische Nutzungsmöglichkeiten zur Stromproduktion 8.3.1. Stromerzeugung aus Heisswasserproduktion Diese Art der geothermischen Nutzung stellt den üblichen Weg dar. Als effizientestes technisches Konzept hat sich die Kraft-Wärme-Kopplung zur Strom- und Wärmeversorgung erwiesen, wobei die entscheidende Einflussgrösse für die Erzeugung von Strom ein möglichst
grosses Temperaturgefälle zwischen Wärmequelle und Wärmesenke ist. Die Bezeichnung
Kraft-Wärme-Kopplung steht für die verknüpfte Erzeugung von Strom und Wärme, wobei die
Verknüpfung zeitlich befristeter Art sein kann. Je nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten kann
ein geothermisches Kraftwerk beispielsweise im Sommer Strom und im Winter ausschliesslich Heizwärme produzieren. Da die Erzeugung von elektrischem Strom möglichst hohe Eingangstemperaturen erfordert, wird bei gleichzeitiger Strom-/Wärmeproduktion immer zuerst
Strom und dann Heizwärme produziert. In Deutschland gibt es zu Kraft-Wärme gekoppelten
geothermischen Kraftwerken bereits erste positive Erfahrungen (z. B. in Unterhaching, Landau oder Neustadt-Glewe) (Abbildung 8).
Als technische Lösungen kommen bei den für den Berner Raum prognostizierten Temperaturdaten ausschliesslich die beiden Binärverfahren Organic-Rankine-Cycle (ORC) oder das
Kalina-Verfahren in Frage. Bei beiden Prozessen wird die Wärme nicht direkt genutzt, sondern über einen Wärmetauscher an ein Arbeitsmedium abgegeben. Bei diesen als Niedertemperaturverstromung bezeichneten Verfahren werden Fluide mit niedrigem Siedepunkt in
einem sekundären Verdampfungs-/Verdichtungskreislauf als Arbeitsmedium eingesetzt. Vereinfacht kann dieser sekundäre Kreislauf mit einem herkömmlichen Wasserdampfkraftwerk
verglichen werden. Anstatt Wasser wird ein niedrig siedendes Fluid zur Dampferzeugung
verwendet. Physikalisch handelt es sich um eine Dampfmaschine mit Stromgenerator.
Zur Erhöhung des Wirkungsgrades – und damit der Wirtschaftlichkeit einer geothermischen
Anlage – werden an den jeweiligen Standort angepasste Arbeitsfluide sowie verfahrenstechnische Lösungen eingesetzt. Diese berücksichtigen beispielsweise die thermischen, chemischen und hydraulischen Eigenschaften des geförderten Thermalwassers.
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8.3.2. Organic Rankine Cycle (ORC) Abbildung 9: Prinzip eines Organic Rankine Kreislaufs (ORC)
Bei einer Organic-Rankine-Cycle-Anlage (Abbildung 9) wird ein leicht siedender organischer
Arbeitsstoff (z. B. Propan, Butan) zur Dampferzeugung eingesetzt. Die geförderte Wassertemperatur für den Betrieb einer ORC-Anlage sollte zwischen 95 und 175 °C liegen. Das
Arbeitsmedium wird anhand der jeweils spezifischen Projekttemperaturen ausgewählt. Liegen förderbare Wassertemperaturen von über 120 °C vor, so können elektrische Nettowirkungsgrade von bis zu 12% innerhalb des ORC-Prozesses erreicht werden.
ORC-Anlagen werden in der Stromerzeugung bereits seit vielen Jahren eingesetzt. Bis heute
wurde dieser Anlagentyp weltweit in vielen Kraftwerken erfolgreich eingesetzt. In Mitteleuropa kommt das ORC-Verfahren in den geothermischen Kraftwerken von Neustadt-Glewe
(Deutschland), Landau (Deutschland) oder Soultz-sous-Forêts (Frankreich) erfolgreich zum
Einsatz. Weitere Anlagen befinden sich gegenwärtig in der Ausführung oder der Planungsphase.
Das ORC-Verfahren hat Vor- und Nachteile, welche im Zuge der Realisierung eines geothermischen Kraftwerks gegeneinander abgewogen werden müssen. Neben den langjährigen Betriebserfahrungen (die geothermischen Kraftwerke wurden teilweise bereits 2003 in
Betrieb genommen) kommt ein planerischer Vorteil hinzu: ORC-Anlagen können als komplette und automatisierte Systeme schlüsselfertig gekauft werden. Der wesentliche Nachteil des
ORC-Verfahrens ist das isotherme Verhalten des organischen Lösemittels, d. h. das Verdampfen wie auch das Kondensieren findet bei einer bestimmten Temperatur statt. Damit ist
eine dynamische Anpassung an veränderte Temperaturen innerhalb des ORC-Prozesses zu
einem späteren Betriebszeitpunkt nicht mehr möglich. Mit der Wahl des Arbeitsmediums und
Arbeitsdrucks sind die wesentlichen Betriebsparameter der Anlage festgelegt.
Ein interessantes Beispiel für den erfolgreichen Betrieb einer ORC-Anlage ist das geothermische Kraftwerk in Neustadt-Glewe (Deutschland). Es handelt sich um das weltweit kälteste
Geothermiekraftwerk mit einer ORC-Anlage zur Verstromung. Hier wird seit 2003 aus 2'200
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Metern Tiefe Thermalwasser mit einer durchschnittlichen Temperatur von 96 bis 97 °C und
einer Förderrate von 10 bis 30 l/s gewonnen. In den Sommermonaten wird das Wasser
praktisch vollständig für die Stromerzeugung genutzt. Der ORC-Generator produziert 1'400
bis 1'600 MWh/a. Aus ökonomischen Gründen wird die ORC-Anlage in den Wintermonaten
nicht betrieben.
8.3.3. Kalina Zyklus Auch beim Kalina-Prozess (Abbildung 10) wird ein Arbeitsstoff mit einer niedrigen Siedetemperatur verwendet. Bei diesem Verfahren kommt ein Ammoniak-Wasser-Gemisch zum Einsatz. Im Gegensatz zum ORC-Verfahren kommt hier kein Reinstoff, sondern ein Gemisch
aus zwei Reinstoffen mit sehr unterschiedlichen Siedepunkten zum Einsatz. Bei einem Stoffgemisch als Arbeitsmedium werden die Konzentrationsänderungen mit Desorption durch die
Wärmezufuhr beziehungsweise Absorption durch die Wärmeabfuhr genutzt. Durch die verschiedenen Siedepunkte der beiden Einzelkomponenten verhält sich das Stoffgemisch nicht
isotherm. Das beim Kalina-Prozess eingesetzte Ammoniak-Wasser-Gemisch hat keinen definierten Siedepunkt sondern einen Siedebereich. Dadurch wird eine signifikant bessere
Wärmeübertragung von der Niedertemperaturquelle erreicht. Das im geothermischen Kraftwerk in Bruchsal (Deutschland) eingesetzte Ammoniak-Wasser-Gemisch verdampft bei einem Arbeitsdruck von 20 bar bei einer mittleren Temperatur von 115 °C. Reines Wasser
würde unter diesem Druck erst bei deutlich über 200 °C in die gasförmige Phase übergehen.
Im Gegensatz zu einer ORC-Anlage bietet der Kalina-Prozess den Vorteil einer weit dynamischeren Anpassung an die jeweiligen Prozesstemperaturen. Durch eine einfache Änderung
des Ammoniakgemisches kann die gesamte Anlage an die jeweiligen aktuellen Betriebsparameter angepasst werden. Zusätzlich kann damit eine Optimierung an die gesamten Randbedingungen der Prozesskühlung erfolgen. Diese individuellen Anpassungsmöglichkeiten an
die Anlagenparameter führen speziell bei niedrigen Quellentemperaturen von <150 °C zu
einer deutlich verbesserten Effizienz gegenüber dem ORC-Verfahren, wobei die Literaturangaben zur Effizienzsteigerung zwischen 5% und 50% variieren. Diese doch sehr unterschiedlichen Angaben spiegeln die bislang geringen Erfahrungen in Planung und Realisierung von
Kalina-Anlagen wider. Ein ganz wesentlicher Kostenfaktor bei der Planung ist die Auslegung
des Wärmetauschers.
Bislang haben Kalina-Anlagen den Nachteil, dass sie deutlich höhere Investitionskosten erfordern. Allgemein nimmt mit sinkender Quellentemperatur der Flächenbedarf für den Tauscher zu. Bei einer Standard-ORC-Anlage machen die Kosten für den Wärmetauscher etwa
20% der Anlagenkosten aus. Bei einer Kalina-Anlage sind dies etwa 40%. Diese Kosten
müssen über eine längere Laufzeit wieder erwirtschaftet werden. Zudem gibt es bisher noch
keine breiten Betriebserfahrungen mit diesem Anlagentyp.
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Abbildung 10: Prinzip des Kalina Kreislaufs
Da beim Kalina-Verfahren das Arbeitsmedium einen Siedebereich aufweist, muss vor der
eigentlichen Entspannung in einer (Radial-)Turbine ein Separator installiert werden. Der Separator trennt für die Turbine schädliche Flüssigkeitströpfchen ab. Die Gasentspannung erfolgt bis zu einem Druck, welcher geringer als der Kondensationsdruck des Ammoniakgemisches ist. Anschliessend wird das Arbeitsmedium über ein Kühlsystem kondensiert. Zur Kühlung kann ein Kühlturm, aber auch Fluss- oder Grundwasser eingesetzt werden. Die Arbeitsmittelpumpe (i. d. R. eine mehrstufige Kreiselpumpe) sorgt für die Aufrechterhaltung der
Kreislaufzirkulation und für die nötige Druckerhöhung.
Anfang 2009 wurde in Unterhaching (Deutschland) die europaweit erste Kalina-Anlage für
die geothermische Stromerzeugung in Betrieb genommen. In Unterhaching wird aus einer
Tiefe von 3'446 m Tiefe Thermalwasser mit einer Temperatur von 122 °C bei einer Förderrate von bis zu 150 l/s gewonnen. Aufgrund der gestiegenen Preise für fossile Energieträger
wird während der Heizphase aus ökonomischen Gründen mehr Heizwärme verkauft. Hierfür
wurde bislang ein Fernwärmenetz mit 56 km Rohrleitungen aufgebaut. Die Jahresleistung an
geothermischer Wärmeenergie betrug 2008 etwa 47'000 MWh. Im ersten Betriebsjahr des
Stromgenerators der Kalina-Anlage wurden 21'500 MWh/a elektrische Energie produziert.
Gekühlt wird die Anlage über eine mit Grundwasser gespeisten Kühlanlage.
Ende 2009 wurde in Bruchsal (Deutschland) bereits das zweite geothermische Kraft-Wärmegekoppelte Kraftwerk mit Kalina-Technologie in Betrieb genommen. In Bruchsal wird aus
2'500 m Tiefe 120 bis 130 °C warmes Thermalwasser mit einer kontinuierlichen Förderrate
von 24 l/s gewonnen. Die Anlage ist auf die Stromerzeugung von 4'500 MWh/a ausgelegt.
8.3.4. Spezialfall Niedertemperatur (< 95°C) Sollten die förderbaren Thermalwassertemperaturen von Bern und Umgebung weniger als
95 °C betragen, so könnte unter bestimmten Umständen trotzdem Strom erzeugt werden.
Ein 2006 realisiertes Projektbeispiel in Fairbanks (Alaska) soll hier als realisiertes Beispiel
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dienen: die Anlage fördert Thermalwasser mit einer Quellentemperatur von nur 74 °C und
einer kontinuierlichen Förderrate von 30 l/s. Mittels einer an diese Temperaturen optimierten
ORC-Anlage und unter Nutzung eines nur 7 °C „warmen“ Vorfluters wird über einen Stromgenerator immerhin 0.5 MW an elektrischer Leistung erzeugt.
8.4. Wärmeförderung – Wärmeverteilung Reicht die Temperatur des geförderten Thermalwassers für eine Stromproduktion nicht aus,
so kann das Wasser bei einer entsprechenden Förderrate und Temperatur als Wärmequelle
genutzt werden. Bei genügend hohen Temperaturen kann die hydrothermal geförderte Wärme direkt über einen Wärmetauscher in ein Nah- bzw. Fernwärmenetz eingespeist werden.
Bei unzureichenden Quellentemperaturen können Wärmepumpensysteme für eine wirtschaftliche Temperaturerhöhung auf das benötigte Temperaturniveau des zu versorgenden
Wärmeverbundes sorgen. Derartige Massnahmen lohnen allerdings nur, wenn kontinuierlich
genügend Thermalwasser gefördert werden kann.
Für diese Art der Wärmenutzung gibt es langfristige Erfahrungsdaten aus der Schweiz. In
Riehen fördert das älteste geothermische Wärmekraftwerk der Schweiz seit 1989 aus 1'547
m Tiefe kontinuierlich 65 °C warmes Thermalwasser mit einer Förderrate von 18 l/s. Über
Plattenwärmetauscher wird das relativ stark mineralisierte Wasser abgekühlt. Der geothermische Wärmeertrag liegt bei 16'000 MWh/a. Das erwärmte Nutzwasser wird über Wärmepumpen weiter auf 90 °C erhitzt und in ein Fernwärmenetz eingespeist.
Wird Thermalwasser für eine reine Nutzung für Nahwärme- / Fernwärmenetze gefördert, so
werden meist kombinierte Kraftwerksanlagen mit unterschiedlichen Primärenergieträgern
gebaut. Die geothermische Wärmegewinnung ist dabei integraler Bestandteil der Grundlastversorgung mit Wärme. Ergänzende Kraftwerkstypen können Biomasse-, Holzschnitzel oder
Blockheizkraftwerke mit konventionellen Erdgas- oder Ölbrennern sein. Beim bereits erwähnten geothermischen Kraftwerk von Riehen stehen für den Spitzenlastbedarf drei ölbefeuerte
Kesselanlagen zur Verfügung. Damit werden derzeit etwa 50 % des fossilen Energieträgers
Erdöl eingespart.
8.5. Infrastrukturelle Voraussetzungen Es ist verfrüht bereits Überlegungen über die genauen Voraussetzungen für einen zukünftigen Bohrplatz zu spezifizieren. Im folgenden soll nur ein Überblick über die Grössenordnungen des Platzbedarfs von Erkundungsbohrungen auf Tiefen zwischen 3'000 und 5'000 m
gegeben werden.
Für Tiefbohrungen sind folgende Voraussetzungen und Infrastruktur erforderlich:









Ebenes Gelände, Grösse siehe Abbildungen 11, 12 und 13.
Zufahrtsmöglichkeit für Schwertransporte.
Hochleistungs-Starkstromanschluss (ca. 4MWe). Andernfalls Stromversorgung durch
Dieselgeneratoren, welche in jedem Falle zur Versorgungssicherung vor Ort sein werden.
Wasseranschluss
Kanalisationsanschluss / Entwässerung
Nach Möglichkeit in Industriegebiet mit geringer Lärmempfindlichkeitsstufe (IV). Kritisch
sind nicht die absoluten Lärmemissionen, sondern der Umstand, dass die Arbeiten über
mehr als 100 Tage im Dauerbetrieb (24 Stunden Betrieb, inkl. Sonn- und Feiertage) erfolgen.
Lagerplätze für Verrohrungen, Bohrmaterialien,
Standflächen für Container
Parkplätze
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Auf einer grossen Tiefbohranlage arbeiten im Schichtbetrieb während den Tagschichten bis
40 Personen, während den Nachtschichten rund 20 Personen.
2
Abbildung 11: Übersicht zum Platzbedarf der 5'000 m Bohrung Basel 1 (total 12'000 m )
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Abbildung 12: Bohrplatz Basel 1; Bohranlage Deutag, T-45: Schwere Landrig für Bohrungen
bis 7'000 m.
Abbildung 13: Platzbedarf einer modernen Bohranlage für Tiefen bis 3'000 m, Anlage Drillmec
HH Serie, wie sie bei der Bohrung Triemli ( 2708 m) in Zürich zur Anwendung kam.
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9 Potenziale 9.1. Einleitung Bei fossilen Energiequellen im Untergrund (Erdöl und Erdgas) werden verschiedene Betrachtungen für deren Mengenabschätzung angestellt (Tabelle 4):
Art der Reserve
Wahrscheinlichkeit,
dass Reserve vorhanden
Bewiesen
(proved)
90%
Wahrscheinlich
(possible)
50%
Möglich
(probable)
10%
Tabelle 4: Prinzipielle Typen von Reserven im Untergrund
Analog dazu kann die Erdwärme als bewiesene Reserve betrachtet werden. Sie kommt immer und überall vor, die auftretenden Temperaturen können mit relativ guter Sicherheit prognostiziert werden.
In Bezug auf die Förderbarkeit der im Untergrund vorhandenen Energiereserve ist es aber
notwendig, weitere Kategorien zu unterscheiden (Tabelle 5):
Potenzial Geothermie
Förderbarkeit
Erläuterung
Theoretisches Potenzial
Heat in Place
Theoretischer Wärmeinhalt
Im Gestein enthaltene Wärme
Technisches Potenzial
Technisch nutzbarer
Wärmeinhalt
Mit bekannten Methoden, nutzbare mögliche Wärme
Wirtschaftliches Potenzial
Wirtschaftlich nutzbarer
Wärmeinhalt
Mit bekannten Methoden,
wirtschaftlich nutzbare Wärme
Tabelle 5: Nutzbarkeit von Reserven im Untergrund
Das theoretische Potenzial umfasst die gesamte, im Gestein enthaltene Wärmeenergie. In
einer Studie des Paul Scherrer Instituts (PSI 2005) wird zum Beispiel für die gesamte Fläche
der Schweiz in 3–7 km Tiefe ein theoretisches Potenzial von 15‘900‘000 TWhth errechnet.
Für die Fläche der Stadt Bern wäre dies ein theoretisches Potenzial von 19‘600 TWhth.
Der Tiefenbereich berücksichtigt, dass für eine Stromproduktion nur Tiefen von mehr als
3 km mit Temperaturen von über 100°C in Frage kommen und Bohrungen von mehr als
7 km Tiefe mit dem heutigen technischen Stand nicht mehr wirtschaftlich sind.
Diese Potenzialberechnung umfasst die gesamte im Gestein enthaltene Energie. Typischerweise sollte, je nach Tiefenlage nur ca. 2–5 % des Wärmeinhalts genutzt werden können.
Für die Fläche der Stadt Bern wäre somit eine Wärmemenge von rund 780 TWhth (780‘000
GWhth) nutzbar, was bei einem Stromwirkungsgrad von 10 % einer Leistung von mehr als 9
GW entsprechend würde.
Da die SGS-Technologie heute noch nicht zur Verfügung steht, kann dieses Potenzial als
theoretisch-technisches Potenzial bezeichnet werden.
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Das derzeitige technische Potenzial im Untergrund von Bern stellt die Geothermie aus hydrothermalen Systemen dar, die jedoch um Grössenordnungen kleiner ist.
9.2. Geothermisches Potenzial Bern (Hydrothermale Systeme) Das technisch geothermische Potenzial eines bestimmten Aquifers im Raum Bern wird durch
die zu erwartende Leistung einer Doubletten-Anlage aufgezeigt.
Hierzu wurden folgende generelle Annahmen gemacht:
Die Temperatur in der Produktionsbohrung bleibt über eine Nutzung von 30 Jahren hinweg
konstant. Die durch das reinjizierte Wasser verursachte Abkühlung führt also in diesem Nutzungszeitraum zu keiner Abkühlung.
Der maximal zulässige Pumpendruck für die Aufrechterhaltung der Zirkulation wird auf 200 m
festgelegt.
Das geförderte Wasser wird auf 10°C abgekühlt.
Für die hydraulischen Durchlässigkeiten wurden mittlere Werte abgeschätzt, welche sich auf
die relevanten Mächtigkeiten der potenziellen Aquifere beziehen.
Für den oberen Malm wird dieser auf die obersten 100 m der insgesamt auf 640 m Mächtigkeit geschätzten Kalke bezogen. Diese oberflächennahen Schichtserien waren während der
tertiären Freilegung verstärkt der Verwitterung ausgesetzt (Paläokarst). Befinden sich kreidezeitliche Kalke über dem Malm, so wird angenommen, dass diese mit dem Malm einen
gemeinsamen Aquifer bilden, da die Untere Kreide ebenfalls weitgehend karbonatisch ist.
Für den Dogger wurde eine Gesamtmächtigkeit der einen möglichen Kluftaquifer bildenden
Kalke (Hauptrogenstein) von 50 m angenommen, unabhängig davon, ob die einzelnen Teilaquifere miteinander hydraulisch in Verbindung stehen.
Die nur wenige Meter mächtigen Sandsteine des Rhät und die sandigen Kalke und Sandsteine des Lias werden als zu wenig ergiebig angesehen, als dass sie einen potenziellen
Aquifer ausbilden könnten. Sie werden daher nicht in die weiteren Überlegungen mit einbezogen.
Im Oberen Muschelkalk bildet der Trigonodusdolomit zusammen mit dem Hauptmuschelkalk
einen rund 65 m mächtigen potenziellen Aquifer aus. Der Dolomit der Anhydritgruppe des
Mittleren Muschelkalkes im Liegenden wird nicht mehr dazugerechnet.
Im Grundgebirge wurden, aufgrund von Entlastungsklüften und Verwitterungserscheinungen,
die obersten 300 m als besser durchlässig angesehen.
Die natürlich vorhandene Durchlässigkeit kann durch das Einpressen eines Säure-WasserGemischs erhöht werden. Dies wurde mit einem Stimulationsfaktor berücksichtigt, welcher in
die berechneten Transmissivitäten der potenziellen Aquifere eingeflossen ist.
9.3. Thermisches Potenzial und Wirkungsgrad Die thermische Energie welche eine Geothermieanlage liefern kann hängt vom produzierten
Gesamtvolumenstrom von der nutzbaren Temperaturdifferenz und vom Temperaturniveau
ab.
Entscheidend und der kritische Faktor ist der produzierbare Gesamtvolumenstrom an heissem Wasser. In einem Hydrothermalsystem ist das abhängig von der Durchlässigkeit und
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Mächtigkeit des oder der Tiefenaquifere. Bei stimulierten Systemen ist der Gesamtvolumenstrom abhängig von der künstlich geschaffenen Durchlässigkeit im heissen Gestein.
Der Gesamtvolumenstrom kann mit einer Vielzahl von Bohrungen vergrössert werden. Um
keine thermischen Kurzschlüsse zu produzieren, muss ein Minimalabstand zwischen den
Bohrungen eingehalten werden. Damit sind einer beliebigen Erweiterung der Anlage Grenzen gesetzt.
Das höchste Temperaturniveau aus einem Hydrothermalsystem wird im Raum Bern 100°C
kaum überschreiten. Dies weil im kristallinen Grundgebirge – das auf einer Tiefe von ca. 3
km anfängt – keine Schichten mit genügenden natürlichen Durchlässigkeiten mehr erwartet
werden können.
Zur Produktion auf einem Temperaturniveau höher als 100°C sind in der Region Bern
zwingend stimulierte geothermische Systeme notwendig. (Abbildung 14)
Abbildung 14: Geothermische Verhältnisse im Raum Bern
Der Wirkungsgrad der Stromproduktion aus einer thermischen Quelle ist stark abhängig vom
Temperaturniveau. Bei einem Temperaturniveau unter 120°C fällt der Wirkungsgrad der direkten Stromproduktion unter 10%, unter Einbezug der „parasitären“ Pumpleistung gar unter
5%, was in keinem Falle wirtschaftlich ist.
Trotzdem kann auch mit niedrigen Ausgangstemperaturen indirekt Strom produziert werden.
Dies zum Beispiel, wenn bei einer Gas- und Dampfturbine (GuD) das warme Wasser in den
Vorlauf des Wasser-Dampfkreislaufs eingespiesen wird. Auf diese Weise kann der Wirkungsgrad einer GuD-Anlage erhöht werden. In einer optimierten Anordnung kann so aus
einer relativ niedrigen Wassertemperatur mehr elektrische Leistung gewonnen werden, als in
einer direkten Stromumwandlung mit den bekannten Methoden wie Organic Rankiine Cycle
(ORC) oder dem Kalina Zyklus. Ob sich eine solche Kombination mit einer GuD-Anlage anewb5.doc
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bietet, kann im Rahmen dieser Studie noch nicht geklärt werden. Es ist jedoch eine Option,
die in einer Vorstudie näher zu untersuchen ist.
Mächtig-
Tiefe
keit
Top
Temp.
∆T
Hydraul.
Stimula-
Transmis-
Förder-
Entzugs-
Durch-
tions-
sivität
rate
leistung
lässigkeit
faktor
(mit Stimu-
l/s
kW
[k]
[m]
[muT]
[°C]
[°C]
[m/s]
Oberer
Malm
100
1920
65
55
1.0×10
Hauptrogenstein
(Dogger)
50
2780
97
87
Oberer
Muschelkalk
65
3360
115
Kristallin
300
3880
127
lation)
2
-
[m/s ]
-7
3.0
3.0×10
-5
4.5
1'300
5.0×10
-8
3.0
7.5×10
-6
1.2
430
105
7.0×10
-7
2.0
9.1×10
-5
12.6
5'500
117
5.0×10
-9
10.0
1.5×10
-5
2.5
1‘200
Tabelle 6: Mögliche Entzugsleistung einer Doubletten-Anlage aus potenziellen Aquiferen in der
Region Bern.
Die hydraulische Durchlässigkeit [k] ist für die Abschätzung der möglichen Entzugsleistung
der sensibelste Faktor. Die für die potenziellen Aquifere in der Tabelle 6 aufgeführten hydraulischen Durchlässigkeiten stellen mittlere Schätzwerte dar und beziehen sich auf Gesteine mit mittlerer Klüftigkeit. Es ist damit zu rechnen, dass bei grösseren Klüftigkeiten z.B.
in Verbindung mit grösseren Störungszonen die hydraulischen Durchlässigkeiten um ein
Mehrfaches höher sein können (vgl. auch maximale K-Werte in Abbildung 5). Demgegenüber können ungeklüftete Bereiche weitgehend dicht sein. Dies gilt insbesondere für die Kalke des Doggers sowie für das Kristallin.
10Erkundungsmethoden
Zur Erkundung des tiefen Untergrundes für die Geothermie muss zwischen indirekten und
direkten Methoden unterschieden werden. Bei indirekten, geophysikalischen, Methoden werden physikalische Parameter wie Dichte, elektrische Leitfähigkeit, Ausbreitungsgeschwindigkeit elastischer Wellen etc. des tiefen Untergrundes gemessen. Daraus werden indirekt
Schlüsse über die Art der im Untergrund vorhandenen Gesteine, deren Wasserführung und
deren Lagerung gezogen.
Werden verschiedene indirekte Erkundungsmethoden miteinander kombiniert, können in der
Regel bessere Prognosen gemacht werden. Sinnvollerweise werden indirekte Erkundungsmethoden mit Bohrungen kalibriert. Je besser ein Gebiet bekannt ist, desto effizienter können indirekte Methoden eingesetzt werden um Kenntnislücken zwischen Bohrungen zu ergänzen. Indirekte Erkundungsmethoden können nie eine Bohrung ersetzen.
Als indirekte Erkundungsmethoden werden auch geologische Feldaufnahmen bezeichnet,
welche dann als Grundlagen für die Extrapolation oder die Interpolation in den tieferen Untergrund verwendet werden können.
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Die einzige direkte Erkundungsmethode des tiefen Untergrundes ist die Tiefbohrung. Sie
liefert wichtige, direkte Informationen die mit Bohrlochmessungen und Versuchen ergänzt
werden müssen. In Kombination mit den indirekten Methoden kann ein dreidimensionales
Modell des Untergrundes erstellt werden.
Indirekte und direkte Erkundungsmethoden werden in der Erdöl- und Erdgasindustrie seit
Jahrzehnten angewendet und laufend weiterentwickelt.
10.1 Indirekte Methoden Die wichtigste geophysikalische Erkundungsmethode für die indirekte Tiefenerkundung ist
die Seismik (genauer: Reflexions-Seismik). Weitere Methoden welche für die geothermische
Erkundung in Frage kommen sind die Gravimetrie und evtl. die Magnetotellurik.
10.1.1. Seismik Bei der seismischen Erkundung werden elastische Wellen mit Hilfe von schwachen Sprengungen in Bohrlöchern oder von Vibratoren an der Oberfläche erzeugt (Abbildung 15). Diese
Wellen werden im Untergrund reflektiert und refraktiert, an der Oberfläche von Geophonen
gemessen und mittels ausgeklügelten EDV-Methoden aufgezeichnet, verarbeitet und ausgewertet.
Abbildung 15: Prinzipskizze seismischer Messungen (Nagra 2000)
Seismische Messungen können als 2D- oder als 3D-Messungen durchgeführt werden. Sie
erfordern im Gelände eine relativ aufwändige Logistik, da zahlreiche Vibratoren, Bohrfahrzeuge und Messwagen entlang von Linien (2-D Seismik) oder in der Fläche (3-D Seismik)
systematisch eingesetzt werden und auch mit Kabeln verbundene Geophone platziert werden müssen.
Die Kosten seismischer Kampagnen liegen, je nach Länge der Linien bzw. der Grösse der zu
messenden Fläche und der topografischen Verhältnisse (Stadt/Land) in der Grössenordnung
von mehreren hunderttausend bis mehreren Millionen Franken.
10.1.2. Gravimetrie Bei der Gravimetrie wird das lokale Schwerefeld der Erde gemessen. Das unterschiedliche
Mass der Schwerebeschleunigung an verschiedenen Orten (sogenannte lokale Schwereanomalien) gibt Informationen über unterschiedlichen Gesteinsdichten im Untergrund. Damit
können in grösseren Gebieten Aussagen über den geologischen Aufbau des Untergrundes
gemacht werden. In städtischen Gebieten ist die Anwendung dieser Methode durch massive
Störeffekte durch Gebäude und Infrastrukturen erschwert.
Die Kosten von Gravimetriekampagnen liegen in der Grössenordnung von mehreren zehntausend Franken.
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10.1.3. Magnetotellurik Die Magnetotellurik misst erdelektrische (tellurische) und erdmagnetische Felder und berechnet daraus die elektrische Leitfähigkeit des Erduntergrundes bis in grosse Tiefen. Aufgrund der Frequenzabhängigkeit der Eindringtiefen lassen sich Sondierungen durchführen.
In Kombination mit Messungen entlang von Profilen oder in der Fläche ergibt sich die räumliche Verteilung der elektrischen Leitfähigkeit im Erduntergrund. In städtischen Gebieten wird
die Methode von starken Störeffekten beeinflusst.
Die Kosten von Magnetotellurik liegen in der Grössenordnung der Kosten der Gravimetrie.
10.2. Direkte Methoden, Tiefbohrungen Tiefbohrungen geben einen direkten Aufschluss der im Untergrund vorhandenen Gesteine.
Durch geeignete Bohrlochmessungen und Testverfahren können die Eigenschaften der Gesteine näher bestimmt und die Gebirgsverhältnisse in der Umgebung der Bohrung untersucht
werden. Dazu gehören insbesondere auch die Durchlässigkeitseigenschaften der Gesteine
bzw. des Gebirges, welche im Hinblick auf eine geothermische Nutzung von zentraler Bedeutung sind.
Die Kosten einer 3–5 km tiefen Bohrung liegen in der Schweiz in der Grössenordnung von
15–40 Millionen Franken. Diese Kosten sind relativ hoch, was mit der Ferne zur Bohrindustrie, den hohen Erdöl- und Erdgaspreisen und den relativ umständlichen administrativen
Rahmenbedingungen in der Schweiz zu begründen ist. Es ist eine der herausfordernsten
Aufgaben eines Planungsteams die Bohrkosten auf ein wirtschaftlich akzeptables Minimum
zu reduzieren.
11 Vorgehen 11.1. Projektphasen Ein Geothermieprojekt gliedert sich in 5 Phasen:
Vorstudien
Indirekte Erkundung
Direkte Erkundung
Erschliessungsbohrungen
Anlagenbau
11.1.1. Grundsätzliche Überlegungen Ein Geothermieprojekt unterscheidet sich von einem konventionellen Kraftwerkprojekt oder
von einem Bauprojekt grundsätzlich darin, dass dessen Leistung nicht einfach dimensioniert,
geplant und gebaut werden kann.
Geothermische Energie ist eine Ressource welche im Untergrund überall vorhanden ist, jedoch nur unter bestimmten Umständen und nicht an allen Orten genutzt werden kann. Nutzbare Vorkommen müssen gesucht werden wie Erdöl und Erdgas.
Der Bauphase geht immer eine Erkundungsphase mit unbekanntem Ausgang voraus. Die
Kosten der Erkundungsphase sind substantiell und bedürfen eines klar strukturierten Vorgehensplans.
Exploration bedeutet suchen nach bisher unbekannten Ressourcen. Dies setzt die Bereitschaft voraus Risikokapital in das Vorhaben zu investieren.
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Allen Explorationsvorhaben gemeinsam ist, dass die Kenntnis über das Vorhandensein und
die Förderbarkeit einer Ressource schrittweise erkundet wird. Die Aufgabe eines sorgfältigen
Explorationsplans ist es mit steigenden Investitionskosten die Risiken schrittweise zu verringern.
Es gilt der Grundsatz das anfänglich sehr hohe Risiko (= nicht kennen der Ressource)
schrittweise abzubauen. Das finanzielle Engagement („financial exposure“) kann mit zunehmender Kenntnis, respektive abnehmendem Risiko schrittweise gesteigert werden (Abb. 16).
Abbildung 16: Projektphasen zur Entwicklung eines geothermischen (Heiz-)Kraftwerks
11.1.2. Vorstudien In der Vorstudie wird der aktuelle Kenntnisstand erfasst. Es werden die geologischen und
infrastrukturellen Rahmenbedingungen studiert und ein Entwicklungskonzept entworfen. Am
Ende der Vorstudie sollte ein Entwicklungskonzept mit einem Businessplan vorliegen. Dieser
bildet die Grundlage zur Entscheidungsfindung, mit welcher Organisation, mit welcher Finanzerung und in welchem Zeitrahmen das Projekt zu entwickeln ist.
Der finanzielle Aufwand der Vorstudien sollte in der Grössenordnung unterhalb einer halben Million Franken liegen.
11.1.3. Indirekte Erkundung Mit der indirekten Erkundung soll der Kenntnisstand der geologischen Verhältnisse verbessert werden. Mit der indirekten Erkundung, sei dies die Reflexionsseismik, die Gravimetrie,
die Magnetotellurik oder weitere geophysikalische Methoden lässt sich das Gebiet für eine
direkte Erkundung eingrenzen, mehr nicht. Indirekte Erkundungsmethoden schaffen keine
gesicherte Aussagen über die Leistungsfähigkeit eines geothermischen Systems. Sie liefern
ausschliesslich Hinweise über Gebiete erhöhter Erfolgschancen.
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Die Kosten von seismischen Untersuchungen liegen je nach Umfang und Grösse der Gebiets im Bereich von einer Million bis zu mehreren Zehnern von Millionen Franken. Die
Finanzierung solcher Vorhaben erfolgt in der Regel unter Beteiligung weiterer Interessenten.
11.1.4. Direkte Erkundung Aufschluss über die Wasserführung, respektive Produktivität von Aquiferen sind nur mit Tiefbohrungen zu gewinnen. Auch die Erforschung und Entwicklung stimulierter geothermischer
Systeme kann nur mit Tiefenbohrungen in das anvisierte Reservoir erfolgen.
Zur Planung solch finanziell substantieller Vorhaben gehören unter anderem felsmechanische, geologische, hydraulische und geochemische Modellierungen. Sie sind notwendig um
eine möglichst breite Sicht der Möglichkeiten zu erhalten und Eventualitäten antizipieren zu
können. Resultate können anhand von Modellierungen nicht vorausgesagt werden. Allenfalls
können Bandbreiten abgeschätzt werden, innerhalb welchen Resultate zu erwarten sind. Der
Zeitaufwand für die Planung von Erkundungsbohrungen wird meist unterschätzt. Er liegt in
der Regel in der Grössenordung von einigen Monaten bis über ein Jahr. Die Ausführung einer Bohrung erfolgt in der Regel in weniger als einem halben Jahr.
Die Kosten für Tiefbohrungen zwischen 3'000 und 5'000 Meter Tiefe liegen je nach Geologie
und Durchmesser in der Grössenordnung von 15 – 40 Millionen Franken. Folgebohrungen sind aufgrund der lokal gewonnenen Kenntnisse in der Regel 10% – 30% günstiger als
eine Bohrung mit unbekannter Geologie. Die Finanzierung solcher Vorhaben erfolgt in der
Regel durch Konsortien.
11.1.5. Erschliessung – Anlagenbau Mit dem Nachweis eines produktiven Aquifers, oder im Falle eines stimulierten geothermischens Systems, dem Nachweis einer produktiven Zirkulation sind die kritischen geologischen Risiken aus dem Weg geräumt. Sollten nach Bedarf, zur Erweiterung der Kapazität
noch weitere Bohrungen gewünscht werden, bestehen natürlich weitere Risiken, dass diese
nicht die erwarteten Leistungen erbringen könnten. Bis zu diesem Zeitpunkt sind über das
lokale geologische System jedoch so viele Kenntnisse vorhanden, dass diese Risiken berechenbar werden.
Das bedeutet, dass für den weiteren Ausbau und den Anlagenbau nicht mehr Risikokapital
zur Verfügung gestellt werden muss, sondern einfache verzinsbare Darlehen aufgenommen
werden können. Die Kosten der Obertage-Anlage bewegen sich ohne Fernwärmenetz – je
nach Ausbaugrösse – im einstelligen Millionen Franken Bereich.
11.2. Organisation / Finanzierung Auch wenn ewb das Projekt alleine realisieren möchte, wäre es empfehlenswert zu diesem
Zweck eine Projektgesellschaft zu gründen. Mit einer formellen Geschäftsführung ist eine
klare Organisation mit definierten Verantwortlichkeiten möglich. Dies ist in einem Entwicklungsprojekt, das unweigerlich Anpassungen und eventuell auch Projektänderungen zulassen muss notwendig. Es ist eine wichtige Voraussetzung, da vor allem in den operationellen
Phasen (Seismik, Bohrarbeiten) sehr schnelle Entscheide mit substantiellen finanziellen Folgen gefällt werden müssen. Dafür müssen klare Kompetenzen geregelt sein. Die Entwicklung eines geothermischen Kraftwerks ist nicht vergleichbar mit einem andern Kraftwerkbau,
wie z.B. einem Windpark, einem Gaskraftwerk oder einem Wasserkraftwerk. In jenen Fällen
ist die zu installierende Kapazität im Voraus berechenbar. Bei einem Geothermiekraftwerk
trifft dies nicht zu: Dort kann im Voraus nur die Grössenordnung der gewünschten Leistung
definiert werden.
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Dies macht die Entwicklung geothermischer Ressourcen sehr ähnlich der Erschliessung von
Öl- und Gasfeldern. Es bedarf auch dort kapitalkräftiger Gesellschaften, welche bereit sind
grosse finanzielle Risiken auf sich zu nehmen. Zur Reduzierung des Risikos empfiehlt es
sich deshalb einen oder mehrere Partner zu suchen. Auch dies ist erst mit einer Projektgesellschaft möglich (Abbildung 17).
Die Finanzierung muss bis zum gesicherten Nachweis einer produzierbaren Ressource zu
100% mit Risikokapital erfolgen, Darlehen sind dazu nicht erhältlich. Die können erst zur
Finanzierung der Obertage-Anlage beansprucht werden.
Der Betrieb der Anlage erfolgt in der Regel nicht mehr durch dieselbe Gesellschaft oder aber
diese wird in eine Betriebsgesellschaft überführt. Ihre Aufgaben sind anders gelagert, der
Finanzbedarf beschränkt sich auf Betriebs- und Unterhaltskosten, die Gesellschaft generiert
einen Cash flow.
Abbildung 17: Organisationsschema eines Kraftwerk-Entwicklungprojekts
11.3. Zeitbedarf Eine Vorstudie lässt sich bei klaren Zielvorgaben und geführter Koordination innerhalb eines
halben Jahres ausführen.
Schlecht planbar sind der Zeitaufwand für die Finanzierung, respektive der Aufbau der benötigten Organisation sowie der Zeitaufwand für die diversen Bewilligungsverfahren. Erfahrungsgemäss können diese Aktivitäten sehr schnell mehr als ein Jahr beanspruchen. Die
Ausführungsarbeiten im Felde sind verhältnismässig kurz, deren Dauer ist recht gut abschätzbar. So bedarf z.B. eine 3D-Seismikkampagne wie sie im Kanton St. Gallen durchgeführt wurde für eine Überdeckung von 300 Quadratkilometern nicht mehr als vier Monate.
Das Abteufen einer Tiefbohrung bedarf inklusive Bohrplatzbau ungefähr ein halbes Jahr, die
reine Bohraktivität beschränkt sich gar auf weniger als 150 Tage. Der oberirdische Anlagenbau kann ebenfalls innerhalb eines halben Jahres ausgeführt werden. Weniger genau vorausgesagt werden kann die Dauer, welche für die hydraulischen Tests und die darauf basierende Dimensionierung der Anlage aufgewendet werden muss. Ein denkbarer Projektplan, in
welchem Zeitrahmen im Espace Bern ein Projekt entwickelt werden könnte, ist in Abbildung
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18 dargestellt. Entscheidend in dieser Darstellung ist nicht der genaue Zeitbedarf – dieser
kann bei gesicherter Finanzierung und speditiver Bewilligungsverfahren signifikant verkürzt
werden – sondern die Vernetzung und Abhängigkeiten zwischen den verschiedenen Aktivitäten. Dazu ist eine sorgfältige Ablaufplanung, das Setzen von Meilensteinen und eine gute
Koordination zwischen Bauherrschaft, Behörden, Planern und Bauleitung erforderlich.
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Abbildung 18: Denkbarer Projektplan zur Entwicklung eines geothermischen Kraftwerks
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Grundlagenstudie Tiefengeothermie
12 Chancen und Risiken 12.1 Chancen Die Erschliessung geothermischer Ressourcen in der Schweiz eröffnet die Chance einheimische Energieressourcen zu nutzen.
Die Chance liegt nicht alleine darin, eine nachhaltige und CO2-freie Ressource zu nutzen
sondern eine Energieressource mit kurzen Transportwegen zu erschliessen. Es verringert
die Abhängigkeit von Energieimporten, welche bei der heutigen Entwicklung des globalen
Energiebedarfs mit Sicherheit nicht auf alle Zeiten garantiert ist.
Die Entwicklung der Geothermie lässt sich mit der Entwicklung der Wasserkraft im letzten
Jahrhundert vergleichen. Damals war diese Entwicklung ebenfalls nicht der billigste Weg,
und bedurfte grosszügiger Investitionen. Auch damals war der Erfolg der Technologie in keiner Weise gesichert, technische Rückschläge mussten in Kauf genommen werden.
Heute wäre eine Schweiz ohne Wasserkraft kaum vorstellbar. Wasserkraft bildet das Rückgrat unserer Stromversorgung und trägt entscheidend zur Wirtschaftsentwicklung des Landes bei. Wasserkraft bedeutet heute ein einträgliches Geschäft, die damaligen hohen Investitionen sind weitgehend abgeschrieben.
Die Geothermie hat durchaus die gleichen Chancen. Die Ressource ist im Boden vorhanden.
Die Erschliessung ist im Wesentlichen eine technische Herausforderung. Sie setzt aber Risikobereitschaft und Ausdauer voraus.
Die Tiefengeothermie weist in der Region Bern und auch in der gesamten Schweiz ein riesiges Potenzial auf. Für die Entwicklung dieses Potenzials steht mittel- und langfristig betrachtet die Stromproduktion im Zentrum des Interesses. Dies insbesondere auch unter dem
Aspekt, dass dem elektrischen Strom in Zukunft eine noch wichtigere Rolle zukommen wird
als heute.
12.2 Risiken Das grösste Risiko geothermischer Projekte ist bei einem Hydrothermalen System gut produzierende Aquifere zu finden, respektive wenig durchlässige Gesteinsformationen erfolgreich stimulieren zu können. Besonders bei der Entwicklung Stimulierter Geothermischer
Systeme (SGS) bedarf es noch einiger technischer Entwicklungen, die das Verfahren kostengünstiger und die Resultate berechenbarer machen. Hier sind noch Grundlagenforschung und Entwicklungsarbeit zu leisten. Erst damit eröffnet sich das grosse Potenzial für
die geothermische Stromproduktion.
Das seismische Risiko ist im Vergleich zum Fündigkeitsrisiko als geringer einzustufen. Es
steht trotzdem politisch und medial im Vordergrund. Es ist klar inakzeptabel eine Technologie zu entwickeln, welche zu Oberflächenschäden führen kann. Das ist alleine schon aus
Wirtschaftlichkeitsgründen nicht vertretbar. Dieses Risiko muss allerdings relativiert werden,
da induzierte Seismizität nicht ein Geothermie spezifisches Phänomen ist, sondern auch
beim Bau und Betrieb von Staudämmen, im Tunnelbau und im Bergbau auftritt. Bislang haben aber diese Ereignisse nicht die mediale Aufmerksamkeit wie in Basel erfahren.
Die Massnahmen die zur Kontrolle der induzierten Seismizität in Basel zum Einsatz kamen,
sind zwar nach wie vor brauchbar, aber als Vorwarninstrument ungeeignet. Vorwarnmethoden, welche auf der Beobachtung der Veränderung der seismischen Aktivität während des
Stimulationsprozesses basieren, werden an der ETH unter Verwendung der Basler Daten
entwickelt. Solche auf Statistik beruhende Methoden bedürfen noch substantieller Entwicklung und sind heute noch nicht praktikabel. Bis zur Durchführung eines Projekts, welches die
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Errungenschaften des Basler Projekts weiterführen soll, müssen glaubhafte Massnahmen
zur Vermeidung schadensverursachender Seismizität zur Verfügung stehen.
13 Schlussfolgerungen Die geologischen Verhältnisse in der Region Bern rechtfertigen eine weiterführende Untersuchung zur Erkundung der geothermischen Ressourcen. Nach dem heutigen Kenntnisstand
der Geologie würde bei der Fokussierung auf ein Hydrothermales System die Wärmeproduktion im Vordergrund stehen, mit Strom als Nebenprodukt.
Soll die Stromproduktion im Vordergrund stehen, bedarf es Bohrtiefen, in welchen das Vorkommen von Aquiferen fraglich ist. Für eine substantielle Stromproduktion wird man sich auf
die Entwicklung eines Stimulierten Geothermischen Systems fokussieren müssen.
14 Empfehlungen 14.1. Erarbeiten einer Strategie Relativ früh in der Projektdefinition sollte sich die Bauherrschaft entscheiden, in wie weit sie
ein Projekt in ihrem Einzugsgebiet selbstständig entwickeln will oder wie weit sie Partnerschaften mit andern Energieversorgern eingehen soll. Letzteres speziell dort wo es gilt
Technologien noch zu entwickeln. Im konkreten Falle ist dies die Entwicklung Stimulierter
Geothermischer Systeme. Im Vordergrund steht die Frage, ob ein Projekt, sei es für ein Hydrothermales oder auch für ein Stimuliertes System, im Alleingang durch gezogen werden
soll, ob man sich einer Gemeinschaft anschliesst, welche ähnliche Ziele verfolgen, oder ob
man Partner zur Realisierung eines Projekts im Raum Bern gewinnen will.
Die Bauherrschaft soll zudem eine klare Strategie entwickeln in welchem Zeitrahmen ein
geothermisches Projekt im Raum Bern zur Ausführung gelangen könnte.
Wichtig erscheint uns, dass diese Strategie dann auch von der Politik getragen wird und
dass diese Strategie offen und verständlich der Öffentlichkeit kommuniziert wird.
14.2. Kommunikation Die Erfahrungen aus Basel zeigen, dass eine transparente Kommunikation und eine verständliche Öffentlichkeitsarbeit von grösster Bedeutung sind. Der Verlust der öffentlichen
Unterstützung kann – im Gegensatz zur damaligen Entwicklung der Wasserkraft – heute zu
einem Killerkriterium werden.
Es wird deshalb empfohlen
der Öffentlichkeitsarbeit grosse Aufmerksamkeit zu schenken,
ein entsprechendes Budget bereitzustellen und
glaubwürdige Kommunikatoren aufzubauen.
14.3. Gangbare Strategie Wir könnten uns vorstellen, dass ewb in seiner Region weitgehend in Eigeninitiative neue
Grundlagen beschafft. Dies könnte z.B. die Aufnahme neuer Seismik in der Region bedeuten, aber auch die eigenständige Abteufung einer Erkundungsbohrung. Solche Sacheinlagen könnten dann in eine Gemeinschaft eingebracht werden, was ewb innerhalb einer nationalen Gruppe substantielles Gewicht und Einfluss verschaffen würde. Allgemeine Entwicklungsaufgaben, wie z.B. die bereits genannte Entwicklung seismischer Vorwarnsysteme
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könnten gemeinsam erfolgen. Dazu gehören auch nicht standortspezifische Entwicklungen
wie standardisierte mikroseismische Monitoringsysteme, Bohrtechnik und Stimulationstechnik, welche kaum von ewb im Alleingang zu finanzieren wäre. Kostensparende Synergieeffekte sind vor allem durch zeitlich und räumlich koordinierte Seismikkampagnen oder koordinierte Bohrkampagnen zu erwarten.
Die Abwägung solcher Szenarien sollte Aufgabe der Vorstudie sein.
14.4. Vorstudie Wir empfehlen in einer Vorstudie eine strategische wie eine technische Planung vorzunehmen.
14.4.1 Strategische Planung Im Vordergrund steht die Erarbeitung eines Geschäftsplans (Business Plan). Dieser muss in
Zusammenarbeit mit der Bauherrschaft erstellt werden. Der Business Plan enthält als wichtigste Elemente folgende Punkte (die wichtigsten Teilaspekte sind in Stichworten aufgeführt):

Definition der Ziele
Leistungsvorgaben, Anteil Strom, Anteil Wärme, Einbindung

Vorgehensplan
Technische Schritte, organisatorische Schritte, Partnerschaften, Kommunikation

Zeitrahmen
Meilensteine, Einbettung in parallele Entwicklungen / Energieprojekte

Wirtschaftlichkeitsberechnungen
Kostenrahmen, Ertragsaussichten, benötigte Vergütung, Sensitivitäten

Abschätzung der finanziellen Risiken in jeder Projektphase
„Financial exposure“, maximaler Verlust, Risikominimierung

Organisation
Bauherrschaft, Geschäftsstuktur, Projektleitung, Informationsaustausch

Finanzierung
Eigenkapital, nachrangige Darlehen, Fremdkapital, Risikobürgschaften, Beteiligungen
14.4.2. Technische Planung In einer technischen Planung empfiehlt es sich folgende Punkte abzuklären:

Beschaffung sämtlicher seismischer Rohdaten im Untersuchungsgebiet.

Überprüfung einer allfälligen Reprozessierung der Rohdaten.

Geologische Interpretation des vollständigen seismischen Datensatzes basierend auf
den neu-interpretierten Daten des im Entwurf vorhandenen seismischen Atlas des Mittellandes (Kissling, Editor)

Überprüfung der Eignung von verschiedenen potenziellen Standorten in der Stadt und
Region Bern (z.B. auch Forsthaus).

Überprüfung der Notwendigkeit zusätzlicher neuer Seismik (2D oder 3D) aufgrund der
neu-interpretierten Seismikdatensätze zur Reduzierung des Fündigkeitsrisikos.

Überprüfung der Notwendigkeit des Einsatzes zusätzlicher
Erkundungsmethoden zur Reduzierung des Fündigkeitsrisikos.
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geophysikalischer
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ARGE Geothermie Espace Bern
Grundlagenstudie Tiefengeothermie
Die Resultate der strategischen und technischen Planung sollen zu einer Entscheidungsfindung führen. An diesem ersten Meilenstein sollte aus unserer Sicht zu folgenden Beschlüssen führen:

Verabschiedung eines Organisations-/Finanzierungskonzepts

Zusätzliche Seismik zur Standorteingrenzung: ja/nein

Falls keine vorgängige Seismik ausgeführt wird: Direkte Aufschlussbohrung an einem
geeigneten Standort zur Eichung alter und zukünftiger Seismik und zur Überprüfung der
Schichtenfolge und der allgemeinen Qualität der Aquifere / Reservoirformationen: Ja/nein
Eine solche Vorstudie kann ab Auftragserteilung ca. innerhalb eines halben Jahres ausgeführt werden. Die in der Arbeitsgemeinschaft Geothermie Espace Bern zusammengeschlossenen Firmen können ihr Wissen und ihre Erfahrung auch in diese Vorstudie einbringen. Es
kann eine entsprechende Kostenschätzung für diese Arbeiten erstellt werden.
Beiträge von:
Dr. Markus O. Häring, Geothermal Explorers Int. Ltd.
Dr. Ueli Gruner, Kellerhals + Häfeli AG
Dr. Jürg Wanner, Kellerhlas + Häfeli AG
Dr. Roland Wyss, Dr. Roland Wyss GmbH
Andreas Blum, Dr. Roland Wyss GmbH
Dr. Mark Eberhard, Eberhard & Partner AG
Dr. Oliver Sachs, Eberhard & Partner AG
Für die Arbeitsgemeinschaft Geothermie Espace Bern,
Dr. Markus O. Häring
Pratteln, 29.06.10
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ARGE Geothermie Espace Bern
Grundlagenstudie Tiefengeothermie
15 Quellen, Literatur EBERHARD & Partner AG (2007). Grundwasser-Wärmepumpe mit Rückgabe-Turbinierung
(Abschlussbericht). Bundesamt für Energie, Projekt Nr. :100‘218, 11 Seiten + 17 Beilagen,
Aarau.
EBERHARD & Partner AG (2009). Ermittlung und Interpretation der Temperaturen und
Wärmeförderung der Tiefensonde in Oftringen bei variierenden Durchflussraten und Entzugsleistungen (Kurzbericht zur Detailplanung und Realisierung). Bundesamt für Energie,
Projekt Nr. :103‘342, 10 Seiten + 8 Beilagen, Aarau.
Enerchange (2010). Leitfaden „Entwicklung von Geothermieprojekten“ , 4. Auflage Februar
2010, 112 Seiten, Freiburg.
ENGINE Coordination Action (2008). Best practice handbook for the development of unconventional geothermal resources with a focus on enhanced geothermal system. 92 pages.
Fischer H. und Luterbacher H., 1963, Das Mesozoikum der Bohrungen Courtion 1 und Altishofen 1, Beiträge zur Geologischen Karte der Schweiz, Neue Folge, 115. Lieferung, Schweizerische Geologische Kommission
Häring, M. O. (2007). Geothermische Stromproduktion aus Enhanced Geothermal Systems
(EGS) – Stand der Technik. Geothermal Explorers Ltd., 65 Seiten, Pratteln.
Hesshaus, A., Eichhorn, P., Gerling, J. P., Hauswirth, H., Hübner, W., Jatho, R., Kosinowski,
M., Krug, S., Orilski, J., Pletsch, T., Tischner, T., & Wonik.T. (2008). Das GeneSys-Projekt:
Geothermiebohrung erfolgreich abgeteuft. Geothermische Energie, Heft 66, S. 28-30.
Jung, R., Orzol, J., Kehrer, P. & Jatho, R. (2006). Verbundprojekt GeneSys: Vorstudie – Erprobung der Wasserfrac-Technik und des Einsonden-Zweischichtverfahrens für die Direktwärmenutzung aus gering permeablen Sedimentgesteinen (Abschlussbericht). FKZ 0327112
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Kissling E. (Editor) (in Vorbereitung): Seismic Atlas of the Swiss Molasse Basin. – Schweizerische Geophysikalische Kommission
Medici F., Rybach L. (1995). Geothermal Map of Switzerland (Heat Flow Density).- Beiträge
zur Geologie der Schweiz, Geophysik Nr. 30.
Nagra (2000): Nagra Bulletin Nr. 33.
Orzol, J., Jung, R., Jatho, R., Tischner, T., Kehrer, P. (2005). The GeneSys-Project: Extraction of geothermal heat from tight sandstones. Proceedings World Geothermal Congress,
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Zugehörige Unterlagen
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