Buddha und Christus

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NRT 177 (1995), 423-425 J. Scheuer, S.J.
Buddha und Christus1
Seit ungefähr der Mitte des letzten Jahrhunderts haben sich nicht wenige Orientalisten mit einigen
Ähnlichkeiten oder Parallelen zwischen buddhistischen Texten der ersten Jahrhunderte und der
alten christlichen Literatur (NT oder Apokryphen) beschäftigt. Einige schliessen daraus auf
christliche Einflüsse auf Indien, aber das ist schon auf Grund der Chronologie wenig möglich.
Einige wenige von ihnen sind der gegenteiligen Ansicht: sie wurden zurückgehalten von den
apologetischen Sorgen (der Originalität und dem göttlichen Ursprung des Christentums) oder, viel
einfacher, von den kulturellen Vorurteilen der Superiorität des Westens.
Der Verfasser, indischer Christ, der englische Literatur in den USA lehrt, schlägt vor, ein Dossier
wieder zu öffnen, das während 60 Jahren nahezu unbeachtet blieb. Er macht es nicht als
Religionshistoriker oder Theologe, sondern mit Hilfe der komparativen Literaturanalyse. Das erste
Kapitel stellt die Methoden dieser Disziplin dar: Dekonstruktion, Studium des Kontextes,
Intertextualität. Beim Schreiben eines Textes arbeitet der Autor oder die Autoren mit „PreTexten"
(„Vor-Texten", bereits gelesenen Texten), ohne dass es immer möglich ist, die Quellen zu
identifizieren. Sicherlich reichen Zufälle selbst im Detail nicht aus, gleich daraus zu schliessen, dass
es Einflüsse oder Übernahmen gibt. Aber wenn es stimmt, dass „es genügend Gründe gibt
anzunehmen, „dass Hauptideen oder -begriffe der Evangelien (Inkarnation, Rolle als Mensch,
Gewaltlosigkeit, ethisches Verhalten, Gnosis, Heil, Himmel, Erde...) nicht der jüdischen oder
hellenistischen Tradition angehören" (49), dann muss man daraus schliessen, dass diese Elemente
einen anderen Ursprung haben. Als diesen anderen Ort könnte man Indien bezeichnen, präziser
gesagt der Buddhismus, gerade in der Version des „Grossen Fahrzeugs" oder Mahayana (Kapitel 2).
Gautama und Jesus waren vor allem Lehrer der Moral. Ihre Schüler erkannten aber bei ihnen sehr
schnell göttliche Qualitäten, die der Elaboration der Reden über ihre übernatürliche Herkunft und
ihre schöne Kindheit Möglichkeit gaben. Selbst wenn ihre Redaktion langsam vorwärts kam, sind
die buddhistischen Texte zeitlich vor den korrespondierenden christlichen Texten anzusiedeln. Im
Übrigen haben sich die christlichen Autoren vielleicht weniger der präzisen literarischen Vorlage
bedient als den mündlichen Traditionen der unterschiedlichen Schulen.
Im gross angelegten 3. Kapitel zeigt der Autor Parallelen zwischen ungefähr 40 gemeinsamen
Themen oder Episoden auf, die die Kindheit von Buddha und Christus betreffen (Evangelien und
Apokryphen), dabei bezieht er sich oft auf ältere Texte. Ihm ist sehr wohl bewusst, dass diese
Parallelen nicht alle gleich wichtig sind, so sagt er doch, dass ihre Anhäufung bedeutsam ist und,
wie er im 4. Kapitel schreibt, die indischen Quellen (buddhistisch und, weniger häufig,
hinduistisch) die christlichen Texte besser erhellen als die jüdischen und hellenistischen Texte. Der
Verfasser findet die Erklärungen, die sich auf die unanhängigen Variationen der universellen
Archetypen beziehen (Jung, Rank) oder auf die generelle Art und Weise, eine Biographie zu
entwickeln (Dibelius), wenig überzeugend. Auch komplexe Parallelen wie „der Meister lässt den
vertrauensvollen Schüler auf dem Wasser gehen" deuten stark auf die Hypothese der weiter
ausgearbeiteten Anleihen hin. Diese Anleihen, so sagt er, erscheinen weitaus plausibler als die
„Bewegung von Jesus", gezwungen, sich gegenüber der Synagoge neu zu definieren und sich einer
Zuhörerschaft von „netten Menschen" zuzuwenden und alles zu tun, um das Ziel zu erreichen (Kap.
5). Es ist die gnostische Bewegung, die so viel orientalisches Material ausgegraben hat, das als
Vermittlung oder Mittler für die buddhistischen Themen und Predigten dient, die nach Indien
gekommen sind. Die gnostische Soteriologie hat vieles gemeinsam mit dem Hinduismus und dem
Buddhismus. Die ersten christlichen Schriften bezeugen dies, selbst wenn die „orthodoxen"
1 Z. P. Thundy, Buddha and Christ. Nativity Stories and Indian Traditions. Coll. Studies in the ???
religions, 60. Leiden, Brill, 1993, 25x17, X-294 S.
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kanonischen Texte dies besser verstecken als die Apokryphen (Kap. 6). Das, was wir von den
Kontakten zwischen Indien und dem Mittelmeer der Antike (Kap. 7) wissen, unterstützt die
Hypothese des Autors. Denkt er dabei besonders an die Anwesenheit der Inder in Ägypten, präziser
ausgedrückt, der „Therapeuten", in denen der Verfasser die buddhistischen Mönche „Theravadin"
wieder erkennen will? Und was die „Essener" betrifft, sieht er sie nicht als sannyasin - den
indischen Asketen (244-250)?
Diese Dokumentation zeigt auf, dass diese Forschung noch nicht beendet ist. Das vorliegende Werk
bringt viel Neues, sowohl was die Art der Dokumentation als auch die Methode betrifft. Zweifellos
muss man sich der Vorurteile entledigen, die die „Orientalisten" und „Theologen" von Zeit zu Zeit
nähren, was die indische Hypothese betrifft. Einige sprechen von einem buddhistischen Einfluss.
Der Autor kündigt eine reihe von komparativen Veröffentlichungen über den Buddhismus und die
Ursprünge des Christentums an (99, 152, 159, 163, 207, 209, 245, 270). Vielleicht sind dann seine
Hypothesen zuverlässiger. In der Zwischenzeit muss man bedauern, dass sein Werk nicht eine
einzige durchdachte Analyse der genannten parallelen Texte gibt, die es wenigstens erlaubt, die
Tragweite der christlichen „Rezeption" mit buddhistischen Wurzeln zu überdenken.
Ich möchte noch einige Anmerkungen zu speziellen Punkten hinzufügen. Die Paralelle, inspiriert
von E. Saïd, zwischen dem Antisemitismus und „Orientalismus“ (im Sinne von westlichen
Vorurteilen dem Orient gegenüber), scheint hier aussen vor zu sein: wenn die Verfasser des NT
nicht explizit alle ihre jüdischen Quellen angeben, dann heisst das, dass die meisten ihrer Leser sie
problemlos finden können. Dass sie aber ihre indischen Quellen zurückhalten, kann man anders
erklären, wenn man den Hypothesen (oder fast sogar Thesen) dieses Werkes folgt oder nicht folgt..
– Die Redaktionsgeschichte des buddhistischen Kanons (oder, Plural, der Kanons) ist noch nicht
sehr alt, es gibt lediglich erst einige Forschungen darüber (z. B. A. Bareau, E. Waldschmidt). Man
bedauert auch das Fehlen jeglichen Bezuges auf N. Klatt, Literarkritische Beiträge zum Problem
christlich-buddhistischer Parallelen (Köln, Brill, 1982). - Wöhrend man von der „Inkanrantion von
Vishnu, der zweiten Person der hinduistischen Trinität“ spricht (für welche hinduistische Eopch?),
verwendet man ein Vokabular, mit dem man riskiert, alle Teile von Parallelen zu erstellen, die man
nicht haben wollte.
Jacques Scheuer, S.J.
buddha und christus
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