Seltene Erkrankungen in der Rheumatologie

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Editorial
Seltene Erkrankungen
in der Rheumatologie
Eine häufige Herausforderung
Die neuen ambulanten Versorgungsstrukturen nach § 116 b des Sozialgesetzbuches
rücken die Versorgung von Patienten mit
seltenen Erkrankungen erneut in den Fokus des Interesses. Die spezialärztliche Versorgung, die in diesem Vertrag geregelt ist,
ist – neben den schweren Verlaufsformen –
speziell für Patienten mit seltenen Erkrankungen gedacht.
Für seltene Erkrankungen sind nicht
nur maximale Erfahrung, sondern auch die
besten Strukturen, die vor allem ein eng
geknüpftes interdisziplinäres Netz umfassen, notwendig.
In der Rheumatologie sind die seltenen
Erkrankungen von besonderer Wichtigkeit.
Das Erkennen und Behandeln seltener Erkrankungen ist ein essenzieller Teil der
Aufgaben internistischer Rheumatologen.
Bei der Differenzialdiagnose von Symptomen von rheumatischen Erkrankungen
müssen diese immer mit bedacht und abgegrenzt werden.
Seltene Erkrankungen sind in der Europäischen Union definiert als Erkrankungen, die eine Prävalenz von 5 auf 10 000
Einwohner nicht überschreiten. Dazu gehört nach dieser gültigen Definition noch
z. B. die systemische Sklerose, nicht aber
mehr der systemische Lupus erythematodes oder das Sjögren-Syndrom. Anhand
der Daten der deutschen Kerndokumentation hatten 2011 zehn Prozent der dokumentierten Patienten rheumatologische Erkrankungen, die unter eine solche Definition fallen. ▶ Tabelle 1 zeigt eine Statistik der
häufigsten dieser Diagnosen, von denen
die meisten autoimmun oder autoinflammatorisch bedingt sind, und oft potenziell
schwere Verläufe aufweisen können.
Korrespondenzadresse
Prof. Dr. med. Christoph Fiehn
ACURA-Rheumazentrum Baden-Baden
Rotenbachtalstr. 5, 76530 Baden-Baden
Tel.: 0 72 21/352-401, Fax: 0 72 21/352-490
E-Mail: [email protected]
arthritis + rheuma 2013; 33: 207–209
In dieser Ausgabe der arthritis + rheuma, die wir Ihnen nun vorstellen möchten,
geben die Autoren einen Überblick über
einige, in der Praxis oft sehr spannende
und differenzialdiagnostisch immer wieder
zu erwägende rheumatische Erkrankungen. Wir als Gastherausgeber haben darauf
geachtet, dass die Krankheitsbilder, die
Themen der Arbeiten sind, nicht erst kürzlich anderweitig in deutschsprachigen Artikeln zusammengefasst wurden.
Für aktuelle Übersichten zum Morbus
Behçet (1), den Dermato- und Polymyositiden (2, 3), dem adulten Morbus Still (4),
den ANCA-assoziierten Vaskulitiden (5)
oder aber der Sarkoidose (6), die alle auch
ohne Zweifel zu dieser Gruppe gehören,
und es wert sind, studiert zu werden, verweisen wir daher auf die aktuelle bereits
existierende Literatur.
In unserer Ausgabe möchten wir einen
Bogen schlagen von dem SAPHO-Syndrom als einer Erkrankung, die eine besondere Herausforderung an die radiologische Differenzialdiagnose stellt, über die
hereditären Fiebersyndrome wie dem familiären Mittelmeerfieber, bei dem sich die
Rheumatologie u. a. mit der Pädiatrie trifft,
bis hin zum Morbus Whipple, dem seltenen, aber umso vielseitigeren und geheimnisvolleren infektiösen Krankheitsbild der
Rheumatologie, Gastroenterologie und
manchmal auch Neurologie. Hier werden
vor allem aktuelle Aspekte der Erkrankung
diskutiert. Die systemische Sklerose – von
den seltenen die häufigste Erkrankung –
stellt durch die Resistenz gegenüber der
Therapie eine tägliche Herausforderung
dar. Die Immundefektsyndrome gehören
sicher zu den seltensten Erkrankungen, mit
denen Rheumatologen zu tun haben – als
immunologisch geschulte Ärzte haben wir
aber auch hier besondere Aufgaben in der
Erkennung. Schließlich zeigen wir in einer
CME-Arbeit über die rezidivierende Polychondritis ein Musterbeispiel einer Erkrankung, die nicht nur eine ausgeprägte
Prof. Dr. Christoph Fiehn
Dr. Keihan Ahmadi-Simab
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Editorial
Tab. 1 Anzahl der Patienten mit seltenen, rheumatologischen
Erkrankungen
(Inzidenz
≤ 5/10 000) in der deutschen Kerndokumentation
2011 (Zink et al. persönliche Mitteilung)
Diagnosen
Anzahl (%)
systemische Sklerose (inklusive
CREST)
351 (2,0)
Morbus Behçet
250 (1,4)
ANCA-assoziierte Vaskulitiden
227 (1,3)
Overlap-Kollagenosen
183 (1,0)
juvenile idiopathische Arthritis
142 (0,8)
Dermato-/Polymyositis
122 (0,7)
unklassifizierte Vaskulitiden
109 (0,6)
Panarteriitis nodosa
108 (0,6)
Sarkoidose
101 (0,6)
adulter Morbus Still
77 (0,4)
Takayasu-Arteriitis
41 (0,2)
relabierende Polychondritis
16 (0,09)
chronisch rekurrierende multifokale Osteomyelitis (CRMO)
8 (0,04)
Interdisziplinarität der verschiedenen
Fachgebiete notwendig macht, sondern
auch durch den potenziell schweren und
lebensgefährlichen Verlauf einer Rundum-die Uhr-Bereitschaft bedarf.
Seltene Erkrankungen beschäftigen die
gesamte Medizin. In den vergangenen Jahren haben sich in großer Zahl interdisziplinäre Zentren für seltene Erkrankungen gebildet. Das Expertenportal www.orpha.
net, das von französischen staatlichen Institutionen initiiert, aber nun international
betrieben und durch die europäische Union mitfinanziert wird, informiert umfassend und vielsprachig über seltene Erkrankungen, ihre Diagnostik, die Zentren und
Netzwerke, klinische Studien und Selbsthilfegruppen. Diese Seite ist auch eine
nützliche tägliche Hilfe, da sie Zugang zu
aktueller Literatur und Ansprechpartnern
vermittelt.
Die Behandlung und Betreuung von
Patienten mit seltenen rheumatischen Erkrankungen ist sinnvollerweise in Zentren
angesiedelt, in denen nicht nur die notwendige Erfahrung und interdisziplinäre
Struktur vorhanden ist, sondern auch die
wissenschaftliche Erforschung dieser Erkrankungen erfolgt und von denen aus kli-
Tab. 2 Typische Leitsymptome seltener Erkrankungen, die bei der Abklärung von Gelenkschmerz und
-schwellung auf eine seltene Erkrankung als Ursache hinweisen können
Leitsymptom Arthritis/Arthralgien
...plus weitere Symptome
• Raynaud-Syndrom
• Sklerodaktylie
• Schluckstörungen
• Erythema nodosum
• Atemnot
• Fieber
• Claudicatio-Symptomatik
• RR-Differenz
• Carotodynie
• Sattelnase
• wiederkehrende Ohrmuschelentzündung
• orale und genitale Aphthosis
• Pyodermien
• schmerzhafte Augenrötung oder Sehstörungen (Konjunktivitis,
Möglicher Hinweis auf...
Systemische Sklerose
Sarkoidose
Takayasu-Arteriitis
Polychondritis
Morbus Behçet
Keratitis, Uveitis, Neuritis nervi optici)
• Thrombophlebitiden
• dominante Gelenkkontrakturen
• Karpaltunnelsyndrom in jugendlichem Alter
• Trübung der Hornhaut, Taubheit
• Durchfall/abdominelle Beschwerden
• episodischer Charakter der Arthritiden
• Fieber
• pustulöse Hautveränderungen palmar und plantar
• Schmerzen und Schwellungen der vorderen Thoraxwand
• Fieber
• Hautausschlag
• muskelkaterartiger Schmerz
• Muskelschwäche
• Schluckstörungen
• Atemnot
• Godron-Papeln
• heliotropes Exanthem
• Mechaniker-Hände
• Kopfklinik: Epistaxis, Rhinitis, Otitis, Sinusitis
• Hämoptysen/Atemnot
• Purpura
• Parästhesien
• Gewichtsabnahme
• Fieber
• Muskelschmerz
• schmerzhafte Augenrötung und Sehstörungen (Skleritis)
nische Studien initiiert werden. Um seltene
Erkrankungen zu erkennen, ist aber der
Rheumatologe in der Praxis und Klinik genauso notwendig, der aus der großen Zahl
von Patienten mit den häufigen rheumatischen Erkrankungen die Kolibris erkennt.
Mukopolysacharidosen
Morbus Whipple
SAPHO-Syndrom
Fiebersyndrome und
adulter Morbus Still
Myositiden
Kleingefäßvaskulitiden
Seltene rheumatische
Erkrankungen erkennen
Wie kann man nun seltene rheumatische
Erkrankungen erkennen? Das Wichtigste
ist sicher, erst einmal an die Möglichkeit zu
denken, dass eine solche Erkrankung vorliegen könnte. Dies gelingt vor allem dann,
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Editorial
wenn man solche Erkrankungen schon
einmal gesehen hat. Viele Erkrankungen,
gerade die mit den eindrucksvollen, unvergesslichen klinischen Bildern, wie die
rezidivierende Polychondritis oder das
SAPHO-Syndrom, prägen sich unauslöschlich in das Gedächtnis ein und haben
einen hohen Widererkennungseffekt. Das
Lernen am Fall – und eben auch seltenen
Fällen –, ist daher in der Ausbildung von
Rheumatologen ein sehr wichtiges Werkzeug. Es gibt aber auch systematische
Methoden, seltene Fälle zu detektieren. Dafür ist insbesondere die Anamnese geeignet. Die meisten Patienten werden wegen
Schmerzen und Schwellungen der Gelenke
zum Rheumatologen geschickt. Dieses
Leitsymptom sollte aber nicht nur Anlass
geben, die üblichen Fragen nach Morgensteifigkeit, morgendlichem Schmerzmaximum usw. zu stellen, die der Diagnostik
der rheumatoiden Arthritis dienen. Seltene
Erkrankungen erkennt man, indem Symptome wie Epistaxis, Raynaud-Syndrom,
Durchfall, Fieber und vieles mehr erfragt
werden. Nur eine systematische Anamnese
– auch seltener Symptome – hilft auch bei
Patienten mit atypischen Symptomen, auf
seltene Erkrankung aufmerksam zu werden.
▶ Tabelle 2 zeigt Beispiele für Symptome, die erfragt werden können, um den
Verdacht auf seltene Erkrankungen zu lenken. Dies geht von dem häufigsten Primärsymptom der Arthralgien und Arthritis
aus. Ganz ähnlich ist es aber auch bei anderen Leitsymptomen, die zur Überweisung
zum Rheumatologen führen können, wie
Fieber unklarer Ursache, Uveitis, Rückenschmerz u. v. m.
Das regelmäßige Abfragen von Symptomen für seltene Erkrankungen, auch dann,
wenn primär erst mal kein Verdacht für
eine solche besteht, ist wahrscheinlich das
wirksamste Werkzeug, diese zu erkennen.
Dazu gehört Disziplin, aber auch Augenmaß und klinische Erfahrung. Das sind
Tugenden, die aber von jeher in der Rheumatologie zu Hause sind. Die neuen Strukturen der spezialfachärztlichen Versorgung
nach § 116b SGB V werden helfen, das Erkennen, die Erforschung und die bessere
Versorgung von Patienten mit seltenen Erkrankungen auch in der Rheumatologie zu
fördern.
Wir hoffen, dass wir mit diesem Sonderheft der arthritis+rheuma dazu beitragen können, einige der Krankheitsbilder, die unsere Disziplin so interessant und
besonders macht, den Leserinnen und
Lesern etwas näher zu bringen.
Wir wünschen Ihnen viel Spaß beim
Lesen!
Ihre
Prof. Dr. Christoph Fiehn
Baden-Baden
Dr. Keihan Ahmadi-Simab
Hamburg
Literatur
1. Kötter I. Update Morbus Behçet. Z Rheumatol
2012; 71: 760–764.
2. Gretler J. Abklärung und Differenzialdiagnose der
Myositiden. arthritis+rheuma 2013; 33 (1): 9–14.
3. Schirmer M, Duftner C. Therapieansätze bei
Myositis. arthritis+rheuma 2013; 33 (1): 16–18.
4. Dechant C, Kruger K. Der adulte Morbus Still.
Dtsch Med Wochenschr 2011; 136 (33):
1669–1673.
5. Holle JU. ANCA („anti-neutrophil cytoplasm antibody“)-assoziierte Vaskulitiden. Z Rheumat 2013;
72: 445–456.
6. Kirsten D. Pulmonale Sarkoidose: aktuelle Diagnostik und Therapie. Dtsch Med Wochenschr
2013; 138 (11): 537–541.
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