Baubeschreibung Vorgeschichte Die Bundesstraße B 312 stellt eine wichtige regionale Entwicklungsachse zwischen den Oberzentren Stuttgart – Reutlingen – zur Schwäbischen Alb und weiter zum oberschwäbischen Raum dar. Der Streckenzug ist ein bedeutender Albaufstieg. Diese Achse ist bereits historisch begründet. In Reutlingen führt die B 312 durch die Innenstadt. Eine Verkehrsbelastung bis zu 65.000 Kfz/24h sowie eine enorme Belastung an Lärm und Schadstoffen sind hier zu verzeichnen. Die ersten Überlegungen für eine Ortsumgehung von Reutlingen gehen bis Mitte der 1960-er Jahre zurück. Die Zielsetzung der Planung war die Verbesserung der Verkehrssituation und natürlich die Entlastung der Ortsdurchfahrt von Reutlingen vom starken Durchgangsverkehr. Vor allem die Entlastung der Hauptverkehrsader „Karlstraße“ und der Reutlinger Oststadt vom immer größer werdenden Schleichverkehr war das Ziel der Verkehrsplaner. In enger Abstimmung und im Auftrag der Straßenbauverwaltung Baden-Württemberg hat die Stadt Reutlingen in den Jahren 1993 bis 1997 ein Bebauungsplanverfahren für die “Umgehungsstraße Scheibengipfeltunnel“ durchgeführt. Das Baurecht für dieses vordringliche Bundesstraßenprojekt wurde zunächst über einen Bebauungsplan der Städte Reutlingen und Eningen geschaffen. Die Gemeinderatsgremien beider Kommunen haben am 17. Juni 1997 den Bebauungsplan mit überwältigender Mehrheit als Satzung beschlossen. Nachdem dieser im Normenkontrollverfahren beim VGH überprüft wurde erlangte der Bebauungsplan „Umgehungsstraße Scheibengipfel“ am 22. Mai 2000 endgültig Rechtskraft. Durch die Änderung der Tunnelrichtlinie (RABT) und der damit verbundenen höheren Anforderungen an die Tunnelsicherheit wurde nachträglich (zusätzlich zum eigentlichen Straßentunnel) ein Flucht- bzw. Rettungsstollen eingeplant. Bei dieser Gelegenheit wurde auch die Lüftungskonzeption nochmals optimiert und geändert. Aufgrund von Änderungen in den Sicherheitsrichtlinien für Tunnel wurde im Dezember 2006 ein ergänzendes Planfeststellungsverfahren eingeleitet, das mit den Planfeststellungsbeschlüssen vom 30.06.2008 bzw. 09.12.2008 zum Abschluss gebracht wurde. Im Februar 2009 wurde die Maßnahme in das Konjunkturpaket II der Bundesregierung aufgenommen und im August 2009 mit dem Bau der Maßnahme begonnen. Straßenbau Die Ortsumgehung Reutlingen im Zuge der B 312 umfährt die Kernstadt Reutlingen im Osten ‒ sie wird im Süden, in der Nähe des Südbahnhofs, an die bestehende B 312 Ortsumgehung Pfullingen angebunden und im Norden beim sogenannten Efeuknoten höhenfrei mit der bestehenden Bundesstraße B 28 / B 312 Reutlingen/Metzingen verknüpft. Die Ortsumgehung bringt eine deutliche Verkürzung (3 km statt über 5 km) des künftigen B 312-Straßenzuges. Entlang der hochbelasteten Ortsdurchfahrt wird es nach Inbetriebnahme des Scheibengipfeltunnels zu einer wesentlichen Reduzierung von Lärm und Luftschadstoffen kommen und den staugeplagten Verkehrsteilnehmern in Zukunft das Passieren von mehr als 20 Lichtsignalanlagen ersparen. Die neue Ortsumgehung ist 3,1 km lang. Die prognostizierte Verkehrsbelastung im Jahr 2020 liegt bei ca. 20.000 Kfz/Tag. Der heutige Schwerverkehrsanteil liegt bei ca. 8 Prozent. Der Straßenquerschnitt für die neue Bundesstraße ist ein Sonderquerschnitt SQ 11,0 mit 8,0 m befestigter Fahrbahn und beidseitigen Schotterbanketten. Der kleinste Radius der Haupttrasse beträgt R = 450 m (im Süden) und geht dann in die Auf- und Abfahrrampe im Süden über. Die größte Steigung liegt im Bereich der Unterfahrung der bestehenden B 312 bei 5 %. Sie verringert sich dann auf rund 3 % vor dem Südportal und geht in 0,8 % Steigung innerhalb des Tunnels über. Der überwiegende Teil der neuen Ortsumgehung wird mit 2,5 % Querneigung ausgeführt. Die Strecke wird als Bauklasse I ausgebaut. Der Aufbau der Straße entspricht der RStO 2001, Zeile 3 und weist eine Gesamtstärke von 70 cm auf. Referat 47.1 / Regierungspräsidium Tübingen / B 312 Ortsumfahrung Reutlingen - Scheibengipfeltunnel -2- Bauablauf Am 18. August 2009 fand der erste Spatenstich für die Gesamtmaßnahme statt. Dies war gleichzeitig der Baubeginn für das Brückenbauwerk 2, das Ende Dezember 2010 fertiggestellt wurde. Parallel hierzu erfolgten im südlichen Bereich umfangreiche Leitungsverlegungen. Bereits im Winter 2009/2010 wurden die Rodungsarbeiten für die gesamte Strecke durchgeführt. Ende 2009 wurde im Nordbereich, vom sogen. Efeuknoten her mit dem Straßenbau und dem Brückenbauwerk Nr. 10 begonnen. Auch diese Arbeiten wurden Ende Dezember 2010 fertiggestellt. Ab Januar 2011 wird mit dem Voreinschnitt vom BW 2 zum Südportal und der Hangsicherung beim Südportal begonnen. Parallel dazu wird, nachdem das BW 10 im Norden befahren werden kann, der Straßenbau und die Hangsicherung bis zum Nordportal erfolgen. Die Ausschreibung des Scheibengipfeltunnels ist für das Frühjahr 2011 vorgesehen, nachdem die erforderlichen Mittel freigegeben wurden. Baubeginn für den Tunnel mit dem Flucht- und Rettungsstollen ist ab Frühjahr/Sommer 2012. Die Bauzeit des Tunnels wird rund 4 Jahre in Anspruch nehmen, danach folgt noch die Ausstattung des Tunnels. Parallel zum Bau des Scheibengipfeltunnels ist vorgesehen, im Süden das Kreuzungsbauwerk mit der bestehenden B 312 (BW 1), die Grundwasserwanne, das Regenrückhaltebecken und das Pumpwerk zu errichten. Diese Arbeiten sind ab Ende 2012 eingeplant. Für das BW 1 ist eine 4-spurige provisorische Umfahrung der Baugrube vorgesehen. Im Anschluss daran erfolgen der ausstehende Straßenbau und die üblichen Ausstattungsarbeiten. Überschussmassen Von den insgesamt 500.000 m³ Überschussmassen entfallen: ca. 230.000 m³ auf den 1,91 km langen Straßentunnel (Scheibengipfeltunnel), ca. 40.000 m³ auf den 1,94 km langen Flucht- bzw. Rettungsstollen u n d ca. 230.000 m³ auf die Einschnittsbereiche im Norden und Süden der neuen Umgehungstrasse im Zuge der B 312. Die anfallenden Überschussmassen sollen auf den nächstgelegenen Erddeponien entsorgt werden. Hydrogeologische Verhältnisse und Entwässerung Scheibengipfeltunnel In den quartären Deckschichten und der Tonstein-Verwitterungszone liegt ein lokal begrenzter Porengrundwasserleiter vor. Der Tonstein ist geringleitend. Wegen der geringen Wasserdurchlässigkeit des Gebirges wird im Allgemeinen der Wasserandrang während des Tunnelvortriebs gering sein und sich größtenteils auf tropfende Zutritte beschränken. Nur in stärker geklüfteten Bereichen und in Störungszonen kann der Wasserandrang lokal bis auf 0,5 - 1 l/s ansteigen. Die Tunnelentwässerung kann damit standardmäßig hergestellt werden. Südbereich Der gesamte Knoten Südbahnhof liegt unterhalb des Geländeniveaus. Der tiefste Punkt liegt im Bereich der Kreuzung mit der bestehenden B 312 etwa 7 m unter dem Gelände. Es wurde in allen Erkundungsbohrungen Grundwasser festgestellt, deren Leiter die genannten Talkiese sind. Für den Straßenbau im Bereich des GW ist eine Grundwasserwanne auf eine Länge von ca. 154 m erforderlich. Die Entwässerung wird in zwei Abschnitte unterteilt. Abschnitt I: Tunnelbereich und höher liegende Bereiche Süd. -3Das anfallende Oberflächenwasser von Fahrbahnen, Böschungen, Außenflächen und vom Tunnelbereich wird über Mulden und Längsleitungen im Freispiegelgefälle gesammelt und über ein bestehendes Regenklärbecken in den Arbachgraben eingeleitet. Abschnitt II: Bereiche im Süden unterhalb der Vorflut einschl. GW-Wanne Sämtliches Oberflächenwasser wird in einem Regenrückhaltebecken gesammelt und über ein Pumpwerk (BW 4) und eine Druckleitung ebenfalls dem best. Regenklärbecken und anschließend dem Arbach zugeleitet. Nordbereich Der Hochpunkt der Trasse liegt ca. 120 m vor dem Nordportal im Tunnel. Das gesamte Straßenwasser vom Nordbereich wird über Mulden und Längsleitungen über das Bauende hinaus in das bestehende Regenklärbecken im Knoten Efeu geleitet. Das RKB wurde beim 4-spurigen Ausbau der B 28 ReutlingenMetzingen für die Abflussmengen aus diesem Streckenabschnitt der B 312 OU Reutlingen bereits bemessen. Scheibengipfeltunnel Der Scheibengipfeltunnel stellt als Kernbauwerk der östlichen Umgehung der Stadt Reutlingen eine Verbindung zwischen der B 28 / B 312 neu (Knoten Efeu) im Norden und der B 312 neu im Süden her. Der 1,9 km lange Tunnel unterfährt den gleichnamigen Höhenrücken (Scheibengipfel), der dem Hausberg der Stadt Reutlingen, der Achalm, vorgelagert ist. Die maximale Überdeckung des Tunnels beträgt ca. 100 m. Der kleinste Radius im Tunnelbereich beträgt 550 m, der überwiegende Teil der Trassierung besteht aus einer Geraden und einem Radius R = 5.000 m. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit im Tunnel wird voraussichtlich auf 70 oder 80 km/h festgelegt; es besteht Überholverbot. Von dem 1,9 km langen Tunnel werden 1.620 m in bergmännischer Bauweise ausgeführt sowie am Südportal 240 m und am Nordportal 50 m in offener Bauweise. Der Tunnel ist als zweischalige Konstruktion mit einer bewehrten Außenschale aus Spritzbeton und einer Stahlbeton-Innenschale konzipiert. Die Innenschale wird als wasserundurchlässige Betonkonstruktion (WU-Beton) ausgeführt. Die Ausbruchfläche des Hauptstollens beträgt ca. 99 m². Dies reicht für ein Lichtraumprofil mit einer Breite von 9,50 m und einer Höhe von 4,50 m aus. Der Rettungsstollen ist mit einer Ausbruchfläche von in der Regel 20 m² wesentlich kleiner. Hier beträgt das Lichtraumprofil 2,80 m x 3,10 m. Das Rettungskonzept sieht einen mit einem Achsabstand von 21 m parallel verlaufenden Rettungsstollen vor. Der Tunnel ist über 7 Querschläge (Fluchtstollen) mit dem Rettungsstollen verbunden. Jeder zweite Querschlag ist aufgeweitet und im Haupttunnel als Nothaltebucht ausgebaut. Der Achsabstand der Querschläge beträgt 240 m. Der Rettungsstollen ist zudem für kleine Einsatzfahrzeuge befahrbar. Der Rettungsstollen wird unter einem dauernden Überdruck gegenüber der Umgebung gehalten. Dies bewirkt im Brandfall, dass bei geöffneten Fluchttüren keine Gase in den Flucht- und Rettungsstollen gelangen können. Im Regelbetrieb erfolgt die Längslüftung im Scheibengipfeltunnel durch die Erzeugung eines Luftstromes längs der Tunnelröhre durch die Überlagerung der Kolbenwirkung der Fahrzeuge. Für den Ereignisfall (Brandfall) ist eine Rauchabsaugung über eine Zwischendecke mit steuerbaren Absaugöffnungen vorgesehen. Diese begrenzt die Rauchausbreitung. Die abgesaugten Rauch- und Brandgase werden am südlichen Betriebsgebäude ausgeblasen. Für die Unterbringung der betriebs- und steuerungstechnischen Anlagen ist im Süden und im Norden des Tunnels jeweils ein Betriebsgebäude geplant. Im Süden ist der Rauchauslaß, im Norden ist der Ausgang des 3 Rettungsstollens auf Straßenniveau und ein Löschwasserbecken mit 72 m Inhalt integriert. Im Süden liegt der Ausgang des Rettungsstollens auf Gemarkung Eningen und führt in die Straßen „Betzenriedweg“ und August-Lämmle-Straße“. Im Norden liegt der Ausgang auf Gemarkung Reutlingen und führt direkt auf die B 312 OU Reutlingen.