Eiszeit am Hallwil An den geschützen Ufern des Hallwilersees wachsen über 300 verschiedene Pflanzenarten. Trotzdem litt der See lange Zeit an einer massiven Überdüngung. Seit er künstlich beatmet wird, hat sich die Wasserqualität verbessert. Text: Andreas Krebs W Fotos: René Berner enn im Winter und Vorfrühling die Ufergehölze noch unbelaubt sind, geben sie fast dauernd den Blick frei auf den Hallwilersee. Deshalb ist diese Zeit besonders einladend für eine Seeumrundung. Die dauert gut sechs Stunden. Starten kann man zum Beispiel am Nordende 16 Natürlich | 2-2006 rechts von der Hauptstrasse weg – und schon ist der Wanderweg erreicht. Ab hier informieren Wanderwegweiser über die zahlreichen Wandermöglichkeiten in dieser Gegend. Eine davon ist der Seeuferweg. Rechts entlang des Ufers dauert es rund 2,5 Stunden bis ans Südende des Hallwilersees, bis ins luzernische Mosen. Ein national bedeutendes Flachmoor des Sees im aargauischen Boniswil, das mit der Seetalbahn der SBB (Lenzburg–Luzern) gut erreichbar ist. Vom Bahnhof geht es etwa zweihundert Meter Richtung Süden entlang der Hauptstrasse. Bei der ersten Abzweigung links geht es in Richtung Seengen und Schloss Hallwil. Nach weiteren 200 Metern führt die Mättelistrasse Am Startpunkt in Boniswil führt der Seeuferweg nicht direkt am Ufer entlang, sondern erst einige Meter über dem See durch Aussenquartiere, dann durch Landwirtschaftsland. Unten ist das Boniswiler Ried, der Rest eines grossflächigen Ufermoores im Abflussbereich des Hallwilersees. Das Boniswiler Ried ist das grösste verbliebene Flachmoor im Wanderung NATUR Eingriff ins Brutgeschäft ersee Nicht zu überhören sind die kreischenden Möwen, die in wilden Manövern um quäkende Stockenten und nervöse Blässhühner fliegen. Vogelfütterung. Alte Hände brechen hartes Brot, kleine Menschen kreischen vor Freude. Im Winter füttern auch die Mitglieder des Vereins «Schwanenkolonie Hallwilersee» ihre Lieblinge – mit rund drei Tonnen Mais. Das Verbreitungsgebiet der Höckerschwäne beschränkte sich ursprünglich auf Nordosteuropa und auf weite Teile Asiens. Aber schon im 16. und 17. Jahrhundert brachte man diese majestätisch anmutende Schwanenart nach Mitteleuropa, auch in die Schweiz. Sie wurden in Schloss- und Landgutweihern ausgesetzt. Von hier aus breiteten sich die Schwäne vor allem im 20. Jahrhundert rasch auf Seen und langsam fliessende Flüsse aus. In der Zwischenzeit haben Höckerschwäne alle ihnen zusagenden Gewässer besiedelt. Der Verein «Schwanenkolonie Hallwilersee» sorgte dafür, dass die Population von rund 50 Höckerschwänen in den vergangenen Jahren konstant geblieben ist. Durch ein gezieltes Eingreifen ins Brutgeschäft, eine Art Geburtenkontrolle, können eine Überpopulation verhindert und negative Einwirkungen auf die Ufervegetation vermieden werden. Jeden Frühling werden die Schwanennester von den Vereinsmitgliedern überprüft. In der Regel Rückläufige Berufsfischereierträge In der Schweiz wird die gesamte Fangmenge der Berufsfischer seit Jahren immer kleiner, wie die Zahlen einiger ausgewählter Seen zeigen. Ertrag (t) Ertrag (t) See im Jahr 2000 im Jahr 2004 Genfersee 289 217,5 Hallwilersee 26 5,6 Thunersee 48,8 21,5 Zugersee 77,3 60,7 In allen Schweizer Seen wurden im Jahr 2000 gesamt 1658,6 Tonnen Fisch gefangen, im Jahr 2004 waren es noch 1601,3 Tonnen. Zum Vergleich: In den 70er-Jahren lag die durchschnittliche Fangmenge bei Quelle: Bafu rund 3600 Tonnen. darf ein Schwanenpaar – sie leben wie alle Gänsevögel in Dauerehe – zwei Eier ausbrüten. Da das Weibchen nach einer Entnahme Eier nachlegt, müssen die Vereinsmitglieder die Nester während der Brutzeit mehrmals kontrollieren. Entgegen einer weit verbreiteten Meinung nimmt der Bestand des Höckerschwans dank solchen Kontrollen seit rund 15 Jahren nicht mehr weiter zu. Er hat sich bei schweizweit rund 500 Brutpaaren stabilisiert. Im Winter bevölkern 4000 bis Boniswiler Ried: Grösstes Flachmoor im Aargau und Naturschutzgebiet von nationaler Bedeutung Kanton Aargau – ein Flachmoor von nationaler Bedeutung. Die offene Ebene mit den eingestreuten Hecken und Gehölzen wirkt parkartig – im Herbst wurde geholzt und gemäht – darf aber nicht betreten werden, . Im Winter lassen sich mit einem Fernglas und etwas Geduld viele Vögel beobachten, darunter auch Wintergäste wie Gänsesäger, Reiherund Tafelenten. Nach einer halben Stunde Wandern führt der Weg hinunter zum See. Der Wanderweg verläuft jetzt fast immer direkt entlang des Seeufers und führt durch die «Landschaftsschutzzone Hallwilersee», die alle Uferpartien umfasst. Auch die über weite Strecken noch intakten Schilfgürtel stehen unter Schutz und sind mit Fahrverboten und Nutzungsbeschränkungen belegt worden. Die Verhaltensregeln auf den Hinweistafeln sind zu beachten. Natürlich | 2-2006 17 NATUR Wanderung Gemeiner Schneeball: Leuchtender Farbtupfer und wichtige Winternahrung für Singvögel Phosphor im Wasser (oligotroph) geworden. Das ist das Ergebnis Anfang der 80er-Jahre erreichte die Phos- wirksamer Gewässerschutz-Massnahmen. phorfracht in unseren Seen und Flüssen den Der wichtigste Schritt war 1986 das Phos- Höchstwert: Der Gesamtphosphorgehalt im phatverbot in Waschmitteln. In Kläranlagen Rhein bei Basel lag damals bei 180 Mikro- hat man zudem die Stufe der Phosphat- gramm pro Liter. Inzwischen ist er auf weni- Elimination eingebaut. Später begann man ger als die Hälfte dieses Wertes gesunken. auch durch Beschränkung der Viehbestände Manche nährstoffbelasteten (eutrophen) den Eintrag von Landwirtschaftsdünger in Gewässer sind sogar wieder nährstoffarm Bäche, Seen und Flüsse zu reduzieren. 5000 Schwäne unsere Gewässer – viele davon sind Gäste aus dem Norden. Auf hochgelegenen Seen müssen die Höckerschwäne im Spätherbst eingefangen und im Frühjahr wieder ausgesetzt werden, weil sie auf den zufrierenden Gewässern nicht überleben könnten. Umfassender Uferschutz Der Hallwilersee ist letztmals 1986 ganz zugefroren. In dieser Jahreszeit erinnern Bootshäuschen und der strahlend blaue Himmel an einen See, der zum Bade lädt; eine heftige Brise lässt die Gedanken ans Baden jedoch vergessen, die vielen Wanderer ziehen ihre Kappen tiefer über die Ohren. Auch im Winter ist der Hallwilersee ein beliebtes Ausflugsziel. Nach einer Stunde Wandern kommt man zum Restaurant Schifflände, eine erste Möglichkeit sich aufzuwärmen und zu stärken. Entlang des Sees gibt es noch mehrere davon. Weiter geht es dann durch ein sumpfiges Pro-Natura-Schutzgebiet in einem schönen Auenwald. Amseln hüpfen durch das Laub, ein Fischreiher schreckt auf und fliegt davon. Auf der Roten Liste: Turmdohle im Schloss Hallwil Vor der Badi Beinwil AG kommt man wieder aus dem Wald und weg vom See, weil man die Badi während der Badesaison umgehen muss; nach dem angrenzenden Hotel Hallwil kommt man wieder an das Seeufer und in ein weiteres Pro-Natura-Schutzgebiet: das prächtige Altmoos, das sich von Schwarzenbach LU über Mosen bis nach Aesch LU zieht. Dank dem umfassenden Uferschutz wachsen rund um den Hallwilersee ungefähr 300 verschiedene Pflanzenarten. Vielen Vögeln – auch seltenen – bietet der See und seine Umgebung Brutmöglichkeiten. Einige aber, wie die Bekassine – das Wappentier von Boniswil – brüten hier trotz der Bemühungen der Naturschützer nicht mehr. Landwirtschaft machte Egli fett Besonders arg zugesetzt hat dem See die äusserst intensive Landwirtschaft mit dem entsprechenden Einsatz von Düngemitteln. Durch die Phosphoreinträge produzierte der See mehr pflanzliche Biomasse und damit via Nahrungskette auch mehr Fischfutter. Das Egli (Flussbarsch) sowie das Rotauge, aber auch andere, so genannte Weissfische, gehörten zu den Profiteuren dieser Entwicklung. Ursprünglich waren Egli und Rotauge eher im Uferbereich zu Hause, wo das Futterangebot natürlicherweise am höchsten ist. Die Überdüngung erweiterte ihren Lebensraum in den nun ebenfalls futterreichen offenen See hinaus. Die Weissfische wurden immer grösser und immer fetter. Dass Phosphorüberschuss im Wasser fast stets mit Sauerstoffarmut am Grund verbunden ist, störte sie nicht: Das Rotauge laicht im Schilfgürtel, das Egli in den seichten Krautbeständen am Ufer. Am Rande des Komas Etliche Seefische aber, namentlich die Felchen, deponieren ihre Eier am Grund. Wenn hier der Sauerstoff zu knapp wird, kann sich die Brut nicht entwickeln. Vier Milligramm Sauerstoff pro Liter ist ein kritischer Wert, bei dem die meisten Lebewesen unserer Seen nicht mehr existieren können. Ein gesunder See enthält rund zwölf Milligramm pro Liter. Anfang der 80er-Jahre war der Hallwilersee beinahe tot. Wegen des hohen Wintergäste aus dem Norden: Reiher- und Tafelente Nachgebaut: Das Pfahlbauhaus Foto: Andreas Krebs Wanderung NATUR Winterruhe: Idyllischer Wasserspiegel am Uferweg Anteils an Phosphat bildeten sich riesige Algenteppiche. Die abgestorbenen Algen sanken auf den Seegrund und verrotteten. Dabei wurde der dort vorhandene Sauerstoff verbraucht. Der faulige Schlamm sondert zeitweise giftige Substanzen wie Ammonium oder Schwefelwasserstoff ab. Darüber hinaus setzt der Sauerstoffmangel einen chemischen Prozess in Gang, bei dem jener Phosphor wieder ins Wasser gelangt, der im Laufe der letzten Jahrzehnte im Sediment (Seegrund) abgelagert wurde – und somit dem Kreislauf vorübergehend entzogen war. Diesen Teufelskreis nennt man «interne Seedüngung». Atmosphäre versorgt. Der vollständig durchmischte See reichert sich so mit rund 1000 Tonnen Sauerstoff an. Im Sommer wird dem See künstlich Sauerstoff zugeführt: Reiner Sauerstoff wird direkt über dem Seegrund in feinen Blasen dem Wasser zugegeben. Damit werden 400 bis 600 Tonnen des im Tiefenwasser verzehrten Sauerstoffs ersetzt. Die erwärmte Oberflächenschicht des Sees wird dabei nicht gestört. Durch diese künstliche Beatmung sowie durch die Reduzierung des Düngereinsatzes konnte der Phosphatgehalt des Hallwilersees von 250 Milligramm pro Liter Wasser auf etwa 50 reduziert werden. Druckluft mischt das Wasser auf Der Natur auf der Spur Seit 1985 wird der Hallwilersee künstlich belüftet. Im Winter wird über Düsen am Seegrund Druckluft eingeblasen – so erhält der See zusätzlich zur natürlichen, temperaturbedingten Umwälzung eine künstliche Zirkulationshilfe. Wasser wird dabei aus der Tiefe an die Oberfläche transportiert und mit Sauerstoff aus der beim Seenger Schiffssteg Nach der Hälfte des Weges erreicht der Wanderer Mosen. Ein romantischer Weg führt durch das Altmoos. Diesen Weg sollte man allerdings nur bei trockener Witterung nehmen. Regnet es, führt ein Weg aussen herum nach Aesch. An der Strasse Mosen–Aesch steht die reizvolle Kapelle St. Wendel mit ihrem roten Zwiebelturm. Als Fischräuber verschrien: Gänsesäger-Pärchen «Der Natur auf der Spur» heisst der Weg, der von hier nach Norden führt. Zahlreiche Tafeln informieren über «Spuren im Wald», den «See», das «Ufergehölz» und so weiter. Mit dem Teufenbach quert der Weg wieder die Kantonsgrenze zurück in den Aargau und weiter steht: «Der Bach», «Wild und Wald». Durch das Erlenhölzli, ein schöner Laubwald, verläuft der Weg in einiger Entfernung zum Ufer. Vor dem Restaurant Seerose kommen wir wieder an den See. Dieses und das Restaurant Delphin bieten nach rund vier Stunden Wandern Rastmöglichkeiten. Von hier, aber auch von anderen Orten (siehe Karte auf Seite 21), fahren ab 5. März an Sonntagen wieder Kursschiffe. Mit ihnen lässt sich die Wanderung beliebig verkürzen. Mittelsteinzeit und Bauvorschriften Weiter geht es. Links See, rechts Rebberge. Bald erscheint erhöht das Schlosshotel Brestenberg. Die Wanderung führt durch das Seenger Moor, ein weiteres Feuchtgebiet, das Pro Natura schützt und pflegt. Oberhalb des schön angelegten Weges liegen Seengen AG und der Eichberg, ein herrlicher Aussichtspunkt. In der Nähe der Schiffsstation steht die Rekonstruktion eines rund 5000 Jahre alten mit Schilf bedeckten Pfahlbaus aus der Jungsteinzeit. Der Hallwilersee ist ein Erbe der letzten Eiszeit, also zwischen 10 000 bis 115 000 Jahre alt. Ein Seitenarm des Reussgletschers stiess bei seiner grössten Ausdehnung bis Seon AG vor und hinterliess dort eine mächtige Stirnmoräne. Bereits während der Mittelsteinzeit, der Bekassine: Brütete letztmals 1955 im Boniswiler Ried 2-2006 19 ■ Schiffsstationen Abkürzungen per Schiff Fahrplanauskunft: Schifffahrtgesellschaft Hallwilersee, Telefon 056 667 00 00, www.schifffahrt-hallwilersee.ch Abkürzungen zu Fuss Stichwort Hallwilersee Beste Jahreszeit: Ganzjährig interessant Anreise: Der Ausgangspunkt Boniswil AG liegt auf der Regionalzugstrecke Lenzburg–Luzern (entlang des Westufers); er ist von Luzern aus direkt, von Zürich aus mit Umsteigen in Lenzburg zu erreichen. Das Ostufer wird mit Buslinien erschlossen. Ausrüstung: Landeskarte 1:25 000 Blatt 1110 Hitzkirch, leichte Trekking- oder Wanderschuhe, Feldstecher. Reproduziert mit Bewilligung von swisstopo (B067564) Wanderung NATUR Jungsteinzeit und der Bronzezeit lebten Menschen in Seeufersiedlungen am Hallwilersee. Bei Seengen siedelten später Römer. Um 1300 hatte der See verschiedene Namen: «Halwiler se», «lacus de Seingen», «Escherse». Dann aber setzte sich der Name der Vögte von Hallwyl durch. Späte Öffnung für das gemeine Volk Erst 1859 wurde der Hallwilersee zu einem öffentlich zugänglichen Gewässer. Bereits 1935 wurden in einem Dekret zum Schutz der Uferzonen sehr restriktive Bauvorschriften erlassen. So konnten die Ufer des Sees weit gehend freigehalten werden. Der Hallwilersee ist 8,4 Kilometer lang, an der breitesten Stelle 1,5 Kilometer breit und maximal 48 Meter tief. Seine Fläche misst 10,3 Quadratkilometer; davon liegen fünf Sechstel im aargauischen Bezirk Lenzburg und ein Sechstel im Amt Hochdorf des Kantons Luzern. Das Dorf Hallwil AG liegt interessanterweise nicht am See, Zeitaufwand: Marschzeit zirka sechs Stunden, keine topographischen Schwierigkeiten. Schutzstatus: Seit Jahrzehnten stehen See und angrenzendes Ufergelände unter Naturschutz. Am Nord- und am Südende sind je ein grösseres Naturschutzgebiet ausgeschieden, das der Öffentlichkeit nicht zugänglich ist. Verhalten im Schutzgebiet: Wege nicht verlassen, Hunde an die Leine nehmen, Feuer machen und Campieren verboten, mit Booten 50 Meter Abstand zum Schilfgürtel halten. sondern etwa zwei Kilometer von dessen nördlichem Ende entfernt. Nach knapp sechs Stunden Wandern ist das prächtige Wasserschloss Hallwil erreicht. Es steht auf einer Insel des Aabachs und beherbergt die grösste TurmdohlenKolonie der Schweiz. Der letzte Besitzer aus dem Geschlecht von Hallwyl starb 1921. Seit 1924 ist die ganze Anlage in eine Stiftung übergegangen. Im Schloss ist ein Wohnmuseum, das ab Ostern geöffnet ist. Von hier dauert es zu Fuss bis zum Bahnhof Boniswil noch eine halbe Stunde – der Bus, der gleich neben dem Schloss hält, schafft die gleiche Strecke in fünf Minuten. ■ Erstrahlt in neuem Glanz: Das renovierte Wasserschloss Hallwil Natürlich | 2-2006 21