Tägliche Mundhygiene

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Tägliche Mundhygiene
Womit, wie, wie oft und wie lange?
E i n B e i t r a g v o n P r o f . D r. S t e f a n Z i m m e r, W i t t e n
Der folgende Beitrag gibt Empfehlungen zur optimalen täglichen mechanischen Mundhygiene
mit der Zahnbürste. Aufgrund des Umfangs des
Themas muss auf weitergehende Abhandlungen
zur Interdentalraumpflege sowie zu weiteren
Hilfsmitteln zur täglichen Mundhygiene verzichtet werden.
Die Bedeutung guter Mundhygiene
Der orale Biofilm, der auch Plaque genannt wird
und alle festen Oberflächen in der Mundhöhle besiedelt, ist ein essenzieller ätiologischer Faktor für
die Entstehung von Karies, Gingivitis und Parodontitis [9,18,34]. Die Gingivitis ist zwar keine hinreichende Voraussetzung für die Entstehung einer
Parodontitis, in ihrer chronischen Form stellt sie
allerdings einen wesentlichen Risikofaktor für deren Entstehung dar [17]. So konnten Schätzle et al.
nachweisen, dass die Wahrscheinlichkeit (Odds ratio), dass ein Zahn verloren geht, im Vergleich zur
gingivitisfreien Situation um das 45,8-Fache steigt,
wenn permanent eine Gingivitis vorhanden ist [31].
Solange keine schlüssigen Konzepte vorhanden sind,
die es möglicherweise erlauben, den Biofilm so zu
manipulieren, dass er keine Pathogenität mehr besitzt, ist dessen regelmäßige effektive Entfernung
ein maßgeblicher Faktor für die Vermeidung der
genannten oralen Erkrankungen.
Allerdings zeigen epidemiologische Daten aus
Deutschland, dass die Mundhygiene nicht optimal ist. So wurde in der vorletzten bevölkerungsrepräsentativen Untersuchung des Instituts der
Deutschen Zahnärzte (IDZ; DMS IV) lediglich bei
1,6 Prozent der Zwölfjährigen, bei 2 Prozent der
35- bis 44-Jährigen und bei 1,3 Prozent der 65- bis
74-Jährigen völlige Plaquefreiheit gefunden [22].
Damit soll nicht behauptet werden, dass für orale
Gesundheit eine hundertprozentige Plaquefreiheit
zwingend erforderlich ist. Die Daten zeigen jedoch,
wie schwierig es ist, dieses Ziel zu erreichen, obwohl die Mundhygiene in der Bevölkerung doch eigentlich als einfache Maßnahme wahrgenommen
wird und vermutlich jeder nach dem Zähneputzen
davon ausgeht, nun saubere Zähne zu haben. Die
Abbildungen 1a bis c zeigen exemplarische Ver-
laufsaufnahmen aus einer Mundhygienestudie.
Sie demonstrieren, dass auch dreiminütiges überwachtes Zähneputzen in der Regel nicht zu einer
plaquefreien Situation führt.
In der aktuellen Untersuchung des IDZ (DMS V)
wurde der Plaquebefall nicht erhoben, es zeigten
sich jedoch ähnliche Ergebnisse bei der Gingivitis
bei Zwölfjährigen. Nur bei 22,3 Prozent der Kinder
wurde eine völlige Blutungsfreiheit der Gingiva
(Papillen-Blutungs-Index = 0) festgestellt [16]. Auch
dieser Befund dürfte darauf zurückzuführen sein,
dass perfekte Plaqueentfernung im Rahmen der
häuslichen Mundhygiene aus technischer Sicht
kein einfaches Unterfangen ist und in der Regel
nicht in vollständiger Plaque- und Blutungsfreiheit
resultiert [27].
Die mechanische Plaqueentfernung
Das wichtigste Hilfsmittel für die häusliche mechanische Plaqueentfernung ist die Zahnbürste. Hier
ist zwischen Hand- und elektrischen Zahnbürsten
zu unterscheiden. Zunächst soll jedoch auf allgemeine Empfehlungen zu Zeitpunkt und Häufigkeit
des Zähneputzens eingegangen werden.
Ab wann sollte wie oft geputzt werden?
Bereits bevor die ersten Milchzähne im Alter von
sechs bis acht Monaten in der Mundhöhle des
Kindes erscheinen, können täglich die zahnlosen
Alveolarfortsätze mit dem Finger massiert werden.
Dies soll das Kind frühzeitig an die Manipulation
in seiner Mundhöhle, die später für das Nachputzen der Zähne durch die Eltern erforderlich ist,
gewöhnen. Außerdem entsteht auch für die Eltern
hierdurch eine frühzeitige Gewöhnung. Eine wissenschaftliche Evidenz für den Nutzen dieser Maßnahme gibt es jedoch nicht. Ab dem Zeitpunkt des
Durchbruchs der ersten Milchzähne müssen diese
auch regelmäßig gereinigt werden. Dies sollte morgens nach dem Frühstück und abends vor dem
Zubettgehen erfolgen und kann bereits mit einer
speziellen Kinderzahnbürste oder mit einem Mikrofaser-Fingerling bewerkstelligt werden. Einmal am
Tag sollte die Mundhygiene mit einer fluoridhaltigen Kinderzahnpasta erfolgen.
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Abb. 1a: Zustand zum Zeitpunkt des Studienscreenings ohne besondere vorbereitende Maßnahmen (Anfärben der Plaque mit einem
Färbemittel, Mira-2-Ton, Hager & Werken, Duisburg)
Abb. 1c: Zustand nach drei Minuten überwachtem Zähneputzen und
vorheriger Instruktion. Eine deutliche Reduktion der Plaque ist erkennbar, aber es wurde keine Plaquefreiheit erreicht. Das Muster der
Plaqueausbreitung ist über den gesamten Verlauf gleich geblieben.
Wichtig ist auch die Frage, ab wann sich ein Kind
eigenständig die Zähne putzen kann. Eine Beobachtungsstudie an 40 Vorschulkindern ergab, dass
nur die Hälfte der Kinder die Kauflächen ihrer
Backenzähne und kein einziges die Außenflächen
vollständig und sicher putzte [19]. Daraus ergibt sich, dass Kinder zwar an die selbstständige
Benutzung der Zahnbürste gewöhnt werden sollten, sobald sie laufen können, die Eltern zur Erzielung einer guten Plaqueentfernung aber mindestens einmal täglich – vorzugsweise abends – nachreinigen müssen. Es gibt keine Evidenz dafür, bis
zu welchem Alter dies erfolgen sollte. Allgemein
hat sich jedoch die Empfehlung etabliert, dass
die Eltern nachputzen sollten, bis das Kind flüssig
schreiben kann, was etwa in der dritten Schulklasse,
also mit circa neun Jahren, der Fall ist.
Leider wird diese wichtige Empfehlung nur unzureichend umgesetzt. Eine Studie von Borutta et al.
zeigte, dass selbst bei erst 30 Monate alten Kindern
nur in knapp 28 Prozent der Fälle tatsächlich nachgeputzt wird [6]. Eine Studie von Addy et al. an
720 Elf- bis Zwölfjährigen hatte aber auch gezeigt,
dass es nur eine geringe Korrelation zwischen der
angegebenen Zahnputzhäufigkeit und Plaque und
Gingivitis gibt [2]. Dies zeigt klar, dass es nicht nur
darum geht, eine möglichst zweimal täglich ausgeübte Mundhygiene zu realisieren, sondern vor
allem darum, die Zähne gründlich zu reinigen.
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Abb. 1b: Zustand nach zweitägiger Mundhygienekarenz. Eine deutliche Zunahme der Plaquebesiedelung ist erkennbar.
Ein besonderes Problem bei der häuslichen Mundhygiene stellt der erste bleibende Molar dar. Dieser
bricht etwa zeitgleich mit den mittleren Unterkieferschneidezähnen im Alter von fünf bis sechs Jahren zunächst im Unterkiefer durch. Während das
Erscheinen der Frontzähne aufgrund deren guter
Sichtbarkeit von den Eltern immer bemerkt wird,
ist dies bei den ersten Molaren meist nicht der Fall.
Diese brechen hinter den zweiten Milchmolaren
durch und werden durch diese so verdeckt, dass
sie während der Dauer ihres etwa eineinhalbjährigen Durchbruchs nur schwer zu entdecken sind.
Da sie in dieser Zeit unter dem Niveau der Kauflächen der Milchzähne liegen, werden ihre besonders
kariesanfälligen Kauflächen beim Putzen nicht erreicht. Dies trägt dazu bei, dass der erste bleibende
Molar der Zahn mit dem höchsten Kariesrisiko des
gesamten bleibenden Gebisses ist.
Handzahnbürsten
Noch vor wenigen Jahren gab es eine klare Vorstellung, wie eine „gute“ Handzahnbürste auszusehen
hatte: kurzer Kopf, ebenes Borstenfeld mit vielen
Borstenbüscheln (multitufted) und parallel stehende,
endgerundete Kunststoffborsten (Abb. 2). Dass eine
so gestaltete Zahnbürste allen anderen überlegen
Abb. 2: Aussehen einer klassischen Handzahnbürste: kurzer Kopf,
ebenes Borstenfeld mit vielen Borstenbüscheln (multitufted) und
parallel stehenden, endgerundeten Kunststoffborsten
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sei, war gemeinhin akzeptiertes zahnmedizinisches
Grundwissen. Allerdings muss angemerkt werden,
dass diese Zahnbürstenform eher aus Tradition
und als Folge der zur Verfügung stehenden Fertigungstechniken denn auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse entstand. Eine Zahnbürste
ist in ihrer Entwicklung nichts anderes als ein kleiner Besen, mit dem man kleine Dinge, nämlich
Zähne, reinigt. Wenn wir uns zum Beispiel einen
Besen oder auch eine Kleiderbürste anschauen,
dann haben diese die gleiche Form wie die oben
beschriebene Zahnbürste: parallel stehende Borsten, viele Büschel und ein ebenes Borstenfeld. Nur
die Endrundung der Borsten fehlt, aber die erfolgt
ja auch bei den Zahnbürsten erst seit jüngerer Zeit.
Fertigung von Zahnbürsten
Neuerungen in der Fertigungstechnik ermöglichen
heute die Produktion anders gestalteter Zahnbürsten. Diese Entwicklungen betreffen vor allem die
Besteckung des Borstenfeldes. Zwar wurden auch
früher schon Zahnbürsten mit V-förmigem Borstenfeld produziert, aber mit der damals verfügbaren
Technik war es nicht möglich, die Borstenenden,
die in den „Tälern“ des Borstenfeldes standen, abzurunden. Deshalb wurden V-Zahnbürsten damals
abgelehnt. Seit mehreren Jahren ist die Zahnbürstenindustrie jedoch imstande, auch die in den „Tälern“ stehenden Borstenenden abzurunden. Außerdem ist es mittlerweile möglich, die Borstenenden
zuerst zu runden und erst dann im Bürstenkopf zu
befestigen. Dazu stehen verschiedene Verfahren zur
Verfügung: Im Spritzgussverfahren kann der Bürstenkopf um die Borsten herumgespritzt werden.
Beim Einfügeverfahren werden die Borsten in das
erwärmte und dadurch weiche Material des Bürs-
Abb. 3: Mit einer Zahnbürste mit weniger dicht stehenden und
unterschiedlich langen Borstenbüscheln lassen sich Spalträume wie
Fissuren, Interdentalräume sowie der Sulkusbereich besser reinigen.
tenkopfes hineingedrückt, und beim Einschweißverfahren werden Borsten und Bürstenkopf, die
aus dem gleichen Material bestehen müssen, durch
gleichzeitige Erwärmung miteinander verschweißt.
Diese neuen Fügetechniken erlauben nicht nur
neue Gestaltungen der Borstenfelder, sondern ermöglichen auch ein nahezu spaltfreies Befestigen
der Borsten im Bürstenkopf. Dies ist im Hinblick auf
die immer wieder aufkommende Diskussion um
die Zahnbürste als Keimreservoir von Bedeutung.
Beim konventionellen Verfahren werden die Borstenbüschel mithilfe von Metallklammern im Bürstenkopf verankert, was nicht spaltfrei möglich ist.
Kriterien einer guten Handzahnbürste
Endgerundete Nylonborsten?
Obwohl es keine wissenschaftlichen Untersuchungen dazu gibt, besteht heute Einigkeit darüber, dass
die Borsten einer Zahnbürste aus Nylon oder einem
vergleichbaren Kunststoff bestehen sollen. Naturborsten sind aus hygienischen Gründen (bakterielle
Besiedelung der Markkanäle der Borstenhaare) und
weil sie schnell aufspleißen, abzulehnen. Über die
Endrundung der Zahnbürstenborsten wird viel geredet und es existiert auch eine Vielzahl von Studien, die sich mit der Qualität der Endrundung beschäftigen. Es gibt aber nahezu keine Evidenz dazu,
wie wichtig das überhaupt ist. Es spricht jedoch viel
dafür, dass eine Endrundung der Borsten gewährleistet sein sollte, um Verletzungen des Zahnfleisches zu verhindern.
Ebenes Borstenfeld mit vielen
parallel stehenden Borstenbüscheln?
Das lange als ideal angesehene ebene Borstenfeld
einer Zahnbürste ist grundsätzlich eher schlecht
geeignet, Zähne zu säubern. Da eine Zahnoberfläche keine ebenen, sondern nur konvexe Oberflächen besitzt und die optimale Reinigung durch
maximalen Kontakt zwischen Bürste und Zahn
erreicht wird, sollte eine gute Zahnbürste eher ein
konkaves, also ein zum Zahnbogen formkongruentes Borstenfeld besitzen. Dies lässt sich dadurch erreichen, dass die äußeren Borsten länger als die inneren sind (Abb. 3). Eigene Untersuchungen haben
außerdem gezeigt, dass sich mit einer Zahnbürste
mit dichtem, ebenem Borstenfeld die Fissuren nur
schlecht reinigen lassen. Beim Aufsetzen der Zahnbürste auf der Kaufläche des Zahnes kommt es
nämlich zu einem Verkeilungseffekt, der ein tieferes Eindringen der Borsten in die Fissur verhindert
(Abb. 4). Gleiches gilt für die ebenfalls sehr engen
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Abb. 4: Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme einer Zahnbürste
mit ebenem Borstenfeld, die fest auf die Kaufläche eines Molaren
gepresst wird. Es ist deutlich erkennbar, dass der Fundus der Fissur
nicht erreicht werden kann.
Interdentalräume und den Zahnfleischsulkus, den
besonders im Hinblick auf die Entstehung von Gingivitis und Parodontitis kritischen Bereich. Einzeln
beziehungsweise weniger dicht stehende Borstenbüschel können hier eine Lösung darstellen.
Noch ein anderer Aspekt wird bei der Entwicklung
neuer Zahnbürsten zunehmend wichtiger. Es wird
immer klarer, dass eine gute Mundhygiene auch
Nebenwirkungen haben kann: Hypersensible Zähne,
Putzdefekte und Traumatisierungen von Gingiva
und Mukosa nehmen zu. Schuld daran sind falsche
und mit zu viel Kraft ausgeübte Putztechniken. In
erster Linie muss also der Anwender in einer möglichst schonenden Pflegetechnik geschult werden.
Aber auch die Zahnbürstenindustrie kann durch
ein entsprechendes Angebot an Zahnbürsten dazu
beitragen, diesem Problem zu begegnen.
Hart oder weich?
Während in früheren Zeiten vor allem harte Zahnbürsten bevorzugt wurden und sich anschließend
ein Wechsel zur mittelharten Variante vollzogen
hat, werden in neuester Zeit unter dem Eindruck
einer insgesamt intensiver ausgeübten mechanischen Mundhygiene und damit einhergehender
Nebenwirkungen zunehmend weiche Zahnbürsten
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empfohlen. Tatsächlich ist für einige dieser Zahnbürsten nachgewiesen, dass sie bei geringerer Zahnfleischtraumatisierung genauso gut reinigen wie
die verglichenen mittelharten Zahnbürsten. Da sich
diese Vergleichszahnbürsten jedoch nicht nur in der
Härte, sondern auch in der Form des Borstenfeldes
unterschieden, konnte die gleich gute Reinigungseffizienz nicht zweifelsfrei durch den Härtegrad der
Zahnbürsten begründet werden. Aus diesem Grund
wurden in einer eigenen Studie gleichartige Zahnbürsten unterschiedlicher Härtegrade (hart, mittel,
weich) in vivo in Bezug auf Reinigungseffizienz und
Zahnfleischtraumatisierung untersucht. Das Ergebnis war eindeutig. Harte Zahnbürsten verursachten
gegenüber weichen zwar mehr Zahnfleischverletzungen, zeigten aber auch eine wesentlich bessere
Reinigungswirkung. Mittelharte Zahnbürsten lagen
für beide Parameter in der Mitte [47].
In einer kürzlich durchgeführten In-vitro-Studie hat
sich außerdem gezeigt, dass weiche Zahnbürsten zu
mehr Abtrag an der Zahnhartsubstanz führen als
harte oder mittelharte Zahnbürsten [5]. Das klingt
zunächst verwunderlich, ist aber darauf zurückzuführen, dass sich die Borsten der weichen Zahnbürste
an den Enden umbiegen und dadurch zu einem
flächigeren Kontakt mit der Zahnoberfläche führen
als das bei harten Borsten der Fall ist. Durch den
flächigen Kontakt mit der Zahnoberfläche wird die
Zahnpasta, die ja das Abrasivum darstellt, in flächigeren Kontakt mit der Zahnhartsubstanz gebracht.
Die Zahnbürste selbst, deren Borsten ja aus relativ
weichem Nylon bestehen, ist nicht imstande, Dentin oder gar Schmelz abzutragen. Vergleichbar ist
das mit einem Schwamm, auf den man Scheuerpulver zum Reinigen einer Bratpfanne gibt. Je intensiver der Kontakt des Schwammes mit der Pfanne ist,
umso besser kann das Scheuerpulver wirken.
Großer oder kleiner Kopf?
Eine der Kernforderungen an das Design einer Handzahnbürste ist die nach einem kurzen Bürstenkopf.
Das klingt vernünftig, denn die Mundhöhle ist ein
eng begrenzter Raum mit schwer zu erreichenden
Plaquenischen, in dem man mit einem kleinen
Bürstenkopf sicher besser als mit einem großen
manövrieren kann. Auf der anderen Seite ist es eine
Binsenweisheit, dass sich mit einem größeren Besen
in der gleichen Zeit eine größere Fläche reinigen
lässt. Da die für das Zähneputzen aufgewendete
Zeit einer der kritischsten Faktoren ist und üblicherweise nicht lange genug geputzt wird, sind wir der
Frage nachgegangen, ob nicht ein größerer Zahn-
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nende Bürsttechnik mit nicht zu viel Anpressdruck
zu etablieren.
· Ein etwas größerer Bürstenkopf scheint klinisch zu
einer besseren Reinigungsleistung zu führen.
Abb. 5: Zwei Zahnbürsten, die sich nur in der Größe ihres Bürstenkopfes
unterscheiden
bürstenkopf doch von Vorteil sein könnte. In einer
klinischen Studie über acht Wochen wurden zwei
Zahnbürsten, die sich nur in der Größe ihres Bürstenkopfes unterschieden, in Bezug auf Plaqueentfernung und Verbesserung einer Gingivitis untersucht (Abb. 5). Bei der Plaqueentfernung war nach
acht Wochen eine tendenzielle, allerdings nicht statistisch signifikante Überlegenheit der Zahnbürste
mit dem größeren Kopf zu konstatieren. Bezüglich
der Reduktion einer Gingivitis, gemessen mit dem
Papillen-Blutungs-Index (PBI) [23], war die größere
Zahnbürste jedoch signifikant überlegen. Sie betrug
0,426 im Verhältnis zu 0,178, was auch klinisch als
signifikanter Unterschied zu werten ist [48].
Aus den oben dargestellten Erkenntnissen lassen
sich folgende erwünschten Konstruktionsmerkmale
für eine Zahnbürste ableiten:
· Sie sollte über endgerundete Nylonborsten verfügen, um Verletzungen des Zahnfleisches zu verhindern.
· Sie sollte ein der Form des Zahnes und des Zahnbogens angepasstes Borstenfeld (Formkongruenz)
besitzen, um eine optimale Reinigung zu ermöglichen. Einzeln stehende Borstenbüschel und ein
weniger dicht gepacktes Borstenfeld verbessern
die Reinigung von Spalträumen.
· Patienten mit schlechter Mundhygiene, bei denen
keine Putzdefekte am Weichgewebe vorliegen, sollten eine harte Zahnbürste verwenden.
· Patienten mit bestehenden Putzdefekten am Weichgewebe sollten eine weiche Zahnbürste verwenden.
· Patienten mit Putzdefekten an der Zahnhartsubstanz sollten vor allem eine schwach abrasive Zahnpasta benutzen, am besten in Kombination mit
einer harten Zahnbürste (es sei denn, sie haben
gleichzeitig Defekte am Weichgewebe). Außerdem
ist es hier natürlich besonders wichtig, eine scho-
Handzahnbürsten bei Kindern
Bei Verwendung einer Handzahnbürste sollten in
den ersten vier bis fünf Lebensjahren grundsätzlich
zwei Zahnbürsten vorgehalten werden: eine, mit
der das Kind selbst putzt, und eine, mit der die Eltern nachputzen. Dies hat zwei Gründe. Zum einen
kauen kleine Kinder beim selbstständigen Zähneputzen meist nur auf der Zahnbürste herum und
machen sie dadurch sehr schnell für eine gute Reinigung unbrauchbar. Zum anderen fasst das Kind
die Zahnbürste im Faustgriff und braucht daher eine
Bürste mit dickem, kurzem Griff. Für das Nachputzen durch die Eltern ist aber eher eine Zahnbürste mit längerem, schmalem Griff geeignet.
Entsprechend dem Wachstum des Kindes sollte die
Zahnbürste „mitwachsen“. Einige Hersteller bieten
daher abgestufte altersangepasste Kinderzahnbürsten an. Der Bürstenkopf der Kinderzahnbürste sollte
kurz sein, um die „Manövrierbarkeit“ in der kindlichen Mundhöhle zu verbessern, und die Borsten
sollten weich sein, um die empfindlichen Schleimhäute des Kindes nicht zu verletzen.
Elektrische Zahnbürsten
Elektrische Zahnbürsten haben noch immer mit dem
Vorurteil zu kämpfen, dass sie zwar möglicherweise
die tägliche Mundhygiene einfacher gestalten können, aber keinen Vorteil hinsichtlich der Effektivität
der Plaqueentfernung aufweisen. Diese Einschätzung stammt aus der Zeit, als die ersten elektrischen
Zahnbürsten vor gut 30 Jahren auf den Markt kamen. Nachfolgende wissenschaftliche Untersuchungen hatten für diese Geräte der ersten Generation
auch keinen Vorteil gegenüber konventionellen
Handzahnbürsten gezeigt. Sie wurden daher lediglich für Menschen mit eingeschränkter Feinmotorik empfohlen und waren nur eine Marginalie des
Zahnbürstenmarktes. Seit Beginn der 1990er-Jahre
ist jedoch eine ganze Flut moderner Geräte auf den
Markt gekommen, die eine Neubewertung elektrischer Zahnbürsten erforderlich gemacht hat.
Zwei Produktklassen
Elektrische Zahnbürsten der neueren Generation
können grob in zwei Kategorien eingeteilt werden:
Zum einen sind das die Geräte mit runden Bürstenköpfen, die mit einer Frequenz von bis zu 73 Hz
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Abb. 6a: Modell einer rotierend-oszillierenden elektrischen
Zahnbürste mit separatem Display, das via Bluetooth mit der
Zahnbürste verbunden ist
(entsprechend 8 800 Seitwärtsbewegungen) und
einem Rotationswinkel von etwa 50° bis 70° oszillieren (Abb. 6a und b). Bei einigen Modellen wird
diese Oszillation mit einer pulsierenden Bewegung
in einer Frequenz von 333 Hz (40 000 Vor- und
Rückwärtsbewegungen) kombiniert. Die zweite Kategorie umfasst die sogenannten schallaktiven Zahnbürsten, bei denen der Bürstenkopf mit einer Frequenz von 250 bis etwa 350 Hz schwingt (Abb. 7).
Die erstgenannten Geräte weisen zwar ebenfalls
eine Schwingungsfrequenz auf, die im Bereich des
hörbaren Schalls liegt, und es ist auch keineswegs
der Schalldruck, der zu einer besonderen Reinigungswirkung führt. Aber der Begriff „schallaktiv“
oder „sonic“ hat sich für die Geräte der zweiten Kategorie etabliert und soll daher auch hier Verwendung finden. Häufig werden schallaktive Zahnbürsten fälschlicherweise als „Ultraschallzahnbürsten“
bezeichnet. Ultraschall beginnt jedoch erst ab einer
Frequenz von etwa 15 KHz, während die beschriebenen Zahnbürsten mit einer Frequenz von 250 bis
350 Hz arbeiten.
Mehrere klinische Studien haben gezeigt, dass sowohl die Geräte mit rotierend-oszillierenden Köpfen als auch die schallaktiven Zahnbürsten einer
konventionellen Handzahnbürste signifikant überlegen sein können. Die aktuelle Meta-Analyse der
unabhängigen Cochrane Collaboration hat eine
klare Überlegenheit von rotierend-oszillierenden
elektrischen Zahnbürsten gegenüber Handzahnbürsten gezeigt [42]. Für die schallaktiven Zahnbürsten ist diese Aussage nicht so klar, was aber
auch mit methodischen Herangehensweisen der
Cochrane-Analyse zu tun hat. So wurden die Schallzahnbürsten zusammen mit anderen Produkten,
die nicht in diese Gruppe gehören, ausgewertet,
was die Aussagekraft der Analyse in dieser Bezie-
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Abb. 6b: Basismodell einer rotierendoszillierenden elektrischen Zahnbürste
mit eingebautem Zwei-Minuten-Timer
hung infrage stellt. Jedenfalls
gibt es mehrere klinische Studien, die klar auch eine Überlegenheit von Schallzahnbürsten gegenüber Handzahnbürsten nachweisen [14,43,46].
Schwieriger wird es beim direkten Vergleich zwischen beiden
Typen von elektrischen Zahnbürsten. Hier gibt es sowohl Studien, die eine Überlegenheit von rotierend-oszillierenden Zahnbürsten [38,37,32] zeigen als auch
umgekehrt [28]. Ein tieferes Studium der einschlägigen Literatur lässt jedoch eine Interpretation
der zitierten Widersprüchlichkeiten zu. Obwohl
die Intensität der Instruktion im Umgang mit den
untersuchten Zahnbürsten nicht immer detailliert
beschrieben ist, drängt sich insgesamt die Vermutung auf, dass die Geräte mit rotierend-oszillierenden Köpfen in klinischen Studien immer dann den
Schallzahnbürsten überlegen sind, wenn die Studienteilnehmer gut instruiert und trainiert sind.
Das zeigt das hohe Potenzial rotierend-oszillierender Zahnbürsten, zeigt aber auch, dass die Anwendung schwieriger ist als bei Schallzahnbürsten. Die
Putztechnik entspricht nämlich derjenigen, die von
einer Prophylaxefachkraft im Rahmen einer Professionellen Zahnreinigung angewendet wird. Das
bedeutet, dass Zahn für Zahn gereinigt werden
muss und dass es wichtig ist, die Bürste exakt am
Zahnfleischsaum entlang zu führen. Schallzahn-
Abb. 7: Schallzahnbürsten verschiedener Hersteller
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bürsten zeigten hingegen in eigenen Untersuchungen auch bei nur kurz instruierten Testpersonen
ihre Überlegenheit. Die Schallzahnbürste ist weniger anwendungsempfindlich. Sie wird wie eine
Handzahnbürste bei der Fegetechnik (siehe unten, Abb. 8) schräg angesetzt und am Zahnfleischsaum entlang des Zahnbogens geführt. Zur Verbesserung der Putzwirkung kann auch eine leicht
„ausfegende“ Bewegung wie bei der Fegetechnik
durchgeführt werden.
Elektrische Zahnbürsten bei Kindern
Häufig wird das Argument vorgebracht, dass Kinder zunächst im Umgang mit einer Handzahnbürste
geübt sein müssen, bevor sie mit einer elektrischen
Zahnbürste putzen dürfen. Bis zum Alter von circa
drei Jahren mag dieses Argument aufgrund der
geistigen Reife, die ein Kind für den Umgang mit
der Technik benötigt, korrekt sein. Allerdings zeigen klinische Studien, dass bereits Zwei- bis Vierjährige das Nachputzen durch die Eltern mit einer
elektrischen Zahnbürste genauso gut tolerieren wie
mit einer Handzahnbürste, bei Vier- bis Sechsjährigen wird die elektrische Bürste sogar bevorzugt
[24]. Was den eigenen Umgang mit elektrischen
Zahnbürsten betrifft, zeigte eine Studie an Vier- bis
Sechsjährigen, dass mit einer elektrischen Zahnbürste signifikant bessere Putzresultate erzielt wurden als mit einer Handzahnbürste [7].
Ein erhöhtes Unfallrisiko bei Verwendung einer
elektrischen Zahnbürste durch Kinder besteht er-
fahrungsgemäß nicht. Wichtig ist, dass das Kind
während des Zähneputzens nicht herumläuft, denn
sowohl bei Hand- als auch elektrischen Zahnbürsten besteht nach Angaben der Hersteller das größte
Risiko darin, dass Kinder beim Herumlaufen während des Zähneputzens auf das Gesicht stürzen und
sich dabei Rachenverletzungen mit der Zahnbürste
zufügen. Insgesamt spricht also nichts dagegen, bereits Vierjährige selbstständig mit einer elektrischen
Zahnbürste putzen zu lassen. Aufgrund eigener Erfahrungen funktioniert das Nachputzen mit einer
elektrischen Zahnbürste ohnehin besser als mit einer
Handzahnbürste.
Kann bei Benutzung einer elektrischen Zahnbürste
auf Zahnseide verzichtet werden?
Für die Beantwortung dieser Frage muss berücksichtigt werden, dass Zahnseide und andere Hilfsmittel für die Interdentalreinigung bei perfekter
Anwendung Approximalkaries und Gingivitis zwar
effektiv verhindern können [10,41], in der Realität
die Anwendung allerdings kaum perfekt ist. So haben einige klinische Studien keinen signifikanten
Unterschied zwischen der Benutzung einer Handzahnbürste plus Zahnseide und einer Handzahnbürste allein gefunden [11,44], und auch die einschlägigen Cochrane-Reviews sind hier nicht sehr
ermutigend [25,29].
In einer klinischen Studie von Sjögren et al. wurde
gezeigt, dass sich bei parodontal gesunden Menschen mit der alleinigen Anwendung der schall-
Abb. 8: Bei der Fegetechnik wird die Zahnbürste im Oberkiefer mit den Borstenenden in einem Winkel von circa 45° zum Zahnfleisch nach
oben hin angesetzt (im Unterkiefer nach unten).
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aktiven Sonicare-Advance-Zahnbürste im approximalen Bereich sogar ein besserer Effekt erzielen
ließ als bei Verwendung einer Handzahnbürste
plus Zahnseide [33]. Im Vergleich zur Handzahnbürste brachte die zusätzliche Verwendung von
Zahnseide im Approximalraum eine Plaquereduktion um 38 Prozent, während es bei Verwendung
der Sonicare ohne zusätzliche Interdentalreinigung
64 Prozent waren. Außerdem zeigte die Studie, dass
durch die Schallzahnbürste mehr Fluorid aus der
Zahncreme in die Zahnzwischenräume transportiert wurde als dies bei der Handzahnbürste der
Fall war. Aus diesen Untersuchungen kann geschlossen werden, dass eine gute Schallzahnbürste
auch eine effektive Reinigung und Fluoridierung
von Approximalflächen ermöglicht. Die Zahnseide
oder das Interdentalbürstchen dürfte sie bei optimaler Anwendung jedoch kaum ersetzen können.
Zumindest aber ist eine gute Schallzahnbürste in
der interdentalen Plaqueentfernung besser als eine
Handzahnbürste.
Sind elektrische Zahnbürsten destruktiver
als Handzahnbürsten?
Der Cochrane-Review zu elektrischen Zahnbürsten
liefert keine Anhaltspunkte dafür, dass eine elektrische Zahnbürste zu einer höheren Prävalenz
von Weichgewebsläsionen führt als eine Handzahnbürste [42]. Allerdings gibt es immer wieder
Berichte von Zahnärzten, die Gingivaläsionen der
Benutzung einer rotierend-oszillierenden Zahnbürste zuschreiben. Bei unsachgemäßer Anwendung ist dies vielleicht nicht auszuschließen, in
klinischen Studien wurde ein solcher Verdacht bisher jedoch nicht bestätigt. Für Schallzahnbürsten
gibt es bislang keinerlei Berichte über Läsionen an
oralen Weichgeweben. Eine ganz aktuelle klinische Studie hat sogar gezeigt, dass Benutzer einer
rotierend-oszillierenden Zahnbürste sechs Monate
nach einer chirurgischen Rezessionsdeckung im
Frontzahnbereich signifikant geringere Rezessionstiefen aufwiesen als die Benutzer einer Handzahnbürste (0,03 mm vs. 0,5 mm) [1].
Ob eine elektrische Zahnbürste auf Dauer zu einem
höheren Verlust an Zahnhartsubstanz, insbesondere am Dentin, führt als eine manuelle, lässt sich
derzeit nicht sagen. Denkbar ist dies, weil die Borsten elektrischer Zahnbürsten aufgrund ihrer hohen
Bewegungsfrequenz bei gleicher Benutzungsdauer
einen sehr viel längeren Weg an der Zahnoberfläche zurücklegen. Da Arbeit = Kraft x Weg ist, wird
bei vergleichbarem Anpressdruck die Zahnoberflä-
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che sehr viel stärker bearbeitet als mit einer Handzahnbürste. Allerdings konnten Wiegand et al.
zeigen, dass bei Benutzung einer Schallzahnbürste
deutlich weniger Kraft aufgewendet wird als bei
einer Handzahnbürste und damit also insgesamt
schonender geputzt wird [40].
Sind Handzahnbürsten noch empfehlenswert?
Angesichts der Vorteile elektrischer Zahnbürsten
müsste diese Frage aus wissenschaftlicher Sicht mit
einem „Nein“ beantwortet werden. Da aber bis zu
einer gewissen Grenze ein starker Zusammenhang
zwischen Zeitaufwand und Plaqueentfernung besteht [13], kann die Überlegenheit einer elektrischen Zahnbürste durch etwas mehr Zeitaufwand
kompensiert werden. Insofern muss sich der Anwender entscheiden, ob er lieber mehr Geld oder
Zeit aufwendet.
Die Putztechnik
In einer von Wainwright und Sheiham publizierten Studie wurden die Empfehlungen zu Zahnputztechniken, die von zahnmedizinischen Fachgesellschaften, Zahnpasta- und Zahnbürstenherstellern
und in Fachbüchern weltweit gegeben werden,
untersucht [36]. Von insgesamt 66 Quellen wurde
19-mal die modifizierte Bass-Technik, elfmal die
Bass-Technik [3], zehnmal die Fones- [8], fünfmal
die Schrubb- und zweimal die Stillman-Technik [35]
empfohlen. Erstaunlicherweise wurde von 19 dieser
professionellen Quellen überhaupt keine Putztechnik empfohlen. Auch wenn offensichtlich weltweit
Unsicherheit bezüglich der zu empfehlenden Zahnputztechnik herrscht, sind die Bass- beziehungsweise
die modifizierte Bass-Technik mit zusammen 30
von 47 Nennungen am häufigsten vertreten. Die
Bass-Technik ist vermutlich auch in Deutschland
die am häufigsten empfohlene Technik. In einer
eigenen Befragung, die in Kooperation mit dem
Marktforschungsinstitut Forsa durchgeführt wurde,
benannten jedoch nur vier Prozent der Befragten die
Bass-Technik als die ausgeübte Technik [45]. Viel
häufiger wurden kreisende (Fones-Technik, 57 %),
schrubbende (keine beschriebene Technik, 33 %)
und fegende Bewegungen (Stillman-Technik, 28 %)
genannt. Es besteht also offensichtlich eine deutliche Diskrepanz zwischen dem, was Fachleute als
richtige Zahnputztechnik empfehlen, und dem, was
tatsächlich in der Bevölkerung umgesetzt wird.
Poyato-Ferrera et al. hatten in ihrer Studie an 46 Studierenden die Effektivität der modifizierten BassTechnik im Vergleich zur „normalen“ Zahnputz-
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technik der Probanden über jeweils 21 Tage untersucht [26]. Die Studie begann nach einer zweitägigen Mundhygienekarenz mit der Untersuchung
der „normalen“ Putztechnik, für die keinerlei Instruktionen erteilt wurden. Nach 21 Tagen war, bezogen auf den Plaque-Index nach Quigley-Hein in
der Modifikation von Turesky, eine Verbesserung
gegenüber der Ausgangssituation um 55 Prozent
messbar. Nach einer zweiwöchigen Wash-out-Phase
schloss sich die zweite Studienphase an, zu deren
Beginn die gleichen Probanden an einem Modell und mithilfe eines Videos in der modifizierten
Bass-Technik instruiert und motiviert wurden. Nach
21 Tagen hatte sich der Ausgangs-Plaquewert um
82,8 Prozent verbessert. Der Unterschied gegenüber der „normalen“ Zahnputztechnik war statistisch signifikant. Auch wenn das Studiendesign
(keine Instruktion vs. intensive Instruktion; Placebo- vor Verum-Verfahren in einem unverblindeten Design) die modifizierte Bass-Technik bevorteilt
haben dürfte, so zeigt die Studie doch, dass mit
einer offensichtlich gut umgesetzten modifizierten
Bass-Technik ein sehr gutes Ergebnis erzielbar ist.
Allerdings ist diese Technik manuell anspruchsvoll
und es ist fraglich, ob sie unter den Bedingungen
außerhalb kontrollierter klinischer Studien suffizient umgesetzt wird.
Um zu klären, ob die theoretisch beste Zahnputztechnik unter gleichen Bedingungen im Vergleich
mit einer als weniger effektiv geltenden auch die
beste ist, haben Harnacke et al. die einfache, aber
als nicht besonders effektiv geltende Fones-Technik mit der modifizierten Bass-Technik und einer
negativen Kontrollgruppe verglichen [12]. Insgesamt 67 Probanden wurden randomisiert auf die
drei Gruppen verteilt und erhielten eine PC-basierte allgemeine Information zur Mundhygiene
(alle Gruppen) sowie eine intensive Schulung mit
praktischen Übungen in den jeweiligen Mundhygienetechniken (nur Bass- und Fones-Gruppe).
Nach sechs, zwölf und 28 Wochen wurden nicht
nur Parameter für Plaque und Gingivitis untersucht, sondern auch, wie gut die erlernte Technik reproduziert werden konnte. Eine signifikante
Überlegenheit der Fones- gegenüber der modifizierten Bass-Technik wurde in Bezug auf Gingivitis
nach zwölf Wochen und in Bezug auf die Reproduzierbarkeit nach sechs, zwölf und 28 Wochen
beobachtet. Diese Ergebnisse zeigten, dass die
Fones-Technik erfolgreicher unterrichtet werden
konnte und dass sie wahrscheinlich deshalb auch
zu teilweise besseren, aber nie schlechteren Ergeb-
nissen als die Bass-Technik führte, obwohl die erstgenannte als prinzipiell unterlegen gilt.
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch
die Untersuchung der Adhärenz zu der unterrichteten Zahnputztechnik. In der Bass-Gruppe waren
18, in den beiden anderen Gruppen jeweils 19 Probanden in die abschließende Auswertung gekommen. Davon hatten in der Bass-Gruppe elf Personen (61 %) berichtet, dass sie wegen verschiedener
Schwierigkeiten nicht über die gesamte Studiendauer bei der erlernten Technik geblieben sind, in
den beiden anderen Gruppen waren es jeweils nur
fünf Personen (26,3 %) [12]. Auch dies kann ein
Erklärungsansatz dafür sein, dass sich die modifizierte Bass-Technik als nicht so effektiv erwiesen
hat wie erwartet. Es kann möglicherweise auch
erklären, warum nur so wenige Menschen die Bassoder modifizierte Bass-Technik anwenden, obwohl
sie, wie die Studie von Wainwright und Sheiham
zeigt, die überwiegend von Fachleuten empfohlenen Techniken sind.
Diese Ausführungen sollen deutlich machen, dass
die Bass-Technik zwar die prinzipiell effektivste
Methode der mechanischen Mundhygiene ist,
aber in der Realität schlecht umgesetzt wird. Deshalb muss grundsätzlich darüber nachgedacht
werden, welche Zahnputztechnik in der Zahnarztpraxis empfohlen werden soll. Bei Benutzung von
elektrischen Zahnbürsten ist die Technik durch die
Bürste selbst vorgegeben und nicht veränderbar.
Bei Verwendung einer Handzahnbürste ist aus
meiner Sicht die Fegetechnik nach Stillman die
für die meisten Menschen geeignete Technik, weil
sie einfach und dennoch effektiv ist. Wichtig ist,
dass die Zahnbürste in einem Winkel von etwa
45° mit den Borstenenden zum Zahnfleisch hin so
ausgerichtet wird, dass jeweils etwa die Hälfte des
Borstenfeldes auf dem Zahnfleisch und die andere
Hälfte auf den Zähnen liegt. Sodann wird von rot
nach weiß ausgefegt (s. Abb. 8). Pro Zahn beziehungsweise Zahngruppe sollte dieser Bewegungsablauf etwa vier- bis fünfmal ausgeführt werden.
Neben dieser Technik ist vor allem auch wichtig,
dass beim Zähneputzen eine feste Systematik eingehalten wird, damit nicht bestimmte Zähne regelmäßig beim Putzen „vergessen“ werden. Dazu
sollte man jeweils an einem Ende des Zahnbogens
(z. B. rechts oben außen) mit dem Putzen beginnen und dann bis zum gegenüberliegenden Ende
wandern. Nach der Reinigung der Außenflächen
geht es mit der Reinigung der Innenflächen zurück
zum Ausgangspunkt. So werden zuerst die Zähne
Wissenschaft und Fortbildung
des einen und dann des anderen Kiefers geputzt.
Zuletzt kommen die Kauflächen an die Reihe, die
mit einfacher Schrubbtechnik geputzt werden.
Wie oft sollen die Zähne geputzt werden?
Allein aufgrund der Applikation von fluoridhaltiger Zahnpasta ist das mindestens zweimal tägliche Zähneputzen gegenüber der einmal täglichen
Mundhygiene deutlich zu bevorzugen. Eine MetaAnalyse von Marinho et al. ergab, dass tägliches
Zähneputzen mit einer fluoridhaltigen Zahnpasta
im Vergleich zu einer fluoridfreien zu einer Karieshemmung von 24 Prozent führt und dass das zweimal tägliche Zähneputzen zu einer um 14 Prozent
höheren Karieshemmung führt als das einmal tägliche. Bei Verwendung einer besonders wirksamen
Zahnpasta (hohe Fluoridkonzentration, guter Wirkstoff) ist dieser Wert sogar noch steigerbar, sodass
man auf eine Hemmung des Karieszuwachses von
über 40 Prozent allein durch den zweimal täglichen
Kontakt mit der Zahnpasta kommen kann [20]. Der
Effekt durch die Plaqueentfernung kommt noch
hinzu, ist aber deutlich geringer [4].
Da eine generelle Korrelation zwischen der Häufigkeit des Zähneputzens und der erzielten Karieshemmung besteht [20], wäre aus rein kariesprophylaktischer Sicht ein noch häufigeres tägliches Zähneputzen wünschenswert. Allerdings ist
es fraglich, ob eine solche Forderung angesichts
der Schwierigkeit, sie in den üblichen Tagesablauf
zu integrieren, realistisch ist. Außerdem könnte
eine generelle Steigerung der Zahnputzfrequenz
insbesondere nach dem Mittagessen auch die Prävalenz der ohnehin im Steigen begriffenen Erosions- und Abrasionsdefekte [22] erhöhen. Insgesamt ist also das zweimal tägliche Zähneputzen
als vernünftiger Kompromiss zwischen erzielbarer
Karieshemmung, Aufwand und möglichen Nebenwirkungen zu sehen.
Die Putzdauer
Klinische Studien belegen sowohl für Hand- als
auch für elektrische Zahnbürsten, dass eine längere
Zahnputzzeit signifikant positiv mit einer besseren
Plaqueentfernung korreliert [15,37,39]. Es wurde
aber auch gezeigt, dass die zur Mundhygiene aufgewendete Zeit zumeist deutlich falsch eingeschätzt
wird [21], was in der Regel zu einer deutlichen
Unterschreitung der empfohlenen Zahnputzdauer
führt [30]. Da für jedes Individuum von einer unterschiedlichen Effizienz der Plaqueentfernung ausgegangen werden muss und außerdem unterschied-
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BZB März 17
liche dentale Voraussetzungen zu berücksichtigen
sind, lässt sich keine einheitliche Empfehlung für
eine Zahnputzdauer aussprechen. Für die üblicherweise empfohlenen drei Minuten gibt es keine wissenschaftliche Evidenz. Es ist auch davon auszugehen, dass die tatsächlich für ein optimales Ergebnis
benötigte Zeit deutlich höher liegt. Hawkins et al.
hatten für Handzahnbürsten 5,1 Minuten als optimale Putzdauer bestimmt [13].
Schlussfolgerungen
Einige althergebrachte Lehrmeinungen zum Thema
mechanische Mundhygiene müssen heute als überholt betrachtet werden. Das betrifft zum Beispiel
die Konstruktionsmerkmale einer Handzahnbürste,
aber auch die Putzdauer sowie die Bewertung von
elektrischen Zahnbürsten. Auch die von uns empfohlene Putztechnik muss überdacht werden. Zwar
gibt es kaum Evidenz für die Empfehlung einer manuellen Zahnputztechnik, es ist aber klar, dass sich
die Bass-Technik oder die modifizierte Bass-Technik
im flächendeckenden Einsatz nicht bewährt haben.
Ein für die Kariesprophylaxe ganz wesentlicher
Faktor ist die zweimal tägliche Anwendung einer
Fluoridzahnpasta.
Korrespondenzadresse:
Prof. Dr. Stefan Zimmer
Fachzahnarzt für Öffentliches Gesundheitswesen
Universität Witten/Herdecke
Abteilung für Zahnerhaltung und Präventive Zahnmedizin
Fakultät für Gesundheit
Alfred-Herrhausen-Straße 50, 58448 Witten
[email protected]
Literatur bei der Redaktion
Goldenes Doktordiplom
Die Charité ehrt seit vielen Jahren ihre Alumni, die vor
50 Jahren an der Charité promoviert haben, mit der
Vergabe einer „Goldenen Doktorurkunde“. Auch im
Jahr 2017 möchte sie diese schöne Tradition fortführen und hat dazu wieder einen großen Festakt im
Konzerthaus am Gendarmenmarkt in Berlin-Mitte geplant. Leider ist der Kontakt zu so mancher Kollegin/
manchem Kollegen verloren gegangen. Sollten Sie vor
etwa 50 Jahren in Berlin promoviert haben oder jemanden kennen, für den das zutrifft, melden Sie sich bitte
im Promotionsbüro der Charité – Universitätsmedizin
Berlin, Telefon: 030 450576-018/-016/-058.
Redaktion
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