Lörrach und der Nationalsozialismus

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Lörrach und der
Nationalsozialismus
Begleitband zur Ausstellung
Dieser Begleitband erscheint zur gleichnamigen Ausstellung im Dreiländermuseum
und ergänzt die zeitgleich erschienene wissenschaftliche Publikation
„Zwischen Fanatismus und Distanz – Lörrach und der Nationalsozialismus“.
Lörracher Hefte Nr. 18, hrsg. v. Markus Moehring und Andreas Lauble
Inhalt
Lörracher Hefte – Rote Schriftenreihe des Dreiländermuseums Lörrach
Bisher erschienen (bis Heft 15 unter dem Namen Museum am Burghof):
Heft 1: Zwischen zwei Welten – Türkisches Leben in Lörrach (1996)
Heft 2: Berühmte Expressionisten – Werke aus der Sammlung des Museums am Burghof (1997)
Heft 3: Lörrach 1848/49 – Essays, Biographien, Dokumente, Projekte (1998)
Heft 5: Halt Landesgrenze! Schmuggel und Grenzentwicklung im Dreiländereck (2000)
Heft 6: Gedruckte Träume – 250 Jahre KBC Lörrach (2003)
Heft 7: Jüdisches Leben in Lörrach/ Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft (2007)
Heft 8: Stetten und seine Geschichte – Aufsätze und Forschungsbeiträge (2008)
Heft 9: entartet – zerstört – rekonstruiert – Die Sammlung „Cohen-Umbach-Vogts“ (2008)
Heft 10: Der Oberrhein um 1900/ Le Rhin supérieur vers 1900 (2009)
Heft 11: Johann Peter Hebel. Bewegter Geist, bewegtes Leben (2010)
Heft 12: August Babberger. Der badische Expressionist (2010)
Heft 13: Max Laeuger. Die Sammlung in Lörrach (2011)
Heft 14: Gottfried Legler. Ein Künstlerleben (2011)
Heft 15: Kaltenbach. Aus Lörrach in die Welt (2012)
Heft 17: Dreiländer-Rezepte/Recettes des Trois Pays (2013)
Heft 18 : Nationalsozialismus in Lörrach (2013)
Lörracher Hefte – Gelbe Schriftenreihe der Stadt Lörrach
Bisher erschienen:
Heft 4: Burghof Lörrach. Das Haus – Das Programm – Die Vorgeschichte (1999)
Lörracher Hefte – Blaue Schriftenreihe des Stadtarchivs
Bisher erschienen:
Heft 16: Friß‘n wäg dr Schnägg. – Fastnacht in Lörrach (2013)
Heft 18: Nationalsozialismus in Lörrach (2013, Kooperationsprojekt mit dem Dreiländermuseum)
Zur Einführung
Vorwort der Oberbürgermeisterin
2
Historische Quellen im Stadtarchiv
3
Die Sammlung im Dreiländermuseum
6
Bisherige Publikationen und Ausstellungen
9
Nationalsozialismus in Lörrach
Vorgeschichte
12
„Machtergreifung“
16
Lokale NS-Politik
24
Herrschaftsmechanismen
30
Widerstand und Opfer
38
Zweiter Weltkrieg
46
Umgang mit der NS-Zeit
52
Das Projekt
Anlass und Umsetzung des Projektes
53
Die Ausstellung
55
Impressum
62
1
Lörracher Heft zum Projekt
„Lörrach und der Nationalsozialismus“
Historische Quellen im
Stadtarchiv Lörrach
Gudrun Heute-Bluhm, Oberbürgermeisterin
Andreas Lauble, Stadtarchivar
Zur Geschichte von Lörrach gehört auch
die Zeit des „Dritten Reiches“. 1933 übernahmen die Nationalsozialisten das Bürgermeisteramt, bis 1945 spielte für ihre Herrschaft
vor Ort das Rathaus eine wichtige Rolle. Viele waren fasziniert vom neuen Regime – trotz
seiner brutalen Gewalt gegen Andersdenkende
und Ausgegrenzte auch in Lörrach. Mit diesem
schwierigen Kapitel ihrer Geschichte setzt sich
die Stadt im Projekt „Lörrach und der Nationalsozialismus“ intensiv auseinander. Drei Jahre lang forschte der Freiburger Historiker Dr.
Robert Neisen dazu im Auftrag des Gemeinderates und legte im April 2013 eine wissenschaftliche Dokumentation vor.
Das Buch beleuchtet unter anderem umfassend die Rolle der Stadtverwaltung in jener
Zeit. Lörrach steht dabei stellvertretend für
viele deutsche Städte. Zugleich gibt es hier
spezifische Besonderheiten durch die Nähe
zur Schweiz. Wie kaum sonstwo in Deutschland sahen sich die Nationalsozialisten einem
Land und einer Bevölkerung gegenüber, die
nicht ihrem Herrschaftsbereich unterworfen
waren. Das Buch wurde am Beispiel Lörrach
zu einem grundlegenden Beitrag zur aktuellen Forschung über das nationalsozialistische
Herrschaftssystem.
2
Das Projekt „Lörrach und der Nationalsozialismus“ beschränkt sich aber nicht allein auf
diese Publikation. Gleichzeitig mit der Buchvorstellung wurde im Dreiländermuseum eine
große Ausstellung mit Dokumenten aus dem
Stadtarchiv und Originalen aus der Museumssammlung eröffnet. Ein breites Rahmenprogramm vertieft einzelne Aspekte und Themen.
Dieser Band in der Reihe „Lörracher Hefte“ hält
die Überblickstexte der Ausstellung fest. Sie
bieten eine Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse der wissenschaftlichen Publikation. Außerdem enthält der Band zahlreiche
Abbildungen, für die im wissenschaftlichen
Buch kein Raum war. Auch sie sind wichtige
Zeugnisse und authentische Belege jener Zeit
in Lörrach.
Mich freut, auf welch großes Interesse das
Projekt „Lörrach und der Nationalsozialismus“
bei der Bevölkerung gestoßen ist. Intensiv setzen sich in der Ausstellung und den sie begleitenden Veranstaltungen viele Menschen aller
Generationen mit dem NS-Regime auseinander – ein ermutigendes Signal auch für die Zukunft. Der vorliegende Band soll einen Beitrag
dazu leisten, dass Diskussion und Nachdenken
auch nach dem Ende des Projektes weitergeführt werden.
Das Stadtarchiv Lörrach ist per Gesetz
beauftragt, schriftliche Unterlagen von bleibendem Wert zu erhalten, die im Rathaus
entstanden sind. Nach Ablauf von Sperr- und
Schutzfristen verwandeln sich diese Unterlagen
in „historischen Quellen“. Sie sind dauerhaft
im Archiv aufzubewahren und für die Nutzung
durch interessierte Bürger, Wissenschaftler
oder Pressevertreter zu erschließen. Solche historische Quellen bilden die Grundlage sowohl
für das Buch als auch für die Ausstellung zum
Nationalsozialismus in Lörrach. Das Stadtarchiv Lörrach verfügt über mehrere tausend Seiten schriftlicher Überlieferung zu jenem dunklen Kapitel deutscher Geschichte. Eine kleine
Auswahl dieser historischen Quellen sollen im
Folgenden exemplarisch vorgestellt werden.
Die meisten dem Forschungsprojekt zugrunde liegenden Informationen stammen aus
zeitgenössischen Akten. Als gutes Beispiel für
die Folgen eines reichsweiten Gesetzes für den
Alltag der Menschen in Lörrach kann die Akte
mit dem Titel „Die Durchführung des Gleichschaltungsgesetzes“ gelten. Das „Gleichschaltungsgesetz“ sorgte auch in der südbadischen
Grenzstadt dafür, dass 1933 Gemeinderat und
Bürgerausschuss aufgelöst und im Sinne der
örtlichen NSDAP neu besetzt wurden. Aus der
Akte ist beispielsweise zu entnehmen, dass die
Verwaltungsakte mit dem Titel: „Die Durchführung des Gleichschaltungsgesetzes“. Diese Akte ist die wesentliche historische Quelle zur Gleichschaltung von
Gemeinderat und Bürgerausschuss in Lörrach. (StALö IV.2/74)
3
Mitglieder der Zentrumsfraktion im Gemeinderat geschlossen ihre Mandate niederlegten.
Damit manifestierte sich der Protest gegen die
unlautere Wahl von Reinhard Boos zum neuen
Bürgermeister.
Informationen zu handelnden oder betroffenen Personen im gleichgeschalteten Lörracher Rathaus sind vor allem den Personalakten
zu entnehmen. Besonders aufschlussreich in
diesem Zusammenhang: die Akten von Bürgermeister Reinhard Boos, seines Vorgängers
Dr. Heinrich Graser oder die des entlassenen
Rechnungsdirektors Joseph Pfeffer. Eine genaue Auswertung dieser Akten ermöglichte die
Rekonstruktion der Ereignisse in Lörrach zur
Zeit des „Dritten Reichs“ und deren zeitliche
Abfolge.
Ein Sterbeeintrag im Standesregister der
Gemeinde Brombach wiederum gibt Auskunft
über das traurige Schicksal des polnischen
Zwangsarbeiters Stanislaus Zasada. Dieser unterhielt eine Liebesbeziehung zu einer Einheimischen und wurde deshalb am 16. Oktober
1941 zum Tode verurteilt und im Beisein vieler
Zwangsarbeiter erhängt.
Das Stadtarchiv Lörrach versteht sich als
Anlaufstelle in allen Fragen zur Stadtgeschichte. Gesammelt werden deshalb nicht nur Unterlagen, die in der Stadtverwaltung selbst
entstanden sind, sondern auch Dokumente
nichtamtlicher Herkunft wie Regionalzeitungen oder Nachlässe von Personen, Vereinen und
Betrieben. Von großem Interesse sind stets alle
Arten von Fotografien. Als Bildquelle belegen
sie eindrücklich die historische Entwicklung einer Stadt. Die Fotosammlung des Stadtarchivs
Lörrach umfasst mehrere tausend Fotos, viele
davon aus der Zeit des Nationalsozialismus.
Besonders hervorzuheben sind zwei einzigartige Fotoserien aus dem Jahre 1940, deren
Bedeutung weit über die Regionalgeschichtsforschung hinausreicht. Eine Serie zeigt in 25
Aufnahmen die Deportation der Lörracher
Juden. Diese fand am 22. Oktober 1940 „vor
aller Augen“ statt. Die zweite Serie dokumentiert in 17 Bildern öffentliche Versteigerungen.
Angeboten wurden die Wertgegenstände der
Deportierten nur wenige Wochen nach deren
Eine Frau in Markgräfler Tracht liest die nationalsozialistische
Zeitung „Der Alemanne“, die als regionales Propagandaorgan
die NS-Ideologie verbreitete.
(StALö 2.43.206; Foto: E. Zürcher)
4
Flugblatt, das 1933 an der Grenze
Riehen-Stetten von Basler Sozialdemokraten verteilt wurde. Es warnte
Schweizer Ausflügler bereits zu
diesem frühen Zeitpunkt vor der
Einreise ins nationalsozialistische
Deutschland: „Meidet deshalb das
Land der Unfreiheit, des Terrors,
der Barbarei!“ (StALö XI.2.60)
Abtransport. Die Bildquellen sind bedrückende Zeugnisse der Judenverfolgung in Lörrach.
Vergleichbare Ereignisse gab es in vielen deutschen Städten, fotografische Quellen hingegen
sind allem Anschein nach in diesem Umfang
nur im Lörracher Stadtarchiv zu finden. Die
besondere Bedeutung der beiden Serien wurde
vom Berliner Dokumentationszentrum „Topographie des Terrors“ mit einer Sonderausstellung gewürdigt, die im Jahre 2011 stattfand.
5
Die Sammlung im Dreiländermuseum
Markus Moehring, Museumsleiter
Aus der Nordwestschweiz:
Geschenk von Wilhelm
Gustloff, Landesgruppenleiter der NSDAP-Auslandsorganisation Schweiz, an
die NSDAP Basel vom
9. November1933 zum
zehnten Jahrestag des gescheiterten Putsches Adolf
Hitlers in München.
(DLM: P 312)
Das Dreiländermuseum betreut eine der
umfangreichsten Museumssammlungen zur
Zeit des Nationalsozialismus am Oberrhein.
Sie ist entsprechend dem Profil des Museums
regional und grenzüberschreitend ausgerich-
6
tet und bezieht sich auf Baden, das Elsass und
die Nordwestschweiz. Die Sammlung umfasst
weit über tausend Objekte und vermittelt ein
anschauliches Bild der damaligen Zeit. Recherchen in der Sammlung sind teilweise auch online möglich.1
Das erste große trinationale Projekt des
Museums „Nach dem Krieg“ (1995) bildete
den Auftakt für eine Intensivierung und grenzüberschreitende Erweiterung der Sammlungstätigkeit.2 Objekte aus Baden spiegeln das NSHerrschaftssystem ebenso wie den Terror des
Regimes. Filme und Kinowerbung aus Lörrach,
dem Markgräflerland und dem angrenzenden
Elsass geben darüber hinaus ein anschauliches
Bild vom damaligen Alltag.
Aus dem Elsass kamen zahlreiche Objekte
aus der NS-Zeit in die Sammlung, weil sie dort
nach 1945 eher erhalten blieben als im besetzten Baden. Obwohl dort eine rege Sammlerszene existiert, zeigten elsässische Museen eher
weniger Interesse an ihrem Erwerb und wichtige
Objekte kamen ins Dreiländermuseum – zum
Beispiel die Straßburger Führerstandarte sowie
die Schirmmütze von Gauleiter Robert Wagner
oder zahlreiche Propagandaplakate. Auch aus
der Nordwestschweiz übernimmt das Dreiländermuseum immer wieder Objekte: Eine Serie
nationalsozialistischer Propagandaplakate aus
Lörracher Betrieben blieb erhalten, weil sie über
viele Jahre in der Schweiz aufbewahrt wurde.
Die Kunstsammlung des Dreiländermuseums bietet zusätzliche wichtige Aspekte. Erhellend ist ein Vergleich der Werke von August
Babberger und Hans-Adolf Bühler: Ersterer
wurde als Direktor der Karlsruher Kunstakademie entlassen und sein Werk als „entartet“
geschmäht, letzterer vom Regime als Nachfolger eingesetzt.3 Hermann Burte, der als Dichter
im Dritten Reich großes Ansehen genoss, ist mit
repräsentativen Ölgemälden vertreten. Adolf
Riedlin, einer der großen Maler des Markgräflerlandes, dessen Nachlass das Museum betreut,
zeigt die Widersprüchlichkeit nationalsozialistischer Kulturpolitik: 1937 beschlagnahmte das
Regime im Augustinermuseum Freiburg fünf als
„entartet“ eingestufte Werke, im gleichen Jahr
konnte Riedlin einen Auftrag für ein Fresko im
Freiburger Gaswerk ausführen.4
Aus Baden:
Holzbüste Adolf Hitlers
von Valentin Oeckler
(Nürnberg), Geschenk
des badischen NSDAPGauleiters Robert Wagner
1933 zur Einweihung der
Gendarmerie-Kreiskommandatur Lörrach.
(DLM: P 28)
Aus dem Elsass:
Plakat von 1944, das die Annexion des Elsass
propagiert: Der Reichsadler überschreitet den
Rhein hin zum Straßburger Münster.
(DLM: PL 1743)
7
An ein bewegendes Schicksal erinnert die
Sammlung Cohen-Umbach-Vogts: Ursprünglich vom jüdischen Kunstkenner Walter Cohen
in Düsseldorf aufgebaut, wurden die expressionistischen Werke im Dritten Reichen als „entartet“ verschmäht und im Elsass während des
Krieges zerstört. Walter Cohen wurde im KZ
Dachau ermordet. Seine Witwe und ihr zweiter
Mann versuchten nach dem Krieg in Lörrach
eine vergleichbare Sammlung wieder zu rekonstruieren.5
1
2
3
4
5
Die Online-Datenbank ist im Aufbau:
www.dreilaendermuseum.eu, Stichwort Sammlungsdatenbank.
Das Projekt beleuchtete das Kriegsende 1945 und die ersten
Nachkriegsjahre, vgl. Simone Chiquet u.a., Nach dem Krieg,
Zürich 1995.
August Babberger, Der badische Expressionist = Lörracher
Hefte Nr. 12 (2010), S. 92.
Adolf Riedlin, hg. v. Augustinermuseum Freiburg und Museum
am Burghof Lörrach, Emmendingen 1992, S. 67.
Berühmte Expressionisten = Lörracher Hefte Nr. 2 (1997) und:
Entartet, zerstört, rekonstruiert – Die Sammlung Cohen-Umbach-Vogts = Lörracher Hefte Nr. 9 (2008).
Margret Umbach, Ölbild von Gabriele
Münter (1932). Als dieses Gemälde
entstand, war Umbach noch mit dem
einflussreichen jüdischen Kunsthistoriker Walter Cohen in Düsseldorf
verheiratet. 1942 wurde er im KZ Dachau ermordet, Umbach versteckte
seine Sammlung „entarteter“ Kunst
im Elsass, doch wurde sie dort im
Krieg zerstört. Dieses Gemälde blieb
als eines der wenigen erhalten. Nach
dem Krieg bemühten sich Umbach
und ihr zweiter Ehemann Richard
Vogts in Lörrach, Cohens Sammlung
zu rekonstruieren. Sie trugen 181
Werke bekannter Expressionisten
zusammen, sie befinden sich heute
in der Sammlung des Dreiländermuseums. (DLM: CUV 12)
8
Bisherige Publikationen und Ausstellungen zum Nationalsozialismus
in Lörrach
Markus Moehring
Das Projekt zum Nationalsozialismus 2013
war das bisher größte zur Aufarbeitung jener
Zeit in Lörrach. Für das wissenschaftliche Forschungsprojekt, die Publikation von Dr. Robert
Neisen und die große Ausstellung von Stadtarchiv und Dreiländermuseum gab es einen breiten politischen Konsens und der Gemeinderat
bewilligte dazu rechtzeitig die erforderlichen
Mittel.
In den 1950er, 1960er und 1970er Jahren war die nationalsozialistische Zeit in Lörrach noch kaum Thema lokalgeschichtlicher
Untersuchungen und Aufsätze. Stadtarchiv
und Museum nahmen zwar schon damals die
Aufgabe ernst, Dokumente zu sammeln und
für die Nachwelt zu erhalten, doch blieb dies
von der breiten Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet. In den 1980er Jahren begann eine
vorsichtige öffentliche Auseinandersetzung
mit dem Thema auch auf lokaler Ebene. 1980
veröffentlichte die Stadt Lörrach ein Gedenkbuch mit den Namen der aus Lörrach stammenden getöteten Soldaten, in dem auch die damals
bekannten Opfer der Judenverfolgung und
ermordete Regimegegner genannt wurden.1 In
der Stadtchronik von 1982 wurden gut 20
Seiten für einen kurzen wissenschaftlichen
Abriss zur NS-Zeit durch Prof. Hugo Ott reserviert.2
Im Mittelpunkt eines eigenständigen größeren Projektes stand der Nationalsozialismus
in Lörrach erstmals 1989. Das Dreiländermuseum (damals Museum am Burghof) beleuchtete unter dem Titel „Ein Weg in den Zweiten
Weltkrieg“ umfassend die Jahre 1933 – 1939
in Lörrach. Die Ausstellung machte deutlich,
wie sich die gezielte Vorbereitung des Zweiten
Weltkrieges durch das NS-Regime lokal in allen Lebensbereichen auswirkte. Zur Ausstellung erschien eine 60-seitige wissenschaftliche
Publikation, die bis dahin umfangreichste zum
Nationalsozialismus in Lörrach. Die große Resonanz auf Ausstellung und Veranstaltungen
im Museum offenbarte ein großes öffentliches
Interesse; auch der zusätzlich aufgelegte Sonderdruck des Ausstellungskataloges war bald
vergriffen.3
In der Folge entstanden immer weitere
Projekte zur Aufarbeitung der Zeit. Eine Bürgerinitiative gestaltete eine Wanderausstellung
zur Judenverfolgung. In der Badischen Zeitung
erschien eine Artikelserie von Wolfgang Göckel
über Lörrach im Nationalsozialismus, die auch
als Sonderdruck erschien.4 Lukrezia Seiler pub-
9
lizierte Briefe der jüdischen Geschwister Marie
und Joseph Grunkin aus Lörrach, die sie nach
ihrer Deportation aus dem Lager Gurs an ihre
Schwester in Riehen schrieben.5 Autoren wie
Hubert Bernnat, Friedrich Vortisch und andere
beleuchteten exemplarisch weitere Aspekte.
Ein wichtiger Ort der historischen Auseinandersetzung war stets das Lörracher Museum.
1995 beleuchtete „Nach dem Krieg“, das
erste trinationale Ausstellungsprojekt des Museums, die Endphase des Nationalsozialismus
auch in Lörrach. Die große Publikation dazu
berichtigte erstmals eine geschönte Erzähltradition zum Kriegsende in Lörrach.6 Seit 2002
widmet die permanente „Dreiländer-Ausstellung“ dem Nationalsozialismus einen eigenen
Raum und vertieft seine Inhalte durch ständige
pädagogische Angebote.7 2007 untersuchten
die Ausstellung „Hermann Burte und der Nationalsozialismus“ und ihre begleitenden Veranstaltungen die Verbindungen zwischen dem
Regime und dem bekannten Dichter und Lörracher Ehrenbürger. Zwei große Ausstellungen
(1997 und 2008) erinnerten an den im KZ getöteten jüdischen Kunstkenner Walter Cohen
und dessen rekonstruierte Sammlung expressionistischer Kunst, die das Dreiländermuseum
als Nachlass betreut.8
Die meisten Ausstellungen und Projekte
zum Nationalsozialismus widmete das Museum bislang dem Thema Judenverfolgung. Vor
diesem Hintergrund erfolgte 1995 die Gründung der Jüdischen Gemeinde im Museum
und beide gaben gemeinsam ein Lörracher
Heft zum Jüdischen Leben in Lörrach heraus.9
2000 widmete sich eine Ausstellung im Hebelsaal der Deportation in Lörrach; nach einem
10
Gedenkmarsch vom Museum zum Marktplatz
wandte sich die Oberbürgermeisterin gegen
Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Zum
70. Jahrestag der Deportation 2010 zeigte das
Stadtarchiv erstmals die gesamte Fotoserie zur
Deportation und der anschließenden Versteigerung jüdischen Vermögens. Die Publikation
dazu übernahm die Berliner Gedenkstätte „Topographie des Terrors“, wohin das Stadtarchiv
die Fotoserie im Anschluss zu einer Sonderausstellung auslieh.10 Daneben gibt es eine intensive Gedenkkultur. Die Stadt Lörrach unterstützte
die Pflege und Gedenkarbeit des Lagers Gurs sowie den Bau einer neuen Lörracher Synagoge.11
Zu ihrer Eröffnung 2008 organisierte die Stadt
das Kulturprojekt „Erinnern und Vergessen“.
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
Gedenkbuch für die Toten und Vermissten des Krieges
1939-1945, Lörrach 1980.
Lörrach. Landschaft, Geschichte, Kultur, Stadt Lörrach
(Hrsg.), 1982, S. 333-356, 386.
Markus Moehring, Ein Weg in den Zweiten Weltkrieg. Lörrach
1933-1939, in: Unser Lörrach Bd. 20 (1989), S. 6 - 66 sowie
als Sonderdruck.
Wolfgang Göckel, Lörrach im „Dritten Reich“, Lörrach 1990.
Lukrezia Seiler (Hrsg.), Was wird aus uns nur werden?
Briefe der Lörracher Geschwister Grunkin aus dem Lager
Gurs 1940-1942, Zürich 2000.
Markus Moehring, Lörrach und das Kriegsende am Oberrhein,
in: S. Chiquet u.a., Nach dem Krieg, Zürich 1995, S. 34 - 46.
Der Ausstellungskatalog führt u.a. erstmals aus,
dass Lörrachs Bürgermeister Boos im Gegensatz zu einer
verbreiteten späteren Erzählung die Stadt nicht kampflos
übergeben hat.
Aktuelle Informationen unter www.dreilaendermuseum.eu
Die Kataloge dazu: Berühmte Expressionisten = Lörracher
Hefte Nr. 2 (1997) und: Entartet, zerstört, rekonstruiert –
Die Sammlung Cohen-Umbach-Vogts = Lörracher Hefte
Nr. 9 (2008).
Jüdisches Leben in Lörrach = Lörracher Hefte Nr. 7 (2007)
Andreas Nachama und Klaus Hesse (Hrsg.), Vor aller Augen.
Die Deportation der Juden und die Versteigerung ihres Eigentums. Fotografien aus Lörrach 1940, Berlin 2011.
Markus Moehring, Gedenken an die Judendeportation in Lörrach, in: Stadtarchiv Karlsruhe (Hrsg.), Geschichte und Erinnerungskultur. Die Deportation der badischen und saarpfälzischen Juden in das Lager Gurs, Karlsruhe 2010, S. 101-109.
Nationalsozialismus in Lörrach
Dr. Robert Neisen (Ausstellungstexte)
Blick von der Turmstraße zum Kaufhaus Vortisch (heute Müller Markt) im Jahre 1938. (StALö 2.43.128; Foto: E. Zürcher)
11
Vorgeschichte
Lörrach in der
Weimarer Republik
Nach dem Arbeiteraufstand am Ende des
Ersten Weltkriegs wurde am 9. November 1918
die „Weimarer Republik“ ausgerufen. Sie war
mit ihren Grundrechten, der Einführung des
Frauenwahlrechts und des 8-Stunden-Tags politisch und sozial eine der fortschrittlichsten Demokratien ihrer Zeit. Doch litt die Republik stets
unter großen wirtschaftlichen Problemen und
der Ablehnung durch die Arbeiterbewegung
und die konservativen Eliten.
Die Situation in Lörrach war kennzeichnend
für die Probleme der „Weimarer Republik“. Die
Rückkehr der Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg
und der Zuzug von vertriebenen Deutschen aus
dem Elsass nach der Rückgliederung von ElsassLothringen an Frankreich im November 1918
führten zu hoher Arbeitslosigkeit und Wohnungsnot. Die Textilindustrie litt unter dem Wegfall der Märkte im Elsass und unter dem Verfall
der Preise. Im Zuge der Weltwirtschaftskrise kam
es zu Firmenpleiten wie dem Konkurs der Mechanischen Weberei Otto Schenz 1931.
Hunger, Massenarbeitslosigkeit, niedrige
Löhne und hohe Mieten bewirkten eine Radikalisierung der Lörracher Arbeiterschaft. Sie
wählte zunehmend die Kommunistische Partei
Deutschlands, die in Lörrach zur stärksten politischen Kraft wurde. Im Lörracher Bürgertum
wuchsen deshalb die Ängste vor einer kommunistischen Diktatur.
Die Folge war ein aggressives politisches Klima, das sich in Attentaten, Gewalt und revolutionären Unruhen niederschlug. Am 4. März 1919
verübten radikalisierte Arbeiter ein Attentat auf
Oberbürgermeister Erwin Gugelmeier wegen
angeblicher Verschiebung von staatlichen Lebensmittelvorräten.
Im Aufstand vom 14. September 1923 forderten unzufriedene Arbeiter – als Ausgleich
für die extreme Inflation – die Auszahlung der
Löhne in wertbeständigen Schweizer Franken.
Die Unruhen wurden von der Polizei gewaltsam unterdrückt.
Barrikaden in der
Wallbrunnstraße beim
Septemberaufstand
1923, der von der
Staatsmacht beendet
wurde. (StALö 2.65.50;
Foto: C. Tschira)
Dr. Erwin Gugelmeier (1879-1945), Ölbild von
Adolf Glattacker (1926). Gugelmeier, von 1906
bis 1927 erster hauptamtlicher Oberbürgermeister von Lörrach, prägte nachhaltig Lörrachs
Kommunalpolitik. (DLM: BKGl 4)
Flugblatt der Arbeitslosenkommission Lörrach, das zu einer
Demonstration gegen Massenentlassungen und Arbeitslosigkeit aufruft. (StALö XI.2.48)
12
13
Vorgeschichte
Der Aufstieg der NSDAP in Lörrach
SA-Uniform aus Lörrach
(Sturmabteilung 13). Die
mit der Uniform erhalten
gebliebene Armbinde entspricht jedoch derjenigen
eines Staffelführers der SS.
(DLM: B 172)
Wegen der freiheitlich-liberalen Traditionen Lörrachs und der starken Position der
Industriearbeiterschaft konnte die Nationalsozialistische Arbeiterpartei Deutschlands (NSDAP)
in Lörrach lange Zeit nur schwer Fuß fassen.
Die Neugründung der Ortsgruppe unter der
Führung des einheimischen Industriekaufmanns Reinhard Boos (1897 – 1979) Ende
September 1930 leitete jedoch einen schnellen
14
Aufstieg der lokalen NSDAP ein. Von Herbst
1930 bis Sommer 1932 stieg die Zahl der Mitglieder von 10 auf über 300 an.
Seit November 1930 war die NSDAP auch
im Stadtrat vertreten. In ihren Anträgen griff
sie Staatsskepsis und die Angst des selbständigen Mittelstandes vor der Großindustrie auf.
Sie kritisierte die angebliche Misswirtschaft
und „schwarz-rote“ Vetternwirtschaft in der
Stadtverwaltung und forderte einen stärkeren
Schutz der Lörracher Kleinhändler vor Warenhäusern wie dem jüdischen Kaufhaus Knopf.
Geschickt inszenierte sich die NSDAP als
Vertreter der Interessen aller Volksschichten und
als Hüter der nationalen Interessen gegenüber einem „feindseligen“ Ausland. Im „Hungerwinter“
1931/32 errichtete die NSDAP eine eigene „Notküche“ für städtische Fürsorgeempfänger. Auf
breite Zustimmung stieß ihre Forderung nach
einer Revision des Friedensvertrags von „Versailles“ (1919), der von Deutschland Gebietsabtretungen, Reparationen und eine Begrenzung
des Heeres verlangte. Auch musste Deutschland
eine Zone entlang der französischen Grenze
entmilitarisieren, zu der auch Lörrach gehörte.
Mit zunehmender Dauer der Weltwirtschaftskrise gelang der NSDAP der Einbruch in breite
Wählergruppen: Bei der Reichstagswahl im Juli
1932 wurde sie mit 34,9 Prozent stärkste Partei
in Lörrach.
Sitz der NSDAP-Kreisleitung in der damaligen Badstraße 2. Das Gebäude wurde abgerissen und stand am heutigen Senser Platz.
Das Foto wurde 1939 aufgenommen. (StALö 2.43.1; Foto: E. Zürcher)
Emailschild der NSDAP;
Herkunftsort unbekannt.
(DLM: Sch 65)
15
„Machtergreifung“
Gleichschaltung im Reich
und in Baden
Am 30. Januar 1933 wurde Adolf Hitler
von Reichspräsident Hindenburg zum Reichskanzler ernannt. Seine Ernennung war das
Ergebnis der Bestrebungen von Industriellen,
Großgrundbesitzern und rechten Strömungen
des Zentrums und der liberalen Parteien. Sie
wollten eine autoritäre Regierung bilden, der
NSDAP war lediglich die Rolle als Mehrheitsbeschaffer zugedacht.
Das Plakat zur Reichstagswahl am 5. März 1933
beschwört das Bündnis
zwischen Rechtskonservativen und NS-Bewegung.
(DLM: Pl 1761)
16
Doch es kam anders: Hitler und die NSDAP
nutzten die Regierungsübernahme, um entschlossen die Staatsgewalt an sich zu reißen.
Durch eine Mischung aus Gewalt „von unten“
und scheinlegalen Maßnahmen „von oben“
schalteten sie Staat und Gesellschaft rigoros
gleich. Während die nationalsozialistische SA
Kommunisten, Sozialdemokraten und Juden
durch brutale Gewalt einschüchterte, setzte die
Reichsregierung mit der „Verordnung zum Schutz
von Volk und Staat“ vom 28. Februar 1933 die
Grundrechte der Weimarer Verfassung außer
Kraft. Später entmachtete sie den Reichstag
und verbot sämtliche nicht-nationalsozialistischen Parteien.
Die „Verordnung zum Schutz von Volk
und Staat“ erlaubte der Reichsregierung auch
Eingriffe in die Rechte der Länder, wenn die
„öffentliche Ordnung gefährdet“ war. Die badischen Nationalsozialisten unter der Führung
von Robert Wagner (1895 – 1946) provozierten
daraufhin Anfang März Zusammenstöße mit der
badischen Staatsgewalt. Diese ermöglichten es
der Reichsregierung, Wagner am 8. März 1933
unter dem Vorwand der Wiederherstellung der
Ordnung als „Reichskommissar“ einzusetzen –
auch Baden war nun in nationalsozialistischer
Hand.
Rede von NSDAP-Gauleiter Robert Wagner
beim Kreisparteitag
1939 in Lörrach.
(StALö 2.43.153;
Foto: E. Zürcher)
Schirmmütze von Robert Wagner.
Ab 5. Mai 1933 war er als Reichsstatthalter Regierungschef in Baden
und zugleich Gauleiter der badischen
NSDAP. (DLM: B 93)
17
„Machtergreifung“
Reinhard Boos wird Bürgermeister
Das Streben der Nationalsozialisten nach
der totalen Macht erforderte auch eine Eroberung der Rathäuser. Nach der Übernahme der
Landesregierung in Baden besetzte die NSDAP
deshalb auch die badischen Rathäuser rücksichtslos mit Nationalsozialisten. Wie in Lörrach waren es meist die führenden Nationalsozialisten vor Ort, die als neue Bürgermeister
durch einen diktatorischen Akt von oben eingesetzt wurden.
Die Eroberung des Lörracher Rathauses
durch die NSDAP erfolgte in zwei Etappen:
Am 19. April 1933 ordnete der badische Gauleiter Robert Wagner der Stadtverwaltung Lörrach mit Reinhard Boos den örtlichen NSDAPKreisleiter als „Kommissar“ bei. Er war befugt,
„aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und
Ordnung die Ausführungen von Beschlüssen
des Bürgermeisters und des Stadtrats … zu
untersagen“. Gleichzeitig startete die örtliche
NSDAP eine öffentliche Kampagne gegen den
noch amtierenden Bürgermeister Heinrich
Graser, unter dessen Führung sich angeblich
Vetternwirtschaft und Verschuldung breit gemacht hätten. Ebenso erzwangen sie den Rücktritt von Gemeinderäten, die als entschiedene
Gegner des Nationalsozialismus galten.
Damit bereiteten die Nationalsozialisten den
Boden für den zweiten Schritt: Am 27. Juni 1933
ernannte der badische Innenminister Pflaumer
(NSDAP) Boos per Dekret zum neuen Lörracher
Bürgermeister. Zwei Tage später wurde Boos außerdem durch den gleichgeschalteten Gemeinderat zum Bürgermeister „gewählt“. Nach dem
Krieg benutzte Boos diesen Alibi-Akt, um die
Mär von seiner „demokratischen“ Wahl durch
den Gemeinderat zu verbreiten.
Das damalige Rathaus befand sich in der Villa Favre, die
ursprünglich von einem Fabrikanten erbaut worden war.
Das Gebäude wurde für den Neubau des heutigen Rathauses
abgerissen. (StALö 2.43.7; Foto: W. Hügin)
18
Reinhard Boos (ganz links)
bei einer Kundgebung auf
dem neuen Marktplatz.
Im Vordergrund in der Bildmitte NSDAP-Gauleiter
Robert Wagner, direkt dahinter NSDAP-Kreisleiter Rudolf
Allgeier. (StALö 2.43.7;
Foto: G. Hupfer)
Mit diesem Schreiben vom
19. April 1933 wird Reinhard Boos
der Stadtverwaltung Lörrach als
Kommissar beigeordnet. (StALö IV.2.3)
19
„Machtergreifung“
Gleichschaltung in Lörrach
Emailschild, das für die NS-Tageszeitung „Der Alemanne“
wirbt. Der Bezug der bis 1933 in Lörrach verbreiteten Basler
Nachrichten wurde verboten, das Oberbadische Volksblatt
berichtete linientreu. Auch die Presse war schon 1933
gleichgeschaltet. (DLM: Sch 71)
Die Nationalsozialisten begnügten sich
nicht mit der Eroberung der Regierungsgewalt.
Sie setzten auch die völlige Gleichschaltung
des politischen und gesellschaftlichen Lebens
durch. Dabei arbeiteten sie mit einer Mischung
aus Verhaftungen, gesetzlichen Verboten, Einschüchterung und Integrationsangeboten.
Bereits am 10. und 17. März 1933 verhafteten SA-Mannschaften führende Kommunisten und Sozialdemokraten in Lörrach, unter
ihnen die Gewerkschaftssekretäre Adolf Kieslich und Friedrich Mayer. Am 30. März verbot
20
die Landesregierung sämtliche Arbeitervereine.
Der Gemeinderat wurde, ohne Kommunalwahlen durchzuführen, nach den Stimmenanteilen der Parteien bei der Reichstagswahl vom
5. März 1933 (NSDAP: 43,9 %) neu gebildet.
Anschließend setzte die NSDAP-Fraktion politisch missliebige Gemeinderäte durch Zeitungsartikel und Drohbriefe solange unter
Druck, bis diese ihr Amt aufgaben. Kooperationswillige Gemeinderäte integrierte man in die
eigene Fraktion.
Ebenso skrupellos gingen die Nationalsozialisten gegen die Gewerkschaften vor: Nachdem ihnen die Reichsregierung mit der Erklärung des 1. Mai zum nationalen Feiertag noch
scheinbar entgegengekommen war, besetzten
SA und Polizei auch in Lörrach am 2. Mai 1933
sämtliche Gewerkschaftsbüros. Die Büros wurden geschlossen, das Vermögen in nationalsozialistisches Eigentum überführt.
Die Gleichschaltung in Lörrach war total:
Arbeiternahe Organisationen wie der Bezirkskonsumverein wurden ebenso mit führenden
Nationalsozialisten besetzt wie die städtische
Sparkasse. Die bürgerlichen Vereine wurden
streng überwacht und mussten jeden Neubeitritt beim Bezirksamt melden.
1933 erklärte das Regime den
1. Mai zum „Tag der nationalen
Arbeit“ und organisierte ab dann
jedes Jahr Kundgebungen. Dieses
Foto zeigt die Bäckerinnung Lörrach
am 1. Mai 1939 am Marktplatz.
(StALö 2.43.138)
Nach der Auflösung des Gemeinderates
berief Bürgermeister Reinhard Boos
(Mitte) im Januar 1935 ein Ratsherrengremium mit nur noch beratender
Funktion: erste Reihe von links: Otto
Albert (KBC), Ratschreiber Eduard Hügin, Bürgermeister Boos, Fabrikant Fritz
Kern, Kämmerer Werner in Uniform
und Rud. Kersten; stehende Reihe dahinter von links: Bäckermeister Gerbel
(Tumringen), Zahnarzt Otto Kiefer,
Dr. Kirchhofen, Ernst Maier, Stephan
Troendle, Friedrich Meinzer, Friedrich
Reitter (Brauerei), Emil Vogt, Tüllingens
ehemaliger Bürgermeister Läuger und
Gymnasialprofessor Dr. Philipp Hieber.
Im Hintergrund Landwirt Rupp (Stetten),
Herr Büche (KBC) und Rudolf Greiner
(Schmied). Das Foto entstand 1940.
(DLM: Fo 928)
21
„Machtergreifung“
Säuberung der Stadtverwaltung
Gleich nach seiner Beiordnung als Kommissar der Stadtverwaltung ordnete Reinhard Boos
die Säuberung der Verwaltung von Gegnern
des Nationalsozialismus an. Grundlage war das
„Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“, das die Pensionierung von politisch
missliebigen Beamten erlaubte.
Zielscheibe der Säuberungen waren vor allem Anhänger der katholischen Zentrumspartei. Im Juni 1933 entließ Boos den Ratsschreiber August Merkt. Die Begründung: „In seinem
Alter ist die geistige Umstellung zu den Ideen
der nationalen Regierung nicht mehr zu erwarten.“ Im Dezember 1933 mussten außerdem
zwei Beamte des Bauamts auf Druck von Boos
ihren Hut nehmen.
Besonders rigoros verfolgte Boos den
Rechnungsdirektor Joseph Pfeffer (Zentrum).
Er warf ihm Unfähigkeit und Vetternwirtschaft
vor und brandmarkte seine angeblich „unsoziale“ Einstellung gegenüber der Bevölkerung.
Entgegen den Empfehlungen der vorgesetzten
Behörden veranlasste Boos die Pensionierung
des erfahrenen Fachbeamten. Anschließend
versuchte er dessen Anspruch auf Ruhegehalt
zu bestreiten, was jedoch am Widerstand des
badischen Innenministers Pflaumer scheiterte.
Gegenstück zur Säuberung der Verwaltung
war die Einstellung von fanatischen Nationalsozialisten. Trotz fehlender Qualifikation ver-
22
half ihnen Boos zu einem Posten bei der Stadt.
Dabei ging Boos selbst in den Augen der nationalsozialistischen Landesregierung zu weit:
die Einstellung seines schwer vorbestraften
Schwagers als Hilfsfeldhüter musste Boos auf
Verlangen des Innenministers zurücknehmen.
Anlässlich einer 1. MaiKundgebung geschmücktes
Rathaus. (StALö 2.43.116)
Joseph Pfeffer (1879-1960), Ölbild von H. Herwig. Den 1933 von
Bürgermeister Boos entlassenen Rechnungsdirektor ernannte
die französische Militärregierung 1945 zum Lörracher Bürgermeister. Dieses Amt hatte er bis 1948 inne. (Rathausgalerie)
Im Zuge der Gleichschaltung im Lörracher
Rathaus setzt Reinhard Boos in seiner Rolle
als beigeordneter Kommissar Stadtrechnungsdirektor Pfeffer „mit sofortiger
Wirkung außer Dienst“.
(StALö Personalakte Joseph Pfeffer)
23
Lokale NS-Politik
Arbeitsbeschaffung
Die Massenarbeitslosigkeit während der
Weltwirtschaftskrise war einer der Gründe für
den Aufstieg der NSDAP. Nach der Machtübernahme verkündeten die Nationalsozialisten daher
mit riesigem Propagandaaufwand die „Arbeitsschlacht“. Vor allem mit Hilfe von öffentlichen Arbeitsbeschaffungsprogrammen sollte eine rasche
Senkung der Arbeitslosigkeit bewirkt werden.
Tatsächlich sank die Zahl der Arbeitslosen zwischen 1933 und 1936 von sechs auf eine Million.
Allerdings wurde der Abbau nur durch eine massive verdeckte Verschuldung und umfangreiche
staatliche Rüstungsaufträge erreicht.
Auch in Lörrach wollte Bürgermeister Boos
die hohe Arbeitslosigkeit entscheidend senken. In
einem Rundschreiben an 112 Lörracher Betriebe
erklärte er es im November 1933 zur nationalen
Pflicht, städtische Fürsorgeempfänger einzustellen. Für das Jahr 1934 plante die Stadtverwaltung
umfangreiche Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen:
Über 200 arbeitslose Lörracher sollten die städtische Kanalisation ausbauen, Straßen ausbessern
und neue Wohngebiete erschließen.
Doch in Lörrach blieb die Bekämpfung der
Arbeitslosigkeit hinter den Erwartungen der Nationalsozialisten zurück: Die Arbeitgeber verwei-
Plakat, das die erfolgreiche NS-Wirtschaftspolitik propagiert. Orte der Kreisleistungsschau 1939 waren die Hebelschule und der damalige Werderplatz (Kinderspielplatz).
(DLM: Pl 275)
gerten die Anstellung von Fürsorgeempfängern
weitgehend; die Finanzierung der vorgesehenen
Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen scheiterte an
der extremen städtischen Haushaltsnot. Zudem
erhielten die Lörracher Unternehmen kaum
Rüstungsaufträge. Einziger nennenswerter Erfolg in den Anfangsjahren des Regimes blieb
deshalb der Bau der städtischen Kleinsiedlung
im Homburg.
1937 von Oberarbeitsführer Eduard Helff herausgegebenes Buch
zum Reichsarbeitsdienst und dem oberrheinischen Grenzland.
(DLM: BHis 400)
S. 24 links oben und Tonfiguren unten:
Bei Sammelaktionen des Winterhilfswerks verkaufte Objekte: Holzbesteck
aus dem Schwarzwald (DLM: H 1179,
1180) und Tonfiguren aus der Werkstatt von Richard Bampi in Kandern
(DLM: Kba 111 ff). Diese wurden ab
1939 von bis zu 100 Frauen bemalt.
S. 24 Mitte: Sammelbüchse der NSSchwesternschaft. (DLM: E 1395)
Die einzige größere Baumaßnahme im
nationalsozialistischen Lörrach: die vom
Reichsstättenheimwerk errichtete Kleinsiedlung im Homburg; Aquarell von Karl
Gerstner, 1937. (DLM: BkGe 45)
24
25
Lokale NS-Politik
Grenzlandpolitik
Für die Nationalsozialisten war die Nähe
Lörrachs zur Schweiz eher bedrohlich. Viele
Regimegegner flohen über die Grenze zwischen
Lörrach und Riehen in die Schweiz. Gleichzeitig sah die Reichsregierung in den häufigen
Fahrten der Lörracher nach Basel einen unerwünschten Abfluss von Devisen. Diese benötigte das Deutsche Reich dringend für den Import ausländischer Rohstoffe, insbesondere für
die Aufrüstung.
Die Nationalsozialisten schränkten deshalb
den offenen Grenzverkehr an der deutschschweizerischen Grenze immer mehr ein. Im
Januar 1935 schloss die Landesregierung die
unbewachten Grenzübergänge zwischen Lörrach und Riehen. 1938 stellten die Behörden
die Ausgabe von Tagesscheinen für Fahrten in
die Schweiz ein. Der Umtausch von Reichsmark in Franken wurde ständig weiter begrenzt. Unterdessen warb das Regime auf den
„Braunen Grenzlandmessen“ in Lörrach 1934
und 1935 für den Kauf deutscher Produkte.
Die wachsende Abschottung gegenüber der
Schweiz führte zu massiven Klagen der Lörracher
Gastwirte und Einzelhändler über das Ausbleiben der Schweizer Kunden. Gelegentlich musste
die Reichsregierung deshalb zurückrudern: Im
Juni 1935 nahm sie nach Protesten des örtlichen
Gewerbes und der lokalen NSDAP die Entscheidung zurück, den Schweizern die Einlösung von
Reiseschecks in Lörracher Hotels zu verbieten.
Trotz solcher Teilerfolge kam der Grenzverkehr ab 1938 nahezu ganz zum Erliegen. Zu den
psychologischen Folgen schrieb der Landrat im
Januar 1938, die Bewohner der Grenzecke könnten sich wirtschaftlich kaum entfalten, sie fühlten
sich „in hohe Grenzmauern eingezwängt“.
Röttler Schloss und Hakenkreuz werben für die Braune
Grenzlandmesse 1934 in Lörrach. (DLM: Pl 193)
26
Massenkundgebung auf dem neuen
Lörracher Marktplatz anlässlich des
Kreisparteitages der NSDAP 1939.
(StALö 2.43.154)
Die Plakette vom Grenzlandtreffen der NSDAP
1933 vereint Motive aus
Basel und Lörrach. Zur
„Grenzlandkundgebung“
mit Badens Gauleiter
Robert Wagner am
8. Oktober 1933 kamen
laut Basler Nachrichten
bis zu 20.000 Personen
– eine Demonstration
der Stärke der südwestdeutschen „Grenzmark“
gegenüber der Schweiz.
(DLM: MNS 3)
In Lörrach entworfenes und in Freiburg gedrucktes Plakat der Grenzlandmesse von 1935:
Die Grenzen sind als Mauern gestaltet, die das
deutsche Grenzland vom Ausland abschotten.
Als einzige zentrale Stadt erscheint Lörrach –
Basel ist nicht erwähnt. (DLM: Pl 192)
27
Lokale NS-Politik
Lörrach als Gegenpol zu Basel
Seit Generationen strömten die Lörracher
zahlreich in die Basler Konzerthallen, Theater
und Cafés. Um den großen Einfluss Basels zu
unterbinden, wollten die Nationalsozialisten
Lörrach deshalb zu einem mächtigen städtebaulichen und kulturellen Gegenpol zu Basel
ausbauen.
Gleich nach der Machtübernahme starteten die Nationalsozialisten eine Reihe von Aktivitäten: Die große „Grenzlandkundgebung“
mit Badens Gauleiter Robert Wagner am 8.
Oktober 1933 sollte die Geschlossenheit der
südwestdeutschen „Grenzmark“ gegenüber
der Schweiz demonstrieren. Der nationalsozialistische „Kampfbund für deutsche Kultur“
veranstaltete im Winter 1933/34 mit Hilfe der
Eintrittskarte, gestaltet von Adolf Glattacker. (DLM ALö 49)
28
Kundgebung zur „Abstimmung“ am 10. April 1938
über den „Anschluss“
Österreichs in Lörrach.
Zahlreiche Auslandsdeutsche aus der Schweiz
kamen dazu nach Lörrach –
eine bedrohliche Demonstration der Stärke des
Regimes für die Schweiz.
(StALö 2.43.80)
Stadt eine Theater- und Konzertreihe mit ausschließlich deutschen Werken. Lörrach sollte
zum „Bollwerk deutschen Kulturschaffens und
Kulturwillens“ werden.
Ab Anfang 1934 verfolgten Bürgermeister
Boos und die Landesregierung auch den Plan
der Eingemeindung von Haagen, Brombach,
Hauingen, Tumringen und Tüllingen. Ein
vergrößertes Lörrach sollte „gegenüber dem
Ausland ein Bild der völkischen Einigkeit und
Geschlossenheit dargeben“, so Boos. Das 1936
entworfene Projekt für ein gigantisches Festplatzgelände im Norden der Stadt hatte ebenfalls den Zweck, der Schweiz zu imponieren.
Doch der Ausbau Lörrachs zum Gegenpol zu
Basel blieb in Ansätzen stecken. Viele Lörracher
gingen nach wie vor nach Basel ins Theater. Die
Eingemeindungen von Haagen, Brombach und
Hauingen scheiterten am lautstarken Protest
der Einwohner; nur Tüllingen und Tumringen
kamen im Oktober 1935 zu Lörrach. Der Bau
eines Festplatzgeländes wurde nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs fallen gelassen.
Amtskette (DLM: MNS 699) und Ehrenbürgerbrief (DML: Bk Gl 144) von Adolf Ohm, dem
letzten Bürgermeister von Tumringen. Ohm
akzeptierte die Eingemeindung nach Lörrach.
29
Herrschaftsmechanismen
Ideologie und NS-Propaganda
Die NS-Ideologie grenzte sich sowohl vom
klassischen Liberalismus als auch vom Marxismus ab. Dem Liberalismus warf sie vor, er habe
den Menschen zu Eigennutz, Materialismus und
Gewinnstreben erzogen und die Spaltung der
Gesellschaft in Klassen und Interessengruppen
herbeigeführt. Am Marxismus kritisierte sie die
Theorie vom Klassenkampf und seine angeblich
„rein materielle Denkungsart“: Er habe die gute
Idee des „Sozialismus“ in einen bloßen materialistischen Lohnkampf verwandelt.
Dem stellten die Nationalsozialisten die
Volksgemeinschafts-Ideologie gegenüber. Sie
betonte die Harmonie aller Schichten, Berufe
und Klassen und versprach einen „sozial gerechten“ Ausgleich zwischen den verschiedenen Interessen. Dabei wurde die Arbeiterschaft
ausdrücklich als gleichberechtigtes Mitglied
in die „Volksgemeinschaft“ integriert. Die Idee
von der „Volksgemeinschaft“ war in der Bevölkerung äußerst populär und ist der wichtigste
Grund für die Unterstützung vieler Deutscher
für das Regime.
Auf zahlreichen Aufmärschen und Großkundgebungen der NSDAP wurde die „Volksgemeinschaft“ mit großem propagandistischem
Aufwand inszeniert. Typisch hierfür waren die
Feiern zum „Tag der nationalen Arbeit“ am
1. Mai. An ihm nahmen Abordnungen aller
wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Gruppen Lörrachs teil: Industrie, Handwerk, Beamte, Schüler, Vereine und Parteiorganisationen.
Der Aufmarsch der verschiedenen Gruppen
sollte Spiegelbild der „Volksgemeinschaft“ sein
und sie sinnlich erlebbar machen. In den Reden
wurde das angebliche Ende von „Hader, Streit
und Klassenunterschieden in der wahren Volksgemeinschaft“ des „Dritten Reiches“ gefeiert.
Der „Volksempfänger“, ein wichtiges Instrument
der NS-Propaganda – hier ein Modell von 1938.
Beliebt im badischen Grenzgebiet war das
schweizerische Radio Beromünster, das Hören
ausländischer Sender jedoch verboten.
Die Lörracherin Anna Straßer wurde deshalb verhaftet und starb 1940 im Zuchthaus Schwäbisch
Gmünd. (DLM: E 1240)
30
Auch das Kino am Bahnhof war
ab 1934 verpflichtet vor jeder
Filmvorführung „Kulturfilme“
zu zeigen, die oft Themen wie
„Rassenlehre“ oder „Blut und
Boden“ propagierten. Ebenso
verpflichtend waren die Wochenschauen, deren Aufgabe es war,
die Erfolge des NS-Regimes
propagandawirksam zu verbreiten. Neben Unterhaltungsfilmen
wurden regelmäßig Propagandafilme wie beispielsweise der
antisemitische Hetzfilm
„Jud Süß“ aufgeführt. (StALö
2.43.22; Foto: E. Zürcher)
NS-Plakate, die in Lörracher Betrieben hingen. Zwei Beispiele
einer Sammlung von über 100 Exemplaren, die in der Schweiz
erhalten blieb und heute dem Dreiländermuseum gehört.
(links: DLM: Pl 66, rechts: DLM: Pl 21)
31
Herrschaftsmechanismen
Terror
Trotz der Beliebtheit der NS-Diktatur in
beträchtlichen Teilen der Bevölkerung übten
die Nationalsozialisten einen andauernden
Terror gegen die Bevölkerung aus. Jegliche Unzufriedenheit mit dem Regime sollte im Keim
erstickt werden. Am härtesten traf der Terror
die politischen Gegner des Nationalsozialismus
in Lörrach, die in den Konzentrationslagern
von Heuberg, Natzweiler oder Dachau interniert wurden. Dort hatten sie ständig den Tod
vor Augen und erlitten unvorstellbare Qualen: Schläge, sadistische Quälereien, Hunger,
Schwerstarbeit bis zum Umfallen.
Doch auch niedrigere Stufen des Terrors
waren im Alltag wirksame Mittel zur Disziplinierung der Bevölkerung. Bürgermeister Boos
zeigte zahlreiche Lörracher wegen angeblichen
Verleumdungen seiner Person oder Unmutsbekundungen gegen das Regime bei der Staatsanwaltschaft an. Lokale NSDAP-Aktivisten
marschierten vor den Häusern von Regimekritikern auf und verlangten deren Verhaftung. Im
Juni 1934 zogen fanatische Parteianhänger vor
das Haus eines Rechtsanwalts, der das „Bonzentum“ der Partei kritisiert hatte.
Hauptinstrument des nationalsozialistischen Terrors war die Geheime Staatspolizei
(Gestapo). Sie war aber wegen ihrer starken
Unterbesetzung auf die Mithilfe der Bevölkerung angewiesen. Auch in Lörrach waren Denunziationen durch Nachbarn, Arbeitskollegen und die eigene Familie weit verbreitet. Im
Juni 1934 verrieten beispielsweise die eigenen
Familienangehörigen einen Lörracher Handwerker an die SA, nachdem er über die „Hitlerbande“ geschimpft hatte. Die Folge war eine
gedrückte Atmosphäre der ständigen Vorsicht
und des allgemeinen Misstrauens.
Eine Neujahrskarte aus Riehen zeigt den Grenzzaun, im
Vordergrund das Dorf Riehen in der Schweiz, hinter dem
Stacheldraht die Hügel rechts der Wiese in Deutschland
mit Tüllingen und Rötteln. (DLM: Po 1057)
32
Propagandaplakat, das
Misstrauen schürt.
(DLM: Pl 1875)
Rest des Stacheldrahtverhaus entlang der
Schweizer Grenze, mit dem das NS-Regime
bei Lörrach die Flucht in die Schweiz zu
verhindern versuchte. (DLM: E 1048)
33
Herrschaftsmechanismen
Hitlerkult
Früher berühmte Bronzebüste Hitlers des hessischen Bildhauers Philipp
Flettner. Flettner besuchte
im Dritten Reich regelmäßig
Bürchau im Kleinen Wiesental und verlegte seinen
Wohnsitz 1946 ganz dorthin.
(DLM: PFle 46)
Die nationale Aufbruchstimmung in weiten Teilen des Bürgertums in den ersten Monaten nach der „Machtergreifung“ wich bald einer
zunehmenden Ernüchterung über die NS-Diktatur. Stark steigende Lebenshaltungskosten,
das pöbelhaft-brutale Auftreten der SA und
die bald zu Tage tretende Günstlingswirtschaft
der NSDAP in den öffentlichen Verwaltungen
führten ab Herbst 1933 zu einem raschen Ansehensverlust der Partei. Umso stärker setzten
34
viele Deutsche ihre Hoffnungen auf eine „nationale Wiedergeburt“ durch Adolf Hitler.
Die Folge war ein extremer Führerkult
mit stark religiösen Zügen, der von der NSPropaganda gezielt gefördert wurde. Vor allem
die Entmachtung der radikalen SA im „RöhmPutsch“ (30. Juni 1934) erzeugte das Bild eines über dem politischen Tagesstreit stehenden
Herrschers, der zum Wohl des Volkes seine eigene Partei unterwarf. Hitler erschien als außergewöhnlicher Politiker und Retter Deutschlands,
dem es gelang, die Arbeitslosenzahlen zu senken und außenpolitische „Erfolge“ zu erzielen.
So marschierte entgegen den Bestimmungen des
Versailler Vertrages die Wehrmacht 1936 wieder
ins entmilitarisierte Rheinland ein und schickte
Soldaten auch nach Lörrach.
Auch in Lörrach drückte ein Teil der Bevölkerung mit Hitler-Darstellungen und durch die
Teilnahme an den jährlichen Feiern zum „Führer-Geburtstag“ am 20. April ihre Verehrung für
Adolf Hitler aus. Nicht zufällig bedienten sich
örtliche Parteiführer wie Boos ständig des „Hitler-Mythos“. Bei einem Betriebsappell der Stadtverwaltung am 10. November 1939 bezeichnete
Lörrachs Bürgermeister das Scheitern des Attentats auf Hitler im Bürgerbräukeller (8. November) als Akt der göttlichen Vorsehung und
beendete die Rede mit den Worten: „Gott ist mit
Adolf Hitler, und Adolf Hitler ist Deutschland.“
Tausende bejubeln Adolf Hitler bei seinem Besuch
am 29. August 1938 am Westwall in Istein.
(StALö 2.43.139, Foto. W.Hügin)
unten links:
Heftchen des Winterhilfswerkes 1937.
(DLM: MNS 196)
unten rechts:
„Standarte des Führers“, die bei Anwesenheit
Hitlers in der Kommandantur Straßburg gehisst
wurde. (DLM: F 147)
35
Herrschaftsmechanismen
Umgang mit Protest
Die Herrschaft der Nationalsozialisten basierte nicht nur auf Gewalt und der Popularität
Hitlers. In entscheidenden Momenten erwiesen sich die nationalsozialistischen Machthaber auch als flexibel genug, um aufkeimende
Unzufriedenheit mit ihrer Politik abzufedern.
Entgegen einer weit verbreiteten Vorstellung
blieb Protest gegen bestimmte Maßnahmen der
Nationalsozialisten daher oftmals keineswegs
wirkungslos und wurde nicht sogleich mit KZ
bestraft. So führte der Protest der Gemeinden
Haagen, Hauingen und Brombach gegen die
Eingemeindungspläne zu einem Einlenken der
Landesregierung aus „politischen Gründen“.
Der Freiburger Erzbischof Hans Gröber und
der Lörracher evangelische Pfarrer Hans Katz
brandmarkten im Sommer 1940 die Tötung
geistig behinderter Menschen. Solche Proteste
führten zu einem weitgehenden Abbruch des
„Euthanasie“-Programms der Nationalsozialisten im Dezember 1940.
Desgleichen vermochten sich die Nationalsozialisten immer wieder als Anwälte des
„kleinen Mannes“ zu profilieren. Als beispielsweise in den Jahren 1936 und 1937 ein Mangel
an Fleisch und steigende Preise zu Unmut bei
den Lörracher Verbrauchern führten, wurden
der Arbeiterschaft verbilligte Preise gewährt.
Ebenso vertraten Bürgermeister Boos und die
örtlichen Parteistellen die Interessen der lokalen Wirtschaft gegenüber Verbänden und
Reichsbehörden. So forderten sie – zum Teil
mit Erfolg – eine Erhöhung der Rohstoffkontingente für die einheimischen Firmen, etwa
vermehrten Rohkakao für die Schokoladenfabrik Suchard.
Mit Sonderlieferungen von Fleisch kurz vor den bevorstehenden Osterfeiertagen 1937 soll einer drohenden Unzufriedenheit in der Bevölkerung vorgebeugt werden.
(StALö VIII.3.32)
36
oben: Seit 1940 war geplant das Hebeldenkmal zu Rüstungszwecken einzuschmelzen.
Deshalb wurde es im Hebelpark abmontiert. (StALö 2.65.204)
rechts: Gipsermeister Wilhelm Indlekofer fertigte wegen der geplanten Einschmelzung
des Lörracher Hebeldenkmals diese Gipskopie in der Originalgröße von über zweieinhalb
Metern. Auf den Unmut der Bevölkerung reagierte der badische Innenminister mit der
Entscheidung das Denkmal von der Ablieferung auszunehmen. (DLM: P 313)
Aquarell von Hauingen von
Richard Hessner. Die Hakenkreuzfahne ermöglicht
eine Datierung in die Zeit
des Nationalsozialismus.
Wegen ihres Widerstandes
gegen eine Eingemeindung
nach Lörrach blieben Haagen, Hauingen und Brombach damals selbständig.
(DLM: BkHes 21)
37
Widerstand und Opfer
Politische Gegner und Widerstand
Gerettete Traditionsfahne des Allgemeinen Arbeiterbundes
Lörrach von 1872. Nach dem Verbot der SPD am 23. Juni 1933
schmuggelten sie Genossen in einem Kinderwagen in die
Schweiz. (DLM: F 105)
Die entschiedensten Gegner des Nationalsozialismus kamen aus den Reihen der Arbeiterbewegung. Sie sah in den Nationalsozialisten lediglich Marionetten der Großindustrie,
die mit Hilfe der NSDAP eine sozialistische Gesellschaftsordnung bzw. die kommunistische
Revolution verhindern wollte.
Am entschlossensten war der Widerstand
der in Lörrach sehr starken KPD. Basler Kom-
38
munisten brachten illegale Flugschriften nach
Lörrach, die dann vor Ort verteilt oder von
Kurieren in das restliche Reichsgebiet gebracht
wurden. Die örtliche KPD hielt auch geheime
Parteistrukturen aufrecht und beteiligte sich
am Aufbau von illegalen Zellen in badischen
Arbeitsdienstlagern. Zahlreiche Verhaftungen
und die Einschleusung von V-Männern durch
die Gestapo schwächten den Widerstand der
KPD ab 1935 jedoch nachhaltig.
Die Reaktion der SPD war angesichts der
Wahlerfolge der NSDAP stärker von Resignation geprägt. Einige Sozialdemokraten wie Karl
Arzet und Emil Huber leisteten jedoch aktiven
Widerstand. Arzet transportierte im Abfallkorb
der Straßenbahn illegales Schriftmaterial von
Basel nach Lörrach. Huber schmuggelte Parteizeitungen im Sattelrohr seines Fahrrads über
die Grenze. Allerdings litt auch der Widerstand
der SPD bald unter der Verfolgung durch die
Gestapo.
Im bürgerlichen Lager gab es so gut wie
keinen offenen Widerstand gegen das „Dritte
Reich“. Einige wenige Liberale wie der Rechtsanwalt Friedrich Vortisch taten jedoch indirekt
ihren Unwillen gegen das Regime kund. Vortisch vertrat beispielsweise zahlreiche einheimische Juden vor Gericht. Dafür musste er sich
in anonymen Drohbriefen als „Judenlecker“ beschimpfen lassen.
Macht- und Propagandaaktion der Lörracher Nationalsozialisten zum „Tag der nationalen Arbeit“ am 1. Mai 1933
beim Wiesentäler Hof in der Dammstraße nahe der Schweizer Grenze. Die Straße in diesem traditionell linken Arbeiterviertel wurde damals in Schlageterstraße umbenannt nach Albert Leo Schlageter aus Schönau
im Wiesental, der wegen seinen Sabotageanschlägen gegen die französische Besatzung im Ruhrkampf 1923
zum Tode veruteilt und deshalb von den Nationalsozialisten als Märtyrer verehrt wurde. (DLM: Fo 1121)
Am 2. Mai 1933 wurde das Gewerkschaftshaus in der Tumringer Straße 206 besetzt. Nach dem Verbot der
Gewerkschaften wurde dort die NS-Volkswohlfahrt untergebracht. Das Gebäude stand am heutigen Senser
Platz und wurde abgerissen. (StALö 2.43.207)
39
Widerstand und Opfer
Verfolgung von
„Gemeinschaftsfremden“
Das rassistische Weltbild des Nationalsozialismus ging von der sozialdarwinistischen
Vorstellung aus, dass die rassisch „minderwertigen“ Teile der Bevölkerung den volkswirtschaftlichen Wohlstand schädigen und
Deutschland im Ringen um die Weltherrschaft schwächen würden. Entsprechend sahen die Nationalsozialisten geistig behinderte
Menschen als „Ballastexistenzen“ an, die man
unfruchtbar machen oder sogar töten dürfe.
Ebenso grenzten sie Kriminelle und langjährige Fürsorgeempfänger als „Volksschädlinge“
und „Gemeinschaftsfremde“ aus der „Volksgemeinschaft“ aus.
Auch in Lörrach gingen die Behörden oft
erbarmungslos gegen „geistig Behinderte“ und
„Asoziale“ vor. Ab 1935 ließ das Bezirksamt
mindestens 30 geistig behinderte bzw. „asoziale“ Lörracher in den Krankenhäusern von Lörrach und Schopfheim sterilisieren. Das städtische Fürsorgeamt entzog Lörrachern, die seit
längerem in städtischer Fürsorge waren oder
sich mit der Stadtverwaltung anlegten, rigoros
die Unterstützung. Zum Teil ließ es sie sogar
in das Konzentrationslager Kislau einliefern.
1936 wurden zwei Lörracher Hilfsarbeiter
nach Kislau gebracht, da ihr „verantwortungsloses Verhalten“ der Stadt schon „Tausende von
Reichsmark“ gekostet habe.
Die Verfolgung der geistig Behinderten
gipfelte in der „Euthanasie“-Aktion des Jahres
1940: Über 40 aus Lörrach stammende Heimbewohner der Anstalten in Herten, Wiechs und
Emmendingen wurden zwischen April und
Dezember 1940 in die Tötungsanstalt Grafeneck (Württemberg) „verlegt“ und dort ohne
Wissen der Angehörigen vergast.
Wer NS-Idealen – wie sie dieses Plakat propagiert – nicht
entspricht, wird rücksichtslos aus der Volksgemeinschaft
ausgegrenzt und vielfach verfolgt. (DLM: Pl 14)
40
Erinnerungen an Heinz
Leible. Er wurde 1936 in
Lörrach wegen homosexueller Handlungen verhaftet, 1937 ins KZ Dachau
eingeliefert und 1943 im
KZ Mauthausen ermordet.
(DLM: APL 19)
Eine Verpflegungskosten-Rechnung der St. Josephs-Heilund Pflegeanstalt Herten dokumentiert indirekt die Verlegung von drei Lörracher Heimbewohnern im Jahre 1940
von Herten nach Grafeneck, da die Abrechnung sich nicht
auf den gesamten Monat bezieht. Vielmehr heißt es darin:
„am 12. August 1940 abgeholt“ bzw. „am 20. August abgeholt“. Über das weitere Schicksal dieser Menschen ist
bislang nichts bekannt. (StALö Soz 155)
41
Widerstand und Opfer
Judenverfolgung
Der wahnhafte Antisemitismus der Nationalsozialisten schob den Juden die Schuld für
sämtliche Probleme Deutschlands in die Schuhe. Sie wurden für den Niedergang von Handwerk und Kleinhandel, den Zerfall des Gemeinsinns und den außenpolitischen Machtverlust
nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg verantwortlich gemacht.
Der Antisemitismus stand daher im Zentrum
der nationalsozialistischen Ideologie und schlug
sich in aggressiver Gewalt gegen die deutschen
Juden nieder. Auch in Lörrach boykottierten örtliche SA-Mannschaften bereits am 1. April 1933
jüdische Geschäfte wie das Kaufhaus Knopf (heute
Stadtbibliothek) und das Schuhgeschäft Bodenheimer. Im Zuge der „Reichskristallnacht“ verwüsteten Angehörige der Hitler-Jugend, SA und
SS am Morgen des 10. November 1938 das Innere der Lörracher Synagoge. Auch „normale“
Bürger und Arbeiter des städtischen Werkhofs
beteiligten sich an der Zerstörung.
Am 22. Oktober 1940 holten Gestapo-Beamte und Gendarmerie über 50 Juden aus ihren
Häusern und brachten sie zum heutigen Lörracher Marktplatz. Dort wurden sie unter den
Augen der Bevölkerung auf Lastwagen geladen
und in ein Lager im südfranzösischen Gurs deFlugblatt aus Lörrach: Es verlangt den Boykott jüdischer
Geschäfte und Dienstleister und ruft zur Teilnahme an einer
Kundgebung auf dem Engelplatz auf. (DLM: ALöX 70)
42
portiert. Fast alle starben in Gurs an Krankheit
und Erschöpfung oder wurden in Auschwitz
und anderen Konzentrationslagern getötet.
Stadtverwaltung und Teile der Bevölkerung
profitierten von der Verfolgung der Lörracher
Juden erheblich: Sie erwarben billig enteignete
jüdische Grundstücke oder Betriebe. Zu den Versteigerungen des Hausrats der deportierten Lörracher Juden Ende 1940 erschienen viele Lörracher, weil dort Waren günstig abgegeben wurden.
Am Vormittag des
10. November 1938
zerstörter Innenraum
der Lörracher Synagoge.
(DLM: Fo 236)
Esther-Rolle, die 1938 unmittelbar nach der Zerstörung der Synagoge in Lörrach von einem Lehrer gerettet wurde.
Seine Enkelin übergab sie mit Zustimmung der neuen jüdischen Gemeinde dem Dreiländermuseum. (DLM: AlöVI 553)
43
Widerstand und Opfer
Vor aller Augen fand die Deportation der Juden in Lörrach am 22. Oktober 1940 statt. Links am Bildrand gibt
ein Offizier der Sicherheitspolizei Anweisungen. Die jüdischen Mitbürger wurden davor in der alten Handelsschule am Marktplatz erfasst und müssen nun auf die wartenden Lastwagen aufsteigen. Im Bildhintergrund
und am weiter oben liegenden Fenster sind zahlreiche Zuschauer zu sehen. (StALö 2.29.19)
Die LKW stehen kurz vor der Abfahrt auf dem neuen Marktplatz; zahlreiche Passanten verfolgen das
Geschehen. Die Aufnahmen sind Teil einer Serie von 25 Fotos, die vermutlich der Kriminalpolizist Gustav
Kühner im Auftrag des Landratsamtes Lörrach aufgenommen hat. (StALö 2.29.22)
44
Im November und Dezember 1940 fanden mehrere öffentliche Versteigerungen des Hausrats der Deportierten in Lörrach statt. Auch von diesen Versteigerungen ist eine Fotoserie im Stadtarchiv überliefert, die wie
die Deportationsbilder von Kühner stammen dürfte. Auf diesem Foto ist der Versteigerer zu sehen, der leicht
erhöht aus einem Fenster die angebotenen Gegenstände der versammelten Menschenmenge anpreist.
(StALö 2.43.11)
Dieses Foto zeigt die Versteigerung des Eigentums der Familie Bloch in der Grabenstraße 15, die auf großes
Publikumsinteresse gestoßen ist. (StALö 2.43.4)
45
Zweiter Weltkrieg
Kriegswirtschaft und Zwangsarbeiter
Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges
führte zu einer noch stärkeren Konzentration
der Wirtschaft auf die Rüstungsproduktion.
Nur noch die kriegswichtigen Betriebe bekamen
die nötigen Rohstoffe und Arbeiter zugewiesen.
Auch Textilbetriebe wie die KBC stellten einen
Teil ihrer Produktion auf Rüstungsgüter um.
Sie fabrizierte beispielsweise Dynamos für Rüstungsfirmen, die Schokoladenfabrik Suchard
Vitamin C-Trunke für die Wehrmacht.
Wegen des massenhaften Einzugs männlicher Arbeitskräfte zur Wehrmacht konnten die
gewerbliche Produktion und das öffentliche
Leben nur durch die umfangreiche Beschäftigung von ausländischen Kriegsgefangenen und
Zwangsarbeitern sichergestellt werden. Sie fertigten Rüstungsgüter, halfen bei der Ernte mit
und leerten Müll. Mindestens 330 ausländische
Arbeitskräfte wurden während des Krieges gezwungen, in Lörrach bei privaten Betrieben
und in der Stadtverwaltung zu arbeiten.
Die Behandlung der Zwangsarbeiter war
unterschiedlich. Gerade die „Ostarbeiter“ galten als „rassisch minderwertig“ und mussten
strikt von der deutschen Bevölkerung getrennt
bleiben: „Verbot des geselligen und insbesondere des intimen Verkehrs mit Deutschen“, hieß es
in einer Anordnung von Heinrich Himmler im
Dezember 1941. Dennoch waren sie bei einem
Teil der Bevölkerung geschätzt. So verteidigte
ein Verwalter der städtischen Speiseanstalt eine
russische Küchenhilfe gegen falsche Vorwürfe
einer Nationalsozialistin, sie habe illegal Lebensmittel entwendet. Dem standen brutale Gewaltakte gegenüber: Am 23. April 1945 veranlasste
ein fanatischer Gestapo-Beamter in Lörrach die
Ermordung von drei polnischen Landarbeitern.
Russische Kriegsgefangene im Güterwagon bei Ihrer Ankunft
in Lörrach im Oktober 1942. (StALö E.IV.167.3)
46
Bestätigung für 9,3 kg Metall, die
das Lörracher Museum für die
Rüstungsindustrie abgeben musste.
(DLM: AlöX 43)
Die Glocken der evangelischen Stadtkirche werden 1942 vom Kirchturm
geholt, um diese zur Rüstungszwecken einzuschmelzen. (StALö 2.61.100)
Plakat der Altkleider-Sammelstelle in der Sporthalle Brombach
vom Juni 1942. (DLM: Pl 1139)
47
Zweiter Weltkrieg
Kriegsalltag in Lörrach
Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges
am 1. September 1939 wurde von der Lörracher Bevölkerung mit gemischten Gefühlen
aufgenommen. Empörung über die angebliche Kriegsschuld der Engländer mischte sich
mit großer Sorge über den Kriegsverlauf. Allerdings hellten die militärischen Erfolge der
Wehrmacht in Polen und Frankreich die Stimmung bis 1941 stark auf.
Der Krieg ging von Beginn an mit starken
Einschränkungen bei der Versorgung einher.
Bereits im September 1939 waren wichtige Lebensmittel wie Brot, Fleisch, Butter, Milch und
Käse nur noch über Bezugsscheine zu erhalten.
Auch Kleider wurden bald streng rationiert.
Unterwäsche war ab dem Sommer 1942 nicht
mehr erhältlich. Zur Einsparung von Schuhwerk rief die Lörracher Hitler-Jugend 1943
zum Barfußlaufen im Sommer auf.
Täglich griff der Krieg massiv in den Alltag
der Bürger ein. Jede Nacht mussten sämtliche
Fenster verdunkelt werden. Luftschutzübungen waren an der Tagesordnung. Von einem
Tag auf den anderen konnten Lörracher „notdienstverpflichtet“ werden, zum Beispiel zum
Zollschutz. Besonders betroffen war die Bevölkerung von Tüllingen und Tumringen: Sie
wurde im September 1939 und Mai 1940 aus
Angst vor französischen Angriffen evakuiert.
Die totale Mobilisierung aller Kräfte und
Ressourcen für den Krieg spiegelte sich in
den Metallsammlungen wider. Sämtliche Eisen- und Kupfergegenstände mussten an die
Wehrmacht und die Rüstungsbetriebe abgeliefert werden. Nur der massive Protest der Bevölkerung verhinderte es, dass 1942 auch das
Hebeldenkmal eingeschmolzen wurde. Dennoch sorgten solche Maßnahmen zusammen
mit den Nachrichten von den
Misserfolgen an der Ostfront
dafür, dass die „Heimatfront“
ab dem Jahr 1942 allmählich
brüchig wurde.
Mit Kriegsbeginn wurden Lebensmittelmarken zur staatlichen Steuerung der
Versorgung mit Nahrungsmitteln ausgegeben: Reichsfettkarte 1940 aus Lörrach.
(DLM: ALöX 0066)
48
Verletzte kommen 1941 mit einem Lazarettzug am Lörracher Bahnhof
an und werden von Helfern des Roten Kreuzes in Empfang genommen.
(StaLö 2.61.206)
1943 wird in Stetten mit einer Luftschutzübung der Ernstfall
geprobt. (StALö 2.65.202)
Die evakuierten Bewohner von Tüllingen kehren 1940 wieder zurück in
Ihr Dorf. (StALö 2.65.167)
Im April 1944 wird der Vorgarten des Rathauses umgegraben, um dort
Kartoffeln zu pflanzen. (StALö E.IV.173.4)
Die Hitlerjugend ruft im Sommer 1943 zum Barfußlaufen auf,
um Schuhe zu sparen. (StALö IV.1.65)
49
Zweiter Weltkrieg
Kriegsende in Lörrach
Ring eines bei der Eroberung von Lörrach am
24. April 1945 gefallenen
französischen Soldaten
mit den Initialen des
Ehepaars und dem
Hochzeitsdatum
4.Mai 1936.
(DLM: Si 46)
Wegen seiner Nähe zur
Schweiz blieb Lörrach lange Zeit
von größeren Kriegszerstörungen verschont. Ab November
1944 setzte jedoch häufiger Artilleriebeschuss
vom Elsass auf die Stadt ein. Am 5. Dezember zerstörte ein Bombenangriff ein Haus in der Baumgartnerstraße, drei Menschen kamen ums Leben.
Zugleich erklärte der für Lörrach ernannte Stadtkommandant, Major Pfeil, Lörrach zum befestigten „Ortsstützpunkt“. In den Straßen wurden elf
Barrikaden errichtet und die Kanalisationsdeckel
mit Schießscharten versehen.
Auch die Bevölkerung wurde zunehmend in
das Kriegsgeschehen mit einbezogen: Frauen, Jugendliche und ältere Männer mussten ab September 1944 Verteidigungsstellungen für den „Heiligen Volkskrieg“ ausheben. Am 12. November 1944
wurde der „Volkssturm“ aus älteren Männern und
Jugendlichen gebildet; er sollte den Vormarsch der
französischen Truppen stoppen. An den „Endsieg“
glaubten jedoch nur noch Parteifanatiker: Ein Bericht der französischen Armee von Anfang April
1945 schätzte die Haltung der Bevölkerung als vollkommen resigniert ein.
Die Sinnlosigkeit des militärischen Widerstands offenbarte sich bei der Eroberung Lörrachs
durch die französische Armee am 24. April 1945:
Plakat, gedruckt in der Endphase des Krieges in der
Oberbadischen Verlagsdruckerei Lörrach. (DLM: Pl 751)
50
Zahlenmäßig unterlegene und schlecht ausgerüstete „Volkssturm-Verbände“ stellten sich unter
Beteiligung von Bürgermeister Boos den französischen Einheiten entgegen, die über die Lucke
vorrückten. Entgegen späterer Darstellungen kam
es zu schwereren Gefechten. Mindestens vier Franzosen und zehn Deutsche starben; Boos wurde
erheblich verletzt. Um 14 Uhr marschierten die
französischen Truppen in die Innenstadt ein – der
Krieg war zu Ende.
Lörrach wurde verteidigt, obwohl
amerikanische und sowjetische Truppen bereits an der Elbe aufeinander
trafen: Abgeschossener französischer
Panzer auf der Lucke (heute bei der
Autobahnausfahrt Kandern).
(StALö 2.61.252)
Kurz vor dem französischen Einmarsch wurde die Wiesenbrücke
der Bahnlinie Lörrach-Weil von den
Verteidigern der Stadt gesprengt.
(StALö 2.65.211)
Plakat, das Ende November 1944 in
Lörrach vor Granatenbeschuss aus
dem Elsass warnt. (DLM: Pl 255c)
51
Umgang mit der NS-Zeit
Lörrachs Umgang mit der NS-Zeit
Anlass und Umsetzung des Projektes
Markus Moehring, Andreas Lauble
Stimmzettel zur Wahl
des Gemeinderates
am 8. November 1959
mit Reinhard Boos
als Spitzenkandidat.
(StALö HA580)
Mit der französischen Besatzungsmacht
im Rücken ging man in Lörrach in den ersten
beiden Jahren nach dem Krieg relativ unbarmherzig gegen ehemalige nationalsozialistische
Aktivisten vor. Lörrachs neue Stadtverwaltung
unter Bürgermeister Joseph Pfeffer entließ
1945/46 fristlos 54 besonders radikale Parteimitglieder. Die wichtigsten Lörracher Parteifunktionäre wurden interniert. Die gesamte
Bevölkerung musste sich einem Entnazifizierungsverfahren stellen.
52
Bald aber führten der Wunsch nach Vergessen und wachsende Ressentiments gegen die
Besatzung dazu, dass viele Lörracher den Nationalsozialismus verharmlosten. Die Aufarbeitung
der NS-Vergangenheit verlor aus Sicht der Westmächte außerdem an Bedeutung: Viel wichtiger
erschien jetzt im schärfer werdenden Kalten
Krieg der Aufbau eines stabilen deutschen Weststaats. So stufte das Entnazifizierungsurteil vom
21. April 1949 Bürgermeister Boos nur noch als
„Minderbelasteten“ ein, weil er die „Gewaltherrschaft des NS weder objektiv noch subjektiv
unterstützt“ habe. 1959 wählten die Lörracher
Boos mit den zweitmeisten Stimmen aller Kandidaten zum Stadtrat.
Zugleich entwickelte sich in Lörrach aber
auch eine aktive Gedenkarbeit. An jüdische und
teilweise auch andere Lörracher NS-Opfer erinnert
seit 1968 ein Gedenkstein auf dem Hauptfriedhof,
seit 1980 ein Gedenkbuch und seit 2011 eine Stele
in der Fußgängerzone. Seit 1989 bot das Lörracher
Museum regelmäßig Ausstellungen, Publikationen
und Veranstaltungen zur NS-Zeit an. Lörrach unterstützte die Wiedergründung einer jüdischen
Gemeinde und den Neubau einer Synagoge. Eine
umfassende kritische Untersuchung Lörrachs in
der NS-Zeit existiert aber erst seit 2013. Die Dokumentation von Dr. Robert Neisen und die große
Sonderausstellung ergänzt nun auch dieser Band
in der Reihe „Lörracher Hefte“.
Sollte Bürgermeister Boos in der Bürgermeistergalerie im Rathaus vertreten sein – und wenn
ja, in welcher Form? Die Frage darüber wurde in
Lörrach über Jahre hinweg kontrovers diskutiert.
Letztlich war sie Anlass für die Entscheidung des
Gemeinderates im Jahr 2007, die Rolle des Bürgermeisters und der Stadtverwaltung im Dritten
Reich umfassend wissenschaftlich erforschen zu
lassen.
Die Entscheidung fiel vor dem Hintergrund
der vorausgegangenen, nicht weniger intensiven
Diskussion über die Rolle des Dichters und Lörracher Ehrenbürgers Hermann Burte. Während
die einen Burtes enge Verstrickungen mit dem
NS-Regime und seine ungebrochene Popularität
bis zur Gegenwart kritisierten, betonten andere
– darunter zahlreiche Mitglieder der Burte-Gesellschaft – die Breite und Tiefe seines Werkes,
das nicht auf problematische Aussagen in der NSZeit reduziert werden dürfe. Das Dreiländermuseum griff diese Diskussion auf, eine großzügige
Spende von Martin Kaltenbach ermöglichte eine
wissenschaftliche Aufarbeitung des Themas. Die
Ergebnisse wurden 2007 im Hebelsaal in der Ausstellung „Hermann Burte und der Nationalsozialismus“ präsentiert und öffentlich viel diskutiert.
Ein Rahmenprogramm beleuchtete zusätzlich
unterschiedliche Facetten. In einer prominent
besetzten Podiumsdiskussion trafen die Vertreter unterschiedlicher Auffassungen aufeinander.
Dr. Robert Neisen beim Aktenstudium im Stadtarchiv Lörrach.
(Foto: Kristoff Meller)
Der Museumsrahmen machte es möglich, dass
anstelle von Sprachlosigkeit und Polemiken eine
verstärkte Kultur der Kommunikation und des
Austausches von Argumenten entstand. Zwar
kam die geplante Publikation nicht zustande, da
die Kuratorin eine Familie gründete und Lörrach
verließ, trotzdem zeigte das Projekt den Wert einer wissenschaftlichen Aufarbeitung für den öffentlichen Diskurs.
Für die Forschungsarbeit über Lörrach im
Nationalsozialismus wurden geeignete Kandidaten gesucht. Eine Auswahlkommission schlug
2010 dem Gemeinderat vor, den Freiburger
Historiker Dr. Robert Neisen zu beauftragen.
53
Die Ausstellung
Markus Moehring, Andreas Lauble
Die Ausstellung „Lörrach und der Nationalsozialismus“ entstand in einer intensiven Zusammenarbeit zwischen dem Stadtarchiv und
dem Dreiländermuseum Lörrach. Inhaltlicher
Ausgangspunkt war das Buch von Dr. Robert
Neisen. Die wichtigsten Forschungsergebnisse
seines Buches fasste er für die Ausstellung auf
20 Textfahnen zusammen. Diese Texte bilden
auch den Kern dieses Buches.
Schulklasse bei einer Geschichtswerkstatt zum Thema: „Deportation der Juden in Lörrach am 22. Oktober 1940.“
Bis zur Halbzeit der Sonderausstellung „Lörrach und der Nationalsozialismus“ nutzen schon über 100 Gruppen die pädagogischen Angebote im Dreiländermuseum. Sie sind grundsätzlich auch zur NS-Abteilung der permanenten Dreiländer-Ausstellung
des Museums buchbar. (Foto: DLM)
War zunächst der Museumsleiter in der Stadtverwaltung Hauptansprechpartner für das Projekt, übernahm diese Aufgabe nach seinem
Dienstantritt der neue Stadtarchivar Andreas
Lauble, zumal Dr. Neisen seine Forschungen
überwiegend im Stadtarchiv durchführte.
Stadtarchiv und Museum nahmen die Publikation zum Anlass für eine große Sonderausstellung. Auf diesem Weg sollte eine sehr viel größere Öffentlichkeit erreicht werden als durch eine
reine Buchvorstellung. Das öffentlichen Interesse
war von Anfang an groß, schon nach drei Monaten zählte die Ausstellung 5000 Besucher. Die
54
lange Ausstellungsdauer von einem halben Jahr
und ein umfangreiches Rahmenprogramm trugen zusätzlich zur Verbreitung der Forschungsergebnisse bei. Insgesamt 50 Veranstaltungen führten Archiv und Museum im Dreiländermuseum
durch, darunter Vorträge, Filme, Zeitzeugenberichte und eine hochkarätig besetzte Podiumsdiskussion. Die private Gedenkstätte für Flüchtlinge
im benachbarten Riehen/Schweiz zeigte parallel
zum Lörracher Projekt die Ausstellung „Die Deportation der Lörracher Juden. Fotografien aus
dem Stadtarchiv Lörrach“.
Natürlich ermöglicht die Beschreibung eines Themas in nur wenigen Sätzen nicht das
differenzierte Bild wie in der ihnen zu Grunde
liegenden Publikation. Ihr Ziel ist jedoch auch
anders gerichtet. Es geht darum, die wichtigsten
Forschungsergebnisse einer möglichst breiten
Öffentlichkeit zu vermitteln. Viele Menschen
sollen dabei mitgenommen werden, sich an der
öffentlichen Diskussion und Reflexion über den
Nationalsozialismus in Lörrach zu beteiligen.
Rund 200 ausgewählte Archivalien und
Fotos aus dem Stadtarchiv und Exponate aus
der Sammlung des Dreiländermuseums wurden den Textfahnen in der Ausstellung zugeordnet. Sie dienen nicht nur als historische Belege, sondern geben auch einen anschaulichen
Eindruck von den inhaltlichen Aussagen. Auch
für dieses Buch ist dieses Gliederungsprinzip
beibehalten. Natürlich kann hier aber nur ein
kleiner Teil der Exponate abgebildet werden.
Ein wichtiges Medium in der Ausstellung
war auch Filmmaterial aus Lörrach, das erstmals
öffentlich zu sehen war. Zwei Filmstationen zeigten Bürgermeister Boos im Rathaus, die Eröffnung
der Homburg-Siedlung als nationalsozialistische
Mustersiedlung, Aufmärsche in Lörrach oder
das sogenannte Schanzen im Rheinvorland:
Aufgang zur Ausstellung mit der bei KBC in Lörrach
hergestellten Reichskriegsflagge (Rückseite).
55
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Exponate zum Hitlerkult eröffnen den Rundgang durch die erste Ausstellungseinheit (NS-Herrschaft).
Objekte zu Massenkundgebungen in Lörrach in der ersten Ausstellungseinheit (NS-Herrschaft).
Frauen und Männer aus Lörrach hoben seit
1944 Stellungsgräben aus, um den Vormarsch
alliierter Truppen zu stoppen. Ein Farbfilm hält
die Auswirkungen des Kriegsjahrs 1940 auf das
Markgräflerland und das angrenzende Elsass
fest. Seit den 1990er Jahren befinden sich in der
Museumssammlung auch Glasdias mit Werbung
und Propaganda aus einem Lörracher Kino. Für
die Ausstellung wurden sie erstmals digitalisiert
und dort öffentlich projiziert.
Den Eingangsbereich zur Ausstellung präg-
Die Gestaltung der Ausstellung schuf drei
große Ausstellungseinheiten. Zunächst ging es
um das nationalsozialistische Herrschaftssystem vor Ort. Hier war der Raum geprägt von
Objekten des Regimes. Hitler-Büsten, Fahnen,
Plakate, Uniformen und Abzeichen füllten den
Raum.
Vorbei an Propagandaplakaten betrat man
dann die zweite Ausstellungseinheit. Sie war dem
Widerstand und vor allem den Opfern gewidmet.
Der Raum besaß eine ganz andere Atmosphäre.
te eine riesige Reichskriegsflagge, gedruckt bei
KBC in Lörrach. Wer die Ausstellung betreten
wollte, dem stand zunächst ein Podest mit einem 1933 von Basler Sozialdemokraten an der
Grenze Riehen-Stetten verteilten Flugblatt im
Weg. Es warnte Schweizer Ausflügler vor einer
Einreise ins nationalsozialistische Deutschland
und prangerte schon zu diesem frühen Zeitpunkt die Unterdrückung der Meinungsfreiheit, den Terror gegen Andersdenkende und
ein Klima der Überwachung an.
Er war dunkel gehalten, die Wände vergleichsweise leer. Denn die Opfer haben kaum Spuren
hinterlassen. In einem schmalen Gang am Ende
der Ausstellungseinheit wurden ausgewählte Fotos der Deportation der Lörracher Juden einzelnen Fotos von den anschließenden Versteigerungen ihres Eigentums gegenübergestellt.
Die dritte Ausstellungseinheit widmete sich
den Kriegsjahren und der gezielten Kriegsvorbereitung in Lörrach. Die Ausstellungsinszenierung stellte hier einen direkten Bezug her:
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Eine Auswahl von Propagandaplakaten beendet den Rundgang durch die erste Ausstellungseinheit (NS-Herrschaft). Im Vordergrund eine Hörstation zum Widerstand: politische Schriften wurden von der Schweiz über
die Grenze geschmuggelt.
Projektionen von Kinowerbung aus Lörrach zur NS-Zeit – im Vordergrund einige originale Glasdias.
vom Kriegsspielzeug für Kinder und dem 1934
gestifteten Ehrenkreuz für Soldaten des Ersten
Weltkriegs zum erschütternden Schicksal der
Zwangsarbeiter, der Kriegsweihnacht ohne
Vater und dem sinnlosen letzten Gefecht um
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Lörrach. Eine Serie von Todesanzeigen, projiziert an die Abschlusswand der Ausstellung,
erinnerte an die 1792 getöteten Soldaten aus
Lörrach und seinen heutigen Teilorten – auch
sie ein Resultat der Herrschaft des NS-Regimes.
Die zweite Ausstellungseinheit widmet sich den Opfern. Der Raum ist dunkler gestaltet, ein spürbarer Kontrast
zu den NS-Propagandaplakaten davor. Auch die größere Leere des Raumes ist inszeniert: Die Opfer hinterließen
weit weniger Spuren.
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Die zweite Ausstellungseinheit (Widerstand und Opfer) endet mit einem schmalen „Opfergang“. Den Fotos
der Deportation der Lörracher Juden sind Fotos von der anschließenden Versteigerung ihres Vermögens
gegenübergestellt. Im Vordergrund die Schachtel, in der sich die Negativrollen befanden.
Fotos von Zwangsarbeitern in Lörrach in der dritten Ausstellungseinheit (Zweiter Weltkrieg). Ein Eintrag im
Sterberegister davor erinnert an die Hinrichtung von Stanislaus Zasada in Brombach wegen seiner Liebesbeziehung zu einer Deutschen.
Die dritte Einheit widmet sich dem Zweiten Weltkrieg. Exponate erinnern hier an das Einsammeln von Metallen. Deshalb wurde auch dieser Gipsabdruck des Hebeldenkmals hergestellt. Rechts Filmaufnahmen vom
„Schanzen“, dem Ausheben von Stellungsgräben durch die Zivilbevölkerung, gerade im Bild: Bürgermeister
Boos mit Pickel.
Den Abschluss der Ausstellung bildet eine Installation mit dem Foto einer traurigen Kriegsweihnacht in
Lörrach, einer Folge eingeblendeter Todsanzeigen und dem Gedenkbuch der 1792 getöteten Soldaten aus
Lörrach und seinen heutigen Teilorten.
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Impressum
Das Lörracher Heft Nr. 18 entstand in Zusammenarbeit
von Stadtarchiv und Dreiländermuseum Lörrach
Herausgeber und Projektleiter:
Markus Moehring, Andreas Lauble
Historische Überblickstexte:
Dr. Robert Neisen
Ausstellungsteam:
Sara Capdeville (wissenschaftliche Projektassistenz); Arne Gentzsch (Gestaltung);
Teams des Dreiländermuseums und des Stadtarchivs Lörrach
Fotos:
Dreiländermuseum (DLM), Stadtarchiv (StALö),
Kristoff Meller (Ausstellungsfotos S. 55-61 und S. 31 links oben)
Gestaltung und Satz:
werbeagentur aufwind GmbH, Bahlingen
Druck:
Druckerei Hofmann, Emmendingen
© 2013 Dreiländermuseum und Stadtarchiv Lörrach
www.dreilaendermuseum.eu
doRi Verlag und Werbung, Bötzingen
ISBN 978-3-9814362-2-8
Printed in Germany
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