3.2 Äußeres Erscheinungsbild

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Äußeres Erscheinungsbild
3.2
Äußeres Erscheinungsbild
Körpergröße und -haltung
Bei den meisten großwüchsigen Patienten handelt es
sich um normale Wachstumsvarianten (konstitutioneller Großwuchs) und genetisch bedingten familiären
Großwuchs. Konstitutionell und familiär großwüchsige Kinder wachsen schneller, ihre Wachstumsgeschwindigkeit liegt aber im oberen Normbereich und
das Knochenalter entspricht dem chronologischen Alter. Aufgrund der Familienanamnese kann ihre Endlänge vorausgesagt werden.
Verschiedene Syndrome können mit Großwuchs
einhergehen; in seltenen Fällen führen endokrinologische Erkrankungen zu Großwuchs (Tab. 3.9).
Großwuchs im Rahmen von Syndromen
Zerebraler Gigantismus (Sotos-Syndrom). Diese Patienten sind großwüchsig, haben eine prominente Stirnpartie einen bogenförmigen Gaumen, ein spitzes Kinn
und Hypertelorismus.
eine Makroglossie. Aufgrund einer Hyperplasie der
pankreatischen Inselzellen mit konsekutivem Hyperinsulinismus neigen diese Patienten zu Hypoglykämien.
Tabelle 3.9
Ursachen von Großwuchs
Nicht endokrin bedingter Großwuchs
− konstitutionell
− genetisch/familiär
− im Rahmen von Syndromen
− zerebraler Gigantismus (Sotos-Syndrom)
− Marfan-Syndrom
− Homozystinurie
− Beckwith-Wiedemann-Syndrom
− Klippel-Trénaunay-Syndrom
− XYY-Syndrom
− Klinefelter-Syndrom
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Großwuchs
Endokrin bedingter Großwuchs
− hypophysärer Gigantismus
− Pubertas praecox
− Hyperthyreose
Marfan-Syndrom. Der Marfan-Erkrankung liegt eine
autosomal dominant vererbte Kollagensynthesestörung aufgrund einer Mutation im Fibrillin-1-Gen
15 q21.1 zugrunde.
Charakteristisch sind bei den meist großen Patienten die sehr langen und dünnen Extremitäten (Abb.
3.41), sog. Spinnenfinger (Arachnodaktylie), überstreckbare Gelenke, Thoraxdeformitäten (Trichteroder Hühnerbrust und Skoliose), ein hoher Gaumen
und das meist längliche Gesicht. 80 % der Patienten haben Subluxationen der Augenlinsen (meist nach oben),
ein Iriszittern und häufig eine deutliche Myopie. Bei
90 % der Patienten findet man infolge der zystischen
Medianekrose eine Dilatation oder Aneurysmabildung
der Aorta sowie ein Mitralklappenprolapssyndrom.
Homozystinurie. Patienten mit einer Homozystinurie
haben einen autosomal rezessiv vererbten Defekt der
Cystathion-β-Synthetase (21 q22.3) und weisen ähnliche somatische Veränderungen auf wie Patienten mit
Marfan-Syndrom. Allerdings sind die Patienten mit einer Homozystinurie in der Regel geistig retardiert und
neigen zu Epilepsie. Die Augenlinsen sind meist nach
unten luxiert. Die Diagnose kann aufgrund einer erhöhten Homozystinausscheidung im Urin sowie erhöhter Plasmakonzentrationen von Homozystin und
Methionin bei erniedrigtem Plasmazystin gestellt werden.
Beckwith-Wiedemann-Syndrom. Patienten mit Beckwith-Wiedemann-Syndrom sind übergewichtig, großwüchsig und haben in 80 % eine Omphalozele sowie
Abb. 3.41 Marfan-Syndrom: lange Extremitäten, Spinnenfinger, Trichterbrust, Dolichozephalie.
81
3
Haut und äußeres Erscheinungsbild
XYY-Syndrom. Patienten mit einem (47,XYY) oder
mehreren (48,XYYY) zusätzlichen Y-Chromosom(en)
wachsen schneller und werden überdurchschnittlich
groß.
Klinefelter-Syndrom. Das Klinefelter-Syndrom (47,XXY)
ist mit einer Inzidenz von 1 : 1000 bei der männlichen
Bevölkerung die häufigste Form des primären Hpogonadismus. Hauptbefunde beim Klinefelter-Syndrom
sind eine bilaterale schmerzlose Gynäkomastie, kleine
derbe fibrosierte Hoden und eine Azoospermie. Die Patienten sind oft adipös (eunuchoider Habitus) und
überdurchschnittlich groß mit langen unteren Extremitäten (Abb. 3.44).
Abb. 3.42 Klippel-Trénaunay-Syndrom:
und dysproportionierter Riesenwuchs.
Naevus
flammeus
Klippel-Trénaunay-Syndrom. Eine besondere Art des
dysproportionierten Riesenwuchses wird bei einer
Form der hereditären Angiodysplasie, dem KlippelTrénaunay-Syndrom (Gefäßnävus, einseitige Varikosis,
Knochen- und Weichteilhypertrophie) (Abb. 3.42 u.
3.43), gesehen.
Hypophysärer Großwuchs (Gigantismus). Der hypophysäre Gigantismus ist die Folge einer exzessiven Wachstumshormon-(GH-) Produktion durch ein Hypophysenadenom oder in seltenen Fällen einer exzessiven
Sekretion des hypothalamischen Releasing-Hormons
(GHRH) vor dem Epiphysenfugenschluss. Die Patienten weisen neben dem Riesenwuchs ein kantiges, vergröbertes Gesicht auf, haben große Hände und Füße
mit breiten plumpen Fingern und Zehen, einen prominenten Hirnschädel sowie prominente Wangen- und
Kieferknochen (Abb. 3.45). Nach erfolgtem Epiphysenfugenschluss entwickelt sich kein Großwuchs, sondern das Bild der Akromegalie (s. Kapitel 23) mit dem
typischen Wachstum von Händen (Abb. 3.46), Füßen,
Kinn (Prognathie), Zunge (Abb. 3.47) und inneren Organen.
Großwuchs im Kindesalter. Endokrin bedingter Großwuchs im Kindesalter wird typischerweise bei der Pubertas praecox beobachtet, weil durch eine verfrühte
b
a
Abb. 3.43 Hereditäre Andiodysplasie
a von 2 Fingern und Anteilen der linken Hohlhand,
82
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Endokrine Ursachen von Großwuchs
b Arteriogramm der linken Hand: deutlich sichtbar erweiterte
Blutgefäße und arteriovenöse Kurzschlüsse.
Äußeres Erscheinungsbild
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Abb. 3.44 Typischer eunuchoider Habitus bei einem 26-jährigen Patienten
mit Klinefelter-Syndrom:
beidseitige Gynäkomastie,
Hodenatrophie.
Abb. 3.45 Patient mit hypophysärem Riesenwuchs (205 cm)
im Vergleich zu einer normal großen Person (177 cm).
a
b
Abb. 3.46
Hand bei Akromegalie (a) im Vergleich zu einer normalen Hand (b).
83
3
Haut und äußeres Erscheinungsbild
Tabelle 3.10
Ursachen von Kleinwuchs
Nicht endokrin bedingter Kleinwuchs
− konstitutionell
− genetisch/familiär
− Frühgeburt und intrauteriner Wachstumsrückstand
− im Rahmen von Syndromen
− Turner-Syndrom
− Noonan-Syndrom
− Prader-Willi-Labhardt-Syndrom
− Lawrence-Moon-/Biedl-Bardet-Syndrom
− autosomale Chromosomenaberrationen
− chronische Erkrankungen
− Malnutrition
− Medikamente
− psychosoziale Faktoren
Abb. 3.47 Akromegalie: große Zunge und Nase.
Sekretion von Androgenen bzw. Östrogenen das Knochenwachstum beschleunigt wird. Weil die Sexualsteroide jedoch zu einem verfrühten Schluss der Epiphysenfugen führen, sind diese Patienten als Erwachsene
eher klein.
Hyperthyreose. Eine Hyperthyreose im Kindesalter
kann zu beschleunigtem Körperwachstum und Knochenreifung führen.
Kleinwuchs
Ein Kleinwuchs liegt vor, wenn die Körperlänge unter
der 3. Perzentile (18-Jährige) liegt, d. h. beim Mann unter 166 cm, bei der Frau unter 152 cm. Kleinwuchs
muss nicht pathologisch sein. In vielen Fällen handelt
es sich um eine konstitutionell verzögerte Entwicklung
mit verlangsamtem Körperwachstum und verzögerter
Pubertät innerhalb der Norm. Die Körpergröße liegt
dabei etwas unter der 50. Perzentile und das Knochenalter ist leicht retardiert. Kleinwuchs kann auch genetisch/familiär bedingt sein; in diesen Fällen sind typischerweise auch die Eltern und die Geschwister kleinwüchsig.
84
Wachstumshormonmangel (GH-Mangel)
− kongenitaler GH-Mangel:
− hypothalamischer GHRH-Mangel
− isolierter hypophysärer GH-Mangel
− kombiniert mit anderen Hypophysenhormonausfällen
− Hypophysenagenesie
− erworbener GH-Mangel:
− supraselläre/intraselläre Tumoren
− ZNS-Missbildungen, Hydrozephalus
− Schädelbestrahlung
− Schädel-Hirn-Trauma
− Entzündungen (Meningitis, Enzephalitis)
− Histiozytosis
− ungenügende GH-Wirkung (GH-Resistenz) und
IGF-Mangel:
− Laron-Zwerge
− Pygmäen
− Unterernährung, Lebererkrankungen
Hypothyreose
Glucocorticoidexzess (endogen, exogen)
Pseudohypoparathyreoidismus
Vitamin-D-Mangel
Diabetes mellitus
Diabetes insipidus
Beim Kleinwuchs müssen differenzialdiagnostisch
immer endokrine und nichtendokrine Ursachen sowie
eine Reihe von Syndromen und Chromosomenanomalien, die mit Kleinwuchs vergesellschaftet sind, in Betracht gezogen werden (Tab. 3.10).
Kleinwuchs im Rahmen von Syndromen
Turner-Syndrom. Beim Turner-Syndrom (Gonadendysgenesie) handelt es sich um eine Chromosomenanomalie mit dem Karyotyp 45,X, die bei 1 : 5000 neugeborenen Mädchen vorkommt. Phänotypisch haben
diese Patientinnen einen schildförmigen Thorax, einen
breiten Mamillarabstand (Abb. 3.48), ein Flügelfell
(Pterygium colli) und einen tiefen Haaransatz im Nacken (webbed neck) (Abb. 3.49). Leitsymptome sind
die primäre Amenorrhö, die fehlende Pubertätsentwicklung und der Kleinwuchs (meist 쏝 150 cm). Das
äußere Genitale ist weiblich und unterentwickelt; die
Gonaden bestehen nur aus fibrösen Strängen.
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Endokrin bedingter Kleinwuchs
Äußeres Erscheinungsbild
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Abb. 3.48 Turner-Syndrom. 18-jähriges
Mädchen, Karyotyp 45,X0. Schildförmiger
Thorax mit großer Mamillardistanz und fehlenden Mammae.
Beim Turner-Syndrom und seinen Varianten werden verschiedene Anomalien wie Epikanthus, Mikrognathie (Vogelkinn), tief liegende, zum teil deformierte
Ohren, Handdeformitäten, Aortenisthmusstenose,
Ventrikelseptumdefekt, Nierenmissbildungen, Nagelveränderungen und Cubitus valgus gehäuft beobachtet. Neben reinen Chromatin-negativen 45,X-Formen
(ca. 60 %) kommen auch Mosaike 45,X/46,XX vor.
Noonan-Syndrom. Differenzialdiagnostisch muss bei
normalem Chromosomenbefund und deutlich ausgeprägtem Flügelfell an ein Noonan-Syndrom (PseudoTurner) gedacht werden. Hier ist der Karyotyp jedoch
46,XX bei den Frauen oder 46,XY bei den Männern. Das
Noonan-Syndrom ist eine autosomal dominant vererbte Krankheit auf dem Genlokus 12 q24.
Prader-Willi-Labhart-Syndrom. Ein weiteres Syndrom,
das mit Kleinwuchs einhergeht, ist das Prader-WilliLabhart-Syndrom, das sich durch fetale und infantile
Hypotonie, Akromikrie (kleine Hände und Füße), Entwicklungsrückstand, mandelförmige Augen und eine
ausgeprägte Adipositas auszeichnet. Charakteristisch
sind Glukoseintoleranz und eine verzögerte Pubertätsentwicklung.
Lawrence-Moon-Syndrom und Biedl-Bardet-Syndrom.
Diese beiden autosomal rezessiv vererbten Krankheiten, die ebenfalls mit Kleinwuchs und Adipositas einhergehen, sind vom Prader-Willi-Labhart-Syndrom abzugrenzen.
Kleinwuchs im Rahmen von Skelettdysplasien
Eine wichtige Ursache für Kleinwuchs stellen die genetisch bedingten Skelettdysplasien (Osteochondrodysplasien) dar, von denen mittlerweile über 100 Typen
bekannt sind.
Abb. 3.49 Pterygium colli bei Turner-Syndrom.
Achondroplasie. Die wichtigste und häufigste ist die
autosomal dominant vererbte Achondroplasie. Infolge
einer gestörten enchondralen Ossifikation aufgrund einer Mutation des Fibroblast-Growth-Factor-RezeptorGens (FGFR3) kommt es zu einem verminderten
Wachstum der langen Röhrenknochen und der Knochen der Schädelbasis. Daraus resultiert das typische
Bild des nichtproportionierten Zwergwuchses mit großem Kopf und prominenter Stirn (Abb. 3.50) und den
im Vergleich zum Stamm zu kurzen Extremitäten. Davon abgesehen finden sich bei diesen Personen keine
anderen Störungen und eine völlig normale Intelligenz.
85
Haut und äußeres Erscheinungsbild
Abb. 3.50 Dysproportionierter Zwergwuchs bei Achondroplasie (Chondrodystrophie).
Abb. 3.51 Hypophysärer, proportionierter Zwergwuchs bei
21-jährigem Mann.
Kleinwuchs infolge chronischer Krankheiten
und Malabsorptionssyndrome
hormonmangel (GH-Mangel) dar. Die Störung kann auf
allen Ebenen der Hypothalamus-Hypophysen-Endorgan-Achse liegen und kann entweder kongenital oder
erworben sein (Tab. 3.10). Das resultierende klinische
Bild ist der sog. hypophysäre Zwergwuchs (Abb. 3.51).
Es handelt sich um proportioniert kleinwüchsige Patienten, deren verzögertes Wachstum bereits früh im
Kindesalter begonnen hat. Das Knochenalter bleibt
deutlich zurück, es besteht eine leichte Stammfettsucht, das Gesicht wirkt puppenhaft. Die Intelligenz ist
normal.
Hypothalamische Ursachen für GH-Mangel können
sein: ein kongenitaler Mangel an GHRH (Growth Hormone Releasing Hormone), hypothalamische Tumoren
wie Kraniopharyngeome, Dysgerminome, Neurofibrome, postinfektiöse Zustände (Meningitis), Histiozytosis X, Hydrozephalus, Z. n. Hirnbestrahlung.
Bei den primären hypophysären Störungen (Hypophysenhypoplasie,
Hypophysenaplasie,
isolierter
Wachstumshormonausfall) sind assoziierte Missbildungssyndrome (Mittelliniendefekte, Hypoplasie des
N. opticus, Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte etc.) anzutreffen. In der Regel liegen auch andere Hypophysenhormonausfälle vor. Gelegentlich führen auch
Traumata, intraselläre Tumoren und lokale entzündliche Prozesse zu einer Störung der Hypophysenfunktion.
Kleinwuchs bzw. Minderwuchs kann die Folge einer
im Kindesalter einsetzenden chronischen Erkrankung
oder von Malabsorptionssyndromen und Malnutrition
sein. So können Nierenerkrankungen (Missbildungen,
tubuläre Azidose, chronische Glomerulonephritis),
Herzvitien, chronische Lungenerkrankungen (zystische Fibrose, Asthma), Malabsorptionssyndrome (Zöliakie, Morbus Crohn, Colitis ulcerosa, Zink- und Eisenmangel), hämatologische (Thalassämie, Sichelzellanämie) und immunologische Erkrankungen (juvenile
rheumatoide Arthritis, chronische Infektionen) zu Entwicklungsstörungen und Kleinwuchs führen.
Auch psychosoziale Faktoren (familiäre Belastungssituationen und soziale Deprivation) können über einen zentral bedingten Wachstumshormonmangel zu
verzögertem Wachstum führen. Nach Wegfall der Belastungssituation normalisieren sich die GH-Produktion und die Entwicklung.
Endokrine Ursache von Kleinwuchs
Wachstumshormonmangel. Die weitaus häufigste hormonelle Ursache für Kleinwuchs stellt der Wachstums-
86
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3
Äußeres Erscheinungsbild
Angeborene oder erworbene GH-Resistenz führt über
eine ungenügende Produktion von IGF-1 zum klinischen Bild des GH-Mangels. Laron-Zwerge haben einen
autosomal rezessiv vererbten GH-Rezeptor- bzw. Postrezeptordefekt. Die Wachstumshormonkonzentration
im Plasma ist erhöht, die IGF-1-Konzentration erniedrigt. Die Kinder sind schon bei Geburt zu klein und neigen zu Hypoglykämie. Pygmäen haben einen angeborenen Mangel an IGF-1 (bei normaler GH-Produktion).
Schwere Lebererkrankungen können über eine ungenügende IGF-1-Produktion zu Minderwuchs führen.
Andere endokrine Ursachen. Weitere endokrine Ursachen für Kleinwuchs können sein: angeborene oder erworbene Hypothyreose im Kindesalter, Cushing-Syndrom oder exogene Gabe von Glucocorticoiden (inkl.
topische Applikation) im Kindesalter, z. B. zur Asthmaoder Ekzembehandlung, Pseudohypoparathyreoidismus, Vitamin-D-Mangel-Krankheiten, Rachitis, Xchromosomal vererbte Hypophosphatämie, FanconiSyndrom, schlecht eingestellter Diabetes mellitus (kataboler Zustand mit Wachstumsverzögerung).
Haltung
Eindrücklich zeigt sich die diagnostische Bedeutung
der Haltung beim Parkinsonismus. Die leicht vornüber
gebeugte, steife Haltung, die hängenden Schultern, gepaart mit verlangsamten zitternden Bewegungen, sind
Abb. 3.53 Ausgeprägte
Brustwirbelkyphose bei
schwerer Osteoporose bei
multiplem Myelom, 64-jähriger Mann.
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Abb. 3.52 Typische Haltung bei Parkinsonismus.
nicht zu verkennen (Abb. 3.52). Wirbelsäulenaffektionen, besonders beim Morbus Bechterew, erwecken
ebenfalls den Eindruck von Steifigkeit, wobei die Extremitätenbewegungen kaum betroffen sind (Abb.
3.53). Eine übertriebene lumbale Lordose ist typisch
für eine Muskeldystrophie. Eine Skoliose wurde früher
nach Poliomyelitis und wird heute bei schwerer Osteoporose beobachtet.
Lage und Stellung
Eine voll entwickelte Meningitis kann bei Patienten
vermutet werden, die den Kopf nach hinten ins Kissen
pressen. Nicht selten können vor allem bei älteren Patienten klassische Meningitissymptome fehlen. Solange der Patient bei Bewusstsein ist, wird jede Kopfbewegung peinlich vermieden. Die Knie sind gebeugt,
der Opisthotonus ist nur bei schweren Fällen auffallend. Hochgradiger Opisthotonus (sog. Arc en cercle),
welcher auf Hysterie verdächtig ist, wird heute fast
nicht mehr gesehen.
Bei Bauchkoliken (viszeraler Eingeweideschmerz)
wälzt sich der Kranke im Bett, und eine zusammengekauerte Stellung ist typisch. Im Gegensatz dazu steht die
Haltung bei Schmerzen, die vom parietalen Peritoneum
(Peritonitis) ausgehen: Die Kranken vermeiden peinlich
jede Bewegung und bemühen sich, das gespannte Abdomen nicht zu berühren. Bei Kolikschmerzen wird hingegen Pressen als Erleichterung empfunden.
87
Haut und äußeres Erscheinungsbild
Die sitzende Stellung im Bett weist auf eine Orthopnoe hin. Der kardiale Patient sitzt im Allgemeinen im
Bett, der pulmonal Insuffiziente kann jedoch auch liegen. Asthmatiker sitzen im Anfall mit aufgestützten
Armen (auxiliäre Atemmuskulatur). Eine kauernde
Stellung wird von zyanotischen Kindern mit einer Fallot-Tetralogie bevorzugt.
Gang
Der Gang mit kleinen trippelnden Schritten (marche à
petit pas) weist auf einen Parkinsonismus hin. Typisch
sind dabei auch die Anlaufschwierigkeiten, die fehlenden Mitbewegungen der Arme und die Propulsion und
Retropulsion beim Gehen bzw. Anhalten der Patienten.
Gangataxien können entweder durch periphere Neuropathien oder durch zerebelläre Störungen ausgelöst
werden. Bei peripheren Neuropathien (inkl. Tabes dor-
salis und multipler Sklerose) fällt der breitspurige,
schleppende und visuell kontrollierte Gang (Blick auf
die Füße) auf. Eine visuelle Kontrolle ist hingegen bei
zerebellären Störungen nicht nötig, es besteht jedoch
häufig eine Falltendenz auf die Herdseite.
Beim Steppergang müssen die Knie beim Gehen abnorm hoch gehoben werden, da die Fußspitzen sonst
wegen mangelnder Dorsalflexion am Boden schleifen.
Diese Gangstörung ist Zeichen einer Peronäuslähmung.
Neben traumatischen Nervenverletzungen muss differenzialdiagnostisch auch an eine toxische oder diabetische Polyneuropathie gedacht werden. Bei der LittleKrankheit bzw. der spastischen Zerebralparese überkreuzen sich die Unterschenkel beim Gehen (Scherengang). Ein Watschelgang kann bei Muskeldystrophien
auftreten. Der Gang hemiparetischer Patienten mit der
typischen Zirkumduktion ist nicht zu verkennen.
Bei den vielgestaltigen hysterischen Gangstörungen
fallen meist Körpermitbewegungen auf, die nur bei intakter Koordination möglich sind.
Adipositas
Definition. Übergewicht und Adipositas sind durch eine
relative Zunahme der Fettmasse definiert. Von Adipositas spricht man, wenn der Körpermasseindex (body
mass index = BMI) 쏜 25 kg/m2 beträgt (Tab. 3.11).
Epidemiologie. Je nach Alter, Geschlecht und ethnischer Abstammung variiert die Prävalenz des Übergewichts zwischen 1 und 64 % (BMI 쏜 25 kg/m2), die der
Adipositas zwischen 1 und 31 % (BMI 쏜 30 kg/m2). Die
Prävalenz hat in den letzten zwei Dekaden vor allem in
den Industrieländern stark zugenommen, und es sind
immer mehr Kinder und Jugendliche davon betroffen.
In gewissen Ländern sind bis zu 20 % der Jugendlichen
zwischen 12 und 16 Jahren übergewichtig. Man unterscheidet zwischen einer primären generalisierten Adipositas und sekundären Formen von Adipositas.
Primäre Adipositas
Pathogenese. Die Pathogenese der Adipositas ist multifaktoriell. In 99 % der Fälle ist keine klar fassbare organische oder psychische Ursache eruierbar, weshalb
man von essentieller Adipositas spricht (Abb. 3.54). HeTabelle 3.11 Klassifizierung des Körpergewichtszustandes
nach der WHO (WHO International Obesity Task Force)
88
Ernährungszustand
BMI (kg/m2)
mager (untergewichtig)
쏝 18,5
normalgewichtig
18,5–24,9
übergewichtig
25,0–29,9
Adipositas
− mäßige Adipositas (Klasse I)
− schwere Adipositas (Klasse II)
− morbide Adipositas (Klasse III)
30,0–34,9
35,0–39,0
쏜 40
reditäre und Umweltfaktoren spielen bei der Entstehung eine Rolle. Aufgrund von Adoptionsstudien und
Studien bei eineiigen Zwillingen machen genetische
Faktoren (mehrere additive Gene) etwa 70 % der Variation des BMI aus, während Umgebungsfaktoren 30 %
zur Entstehung der Adipositas beitragen. Dabei spielen
Nahrungseinflüsse (fetthaltige, hochkalorische Ernährung, Alkoholkonsum), verminderter Energieverbrauch (sitzende Tätigkeit, Bewegungsarmut) sowie
psychosoziale Faktoren (Stress) eine Rolle. Von den
Fettzellen produzierte Hormone (Leptin, Adiponektin,
Resistin, TNF-α etc.) und neuroendokrine Faktoren
(gastrointestinale Hormone [GIP, PYY3–36, Ghrelin,
CCK], Insulin, CRF, Neurotransmitter [Neuropeptid Y,
Noradrenalin, Monoamine, GABA etc.]) regulieren über
die Stimulation von Neuropeptid Y bzw. α-MSH im Hypothalamus den Appetit. Angeborene oder erworbene
(Tumoren, Operationen, Bestrahlung, Enzephalitiden)
Läsionen der ventromedialen hypothalamischen Regulationszentren sowie Mutationen im Leptin- und im
Melanokortin-4-Rezeptor-(MC4R-)Gen (beides sehr
selten) können Adipositas verursachen. Bei hypothalamischen Erkrankungen geht die Adipositas häufig mit
einem hypogonadotropen Hypogonadismus einher.
Syndrome mit Adipositas. Bei einer Reihe von genetischen Erkrankungen ist die Adipositas Teil des Syndroms. Die Dystrophia adiposogenitalis (Fröhlich-Syndrom) ist ein sehr seltenes Krankheitsbild mit hypogonadotropem Hypogonadismus, Adipositas und Hirndruckzeichen. Beim Prader-Willi-Labhart-Syndrom ist
die typische „Mehlsackform“ auffallend. Daneben bestehen eine muskuläre Hypotonie, Kleinwuchs und
eine gestörte Glukosetoleranz.
Das Lawrence-Moon-Biedl-Syndrom ist charakterisiert durch Symptome wie Retinitis pigmentosa, Schädeldeformitäten, Polydaktylie oder Syndaktylie, geistige Retardierung, Störungen der extrapyramidalen
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3
Äußeres Erscheinungsbild
Motorik und Adipositas. Beim Morbus Alström findet
man eine atypische Retinadegeneration mit Erblindung, eine progrediente Innenohrschwerhörigkeit sowie häufig einen Diabetes mellitus.
Abb. 3.54 Adipositas
simplex bei 20-jährigem Mann.
Sekundäre Adipositas
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Endokrine Ursachen. Bei etwa 1 % der Adipösen liegt
eine sekundäre Form der Adipositas vor. Die häufigste
Ursache für eine sekundäre Adipositas sind endokrine
Erkrankungen, die aufgrund des klinischen Bildes in
der Regel leicht zu diagnostizieren sind. Das CushingSyndrom zeichnet sich durch eine typische Stammfettsucht und Muskelatrophie aus; bei der Hypothyreose,
die häufig als Grund für Adipositas gesucht wird, findet
sich die typische Klinik mit Adynamie, Kälteintoleranz,
Müdigkeit, Obstipation, Myxödem etc. Weitere endokrine Ursachen, die mit einem erhöhten Fettanteil einhergehen, sind Hypogonadismus (gynoider Habitus),
Wachstumshormonmangel sowie das polyzystische
Ovarsyndrom (PCOS).
Medikamentöse Ursachen. Gewichtszunahme kann
auch medikamentös bedingt sein. So begünstigen –
über unterschiedliche Mechanismen – die Entwicklung von Übergewicht: Antidepressiva, Neuroleptika,
Anxiolytika, Antieptileptika, Glucocorticoide, Östrogene, Progestagene, Antihistaminika, orale Antidiabetika, Insulin, Lithium.
Lokalisierte Fettansammlungen
und Lipodystrophien
Neben den generalisierten Fettansammlungen findet
man bei verschiedenen Erkrankungen umschriebene
lokalisierte Fettansammlungen.
Multiple symmetrische Lipomatose. Bei dieser Erkrankung handelt es sich um eine erworbene (vor allem bei
Ethylismus) oder vererbte symmetrische lipomartige
Fettansammlung im Bereich des Schultergürtels, am
Hals und supraklavikulär (sog. Madelung-Fetthals).
Lipodystrophien. Lipodystrophien sind klinisch heterogene erworbene oder vererbte Krankheiten mit regionaler oder generalisierter (symmetrischer) Atrophie
des subkutanen Fettgewebes. Die betroffenen Patienten sind häufig insulinresistent und neigen zu Diabetes
mellitus, Dyslipidämie, Lebersteatose und Acanthosis
nigricans. Bei Frauen finden sich typischerweise klinische Zeichen des polyzystischen Ovarsyndroms wie
Hirsutismus und Oligomenorrhö. Die Lipodystrophie
kann mitunter stark ausgeprägt sein und symmetrisch
sowohl das Gesicht als auch die oberen und unteren
Extremitäten betreffen.
Erworbene Lipodystrophien sind häufiger als die
vererbten Formen und werden vorwiegend bei HIVPatienten beobachtet, die mit Nukleosid- und Proteaseinhibitoren behandelt werden. Über 40 % der HIV-
Patienten, die länger als 1 Jahr mit diesen Substanzen
therapiert werden, weisen mehr oder weniger ausgeprägte atrophische Bezirke des subkutanen Fettgewebes an den Wangen, Armen und Beinen auf. Gleichzeitig können exzessive Fettansammlungen am Nacken
und vorderen Halsbereich zur Ausbildung eines „buffalo hump“ bzw. eines Doppelkinns führen. Als Ursache für die Lipodystrophie wird eine mitochondriale
Toxizität bzw. Interferenz der Proteaseinhibitoren mit
der Expression wichtiger Transkriptionsfaktoren für
die Fettzelldifferenzierung, z. B. das Sterol-RegulatoryElement-Binding-Protein 1 c (SREBP1 c), vermutet.
Eine andere seltene Form von erworbener Lipodystrophie ist das Barraquer-Simons-Syndrom, welches
zuweilen mit membranoproliferativer Glomerulonephritis oder anderen Autoimmunerkrankungen wie
systemischem Lupus erythematodes oder Dermatomyositis vergesellschaftet ist. Das Weber-ChristianSyndrom ist eine subkutan nekrotisierende Pannikulitis, die bei verschiedenen Erkrankungen wie Kollagenosen und Lymphomen vorkommt.
Vererbte Formen der Lipodystrophien sind Raritäten. Das Berardinelli-Seip-Syndrom ist eine autosomal
rezessiv vererbte generalisierte Lipodystrophie mit nahezu vollständigem Fehlen des subkutanen Fettgewebes. Die Krankheit kommt durch ein defektes Enzym
(AGPAT2) der Triglyceridsynthese zustande. Andere familiäre Lipodystrophien betreffen nur teilweise die Extremitäten und den Rumpf (Dunnigan-Form) oder gehen mit Skelettanomalien einher (mandibuloakrale
Dysplasie).
89
3
Haut und äußeres Erscheinungsbild
Definition des Übergewichts und Fettverteilungsmuster
Erfassung der Fettverteilung. Die pathophysiologische
Bedeutung des erhöhten Körpergewichtes ist nicht nur
von der absoluten Gewichtszunahme, sondern vor allem
von der Fettverteilung abhängig. Die am weitesten verbreitete Methode zur Erfassung des Fettverteilungsmusters ist die Bestimmung der Waist-Hip-Ratio (W/H-Ratio
bzw. Taille-Hüft-Verhältnis).
Eine geringe Gewichtszunahme mit einer mehrheitlichen Zunahme der abdominalen Fettmasse ist im Vergleich zur peripheren Fettansammlung häufig mit arterieller Hypertonie, Dyslipidämie, Glukoseintoleranz und
Hyperinsulinämie vergesellschaftet. Diese Konstellation
wird als metabolisches Syndrom (Insulinresistenz-Syndrom (Tab. 3.12) bezeichnet und geht mit einem deutlich
erhöhten kardiovaskulären Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko einher. Der heute übliche Normalwert der W/H-Ratio beträgt bei Frauen 0,8, bei Männern 0,95. Neuere Studien zeigten, dass die alleinige Messung des Bauchumfanges (gemessen auf Taillenhöhe) genauso viel über das
kardiovaskuläre Risiko aussagt wie die Bestimmung der
Gynäkomastie
Definition und Abgrenzung. Die ein- und doppelseitige echte Brustdrüsenvergrößerung des Mannes (Gynäkomastie) (Abb. 3.55) muss von der sog. Pseudogynäkomastie des Adipösen unterschieden werden.
Dort findet man lediglich eine Lipomastie, d. h. den
normal großen Drüsenkörper umgebendes Fettgewebe. Die Gynäkomastie, die in der Pubertät oder
Adoleszenz auftritt, ist physiologisch und in der Regel reversibel.
Ursachen. Eine neu auftretende Gynäkomastie bei einem über 20-Jährigen ist in der Regel durch endokrinologische Leiden oder einen Tumor bedingt (Tab.
3.13). Pathophysiologisch können der Gynäkomastie
entweder Testosteronmangel, erhöhte Östrogenproduktion oder medikamentöse Einflüsse (bzw. vermehrter Umbau von Androgenen in Östrogene) zugrunde liegen.
Wichtige Untersuchungen sind neben der Medikamentenanamnese die Inspektion der Hodengröße, die
Kontrolle der Leberfunktion sowie gewisse Hormonbestimmungen (Plasmatestosteron, Östrogen, LH, βHCG, α-Fetoprotein), je nach Klinik evtl. Prolaktin, TSH,
fT4.
Abb. 3.55
lacton).
90
Medikamentös induzierte Gynäkomastie (Spirono- 컄
W/H-Ratio. Gemäß den Richtlinien des National Cholesterol Education Program (NCEP), Adult Treatment Panel
III, liegt bei einem Bauchumfang von 쏜 88 cm bei Frauen
bzw. 쏜 102 cm bei Männern ein metabolisches Syndrom
vor (Tab. 3.12).
Eine Quantifizierung des Fettanteils mittels z. B. (Bio-)
Impedanzmessung hat für den Praxisalltag, vor allem
auch für die Wahl therapeutischer Maßnahmen, keinerlei
Konsequenz und gehört dementsprechend nicht ins Abklärungsprogramm einer Adipositas.
Tabelle 3.12 Definition des metabolischen Syndroms
gemäß National Cholesterol Education Program (NCEP,
Adult Treatment Panel III)
Ein metabolisches Syndrom liegt vor, wenn mindestens 3 der folgenden Kriterien erfüllt sind:
− abdominale Adipositas (Bauchumfang 쏜 102 cm
bei Männern, 쏜 88 cm bei Frauen)
− erhöhte Triglyceride (쏜 1,7 mmol/l [쏜 150 mg/
dl])
− erniedrigtes HDL-Cholesterin (쏝 1,0 mmol/l
[40 mg/dl] bei Männern, 쏝 1,3 mmol/dl [50 mg/
dl] bei Frauen)
− erhöhter Blutdruck (쏜 130/85 mmHg)
− erhöhter Nüchternblutzucker (쏜 6,1 mmol/l
[110 mg/dl])
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BMI. Heute hat sich der Körpermasseindex (body mass
index = BMI) zur Definition des Übergewichtes durchgesetzt. Es handelt sich dabei um den Quotienten aus Körpergewicht (in kg) dividiert durch die Körpergröße in
Quadratmetern (m2), z. B. für eine 90 kg schwere Person
von 1,75 m Größe: 90/(1,75)2 = 29,4 kg/m2. Die Normwerte sind für Frauen und Männer identisch (Tab. 3.11).
Äußeres Erscheinungsbild
Tabelle 3.13
Mögliche Ursachen einer Gynäkomastie
Physiologisch
Neonatal, Pubertätsgynäkomastie, Involutionsgynäkomastie im Alter
Erhöhte Östrogenproduktion/vermehrter Umbau von Androgenen in Östrogene (*)
Hodentumoren, Germinome, Leydig-Zell-Tumoren, Nebennierenkarzinome, Lungenkarzinome, Hermaphroditismus, Leberkrankheiten (*), Hyperthyreose (*), Urämie
Verminderte Testosteronproduktion/verminderte Testosteronwirkung (**)
Klinefelter-Syndrom, primärer/sekundärer Hypogonadismus, Anorchie, sekundäre Hodenveränderungen (Kastration,
Mumps, Tuberkulose, neurologische Krankheiten), Hyperprolaktinämie, testikuläre Feminisierung (**) (= Reifenstein-Syndrom)
Mammakarzinom des Mannes
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Medikamente
Psychopharmaka (Diazepam, trizyklische Antidepressiva), kardiovaskulär wirksame Substanzen (Captopril, Enalapril, Nifedipin, Reserpin, Verapamil, Spironolacton, Amiodaron, Digoxin), Cimetidin, Ranitidin, Omeprazol, Ketokonazol, Metronidazol,
Cisplatin, alkylierende Substanzen, Isoniazid, Phenytoin, Östrogenpräparate, Cyproteron, Wachstumshormon, Drogen (Heroin, Marihuana, Methadon), Alkohol
Idiopathische Gynäkomastie (20–50 %)
Anorexie
Ursachen. Anorexie kann Ausdruck einer besonderen,
nicht krankhaften Konstitution sein. Ungewollter Gewichtsverlust ist oft ein Zeichen einer organischen,
meist ernsten Erkrankung. Verschiedene Ursachen
sind möglich:
➤ Vermindertes Nahrungsangebot: Unterernährung,
Protein-Kalorien-Malnutrition.
➤ Verminderte Nahrungsaufnahme: Appetitmangel bei
konsumierenden Krankheiten (zytokininduziert),
Depression.
➤ Ungenügende Resorption: Malabsorption bei Sprue,
organische Darmerkrankungen, chronischer Laxanzienabusus.
➤ Ungenügende Verwertung: Maldigestion bei chronischer Pankreatitis.
➤ Vermehrter Kalorienumsatz: Hyperthyreose.
Abb. 3.56 Anorexia nervosa.
Eine Gewichtsabnahme trotz vermehrter Nahrungszufuhr ist typisch für Malabsorptionssyndrome, schlecht
eingestellten Diabetes mellitus und Hyperthyreose.
Anorexia nervosa. Neben der Gewichtsabnahme infolge fehlenden Essens bei reaktiven Psychosen ist die
Anorexia nervosa ein häufiges und eindrückliches
Krankheitsbild. Die Anorexia nervosa (Abb. 3.56) ist
10- bis 20-mal häufiger bei Mädchen und jungen
Frauen als bei Männern. Die Prävalenz wird auf ca.
0,5 % geschätzt. Patientinnen mit Anorexia nervosa
sind häufig intelligente, strebsame Persönlichkeiten
mit ausgesprochenem Körperbewusstsein und dem
Wunsch schlank zu sein bzw. zu werden. Die Leistungsfähigkeit bleibt lange Zeit erhalten (Balletttänzerinnen, Sportlerinnen), es besteht meist eine sekundäre Amenorrhö (Osteoporosegefahr).
91
3
Haut und äußeres Erscheinungsbild
Abb. 3.57 Trommelschlegelfinger und Uhrglasnägel bei Bronchialkarzinom.
Abb. 3.58
92
Vitiligo.
Die Form und das Aussehen der Hand wie auch die Art
des Händedrucks vermögen viel über die Persönlichkeit, den Beruf und die Lebensweise des Patienten auszusagen. Typisch sind die Braunverfärbung der Fingerendglieder des 2. und 3. Fingers beim starken Raucher
und die Dupuytren-Kontraktur unter anderem beim
Alkoholiker.
Die Hand kann bei vielen systemischen Krankheiten miteinbezogen sein und u. U. eine sofortige Diagnosestellung ermöglichen:
➤ Die große Hand des Akromegalen (Abb. 3.46 a) und
die feingliedrige Hand des Patienten mit einem
Marfan-Syndrom (Abb. 3.41) sind nicht zu verkennen.
➤ Bei der chronischen Polyarthritis sind die proximalen Interphalangealgelenke (PIP) und die Metakarpophalangealgelenke (MCP) im Sinne einer symmetrischen Polyarthritis geschwollen und schmerzhaft. Initial stehen Schmerz, Schwellung und Morgensteifigkeit im Vordergrund, während es später
zu Subluxationen, Ankylosierung, Ulnardeviation
und auch zu den bekannten „Knopfloch-“ und
„Schwanenhalsdeformitäten“ der Finger kommt
(s. Kapitel 10).
➤ Für die Arthrose sind die Heberden-Knoten an den
distalen Interphalangealgelenken (DIP) typisch
(s. Kapitel 10).
➤ Trommelschlegelfinger (Abb. 3.57) treten bei verschiedenen Leiden auf.
➤ Ein Palmarerythem ist bei Leberzirrhose, Hyperthyreose und selten auch bei gesunden Personen anzutreffen.
➤ Die Linien der Handinnenflächen sind pigmentiert
beim Morbus Addison, bei Leberzirrhose und Hämochromatose. Generalisierte Pigmentierungen der
Hand sind beim Morbus Addison, ektoper ACTHProduktion, Hämochromatose, Urämie, Peutz-Jeghers-Syndrom und Lepra zu beobachten. Eine verminderte Pigmentierung tritt als postentzündliche
Veränderung nach Psoriasis und Ekzemen, selten
aber auch im Rahmen einer Vitiligo bei perniziöser
Anämie, Morbus Addison, Hyperthyreose und Diabetes mellitus auf. In den meisten Fällen bleibt die
Ursache einer Vitiligo ungeklärt (Abb. 3.58).
➤ Palmare Hyperkeratosen finden sich hereditär und
u. a. bei der chronischen Arsenvergiftung.
➤ Verhärtet und derb fühlt sich die Hand bei der Sklerodermie an. Die Haut ist deutlich gespannt und
zeigt zum Teil Verkalkungen (Thibièrge-Weissenbach-Syndrom).
➤ Mäßige Handmuskelatrophien sind im Alter physiologisch. Eine Atrophie der Mm. interossei, oft verbunden mit einer Krallenhand, ist typisch für die
amyotrophe Lateralsklerose.
➤ Die Wärme der Haut gibt Hinweise auf deren Durchblutung. Die Haut fühlt sich warm an bei der Hyperthyreose und oft auch beim Hypertoniker, trocken
und kalt beim Myxödem, kalt bei Hypotonie und
Herzinsuffizienz und feucht-kalt bei der vegetativen Dystonie.
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Hand
Äußeres Erscheinungsbild
➤ Zyanotisch und kalt ist die Hand bei der schweren
Herzinsuffizienz (Ausschöpfungszyanose), zyanotisch und warm jedoch bei der zentralen Zyanose
bei Herzvitien.
➤ Die Hand zittert bei Hyperthyreose, chronischem
Alkoholismus, Intoxikationen und der ParkinsonKrankheit, daneben auch bei vegetativ Labilen sowie bei familiärem oder senilem Tremor. Ein Intentionstremor wird häufig bei der multiplen Sklerose
beobachtet. Typisch auch der Flapping Tremor bei
der dekompensierten Leberzirrhose mit hepatischer Enzephalopathie.
➤ Progressive Schwäche, oft verbunden mit nächtlichem Ameisenlaufen und Taubheit der ersten drei
Finger (verschwindet nach Schütteln des betreffenden Armes), spricht für das Vorliegen eines Karpaltunnelsyndroms. Die Patienten (meist Frauen) geben Schwierigkeiten beim Fassen und Halten von
Gegenständen an.
➤ Lokale Erkrankungen sind die seltene Spina ventosa
tuberculosa und der Morbus Jüngling als Zeichen einer Sarkoidose.
Mimik. Beim Parkinsonismus geht die steife Mimik,
welche den Eindruck des Maskengesichts erweckt, oft
den Haltungs- und Gangveränderungen voraus. Bei
diesem Maskengesicht ist der Ablauf der Muskelbewegungen zäh und disharmonisch. Das Bild wird vervollständigt durch das Salbengesicht (Seborrhö) und in
schweren Fällen durch den gesteigerten Speichelfluss.
Der Kontrast dieser äußerlichen Starre mit der wachen
Intelligenz ist besonders typisch.
Der Risus sardonicus beim Tetanus ist nicht zu verkennen. Er wird durch die tonische Starre auch der
Lachmuskeln hervorgerufen. Das „Hämische“ des tetanischen Lachens ist durch den „Trismus“ (Einschränkung der Mundöffnung) bedingt.
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Gesicht
kannt wird. Der Exophthalmus, das Glanzauge, die
schweißbedeckte Haut und der schüttere Haarwuchs sind charakteristisch (Abb. 3.61).
➤ Bei der Hypothyreose (Myxödem) sind das aufgedunsene Gesicht mit der trockenen und runzligen Haut
sowie allenfalls eine allgemeine Verlangsamung,
tiefe Stimme und vermehrter Haarausfall typisch.
Diese Veränderungen sind nach erfolgter Therapie
praktisch immer gänzlich reversibel (Abb. 3.62).
➤ Nephrotische Ödeme sind besonders auffallend um
die Augenlider und verleihen dem Träger das typische aufgedunsene Gesicht.
Gesichtsrötung. Beim geröteten Gesicht lassen sich
manche Nuancen, welche auf verschiedene Krankheiten schließen lassen, differenzieren. Die Rubeosis faciei bei der Hypertonie unterscheidet sich nur graduell
von derjenigen der Polyglobulie, bei welcher aber
meistens auch die geröteten Konjunktiven auffallen.
Gerötete Wangen weisen oft auf einen Diabetes mellitus hin (Abb. 3.59). Die Mitralstenose zeigt ebenfalls in
manchen Fällen eine auffallende, durch erweiterte Gefäße bedingte Rötung der Wangen und zum Teil eine
Lippenzyanose, so dass von einer Facies mitralis gesprochen werden kann (Abb. 3.60). In viel ausgesprochenerem Maß finden sich diese Erscheinungen beim
metastasierenden Dünndarmkarzinoid, wobei das Gesicht zudem durch mehr oder weniger häufige „flushes“ während 1–5 Minuten gerötet wird (s. Kapitel 23).
Später treten auch Teleangiektasien auf. Der chronische
Alkoholismus ist bei gerötetem Gesicht (Venektasien an
Wange und Nase), oft vorhandener chronischer Konjunktivitis und einem eigentümlichen „leeren Blick“
nicht zu verkennen. Ein intensiv gerötetes Gesicht wird
bei akut fieberhaften Erkrankungen, besonders bei
bakteriellen Pneumonien, beobachtet. Das Nasenflügelatmen gibt dem Pneumoniegesicht das besondere Gepräge.
Weitere typische Physiognomien. Auch die folgenden
Veränderungen des Gesichts erleichtern die Diagnose
oft beträchtlich.
➤ Die voll entwickelte Basedow-Krankheit weist ein so
typisches Gesicht auf, dass sie auch von Laien er-
Abb. 3.59 Diabetikergesicht mit ausgeprägter Rubeosis.
93
3
Abb. 3.60 Gesicht bei Mitralstenose mit geröteten Wangen
und leichter Lippenzyanose.
a
Gesicht bei Hyperthyreose mit Exophthalmus beid-
b
Abb. 3.62 Gesicht bei Hypothyreose
a Vor Therapie.
b Nach Therapie.
94
Abb. 3.61
seits.
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Haut und äußeres Erscheinungsbild
Abb. 3.63
Säbelscheidentibia bei Morbus Paget.
➤ Die Hautatrophie im Gesicht, der derbe Tastbefund
und der sog. „Tabaksbeutelmund“ (Mikrostomie)
können bei der Sklerodermie oft gesehen werden.
Beim Lupus erythematodes findet sich oft ein charakteristisches schmetterlingsförmiges Exanthem
über dem Nasenrücken (s. Kapitel 4).
➤ Infolge des lokalen osteoklastären Knochenabbaus
und osteoblastären Knochenanbaus entsteht beim
Morbus Paget (s. Kapitel 11) ein mechanisch wenig
belastbarer Knochen. Bei auffallender Größenzu-
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Äußeres Erscheinungsbild
Abb. 3.64 Sattelnase bei Wegener-Granulomatose.
nahme des Schädels sprechen die Franzosen von einer „Maladie du chapeau trop petit“. In ausgeprägten Fällen sind schon klinisch nachweisbare Knochendeformierungen (Säbelscheidentibia, Wirbelfrakturen, Kyphose) vorhanden (Abb. 3.63).
➤ Ein ausgesprochenes Vollmondgesicht findet sich
beim Morbus Cushing (s. Kapitel 23).
➤ Eine Sattelnase wird bei Polychondritis und Wegener-Granulomatose (Abb. 3.64) beobachtet.
Augen
Störungen des Sehens und sonstige Veränderungen
am Auge können oft Erstmanifestationen einer systemischen inneren Erkrankung sein. Da das Auge aus
den verschiedensten Körpergeweben aufgebaut ist
(Bindegewebe, Nerven, Gefäße, Pigmentepithel) und
zudem der Untersuchung gut zugänglich ist, erlaubt
die eingehende Beobachtung der Augen oftmals eine
Diagnose.
Exophthalmus
Doppelseitiger Exophthalmus. Doppelseitiger Exophthalmus und weite Lidspalte sind typisch für den
Morbus Basedow (Abb. 3.61). Neben dem Exophthalmus finden sich weitere Augensymptome (s. auch endokrine Orbitopathie, Kapitel 16).
Einseitiger Exophthalmus. Einseitiger Exophthalmus
ohne vorangegangenes Trauma muss an folgende Erkrankungen denken lassen:
➤ Schilddrüsenüberfunktion (in ca. 50 % für einseitigen Exophthalmus verantwortlich),
➤ Orbitatumoren (Abb. 3.65),
➤ periorbitale Tumoren (Nasennebenhöhlen, Epipharynx, Gaumen, Mukozele der Nasennebenhöhlen),
➤ Entzündungen (Orbitaphlegmone, pseudotumoröse Myositis der Augenmuskeln, Dakryoadenitis,
Pseudotumor orbitae),
95
3
Haut und äußeres Erscheinungsbild
Eine enge Lidspalte als Folge einer Ptose des oberen
Augenlides beobachtet man bei Lähmung des N. oculomotorius, aber auch bei der Myasthenia gravis. Eine familiäre Ptose kommt vor.
Augenbrauen
Ein Fehlen der lateralen Augenbrauen wird beim Hypopituitarismus und im Rahmen der Atopie beobachtet.
Beim rezidivierenden Hordeolum (Gerstenkorn) muss
an einen Diabetes mellitus gedacht werden. Entzündliche Lidschwellungen treten nach Insektenstichen und
als allergische Reaktionen (v. a. bei Kontaktekzemen
oder nach Medikamenten und Esswaren) auf. Periorbitale Ödeme kommen auch bei zahlreichen systemischen Krankheiten vor (Dermatomyositis, Lupus erythematodes, V.-cava-superior-Syndrom, Schilddrüsenerkrankungen, Herzinsuffizienz, Glomerulonephritis
u. a.). Entzündungen und Schwellungen der Tränendrüsen (virale Infektionen, Mikulicz-Syndrom) können
Lidschwellungen vortäuschen.
Abb. 3.65 Linksseitiger Exophthalmus bei retrookulärem malignem Tumor (Karzinom).
➤ verschiedene Ursachen (Pseudotumor cerebri, Sinus-cavernosus-Thrombose, retrobulbäre Granulome bei Wegener-Granulomatose,
➤ Missbildungen der knöchernen Orbita (Dysostosis
craniofacialis [Crouzon-Syndrom], Dysostosis mandibulofacialis [Apers-Crouzon-Syndrom], Turmschädel u. a.).
Pulsierender Exophthalmus. Der pulsierende Exophthalmus kommt bei traumatischen arteriovenösen
Shunts zwischen A. carotis interna und Sinus cavernosus (kontinuierliche Shuntgeräusche) und außerdem
auch bei der Neurofibromatose Recklinghausen vor.
Horner-Syndrom, Enophthalmus
Einen „Enophthalmus“ kann man beim Horner-Syndrom (Abb. 3.66) beobachten. Infolge einer Lähmung
des Halssympathikus (Karotisdissektion, iatrogen nach
therapeutischer Intervention, Struma, Prozesse in Lungenspitze oder Mediastinum, Syringomyelie, Halsrippe, Halsmarktraumen und Tumoren, selten bei Aortenaneurysma) kommt es zur Trias Miosis, Ptosis und
Anhidrosis. Es handelt sich um einen vorgetäuschten
Enophthalmus bedingt durch Ober- und Unterlidptose.
96
Skleren
Sklerenikterus. Die ikterische Farbe der Sklera ist in
der Regel Zeichen einer akuten oder fortgeschrittenen
Leberaffektion oder einer Hämolyse (s. dort) (Abb.
3.67).
Blaue Skleren. Bei leicht blauer Tönung infolge dünner
und durchscheinender Skleren sucht man nach weiteren Zeichen der Osteogenesis imperfecta (Abb. 3.68).
Typisch sind multiple Frakturen der langen Röhrenknochen, wobei die Frakturhäufigkeit nach der Pubertät abnimmt. Die Gelenke erscheinen meist locker, und
im Erwachsenenalter beginnt eine progrediente
Schallleitungsschwerhörigkeit infolge Otosklerose.
Weiterhin sind Thoraxdeformitäten, kleine missgestaltete, gelb-bläuliche Zähne und dünne Haut sowie
Zwergwuchs nachweisbar. Das Mitralklappenprolapssyndrom ist wie beim Ehlers-Danlos-Syndrom und
beim Marfan-Syndrom gehäuft. Neben der autosomal
dominanten Form mit der typischen Trias „Knochenbrüchigkeit, blaue Skleren, Schwerhörigkeit“ sind verschiedene andere seltenere Untergruppen bekannt,
mit einem zum Teil letalen Verlauf im frühen Kindesalter. Die einzelnen Verlaufsvarianten erklären sich
durch verschiedene Lokalisationen der verantwortlichen Genmutationen.
Eine abnorme Knochenbrüchigkeit ist auch ein typisches Symptom der Osteopetrosis (Albers-SchönbergMarmorknochenkrankheit) und wird auch beim Morbus Paget und der renalen Osteodystrophie gesehen.
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Lider
Äußeres Erscheinungsbild
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Abb. 3.66 Horner-Symptomenkomplex rechts.
a Deutlich sichtbare Ptose und enge Lidspalte.
b In der Nahaufnahme werden zusätzlich der Enophthalnus
und die engen Pupillen erkennbar. Ein Nebenbefund ist der
beidseitige Arcus senilis.
a
b
Abb. 3.67 Sklerenfarbe
bei Ikterus.
97
3
Haut und äußeres Erscheinungsbild
Hornhaut
Arcus lipoides. Das Gerontoxon (Arcus senilis, Arcus lipoides) (Abb. 3.66 b) ist beim älteren Menschen häufig
und durch Lipideinlagerungen verursacht. Es kommt
aber auch bei jüngeren Menschen ohne Zeichen einer
Hypercholesterinämie vor.
Morbus Wilson. Ein ähnliches Bild wird beim Morbus
Wilson (hepatolentikuläre Degeneration) durch Einlagerung von Kupfer verursacht. Im Gegensatz zum Arcus senilis ist der sog. Kayser-Fleischer-Hornhautring
von braun-grüner Farbe.
Bandförmige Hornhauttrübungen. Bandförmige Hornhauttrübungen sind insbesondere bei anteriorer Uveitis
(z. B. bei juveniler Polyarthritis), aber auch bei hyperkalzämischen Zuständen (Sarkoidose, Vitamin-D-Intoxikation, Hyperparathyreoidismus) möglich. Mehr diffuse
Trübungen können infolge einer Keratitis (Herpes simplex corneae, Herpes zoster ophthalmicus, konnatale
Lues) oder als Medikamentennebenwirkungen (Amiodaron, Chloroquin, Mepacrin, Indometacin) auftreten.
Linse
Katarakte. Neben dem Altersstar (Cataracta senilis)
sind frühzeitige Linsentrübungen bei folgenden Erkrankungen möglich:
➤ Stoffwechselkrankheiten (Diabetes mellitus, Hypoparathyreoidismus, Galaktosämie),
➤ Linsenverletzungen,
➤ Augenleiden (chronische Iridozyklitis, Heterochromiestar),
➤ intrauterine Virusinfektionen (Rubeolen, Mumps,
Masern, Varizellen) und Toxoplasmose-Infektionen
(in der 2. Schwangerschaftshälfte),
➤ Myotonia dystrophica (Curschmann-Steinert),
➤ Intoxikationen (Dinitrokresol),
➤ Morbus Wilson,
➤ Medikamente (Glucocorticoide, Haloperidol).
98
Linsenzittern. Ein Linsenzittern tritt oftmals beim Marfan-Syndrom auf.
Iris
Farbdifferenzen. Farbdifferenzen der Iris (Heterochromien) treten nach Iritiden und als angeborene Varianten auf.
Iritis, Iridozyklitis. Eine Iritis oder Iridozyklitis kommt
bei Infektionen (okkulte Infekte, Leptospirosen, Listeriose, Lyme-Borreliose, Toxoplasmose, Lues, Herpes
zoster) und folgenden Erkrankungen vor: BehçetSyndrom, Morbus Reiter, Sarkoidose (Heerfordt-Syndrom s. dort), Morbus Bechterew, Morbus StillChauffard.
Pupillen
Erregungen der sympathischen Nervenfasern erweitern die Pupillen, während der Parasympathikus zu einer Pupillenverengung führt.
Störungen der Pupillomotorik. Diese können wertvolle
diagnostische Hinweise liefern.
➤ Enge Pupillen findet man bei Narkose, Schlaf, Drogen (Opiate), Medikamenten (Pilocarpin), Intoxikation mit Phosphorsäureester (E605), Glaukomtherapie, Horner-Syndrom, Iritis, Ponsläsionen.
➤ Weite Pupillen kommen bei Sympathikuserregung
(Angst, Erregung, Schmerz), nach Atropin, Cocain,
beim Glaukomanfall, Mittelhirnläsionen und tiefem
Koma vor.
➤ Bei der Anisokorie sind die Pupillen meist aufgrund
organischer Ursachen oder lokaler Medikamente
verschieden weit.
➤ Bei der einseitigen amaurotischen Pupillenstarre
fehlt der direkte Lichtreflex, jedoch kann man bei
Beleuchtung des gesunden Auges eine prompte
Verengung der Pupille des blinden Auges sehen
(konsensuelle Lichtreaktion).
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Abb. 3.68 Blaue Skleren bei Osteogenesis imperfecta.
Äußeres Erscheinungsbild
➤ Bei der reflektorischen Pupillenstarre (Argyll-Robertson-Phänomen) fehlen die direkte und die konsensuelle Lichtreaktion, während sich die Pupillen bei
Akkommodation prompt verengen. Ferner bestehen
eine Reizmiosis sowie eine deutliche Entrundung
der Pupillen und ein schlechtes Ansprechen auf Mydriatika. Wenn alle genannten Symptome vorhanden sind, ist das Argyll-Robertson-Phänomen pathognomonisch für die Tabes dorsalis. Eine einfache reflektorische Pupillenstarre kann aber auch bei Mittelhirnläsionen (Pinealom, multiple Sklerose) und
bei der durch Diabetes mellitus (Abb. 3.69) und
Amyloidose bedingten Polyneuropathie auftreten.
➤ Eine absolute Pupillenstarre wird, wenn keine Mydriatika verwendet wurden, bei Prozessen im Mittelhirn oder an der Schädelbasis (Enzephalitis, Tumor, Aneurysma, Lues) gesehen. Augenaffektionen
(Synechien, Glaukom) können eine absolute Pupillenstarre vortäuschen.
➤ Das Adie-Syndrom ist eine harmlose, ätiologisch unklare Störung, bei der die Pupillen nur sehr langsam
oder gar nicht auf Licht reagieren und die Akkommodationsreaktion tonisch verlangsamt erfolgt.
Glaskörper
„Mouches volantes“ als Ausdruck von Glaskörpertrübungen sind meist harmloser Natur, sofern der Visus
nicht eingeschränkt ist und die Trübungen seit längerer Zeit bekannt sind. In ausgeprägter Form neu auftretende „Mouches volantes“ können jedoch Hinweise auf
eine beginnende Netzhautablösung oder eine Glaskörperblutung im Rahmen von Gefäßerkrankungen wie
Diabetes mellitus oder Venenthrombose sein.
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Abb. 3.69 Argyll-Robertson-Phänomen:
ungleich weite, etwas entrundete, lichtstarre Pupillen bei Diabetes mellitus.
Retina
Retinopathie. Bei der diabetischen Retinopathie
kommt es infolge von Mikroaneurysmen, Blutungen
und Gefäßproliferationen in den Glaskörper zu oft erheblichen Visusstörungen. Retinablutungen können
auch bei Koagulopathien auftreten. Degenerative Retinaveränderungen sind bei Retinitis pigmentosa, Pseudoxanthoma elasticum und Lawrence-Moon-BiedlSyndrom typisch. Eine Endokarditis kann selten mit
kleinen, zum Teil hämorrhagischen Retinaherden
(„Roth spots“) einhergehen.
Zu den häufigsten Retinopathien gehört die altersabhängige Makuladegeneration. Die häufigere (ca.
85 %) ist die „trockene“ Verlaufsform. Der zentrale Untergang von Netzhautzellen führt zu einer ganz allmählichen Sehverschlechterung. Bei der selteneren „feuchten“ Makuladegeneration kommt es durch Flüssigkeitsansammlungen unter der Makula zu Verzerrungen auf
der Netzhaut, so dass für den Betroffenen als erstes Anzeichen gerade Linien gebogen erscheinen.
Chorioretinitis. Die Differenzialdiagnose der Chorioretinitis (posteriore Uveitis) umfasst Infektionen mit Toxoplasma gondii, Toxocara, Cryptococcus neoformans,
Histoplasma capsulatum, Mycobacterium tuberculosis, Zytomegalieviren (u. a. bei AIDS) und außerdem die
Sarkoidose.
Candida-Endophthalmitis. Eine Candida-Endophthalmitis wird bei ca. 5 % der Patienten mit einer disseminierten Candidiasis gesehen. Funduskopisch sind
weiße, watteartige (Cotton wool) Retinaexsudate mit
Ausbreitung in den Glaskörper typisch. Dieses Krankheitsbild wird bei Immunsupprimierten, bei lang dauernder parenteraler Ernährung und bei i. v. Drogenabhängigen gesehen.
99
Haut und äußeres Erscheinungsbild
Das gerötete Auge
Augenmotorik
Beim geröteten Auge kommen differenzialdiagnostisch folgende Möglichkeiten in Betracht:
➤ Konjunktivitis (sehr häufig, langsamer Beginn, wenig Augenbrennen, konjunktivale Injektion, z. B. bei
grippalem Infekt),
➤ Uveitis (häufig, meist langsamer Beginn, mäßiger
Augenschmerz, leichte Visustrübung, ziliare Injektion, enge Pupille mit träger Lichtreaktion),
➤ Korneaverletzung/Keratitis (häufig, bei Keratitis
langsamer Beginn, deutlicher oberflächlicher
Schmerz, ziliare oder diffuse Injektion, evtl. Korneaulzerationen),
➤ akutes Glaukom (selten, plötzlicher Beginn, Gesichtsschmerz, ziliare Injektion, Schwindel, Erbrechen).
Die Untersuchung der Augenstellung und der schnellen (Sakkaden) sowie der langsamen, visuell oder vestibulär induzierten Augenbewegungen kann verschiedenste Ausfallsmuster zeigen. Damit können Störungen des zentralen (infra- und supratentoriellen) oder
peripheren (Nerven, Endplatten und Muskeln) Nervensystems und des Labyrinthes differenzialdiagnostisch rasch eingegrenzt werden (s. Kapitel 31).
Ohren
Äußeres Ohr. Das äußere Ohr gibt diagnostische Hinweise bei Gicht (Tophi) (s. Kapitel 10), Ochronose
(blaugraue Fleckung) (s. Kapitel 10), Herzinsuffizienz
(Zyanose) und der Kälteagglutinationskrankheit (Zyanose in der Kälte).
Deformationen der Ohrmuscheln kommen bei
Missbildungen verschiedenster Art vor. Schlaffe, hängende Ohren sind pathognomonisch für die seltene rezidivierende Polychondritis (v.-Meyenburg-AltherrUehlinger-Syndrom) (Abb. 3.70).
Abb. 3.70 Schlaffe, hängende Ohren bei rezidivierender Polychondritis.
100
Hörstörungen. Die Unterscheidung zwischen Schallleitungsschwerhörigkeit und Schallempfindungsschwerhörigkeit sowie die eine Hörstörung begleitenden Umstände sind wesentlich für die Diagnose.
➤ Die Schallleitungsschwerhörigkeit tritt bei Veränderungen des äußeren Gehörganges oder bei Affektionen im Mittelohr auf. Es handelt sich meist um Cerumen obturans, Trommelfellverletzungen, Otitis
media, Cholesteatom, Tuben-, Mittelohrkatarrh,
Otosklerose oder um kongenitale anatomische Veränderungen.
➤ Läsionen der Kochlea und des VIII. Hirnnervs (N.
acusticus) sowie zentrale Veränderungen bewirken
eine sog. Schallempfindungsschwerhörigkeit.
➤ Neben der häufigen familiären Schwerhörigkeit
stellt die Rötelnembryopathie eine mögliche Ursache einer Schwerhörigkeit dar.
➤ Wenn Hörstörungen oder ein Hörverlust akut und
einseitig auftreten, muss differenzialdiagnostisch
ein vaskulärer Prozess (Hörsturz), ein Knalltrauma
oder bei entsprechender Anamnese eine Felsenbeinfraktur angenommen werden.
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3
Äußeres Erscheinungsbild
farkte, Tumoren, multiple Sklerose und andere Veränderungen im Temporallappenbereich können
ebenfalls zu Hörstörungen führen.
➤ Unter Tinnitus (Ohrensausen, -rauschen) versteht
man ein subjektives Phänomen, bei dem der Patient meist sehr störende Töne und Geräusche unterschiedlichen Charakters hört. Knacken und tieffrequente Geräusche werden oft bei mechanischen
Störungen der Tuba Eustachii und beim Tubenmittelohrkatarrh angegeben. Pfeifen und klingende
Töne treten bei kochleären Erkrankungen und Veränderungen des N. cochlearis auf. Tinnitus ist fast
immer mit einer deutlichen Gehörsabnahme kombiniert. Kontinuierliche Geräusche werden am
häufigsten bei intrakraniellen vaskulären Prozessen beobachtet. Hochdosierte Gaben von Salicylaten und Chinin führen mitunter zu Tinnitus. Ein
einseitiger Tinnitus ist typisch für den Morbus Ménière.
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➤ Eine Labyrinthitis, meist als Komplikation einer Otitis media oder eines viralen Infektes (Mononucleosis infectiosa), bewirkt einen einseitigen Gehörverlust.
➤ Rezidivierende einseitige Gehörverminderungen,
kombiniert mit Tinnitus und Schwindel sowie einem Spontannystagmus, sind typisch für den Morbus Ménière.
➤ Ototoxische Medikamente (Aminoglykoside, Vancomycin, hochdosierte Salicylate und Furosemid sowie Bleomycin) können vereinzelt zu langsam progredienter beidseitiger Schallempfindungsschwerhörigkeit führen.
➤ Chronisch progressiv verlaufen die Altersschwerhörigkeit (Presbyakusis) und die lärminduzierte
Schwerhörigkeit.
➤ Das Akustikusneurinom wächst meist langsam und
zeigt oft als einziges Symptom eine einseitige progrediente Hörstörung. Hirnstammläsionen, In-
Nase
Eine Sattelnase (Abb. 3.64) ist Folge einer ungenügenden Blutversorgung des Septums bei Gefäßprozessen,
kongenitaler Lues, der Wegener-Granulomatose, bei
gewissen ektodermalen Dysplasien und selten beim
Takayashu-Syndrom.
Charakteristische Veränderungen sind das Rhinophym (Knollennase) infolge einer Talgdrüsenhyperpla-
sie der Haut und das Adenoma sebaceum beim Bourneville-Pringle-Syndrom (gekennzeichnet durch tuberöse
Hirnsklerose, intrakranielle Verkalkungen, periunguale
Fibrome (Abb. 3.26 b), knotige Zahnfleischwucherungen, Netzhauttumoren, Rhabdomyome des Herzens,
Angiome und Fibrome der Nieren). Die Nase ist bei der
rezidivierenden Polychondritis deutlich abgeplattet.
Geruch
Aufgrund des Geruches eine Diagnose zu stellen ist
heute schwieriger, da eine Diagnose auf andere Weise
häufig viel früher gestellt wird und deshalb diese Komponente weniger ausgeprägt ist. Gerüche widerspiegeln häufig Stoffwechselkrankheiten oder sind Folge
von Intoxikationen. Gerüche sind extrem schwierig
präzis zu beschreiben, und das Geruchsempfinden ist
Tabelle 3.14
interindividuell sehr verschieden. Der Mundgeruch
kann differenziert werden in den Foetor ex ore (Affektion im Mundbereich) und die Halitosis (Affektion im
Gastrointestinal-, Respirationstrakt und andere Ursachen).
Tab. 3.14 gibt eine Übersicht über einige wichtige
Gerüche und deren mögliche auslösende Ursache.
Typische Gerüche bei verschiedenen Krankheiten
Krankheiten
Auslösende Ursachen
Atemluft
schlechter Mundgeruch
Affektionen von Zähnen, Nase, Tonsillen, Ösophagus, Magen
faulig, Stuhlgeruch
intestinale Obstruktion, Ösophagusdivertikel, Bronchiektasen
süßlich, faulig
Lungenabszess, Empyem (Anaerobier), intranasaler Fremdkörper
acetonartig, fruchtig („Apfelkeller“)
Ketoazidose bei Diabetes mellitus und Hunger, Intoxikationen mit Chloroform, Salicylaten
rohe Leber („Foetor hepaticus“)
Leberversagen
süßlich
Diphtherie, Präkoma und Coma hepaticum
101
3
Haut und äußeres Erscheinungsbild
Tabelle 3.14
(Fortsetzung)
Krankheiten
Auslösende Ursachen
frisches Schwarzbrot
Typhus
Sauerbrot
Pellagra
Alkohol
Alkohol und Phenolintoxikation
Tabak
Nikotin
Knoblauch
Intoxikation mit Phosphor, Malathion, Arsen
Schuhcreme
Nitrobenzen
Metzgerladen
Gelbfieber
urinartig
Urämie
süßlich, karamellähnlich
Ahornsirupkrankheit
süßlich, veilchenartig
Terpentinintoxikation
fischartig, ranzige Butter
Tyrosinämie
mäuseartig
Phenylketonurie
Ammoniak
Harnweginfekt mit Harnstoff spaltenden Bakterien (z. B. Proteus)
Haut/Schweiß
frisches Schwarzbrot
Typhus
mausartig, pferdeähnlich
Phenylketonurie
karamellartig
Ahornsirupkrankheit
erdig, traubenartig, fruchtig
Pseudomonasinfektion
faulig
Hautkrankheiten wie Pemphigus, Anaerobier
stuhlartig
intestinale Obstruktion
überreifer Camembertkäse
Abszesse durch proteolytische Bakterien
süßlich, faule Äpfel
Gasbrand
Sputum
faulig, stinkend
Lungenabszess, Empyem, Bronchiektasen, eitrige Bronchitis
Erbrochenes
veilchenartig
Terpentinintoxikation
knoblauchartig
Intoxikation mit Arsen, Phosphor
fäkal
intestinale Obstruktion, Peritonitis
Stuhl
faulig
Malabsorption (Sprue)
ranzige Butter
Shigellose
Knoblauch
Arsenintoxikation
Vaginalsekret
faulig
Vaginitis, maligne Tumoren, Fremdkörper
Liquor
alkoholartig
102
Cryptococcus-neoformans-Meningitis
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Urin
Äußeres Erscheinungsbild
Sprache und Stimme
Definitionen. Eine Störung im kommunikativen Gebrauch der Sprache bezeichnen wir als Aphasie. Sie
kann entsprechend dem Läsionsort unterteilt werden
(Abb. 3.71). Die wichtigsten Formen mit den charakteristischen klinischen Befunden sind in Tab. 3.15 aufgelistet.
Davon abzugrenzen ist die Dysarthrie, mit der eine
Funktionsstörung auf allen Stufen der Lautgebung bezeichnet wird (Sprechmotorik). Wir unterscheiden dabei einerseits zentrale Sprechstörungen wie kortikale
pseudobulbäre (Läsionen kortikobulbärer Verbindungen) und bulbäre (Läsionen im pontinen Kerngebiet)
Formen, zerebelläre Koordinationsstörungen und Basalganglienläsionen sowie andererseits periphere neurologische oder laryngologische Störungen.
Als Mutismus wird allgemein ein Zustand mit
Sprachlosigkeit bezeichnet, der pathogenetisch oder
ätiologisch noch nicht zugeordnet ist. Hierbei kann es
sich zum Beispiel auch um eine psychogene Sprechverweigerung handeln.
Aphasie. Bei der Aphasie sind kortikale Areale des
Sprachzentrums und/oder deren Verbindungen gestört. Entsprechend der Lokalisation der Läsion kann es
zu gut abgrenzbaren klinischen Syndromen kommen,
die sich in der typischen Form hauptsächlich bei Pa-
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Sprachstörungen
Abb. 3.71 Mögliche Ursachen einer Aphasie bei Störungen im
Sprachzentrum des menschlichen Gehirns (mod. nach Poeck K
und Hacke W). Wichtige Areale des Sprachzentrums innerhalb
der sprachdominanten Hemisphäre: B Broca-Region, M motorische Gesichtsregion, W Wernicke-Region, S somatosensorische
Gesichtsregion, H Hörfelder, V visuelle Assoziationsregion, s
Gyrus supramarginalis, a Gyrus angularis.
Tabelle 3.15 Wichtige klinische Symptome bei verschiedenen Ursachen einer Aphasie
Amnestische Aphasie
Wernicke-Aphasie
Broca-Aphasie
Globale Aphasie
Sprachproduktion
meist flüssig
flüssig
erheblich verlangsamt
spärlich, Automatismen
Artikulation
meist nicht gestört
meist nicht gestört
oft dysarthrisch
meist dysarthrisch
Sprachmelodie
meist gut erhalten
meist gut erhalten
oft nivelliert, skandierend
oft nivelliert
Satzbau
kaum gestört
Paragrammatismus
Agrammatismus
nur Einzelwörter,
Floskeln, Automatismen
Wortwahl
Ersatzstrategien, semantische Paraphasien
viele semantische Paraphasien und Neologismen, Jargon
eng begrenztes Vokabular, kaum semantische Paraphasien
begrenztes Vokabular, grobe semantische Paraphasien
Lautstruktur
phonematische Paraphasien
viele phonematische
Paraphasien und
Neologismen, phonematischer Jargon
viele phonematische
Paraphasien
sehr viele phonematische Paraphasien und
Neologismen
Verstehen
leicht gestört
stark gestört
leicht gestört
stark gestört
Semantische Paraphasien = falsche Worte im Satz
Phonematische Paraphasien = falsche Buchstaben im Wort
Neologismen = Wortneubildungen
103
Haut und äußeres Erscheinungsbild
tienten nach zerebralen Durchblutungsstörungen finden, da die wichtigsten Teilgebiete aus Ästen der A. cerebri media versorgt werden. Bei Aphasien anderer Genese (Tumoren, Entzündungen, fokale zerebrale Anfälle) kann das klinische Bild dagegen nicht immer einer dieser Entitäten sicher zugeordnet werden.
➤ Die motorische Aphasie (Broca-Aphasie) tritt bei
Herden im präfrontalen Kortex auf. Sie zeichnet sich
durch eine langsame, große Anstrengungen erfordernde Sprache mit kurzen, abgehackten Sätzen
(Telegrammstil) und Agrammatismus aus, wobei
das Sprachverständnis nicht gestört ist (gelesene
Befehle werden ausgeführt).
➤ Bei der sensorischen Aphasie (Wernicke-Aphasie)
steht eine flüssige, aber übermäßige Sprachproduktion mit vielen Wortneubildungen (Neologismen)
und phonematischen sowie semantischen Paraphasien (Buchstaben- und Wortsalat) im Vordergrund.
Diese Form tritt bei Läsionen im postzentralen Kortex auf, die neben einer Störung direkt im WernickeAreal auch zu einem Abbruch der für die Sprachproduktion wichtigen Informationen aus visuellen, auditiven und somatosensiblen Arealen führen können.
➤ Die amnestische Aphasie zeichnet sich durch erhebliche Wortfindungsstörungen mit auffällig vielen
und teilweise bizarren Umschreibungen (Ersatzstrategie) aus und findet sich bei temporoparietalen
Hirnläsionen, wobei neben vaskulären Störungen
hier vor allem auch Tumoren differenzialdiagnostisch in Betracht gezogen werden müssen. Der
Sprachfluss ist dabei kaum, das Sprachverständnis
nur geringfügig gestört.
➤ Die globale Aphasie mit gleichzeitigem Zerfall der
rezeptiven und expressiven Sprachfunktionen
kommt bei Läsionen, die das ganze Sprachzentrum
betreffen, vor und tritt vorwiegend nach großen Infarkten im Stromgebiet der A. cerebri media auf.
Wenn sie vollständig ist, kann sie mit einem Mutismus anderer Genese verwechselt werden, weshalb
bei einer Sprachlosigkeit immer sorgfältig nach zusätzlichen fokal-neurologischen Ausfällen gesucht
werden muss.
Dysarthrie. Zerebral bedingte Störungen der Sprechmotorik kommen bei verschiedenen Krankheitsbildern
vor.
➤ Eine verwaschene, stockende und mühevolle Sprache tritt bei der kortikalen Dysarthrie (meist kortikale Minderdurchblutung) auf.
➤ Ein monotoner Tonfall mit immer leiser werdender
Stimme ist typisch für die Stammgangliendysarthrie
beim Morbus Parkinson.
➤ Bei der bulbären Sprache, die undeutlich verwaschen (Kloß im Mund) sowie verlangsamt und leise
ist, steht die amyotrophe Lateralsklerose (Kerngebiet der Medulla oblongata) als auslösende Ursache
im Vordergrund. Häufig sind Schluckstörungen ein
Begleitsymptom.
104
➤ Ein abgehacktes Hervorstoßen einzelner Silben und
Worte (skandierende Sprache) sowie eine fehlende
Sprachmodulation sind ein Indiz für eine zerebelläre
Dysarthrie, wie sie bei der multiplen Sklerose oder
auch ischämischen sowie tumorösen Kleinhirnerkrankungen vorkommen kann. Häufig besteht die
Charcot-Trias (skandierende Sprache, Nystagmus,
Intentionstremor).
Stimmstörungen
Peripher bedingte Störungen der Stimme. Dysphonie
und Aphonie können bei primären oder sekundären
Erkrankungen des Kehlkopfes (Laryngitis, Tumoren),
beim Stimmbruch, aber auch vor der Menstruation
und in der Menopause auftreten. Eine raue, tiefe und
heisere Stimme tritt auf bei der Hypothyreose. Während die Stimmlage beim hypophysären Zwergwuchs
hoch ist, ist sie bei der Akromegalie und beim Virilismus tief. Eine heisere, tiefe Stimme bei einer älteren
Frau ist suggestiv für einen schweren Nikotinabusus.
Mechanische Störungen der Sprechmotorik. Diese Störungen, wie z. B. Näseln bei großen Rachenmandeln,
Kehlkopferkrankungen, Myasthenia gravis mit progressiver Ermüdung der Sprechmuskulatur, müssen
von neurologisch bedingten Dysarthrien abgegrenzt
werden.
Funktionelle Dysphonie. Abzugrenzen von den genannten Störungen ist die funktionelle Dysphonie bzw.
Aphonie jüngerer Mädchen und Frauen („es hat mir die
Sprache verschlagen“). Typisch für die nervöse Heiserkeit ist der rasche Wechsel der Stimmqualität.
Heiserkeit. Heiserkeit ist ein häufiges Symptom und
meist harmlos und reversibel. Bei den laryngealen Ursachen der Heiserkeit steht die Laryngitis (viral 쏜 bakteriell, Zigarettenrauch) an erster Stelle. Eine häufige
Ursache ist die durch eine Refluxkrankheit bedingte
Laryngitis posterior. Ferner können Fremdkörper,
chronischer Alkoholismus, aber auch Tumoren (Sängerknötchen, Papillome, Karzinome) und Traumen
eine Heiserkeit auslösen. Weitere Ursachen sind Nervenläsionen (N. recurrens) bei Halsverletzungen, Tumoren im Halsbereich, Infektionen (Meningitis), Schädelbasisfrakturen, Aortenaneurysmen, Mitralstenose,
Mediastinaltumoren sowie Schilddrüsenvergrößerungen (Struma, Karzinom).
Bei jeder ätiologisch unklaren Heiserkeit muss
nach spätestens 4 Wochen ein Larynxkarzinom
ausgeschlossen werden (Laryngoskopie).
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