784_836_BIOsp_0714_- 05.11.14 13:25 Seite 825 825 Vortragsreihe Science Notes Sounds of Science – Wissenschaft im Musikclub CARMEN LIPPHARDT SEMINAR FÜR ALLGEMEINE RHETORIK, UNIVERSITÄT TÜBINGEN © Springer-Verlag 2014 ó Wo treffen Wissenschaftler auf Laien, und wo berichten Wissenschaftler von ihren Forschungen und Erkenntnissen? Meist sind es Veranstaltungen wie etwa ein Tag der offenen Tür, bei dem Universitäten interessierte Bürger in ihre Institute einladen, und viel öfter noch tauschen sich Wissenschaftler auf Kongressen aus. Viel zu selten kommen Wissenschaft und Öffentlichkeit dort miteinander in Kontakt, wo eine zwanglose Atmosphäre herrscht. Zentrale wissenschaftliche Erkenntnisse und Fragen von gesellschaftlicher Relevanz müssen ihren Weg in den öffentlichen Diskurs finden und für jedermann zugänglich sein. Dies gelingt jedoch nur, wenn diese Erkenntnisse nicht nur verständlich sind, sondern sie auch einen Unterhaltungswert bieten. Die Science Notes sind eine solche Plattform, sie holen Wissenschaft heraus aus dem Elfenbeinturm und bringen sie hinein in die Clubs. Im Zentrum der Science Notes steht stets ein naturwissenschaftlicher Themen- und Problemkomplex. Leitender Gedanke bei der Konzeption war dabei der Wunsch, pro Veranstaltung fünf namhafte Wissenschaftler für 15-minütige Vorträge zu gewinnen, die zeigen, dass Wissenschaft uns alle angeht. Das erfordert nicht nur wissenschaftliches Argumentieren, sondern auch einen spannenden und unterhaltsamen Vortrag, schließlich sprechen die Forscher nicht auf einem Kongress, sondern im Club. Anders als ein Science Slam sind die Science Notes kein Wettkampf, im Mittelpunkt steht vielmehr die Faszination Forschung. Spitzenforscher berichten von ihrer Arbeit und wagen einen Blick in die Zukunft, setzen sich mit gesellschaftlich relevanten Themen auseinander. Ergänzt werden die Präsentationen durch elektronische Musik und Performances. Bei den ersten Science Notes im Kulturzentrum Karlstorbahnhof Heidelberg im Jahr 2013 drehte sich alles um das BIOspektrum | 07.14 | 20. Jahrgang Thema Zukunft der Energie – Energie der Zukunft. Die zweiten Science Notes fanden im September 2014 im Club Uebel & Gefährlich in Hamburg statt (Abb. 1). Im Mittelpunkt stand das Thema Klimawandel, das rasch ein bunt gemischtes Publikum anzog. Den Auftakt machte Prof. Dr. Christian Wild vom Leibniz-Zentrum für Marine Tropenökologie in Bremen mit dem Titel Hitze und Säureangriffe auf Korallenriffe. Zu Beginn seines Vortrags gab Wild zu, noch nie an so einem abgefahrenen Ort einen Vortrag gehalten zu haben. Und in der Tat: Die Mischung aus lauten Beats und wissenschaftlicher Seriosität mag ungewöhnlich erscheinen. Doch es blieb ihm nicht viel Zeit, darüber nachzudenken, schließlich wollte er dem Publikum von seinen Forschungen zum Lebensraum Korallenriff berichten. Auch wenn die Korallen den Zuschauern in Hamburg zunächst weit weg erscheinen mussten, führte Wild anschaulich durch dieses faszinierende Ökosystem mit seiner großen Artenvielfalt. Für ihn als Wissenschaftler sind sie aber auch ein früher Indikator für die globalen Klimaveränderungen. Die Erwärmung und Übersäuerung der Ozeane haben schließlich in den letzten Jahren eine starke Schädigung der Korallenriffe bewirkt. Wild führte aus, dass 30 Prozent der weltweiten Korallenriffe stark geschädigt und weitere 50 Prozent immerhin stark gefährdet seien. In einem eindrucksvollen Experiment, für das Wild einen Zuschauer auf die Bühne bat, zeigte er, wie CO2 Wasser verändern und so Leben erschweren kann. Dr. Ricarda Winkelmann vom PotsdamInstitut für Klimafolgenforschung erläuterte in ihrem Vortrag Ewiges Eis entfesselt eindrucksvoll, dass der Rückgang der Gletscher in der Antarktis zu einem unaufhaltsamen Problem werden könnte. Durch ihre eigene Gewichtskraft getrieben, wandern die Glet- ˚ Abb. 1: Das Uebel & Gefährlich in Hamburg. Dort, wo sonst Größen der elektronischen Musik auftreten, gaben im September 2014 im Rahmen der Science Notes hochkarätige Wissenschaftler Einblick in ihre Forschung zu den Folgen des Klimawandels. 784_836_BIOsp_0714_- 05.11.14 13:25 Seite 826 826 KA R RIE R E , KÖP FE & KON Z EPTE scher vom Landesinneren zum Meer und sind folglich alles andere als starre, unbewegliche Eisriesen. Greifbar wurden die Bewegungen durch Audioaufnahmen aus der Antarktis, mit denen die Zuhörer das Knacken, Krachen und Heulen des nur scheinbar unbeweglichen Eises nachvollziehen konnten. An der Küste angelangt, bringt dort das erwärmte Meerwasser die Gletscher schließlich zum Abschmelzen. Mit den Eismassen Grönlands und der Arktis beschäftigte sich auch Prof. Dr. Olaf Eisen vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven. Er fragte: „Haben wir den Stöpsel gezogen?“ In seiner mit Schaubildern und Grafiken gespickten Präsentation beschrieb Eisen die aktuellen Entwicklungen des Permafrostbodens und der schneebedeckten Regionen, der ein Meeresspiegelanstieg gegenüberstehe. Am Ende gab Eisen schließlich die Antwort auf seine eingangs gestellte Frage: Ja, der Mensch habe sogar mehrere Stöpsel gezogen. Und damit meint er, dass in einigen Regionen der point of no return überschritten, das weitere Abschmelzen unaufhaltbar sei. Machtlos sei der Mensch nicht, er müsse sich anpassen und eine weitere Verschlimmerung vermeiden. Mit diesem nachdenklich stimmenden Schluss entließ er die knapp 300 anwesenden Gäste in die Pause. Die Leibnizpreisträgerin Prof. Dr. Antje Boetius vom Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie in Bremen berichtete in ihrem Vortrag Like Ice in The Sunshine – Was wird aus dem Leben in der Arktis, wenn das Eis schmilzt von ihren zahlreichen Expeditionen auf Forschungsschiffen (Abb. 2). In ihrem dynamischen Vortrag machte sie deutlich, was es heißt, die Veränderung der Habitate als Wissenschaftlerin hautnah mitzuerleben und immer neuen Phänomenen auf der Spur zu sein. Sie beschrieb, wie sie bei einer Expedition zum ersten Mal Algenablagerungen auf dem Meeresboden beobachtet habe, die aus geschmolzenem Eis stammten und auf den Grund abgesunken waren. Der Klimawandel verändere die Lebensräume und zwinge zur Anpassung. Dem Zuschauer wurde klar, wie wichtig es ist, mit offenen Augen die Geschehnisse in der Natur aufzunehmen, gleichzeitig begeisterte sie mit ihrem Enthusiasmus aber auch für den Beruf der Wissenschaftlerin. Mit dem Titel Sahara in der Trockenfalle beschloss Dr. Sebastian Bathiany vom MaxPlanck-Institut für Meteorologie in Hamburg die Reihe des Abends. Um zu veranschaulichen, was passiert, wenn ein Gleichgewicht aus den Fugen gerät, begab sich Bathiany mit dem Kippeln auf dem Stuhl quasi selbst in Gefahr. Wenn sich die Lage des Stuhls (bzw. das Klima) so stark verändert, dass ein kritischer Punkt erreicht wird, kippt der Stuhl um. Er zeigte dies am Beispiel der von ihm erforschten Klimaveränderung in der Sahara: Weil die Niederschläge abnahmen, schrumpfte die Vegetation, was noch weniger Niederschlag nach sich zog. So wurde aus einer tier- und pflanzenreichen Zone die größte Wüste der Erde. Bathianys Anliegen ist es, künftige Veränderungen mit so einer Tragweite besser zu erforschen. Die Science Notes werden von der Klaus Tschira Stiftung, Heidelberg, finanziert, die sich für die Wertschätzung der Naturwissenschaften in der Öffentlichkeit einsetzt. Interessierte wissenschaftliche Referenten können sich gerne mit Dr. Thomas Susanka, ˚ Abb. 2: Antje Boetius vom Max-PlanckInstitut für Marine Mikrobiologie, Bremen, berichtete während der Science Notes in Hamburg eindrucksvoll über ihre Expeditionen zum Polarkreis. [email protected], in Verbindung setzen. Mehr Informationen zur Vortragsreihe Science Notes und die nächsten Termine finden Sie unter www.sciencenotes.de. ó Korrespondenzadresse: Carmen Lipphardt Forschungsstelle Jugend präsentiert Seminar für Allgemeine Rhetorik Universität Tübingen Wilhelmstraße 50 D-72074 Tübingen Tel.: 07071/29-77455 [email protected] www.rhetorik.uni-tuebingen.de www.jugend-praesentiert.info www.sciencenotes.de Aktuelle Nachrichten, eine Terminübersicht bis 2018, Stellenanzeigen, alle Marktübersichten und Specials und vieles mehr finden Sie auf: www.biospektrum.de Nutzen Sie die Möglichkeiten der Online-Informationen für Studium, Forschung und Lehre! BIOspektrum | 07.14 | 20. Jahrgang