In Europa auf dem Vormarsch

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Diagnostik im Dialog • Ausgabe 44 • 08/2014 | Dengue-Virus und Co | Medizin
Dengue-Virus und Co
In Europa auf dem Vormarsch
PD Dr. med. Dr. med. habil. Jonas Schmidt-Chanasit, Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin, Hamburg
fotolia/studio023
Mit dem interkontinentalen Reise- und Warenverkehr verbreiten sich
ursprünglich tropische
Viren und Stechmückenvektoren weltweit
Gliederfüßer (Arthropoden, insbesondere
Stechmücken) übertragen zahlreiche Viren auf
den Menschen.1 Auch die Erreger des Dengueund Chikungunya-Fiebers gehören zu diesen
so genannten Arboviren (Arthropod-borne
Viruses). Mit dem interkontinentalen Reiseund Warenverkehr verbreiten sich ursprünglich tropische Viren und Stechmückenvektoren
weltweit und können lokale Krankheitsausbrüche außerhalb ihrer Ursprungsgebiete
verursachen.2,3 Die Anzahl der nach Europa
importierten Infektionserkrankungen steigt.
Im Jahr 2013 beispielsweise hat das RobertKoch Institut für Deutschland über 870 eingeschleppte Dengue-Virus-Infektionen registriert – so viele wie noch nie seit Einführung
der Meldepflicht im Jahr 2001 (Abb. 1). Die
Diagnostik dieser Infektionserkrankungen ist
ausgereift, eine kausale Therapie dagegen
noch in der Entwicklung. Die Behandlung
beschränkt sich auf symptomatische Maßnahmen. Wie steht es um die Prävention von
Dengue- und Chikungunya-Fieber? Impfstoffe
sind nicht verfügbar, daher ist der konsequente Mückenschutz mit Repellentien immer
noch die einzige Präventionsmaßnahme.
Kompetente Vektoren
Etwa 390 Millionen Menschen weltweit infizieren sich jährlich mit dem Dengue-Virus
(DENV). 96 Millionen erkranken anschließend am Dengue-Fieber (DF) oder an einem
Dengue-hämorrhagischen Fieber (DHF).4,5
Vektoren* sind meist die Gelbfiebermücke
(Aedes aegypti) und die Asiatische Tigermücke (Aedes albopictus) (Abb. 2). Beide Stechmücken übertragen auch das ChikungunyaVirus (CHIKV), erstmals isoliert 1953 in
Tansania.6 Das CHIKV ist vor allem im östlichen Afrika, auf dem indischen Subkontinent,
in Südostasien und seit einigen Jahren auf den
Inseln im Indischen Ozean verbreitet.1
Das DF ist eine der häufigsten aus den Tropen
und Subtropen importierten Erkrankungen –
auch in Deutschland stiegen die registrierten
Fallzahlen deutlich an (Abb. 1). Das CHIKV
verursacht bei uns derzeit durchschnittlich 38
importierte Krankheitsfälle pro Jahr.1
Erste autochthone DF-Fälle** in Europa
traten 2010 in Südfrankreich und Kroatien
auf2, Ende 2012 kam es zu einem großen
Ausbruch auf der Ferieninsel Madeira mit
mehr als 2000 Fällen.5 Zunehmend sind
auch saisonale CHIKV-Übertragungen in
Südeuropa möglich – so geschehen 2007 in
Italien und im Jahr 2010 mit ein paar Fällen
in Frankreich.1
Aufgrund der klimatischen und biologischen
Bedingungen konnten sich die eingeschleppten Arboviren und Stechmückenvektoren in
Deutschland meist nicht längerfristig etablieren. In den letzten beiden Jahren wurde
jedoch die Asiatische Tigermücke mehrfach
in Bayern und Baden-Württemberg nachgewiesen.3 Damit hat sich auch in Süddeutschland ein kompetenter Stechmückenvektor
etabliert, der das Dengue-Virus und das
Chikungunya-Virus übertragen könnte.
Symptomatik
Beim DF beginnt die klinische Symptomatik
mit einem ausgeprägten Krankheitsgefühl
in der Regel nach einer Inkubationszeit von
vier bis sieben Tagen: Fieber(schübe) bis
40 °C, Kopfschmerzen sowie starke Muskelund Gliederschmerzen. Im weiteren Verlauf
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Diagnostik
Dengue-Fieber in Deutschland
1000
900
800
Fälle
700
600
500
400
300
200
100
0
01
20
02
20
03
20
04
20
05
20
06
20
07
20
08
20
09
20
10
20
11
20
12
20
*
13
20
Jahr
Abb. 1: Übermittelte Dengue-Fieber-Fälle 2001–2013 in Deutschland
Fälle entsprechend der Referenzdefinition des Robert Koch-Instituts (RKI). *Datenstand: 15.01.2014
(www3.rki.de/SurvStat/)
kommen typischerweise ein stammbetontes
Erythem, gelegentlich ein feinfleckiges Exanthem, Übelkeit, gastrointestinale Beschwerden und Halsschmerzen hinzu. Die akute
Krankheitsphase dauert meist fünf bis acht
Tage, die vollständige Rekonvaleszenz zieht
sich bis zu mehreren Wochen hin.1 Schwere
Fälle können hämorrhagisch mit unkontrollierbaren Blutungen verlaufen (DFH). DENVSekundärinfektionen scheinen aufgrund
der Antikörper-vermittelten Steigerung der
Infektion häufiger zum DHF zu führen.7
Abb. 2: Asiatische Tigermücke (Aedes albopictus) (Quelle, mod.: BNI, Hamburg)
30
Sowohl beim DF als auch beim Chikungunya-Fieber fallen im Labor fast immer
und bereits in der Frühphase eine ausgeprägte Thrombozytopenie sowie niedrignormale Leukozyten bis zur Leukopenie
auf. Beim DF kommen oftmals eine erhöhte
LDH sowie pathologische Werte der Transaminasen als Zeichen einer begleitenden
akuten Hepatitis hinzu. Diese Auffälligkeiten sind jedoch unspezifisch. Deshalb stehen für die zweifelsfreie Infektionsdiagnose
immunologische und molekularbiologische
Parameter zur Verfügung.
Eine abgelaufene Infektion sorgt für eine
lebenslange, Serotyp-spezifische Immunität, aber nur für eine kurzzeitige Kreuzimmunität. Das bedeutet: Nach kurzer Zeit
besteht kein Schutz mehr vor Infektionen
mit anderen Serotypen.1 Neuerdings sind für
das DENV nicht mehr nur vier sondern fünf
verschiedene Varianten bekannt. Der fünfte
Serotyp trat 2007 bei einem DF-Ausbruch
auf Borneo auf und wurde letztes Jahr retrospektiv identifiziert (Nikos Vasilakis, persönliche Mitteilung).
Bei klinisch apparenten CHIKV-Infektionen
(Chikungunya-Fieber) kommt es nach einer
Inkubationszeit von zwei bis zwölf Tagen zu
einem plötzlichen und schnellen, manchmal biphasischen Fieberanstieg, zu Kopfschmerzen, Konjunktivitis, Muskel- und
Gelenkbeschwerden. Bisweilen treten ein
makulopapulöses (knotig-fleckiges) Exanthem oder eine generalisierte Hautrötung
auf. Im Vordergrund steht die meist bilaterale Gelenksymptomatik, vor allem die Extremitäten sind betroffen.1,8 Die Gelenke sind
geschwollen und berührungsempfindlich. In
mindestens 10 % der Fälle persistieren diese
Beschwerden gar über Jahre und entwickeln
sich zur chronischen Arthritis.9,10
Eine frische DENV-Infektion lässt sich
im Patientenserum detektieren durch den
Nachweis von (Abb. 3):
ODENV-RNA
ODENV-NS-1-Antigen
ODENV-spezifischen IgG- und IgM-Antikörpern.
Die drei Parameter lassen sich mit sensitiven
und spezifischen Schnelltests bestimmen.
Die Diagnose einer akuten Infektion gelingt
innerhalb weniger Minuten direkt am Patientenbett. In den ersten drei Wochen nach
Krankheitsbeginn sollten prinzipiell alle drei
Tests parallel durchgeführt werden, um eine
möglichst hohe klinische Sensitivität und
Spezifität zu erreichen (Abb. 3).1
Die Diagnostik der CHIKV-Infektion in
den ersten Krankheitstagen gelingt über die
Detektion viraler RNA mittels Real-TimeRT-PCR.1 IgM- und IgG-Antikörper dagegen lassen sich erst ab der zweiten Krankheitswoche zuverlässig nachweisen.
Therapie und Prävention
DF-Patienten sollten überwacht werden,
bis sich die pathologischen Laborparameter
normalisieren. Die Krankenhausaufnahme
zum klinischen Management und zur Überwachung ist in folgenden Fällen indiziert:1
Oschweres Krankheitsbild
Oausgeprägte Thrombozytopenie
OPetechien oder andere Blutungszeichen
Ohohe Transaminasen.
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Eine kausale Therapie ist nicht verfügbar. Die
Substitution von Thrombozyten bleibt in der
Regel ohne Einfluss auf den klinischen Verlauf.
Insbesondere in den Tropen sollte die Transfusion daher nur in den Einzelfällen einer
hämorrhagischen Komplikation und/oder bei
Thrombozytenzahlen unter 5000/µl erfolgen.
Die gleiche Situation besteht beim CHIKV:
Auch gegen das Chikungunya-Fieber gibt
keine spezifische Therapie. Die Behandlung
erfolgt unter anderem mit nicht-steroidalen
Antirheumatika gegen die Gelenksymptomatik.1 Ebenso wenig existiert ein Impfstoff.
Die immer noch einzige Präventionsmöglichkeit ist daher der konsequente, ganztägige Mückenschutz, zum Beispiel mit
Diethyltoluamid-haltigen Repellentien.
Zusammenfassung und Fazit
OVor allem mit der Asiatischen Tigermücke hat sich eine invasive Stechmücken-
Serologie
Erstinfektion
Zweitinfektion
Fieber
Fieber
Antikörper- und Antigen-Titer
IgG
Virus
RNS
Virus
RNS
IgG
IgM
NS1
NS1
IgM
0
4
8 16
90-180 0
4 8 16
Tage nach Krankheitsbeginn
Abb. 3: Verlauf serologischer Parameter bei
einer Dengue-Virus-Infektion
Roche
Ein tetravalenter Impfstoff gegen die DENVSerotypen 1–4 befindet sich in einer fortgeschrittenen Erprobungsphase. Erste
Ergebnisse zur Wirksamkeit sind jedoch
ernüchternd. Darüber hinaus muss nun auch
die Entdeckung des fünften Serotyps bei der
Entwicklung bzw. Einführung eines Vakzins
Berücksichtigung finden. Deshalb ist mit der
Zulassung eines Impfstoffs in den nächsten
Jahren nicht zu rechnen.
Beim Dengue-Fieber beginnt die
klinische Symptomatik mit einem
ausgeprägten Krankheitsgefühl in
der Regel nach einer Inkubationszeit von vier bis sieben Tagen
art in Europa etabliert. Deshalb muss in
Europa und z. B. auch in Süddeutschland
mit autochthonen Dengue-Virus- und
Chikungunya-Virus-Infektionen gerechnet werden.
OInfektionen mit Arboviren haben meist
eine Inkubationszeit von weniger als
einer Woche. Sie manifestieren sich oft
akut mit Fieber, Exanthem oder Gelenkschmerzen. Reisende in gefährdeten
Gebieten bzw. Rückkehrer sind angehalten, solche Symptome beim ersten Auftreten spezifisch abklären zu lassen. Für die
DENV-Infektion besteht in Deutschland
eine Meldepflicht an die zuständigen
Gesundheitsämter.
OEine genaue Anamnese ist Voraussetzung
für eine schnelle und zielgerichtete Labordiagnostik. Bei Verdacht auf eine akute
DENV-Infektion stehen zur Abklärung
zuverlässige Bedside-Tests zur Verfügung.
OEin konsequenter Mückenschutz stellt
die derzeit einzige Präventionsmaßnahme dar.
ODer öffentliche Gesundheitsdienst und
die Blutspendedienste müssen bei autochthonen Infektionen Vorsichtmaßnahmen
wie z. B. die Testung von Blutkonserven
mittels NAT (Nuclein Acid Test) oder
Antigen-Assays auf DENV ergreifen, um
Infektionsketten zu vermeiden.
OEine deutschlandweite Virus-Surveillance
in Stechmücken kann helfen, potenzielle
Infektionsherde frühzeitig zu erkennen
und rechtzeitig Bekämpfungsmaßnahmen
zu initiieren. Das Bernhard-Nocht-Institut (BNI) arbeitet hierbei seit dem Jahr
2009 mit der Kommunalen Aktionsgemeinschaft zur Bekämpfung der Schnakenplage (KABS) zusammen.
*Vektor: Virusübertragender Organismus
**Autochtone Infektion: Infektionserkrankung,
die in einem Gebiet erworben wurde und nicht
durch eine Reise oder einen Transport erkrankter
Individuen eingeschleppt wurde.
Literatur
1Schmidt-Chanasit J et al: Dtsch Arztebl Int (2012);
109(41):681−692
2Schmidt-Chanasit J et al: Euro Surveill (2010); 15:19677
3Becker N et al: Parasitol Res (2013); 112(4):1787−1790
4Bhatt S et al: Nature (2013); 496(7446):504−507
5Robert Koch-Institut (RKI). Epidemiologisches Bulletin
(2013); 43:444−445
6Ross RW: J Hyg (Lond) (1956); 54(2):177−191
7Guzman MG et al: Arch Virol (2013); 158(7):1445−1459
8Taubitz W et al: Clin Infect Dis (2007); 45(1):e1−4
9Burt FJ et al: Lancet (2012); 379(9816):662−671
10Essackjee K et al: Postgrad Med J (2013);
89(1054):440−447
Korrespondenzadresse
PD Dr. med. Dr. med. habil.
Jonas Schmidt-Chanasit
Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin
Bernhard-Nocht-Strasse 74
20359 Hamburg
[email protected]
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