staatsideale stadtplanung

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staatsideale
und
Stadtplanung
von Prof. Peter Steiger (Text)
Seit Anbeginn der Zivilisation widerspiegelt die Architektur Glauben
und Ideologie der herrschenden Politik: Platons Staatsideal,
eine der ältesten bekannten Vorstellungen von Idealstädten, die
insbesondere auf die politische Organisation abzielten, basierte auf die
Gleichberechtigung der Bürger, der Stadtplan von Paris zeigt die zentrale
Macht der Monarchie, und heute verfügen wir über ein reichhaltiges
Instrumentarium für nachhaltiges Bauen, jedoch fehlen die Mittel für die
Analyse und Beeinflussung der komplizierten sozialen Prozesse unter
den unzähligen Akteuren mit unterschiedlichen Interessen.
AKTUELL
Politik und Architektur
MODULØR
Magazin
Platons Staatsideal als Leitlinie
der Stadtplanung
ter des Stadtgrundrisses weist auf die Gleichberechtigung ihrer
Bürger hin. Der Wohnungsbau erfolgte auf weitgehend normierten Grundstücken, was eine überbordende Gestaltung der
Häuser verhinderte. Auch signalisiert das Bouleuterion (Bürgersaal) mit 640 Sitzen, dass politische Entscheide nicht über
die Köpfe der Bürger, sondern von ihnen selbst getroffen wurden. Allerdings zeigen spätere Häuser den spürbaren Bedarf
für Selbstdarstellung wohlhabender Bürger, die ihre Anliegen
bald nicht mehr in der Öffentlichkeit – auf der Agora – sondern in den eigenen Wänden diskutierten. Dafür wurden in der
späthellenistischen Zeit Grundstücke zusammengelegt und die
Wohnräume um einen Hof – das sogenannte Peristyl – gelegt.
Dies führte zu einem Verdrängungsprozess, dem weniger wohlhabende Bürger
nicht standhalten konnten. Offensichtlich verstanden sich bestimmte Bewohner Prienes nicht mehr als Bürger einer
Gemeinschaft, sondern als Personen,
die sich – wie ihre Peristylhäuser zeigen
– auch zu Lasten der Ideale von Priene
profilierten.
Seit Menschengedenken tragen Häuser und ihre Architektur,
neben den Merkmalen von Geschichtserfahrung, die Zeichen
der herrschenden Politik. Ein frühes Beispiel dafür stellt die
im 5. Jahrhundert v. Chr. raffiniert geplante griechische Stadt
Priene dar, welche nördlich von Milet im Westen der heutigen
Türkei liegt. Platons Staatsideal, nach welchem praktische Weisheit und Tugend der Herrscher die Gesetzgebung leiten sollten,
scheint hier der Hintergrund der Planung gewesen zu sein. So
erhielt Priene eine demokratische Verfassung, und der Charak-
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Die Herrschaft der Stärkeren
manifestiert sich in den Städten
Paris. Plan voisin 1925. Skizze des Stadtzentrums von Le Corbusier.
Links im Hintergrund der Eiffelturm.
In Westeuropa hatten die Prinzipien
Platons kaum Niederschlag in der Stadtplanung gefunden, ein Blick auf den
Stadtplan von Paris lässt auf eine feudale Entstehungsgeschichte schliessen.
Allein die Nummerierung der Stadtbezirke um den 1. Bezirk mit dem Louvre
im Zentrum – der früheren Residenz der
französischen Könige – zeigt die zentrale
Macht der Monarchie. Ludwig XIV. liess
nach langer Herrschaft von Königen die
Stadtmauern zur Erweiterung der Stadt
eigenmächtig abtragen und an deren
Stelle eine Ringstrasse bauen, die später
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AKTUELL
Politik und Architektur
die „Grands Boulevards“ werden sollten. Damit waren die Voraussetzungen geschaffen, dass sich die Stadt weiterhin zentrifugal um das Machtzentrum weiterentwickeln konnte. Aber
auch nach dem Niedergang der Monarchie und trotz Revolution mit dem Ruf nach „liberté – egalité – fraternité“ führte
Napoleon III. die von Ludwig XIV. begonnene Stadtgestaltung
von Paris mit grossen Plätzen und Alleen ungerührt weiter. Er
beauftragte den Präfekten und Architekten Georges-Eugène
Haussmann, weitere Boulevards durch die bestehenden, feingliedrigen Quartiere zu schlagen. Die französische Hauptstadt
sollte den Glanz anderer europäischer Metropolen übertreffen
und gleichzeitig eine gute Infrastruktur für die Industrialisierung bereitstellen. Vermutlich standen hinter den breiten
Strassenzügen aber auch strategische Überlegungen, um bei
Bedarf mit militärischer Gewalt gegen das eigene Volk vorzugehen.
Grundlegendes Zerwürfnis der Moderne
im Städtebau
MODULØR
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5
2
4
1
3
50
100 m
Stadtplan von Priene
1
2
Agora
Amphitheater
Nach der Zerstörung von materiellen und kulturellen Werten
3
Stadium
im Ersten Weltkrieg und den nachfolgenden politischen Unru4
Hauptstrasse
5
Tempel
hen gründete 1928 eine Gruppe von 28 Architekten, Ingenieuren und Historikern aus acht europäischen Staaten auf dem
Schloss La Sarraz in der Schweiz den sogenannten CIAM (Congrès Internationaux d’Architecture Moderne), um gemeinsam
mit einem „zeitgemässen technischen, wirtschaftlichen und sozialen Programm die Idee der modernen Architektur zu vertreten“ (Erklärung von La Sarraz). Schon am
4. Kongress in Athen 1933 verhinderten
jedoch unterschiedliche Auffassungen
über Wohnen, Erholung und Bildung,
Le Corbusier war überzeugt, dass Architektur – seine Architektur – für das
Arbeitsplatz und Verkehr gemeinsame
reibungslose Zusammenwirken gesellschaftlicher Vorgänge unverzichtbar
Formulierungen für die beabsichtigte
sei. In seinem „Pavillon de l’Esprit Nouveau“, der von den Flugzeug- und
Resolution. Schliesslich begnügte man
Autowerken Voisin unterstützt wurde, hatte er 1925 seinen „plan voisin“
sich, die Resultate des Kongresses unvorgestellt, der die feingliedrige Bebauung des Stadtzentrums von Paris für
ter der Bezeichnung „Feststellungen“ zu
eine 3-Millionen-Stadt eliminierte und durch hohe, kreuzförmige Punktveröffentlichen, obwohl man sich nicht
häuser in einer Parklandschaft ersetzte. Den Autoverkehr verlegte er in
auf eine gemeinsame Fassung einigen
diese Freiräume auf getrennte, mehrspurig geführte Strassen. Immerhin
konnte. Die tieferen Ursachen dieser Zerführte dieser Streit im CIAM zur Erkenntnis, dass nicht allein Architektur
würfnisse, die sich bis zur Auflösung des
mit gestalteter Gebäudeoberfläche und schönen Wohnräumen die Qualität
CIAM (1959) fortsetzten, bildeten untervon Siedlungsräumen bestimmt, sondern vor allem die Gebäudevolumen
schiedliche Einschätzungen der Wirkung
mit ihren Höhen, Längen, Tiefen und Fügungen im gestalteten und freien
von Architektur auf Politik und GesellRaum. Für Planungen, die über einzelne Gebäude hinausgehen, verlangten
schaft, wie sie heute noch bestehen.
die Architekten aus der Schweiz, Holland und Deutschland verbindliche
Richtlinien für eine feingliedrige Durchmischung von Wohnen, Arbeiten
Planung im Spannungsfeld
und Freizeit sowie gesetzliche Bestimmungen für gemeinsame Interessen,
zwischen Politik und
wie etwa für Verkehr und Infrastruktur oder für Freiräume und LandArchitektur
schaft.
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und neue Technik auch passiv oder aktiv gewinnen können.
Inzwischen hatte sich jedoch die scheinbar freie Architektur
zunehmend von rechtlichen, physikalischen, ökologischen
oder sozialen Bindungen befreit und entfernte sich zusehends
von umweltverträglichen Gebäude- und Siedlungskonzepten.
Die Vermarktung von medienwirksamer „Stararchitektur“ als
Kunst verstärkte diesen Trend.
Von der 2000-Watt-Gesellschaft zur
Nachhaltigkeit
Tatsächlich verfügen wir heute über ein reichhaltiges technisches Instrumentarium für nachhaltiges Bauen. Auch wird
die Notwendigkeit von Massnahmen zum Klimaschutz nur
noch von wenigen Uneinsichtigen verleugnet. Während Empfehlungen mit Zielwerten zur Senkung des Energieverbrauchs
vorhanden sind (SIA-Merkblatt 2040 „Effizienzpfad Energie“),
Paris
fehlen jedoch Instrumente für die Analyse und Beeinflussung
der komplizierten sozialen Prozesse unter den unzähligen
Einteilung und Nummerierung der Arrondissements.
Akteuren mit unterschiedlichen Interessen. Ohne diese ist
Im Zentrum der Louvre, der frühere Regierungssitz
aber die rasche Umsetzung des vorhandenen Know-hows in
der französischen Könige.
die Praxis gefährdet. Denn bekanntlich verändern neue Erkenntnisse den Alltag immer erst dann, wenn sie zur Mehrheitsmeinung geworden sind, das heisst: mit Verzögerung.
So ging es beispielsweise ein halbes Jahrhundert, bis
armierter Beton für Hochbauten verwendet wurde, nachdem der französische Gärtner Joseph Garnier 1850 entdeckt
hatte, dass seine Zementkübel nach Einlage eines Drahtgeflechtes nicht mehr auseinanderfielen.
Demgegenüber erfolgte die Umsetzung
der Erfindung des Aufzuges für die
Grenzen des Wachstums
Erstellung von Hochhäusern in kürzester Zeit.
Der Wiederaufbau und Nachholbedarf nach dem Zweiten Weltkrieg beIn ähnlich unterschiedlichen Zeiträuscherte Europa eine beispiellose Bautätigkeit. Architekten schwelgten in
men wird sich ohne Einflussnahme
neuer Freiheit, bis der erste Bericht des Club of Rome plötzlich die Machauch die CO2 -Entlastung der Erdatmobarkeit alles Gewünschten infrage stellte und auf die unangenehme Tatsphäre, wie in zahlreichen Klimakonsache verwies, dass die „Grenzen des Wachstums“ demnächst erreicht
ferenzen gefordert, oder die Reduktion
sein würden. Erstmals tauchten in Planung und Architektur Begriffe wie
des Verbrauchs an nicht erneuerbaren
„Umwelt“ und „Ökologie“ auf. Bald beschäftigten sich Arbeitsgruppen mit
Ressourcen in die Länge ziehen. Auch
intelligenten, nachhaltigen Konzepten, während andere noch ihre von alder politisch geforderte Ausstieg aus der
len politischen Einschränkungen befreite Architektur zelebrierten. So wieKernenergie durch vermehrte Nutzung
derholte sich die bereits im CIAM erfolgte Spaltung über die Bedeutung
von Sonnenenergie und anderer erneuvon Architektur im Städtebau. Während sich die eine Seite noch am reicherbarer Energien wird nur mit einem
haltigen Angebot des Baumarktes orientierte, besann sich die andere Seite
breiten Konsens innert nützlicher Frist
auf die Folgen dieses Wachstums und suchte nach Wegen, wie die Vorteile
– gegen zahlreiche Widerstände – zu
der Verfügbarkeit von Ressourcen auch ohne deren Raubbau zu erreichen
erreichen sein. Anhand von Ergebnissind. Denn schon bald nach der Energiekrise 1973 erkannten Architekten,
sen der Klimaforschung hat die ETH Züdass Gebäude nicht nur Energie verlieren, sondern durch kluge Planung
rich erstmals einen solchen globalen
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Politik und Architektur
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2000 Watt
1800
Nenner für den zulässigen persönlichen Energieverbrauch
1700
festgelegt. Aus der Limite von 2000 Watt pro Person, ein1500
schliesslich 500 Watt aus nicht erneuerbaren Energien, entwickelte sich das Modell einer 2000-Watt-Gesellschaft, die
mit politischem Willen, fachlicher Kompetenz und historischer Erfahrung die Absenkung des gegenwärtigen Ener1000 Watt
gieverbrauchs von 6000 Watt auf rund 2000 Watt beschleunigen soll. Auf diesem Absenkpfad werden sich Politik und
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750
Architektur in vielen gemeinsamen sozialen Prozessen und
550
Interaktionen begegnen:
500
450
• Zur Politik gehören beispielsweise die Koordination von
energierelevanten Raumkonzepten mit regionalen Richt250
250
oder Sachplänen und kommunalen Bauordnungen beziehungsweise Zonenplänen (Senkung des spezifischen Energiebedarfs der genutzten und der freien Siedlungsflächen),
Wohnen
Mobilität
Ernährung
Konsum
Infrastruktur
raumplanerische Vorgaben, welche energieeffiziente Bauweisen unterstützen anstatt zu benachteiligen (Ausnützungsziffer auf Basis der Nettoflächen, Sonnennutzung),
Heute
2000-Watt-Gesellschaft
steuerliche Anreize, welche Energieeffizienz belohnen
oder andernfalls bestrafen (Bonus-Malus System) oder die
Verlagerung des individuellen, motorisierten Verkehrs auf
Energiebudgets in der
öffentliche Verkehrsmittel (Gebühren, Beschränkung von
2000-Watt-Gesellschaft
Parkplätzen).
• Zur Architektur gehören neben der Erstellung nachhaltiger
Reduktion von heute rund 6OOO Watt pro Person
Gebäude, für welche bereits zahlreiche Hilfsmittel für Plaauf 2OOO Watt pro Person.
nung und Erfolgskontrolle (Labels) vorliegen, unter anderem
ein genügend grosses bauliches Angebot für jegliche Art von
freiwilliger und persönlicher Beschränkung des Flächenund Energieverbrauchs am Wohn- und Arbeitsplatz (Suffizienz). Dazu gehören Energiesysteme, welche die Sparanstrengungen unterstützen (Effizienz und Erfolgskontrolle).
Auch die Gebäudestruktur muss demografische und familiäre Veränderungen ohne grossen baulichen Aufwand zulassen (flexible Grundrisse und Erschliessung).
• Vor allem sind aber gemeinsame Anstrengungen von Politik und Architektur für die wirkungsvollste Massnahme zur
Absenkung des Energieverbrauchs zu unternehmen, nämlich die Sanierung von bestehenden Gebäuden. Finanzierung und steuerliche Anreize sind für eine sozialverträgliche
Sanierung von Wohnungen und Arbeitsräumen so zu gestalten, dass die
Energieeffizienz zwar massiv gefördert
Prof. Peter Steiger, Architekt, BSA, SIA, BDA war ordentlicher Prof. em. der TU Darmstadt und
wird, aber nur geringe Eingriffe in
hatte Lehraufträge an der UC Berkley, USA, und der ETH Zürich. Er hat für grosse Unternehmen wie
das soziale Umfeld der Wohn- und ArCERN, IBM oder Göhner gebaut. Seine Orts- und Regionalplanungen gehören zu den Pionierleibeitsbevölkerung zu befürchten sind.
stungen der schweizerischen Planung. Er ist Gründer und Mitinhaber von Intep in Zürich.
Fazit: Für das Zusammenspiel von PoliIntep ist ein international tätiges Unternehmen in der Management- und Immobilienberatung.
tik und Architektur zur Durchdringung
Gegründet 1978 in Zürich, verfügt Intep heute über Standorte in München, Hamburg, Zürich,
dieser sozialen Prozesse besteht noch erSt. Gallen und Minneapolis mit rund 50 Mitarbeitenden.
www.intep.com.
heblicher Forschungsbedarf.
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